Kapitel 1:
Teach Me War
London
WhitechapelMan sagt, ein menschliches Herz blutet nur einmal aus.
Zumindest dachte Commissioner Hawthorne an diesen Satz, als er seinen Körper aus dem Auto schwang, dass er am Rand der High Street in Whitechapel geparkt hatte. Die Nacht hielt nicht viel Schlaf für ihn bereit, wenn man bedachte, dass die Zeiger seiner Armbanduhr auf vier Uhr morgens standen. Zumindest achtete er nur auf den kleinen Zeiger. Alles andere war optional. Das Wetter war für London typisch. Die Briten nannten es "beschissen, aber nicht so beschissen, wie es sein könnte". Kalt, nass, aber nicht regnend. Immerhin etwas. Er schlug die kurze Jacke, die er von der Rückbank seines Wagens nahm, kurz in der Nachtluft aus und atmete durch. Seine kräftigen Finger fuhren durch den zotteligen Bart, der freilich um diese Zeit weder gewaschen, noch frisiert war. Wenn er an seinem Hemd roch, dachte er bereits, dass er wie ein alter Mann stank. Er roch wie sein Vater, kurz vor dessen Tod. Alter Schweiß und Tabak. Aber die Menschen konnten ihn dahingehend mal. Was erwartete man von einem Polizisten, den man um vier Uhr morgens mit zitternder Stimme weckte und über eine Leiche informierte, die er gesehen haben musste.
Die Häuserreihen der Straße standen eng beisammen. Gute, alte englische Bauweise, dachte er bei sich, als er seine Zigaretten zutage förderte und im Schein des Mondes mit einem kleinen magischen Feuerzeug anzündete. Es war eine Art kleine, rechteckige Schachtel, deren einziger Zweck war, sie aufzuklappen. Darin befand sich weder Benzin noch ein Funkenschloss, sondern vielmehr eine magische Flamme, die sich aktivierte, sobald er die Büchse öffnete. Das einzige Stückchen Magie, dass er sich erlaubte und duldete.
Der erste Zug des Rauchs brannte in der Lunge. Angenehm, beinahe fadenscheinig angenehm, während er sich über die nasse Straße kämpfte. Vor den Häuserreihen war eine Blockade errichtet worden. Die Nacht leuchtete in roten und blauen Strobelichtern, als er den Streifenwagen näher kam. Drei Caster standen um den Tatort herum und hatten Schildzauber gewirkt, wie es schien. Ein dünner Schleier nebeliger Luft lag um den ganzen Bereich, der ein Eindringen nur auf Erlaubnis möglich machte.
Ein junger Caster, vielleicht gerade mal Mitte zwanzig, trat hervor und sah ihn an.
"Ausweis?", fragte er bohrend und fing sich dafür gleichsam einen eiskalten Blick.
"Steh mir nicht im Weg Bursche", knurrte Hawthorne mit der Zigarette zwischen den Zähnen und einer tiefen, grollenden Stimme. "Die Nacht war kurz, das Nervenkostüm ist kürzer. Also: Barriere öffnen!"
"Sir, ich kann diese Barriere nur für Angehörige der Poliz-"
"Commissioner!", rief eine ebenfalls jugendlich wirkende Stimme hinter der Barriere.
Und bei Gott, Hawthorne kannte die Stimme. Richardson, dieser elende Speichellecker. Innerlich nahm er es dem Jungspund übel, dass dieser zu dieser späten Stunde bereits frisiert und rasiert war. Jugend war ein Geschenk, dachte Hawthorne und strich sich durch seinen mittlerweile ergrauenden Bart und die kurzgeschorenen Haare. Es war noch nicht allzu lange her, da war er der erste am Tatort gewesen. Und jetzt war es ein blonder Jünglich mit schrecklichem weißen Hemd und beigem Trenchcoat, der ihm entgegen eilte und das bleiche Gesicht des Casters zu überspielen suchte, der hastig die Barriere öffnete, sodass der Commissioner eintreten konnte.
"Sir, ich wusste nicht - "
Hawthorne schenkte ihm nicht einen Blick. Er hielt lediglich auf seiner Höhe an."Sie haben Ihren Job gemacht", stellte er fest und nahm einen Zug voll schädlichem Räucherteer. "Machen Sie das noch einmal derartig, wenn ich einen Tatort besichtigen will, machen Sie diesen Job demnächst im Paradise in Plymouth, haben wir uns verstanden?"
