Vorstellung

Die Gassen der Königsstadt waren wie die verlängerten Arme einer unsichtbaren Kreatur, stetig im Wandel, im ununterbrochenen Trubel der Geschäftigkeit, die schon vor Stunden mit der Morgensonne eingeleitet worden war. Horden von Menschen, Nutztieren, Karren und Kutschen führten den bepflasterten Wegen ihren eigentlichen Nutzen zu, während sie das Werk des unsichtbaren Etwas vollführten, das diese Stadt in seinem Griff hatte. Tausende Hände verkörperten das Uhrwerk der Stadt, während sie ihrem Handwerk nachgingen, unbemerkt in Angesicht der Gesamtheit, aber nicht unbedeutend. Die Stadt war ein Lebewesen und die Menschen darin seine Fühler.
Zoras Luor starrte auf dieses Lebewesen hinab, während er auf dem ausladenden Steg der ersten Ebene stand, die den Komplex des Königspalastes ausmachte. Dieser Tag war trist, wolkenverhangen, grau und freudlos und obwohl es warm genug war um auf einen Mantel zu verzichten, wehte ein unbeständiger, wechselnder Wind, der die Kälte eines anbahnenden Sturms mit sich brachte. Wäre es nur ein bisschen kälter gewesen, hätte es vielleicht geregnet oder sogar einfach nur zu stark gewindet, hätten sich die meisten Einwohner in die Sicherheit eines Hauses gerettet, aber es war gerade warm genug, um seinen Pflichten ohne einer Ausrede nachgehen zu müssen.
Zoras selbst wäre es lieber gewesen, wenn der Sturm bereits am Morgen eingetroffen wäre, aber er war für den Abend vorausgesagt worden. Er trug die Uniform seines Herzogtums, eine eng anliegende Jacke in rot-weiß mit dem klassischen, seitlichen Kreuzverschluss und einer dunklen Hose mit dem dazu passenden Schwertheft an seinem Gürtel. Er hatte sich die Haare gekämmt und den Bart gerichtet, aber mittlerweile hatte der sich ständig wandelnde Wind seine Bemühungen wieder zunichte gemacht. So viel zum allgemeinen Erfolg dieses Tages.
Eigentlich war er hergekommen, um nach der Versammlung frische Luft zu schnappen und die Aussicht zu genießen, die er auch nicht alle Tage bewundern konnte, aber sein gewünschter Frieden wurde nicht sehr lange respektiert.
"Da bist du!"
Der Besitzer dieser Stimme kam näher, schob sich an der Garde vorbei, die Zoras wie ein ritualistischer Kult umringte, und trat neben ihn an das Geländer. Der Herzog Eiklar war ein Stück kleiner als Zoras und hatte kleine, gestochene Augen, die nie das zu erblicken schienen, wonach sie eigentlich Ausschau hielten. Sie waren selten ruhig genug, um den Anschein zu erwecken, als ob er wirklich aufmerksam wäre.
"Hübsche Aussicht, nicht wahr? Man kann sogar die neuen Eisenwerke von hier aus sehen. Und den neuen Tempel."
Eiklar streckte eine filigrane Hand nach dem kunstvollen Gebäude aus und Zoras folgte seinem Blick auf die wirklich gewordene Ironie, die der Bau darstellte. Die Bevölkerung hatte diesen Vorschlag geliebt, so gab es jetzt sogar einen ganzen Distrikt, der sich der Huldigung eines Gottes zuschreiben konnte, aber alle Vorgesetzten, die sich mit diesem Vorhaben beschäftigt hatten, waren sich des eigentlichen, makabren Sinns nur allzu bewusst gewesen.
"Ist ja wirklich ganz nett geworden. Er sollte mal eingeweiht werden."
"Wenn wir einen Gott haben, klar. Er kann sich hier quasi wie Zuhause fühlen."
Zoras warf erst einen Blick auf Eiklar, dann blickte er über die Schulter zurück auf seine Wachmänner, die sich mit denen von Eiklar vermischt hatten und wie lebendige Statuen in angemessenem Abstand zu den beiden Herzögen standen. Sie hätten es sich zwar niemals anmerken lassen, aber sie hörten doch jedes einzelne Wort mit, was hier gesprochen wurde.
