Vorstellung
Es war das erste Mal seit 2 Tagen, dass Sylea sich einen Moment nahm, um durchzuatmen. Ohne Unterbrechung war sie gelaufen, hatte jegliche Kontakte so gut sie wusste gemieden und war nun in einem Wald angekommen, der scheinbar nicht nur aus einem kleinen Schutzgebiet bestand. Schwer atmend saß das Mädchen zwischen den großen Wurzeln einer massiven Eiche, die sie beinahe wie einen Käfig einschlossen. Wind und Wetter hatten mit der Zeit den Erdboden abgetragen und so eine Vertiefung unterhalb des Wurzelwerkes gebildet in der sie saß und ihre Gliedmaßen musterte. Vor ihrer Flucht war die blaue Jeans sauber und ohne Risse gewesen. Nun hatte das Gestrüpp und der matschige Boden der Flüsse, die sie überquert hatte, ihre Spuren hinterlassen. Anstelle einer Jacke hatte sie nur eine dünne Decke mitgenommen, die sie wie einen Umhang um sich gelegt hatte. Das T-Shirt darunter hatte ihre Arme nicht sonderlich schützen können, die über und über mit roten Striemen versehen waren. Braune Strähnen klebten in ihrem Gesicht, die sie mit ihren Fingern fort strich.
Diese zwei vergangenen Tage erschienen Sylea nur wie ein Wimpernschlag im Vergleich zu den Jahren in der Isolation. Man hatte sie wie ein Tier eingesperrt gelassen, gehalten von unsichtbaren Käfigstäben. Aber ihre Wärter kamen nicht herum den Menschen in ihr zu sehen und so hatte sie zumindest ein bisschen Wissen erhaschen können, was in den vergangen Jahren auf der Welt passiert sein mochte. Schon bevor sie zum Vessel geworden ist, war sie nie verreist. Folglich besaß sie praktisch keine Orientierung. Das Einzige, das sie wusste, war, dass eine Rückkehr zu ihrer Familie undenkbar war. Man würde sie wieder einsperren, noch stärker gesichert als jemals zuvor. Obzwar sie nun die Kontrolle über ihren Köper zurück hatte, sah nur jeder das Etwas in ihr. Bei dem Gedanken wanderte ihre Hand an ihre Brust. Stimmt, sie hatte schon lange nichts mehr von ihm gehört. Dass es jedoch noch da war, war unumstößlich.
Warum das Mädchen plötzlich den Bannkreis übertreten konnte, der sie seit Jahren in der kleinen Kathedrale bannte, konnte nur auf eine Erschöpfung der Magie schließen lassen. Da niemand in Erfahrung bringen konnte, wer den Kreis erschaffen hatte oder wie lange er bereits existierte, war es unmöglich gewesen, seine Kraft zu erneuern. Scheinbar konnten die Außenstehenden nicht einmal festlegen, wie lange er noch funktionieren mochte. Doch das hier war nun die einzige Chance für Sylea. Wenn es jemanden gab, der das Etwas halten konnte, könnte er auch einen Weg kennen, wie man es zumindest wieder aus ihr heraus bekäme. Zumindest hoffte sie das mit ihrer jugendlichen Naivität.
Es stand außer Frage, dass man ab dem Punkt, an dem ihr Verschwinden bemerkt worden war, Jagd auf sie gemacht werden würde. Sylea war eine Rubra - sie wusste, wie die Welt funktionierte. Alles Übernatürliche, das die Menschheit gefährden konnte, musste irgendwie unter Kontrolle oder zur Strecke gebracht werden. Sie hatte gelernt, dass ihre Aufpasser Wächter waren und nicht für den Kampf zwangsläufig ausgelegt waren. Anstelle ihrer gab es Hunter, die genau für ihre Situation ausgebildet worden waren. Sylea schüttelte sich bei dem Gedanken daran, dass ihr aller Wahrscheinlichkeit nach schon jemand auf den Fersen war. Irgendwann würde sie allerdings eine Pause machen wollen und solange man sie noch nirgends gesichtet hatte, erschien ihr dieser Ort als vorerst sicher genug. Zum Glück war es Sommer und sie musste sich wegen der Kälte nicht unbedingt einen Kopf machen. Unterwegs hatte sie alles Essbare, das sie sah, eingesammelt und sich in ihren Beutel gesteckt. Besagter Beutel war im Endeffekt nichts anderes als ein etwas umfunktionierter Kollektenbeutel, den sie bis zur Hälfte mit Beeren und essbaren Pflanzen gefüllt hatte.
