Zairen Akademie [Nio x Yumia]

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    • Zairen Akademie [Nio x Yumia]

      Zairen Akademie

      Quelle
      - Their bond was calculated, not chosen – and that made it all the more dangerous.


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      Genre: Fantasie, Drama, Romanze, Abenteuer
      Rollen:
      X - @Yumia
      Y - @Nio
      Vorstellung
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      Die Welt, in der sie leben, ist gespalten. Es gibt normale Menschen, Guides und Veyra. Letztere tragen besondere Kräfte in sich und werden wie Adelige behandelt. Doch ihre Macht hat einen hohen Preis: Ohne einen Guide an ihrer Seite drohen sie, die Kontrolle zu verlieren. Und das kann gefährlich werden, für alle.
      An der Akademie, wo junge Veyra und Guides mithilfe magischer Technologie ausgebildet werden, zählt vor allem eins: Kompatibilität. Denn nur wenn die Verbindung zwischen beiden stark genug ist, können sie ihre Kräfte wirklich entfalten. Genau hier treffen sie aufeinander: ein Guide (X), die ihre eigene Geheimnisse mit sichtrug, und ein arroganter Veyra (Y), der nichts außer seinen eigenen Zielen im Kopf hat. Von Anfang an krachen sie aneinander. Ein echtes Team? Unvorstellbar. Zumindest am Anfang.
      Doch durch Trainings, gemeinsame Missionen und vor allem durch die berüchtigten Akademie-Turniere, bei denen alle Augen auf sie gerichtet sind, müssen sie sich irgendwie zusammenraufen. Es geht nicht nur um Punkte oder Ehre, sondern manchmal auch darum, nicht komplett zu scheitern.
      Gleichzeitig geschehen merkwürdige Dinge an der Akademie. Gerüchte machen die Runde. Von einer Rebellion. Von einer Bewegung, die das System stürzen will. Veyra und Guides, bloß Werkzeuge der Krone? Je mehr sie herausfinden, desto mehr geraten ihre Überzeugungen ins Wanken.
      Und während draußen ein Konflikt wächst, wächst auch etwas in ihnen, ein Vertrauen, das keiner geplant hat. Vielleicht sogar mehr.



      Sirelle
      Der Sommer hatte sich fast unbemerkt verabschiedet. Nur die warme Brise, die durch das geöffnete Fenster strich, roch noch schwach nach staubiger Sonne, nach Lavendel und altem Stein. In den Höfen der Akademie von Zairen sammelten sich wieder Stimmen, Schritte und das Knistern von Wiedersehen, ein neuer Schulzyklus hatte begonnen.
      Sirelle saß auf der Fensterbank ihres Zimmers, die Beine angezogen, die Stirn gegen das Glas gelehnt. Von hier aus hatte sie einen guten Blick auf den Hauptplatz, wo sich die Schüler versammelten. Fast alle waren gestern erst zurückgekehrt, die meisten mit schwerem Gepäck, neuen Kleidern, glänzenden Schuhen, und noch glänzenderen Geschichten aus den Ferien. Es wurde gelacht, gerufen, umarmt. Einige hatten sich seit Wochen nicht gesehen, und nun strömten sie wie bunte Vögel aus den Türen der Wohngebäude, bereit, sich gegenseitig mit Neuigkeiten zu übertrumpfen.
      Sirelle blieb still.
      Sie hatte nichts zu erzählen.
      Die Sommerferien hatte sie allein auf dem Gelände verbracht. Nicht aus Liebe zur Einsamkeit, sondern aus Notwendigkeit. Während andere in weitläufigen Herrenhäusern Urlaub machten oder an den Küsten der südlichen Provinzen flanierten, hatte sie gearbeitet. Morgens in der Bibliothek, nachmittags im Heilgarten, abends als Hilfskraft in Kneipen. Es war anstrengend gewesen, manchmal auch beängstigend. Aber sie hatte sich behauptet. Musste es.
      Sirelle stammte nicht aus einer Adelslinie. Kein Familienwappen schmückte ihre Roben, kein Einfluss oder goldener Nachname ebnete ihr den Weg. Für sie war jeder Fortschritt an der Akademie etwas, das sie sich selbst erarbeitet hatte, mit Können, Disziplin.
      Draußen auf dem Hof standen kleine Grüppchen beisammen. Es war fast wie ein Ritual, dieselben Gesichter, dieselben Begrüßungen, nur ein Jahr älter. Nur manchmal tauchten neue Schüler auf, noch zögerlich, noch nicht ganz angekommen. Sirelle fühlte sich den Neuen näher als jenen, die über den Sommer in Samt und Seide gereist waren.
      In nicht allzu langer Zeit würde die große Eröffnungsrede stattfinden. Die Banner der Akademie würden entrollt, die Direktoren ihre Willkommensworte sprechen. Es würde um Ehre gehen, um Verantwortung, um die uralte Bindung zwischen Guide und Veyra. Die Rede war jedes Jahr fast gleich: feierlich, langatmig, vorhersehbar. Sirelle konnte sich kaum dazu aufraffen, begeistert zu wirken. Ihre Gedanken waren woanders.
      Was sie wirklich interessierte, war die Zuteilung.
      Bald würden die neuen Veyra-Partner bekanntgegeben. Jeder Guide wurde einem Veyra zugewiesen, mit dem er eine besondere Kompatibilität hatte. Das System war nicht perfekt, die Magie war zu komplex, zu eigenwillig, aber es funktionierte in den meisten Fällen. Sirelle hatte in den letzten Jahren gelernt, mit verschiedenen Persönlichkeiten umzugehen. Manche Veyras waren sanft, andere launisch oder überheblich. Doch die schwersten Fälle waren jene, die sich weigerten, ihre Kraft zu akzeptieren, oder sie nicht mehr kontrollieren konnten.
      Und genau dort kam Sirelle ins Spiel.
      Als Guide war es ihre Aufgabe, zu beruhigen, zu führen, zu stabilisieren, wenn ein Veyra drohte, sich selbst oder andere zu verletzen. Sie konnte sich den grund nicht erklären, jedoch hatte sie ein mulmiges Gefühl.
      Was, wenn ihr ein arroganter Adelsspross zugeteilt wurde? Jemand, der sie ansah, als wäre sie ein Dienstmädchen, kein gleichwertiger Partner? Sie hatte genug von hochmütigen Blicken, von Worten, die wie Kommandos klangen. Sie wünschte sich jemanden, mit dem sie auf Augenhöhe arbeiten konnte, nicht einen, der sie wie Luft behandelte.
      Langsam ließ sie die Beine von der Fensterbank gleiten, streckte sich und stand auf. Der Raum war schlicht, funktional, aber ordentlich, wie alles, was sie besaß. Kein unnötiger Prunk. Keine verspielten Verzierungen. Nur das Nötigste. Und das reichte ihr.
      Mit einem letzten Blick hinaus auf den Hof,, griff sie nach ihrem Umhang und band ihn fest.Dann verließ sie das Zimmer, schloss die Tür leise hinter sich und machte sich auf den Weg zum großen Saal. Die Hallen waren bereits voller Schüler, Stimmen hallten wider, Aufregung lag in der Luft. Sirelle spürte, wie sich in ihr etwas regte – keine Aufregung, nicht direkt. Eher ein leises Ziehen, wie ein Windhauch, der durch die Blätter streicht, kurz bevor etwas beginnt.
      Etwas Unbekanntes. Und vielleicht… etwas Entscheidendes.
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    • Zevran

      Der Geruch von geschmolzenem Metall und glühender Kohle hing noch immer in seiner Kleidung. Während andere in Seidenroben durch Sommerresidenzen wanderten oder sich in südlichen Provinzen die Haut verbrannten, hatte Zevran seine Ferien dort verbracht, wo es Hitze gab, die mehr brannte als die Sonne – in der Schmiede seines alten Lehrmeisters.

      Der Schmied, ein zynischer, bärbeißiger Mann mit verbrannten Händen und wenig Worten, war der Einzige, der ihm je eine echte zweite Chance gegeben hatte. Dort hatte Zevran geschuftet. Nicht, weil er musste. Sondern weil der Rhythmus des Hammers, das Schlagen auf Metall, ihn zur Ruhe brachte. Jede Bewegung war Training. Jeder Schlag eine Möglichkeit, die Kontrolle über sich zu behalten. Und inmitten dieser Glut hatte sich etwas geformt: ein Kurzschwert, nicht perfekt, nicht makellos – aber durchzogen von Wut, Stolz und einem Ziel, das er nie vergaß.

      Nun stand er da, am Rand des oberen Ganges, mit Blick auf den Hof, wo die neuen und alten Schüler sich sammelten – wie bunte Puppen auf einem Fest. Lachen, Umarmungen, Geschichten. Alles wirkte laut, künstlich. Oberflächlich.
      Zevran verzog keine Miene.

      Die meisten kannten ihn nicht. Und so sollte es bleiben.
      Er hielt sich fern von Gesprächen, von Grüppchen, von den endlosen sozialen Spielen, die an dieser Akademie mehr Bedeutung zu haben schienen als echte Stärke. Wer ihn doch kannte, flüsterte meist seinen Nachnamen, wenn sie dachten, er höre es nicht. Zerniac. Der Sohn des Verräters. Der Junge, dessen Familie ausgelöscht worden war.
      Es berührte ihn nicht mehr. Nicht nach all den Jahren.

      Sein Blick schweifte kurz über den Platz. Zu viele Gesichter. Zu viele Masken.
      Eine junge Frau trat aus einem der Wohngebäude – aufrechter Gang, heller Umhang, entschlossener Blick. Nichts Ungewöhnliches. Wahrscheinlich wieder eine dieser Adligen mit Gerechtigkeitssinn im Mund und Gold in den Taschen.
      Zevran sah kurz hin, sah dann weg. Eine wie viele. Nichts, was ihn interessierte.
      Er war nicht hier, um neue Bande zu knüpfen.
      Nur, um stärker zu werden.

      In wenigen Minuten würde die große Eröffnungsrede stattfinden. Banner würden sich entfalten, Worte von Ehre und uralter Bindung durch den Saal hallen.
      Zevran kannte das Spiel. Kannte die Erwartungen.
      Er würde zuhören. Still, aufmerksam, aber nicht aus Respekt – sondern weil es Teil des Systems war, das er zu durchdringen gedachte.

