Das letzte Mal, dass Naevius die Menschenwelt betreten hat ist genug Jahrhunderte vergangen, dass er sich nicht die Mühe machte sie zu zählen. Doch als er durch die Tür in diese Welt trat, seinem Vater lustlos folgend, empfing ihn die selbe, alte Leier, die ihn hat diesen Ort den Rücken kehren lassen. Das erste war der Gestank. Die Luft war verseucht und verpestet, Abgase belegten die Atemluft mit Schadstoffen, die ihn instinktiv dazu verleiten wollten die Luft anzuhalten. Die Sonne brannte unangenehm in den Augen und spendete eine unnötig strahlende Helligkeit, die sogleich drohte ihm Kopfschmerzen zu bereiten. Die Stimmen dutzender, vergänglicher Leben, das Schlagen Millionen Herzen, dass dieser Welt einen chaotischen und unreinen Takt vorzugeben schien hämmerte in seinen Ohren und vermischte sich mit den weiteren Geräuschen eben dieses Lebens. Autos, Fernseher, Radiowellen. Naevius war bewusst, dass die Menschheit sich weiterentwickelt hatte was die Spielzeuge dieser Welt anbelangte. Doch dass sie dazu übergegangen sind den Klang der Natur mit allen Mitteln übertönen zu wollen, ist ihm nicht klar gewesen. Fast schon innerlich knurrend wendete der augenscheinlich junge Mann sich für einen Moment zurück zu der Pforte, die er durchschritten hatte. Doch kaum hatte er einen Blick auf seine Welt zurück erhaschen können, den Ort an dem er sich bedeutend wohler fühlte, veranlasste Lucifer, dass dieses Tor mit einem regelrechten Scheppern zu fiel. Welch ironische Symbolik, die in seinem Mund einen bitteren und nahezu Erbrechen heraufbeschwörenden Geschmack auslöste.
Mit einem leichten Schnauben setzte er sich in Bewegung und folgte dem nicht auf seinen Sohn wartenden Mann, der bestimmend die Treppen zu dem Hauptsitz seines Reiches in dieser Welt erklomm. Die Morningstar International, seine nahezu heilige Firma. Naevius stand zum ersten Mal vor diesem Gebäude und musste zugeben... der Stil seines Vaters war geschmackloser, als er angenommen hatte. In übertriebener Symbolik ragte das riesige, weiße Gebäude mit einer Unzahl an Fenstern dem Himmel entgegen und überragte nahezu alle Dächer dieser Stadt. Und die Spitze krönte schließlich der Name seines Imperiums als Spott und Hohn seines Erschaffers und seiner Rolle, die er so verzweifelt versucht hat abzulegen. Morgenstern. Wie ein Komet ist er damals verglüht aber anscheinend weigerte Lucifer sich diesen Namen endgültig abzulegen. Wie unerwartet rührselig.
"Die anderen warten." Die giftgrünen Augen des schwarz-haarigen senkten sich zu dem Mann, der auf der vorletzten Stufe weilte und hinabsah. Ohne einen Funken der Ungeduld und gleichzeitig in gänzlicher Abwesenheit irgendwelcher Sympathien. Sein Haar reflektierte in diesem grauenvollen Blond die Strahlen der Mittagssonne, während seine Haut so blass gewesen ist, als wäre sie zu ehrfürchtig, um ihn zu berühren. Seine Züge sprachen von einem gewissen Alter, allerdings auch eher in der Form von Weisheit als tatsächlichen Alterungsprozessen. Und um seine Figur in dieser Welt vollständig zu machen bediente der Morgenstern sich an den hellen Farben seiner Brüder, die er verraten hatte. Er ließ sich cremefarbene Anzüge fertigen und trug sie voller unzerstörbarem Stolz, dass Naevius gleich wieder das Bedürfnis hatte sich zu übergeben. "So werden sie warten, Vater.", entgegnete der Mann ihm gleichgültig und setzte sich nun ebenfalls wieder in Bewegung. Es war absurd, dass Lucifer annahm seinen Sohn nun hetzen zu können.