Nun, wo Syleas Körper ihr nicht mehr zum Rennen riet, begann ihr Kopf wilde Gespinste zu erfinden. Gewaltsam hielt sie sich davon ab daran zu denken, wie eine Konfrontation ausfallen möge. Sie konnte und würde nicht auf das Etwas in ihr zurückgreifen, zu groß war ihre Angst, es wieder aufzuwecken. Aber sie konnte sich ja anders helfen, wenn es sein musste. Ihr Blut war eine Gabe, angeboren in den Rubra-Clan hinein. Zwar hatte sie seitdem sie das Etwas in sich bannen musste, keine Zauber mehr gewirkt, aber es war wie ein autonomer Ablauf, den der Körper nie vergass. Irgendwann überwog dann die Müdigkeit, die ihren Geist wie schwerer schwarzer Samt umhüllte, sodass ihre Augen einfach zu fielen.
Stattdessen schreckte Sylea plötzlich auf, als sie leises Bellen wahrnahm. Sofort schoss ihr Puls in die Höhe, die Müdigkeit war wie verflogen. Eng presste sie sich soweit es ging in die hinterste Ecke der Unterhöhlung und wartete ab. Es konnten Spaziergänger sein. Es konnten wilde Hunde sein. Es konnte alles sein. Wenn sie jetzt aus ihrer Höhle überhastet flüchtete, würde man sie lauthals durch das Geäst hören können. Blieb sie vor Ort, saß sie buchstäblich mit dem Rücken zur Wand. Ging sie, würde sie weiter Spuren hinterlassen, blieb sie, führten alten Fährten vielleicht zu ihr. Ihre schlimmsten Ausmalungen waren möglicherweise schneller gekommen, als sie es sich gewünscht hatte. Doch sie setzte auf die leise, abwartende Karte. Wie gesagt, es konnte schließlich alles sein. Oder sie hatte vielleicht nur etwas Glück.
Dann erspähte sie etwas zwischen den knorrigen Wurzeln. In größerer Entfernung bewegte sich eine Person, vermutlich ein Mann, mitsamt zwei Hunden. Er trug einen langen Mantel, die Hände in den Taschen vergraben. Die beiden Hunde, mittelgroß und freilaufend, wuselten von links nach rechts immer auf der Suche nach dem nächsten spannenden Geruch. Sylea hatte Glück - es war tatsächlich nur ein Spaziergänger.
@Winterhauch
Es war das erste Mal seit 2 Tagen, dass Sylea sich einen Moment nahm, um durchzuatmen. Ohne Unterbrechung war sie gelaufen, hatte jegliche Kontakte so gut sie wusste gemieden und war nun in einem Wald angekommen, der scheinbar nicht nur aus einem kleinen Schutzgebiet bestand. Schwer atmend saß das Mädchen zwischen den großen Wurzeln einer massiven Eiche, die sie beinahe wie einen Käfig einschlossen. Wind und Wetter hatten mit der Zeit den Erdboden abgetragen und so eine Vertiefung unterhalb des Wurzelwerkes gebildet in der sie saß und ihre Gliedmaßen musterte. Vor ihrer Flucht war die blaue Jeans sauber und ohne Risse gewesen. Nun hatte das Gestrüpp und der matschige Boden der Flüsse, die sie überquert hatte, ihre Spuren hinterlassen. Anstelle einer Jacke hatte sie nur eine dünne Decke mitgenommen, die sie wie einen Umhang um sich gelegt hatte. Das T-Shirt darunter hatte ihre Arme nicht sonderlich schützen können, die über und über mit roten Striemen versehen waren. Braune Strähnen klebten in ihrem Gesicht, die sie mit ihren Fingern fort strich.
Diese zwei vergangenen Tage erschienen Sylea nur wie ein Wimpernschlag im Vergleich zu den Jahren in der Isolation. Man hatte sie wie ein Tier eingesperrt gelassen, gehalten von unsichtbaren Käfigstäben. Aber ihre Wärter kamen nicht herum den Menschen in ihr zu sehen und so hatte sie zumindest ein bisschen Wissen erhaschen können, was in den vergangen Jahren auf der Welt passiert sein mochte. Schon bevor sie zum Vessel geworden ist, war sie nie verreist. Folglich besaß sie praktisch keine Orientierung. Das Einzige, das sie wusste, war, dass eine Rückkehr zu ihrer Familie undenkbar war. Man würde sie wieder einsperren, noch stärker gesichert als jemals zuvor. Obzwar sie nun die Kontrolle über ihren Köper zurück hatte, sah nur jeder das Etwas in ihr. Bei dem Gedanken wanderte ihre Hand an ihre Brust. Stimmt, sie hatte schon lange nichts mehr von ihm gehört. Dass es jedoch noch da war, war unumstößlich.
