a moon between us [by Akkubird & yuyuumyn]

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    • Pre-Play - Vorgeschichte: Die Kindheit

      In der Ebene zweier großer Gebirge erstreckte sich ein großzügig erbautes Dorf, durch dessen Handelsruten stets viele Reisende ihren Weg fanden, um zu handeln oder nur die großen Obstplantagen im Umland zu bewundern.
      Die Felder waren der ganze Stolz der Hauptfamilie, die alles verwaltete. Wie der Kaiser selbst, regierten sie ihr kleines Imperium und waren dabei stets darauf bedacht den Gewinn zu steigern. Die Menschen im Dorf wurden nicht schlecht behandelt; Nicht alle. Jeder wusste wo er sich befand und was von ihm erwartet wurde. Niemand stellte Ansprüche, die seinem Stand nicht gerecht waren.

      Haruto wuchs im Waisenhaus des Dorfes auf. Als einer der vielen Waisen, die oft aus Dämonen angriffen hervor gingen, hatte er eines der schlechtesten Lose gezogen. Ohne Eltern und ohne Stand war es den Kindern nur möglich etwas zu erreichen, wenn sie es irgendwie schaffen konnten die Gunst eines höher gestellten zu erlangen oder bei einem der Handwerker unter zu kommen. Es war deshalb auch nicht verwunderlich, dass die meisten Bewohner keine Lust auf die kleinen "Arschkriecher" hatten und sie nur ausnutzten um ihre nieder Arbeit verrichtet zu bekommen. Haruto hatte gefühlt im Ganzen Dorf seine Erfahrungen gemacht. Letztendlich hatte er sein Schicksal akzeptiert irgendwann der Hauptmeister der Güllegrube zu werden.
      Das alles war zwar belastend, doch gerade noch erträglich, denn er hatte zumindest einen Menschen in diesem Dorf, der ihn nicht wie ein Objekt behandelte. Seine gute Bekannte: Ayumi.

      Haruto beendete gerade sein mageres Frühstück, als die Hausmutter schon die ersten Kinder in die Schule schickte. Schule, dass ich nicht lache! Dachte sich Haruto nur, als er an den armseligen Unterricht dachte. Das Meiste hatte er aus den Büchern gelernt, die ihm Ayumi von Zuhause mitbrachte. Denn anders als er hatte sie richtige Eltern die sich Sorgen um ihr Kind machten und ihr auch Bücher für den Unterricht mitgaben. Zum Glück konnte er immer neben ihr sitzen.
      Der Junge schnappte seine Tasche und rannte zur Tür hinaus, ehe die Hausmutter ihn scheuchen konnte. Alte Ziege...
      Auch auf dem Weg zur Schule machte der Junge nicht langsam, erst als er in die nähe vom Ayumis Anwesen kam, verringerte er seine Schritte. Es sollte ja nicht aussehen, als hätte er es eilig sie zu sehen.

      Nichtsahnend, schlenderte Haruto um die letzte Ecke und wurde von einem harten Schlag ins Gesicht überrascht. Drei junge Kerle hatten es sich wohl heute zur Aufgabe gemacht den Jüngeren zu drangsalieren. Haruto wusste, dass er sich nur schwer gegen die drei wehren konnte. Nicht weil er zu schwach oder feige war. Viel mehr lag es daran, dass der Kopf der Bande der Sohn der Oberfamilie war.
      Würden seine Eltern doch nur wissen was für einen schlechten Sohn sie hatten.
      "Steh auf du Schwächling!" Rief Shou, der Kopf der Gruppe.
      Haruto tat wie ihm befohlen, starrte die drei aber mit seinem giftigen Blick an. Seine Hände zitterten schon vor Wut, doch die Worte die Ayumi ihm damals auf den Weg gab, hielten ihn zurück.
      "Jetzt glotzt er wieder!" Lachte der zweite Junge hämisch und wollte Harukos Rucksack wegnehmen.
      "Den brauchst du eh nicht. Ratten wie du gehören in die Grube und nicht in die Schule." Grunzte der zweite Junge warf den Rucksack in einen kleinen Bach am Straßenrand. Die Strömung erfasste das Stück und trieb es fort.
      Als Haruto dem Rucksack nach sah, nutzte der dritte Junge seine Chance und packte ihn von hinten.
      Shou war nun wieder am Zug und schlug Haruto mit der Faust rechts und links ins Gesicht.
      "Bitte um Gnade, dann lass ich dich vielleicht gehen." Drohte Shou.
      Haruto lächelte, das Blut in seinem Mund schmeckte heute verdammt salzig.
      "Gnade." Sagte Haruto, doch er wusste, dass er nicht frei käme. Entweder musste er warten, bis die Jungs ihren Spaß verloren oder er musste einem von ihnen weh tun. Doch das war letztes Mal nur ganz knapp an einer Bestrafung vorbei gegangen. Es blieb also nur die Gewissheit, dass irgendwann die Schule beginnen würde. Denn auch ein Shou musste pünktlich sein.
      Haruto ließ sich auf die Knie hinab drücken und wiederholte: "Gnade."
      I think everyone was aware, that the bird is the word.