      Er schulterte seine Tasche, die das Gewicht des selbstgeschmiedeten Schwertes trug, und wandte sich ab.
      Kein Lächeln auf den Lippen, kein Zögern im Schritt. Er war nicht gekommen, um sich Freunde zu machen.
      Nur, um sich zu beweisen. Und um irgendwann all jene das Fürchten zu lehren, die glaubten, ihn bereits verurteilt zu haben.
    • Sirelle reihte sich schweigend in den stetigen Strom der Schüler ein, der sich durch die gewölbten Gänge in Richtung des großen Saals bewegte. Vor ihr lief eine kleine Gruppe – drei Mädchen, zwei Jungen – alle in elegant fallenden Schulroben, deren Stoffe aufwendig bestickt und eindeutig maßgeschneidert waren. Sie lachten laut, ihre Stimmen klangen hell und sorglos.
      „In den Bergen von Arven war’s einfach traumhaft! Das Wasser so klar, man konnte bis auf den Grund sehen.“
      „Wir waren in Cyare, das Meeresrestaurant dort? Götter, ich hab noch nie so gegessen! Und der Nachtisch… ein Gedicht.“
      „Meine Mutter hat uns nach Valienne eingeladen. Der Garten dort ist größer als der ganze Südflügel der Akademie!“
      Sirelle hörte die Worte, ohne ihnen zu viel Bedeutung beizumessen. Ob sie eifersüchtig war? Nein. Nicht wirklich. Aber manchmal, ganz heimlich, erwischte sie sich bei dem Gedanken, wie es wohl wäre, solche Orte selbst zu sehen. Nicht als Dienstmädchen, nicht als stille Beobachterin, sondern als jemand, der einfach nur da war, um zu erleben.
      Sie hatte sich fest vorgenommen: Wenn sie die Akademie abschloss, wenn sie genug verdient hatte, wirklich genug, dann würde sie reisen. Nicht von Ort zu Ort hetzen, nicht prahlen. Nur sehen, spüren, atmen. Das Meer, das Gebirge, fremde Städte mit Gassen, die nach Gewürzen rochen. Sie wollte das Leben berühren, bevor es von ihr verlangte, nur noch zu dienen, zu ordnen, zu führen. Sterben, ohne je gelebt zu haben, das war ihre größte Angst.
      Aber noch war das nur ein Wunsch. Einer, der kaum Platz fand zwischen Dienstplänen, Verpflichtungen und schmalen Lohntüten. Und solange das so war, blieb ihr nur eines: still bleiben, lächeln, weitergehen.
      Sie gönnte es den anderen, wirklich. Solange sie ihre Pflichten nicht vergaßen. Solange sie wussten, was es bedeutete, Verantwortung zu tragen. Und wenn nicht? Dann war es auch nicht ihre Sache. Sirelle hatte gelernt, sich nicht einzumischen, wo es nichts mit ihr zu tun hatte.
      Sie senkte den Blick und trat ein paar Schritte zur Seite, während die Menge weiter in Richtung Saaltür floss. Ihre Schritte blieben ruhig, gemessen, unbeeindruckt. Sie hatte es nicht eilig. Vorn sitzen wollte sie sowieso nicht, dort lauerten zu viele Blicke, zu viele neugierige Fragen. Also blieb sie stehen. An einem der großen Fenster, wo das Licht durch die bunten Glasbilder fiel und auf dem Steinboden farbige Muster malte. Sie lehnte sich an eine Säule und beobachtete die vorbeiziehenden Gestalten.
      Bekannte Gesichter. Adelige, fast alle. Einige mit Namen, die in den Korridoren geflüstert wurden, wegen Macht, Einfluss, Reichtum. Andere mit Geschichten, die man lieber mied. Intrigen, Skandale, Machtdemonstrationen. Sirelle hatte sich nie eingemischt. Sie wusste zu viel, um naiv zu sein, und zu wenig, um sich einzumischen. Ihre direkte Art passte nicht in diese Welt. Ihre Worte kamen ohne Schleifen, ohne süßen Duft, der meist nur Gift verbarg. Floskeln ermüdeten sie, Höflichkeitsspielchen ebenso.
      Das bedeutete nicht, dass sie unbedacht war. Sie wusste, wann man sprechen durfte und wann besser nicht. Respekt war für sie kein höflich gezuckerter Tonfall, sondern eine Frage der Haltung.
      Die Gänge leerten sich langsam, das Stimmengewirr verflachte zu einem Murmeln, dann zu Stille. Es war Zeit. Mit einem leisen Ausatmen stieß sie sich von der Säule ab und trat durch das große Portal in den Saal. Dunkles Holz, hohe Decke, aufgereiht wie in einem alten Theater: Sitzbänke, auf denen sich Schüler niederließen, flüsternd, wartend. Sirelle ließ den Blick schweifen, bis sie einen freien Platz entdeckte, in einer der hinteren Reihen, wo man nicht gesehen und nicht gefragt wurde. Perfekt. Dort saß bereits jemand.Ein Junge, allein, die Arme locker vor der Brust verschränkt. Dunkles Haar. Keine schmale Statur. Sirelle erkannte ihn sofort.
      Natürlich tat sie das. Er war kein Niemand. Wenige hier waren das. Als Nichtadelige hatte sie früh lernen müssen, wer Macht hatte, wer Einfluss, wer gefährlich war und wen man schlicht ignorieren konnte. Sie kannte Namen, Gesichter, Gerüchte, nicht weil sie Klatsch mochte, sondern weil es ums Überleben ging. Wenn man am Rand stand, musste man wissen, worauf man trat.
      Er war keiner von denen, die man meiden musste, aber auch keiner, dem sie sich je angenähert hätte. Sie hatte vielleicht ein paar Kurse mit ihm geteilt, vielleicht saßen sie ein- oder zweimal in denselben Gruppenarbeiten, doch gesprochen hatten sie nie. Also sagte sie auch jetzt nichts.
      Sie setzte sich wortlos neben ihn, ohne zu fragen, wenn er etwas dagegen hatte, konnte er es sagen. Tat er aber nicht. Sirelle warf ihm nur einen flüchtigen Blick zu, als sie sich niederließ. Ein Seitenprofil – kühl, ernst, ruhig. Nichts Arrogantes, nichts Aufdringliches. Keine Miene zu viel. Sie mochte das. Unauffällig war besser als großspurig. Und da sie keinen Grund sah, sich zu unterhalten, blieb sie stumm. Ihre Augen wanderten nach vorn, wo die Bühne noch leer war, und wo bald die Rede beginnen würde, auf die sie keine Lust hatte. In ihrem Inneren war es still. Kein Groll, keine Angst, nur das leise Bewusstsein, dass bald etwas beginnen würde. Etwas Neues. Etwas, das sie noch nicht benennen konnte. Aber sie war bereit.
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    • Die Bänke im hinteren Teil des Saals waren wie immer halb leer – zu weit weg vom Glanz der Bühne, zu nah an den Türen. Ein Ort für Spätankömmlinge, Unbedeutende oder Desinteressierte. Zevran saß dort, wo er jedes Jahr saß: am Rand, im Schatten.
      Jemand ließ sich neben ihn nieder.
      Ein kaum hörbares Rascheln von Stoff, das leise Knarren der Holzbank.
      Sein Blick wanderte nicht hinüber. Es war ihm egal. Dennoch erkannte er schemenhaft, dass es sich wohl, um eine junge Frau handelte.
      Doch sie war nur ein weiterer Schüler unter vielen. Wahrscheinlich einer von diesen Adelskindern, die zu viel redeten und zu wenig dachten. Er dachte nicht weiter darüber nach. Seine Gedanken waren an einem anderen Ort.

      Die Ferien waren kein Urlaub gewesen. Sie waren Arbeit. Schweiß. Disziplin.
      Er hatte jeden Tag in der Schmiede verbracht – die Luft schwer von Rauch, das Metall unter seinen Händen zäh wie Wut. Am Ende des Sommers war ein Kurzschwert entstanden.
      Sein erstes. Roh, ungeschliffen in der Form – aber voller Bedeutung. Jeder Hammerschlag hatte ein Stück seiner Vergangenheit in das Metall getrieben. Es war keine Waffe aus königlicher Hand. Kein Prunkstück. Aber es war sein Schwert.
      Jetzt ruhte es sicher in seinem Zimmer. Bald würde es zum Einsatz kommen.

      Er hob den Blick, als sich der Lärm im Saal legte. Die Banner waren bereits entfaltet, schweres Tuch in den Farben der Akademie: prachtvolles Rot, Gold, das Symbol des uralten Bundes zwischen Veyra und Guide.
      Die Direktoren traten auf die Bühne – alte Männer, ernste Gesichter. Worte folgten.
      Die üblichen, langweiligen Lügen. - Ehre. Pflicht. Disziplin.
      Werte, die sie vorgaben, aber nie lebten.

      Zevran hörte zu, ohne zuzuhören. Seine Ohren waren offen, sein Verstand woanders.
      Dann betrat eine junge Frau das Podium.
      Gerade Haltung, goldblondes Haar zu einem schlichten Knoten gebunden. Die Schülersprecherin. Zevran erinnerte sich vage an ihren Namen – Lyrielle , wenn er sich nicht irrte. Eine dieser vorzeigbaren Stimmen der Akademie, makellos, korrekt, diszipliniert.
      Er erwartete nichts Neues von ihr. Nur eine weitere Rede, sauber einstudiert, voller bedeutungsloser Worte. Aber ihre ersten Sätze ließen ihn innehalten.
      „Wie ihr wisst“, begann sie, ihre Stimme klar und ohne Schwanken, „haben sich die Spannungen an den nördlichen Grenzregionen weiter zugespitzt. Berichte über Übergriffe, Sabotageakte und vermisste Patrouillen nehmen zu. Auch wenn es offiziell keinen Krieg gibt, hat der Rat entschieden, Maßnahmen zu ergreifen.“
      Ein Raunen ging durch den Saal. Zevran spürte, wie viele Blicke sich jetzt zum Podium richteten – plötzlich hellwach.
      „Ab diesem Schulzyklus wird der Fokus für alle Veyra-Guide-Paare deutlich verändert. Die praktischen Kampfausbildungen werden auf bis zu achtzig Prozent eurer Lehrzeit erhöht. Das bedeutet: mehr reales Training. Härter, intensiver, unter echten Bedingungen.“
      Er hörte vereinzeltes Einatmen. Für manche kam dies sehr überraschend. Doch viele der normalen Schüler waren davon nicht betroffen.

      „Zudem“, fuhr Lyrielle fort, „werden ab Mitte des Jahres auch bereits Siebzehnjährige – in Ausnahmefällen sogar Jüngere mit stabiler Bindung – in die erweiterten Trainingsprogramme integriert. Das Militär hat klare Erwartungen.“
      Kurz hielt sie inne, ließ den Blick über die Reihen schweifen. Ihr Ton blieb fest.
      „Aufgrund der Umstrukturierung werden die diesjährigen Kompatibilitätstests noch heute, direkt nach der Rede, durchgeführt. Alle neu zugeteilten Veyra und Guides begeben sich bitte im Anschluss ins Militärische Forschungszentrum – Trakt B. Die Zuweisungen werden dort bekanntgegeben und unmittelbar überprüft.“

      Ein letzter Satz, schärfer als der Rest:
      „Dies ist kein Jahr wie jedes andere. Wir erwarten besondere Leistung von den Veyran und Guides.“
      Applaus folgte. Verhaltener als üblich. Zevran klatschte nicht.Doch seine linke Hand ballte sich unbewusst zur Faust, fest, kontrolliert. Ein kurzes Anspannen, kaum sichtbar. Keine Maskenbälle mehr. Keine endlosen Theoriestunden. Stattdessen: Training. Kampf. Aufstieg.