"Möchte Seine Majestät doch wieder weitermachen?"
"O nein, Seine Exzellenz hat sich hingelegt. Ich rechne damit, dass wir vertagen werden."
Zoras sah auf Eiklar hinab.
"Das hört sich aber sehr traurig an. Möchtest du denn weitermachen?"
Eiklar sah zu ihm auf. Die Augen des kleinen Mannes konnten sich nicht entscheiden, was genau sie in Zoras Gesicht ansehen sollten, also huschten sie unablässig umher, als würden sie nach etwas suchen.
"Nein - nun, vielleicht. Ich bin gerne in der Stadt, aber ich befasse mich nur ungern mit unlösbaren Problemen."
"Ist die Sache für dich unlösbar?"
"Ich habe mein vollstes Vertrauen in Seine Exzellenz, aber wenn ich die Führung übernehmen würde, wäre ich aufgeschmissen."
"Dann solltest du das wohl lieber nicht tun."
"Ganz bestimmt nicht."
Er sah wieder nach vorne.
"Was wirst du den restlichen Tag lang unternehmen?"
"Nichts, denke ich. Ich dachte, wir wären den ganzen Tag beschäftigt und nicht", er warf einen Blick auf die riesige Sonnenuhr des Palastes, "um zwei fertig. Gestern hat es bis zum Abend gedauert und heute haben wir quasi gleich wieder aufgegeben. Ich wüsste gar nicht, was ich die nächsten Stunden anfangen sollte."
Eiklar grinste und ließ seine Augen wieder über die Stadt huschen.
"Du bist auch wirklich aufgeschmissen ohne deine Pferde. Ich warte immer schon darauf, dass du eins von ihnen mitnimmst, um Seine Exzellenz aufzumuntern. Das wäre doch mal was."
"Es wäre ein Versuch wert. Der Schlüssel zum Erfolg sind meine Tiere."
"Klar. Wo Menschen versagen, bekommen die Tiere eine Chance. Ich glaube zumindest daran."
Eiklar trat einen Schritt vom Geländer zurück und die Bewegung wurde von seinen Wachen imitiert.
"Ich werde auf den Markt fahren. Kommst du mit?"
"Auf welchen Markt? Den oberen oder unteren?"
"Den unteren. Da gibt's die interessantesten Sachen, auf dem oberen wird doch nur immer dasselbe angeboten - alles, um nur die Adelsschicht langfristig zufrieden zu stellen, also Gewürze und Bücher und so ein Kram. Wenn du so oft in der Stadt bist wie ich, wird das langsam langweilig. Auf dem unteren Marktplatz ist immer irgendwas los."
"Von mir aus. Vielleicht gibt es ja Pferde."
"Das muss ich dir ja wohl nicht extra beantworten."
Sie verließen die Sicherheit der Palastumgebung und während Eiklar in seine kleine Kutsche kletterte - sie schien körperlich auf ihn zugeschnitten zu sein - ließ Zoras seinen Fuchs bringen, ein reinrassiger Hengst aus hauseigener Züchtung, dem die Ehre zuteil geworden war, das jetzige Reisetier seines Herrn zu werden. Der Fuchs war nicht ganz so angenehm wie Zoras' Schlachtross, einem hochauf gewachsenen Rappen aus einer sauberen Blutlinie, aber dieses Tier behielt er sich lieber für die Schlacht auf. Es war kaum auszumalen, was für ein Unglück es ihm bereiten würde, wenn sein Hengst sich auf dem Weg den Knöchel verstauchen würde. Es wäre ein allzu tragischer Verlust.
Eiklar also verborgen in seiner Kutsche, Zoras wie der waschechte Pferdeherzog, der er war, auf seinem Fuchs, umringt aus einer einzelnen Garde bestehend aus Eiklars und Zoras' Männern, strebten sie einen langsamen Ritt durch die Adelsbezirke an, bevor sie auch die verließen und den gewaltigen, unteren Markt anpeilten, der nicht weit von dem neu eröffneten Tempel stattfand und sich in einer langen Schneise durch die Hälfte der Stadt zog.