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    • Es war ein ganz normaler Morgen...zumindest dachte das Ayumi.
      Noch bevor der Weg zur Schule rief, ging sie wie jeden Tag ihren kleinen Pflichten nach. Nach einem leichten, aber sättigenden Frühstück – Reis, Miso, und ein Stück süßer Pflaume – streifte sie durch den Hof, um die Tiere zu versorgen: Die Hühner im Stall gackerten ihr schon ungeduldig entgegen, während die Katzen träge um ihre Beine strichen, als würden sie ihr für das Futter eine Audienz gewähren. Und auch die beiden großen Wachhunde bellten freudig auf, als sie mit Futter und einem kurzen Streicheln ihrer Köpfe belohnt wurden.
      Ihre Eltern waren da längst unterwegs, um ihren Aufgaben im Dorf nachzugehen – nicht aber, ohne Ayumi vorher wie jeden Morgen mit auf den Weg zu geben, sie möge sich endlich einmal benehmen wie eine Dame…und nicht wie ein wildgewordener Brüllaffe.

      Ayumi konnte nicht anders, als innerlich die Augen zu verdrehen. Sie verstand nie ganz, was genau ihre Eltern damit meinten – oder tat zumindest so. Doch tief in ihrem Inneren wusste sie es nur zu gut: Es ging um Haruto. Ihren besten Freund. Ihren Schatten. Ihren Verbündeten gegen Langeweile und Regeln. Die beiden verbrachten jede freie Minute miteinander – und zu oft endete das darin, dass sie dreckverschmiert aus dem Wald zurückkamen, lachend, keuchend, mit Schrammen an den Knien und Blättern im Haar.
      Wie oft hatten sie sich gegenseitig herausgefordert? Wer wohl höher auf einen Baum klettern konnte, wer zuerst durchs eiskalte Bachwasser rannte?

      Nachdem die Tiere versorgt waren, schnappte sich Ayumi ihren Schulrucksack. Sie war sich sicher, dass Haruto schon längst am Anwesen wartete. Wie jeden Morgen.
      Doch kaum hatte Ayumi das große Holztor ihres Elternanwesens hinter sich gelassen, gefror ihr der Atem für einen Moment in der Kehle.
      Vor ihr bot sich ein Anblick, der nicht zu einem ganz normalen Morgen gehörte:
      Shou, der Sohn des Dorfoberhauptes, und seine beiden ständigen Schatten hatten Haruto gestellt. Wie eine hungrige Meute umkreisten und bedrohten sie ihn. Shou hob die Faust – und ließ sie ohne Zögern in Harutos Gesicht krachen. Noch einmal. Und noch einmal.
      "Bitte um Gnade, dann lass ich dich vielleicht gehen.", bellte er, die Stimme rau vor Überheblichkeit.
      Doch Haruto tat es. Nicht, weil er Angst hatte – Ayumi kannte diesen Blick in seinen Augen nur zu gut. Es war kein Zittern darin. Kein Flehen. Nur Trotz. Und eine stille, wütende Würde. Und genau das machte es für Ayumi noch schlimmer.

