Dunkel... so dunkel...
"Charles..."
Wo bin ich?
"Mach die Auge auf..."
Mh... gute Idee. Was... wo...
"Charles hilf mir..."
Wer... Ann...?
"Wo bleibst du...?"
Ann...?
"Mir ist kalt..."
Warte! Bleib stehen!
"Wo bleibst du?"
Lass mich nicht allein!
"Du hast mich alleine gelassen..."
Halt! Nein! Ich kann dich nicht sehen! Wo bist du? Ann! Ann!
"Charles..."
Wo bin ich?
"Mach die Auge auf..."
Mh... gute Idee. Was... wo...
"Charles hilf mir..."
Wer... Ann...?
"Wo bleibst du...?"
Ann...?
"Mir ist kalt..."
Warte! Bleib stehen!
"Wo bleibst du?"
Lass mich nicht allein!
"Du hast mich alleine gelassen..."
Halt! Nein! Ich kann dich nicht sehen! Wo bist du? Ann! Ann!
Charles schreckte auf als er ein Klopfen hörte. Er schlug die Augen auf, sein Herz schlug wie wild und er blinzelte der Sonne entgegen die nur durch einen Spalt in seinem Vorhang auf sein Gesicht schien. Das große Bett in dem er lag, gesäumt von Kissen und mehreren Decken, ja das war seines, nicht wahr? Er war schon lange kein Kind mehr, er hatte das Waisenhaus schon lange verlassen, er war erwachsen und alles in diesem Raum gehörte ihm. Das weiche Bett, die teure Einrichtung, die edle Kleidung in seinem Schrank. Es gehörte ihm und doch war er nicht zufrieden, sollte es nicht auch seiner Schwester gehören, der Schwester an deren Gesicht er sich gar nicht mehr erinnern konnte?
"Ann...", murmelte er, als wäre ihm erst im Traum wieder eingefallen wie sie eigentlich geheißen hatte, aber das Gesicht war fort, da war nur dieser Schatten der an ihrer Stelle stand und mit ihrer Stimme sprach, zumindest glaubte er, dass ihre Stimme so geklungen hatte. Erneut klopfte es und Charles drückte sich in eine sitzende Position.
"Ja.", tönte es aus seiner Kehle und die Tür wurde kurz darauf geöffnet. Charles wischte sich mit dem Ärmel etwas Schweiß aus dem Gesicht und rutschte mit dem Hintern nach hinten, um sich hinten an dem Bett anlehnen zu können. Herein trat ein junger Mann, etwa in Charles Alter, vielleicht etwas jünger. Er trug einen Anzug der keine einzige Falte hatte und die Morgenzeitung unter dem Arm. Dass Charles noch einmal in seinem Leben lesen gelernt hatte grenzte beinahe an ein Wunder, wenn man bedachte, dass er schon fast volljährig gewesen war, als er es sich selbst beigebracht hatte.
"Sir, die Kutsche wird in einer Stunde bereit stehen.", verkündete der junge Mann und trat näher um die Zeitung auf dem kleinen Nachttisch neben dem Bett abzulegen. Charles nahm sie auf, war immer noch nicht gänzlich wach und mit seinem Traum beschäftigt und überflog erst einmal die Überschriften.
"Die...? Ach ja.", fragte er entsann sich aber noch selbst was heute auf dem Plan stand.
"Ein Bad ist vorbereitet, falls Sie sich noch frisch machen möchten."
"Mhm.", entgegnete er geistesabwesend.
"Sir?"
"Ja?" Nun blickte er wieder von der Zeitung auf.
"Sind Sie sicher, dass ich Sie nicht begleiten soll?"
"Es ist alles vorbereitet?"
"Ja natürlich Sir."
"Dann bin ich sicher."
Der Mann der eben herein gekommen war, war sowas wie Charles Mädchen für alles, er machte Besorgungen, wies das Hausmädchen an, sorgte für frische Kleidung, Termine und so weiter, während Charles sich um kaum etwas selbst kümmern musste, dennoch nahm er ihn nie mit zu seiner Arbeit, er mochte es nicht jemanden dabei zu haben, der ihn so gut kannte, der womöglich dahinter kommen könnte, dass die einzigen Geister die er sehen konnte die waren, die ihn in seinen Träumen verfolgten. Dieses Mal jedoch war es anders, Charles hatte sich ein Zimmer in einem schäbigen Dorf am Rande Londons gemietet und würde mehr als nur einen kurzen Hausbesuch machen, dennoch kam er prima alleine zurecht, er hatte es jahrelang geschafft, auch wenn keiner ahnte, dass er einmal auf der Straße gelebt hatte.
"Dann nehme ich jetzt ein Bad."
"Wollen Sie danach noch frühstücken?"
"Nein danke." Charles konnte nie etwas essen, wenn er einen seiner Träume gehabt hatte die jedoch all zu schnell verblassten um Informationen aus ihnen zu ziehen. Alles was zurück blieb war ein pochendes Herz und ein unangenehmes Gefühl in der Magengegend, das ihm den Appetit versaute. Er hatte lange keinen dieser Träume mehr gehabt und hatte sich darüber gefreut, auch wenn seine Träume der einzige Ort waren, an dem noch etwas von seiner Schwester übrig war. Wenn es um sie ging, dann war er immer noch der kleine Junge von früher, der sich nichts mehr wünschte als eine Familie, seine Familie - seine Schwester.