      Die letzten Worte der Schülersprecherin hallten noch durch den Saal, dann wurde es langsam unruhig. Stühle scharrten, Stimmen regten sich, Schüler begannen, aufzustehen und sich in kleinen Gruppen zu sammeln. Auch Zevran bewegte sich, ohne Hast.
      Mit einem kontrollierten Atemzug erhob er sich von der Bank. Für einen Moment fiel sein Blick auf seine eigene Hand – die Faust war unbewusst geballt.
      Er entspannte die Finger wieder.

      „Forschungszentrum...?“ murmelte er leise vor sich hin, während sein Blick sich auf einen der Ausgänge richtete. Der Begriff hatte ihn kurz stocken lassen. Er hatte nicht viel damit zu tun gehabt, kaum Zeit dort verbracht. Das meiste, was ihn interessierte, fand draußen auf den Plätzen statt – im Sand, im Wind, im echten Rhythmus eines Kampfes. Nicht in weiß gekachelten Fluren mit Versuchsaufbauten und Theorietafeln.

      Sein Blick verlief über die anderen Schüler in der Hoffnung jemanden zu finden, den er bereits als Veyra identifizieren könnte. Doch die Menschenmengen lies nicht zu, dass er einzelnen Personen folgen konnte. Mit einem leichten Seufzen, senkte er seinen Blick, ohne zu merken, dass die junge Frau, die sich vorhin zu ihm setze, immer noch da war.
    • Auch ihr Sitznachbar schwieg. Ein stummes Einverständnis zwischen zwei Fremden, die sich nichts zu sagen hatten und das war ihr sogar lieber so. Small Talk war ohnehin nie ihre Stärke gewesen. Sie wusste nicht einmal, worüber sie mit ihm hätte sprechen sollen. Noch schlimmer: Sie verspürte auch keine Lust, es herauszufinden. Informationen aus ihm herauszukitzeln war nicht ihre Aufgabe, und selbst wenn es das wäre, er war nicht der Typ, den man mit ein paar gut platzierten Fragen oder gespielter Sympathie dazu brachte, sich zu öffnen. So wie er sich bewegte, wie er wirkte, war er jemand, der seine Mauern nicht einfach einriss, nicht durch Nähe, nicht durch Worte, und schon gar nicht durch Charme.
      Solche Menschen musste man beobachten, belauschen, ihr Umfeld analysieren, um herauszufinden, was sie wirklich dachten. Aber das hier war nicht der richtige Moment für so etwas. Sirelle richtete ihre Aufmerksamkeit wieder nach vorne.
      Die Direktorin hatte das Podest betreten, groß, aufrecht, wie jedes Jahr, mit derselben Rede, die wohl schon seit Generationen kaum verändert worden war. Sirelle kannte sie fast auswendig. Von den ersten Worten an glitt ihr Bewusstsein langsam ab. Ihre Arme verschränkten sich vor der Brust, ihr Blick wurde starr, aber wach. Sie schaltete ab, ohne ganz abwesend zu sein. Ein kurzer Blick zur Seite zeigte ihr, dass sie nicht allein war mit ihrer Gleichgültigkeit. Auch andere Schüler wirkten abwesend, genervt, desinteressiert. Einige tuschelten noch immer leise weiter, wollten ihre unterbrochenen Erzählungen fortführen, konnten es kaum erwarten, wieder im Mittelpunkt ihrer eigenen Geschichten zu stehen. Sirelle musste sich ein weiteres Seufzen verkneifen.
      Doch dann wechselte die Stimme auf der Bühne, eine jüngere Frau trat an das Pult, und irgendetwas an ihrem Gesicht, an ihrer Haltung kam Sirelle bekannt vor. Unwillkürlich richtete sie sich ein Stück auf. Ihre Gedanken kehrten zurück, die Worte der Rednerin begannen durch die Mauer ihres Desinteresses zu dringen. Und was sie sagte, löste ein dumpfes Unbehagen in Sirelles Magen aus. Die Nachricht war nicht neu für sie. Sie hatte Gerüchte gehört, doch dass es so schnell zur Realität werden würde… das hatte sie nicht erwartet.
      Das Königreich war in Eile. Und es brauchte Veyras, kontrollierte, stabile, starke Veyras. Und damit auch erfahrene Guides, die sie halten konnten. Sirelle war nicht sonderlich begeistert, dem Reich zu dienen, das einst ihr eigenes Heimatsreich ausgelöscht hatte. Für die, die ihre Eltern in den Boden gezwungen hatten, für die, die ganze Landstriche verbrannten, weil sie dort nur Unordnung witterten. Und nun sollte sie ihr Leben riskieren, um für dieses Königreich zu kämpfen, für eine Ordnung, die ihr nie einen Platz zugestanden hatte?
      Eine alte, schwer zu bändigende Wut regte sich in ihrer Brust. Nicht hier. Nicht jetzt. Insgeheim hatte sie gehofft, sie hätte noch Zeit. Zeit, um weiter zu sparen. Zeit, um zu reisen. Nur ein bisschen, bevor sie irgendwann in der Pflicht unterging, bevor sie sich aufgab für ein System, das sie nie ganz wollte. Doch nicht einmal dieser eine Wunsch wurde ihr gegönnt. Und als wäre das nicht genug, würde der Unterricht ab sofort neu strukturiert werden. Intensiver, körperbetonter, gezielter auf den Ernstfall hin. Praxisorientiert, sagten sie. Nützlich.
      Sirelle hatte nichts gegen praktische Einheiten. Sie konnte sich gut verstecken, war flink, hatte eine ruhige Hand im Nahkampf, zumindest, wenn sie ihren Dolch führte. Doch sie hatte nie viel mit Schwertern zu tun gehabt, mit Bögen schon gar nicht. Sie hatte sich bisher nur das Wissen angeeignet, das sie musste: Beobachtung, Taktik, Verhalten. Der Rest war Theorie geblieben. Das würde sich jetzt wohl ändern. Und sie konnte nicht behaupten, dass sie sich darauf freute.
      Ihre Stirn legte sich in Falten, als sie hörte, wie schnell der Kompatibilitätstest bevorstand. Schon heute? Sie hatte mit Ende der Woche gerechnet, frühestens Mitte. Und doch war es gut. Je früher sie es wusste, desto besser. Wer würde ihr Partner werden, ihr Veyra? Wem würde sie ihr Leben anvertrauen müssen? Diese Frage war es, die sie am meisten beschäftigte. Der Rest war... Lärm.
      Die Rede endete. Ein paar höfliche Klatscher. Das übliche Murmeln. Dann begannen die Reihen sich zu leeren.
      Sirelle blieb kurz sitzen.
      Aus dem Augenwinkel sah sie, wie auch der Junge neben ihr sich erhob. Doch er bewegte sich nicht. Kein Schritt. Kein Zucken. Sein Blick war gesenkt, als würde er etwas suchen, oder vielleicht fliehen. Ein kaum wahrnehmbarer Seufzen entwich ihr. Sie hob den Blick zu ihm. Trotz seiner leicht nach vorne geneigten Haltung war er deutlich größer als sie. Für einen Moment wirkte er... verloren. Fast absurd, dieser Eindruck, bei seinem Äußeren, seiner Statur, seiner Kleidung. Er sah aus wie jemand, der wusste, was er tat. Und doch...
      Wie ein verlorener Hase, dachte sie und schüttelte innerlich über sich selbst den Kopf. Ein dummer Gedanke, einer, den sie nie laut aussprechen würde. Gut so. Man hätte an ihrer geistigen Verfassung gezweifelt. Da sie keine Gedanken lesen konnte , stand sie einfach auf und richtete sich zu ihm. Auch wenn sie seine Gedanken falsch deutete, was konnte sie schon verlieren?
      „Rechter Ausgang, letztes Gebäude hinter dem kleinen Pavillon.“
      Ihre Stimme war ruhig, nüchtern. Kein Lächeln, keine Erklärung. Sie wartete keine Antwort ab, ließ die Arme seitlich an ihren Körper sinken und drehte sich um. Der Rest ergab sich von selbst.
      Sie trat hinaus auf den langen Gang, schloss sich der langsam abebbenden Strömung an Schülern an. Die Schritte hallten auf dem Steinboden, draußen wartete die Grünfläche. Zwischen zwei hohen Bäumen stand der Pavillon, kunstvoll geschnitzt, doch inzwischen verwittert. Dahinter, etwas abseits, lag das Forschungsgebäude. Dort, wo Experimente stattfanden, Archive lagerten, Prüfstände aufgebaut waren. Dort, wo sie heute den Saal betreten würden, der bisher für sie verschlossen war. Sirelle hatte ihn noch nie gesehen. Aber heute würde sich das ändern. Und mit ihm vielleicht ihr ganzes Leben.
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    • Zevran hob kaum merklich den Kopf, als eine ruhige Stimme an sein Ohr drang. Ihre Worte waren knapp. Eine Wegbeschreibung, nichts weiter. Kein Tonfall, der Nähe andeutete, keine Geste, die auf Freundlichkeit schließen ließ. Nur Information – nüchtern, sachlich, präzise. Er reagierte nicht sofort. Kein Nicken. Kein „Danke“. Nur ein kurzer, fast unmerklicher Seitenblick. Dann war sie auch schon gegangen.

      Für einen Moment blieb er stehen, die Faust längst wieder geöffnet, die Gedanken fokussiert. Sein Blick folgte nicht ihrem Weg, sondern senkte sich kurz auf die Steinfliesen vor ihm.
      Rechter Ausgang. Letztes Gebäude. Hinter dem Pavillon.
      Nicht viele reden so mit einem wie mir, ohne dabei zu werten.

      Sein Blick hob sich wieder, der Ausdruck in seinen Augen hatte sich kaum verändert. Kalt. Ruhig. Unleserlich. Aber innerlich hatte er den Hinweis angenommen – und abgespeichert. Kein unnötiges Umherirren, keine Zeitverschwendung.

      Es dauert nur ein paar Minuten bis er, dank der präzisen Beschreibung, am Forschungsgebäude ankam. Einen Moment der Ruhe verspürte er, als er sich an der kalten Steinwand des Gebäudes anlehnte. Sein Blick war wachsam, schweifte über die bereits bestehenden Schülergruppen.
      Dann näherte sich eine Stimme, so schmierig wie sie überflüssig war.

      „Also du bist es wirklich.“
      Zevrans Blick bewegte sich nicht. Doch das Lächeln in der Stimme war unüberhörbar.
      „Was machst du überhaupt hier?“

      Der Sprecher trat ins Blickfeld. Ein etwas zu glatt gekämmter Junge in verziertem Mantel, kaum größer als das Mädchen, das ihm den Weg zeigte, deutlich schmaler als Zevran, mit hellen, gepflegten Fingern, die vermutlich öfter Besteck als Waffen hielten. Lorius.
      Zevran reagierte nicht. Kein Wort. Kein Blick. Keine Bewegung. Nur sein Atem hob und senkte die Brust langsam.