      Ayumi biss die Zähne zusammen. Ihr Herz raste – ihre Gedanken ebenso. Was sollte sie tun? Wegsehen? Wegsehen war keine Option. Wegsehen würde niemals eine Option sein.
      Warum nur…musste ausgerechnet Shou, dieser feige, verwöhnte Tyrann, der Sohn des Oberhauptes sein?
      In ihrem Kopf tobte ein Sturm – ein wirbelnder Tornado aus Wut, Angst, Impuls. Und noch bevor ihr Verstand sie einholen konnte, war ihr Körper bereits in Bewegung: der Rucksack fiel dumpf auf den Boden. Ihre Füße setzen sich in Bewegung und sie rannte los.
      Mit einer überraschend hohen Geschwindigkeit schoss sie auf die Gruppe zu – eine unscheinbare Schneeflocke, die zur Lawine wurde.
      Du verachtenswerte, ekelhafte kleine Kakerlake!
      Die Worte schossen aus ihr heraus, unkontrolliert, ungefiltert. Ihre Mutter hätte ihr dafür mit Sicherheit den Mund mit Seife ausgewaschen. Vielleicht sogar mit einer Bürste.
      Doch Ayumi hielt nicht inne. Noch bevor einer der Jungen reagieren konnte, war sie Shou bereits auf den Rücken gesprungen und riss ihn mit sich zu Boden. Ihre Finger vergruben sich in seinem Haar, ihre Knie pressten ihn nieder, und dann...drückte sie sein Gesicht erbarmungslos in den trockenen, staubigen Dreck.

      Seine beiden Gefährten erstarrten. Ihre Augen weiteten sich, sie ließen Harutos Arme los und traten zwei wackelige Schritte zurück. Sie tauschten nervöse Blicke. Eine stille, unsichere Kommunikation, was sie nun machen sollten. Doch keiner von beiden wagte es, Ayumi auch nur zu berühren.
    • Haruto hatte sich bereits damit abgefunden, dass er nun noch eine Weile hier sitzen müsste.
      Der Schmerz war nicht das Problem, viel mehr die unbändige Wut, die er versprochen hatte bei sich zu behalten. Zumindest so lange, bis er alt genug war um auf eigenen Beinen zu stehen.
      Gerade als die Gedanken Harukos damit begonnen hatten ihn aus dieser Situation fliehen zu lassen, hörte er eine vertraute Stimme. Es war Ayumi, die mit wildem Geschrei auf den armen Shou los ging. Haruto spürte, wie der Druck auf seinen Schultern nach lies und die Schläger von ihm ab ließen.
      Jetzt hätte er die Gelegenheit die Beiden ohne Vorwarnung fertig zu machen. Auge um Auge.
      Haruto richtete sich auf spuckte einmal herzhaft vor seine Füße. Das Blut flog aus seinem Mund und traf mit einem dumpfen Geräusch auf den Boden. Als er einen Schritt auf die beiden Kollegen zu ging, ergriffen diese die Fluch.
      Haruto wischte sich den Mund ab und versuchte Ayumi von Shou herunter zu ziehen. "Danke für die Rettung. Aber... DU... musst.... jetzt... hier.... runter... du... darfst... nicht... zu.. spät... kommen..." Es benötigte einige Anläufe, denn erst als er das Mädchen von hinten unter den Armen packte, konnte er sie auch lange genug fassen, um sie von Shou herunter zu heben. Sie war stark, ohne Zweifel.
      Shou kroch schnaubend ein Stück weiter. "Das! Das erzähle ich meine Vater! Ihr werdet beide... Ihr werdet!." Keuchte der völlig schmutzige Junge und Haruto musste fast schon lachen. "Was? Dass Ayumi dich in den Dreck geworfen hat? Die unschuldige Ayumi würde sowas niemals tun." Antwortete Haruto hämisch und sah dabei das eben so unschuldig beschriebene Mädchen an.
      "Ich sag einfach dass du es warst! Dann... Dann schmeißt dich mein Vater..." Weiter war Shou nicht bekommen, denn Haruto hatte ihn bereits am Hals gepackt und zurück in den Dreck gedrückt. "Ich hoffe ihr krepiert alle." Flüsterte er dem Jungen zu, der nun vor Angst noch dickere Augen bekommen hatte, als zuvor. Letztlich ließ er von Shou ab und begutachtete Ayumi "So ein Dreck. Jetzt bekommst du wieder wegen mir Ärger." Sagte er zu dem Mädchen und sah ihre zerzausten Haare, die verrückte Kleidung und die schmutzigen Knie. "Wo ist dein Rucksack? Ich will nicht auch noch schuld sein, dass du zu spät kommst. Deine Eltern hassen mich eh schon genug."
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    • Gerade wollte Ayumi noch mit der Faust ausholen, um Shou einen ordentlichen Schlag zu verpassen. Doch so weit kam sie gar nicht erst – Haruto hatte sie bereits unter den Armen gepackt und von Shou heruntergezogen.
      „H–Hey! Lass das, Haruto! Ich bin noch nicht fertig mit diesem… diesem…!!“, protestierte sie empört, ließ sich dann aber grummelnd unter ihrem Atem wieder auf die Füße setzen. Ihr Blick folgte Shous Lakaien, die bereits fluchtartig das Weite suchten.
      „Feiglinge!“, rief sie ihnen hinterher, bevor sich ihr Blick erneut auf Shou richtete – der inzwischen keuchend ein Stück zurückgekrochen war. Natürlich drohte er sofort mit seinem Vater…was auch sonst? Etwas anderes konnte er schließlich nicht. Er war ein noch größerer Feigling als seine zwei Freunde.