Vor Wochen ereilte ihn bereits der Befehl seines Vaters die Morningstar als sein Vertreter zu übernehmen. Und vor Wochen schon hat Naevius abgelehnt. Wieso sollte er hier seine Zeit verschwenden? Allerdings passte es tatsächlich ganz gut zu seinem Vater, dass Naevius die lästigen Aufgaben übernehmen sollte, während er sich entspannt den seinen widmen konnte. Solcherlei Diskussionen und Gespräche hatte es oft gegeben zwischen den beiden Männern, doch immer ist der schwarz-haarige mit seiner Sturheit davon gekommen. Bis jetzt. Und das war ein Umstand, um den Naevius noch immer bereit gewesen ist seinen einzigen, wahren Vertrauten in diesem Leben dorthin zu schicken, wo er herkam. Direkt sank seine Laune in den Keller, als er daran zurückdachte, wie Sharar vor ihm kniete, das Haupt gesenkt und in gänzlicher Demut gefleht hat er solle Lucifer darum bitten das Urteil, das über seinen kleinen Bruder gefällt werden sollte überdenken. Eine von vorne herein absurde Strafe für ein so lächerliches Vergehen wie das seine. Und Naevius war nicht dumm. Er wusste genau, dass das von Anfang an nur die Scharade seines Vaters gewesen ist, um seinen Willen zu erhalten. Und die Tatsache, dass er seinen einzigen Freund für diese Zwecke nutzte, ließ die Abscheu, die er ohnehin für ihn empfand noch lodernder flammen. Sie wechselten keine weiteren Worte. Sie betraten die riesige, übertriebene und protzende Eingangshalle und gingen direkt durch zu den Fahrstühlen. Hier und da grüßte Lucifer jemanden mit einem Nicken oder dergleichen, doch Naevius ließ deutlich blicken, dass er sich für die anderen Anwesenden nicht interessierte.
Anders wurde es jedoch, als sie in die höheren Etagen ankamen. Die neugierigen Blicke der Menschen, wen der CEO da nur im Schlepptau haben könnte, wurden zu Entsetzten, Abscheu und bei vielen erkannte er auch blanken Hass, was ihm tatsächlich für einen Moment ein amüsiertes Lächeln entlockte. Naevius hatte das getan, was kein Dämon sonst wagte und galt als Verräter in allen Kreisen, als er sich damals dafür entschlossen hatte der Einladung seines Onkels zu folgen und den Himmel zu betreten. Und obwohl er zurückkehrte. Oder gerade weil er zurückgekehrt ist ohne auch nur einen der Engel in irgendeiner Form verletzt zu haben. Seither galt er als Sympathisant und hat seinen Stellewert bei vielen ehemalig treuen Dämonen verloren. Ein Umstand, der ihn nur noch dankbarer für die Loyalität Sharars zurücklässt und daher wirklich der einzige Grund, weshalb er bereit ist dem Befehl - deine eine Bitte war es nicht - seines Vaters folge zu leisten. Der amüsante Gang der Verachtung fand sein Finale in einem großen runden Versammlungssaal und einer runden Tafel, an der 25 Anwesenden bereits wartenden. Die Stimmen verstummten augenblicklich, als die beiden Neuankömmlinge das Zimmer betraten und alle Augen richteten sich auf die beiden. "Guten Morgen", grüßte Lucifer die Versammlung. Weder herzlich noch streng. "Schön, dass Sie alle Zeit gefunden haben meiner Offenbarung beizuwohnen, meine Damen und Herren." Er kam direkt zum Punkt, setzte sich nicht einmal. Stattdessen ging er auf den Tisch zu und blieb hinter seinem Platz stehen, indem er seine Hände auf die Rückenlehne legte. "Ich möchte Ihnen allen bei dieser Gelegenheit jemanden vorstellen." Der Blonde drehte sich leicht zur Seite und machte eine einladende Handbewegung auf Naevius zu. "Das hier ist Nathaniel Morningstar. Mein Nachfolger. Ich drehte ab sofort von meiner Position als CEO ab und vermache ihm die Kontrolle über all unsere laufenden Geschäfte."