      Lorius lachte trocken, drehte sich halb zu seinen Begleitern um – zwei stämmigere, gut trainierte Veyra-Schüler und eine blonde, attraktive Guide mit selbstgefälligem Blick – und hob die Stimme absichtlich.

      „Fragt sich doch eh jeder, wer sich freiwillig mit ihm koppeln lässt, oder?“ Er sah zurück zu Zevran. „Ich meine… wer weiß schon, wann es bei ihm durchgeht. Verrat liegt ja bekanntlich in der Familie.“
      Er grinste übertrieben süßlich. „Oder wie war das, Zerniac?“

      Zevrans Nacken spannte sich an. Noch eine Sekunde blieb er ruhig – dann schob er sich von der Wand ab, in einem einzigen, flüssigen Schritt. Die Hand schoss vor, packte Lorius grob am Kragen und riss ihn mit einem Ruck näher.
      Der Adlige japste, verlor das Gleichgewicht, trat zurück, doch Zevrans Griff war unerbittlich. Die Umstehenden zuckten leicht zurück, aber keiner griff ein. Zevrans Gesicht war ein einziger Ausdruck aus Zorn und Drohung. Die Augen schmal, die Brauen gesenkt. Die Lippen verzogen sich leicht, Zähne blitzen durch. Wie ein Wolf vor dem Sprung.

      „Sag das nochmal,“ knurrte er leise.

      Lorius versuchte, die Fassung zu bewahren, versuchte zu lachen – doch seine Stimme zitterte.
      „Du... wirst mich doch nicht angreifen. Nicht mich. Mein Vater...“

      Und dann – das Scharren einer sich öffnenden Tür. Ein dezentes Räuspern. Schritte. Zevrans Blick zuckte zur Seite. Eine Frau um die vierzig trat ins Freie. Schlichte Kleidung, zusammengebundene Haare, ernstes Gesicht. Ihre Haltung verriet Autorität – keine, die man durch Rang erhielt, sondern durch Erfahrung. Neben ihr: ein junges Mädchen, vielleicht siebzehn, mit einem selbstbewussten Lächeln und langen, leicht gewellten braunen Haaren. Die Augen wach, der Ausdruck höflich. Eine Assistentin?

      „Was geht hier vor?“ fragte die ältere Frau mit ruhiger, aber bestimmter Stimme. Zevran zögerte einen Wimpernschlag lang – dann ließ er abrupt los. Lorius sackte nach unten, fiel halb auf die Knie, fing sich, keuchte. Zevran warf ihm keinen weiteren Blick zu. Der Moment war vorbei. „Bitte.“ Die Frau hob die Hand. „Die Tests beginnen gleich. Führt eure Diskussionen später weiter.“ Ihr Desinteresse an unserem Scharmützel war bemerkenswert. Sie trat zur Seite und wies mit einer Geste zur Tür. „Die Veyra bitte zur rechten Station – dort entlang.“ Dann sah sie zu dem Mädchen neben sich. "Nathalie, bitte nimm die Guides mit zu deiner Station.“ Nathalie verbeugte sich leicht. Ihre Stimme war zuvorkommend und freundlich.
      „Bitte folgt mir, alle Guides. Der Weg ist nicht weit.“

      Zevran richtete sich wieder vollständig auf. Kein Zucken mehr im Gesicht. Die Kälte war zurück. Er trat schweigend an Lorius vorbei, als wäre nichts gewesen.
    • Das Gebäude unterschied sich auf den ersten Blick kaum von den übrigen der Akademie. Die wahren Unterschiede lagen wohl in der Ausstattung und in der besonderen Nutzung der Räume verborgen. Sirelle ließ ihren Blick schweifen, ohne den Kopf dabei groß zu bewegen, nicht, dass sie wie eine allzu neugierige Schülerin wirkte.
      Im Eingangsbereich hatten sich bereits einige Schüler versammelt. Manche standen in Grüppchen beisammen, vertieft in Gespräche, andere hielten sich am Rand, so wie sie. Bekannte Gesichter, zu denen sie weder Namen noch eine echte Verbindung hatte. Man hatte sich in den vergangenen Jahren vielleicht Kurse geteilt, doch das war alles.
      Ihr Status war den meisten Adeligen bekannt, und gerade das machte es schwer, sich anzunähern. Für viele von ihnen war Stand wichtiger als Können, und zu oft hatten sie sich auf ihren Titel verlassen, als könnte der sie vor jeder Gefahr schützen. Sirelle konnte sich vorstellen, dass so mancher Vater oder manche Mutter bereits versucht hatte, ihre Kinder mit Geld oder Verhandlungen aus brenzligen Situationen zu befreien, und manchmal hatten diese Versuche vermutlich sogar Erfolg. Für sie jedoch gab es diesen Luxus nicht. Sie war den Entscheidungen des Königreichs ausgeliefert.
      Mit einem leisen Seufzen lehnte sie sich an eine der kühlen Steinsäulen. Während sie auf die Ankunft eines Professors oder der Person wartete, die den Kompatibilitätstest durchführen würde, entging ihr zunächst, dass der Junge von vorhin, jener, der in der Versammlung neben ihr gesessen hatte, sich ebenfalls unter die Wartenden gesellt hatte. Erst als ein Adliger die Stimme erhob und die Aufmerksamkeit auf sich zog, bemerkte sie die Szene.
      Ein altbekanntes Schauspiel: Eine Gruppe Adeliger, die sich zusammentat, um eine einzelne Person niederzumachen. Dieses Mal galt ihre Häme dem dunkelhaarigen Jungen. Sirelle verdrehte innerlich die Augen. Lächerlich, überheblich und so durchschaubar. Es war töricht, so zu handeln, vor allem, ohne zu wissen, mit wem man es eigentlich zu tun hatte. Sirelle hielt sich zurück. Mit ihrem eigenen Status würde sie vermutlich mehr schaden als helfen. Außerdem hatte sie den Eindruck, dass er sich durchaus selbst verteidigen konnte.
      Doch je länger sie zuhörte, desto mehr wuchs ihre Irritation. Selbstverteidigung hin oder her, das ging zu weit. Sie stieß sich von der Säule ab, bereit einzugreifen, bis der Junge selbst die Sache in die Hand nahm. Ein zufriedenes Lächeln huschte über ihre Lippen, als der Adlige bekam, was er verdiente. Mitleid hatte sie für solches Verhalten nicht übrig.
      Das Schauspiel fand allerdings schnell ein Ende, als eine Frau den Raum betrat, deren Präsenz keinerlei Zweifel an ihrer Autorität ließ. Sirelle war beinahe enttäuscht, doch erinnerte sich daran, warum sie hier überhaupt versammelt waren. Die Gruppe teilte sich rasch in zwei Formationen, die den jeweiligen Anweisungen folgten. Sirelle gehörte zu den Guides und schloss sich der jungen Dame an, die den Test leitete. Kurz warf sie noch einen Blick zu dem dunkelhaarigen Jungen, ehe sie sich wieder auf den Weg konzentrierte.
      Der Gang, den sie entlanggeführt wurden, war lang und endete vor einer Doppeltür. Dahinter lag ein geräumiger Saal. Sitzbänke säumten die Wände, doch der Rest des Raumes wirkte schlicht. Die wenigen Ornamente an Wänden und Säulen fielen kaum ins Gewicht gegenüber dem, was in der Mitte stand: eine Kugel, durchsichtig und glänzend, gehalten von goldenen, krallenartigen Spiralen, die sie fest an Ort und Stelle hielten.
      Die Gruppe versammelte sich in einigem Abstand. Die Dame hielt ein Klemmbrett mit mehreren Blättern in der Hand.
      „Ihr werdet der Reihe nach aufgerufen“, erklärte sie. „Tretet einfach vor, legt die Hand auf die Kugel und wartet. Ich sage euch, wann der Prozess abgeschlossen ist. Gibt es Fragen?“
      Es klang simpel, und das war es vermutlich auch. Sirelle verspürte kein Bedürfnis nach Details. Eine ausführliche Erklärung hätte wohl ohnehin mehr verwirrt als aufgeklärt. Auch die anderen schienen keine Fragen zu haben.
      „Gut. Dann fangen wir an. Mantia, bitte.“
      Ein Mädchen trat vor, legte die Hand auf die Kugel. Diese begann bläulich-weiß zu leuchten, bis die Dame nach wenigen Sekunden nickte. Mantia zog ihre Hand zurück, das Licht erlosch, und ein kurzer Eintrag landete auf dem Blatt. So ging es weiter, ein Schüler nach dem anderen, bis schließlich Sirelles Name fiel.
      Mit gespannter Erwartung trat sie vor. Das kühle, glatte Glas der Kugel lag unter ihrer Handfläche. Auch sie begann zu leuchten. Sirelle hielt den Blick fest auf das Innere gerichtet und erblickte dort feine, schimmernde Fäden, die sich wie in schwerelosem Tanz bewegten und bei Berührung kleine Funken auslösten. Faszinierend.
      Ein leises Räuspern riss sie aus ihrer Beobachtung. Die Dame nickte, und Sirelle zog die Hand zurück, etwas verlegen über ihre Verzögerung. Beim Zurücktreten fiel ihr Blick noch kurz auf ein kleines Feld mit Schriftzeichen hinter der Kugel, vermutlich die Ergebnisse ihrer Messung.
      Sie nahm wieder ihren Platz ein und wartete, bis alle durch waren.
      „Das wäre geschafft“, verkündete die Dame schließlich. „Die Auswertung dauert einen Moment. Ihr könnt inzwischen zurückkehren. Sobald auch die Veyras ihre Messung abgeschlossen haben, beginnen wir mit der Kompatibilitätsprüfung.“
      Sirelle war überrascht, wie schnell der Vorgang ablief. Offenbar hatte die Akademie ihre Technik in den letzten Jahren deutlich verbessert.
      Der Rückweg war unkompliziert, und so ließ sie ihre Gedanken schweifen. Von den Gesprächen der anderen Guides drangen nur Bruchstücke zu ihr: „Wer wohl mein Veyra sein wird?“ – „Ich hoffe, es ist nicht Ruxell.“ – „Ich bin schon so gespannt.“
      Auch sie war neugierig. Egal, wer es werden würde, sie wollte sich bemühen, freundlich zu bleiben. Im besten Fall Freunde zu werden. Adelig oder nicht, sie würden viel Zeit miteinander verbringen, und ständiger Streit brachte niemandem etwas. Sie hoffte nur, dass ihr Gegenstück ähnlich dachte, auch wenn sie daran zweifelte. Sie war fest der meinung, dass eine stabile Beziehung zwischen Veyras und Guides erforderlich war, um ein langes Überleben zu ermöglichen.
      Zurück im Eingangsbereich stellte sie fest, dass sie vor den Veyras angekommen waren. Nun hieß es warten.
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    • Zevrans Name hallte durch den Raum. Er trat wortlos vor, legte die Hand auf die Kugel. Das Glas war kühl, fast abweisend. Ein fahles, silbrig-graues Leuchten breitete sich darin aus, als würde sich Nebel in der Kugel sammeln. Kein Zögern, kein Staunen – er hielt den Blick fest, bis ein knappes Nicken der Mitarbeiterin ihn löste.
      Er ging zurück an seinen Platz, den Blick starr nach vorn gerichtet. Das Herz schlug schneller, nicht aus Nervosität, sondern aus gespannter Erwartung.
      Kurze Zeit später trat die ältere Labormitarbeiterin wieder vor die versammelten Guides und Veyra.
      „Die Ergebnisse liegen vor“, begann sie mit fester Stimme. „Jeder von euch erhält nun eine Nummer. Diese gilt ebenfalls für den Partner, der zu euch passt. Ihr findet an den Türen entsprechende Markierungen – begebt euch zu dem Raum, der eurer Nummer entspricht. Dort trefft ihr euren Partner zum ersten Mal.“
      Ein Rauschen ging durch die Menge, als sie begann, die Listen vorzulesen. Einer nach dem anderen erhielt seine Zahl. Als Zevran an der Reihe war, nahm er den kleinen Zettel entgegen, auf dem in klarer Schrift „07“ stand.