      Ayumi konnte nicht anders, als leicht zu grinsen, als sie Harutos Worte hörte. Als Shou erneut den Mund aufmachte, hatte Haruto ihn bereits an der Kehle gepackt und wieder in den Dreck gedrückt.
      Was genau er ihm zuflüsterte, konnte Ayumi nicht verstehen – doch Shous Gesichtsausdruck verriet mehr als genug. Es konnte nichts Gutes gewesen sein.
      Als Haruto schließlich von dem Tyrann abließ und sich ihr zuwandte, strich Ayumi sich die zerzausten Haare – mehr oder weniger erfolgreich – wieder zurecht. Doch seine Worte passten ihr nicht. Sie trat einen Schritt auf ihn zu und drückte ihm den Zeigefinger gegen die Brust. „Also wenn überhaupt, krieg ich nur Ärger wegen meinen eigenen Entscheidungen. Also sag das nicht – sonst geb ich dir gleich eine auf die Mütze, hörst du?“
      Ihr Gesicht war ernst – für einen Moment. Dann huschte ein Lächeln über ihre Lippen, weich und ehrlich.
      "Komm...lass uns heute schwänzen.“, flüsterte sie kurzerhand mit einem verschlagenen Grinsen, drehte sich um und lief zurück zu der Stelle, an der ihr Rucksack noch immer lag.

      Doch als sie über Harutos letzte Worte nachdachte, verschwand ihr Lächeln ein wenig. „Meine Eltern hassen dich nicht…sie sind nur...schwierig, weißt du?“, sie sprach leise, fast zögerlich, als sie wieder auf ihn zuging und sich dann kurz umsah.
      „Sag mal…und was ist eigentlich mit deinem Rucksack passiert?“
    • Haruto spürte den mahnenden Finger auf seiner Brust. Er wollte schon danach greifen, doch die angedrohte Prügel ließ ihn zögern.
      "Aber..." Antwortete er auf die Frage ob sie schwänzen wollen. Doch das Mädchen war bereits zu ihrem Rucksack gelaufen.
      Shou hatte die Gelegenheit ebenfalls genutzt und war abgehauen. Nur sein Rucksack stand noch da. Jedoch nicht lange, denn Haruto schleuderte ihn ohne große Umschweife in den kleinen Fluss, in dem auch sein Rucksack eine kostenlose Rundfahrt genießen durfte.

      "Wenn du das sagst..." Er wollte ihr nicht widersprechen. Sie kannte ihre Eltern besser. Doch Haruto war nicht dumm. Er kannte die Blicke und meist waren diese nicht besonders wohlgesonnen. "Der wird unten am Mühlbach angespült worden sein. Muss ich später holen." Lachte der Junge, denn besonders viel war eh nicht drinnen gewesen. Der Schwarzhaarige spuckte nochmal kräftig aus und stieß dann das Mädchen, mit dem flachen Hand, gegen die Schulter. "Ayumi. Deine Fäuste sind nicht zum Kämpfen da. Sondern um Wäsche zu waschen und Kuchen zu backen. Und außerdem kommst du immer zu spät. Was soll nur aus dir werden?" Imitierte Haruto die Stimme des Lehrers und rannte dann los, um so schnell es ging raus aus dem Dorf und rein in die saftig grünen Felder zu kommen.