Nachdem Charles ein schnelles Bad genommen und sich angezogen hatte, stolzierte er schon zur Tür, während ihm ein Hausmädchen noch an den Haaren herum fummelte. Die Kutsche stand bereit und Charles verschwand daran, er würde wohl erst in ein paar Tagen wieder hier sein. Die kutsche setzte sich in Bewegung und durchquerte die gepflasterten Straßen Londons, bis alles was noch übrig war eine matschige, alte und unbefestigte Straße war. Es war noch relativ früh am Morgen und der Nebel hing dicht über dem Boden und dem angrenzenden Moor. Wohin er unterwegs war? In ein kleines Dorf dessen Namen sich niemand merkte, so unbedeutend war es, dort war ein Mädchen verschwunden, ein kleines Kind und niemand wusste wo sie abgeblieben war. Charles blickte aus dem Fenster und konnte sich schon denken, dass sie irgendwo in diesem Moor herum trieb und vermutlich niemals gefunden wurde, aber selbst wenn er diesen Fall nicht lösen konnte und seinen Ruf damit schädigte, es war etwas persönliches das ihn hier hin trieb. Ein unschuldiges Kind das verschwunden war sollte niemand ignorieren, egal wie reich oder arm es war. Scotland Yard interessierte sich nur dafür, weil sie seit geraumer Zeit als inkompetent bezeichnet wurden und weil ihnen vorgeworfen wurde, dass sie sich für die einfachen Bürger sowieso nicht interessierten, dass sie jemanden schickten und sogar Charles um Hilfe gebeten hatten war ein einziger Werbegag und trotzdem hatte Charles zugesagt ohne nach Einzelheiten zu fragen. Er wusste wie man Spuren las, wie man Dinge entdeckte die nicht jedem als wichtig erschienen, wie sonst sollte er seine Kunden um den Finger wickeln und ihnen scheinbar Informationen mitteilen können, von denen er gar nichts wissen konnte? Er wollte dieses Mädchen finden und sein Schauspiel dabei durchziehen, das war er allen Straßenkindern dieses Landes schuldig und er hoffte, dass das Mädchen noch lebte. Angeblich war sie schon tot, zumindest behaupteten einige Dorfbewohner ihren Geist gesehen zu haben, aber auch dem würde Charles auf den Grund gehen. Wenn er eines wusste, dann das Geister nicht existierten. Als die Kutsche plötzlich hielt sah Charles noch einmal aus dem Fenster, ehe die Tür aufgemacht wurde.
"Wir sind da.", teilte der Kutscher mit und der rothaarige, junge Mann erhob sich um auszusteigen. Skeptisch blickte er auf die matschige, unbefestigte Straße, dann sah er sich um und entdeckte niemanden in diesem schiefen, leergefegten Dorf.
"Seit das Mädchen verschwunden ist, wagt sich kaum noch jemand vor die Tür. Wir haben keine eigenen Gesetzeshüter, niemand fühlt sich sicher, wir sind froh, dass jemand geschickt wurde.", erklärte der ältere Mann der darauf bestanden hatte Charles selbst abzuholen. Der Roothaarige nickte und setzte ein Lächeln auf.
"Machen Sie sich keine Sorgen, wir werden schon heraus finden was hier passiert!", lächelte er zuversichtlich und überwand sich schließlich in den Matsch zu steigen. Seine Stiefel waren sofort dreckig, aber damit musste er wohl leben. Er stapfte los und bei jedem Schritt versanken seine Füße im Dreck und lösten sich bei jedem Schritt mit einem leisen 'flock' aus dem klebrigen Schlamm. Der alte Kutscher machte sich gleich daran Charles Gepäck auszuladen und achtete zum Glück darauf es nicht auf den Weg - wenn man es so bezeichnen konnte - zu stellen.
"Ist der Herr Inspektor schon da?", fragte Charles und hob seinen Fuß an um die dreckige Sohle seines Stiefels zu begutachten, die konnte er wohl wegwerfen, wenn er hier fertig war. Sein Leben im Dreck war eigentlich vorbei, er hatte das alles hinter sich gelassen und unter normalen Umständen würde er so einer armen Familie gar nicht helfen, aber nun war er hier, weil dieses Mädchen, genau wie seine Schwester, scheinbar plötzlich und ohne Grund verschwunden war.
"Er sollte jeden Moment hier sein."
"Gut, dann warte ich drinnen auf ihn, wenn Sie gestatten.", erklärte Charles und stapfte weiter auf die Tür seiner vorübergehenden Unterkunft zu, na das konnte ja heiter werden. Das Gebäude war nichts weiter als eine schäbige Holzhütte. Unten befand sich eine kleine Schenke, von der Charles sich fragte, wie diese überhaupt über die Runden kam, oben waren wohl zwei Zimmer frei, eines für ihn und eines für den Beamten von Scotland Yard. Charles hatte nichts gegen Polizisten, aber besonders nützlich hatte er sie noch nie gefunden, sie waren eher Verschwendung von Steuergeldern, trotzdem wollte Charles mit ihm zusammen arbeiten, solange es um das Leben eines kleines Mädchen ging. Deshalb wartete er auch noch damit wichtige Fragen zu stellen, um dem Mann nicht irgendwo vorzugreifen. Als Charles gerade die Tür zu der Schenke öffnete, weil er nicht damit rechnete, dass das jemand für ihn machte, hörte er ein plumpsendes Geräusch hinter sich und drehte sich um.
"Sir! Es tut mir so Leid! Ich werde das sofort säubern lassen!", entschuldigte sich der ältere Herr, dem eine der Taschen aus der Hand und in den Matsch geplumpst war.
"Schon gut, ist ja nur eine Tasche.", lächelte Charles und seufzte innerlich. Oje.
@vrthnkng