      Zevran ließ den Zettel zwischen den Fingern kreisen, als wäre die aufgedruckte Zahl bedeutungsloser Staub. Raum 07.
      Er bahnte sich seinen Weg durch die Menge. Einige Veyra wichen wortlos zur Seite, gaben ihm den Durchgang frei. Andere taten so, als hätten sie die Szene mit Lorius zuvor gar nicht bemerkt – oder wollten schlicht nichts mit ihm zu tun haben.
      Die Gänge der Forschungseinrichtung wirkten steril, kalt. Jede Tür trug eine goldene Zahl, doch für ihn war es nur eine weitere Formalität.
      Ein Guide. Er schnaubte leise.
      Er hatte jahrelang gelernt, seine Kräfte zu zügeln. Nicht perfekt, vielleicht – aber gut genug. Was konnte schon jemand an seiner Seite ausrichten, der nicht in der Lage war, sich selbst zu verteidigen? Wenn er überhaupt einen Partner brauchte, dann jemanden, der im Kampf bestehen konnte, nicht jemanden, der nur Befehle gab.
      Vor der Tür mit der „07“ hielt er einen Atemzug lang inne, dann drückte er die Klinke hinunter und trat ein.
      Der Raum war klein und schlicht. Zwei Stühle, ein Tisch, dazu eine große Tafel mit ein paar Kreidestücken – mehr nicht. Die kargen Wände und das spärliche Mobiliar ließen den Raum fast wie einen Verhörsaal wirken, einzig die Tafel brach die sterile Leere.
      Auf dem Tisch lag ein einzelner Zettel.
      „Viel Erfolg, neu gegründetes Team. Dieser Raum - euer Teamraum - gehört nun euch – nutzt ihn, wie ihr es wollt.“
    • Ein wenig ungeduldig stand Sirelle abseits, den Blick fest auf die Tür gerichtet, durch die die Veyras zuvor verschwunden waren. Es kam ihr vor, als sei eine Ewigkeit vergangen, bis sie sich endlich wieder öffnete und die zweite Gruppe zurückkehrte. Die Schüler unterhielten sich, um die Zeit totzuschlagen, während sie warteten. Schließlich traten die Verantwortlichen hervor und erklärten, wie es nun weitergehen würde.
      Sirelles Herzschlag beschleunigte sich. Angespannt lauschte sie, bis endlich ihr Name fiel. Sie nahm den Zettel entgegen, trat ein paar Schritte beiseite und entfaltete ihn. 07.
      Einen Moment lang starrte sie nur auf die Zahl, als hätte ihr Kopf jedes andere Denken vergessen. Ihr Atem stockte leicht. All die Zeit hatte sie auf diesen Augenblick hingearbeitet, um ihre Rolle als Guide selbstbewusst annehmen zu können. Auch wenn sie diese Aufgabe nie völlig akzeptiert hatte, wusste sie, dass sie ihr Schicksal nicht ändern konnte. Also blieb ihr nur, das Beste daraus zu machen.
      Als sie den Blick hob, hatten sich die anderen bereits in Bewegung gesetzt, jeder auf der Suche nach seiner Tür. Sirelle atmete tief aus und strich sich mit den Fingern schnell durchs Haar. Nervosität kroch ihr in den Nacken. „Ok, beruhig dich“, murmelte sie zu sich selbst, während sie Schritt für Schritt den Gang entlangging.
      Dann sah sie sie: Tür 07. Ihr Herz schlug ihr nun bis in den Hals, und sie biss sich unbewusst auf die Lippen. War sie die Erste? Langsam hob sie die Hand, schloss die Finger um die Klinke und presste die Lippen aufeinander. Bitte, jemand Normales, flehte sie innerlich, bevor sie die Klinke hinunterdrückte.
      Die Tür öffnete sich, und ihr Blick fiel sofort auf eine Gestalt im Raum. Statur, Haarfarbe, Kleidung, all das erkannte sie auf den ersten Blick. Für einen kurzen Moment setzte ihr Herzschlag völlig aus, ihre Bewegung erstarrte.
      Oh nein.
      Sie zwang sich, weiterzugehen. Ja, sie hatte schon Gerüchte über ihn gehört und sein Ruf allein sprach Bände. Bisher hatten sich ihre Wege kaum gekreuzt, doch das, was man sich erzählte, malte ihn nicht gerade in den freundlichsten Farben. Sirelle, reiß dich zusammen, ermahnte sie sich innerlich und stellte sich vor, wie sie sich selbst kräftig auf die Wangen schlug. Vielleicht war er ja angenehmer, als die Gerüchte vermuten ließen.
      Sie schloss die Tür hinter sich, trat zu ihm und ließ den Blick kurz über den Raum schweifen. Ein Zettel lag bereit, doch ihr wollte nicht einfallen, wozu dieser Raum gut sein sollte. Wofür sollten sie ihn nutzen? Sie schüttelte den Gedanken ab und wandte sich ihm zu.
      Dieses Mal schenkte sie ihm ein echtes Lächeln und streckte ihm die Hand entgegen. Sie sollten schließlich versuchen, gut miteinander auszukommen, er war nun ihr Veyra, und auf ihn würde sie Acht geben müssen. Und sie war pflichtbewusst genug, diese Aufgabe zu seinem Besten zu erfüllen.
      „Hallo, ich heiße Sirelle. Du kannst mich aber auch Siri oder Relli nennen, wenn du magst.“ Sie musste gestehen, dass die letzte Person, die ihren Spitznamen benutzt hatte, ihre Mutter gewesen ist. Freunde hatte sie danach nicht unbedingt gehabt, denn in der Bande war man Konkurrent oder Arbeitskollege.
      Es war lange her, dass sie jemanden mit solcher Freundlichkeit begrüßt hatte, wohlwissend, dass er sie vielleicht nicht erwidern würde. Doch so war Sirelle: zu jedem freundlich, solange man ihr keinen Grund gab, es nicht zu sein. Wenn sie dieselbe kühle Haltung wie er einnehmen würde, würden sie nur nebeneinander herleben oder sich im schlimmsten Fall ständig in die Quere kommen.
      Er musste ihre einzige Konstante in dieser neuen Lebensphase werden und sie die seine. Egal, wie abweisend er sich geben würde, sie hatte fest vor, diese Partnerschaft zu erwärmen, Vertrauen aufzubauen und eine Zusammenarbeit zu schaffen, die beiden zugutekam. Denn ob sie es wollte oder nicht: Sie waren von nun an aneinander gebunden. Sie hoffte nur, dass er ihr nicht mit Aggressivität begegnen würde, denn ihre Freundlcihkeit hatte ihre Grenze.
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    • Zevran saß auf dem Stuhl, als sich die Tür öffnete. Sein Blick wanderte automatisch zu der Person, die eintrat. Schlank, schmal gebaut, kaum die Statur einer Kämpferin. Innerlich verspürte er den Anflug einer Enttäuschung – nicht, dass er sich große Hoffnungen gemacht hätte, aber ein Partner, der an seiner Seite bestehen konnte, sah für ihn anders aus.
      Also das ist mein Guide? Ein stiller, ernüchternder Gedanke. Für ihn war klar: Das hier würde keine Unterstützung im Kampf sein, sondern nur Ballast.
      Ohne ein weiteres Wort erhob er sich, schob den Stuhl zurück.
      „Zeitverschwendung,“ murmelte er kühl, während er an ihr vorbeiging – ohne sich vorzustellen, ohne sie eines zweiten Blickes zu würdigen. Er hatte schon genug Zeit mit diesem Mist verschwendet..
    • Wie erwartet schien er über ihre Anwesenheit nicht sonderlich erfreut zu sein. Zwar hatte sie das von vornherein geahnt, trotzdem nagte eine kleine Enttäuschung an ihr. Ihre Geduld wurde von Beginn an geprüft, doch sie klammerte sich noch an ihren Optimismus. Sein kaum hörbares Gemurmel entging ihr nicht, so still war der Raum, dass man eine fallende Nadel hätte hören können.
      Sie ließ die Hand sinken, drehte sich zu ihm um und hielt das Lächeln noch auf den Lippen. Ohne viele Worte lehnte sie sich an den Tisch und setzte sich auf dessen Fläche. Das wird nicht einfach, dachte sie. „Ich kann mir vorstellen, dass du mit der Zuteilung nicht sonderlich glücklich bist“, begann sie, ehe er das Zimmer verlassen konnte. Über wen er sich wohl freuen würde, fragte sie sich kurz, doch fand darauf keine Antwort. „Trotzdem hat es sicher einen Grund, dass unsere Kompatibilität besteht, auch wenn es auf den ersten Blick nicht so wirkt.“
      Sie lehnte sich zurück, ließ die Beine baumeln und stützte die Hände ein Stück hinter sich auf die Tischplatte. „So oder so sind wir ein Team. Ich finde, wir sollten zumindest versuchen, miteinander auszukommen.“ Freunde müssten sie nicht werden, daran zweifelte sie, aber Zusammenhalt war nötig. Ein kleiner Trost war, dass er nicht der überhebliche Typ war, den mancher Adeliger darstellte. Das machte die Sache leichter, aber keineswegs einfach.
      „Du bist mein Veyra und ich dein Guide“, sagte sie noch einmal klar und ohne Bitterkeit, damit kein Zweifel blieb: Sie arbeiteten zusammen, und Einzelgänge konnten im schlimmsten Fall gefährlich enden. Wie einfach wäre es wohl gewesen, dachte Sirelle leise, hätte sie einen ganz normalen, unauffälligen Veyra an ihrer Seite. Doch das Schicksal hatte anders entschieden, und sie würde tun, was nötig war. Auch wenn es hieß, dass sie ihre eigene Grenzen überschreiten musste.
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    • Zevran verharrte an der Tür, sein Blick auf sie gerichtet. Die meisten hätten den Kopf gesenkt oder sich still zurückgezogen, wenn man ihnen so kühl begegnete – aber sie blieb. Hartnäckig. Offenbar wollte sie sich von seinem Desinteresse nicht abschrecken lassen.