      Sie rannten durch die Straßen, vorbei an Bewohnern die Karren voller Obst vor sich her schoben. Hindurch, an den Touristen vorbei und schließlich über die kleine Brücke, unter der der Mühlbach hindurch floss. Unweit der Brücke gab es eine kleine Sandbank, die gleichzeitig die Kurve war, bevor das Wasser durch die ersten Wassermühlen floss. Das meiste Treibgut landete hier. Zum Glück auch der Rucksack des Jungen. Shous Rucksack war bisher noch nicht angekommen. Haruto hoffte, dass dieser irgendwo in den Rohren stecken geblieben war.
      Da der Rucksack da lag konnten sie nun weiter ziehen. "Wald, Plantage oder Höhle? Welch wildes Abenteuer wollt ihr dieses Mal erleben?" Zählte der Junge die gängigen Möglichkeiten auf. Die Höhle lag nicht weit von hier am unteren Ende des Baches. Letzten Sommer hatten sie damit begonnen die Gänge zu erweitern und abzustürzen. Leider hatten beide immer wieder Ärger wegen ihrer verschmutzten Kleidung bekommen.
      Der Wald war zwar klein, aber dort hatten sie einen Platz, an dem sie niemand großartig störte. Meistens dachten sie sich ein Abenteuer aus und taten so, als würden sie die Welt vor den Dämonen Retten.
      Und die Plantage, ja dort gab es mittlerweile Früchte und die zu stehlen ohne erwischt zu werden, war eine wahre Kunst. Alle Kinder hatten Lust auf frisches Obst. Es war ein regelrechter Wettstreit in der Klasse wer mehr ergattern konnte ohne erwischt zu werden.
      I think everyone was aware, that the bird is the word.
    • Ayumi schnaubte leise, als Haruto die mahnenden Worte des Lehrers so perfekt imitierte. Wäsche waschen. Kuchen backen.
      Diese Worte hatte sie in ihrem Leben schon oft genug gehört. Und das Schlimmste daran war: Auch ihre Eltern teilten diese Denkweise.
      Sie hatte sie schon öfter belauscht – spät am Abend, wenn sie dachten, sie schlafe längst tief und fest in ihrem Futon. Mehr als einmal hatten sie über das Heiraten gesprochen. Wer wohl der „perfekte Kandidat“ wäre. Und über Kinder. Natürlich über Kinder. Das waren Themen, über die Ayumi nicht nachdenken wollte. Nicht jetzt. Vielleicht nie.
      Sie wollte nicht heiraten. Sie wollte nicht für immer an dieses Dorf gefesselt sein, wie ein hübscher Vogel im goldenen Käfig. Sie wollte reisen – durch ganz Japan, vielleicht sogar noch darüber hinaus. Fremde Orte sehen. Neue Menschen treffen. Frei sein.
      Doch sie wusste auch: Diese Gedanken durfte sie niemals laut aussprechen. Nicht vor ihren Eltern. Und schon gar nicht vor ihren Lehrern.

      Ihr Unmut über diese Worte hielt aber nicht lange an, denn schon rannten sie gemeinsam zum Mühlbach, um Harutos Rucksack zu suchen.
      Glücklicherweise war er bereits angespült worden – halb durchnässt, aber noch intakt.
      Wald.“, antwortete sie knapp – ein schiefes Grinsen auf den Lippen.
      „Die Plantage können wir vergessen. Wenn man uns da sieht, wird direkt unser Lehrer informiert…und meine Eltern gleich mit. Dann wäre unser Abenteuer viel zu schnell vorbei.“

      Sie rannten weiter – direkt hinein in den kleinen Wald. Nicht weit dahinter lag ein anderer Wald. Ein Ort mit riesigen, alten Bäumen, deren Kronen so dicht standen, dass kaum ein einziger Sonnenstrahl den Boden erreichte. Er war nichts wie der helle, freundliche Wald, den sie kannten. Kein Zwitschern. Kein Wind. Nur Schatten, Stille und dieses dumpfe Gefühl, beobachtet zu werden.
      Das allein machte diesen Teil des Waldes schon unheimlich genug – doch das war nicht alles. Denn in diesem Wald lag ein verlassener, alter Friedhof. Und es war kein Zufall, dass den Dorfbewohnern – besonders den Kindern – strengstens verboten worden war, sich dem Friedhof zu nähern. Betreten war ohnehin undenkbar. Denn der Friedhof lag im Schatten. Vom Sonnenlicht geschützt.
      Ein idealer Ort für Dämonen, so heißt es. Auch wenn dort bisher noch nie einer gesehen worden war.