"Ja, Sir..."
Hawthorne nickte und folgte Richardson, der artig wartete, in den Tatortbereich, der vor Menschen wimmelte. Der Tatort selbst lag in einer Seitengasse, die sich parallel zur Hauptstraße befand. Die Hinterhöfe in diesem Bereich waren feuchter als die Sonntagswäsche in Croydon und letztlich hatte Hawthorne den Eindruck, dass hier mehr Bakterien und Schädlinge herumhuschten als man es brauchen konnte. An einer feuchten Backsteinwand, die noch von Graffitis und diversen anderen Flüssigkeiten gezeichnet war, knieten sieben Polizisten über einem paar Beine, das zwischen ihnen herauslugte.
Es waren schöne Beine. Durchtrainiert, weiblich, rasiert. Keinerlei Faltenwurf oder Orangenhaut mit bloßem Auge im Licht der Scheinwerferlichter, die die Licht-Caster in den Himmel geworfen hatten, erkennbar. Es musste also eine junge Frau sein, nicht wahr?
Hawthornes VErmutung wurde sogleich bestätigt, als dieser Speichellecker und Fremdenführer Richardson die Menge wie Moses teilte und ihm das volle Ausmaß dieses Desasters bekannt wurde.Dort, unter dem fahlen Mondlicht und der verblassenen Schönheit der Widerspiegelungen des Sternenlichts begraben, lag die Leiche einer jungen Frau. Sie war dunkelhaarig, mit wunderschönen Locken, die sich teppichartig um ihren Kopf gelegt hatten. Ihre großen, blauen Augen blickten starr und glanzlos in den Nachthimmel und wirkten der Welt so grausam entrückt, dass es einem beherzten Menschen die Tränen in die Augen trieb. Der Mund mit den vollen Lippen stand leicht offen, als wolle sie eine Anekdote preisgeben, die keinen Aufschub duldete und doch nicht gesprochen wurde.
Doch bereits ab dem Schlüsselbein wurde der vormals sicherlich attraktive Körper nicht mehr erkennbar. Inmitten ihres Rumpfes, der noch in einer blauen Trainingsjacke steckte, erhob sich - beinahe fehlerhaft - ein Baum aus ihrer geöffneten Bauchdecke. Diese stand offen und warf einen kaum erkennbaren Dampf und den bitteren Geruch des Blutes und diverser weiterer Ausdünstungen in den luftbefüllten Außenraum. Ihre Eingeweide hingen wie schlechter Winterdekoration an den Ästen des BAumes, der beinahe zwei Meter hoch gewachsen war und ein überirdisches Licht von sich gab.
"Was zum Geier...", flüsterte Hawthorne, der seine Zigarette beinahe vergaß. "Was ist das?"
"Wir wissen es nicht, Sir", sagte Richardson, der eine Art Notizblock zutage förderte, um den ein Stift flog. EIne simples Schreibhilfe. "Wir wissen nur, dass der Baum magisch ist und bereits zwei Caster getötet hat. Er lässt sich nicht fällen, noch berühren und wenn ich ehrlich bin sagen die MEssgeräte, dass seine magische Stärke im Rang eines "SS"-Zaubers liegt (Anm: SS = Naturkatastrophe)."
Hawthorne fuhr sich erneut durch den Bart und seufzte.
Herrgott, er hasste Magie. Ein heilloser Krampf im Arsch, dachte er und seufzte.
"Rufen Sie die Magische", murmelte er. "Sagen Sie den Rekruten dahinten, Sie sollen Sallow anrufen und sie soll ihren Hintern hierher schwingen."
"Ja, Sir", trötete Richardson und machte sich auf zu den Kollegen, die offenbar tatenlos beisammenstanden und ihre Kaffeepause genossen.
Es war ein bedenklich schlechter Abend, um eine magische Leiche zu finden. Gerade, wo sich die Fronten zwischen den Rogues und der Zivilbevölkerung wieder beruhigten, geschah so etwas. Schöne Scheiße. Und das an seinem Rätsel-Montag. Samstags hätte es besser gepasst. Aber was wollte man machen...
Vorstellung
If the war by heavens gate released desire
In the line of fire someone must have known
That a human heart demands to be admired
But in the Center of the Universe, we are all alone
In the line of fire someone must have known
That a human heart demands to be admired
But in the Center of the Universe, we are all alone