@Asuna

Die Gassen der Königsstadt waren wie die verlängerten Arme einer unsichtbaren Kreatur, stetig im Wandel, im ununterbrochenen Trubel der Geschäftigkeit, die schon vor Stunden mit der Morgensonne eingeleitet worden war. Horden von Menschen, Nutztieren, Karren und Kutschen führten den bepflasterten Wegen ihren eigentlichen Nutzen zu, während sie das Werk des unsichtbaren Etwas vollführten, das diese Stadt in seinem Griff hatte. Tausende Hände verkörperten das Uhrwerk der Stadt, während sie ihrem Handwerk nachgingen, unbemerkt in Angesicht der Gesamtheit, aber nicht unbedeutend. Die Stadt war ein Lebewesen und die Menschen darin seine Fühler.
Zoras Luor starrte auf dieses Lebewesen hinab, während er auf dem ausladenden Steg der ersten Ebene stand, die den Komplex des Königspalastes ausmachte. Dieser Tag war trist, wolkenverhangen, grau und freudlos und obwohl es warm genug war um auf einen Mantel zu verzichten, wehte ein unbeständiger, wechselnder Wind, der die Kälte eines anbahnenden Sturms mit sich brachte. Wäre es nur ein bisschen kälter gewesen, hätte es vielleicht geregnet oder sogar einfach nur zu stark gewindet, hätten sich die meisten Einwohner in die Sicherheit eines Hauses gerettet, aber es war gerade warm genug, um seinen Pflichten ohne einer Ausrede nachgehen zu müssen.
Zoras selbst wäre es lieber gewesen, wenn der Sturm bereits am Morgen eingetroffen wäre, aber er war für den Abend vorausgesagt worden. Er trug die Uniform seines Herzogtums, eine eng anliegende Jacke in rot-weiß mit dem klassischen, seitlichen Kreuzverschluss und einer dunklen Hose mit dem dazu passenden Schwertheft an seinem Gürtel. Er hatte sich die Haare gekämmt und den Bart gerichtet, aber mittlerweile hatte der sich ständig wandelnde Wind seine Bemühungen wieder zunichte gemacht. So viel zum allgemeinen Erfolg dieses Tages.
Eigentlich war er hergekommen, um nach der Versammlung frische Luft zu schnappen und die Aussicht zu genießen, die er auch nicht alle Tage bewundern konnte, aber sein gewünschter Frieden wurde nicht sehr lange respektiert.
"Da bist du!"
Der Besitzer dieser Stimme kam näher, schob sich an der Garde vorbei, die Zoras wie ein ritualistischer Kult umringte, und trat neben ihn an das Geländer. Der Herzog Eiklar war ein Stück kleiner als Zoras und hatte kleine, gestochene Augen, die nie das zu erblicken schienen, wonach sie eigentlich Ausschau hielten. Sie waren selten ruhig genug, um den Anschein zu erwecken, als ob er wirklich aufmerksam wäre.
"Hübsche Aussicht, nicht wahr? Man kann sogar die neuen Eisenwerke von hier aus sehen. Und den neuen Tempel."
Eiklar streckte eine filigrane Hand nach dem kunstvollen Gebäude aus und Zoras folgte seinem Blick auf die wirklich gewordene Ironie, die der Bau darstellte. Die Bevölkerung hatte diesen Vorschlag geliebt, so gab es jetzt sogar einen ganzen Distrikt, der sich der Huldigung eines Gottes zuschreiben konnte, aber alle Vorgesetzten, die sich mit diesem Vorhaben beschäftigt hatten, waren sich des eigentlichen, makabren Sinns nur allzu bewusst gewesen.
"Ist ja wirklich ganz nett geworden. Er sollte mal eingeweiht werden."
"Wenn wir einen Gott haben, klar. Er kann sich hier quasi wie Zuhause fühlen."
Zoras warf erst einen Blick auf Eiklar, dann blickte er über die Schulter zurück auf seine Wachmänner, die sich mit denen von Eiklar vermischt hatten und wie lebendige Statuen in angemessenem Abstand zu den beiden Herzögen standen. Sie hätten es sich zwar niemals anmerken lassen, aber sie hörten doch jedes einzelne Wort mit, was hier gesprochen wurde.