      Auf dem Weg zu ihrem üblichen Platz im hellen Wald blieb Ayumi plötzlich stehen. Ein neugieriges Glitzern trat in ihre Augen, als sie zu Haruto aufblickte.
      „Sag mal… wollen wir vielleicht mal zur Grenze gehen? Du weißt schon, wo der helle Wald aufhört und der dunkle anfängt?“, ihre Stimme klang beinahe beiläufig, fast wie eine harmlose Idee.
      „Ich weiß, wir dürfen da eigentlich nicht hin… aber wir müssen ja nicht wirklich reingehen, oder?“, sie lächelte leicht, fast entschuldigend. „Ich will nur mal schauen. Ganz kurz. Nur gucken.“
    • Haruto nickte zustimmen, als das Mädchen beschloss in den Wald zu gehen, da es auf der Plantage zu riskant war gesehen zu werden. Sie hatte Recht und das wusste der Junge auch. Wahrscheinlich kam sein Vorschlag dadurch zustande, dass er heute nur eine winzige Schüssel Reis mit Brühe bekommen hatte.
      Dennoch war die Schüssel Reis jetzt sein geringstes Problem. Der Wald sollte es also sein.
      Die Kinder rannten weiter in den kleinen Wald. Haruto mochte es hier, denn es war hier meist friedlich und vor allem ohne Menschen.

      Plötzlich blieb Ayumi stehen. Ihre Augen verrieten dem Jungen bereits, dass sie wieder eine wahnwitzige Idee zu haben schien. Doch gerade dieser Wahnsinn machte es immer so aufregend. Gespannt hing Haruto an ihren Lippen.
      Ihr Vorschlag verunsicherte ihn etwas, denn er war etwas wahnsinniger als sonst. "Nur gucken?" Erkundigte sich der Junge und begann verschmitzt zu grinsen. "Is klar." Lachte er und rannte weiter durch den heute äußerst fröhlichen Wald.

      Als nach einer kurzen Weile die Grenze erreichte, man konnte sie ganz deutlich daran erkennen, dass die Bäume höher, älter und viel dichter wurden. "Boa ist das beeindruckend!" Stieß Haruto aus und näherte sich fasziniert den dicken massiven Stämmen, die zuerst zwischen den üblichen Bäumen standen und dann auf einmal, wie eine Einheit, einen eigenen Wald zu bilden schienen. Es war plötzlich ruhig, dunkler und irgendwie auch kälter. Selbst der leichte Luftzug, der die Kronen der Bäume leicht rauschen ließ, hatte aufgehört zu wegen. Der Junge trat automatisch ein paar Schritte weiter in den dunklen Wald hinein, blieb an den Bäumen stehen, die mit Talismanen die Grenze zum verbotenen Wald zeichneten. Die tiefe Ruhe, das Waldstück ausstrahlte, suggerierte Haruto keine Gefahr. Viel mehr versprach es ihm Sicherheit, denn niemand würde freiwillig auch nur einen Fuß hier her setzten.