      Zevran blieb einige Schritte von ihr entfernt stehen, sein Blick kühl und abschätzend. „Ein Team?“ Er schnaubte leise, fast spöttisch. „Ich brauche keinen Guide. Schon gar nicht jemanden, der mir nur im Weg steht.“
      Ohne ein weiteres Wort löste er den Verschluss an seiner Hüfte und zog das Kurzschwert. Die Klinge mochte die Länge einer gewöhnlichen Kurzwaffe haben, doch ihre Breite und das Gewicht standen einem Langschwert in nichts nach. Der Griff war massiv, dunkel eingefasst, als wäre er für einen Krieger gebaut, der rohe Kraft ebenso wie Präzision beherrschte.

      Mit einer lässigen Bewegung ließ er die Waffe fallen. Das schwere Metall krachte auf den Boden, der dumpfe Schlag ließ den Raum kurz erzittern. Er trat einen Schritt zurück, der Blick fest auf sie gerichtet.
      „Wenn du zeigen willst, dass du was drauf hast“ Seine Stimme war ruhig, aber von einem herausfordernden Unterton durchzogen. „…dann zeig’s mir. Jetzt.“
      Die Art, wie er das sagte, ließ keinen Zweifel daran, dass dies keine leere Geste war – es war eine offene Aufforderung, sich zu beweisen. Eine Aufforderung das Schwert zu nehmen und ihn anzugreifen.
    • Sirelle war zumindest zufrieden mit der Tatsache, dass er sie nicht einfach eiskalt ignorierte und wortlos den Raum verließ. Er blieb, und machte ihr unmissverständlich klar, was er von der Verbindung zwischen ihnen hielt. Sie konnte es ihm nicht übel nehmen, auch wenn sie wenig begeistert war von dem Gedanken, ihn wie ein unwilliges Kind behandeln zu müssen. Wie so viele Adelige oder Menschen mit zu viel Selbstvertrauen schien auch er zu glauben, keinen Guide zu brauchen. Wenn es tatsächlich so einfach wäre, dann säße sie jetzt nicht hier.
      Dass er sie offenbar als bloßes Hindernis betrachtete, traf sie nicht wirklich, aber angenehm war es trotzdem nicht. Ihr Blick folgte seinen Bewegungen, und ihre Augenbrauen zogen sich hoch, als das Kurzschwert mit einem dumpfen Klang zu Boden fiel. Allein vom Ton des Aufpralls konnte sie abschätzen, wie schwer die Waffe war. Nur verstand sie nicht ganz, warum er es hatte fallen lassen.
      Abwartend sah sie ihn an und hörte seine fordernden Worte. Er wollte Resultate, verlangte, dass sie so funktionieren sollte wie er selbst. Für einen Moment starrte sie ihn einfach an, die Beine still in der Luft hängend. Das Gespräch erinnerte sie tatsächlich an eine Unterhaltung mit einem störrischen Kind. Ein lautes, fast theatralisches Seufzen entwich ihr, ohne dass das Lächeln aus ihrem Gesicht wich. Das wird ein langer Prozess, dachte sie sich leicht genervt und glitt vom Tisch.
      „Weißt du“, begann sie, während sie auf das Schwert zuging, „du bist nicht der Erste, der meint, keinen Guide zu brauchen.“ Statt es aufzuheben, tippte sie mit der Spitze ihres Schuhs gegen den Griff und betrachtete die raue Klinge. „Und trotzdem, bis heute, bekommt jeder Veyra einen Guide. Sonst wäre ich nicht hier.“
      Die Botschaft war klar: Jeder Veyra glaubte, allein zurechtzukommen, und trotzdem hielt man an der Pflicht fest, sie zu begleiten. Wäre es überflüssig, könnte sich das Königreich einiges an Geld und Ressourcen sparen. Doch hier stand sie, aus gutem Grund.
      Sie verschränkte die Finger hinter ihrem Rücken, zog den Fuß wieder zurück und sah zu ihm hoch. Kaum merklich neigte sie den Kopf zur Seite und begann, langsam um das Schwert herum in seine Nähe zu gehen.
      „Du erinnerst dich sicher an die unzähligen Unterrichtsstunden, in denen man die Unterschiede zwischen Veyra und Guide aufgezählt hat.“ Schritt für Schritt kam sie ihm näher. „Nach dem, was du sagst, hättest du wohl lieber einen Veyra als Guide.“
      Sie ließ den Satz bewusst im Raum hängen und trat leicht hinter ihn.
      „Aber wir wissen beide: Im Krieg geht es nicht nur um rohe Kraft oder Kampffähigkeiten.“ Nein, es ging auch um Taktik, Informationsbeschaffung, Schwächen herausfinden und Intrigen. Sirelles Stärke lag viel mehr im gegensätzlichen Bereich von dem des Jungen.
      Während sie von seinen Rücken bis an seiner rechten Seite ging, glitt ihre Hand in den Ärmel ihres Umhangs, und im nächsten Moment lag ein Dolch in ihrer Hand. Die kalte Klinge ruhte sanft, aber spürbar an seinem Hals.
      „Du hast deine Stärken und ich meine.“ Ihre Stimme senkte sich zu einem ruhigeren, tieferen Ton. Dann ließ sie die Waffe ebenso schnell wieder verschwinden, wie sie sie gezogen hatte. Sie wollte ihm noch nicht alles offenlegen. Das wäre dann ja zu langweilig, vor allem mussten eben einige Dinge selbst erlebt haben.
      Sie ging an ihm vorbei, stellte sich ein paar Schritte vor ihn und sah ihn mit leicht schief gelegtem Kopf an.
      „Wie wäre es, wenn wir uns erst wirklich kennenlernen, bevor wir die Vorurteile sprechen lassen. Hm? Schließlich zweifle ich nicht sofort an dir, wie du an mir.“ Da unterschied er sich wohl nicht unbedingt viel von den anderen Adeligen. Musste wohl im Blut liegen.
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    • Zevran blieb regungslos stehen, sein Blick starrte unbeirrt geradeaus, als wäre Sirelle nur ein Randphänomen in seinem Sichtfeld, das keine Beachtung verdiente. Nicht einmal seine Augen folgten ihren Schritten, als sie langsam um ihn herumging. Selbst die kalte Klinge ihres Dolchs, die sanft, aber bestimmt seinen Hals berührte, brachte keinerlei Regung in sein Gesicht. Der Tod war für ihn nichts Unbekanntes, keine Überraschung – vielmehr ein ständiger Begleiter, der ihn gelehrt hatte, sich von solchen Provokationen nicht erschüttern zu lassen.

      Doch tief in seinem Inneren regte sich etwas, das er nur selten zeigte: ein stiller, zurückhaltender Respekt. Diese Frau, so selbstsicher und beinahe mit einer Spur von Wahnsinn, bewegte sich mit einer Entschlossenheit, die nur wenige besaßen. Es war nicht nur der Mut, sondern die tödliche Präzision, die in jeder ihrer Bewegungen lag – etwas, das ihn gleichermaßen faszinierte und vorsichtig stimmte. Solche Menschen waren selten, unberechenbar, doch ob an diese kleine Vorstellung anknüpfen könne? Eine Chance hatte sie sich verdient.

      Als Sirelle schließlich ihren letzten Satz sprach, hob Zevran zum ersten Mal seinen Blick von seinem starren Fokus und musterte sie mit neu erwachter Aufmerksamkeit. Es war, als hätte er sie in diesem Moment zum ersten Mal wirklich wahrgenommen – nicht bloß als den Guide, den ihm das Schicksal zugewiesen hatte, sondern als eigenständige Person, die es verdiente, beachtet zu werden. Ihre Worte konnte man nicht wiederlegen. Es gab verschiedene Arten einen Kampf auszutragen und das musste er akzeptieren.

      Ein raues, anerkennendes „Hmmm“ entwich ihm, begleitet von einem kaum merklichen Grinsen, das seine sonst kühle Maske nur für einen Augenblick durchbrach. „Du hast mehr drauf, als ich dachte, Sirelle… war doch richtig, oder?“ Seine Stimme war ruhig, doch sie trug die unterschwellige Bedeutung von Respekt und einer stillen Herausforderung zugleich.

      Ohne einen Schritt zurückzuweichen, stand er ihr direkt gegenüber, unerschütterlich und selbstbewusst, als wäre die Welt um sie herum bedeutungslos. „Gut. Ich bin gespannt, ob du das halten kannst, was du eben gezeigt hast.“ Das leichte Vergnügen, das durch seine Stimme schimmerte, war nur angedeutet, als wollte er nicht zu viel preisgeben, aber dennoch spürte man die Spannung, die in diesem stillen Versprechen lag.