"Möchte Seine Majestät doch wieder weitermachen?"
"O nein, Seine Exzellenz hat sich hingelegt. Ich rechne damit, dass wir vertagen werden."
Zoras sah auf Eiklar hinab.
"Das hört sich aber sehr traurig an. Möchtest du denn weitermachen?"
Eiklar sah zu ihm auf. Die Augen des kleinen Mannes konnten sich nicht entscheiden, was genau sie in Zoras Gesicht ansehen sollten, also huschten sie unablässig umher, als würden sie nach etwas suchen.
"Nein - nun, vielleicht. Ich bin gerne in der Stadt, aber ich befasse mich nur ungern mit unlösbaren Problemen."
"Ist die Sache für dich unlösbar?"
"Ich habe mein vollstes Vertrauen in Seine Exzellenz, aber wenn ich die Führung übernehmen würde, wäre ich aufgeschmissen."
"Dann solltest du das wohl lieber nicht tun."
"Ganz bestimmt nicht."
Er sah wieder nach vorne.
"Was wirst du den restlichen Tag lang unternehmen?"
"Nichts, denke ich. Ich dachte, wir wären den ganzen Tag beschäftigt und nicht", er warf einen Blick auf die riesige Sonnenuhr des Palastes, "um zwei fertig. Gestern hat es bis zum Abend gedauert und heute haben wir quasi gleich wieder aufgegeben. Ich wüsste gar nicht, was ich die nächsten Stunden anfangen sollte."
Eiklar grinste und ließ seine Augen wieder über die Stadt huschen.
"Du bist auch wirklich aufgeschmissen ohne deine Pferde. Ich warte immer schon darauf, dass du eins von ihnen mitnimmst, um Seine Exzellenz aufzumuntern. Das wäre doch mal was."
"Es wäre ein Versuch wert. Der Schlüssel zum Erfolg sind meine Tiere."
"Klar. Wo Menschen versagen, bekommen die Tiere eine Chance. Ich glaube zumindest daran."
Eiklar trat einen Schritt vom Geländer zurück und die Bewegung wurde von seinen Wachen imitiert.
"Ich werde auf den Markt fahren. Kommst du mit?"
"Auf welchen Markt? Den oberen oder unteren?"
"Den unteren. Da gibt's die interessantesten Sachen, auf dem oberen wird doch nur immer dasselbe angeboten - alles, um nur die Adelsschicht langfristig zufrieden zu stellen, also Gewürze und Bücher und so ein Kram. Wenn du so oft in der Stadt bist wie ich, wird das langsam langweilig. Auf dem unteren Marktplatz ist immer irgendwas los."
"Von mir aus. Vielleicht gibt es ja Pferde."
"Das muss ich dir ja wohl nicht extra beantworten."
Sie verließen die Sicherheit der Palastumgebung und während Eiklar in seine kleine Kutsche kletterte - sie schien körperlich auf ihn zugeschnitten zu sein - ließ Zoras seinen Fuchs bringen, ein reinrassiger Hengst aus hauseigener Züchtung, dem die Ehre zuteil geworden war, das jetzige Reisetier seines Herrn zu werden. Der Fuchs war nicht ganz so angenehm wie Zoras' Schlachtross, einem hochauf gewachsenen Rappen aus einer sauberen Blutlinie, aber dieses Tier behielt er sich lieber für die Schlacht auf. Es war kaum auszumalen, was für ein Unglück es ihm bereiten würde, wenn sein Hengst sich auf dem Weg den Knöchel verstauchen würde. Es wäre ein allzu tragischer Verlust.
Eiklar also verborgen in seiner Kutsche, Zoras wie der waschechte Pferdeherzog, der er war, auf seinem Fuchs, umringt aus einer einzelnen Garde bestehend aus Eiklars und Zoras' Männern, strebten sie einen langsamen Ritt durch die Adelsbezirke an, bevor sie auch die verließen und den gewaltigen, unteren Markt anpeilten, der nicht weit von dem neu eröffneten Tempel stattfand und sich in einer langen Schneise durch die Hälfte der Stadt zog.
@Asuna

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