Warum das Mädchen plötzlich den Bannkreis übertreten konnte, der sie seit Jahren in der kleinen Kathedrale bannte, konnte nur auf eine Erschöpfung der Magie schließen lassen. Da niemand in Erfahrung bringen konnte, wer den Kreis erschaffen hatte oder wie lange er bereits existierte, war es unmöglich gewesen, seine Kraft zu erneuern. Scheinbar konnten die Außenstehenden nicht einmal festlegen, wie lange er noch funktionieren mochte. Doch das hier war nun die einzige Chance für Sylea. Wenn es jemanden gab, der das Etwas halten konnte, könnte er auch einen Weg kennen, wie man es zumindest wieder aus ihr heraus bekäme. Zumindest hoffte sie das mit ihrer jugendlichen Naivität.
Es stand außer Frage, dass man ab dem Punkt, an dem ihr Verschwinden bemerkt worden war, Jagd auf sie gemacht werden würde. Sylea war eine Rubra - sie wusste, wie die Welt funktionierte. Alles Übernatürliche, das die Menschheit gefährden konnte, musste irgendwie unter Kontrolle oder zur Strecke gebracht werden. Sie hatte gelernt, dass ihre Aufpasser Wächter waren und nicht für den Kampf zwangsläufig ausgelegt waren. Anstelle ihrer gab es Hunter, die genau für ihre Situation ausgebildet worden waren. Sylea schüttelte sich bei dem Gedanken daran, dass ihr aller Wahrscheinlichkeit nach schon jemand auf den Fersen war. Irgendwann würde sie allerdings eine Pause machen wollen und solange man sie noch nirgends gesichtet hatte, erschien ihr dieser Ort als vorerst sicher genug. Zum Glück war es Sommer und sie musste sich wegen der Kälte nicht unbedingt einen Kopf machen. Unterwegs hatte sie alles Essbare, das sie sah, eingesammelt und sich in ihren Beutel gesteckt. Besagter Beutel war im Endeffekt nichts anderes als ein etwas umfunktionierter Kollektenbeutel, den sie bis zur Hälfte mit Beeren und essbaren Pflanzen gefüllt hatte.
Nun, wo Syleas Körper ihr nicht mehr zum Rennen riet, begann ihr Kopf wilde Gespinste zu erfinden. Gewaltsam hielt sie sich davon ab daran zu denken, wie eine Konfrontation ausfallen möge. Sie konnte und würde nicht auf das Etwas in ihr zurückgreifen, zu groß war ihre Angst, es wieder aufzuwecken. Aber sie konnte sich ja anders helfen, wenn es sein musste. Ihr Blut war eine Gabe, angeboren in den Rubra-Clan hinein. Zwar hatte sie seitdem sie das Etwas in sich bannen musste, keine Zauber mehr gewirkt, aber es war wie ein autonomer Ablauf, den der Körper nie vergass. Irgendwann überwog dann die Müdigkeit, die ihren Geist wie schwerer schwarzer Samt umhüllte, sodass ihre Augen einfach zu fielen.
Stattdessen schreckte Sylea plötzlich auf, als sie leises Bellen wahrnahm. Sofort schoss ihr Puls in die Höhe, die Müdigkeit war wie verflogen. Eng presste sie sich soweit es ging in die hinterste Ecke der Unterhöhlung und wartete ab. Es konnten Spaziergänger sein. Es konnten wilde Hunde sein. Es konnte alles sein. Wenn sie jetzt aus ihrer Höhle überhastet flüchtete, würde man sie lauthals durch das Geäst hören können. Blieb sie vor Ort, saß sie buchstäblich mit dem Rücken zur Wand. Ging sie, würde sie weiter Spuren hinterlassen, blieb sie, führten alten Fährten vielleicht zu ihr. Ihre schlimmsten Ausmalungen waren möglicherweise schneller gekommen, als sie es sich gewünscht hatte. Doch sie setzte auf die leise, abwartende Karte. Wie gesagt, es konnte schließlich alles sein. Oder sie hatte vielleicht nur etwas Glück.
Dann erspähte sie etwas zwischen den knorrigen Wurzeln. In größerer Entfernung bewegte sich eine Person, vermutlich ein Mann, mitsamt zwei Hunden. Er trug einen langen Mantel, die Hände in den Taschen vergraben. Die beiden Hunde, mittelgroß und freilaufend, wuselten von links nach rechts immer auf der Suche nach dem nächsten spannenden Geruch. Sylea hatte Glück - es war tatsächlich nur ein Spaziergänger.
@Winterhauch