      Dann, ohne weitere Worte, streckte Zevran langsam und bestimmt seine Hand aus – ein wortloses Angebot, das mehr sagte als jede Rede, ein Beginn, der vielleicht mehr bedeuten konnte, als beide es bisher zugeben wollten.
    • Sirelle wusste nicht so recht, was sie noch sagen oder tun sollte, falls der Junge ihren Versuch einfach ablehnen würde. Dann müsste sie es eben später am Tag oder am nächsten Morgen erneut versuchen, so lange, bis er ihr wenigstens ein kleines Stück entgegenkam. So schwer kann das doch nicht sein, dachte sie spöttisch.
      Sie betrachtete ihn aufmerksam, während die Anspannung in ihrem Körper nicht wich. Mit ihrer Aktion war sie durchaus ein Risiko eingegangen. Es hätte leicht nach hinten losgehen, ihn sogar beleidigen können. Doch sie hatte das getan, was ihr in diesem Moment am vernünftigsten erschien.
      Auch wenn sie die Zusammenarbeit unbedingt zustande bringen wollte, war sie nicht bereit, sich dafür kleinzumachen. Schwerter mit unbändiger Wucht zu schwingen oder jemanden mit bloßer Körperkraft quer durch den Raum zu werfen, lag ohnehin nicht in ihrer Natur, und ja, vielleicht spielte dabei auch ihr Geschlecht eine Rolle. Aber ihre Stärke lag woanders.
      Ihre Fähigkeiten hatte sie sich nicht in ein paar Wochen angeeignet, sondern über Jahre hinweg, geformt von einer Vergangenheit, die nur wenige kannten. Entscheidungen, die ihr noch Wochen später im Kopf herumspukten. Bilder, die sie um den Schlaf gebracht hatten. Leben, die zerstört worden waren, obwohl sie eine zweite Chance verdient hätten. Mit dem Eintritt in die Akademie hatte das Leben ihr in gewisser Weise den Rücken zugekehrt, doch sie trug ihre Erfahrungen weiter mit sich. In manchen Situationen war sie sogar dankbar für das, was sie gelernt hatte, auch wenn der Preis hoch gewesen war. Jedoch setzte sie sich nie selbst in die Opferrolle und wollte kein Mitleid, denn sie wusste, dass jeder seine eigene Geschichte mit sich trug. Was für sie zählte, waren die Entscheidungen, die man für die eigene Zukunft einging.
      Als er schließlich doch einen Ton von sich gab, hob sie die rechte Augenbraue und fixierte ihn mit scharfem Blick. Sein fast ausdrucksloses Gesicht verriet ihr nicht viel. Für den Bruchteil einer Sekunde glaubte sie dort eine Regung zu erkennen, so schnell und unmerklich, dass sie es gleich wieder als Einbildung abtat. Immerhin hatte er sich ihren Namen gemerkt, obwohl sie sich erst vor zwei Minuten vorgestellt hatte. Also kein Spitzname. Schade, sie hatte gehofft, dass so vielleicht eine gewisse Nähe entstehen könnte. Andererseits war sie froh darüber, denn es würde sicher eine Weile dauern, bis sie sich an einen neuen Namen gewöhnt hätte.
      Zu ihrer Überraschung streckte er ihr dann die Hand entgegen. Ein kleiner Erfolg, sie hatte ihn umgestimmt. Doch er wollte noch mehr sehen. Und auch sie wollte wissen, was er zu bieten hatte. Denn sollte es jemals dazu kommen, dass er die Kontrolle verlor, könnte das für sie lebensgefährlich werden. Je mehr sie über ihn wusste, desto besser konnte sie vorbereitet sein.
      Es war fast so, als hätte sich etwas in seinem Tonfall verändert, nur minimal, aber für Sirelle spürbar. Vielleicht redete sie es sich auch nur ein. Ohne zu zögern nahm sie seine Hand, diesmal mit einem breiteren Lächeln, und schüttelte sie. Seine Hand war warm, rau, und deutlich größer als ihre eigene.
      „Dann auf eine gute Zusammenarbeit. Aber vorgestellt hast du dich immer noch nicht.“
      Sie kannte seinen Namen längst, doch diesen Moment der förmlichen Vorstellung wollte sie nicht überspringen. Sie wollte ein wenig Normalität zwischen ihnen schaffen, statt gleich mit einem Rucksack voller Gerüchte zu starten.
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    • Zevran hielt den Blick der jungen Frau einen Moment länger, als es nötig gewesen wäre. Ihre Hand war fest, nicht zögerlich, und doch spürte er die unausgesprochene Erwartung in ihrer Geste. Er löste den Griff langsam, ließ ihre Worte einen Herzschlag lang im Raum hängen, bevor er antwortete.

      „Zevran Zerniac.“
      Seine Stimme war tief und gleichmütig, ohne jede Andeutung von Freundlichkeit oder Ablehnung. Mit einer geschmeidigen Bewegung ließ er das Kurzschwert an seiner Seite in die Scheide gleiten, der metallische Klang verhallte leise im Trainingsraum. Erst jetzt atmete er tiefer durch, als hätte er sich innerlich auf etwas eingestellt, das ihn länger begleiten würde, als ihm lieb war.

      Ein Partner. Das bedeutete Arbeit. Es bedeutete, Zeit und Energie zu investieren, sich auf eine andere Person einzustellen, ihre Stärken zu nutzen, ihre Schwächen zu ertragen – zumindest solange sie von Nutzen war. Sollte Sirelle sich als Ballast herausstellen, würde er sie ohne Zögern fallen lassen wie eine heiße Kartoffel. Sentimentalitäten hatten in seiner Welt keinen Platz.

      Doch er konnte nicht leugnen, dass die Realität der Akademie ihre eigenen Regeln diktierte. Manche Turniere waren für Einzelkämpfer ausgelegt, doch die wirklich lohnenden, die prestigeträchtigen Wettkämpfe, verlangten Teams. Kein Partner bedeutete keine Teilnahme – und ohne Teilnahme gab es keine Chance, Punkte zu sammeln, um sich für das Abschlussturnier zu qualifizieren. Das Abschlussturnier begleitet von den höchsten Adligen, Veyra und Guides aus allen Akademien des Landes und sogar der verbündeten Ländern. Die größte Bühne und das erste Ziel, was es zu erreichen galt. Bei dem Gedanken daran könnte Zevran sein leichtes Knirschen nicht unterdrücken.

      Er wusste, dass diese Turniere mehr waren als bloße Prüfungen der Stärke. Sie waren politische Instrumente, ein Spielfeld für Allianzen und Rivalitäten, ein Test für jene, die den Titel der Besten tragen wollten. Selbst wenn er den Gedanken an Kooperation verachtete, so wusste er, dass irgendwann der Zeitpunkt kam, wo er sich darauf einlassen musste.

      Sein Blick glitt kurz zu Sirelle zurück. Er versuchte, sie einzuschätzen – nicht nur ihre kämpferischen Fähigkeiten, sondern auch, ob sie den Druck solcher Wettkämpfe ertragen konnte. Würde sie standhalten, wenn die Angriffe härter und die Gegner gnadenloser wurden?

      „Wir werden sehen, ob sich die Zusammenarbeit lohnt,“ murmelte er schließlich, fast so, als spräche er mehr zu sich selbst als zu ihr. Doch in seinem Inneren hatte er die Entscheidung bereits getroffen: Für den Moment war dies sein Schlüssel zu den kommenden Turnieren – und zu dem Abschlussturnier, das er unter keinen Umständen verpassen würde.
    • Zevran Zerniac.
      Sirelle ließ den Namen ein paar Sekunden in ihrem Kopf kreisen, auf der Suche nach einem passenden Spitznamen. Zevri? Nein, das klang viel zu harmlos für ihn. Sie dachte ernsthaft darüber nach, doch auf die Schnelle wollte ihr nichts einfallen. Wahrscheinlich musste sie das Thema später noch einmal aufgreifen.
      Auch wenn Zevrans Art weder besonders zuvorkommend noch freundlich war, im Gegenteil, sie wirkte eher kompliziert, musste sie sich eingestehen, dass sie ihn fast angenehmer fand als die meisten Adligen, mit denen sie bisher zu tun gehabt hatte. Zumindest war er nicht von dieser herablassenden Sorte, die einem jeden Atemzug kommentieren musste.
      Wie ihre Zusammenarbeit am Ende aussehen würde, würde sich bald zeigen. Um Streit oder Missverständnisse zu vermeiden, sollte sie vielleicht darüber nachdenken, ihre Fähigkeiten ein wenig zu erweitern. Dolche beherrschte sie, doch vielleicht war es an der Zeit, auch über andere Waffen nachzudenken. Ein Bogen vielleicht, flink und präzise, passend zu ihrer Schnelligkeit.
      Reine Körperkraft war nicht ihre Stärke, und bei den Schwertarten kannte sie sich kaum aus. Gab es vielleicht leichtere Klingen, die sich besser führen ließen? Auch das war ein Gedanke, den sie sich merken musste. Letztlich wäre es klug, wenn sie und Zevran ein paar Testkämpfe machten, um ihre jeweiligen Stärken und Schwächen herauszufinden. Erst dann könnten sie wirklich planen.
      „Jaja, ich freue mich auch“, winkte sie lachend ab, als er etwas sagte, und wandte sich wieder dem Zettel auf dem Tisch zu. „Aber wozu brauchen wir eigentlich genau den Raum? Ehrlich gesagt, wäre es doch interessanter, wenn sie uns High-Tech-Kampfsimulationen oder etwas Ähnliches zur Verfügung stellen würden.“ Sie verschränkte ihre Arme unter der Brust und sah sich mit ernster Miene im Raum um.
      Sie hatte ihr Zimmer, ihre Unterrichtsstunden, also, wofür genau war dieser Raum gedacht? Es war ja nicht so, als müsste sie hier heimlich Infiltrationen planen. Und gemütlich war er auch nicht gerade. Ein Hauch von Gemütlichkeit hätte sicher nicht geschadet. Vielleicht war es ihre „Frauenstimme“, die da in ihr sprach… aber ganz unrecht hatte sie nicht.
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    • Zevran zuckte nur mit den Schultern, als wäre ihre Frage kaum der Rede wert. „Die Tafel dort,“ begann er und deutete mit einem knappen Nicken auf das große, dunkle Rechteck an der Wand, „besteht aus einem ähnlichen Material wie die Kugel beim Kompatibilitätstest.“ Sein Blick blieb kurz an der glatten Oberfläche haften.
      Er ließ den Satz bewusst im Raum hängen, ohne weiter darauf einzugehen. Mehr würde man erfahren, wenn die Turniere starten würden.

      In diesem Moment durchbrach eine Reihe dumpfer, scharfer Geräusche die Stille im Raum – Kampfgeräusche, die eindeutig nicht aus einer Übung stammten. Ein schwerer Aufprall, das Splittern von Holz, ein ersticktes Stöhnen. Zevran war sofort in Bewegung. Er öffnete die Tür, trat auf den Flur hinaus und folgte dem Lärm ohne Zögern. Seine Schritte waren schnell und präzise, fast lautlos, bis er durch eine Seitentür ins Freie trat.
      Vor ihm bot sich ein chaotisches Bild: Mehrere Kisten waren zerbrochen, ihre Bretter in Splittern und Scherben über den Boden verstreut. Zwischen dem Trümmerhaufen lag ein junger Mann, keuchend, ein Arm schützend vor dem Körper verschränkt, als würde er sich gegen einen weiteren Schlag wappnen. Zevran erkannte ihn sofort – einer der Teilnehmer des Kompatibilitätstests, und, wie er sich erinnerte. Er war ebenfalls ein Veyra.
      Sein Blick wanderte weiter und blieb an der Gestalt stehen, die ihm gegenüberstand. Dunkles Haar, teure Kleidung, eine Haltung, die nicht nur von Selbstvertrauen, sondern von der Überzeugung durchdrungen war, jedem überlegen zu sein. Nadiem Rantioris. Zevran kannte den Namen –v iele kannten ihn. Sohn des Militärberaters des Königs, berüchtigt für sein Talent und seine Arroganz gleichermaßen. Die Magie, die von ihm ausging, war in der Luft wie ein statisches Knistern zu spüren, schwer und bedrückend.

      Mit gemessenen Schritten ging Nadiem auf den am Boden liegenden Veyra zu, jede Bewegung einstudiert, wie die eines Raubtieres, das sicher ist, dass seine Beute nicht entkommt. „So ein Pech, dass du den falschen Guide bekommen hast,“ rief er spöttisch und ließ den Blick kurz über seinen Gegner hinweg gleiten. Dann verzog sich sein Mund zu einem kalten Lächeln. „Aber jetzt gehört sie mir.“
      Ein feines, gefährliches Leuchten begann sich um seine rechte Hand zu sammeln, die Finger leicht gekrümmt, als würde er die Magie zwischen ihnen verdichten. Er hob sie, bereit, den nächsten Schlag auszuführen.