      Sein Blick lag wieder auf Ayumi. "Also ich hab keine Angst. Weiß gar nicht was alle haben." Gab der Junge kund und blinzelte herausfordernd. "Hast... du etwas Angst?" Mit diesen Worten trat er einen Schritt über die Grenze und begann stolz zu grinsen.
      -Nur gucken, wie immer eben.
      I think everyone was aware, that the bird is the word.
    • Ehrfürchtig betrachtete Ayumi die riesigen, alten Bäume, die selbst dem Mutigsten Respekt einflößen konnten. Für einen Moment verlor sie sich in der Stille – in der Dichte des Schattens, der zwischen den knorrigen Stämmen hing wie ein schwerer Vorhang.
      Doch sie wurde jäh aus ihren Gedanken gerissen, als Haruto plötzlich verkündete, dass er keine Angst hatte und bereits einen Schritt über die Grenze trat.
      Sie sah die Herausforderung in seinen Augen. Und natürlich wollte sie ihrem besten Freund in nichts nachstehen. Also trat sie selbst zwei Schritte über die Grenze, ihr Grinsen spiegelte das von Haruto.
      „Angst?“, fragte sie und grinste noch breiter. „Ich habe keine Angst. Ich lache der Angst ins Gesicht.“
      Dann wandte sie sich dem dunklen Wald zu, stemmte die Fäuste in die Hüften und rief: „Hörst du mich? Ich lach dir ins Gesicht! Ha! Ha! Haaa!“

      Doch als plötzlich das Heulen einer Eule durch den Wald hallte, quietschte Ayumi erschrocken auf und sprang mit einem Satz näher an Haruto heran. Ihre Wangen färbten sich augenblicklich rosa vor Scham, und sie räusperte sich verlegen.
      „Das, uhm...“, murmelte sie und winkte schnell ab, als wollte sie die Szene ungeschehen machen.
      Ihr Blick wanderte zurück in den dunklen Wald – sie wusste, dass der Friedhof nicht mehr weit entfernt war. Er lag direkt hinter diesen Schatten. „Wollen wir... näher an den Friedhof heran?“
      Sie klang plötzlich wieder neugieriger – ein wenig vorsichtiger vielleicht, aber nicht weniger entschlossen.
      „Hab ich dir eigentlich erzählt, dass Reki letztens behauptet hat, er sei hier gewesen? Ich glaub ihm kein Wort. Der hat doch Angst vor seinem eigenen Schatten.“
    • Herausfordernd und amüsiert zugleich, beobachtete Haruto das Schauspiel, zog sogar noch einen Schritt mit. Plötzlich sprang Ayumi mit einem seltsamen Geräusch auf ihn zu, als eine Eule ihren Ausruf zu beantworten schien.
      Irritiert besah er sich das Mädchen und musste unweigerlich lachen. "Brauchst du jetzt neue Unterhosen?"

      Schließlich folgte sein Blick dem Ihren, weiter in den dunklen Wald hinein. Die Bäume schienen dort hinten noch ein gutes Stück dichter und kräftiger zu werden. Haruto sah Ayumi belustigt an, als die Reki erwähnte. "Du meinst Nachtlicht-Reki? Bestimmt." antwortete er, zögerte aber noch einen Moment los zu gehen. "Wenn du den Friedhof sehen möchtest... dann gehen wir da auch hin." Beschloss der Junge selbstsicher. Er hatte keine Angst davor von den Dämonen erwischt zu werden. Doch die Sorge, dass Ayumi etwas passieren könnte, ließ ihn nun doch etwas aufmerksamer werden.
      Dennoch setzte er beherzt einen Fuß vor den Anderen und zeigte dabei keine Zweifel, dass er genau wusste was er tat.

      Es dauerte nicht lange, bis die beiden Kinder den äußerst dunkel gelegenen Friedhof erreichten. Hier war definitiv sehr lange niemand mehr gewesen, denn selbst die Pflanzen die das Grundstück überwuchert hatten, waren bereits mehrfach abgestorben und nachgewachsen. Schwer vorstellbar, dass Nachtlicht-Reki es überhaupt bis über die Grenze geschafft haben konnte.
      "Voll cool." Flüsterte Haruto, als sie nahe genug waren um die alten Grabsteine zu erkennen. "Weißt du wen die hier so verbuddelt haben?" wollte er wissen und schritt bis an den kleinen, verfallenen, Zaun, der das Grundstück vom Rest des Waldes trennte.
      Es war nun noch ein ganzes Stück dunkler und gefühlt noch ruhiger. Fast schon so, als hätten sie eine andere Welt betreten.
      Und aus irgendeinem Grund fühlte sich Haruto auch noch beobachtet. Seine Blicke konnten allerdings niemanden im direkten Umfeld erkennen. Das mulmige Gefühl musste wohl vom Friedhof selbst stammen.
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    • Ayumi schüttelte leicht den Kopf, als Haruto sie fragte, ob sie wüsste, wer hier begraben sei.
      „Nein, ich habe keine Ahnung.“, antwortete sie leise und ließ ihren Blick aufmerksam über die verschiedenen alten Grabsteine wandern.
      Unweigerlich hielt sie sich dicht an Harutos Seite. Natürlich hatten sie beide keine Angst – das war klar. Aber... es war wohl trotzdem besser, sich nicht zu weit voneinander zu entfernen. Nur zur Sicherheit.
      „Ich könnte meine Eltern fragen. Aber wenn ich den Friedhof auch nur erwähne, werden sie sofort wissen, dass wir hier gewesen sind.“
      Sie verzog das Gesicht bei dem Gedanken und schnitt eine genervte Grimasse.
      „Und wenn sie das herausfinden, kriegen wir noch mehr Ärger als sonst schon.“