      "Nadiem, tu ihm nichts.", rief eine weibliche Stimme von der anderen Seite. Wohl der Grund für dieses Duell, eine Guide, die dem jungen Mann zugeordnet wurde, jedoch von Nadiem beansprucht oder vielleicht sogar durch ihm entrissen wird.
      Zevrans Zähne fletschen. Er hasste solche Typen, doch auch ihm war bewusst, wie stark und bekannt Nadiem war. Vielleicht sogar der begabteste und am besten ausgebildete Schüler des Jahrgangs. Seine Hand ruhte über seinem Kurzschwert, um eingreifen zu können. Doch war das im Sinne des jungen Mannes? Würde es zu viel Ärger mit sich bringen?
    • Sirelles Blick folgte seinem Nicken zu einer Tafel, die an der Wand hing. Doch seine Bemerkung dazu verstand sie nicht. Woher wollte er wissen, dass sie aus einem ähnlichen Material bestand? Hatte er sie schon berührt? Er wirkte nicht so, als würde er ihr das genauer erklären wollen, und so blieb sie ratlos zurück. Ein wenig enttäuscht, nahm sie sich vor, früher oder später selbst herauszufinden, wozu das Ding gut war.
      Sie musterte die Tafel noch genauer, als ein lautes, unpassendes Geräusch die Stille des Raumes zerriss. Es war zu hart, zu fehl am Platz für diesen Gang. Sirelle zuckte kaum merklich zusammen, doch Zevran war bereits unterwegs, ohne auch nur zurückzublicken.
      Sofort schlüpfte sie in ihre gewohnte Rolle. Dieses Geräusch war nicht natürlich, und in ihrem Kopf ratterten die Gedanken. Wenn man den Zeitpunkt und die Ergebnisse des Kompatibilitätstests berücksichtigte, gab es für sie nur eine plausible Erklärung und keine davon gefiel ihr.
      Statt Zevran direkt zu folgen, bog sie ab und eilte in ein anderes Zimmer. Dort traf sie auf ein Paar, das glücklicherweise noch nicht gegangen war. „Ruft sofort jemanden!“, befahl sie mit einer tieferen, ernsten Stimme und warf ihnen einen Blick zu, der keine Widerrede duldete. Die beiden reagierten prompt und verließen hastig den Raum. Bis Hilfe kam, mussten sie Zeit gewinnen. Auch wenn sich alles als Fehlalarm herausstellen sollte, war es besser, auf Nummer sicher zu gehen. Vor allem fürchtete sie, was Zevran als Nächstes tun könnte, nicht, dass er unüberlegt in den Kampf stürzen würde, aber von ihnen beiden war er derjenige, der eher zur Gewalt griff.
      Sie beschleunigte ihre Schritte und hörte noch, wie eine Stimme sagte, jemand „gehöre“ ihm. Ihr Blick suchte die Szene. Sie konnte sich grob zusammenreimen, was geschehen war. Wäre es eine Romanze gewesen, hätte ihr Herz schneller geschlagen: zwei Männer, die sich um eine Frau stritten. Doch dies war kein Liebesroman. Hier standen keine gewöhnlichen Bürger, sondern Menschen mit Kräfte und Verantwortung. Adelige, deren Titel oft größer waren als ihre Vernunft.
      Der Name Nadiem war ihr bekannt, auch wenn sie bis jetzt kein Gesicht dazu gehabt hatte. Die Gerüchte über ihn waren selten schmeichelhaft. Dass er Interesse an einer Frau zeigte, war überraschend und dass er dafür so weit ging, noch mehr. Einen anderen Veyra wegen eines Guides anzugreifen, war alles andere als eine Kleinigkeit.
      Sirelles Blick glitt zu Zevran und blieb an seiner Hand hängen. Sie war nur ein Guide, gegen Nadiem konnte sie nichts ausrichten. Und sie durfte nicht riskieren, dass ein wütender Zevran sich einmischte. Das würde die Lage nur eskalieren, vor allem, da Nadiem vermutlich genau wusste, wo er ihn am ehesten treffen konnte. Also blieb nur eine Möglichkeit: sich selbst einzumischen.
      Denn auch wenn Veyra für das Königreich unersetzlich waren, Guides waren es ebenfalls. Ein Angriff auf einen Guide war keine Lappalie, schon gar nicht innerhalb der Akademie. Die Königsfamilie würde keine Gnade zeigen, wenn sie von einem solchen Vorfall hörte. Gleichzeitig wollte sie Zevran nicht direkt in Schwierigkeiten stürzen, nachdem sie gerade erst versucht hatte, ihn für eine Zusammenarbeit zu gewinnen.
      „Er wird es überleben. Schließlich sollte er noch leben, um zu lernen, dass er den falschen Guide bekommen hat“, grinste Zevran gehässig. Er ging in die Hocke und musterte den am Boden sitzenden Mann spöttisch.
      Leise trat Sirelle an ihn heran, legte zwei Finger an seinen Ärmel und zog leicht daran. „Nicht“, flüsterte sie so, dass nur er es hören konnte. Immerhin stürzte er sich nicht kopflos hinein.
      Der Mann am Boden hustete heftig. Sirelle musste Nadiem nicht kennen, um zu spüren, wie gefährlich er war. Das kleinere Übel war, dass sie selbst eingriff, denn die Umstehenden machten keinerlei Anstalten, etwas zu tun.
      „Jemand kommt gleich“, murmelte sie, mehr zu sich selbst, und schritt an Zevran vorbei. Mit einem besorgten Gesichtsausdruck, zusammengezogenen Augenbrauen und weit geöffneten Augen kniete sie sich neben den Mann. „Alles in Ordnung?“, flüsterte sie und legte ihm vorsichtig eine Hand auf den Rücken, während sie ihn unauffällig nach Verletzungen absuchte.
      „Wer bist du? Wer hat gesagt, dass du dich einmischen kannst?“ Nadiems Stimme war rau und von Aggression durchzogen. Ein kalter Schauer kroch ihr den Rücken hinauf, doch sie zwang sich, unschuldig, klein und mitfühlend zu wirken. Sie war sicher, dass diese Maske bei ihm besser wirken würde als offene Konfrontation.
      „Es ist nicht gestattet, außerhalb eines Duells anzugreifen“, sagte sie leise und ließ ihre Mundwinkel besorgt nach unten sinken. Normalerweise war sie kein Fan solcher schüchternen Auftritte, aber jetzt hatte sie keine Wahl.
      „Ha! Als ob mich das interessiert. Ich bezweifle, dass du nicht weißt, wer ich bin, Kleine.“
      Natürlich wusste sie das und genau deshalb war sie so vorsichtig. Ihr Blick wanderte zu dem Mädchen hinter Nadiem, das starr vor Schreck dort stand und keinen Finger rührte. Sirelle hätte am liebsten laut geseufzt. Ausgerechnet sie war die Einzige, die Nadiem hätte beruhigen können, und doch tat sie nichts. Langsam trat das Mädchen näher. „Natürlich… aber ich denke nur, dass Ihr Euch Ärger einhandeln könntet. Es ist nicht seine Schuld, dass er ihr zugeteilt wurde“, sagte Sirelle mit kleinen, zögerlichen Pausen, wie jemand, der sich nicht ganz sicher war.
      Nadiems Blick war scharf, seine Lippen verzogen sich unzufrieden, und in seinen Augen glomm noch immer Zorn. Sie wollte ihn nicht provozieren, sondern nur Zeit schinden, bis Hilfe eintraf.
      „Vielleicht gab es einen Fehler. Vielleicht sollte die Zuweisung noch einmal überprüft werden.“
      Nadiem lachte höhnisch, stand auf und deutete auf sie. „Willst du etwa die Kompetenz der Technologie anzweifeln? Wilst du mich als dumm verkaufen?“
      „Nein… ich…“ Verunsichert strich sie sich eine Haarsträhne hinters Ohr und sah erneut zu dem Mädchen. Könntest du bitte endlich etwas tun?, dachte sie verärgert und hätte sie am liebsten durchgeschüttelt.
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    • Zevran beobachtete die Situation aufmerksam, ohne sich zu rühren. Er erkannte sofort, dass Sirelles sanfte Stimme und der unschuldig gesenkte Blick nicht ihrer wahren Art entsprachen. Sie spielte eine Rolle – und das gar nicht schlecht –, doch für ihn war es ein naiver, beinahe kindischer Versuch, einen Wolf mit freundlichem Zureden zu zähmen. Solche Gesten hatten in seiner Welt selten Wirkung. Wer wie Nadiem war, verstand nur eine Sprache – und das war nicht Diplomatie.

      Nadiems Augen verengten sich, Zorn pulsierte förmlich in seinen Adern. Er schien Gefallen daran zu finden, wie Sirelle versuchte, ihn mit Worten zu bändigen, nur um sie ins Leere laufen zu lassen. Das Mädchen hinter ihm – der Guide des am Boden liegenden Veyra – trat nun zögerlich vor und bat mit schwacher Stimme: „Nadiem… hör auf. Bitte....“ Sie zögerte und gab schlussendlich nach. "Ich werde dein Guide, okay? Aber bitte lass die anderen in Ruhe." Man sah ihr an, wie viele nerven es sie gekostet hat und wie ihre Augen sich bereits mit Tränen füllten.

      Zevran konnte sehen, wie diese Worte Nadiems Wut abflachen ließen. Sein Grinsen kehrte zurück – kalt und berechnend. Er war sich seines Statuses bewusst und wusste genau, dass sein Vater ihn aus fast jeder Konsequenz herausboxen konnte. Einen Guide zu verletzen wäre ein Skandal, aber einer, von dem er glaubte, ungestraft davonzukommen.
      Mit diesem Gedanken im Hinterkopf richtete er seine Aufmerksamkeit wieder auf den am Boden kauernden Mann – und auf Sirelle, die sich zwischen die Fronten gestellt hatte. Das breite, gemeine Lächeln auf seinen Lippen vertiefte sich, als er sein Schwert hob. Die Klinge flackerte im Licht, während er die Kraft für einen fliegenden Klingenhieb sammelte, der weit genug reichte, um sowohl den Veyra als auch Sirelle zu treffen. Eine Lektion für Beide sich nicht mit Nadiem Rantioris anzulegen.

      Als Nadiem die Attacke auslöste, bewegte sich Zevran. Mit einem einzigen Schritt stand er vor Sirelle, die Hand bereits am Griff seines Kurzschwerts. Das Metall blitzte auf, als er die Waffe zog und den Klingenhieb mit einer schnellen, kontrollierten Bewegung abfing. Der Schlag war kräftig – kräftiger, als die meisten hätten parieren können –, doch für Zevran war es keine große Prüfung. Noch lange nicht Nadiems volles Potenzial.
      Innerlich kochte Abscheu in ihm hoch. Menschen wie Nadiem, die sich an Schwächeren austobten, ohne Ziel, ohne Ehre, verdienten für ihn nur Verachtung. Am liebsten hätte er ihm mitten ins Gesicht gespuckt. Doch bevor er auch nur einen einzigen Satz voller Beleidigungen aussprechen konnte, hallten Schritte durch den Gang – und die Aufsichtsperson, die Sirelle angekündigt hatte, trat in den Raum.