      Ayumi seufzte leise und schüttelte den Kopf. Ihre Wangen hatten inzwischen wieder ihre normale Farbe angenommen. Mittlerweile war sie sich sicher: Nachtlicht-Reki hatte niemals auch nur einen Fuß auf diesen Friedhof gesetzt.
      Gemeinsam traten sie weiter zwischen die Gräber – vorsichtig, aber stetig. Ayumi spürte, wie sich die Luft veränderte. Es kühler und schwerer.
      Ein Teil von ihr befürchtete, dass sie jeden Moment auf alte Knochen treten könnten...doch diesen Gedanken sprach sie nicht laut aus.
      Nicht nur, weil der Gedanke selbst sie fröstelte – sondern auch, weil sie vor Haruto nicht wie ein noch größerer Angsthase dastehen wollte.

      Sie atmete tief ein und trat näher an einen der größeren Grabsteine heran. Neugierig kniete sie sich leicht hin und versuchte, den Namen zu erkennen – doch es war zwecklos. Der Stein war zu stark verwittert, überzogen von Schmutz und tiefen Kratzspuren.
      Ayumi zog leicht die Augenbrauen zusammen. Vorsichtig strich sie mit den Fingerspitzen über die eingeritzten Spuren, spürte, wie rau und beschädigt die Oberfläche war.
      „Warum ist der Name zerkratzt...?“, murmelte sie leise – mehr zu sich selbst als zu Haruto. Ihre Stimme klang nachdenklich, fast flüsternd, als würde sie die Toten nicht stören wollen. Dann hob sie den Blick, sah über ihre Schulter wieder zu Haruto.
      „Meinst du, die anderen Kinder im Dorf glauben uns, wenn wir ihnen sagen, dass wir hier gewesen sind?“
    • Der Junge schritt zusammen mit dem Mädchen über den geisterhaften Friedhof. Es war so still, dass er meinte ihre beiden Herzen schlagen zu hören. Beide ließen sich ihre Anspannung aber nicht anmerken. Viel zu groß war die Challenge der Mutigere zu sein. Als sie einen großen Grabstein erreicht hatten und Ayumi diesen untersucht hatte, befragte sie Haruto zu den Kranzspuren. Dieser kniete sich neben das Mädchen und verschaffte sich zuerst selbst ein Bild. Die Kratzer sahen nicht aus, als wären sie natürlich in den Sein gekommen. Jemand oder etwas hatte sie mit einem Werkzeug bearbeitet.
      Der Junge drehte den Kopf zu seiner Begleitung und zögerte, als sich ihre Blicke trafen. Schon wieder waren sie so dicht zusammen. "Also... keine Ahnung? Vielleicht haben die Leute hier was ganz schlimmes angestellt?" Spekulierte Haruto. Über den Beweis hatte er sich hingegen schon mehr Gedanken gemacht. Stolz richtete er sich auf und zog ein kleines Messer aus seiner Hosentasche. "Wir können unsere Namen in den Baum da rein ritzen. Und wers nicht glaubt muss selbst her kommen und nachsehen."
      Erklärte er seinen Plan. "Oder siehst du was, dass wir als Beweis mitnehmen können?" Erkundigte er sich und half ihr wieder auf die Beine. Dann sah er sich noch einmal genauer um, doch außer ein paar rostigen Streben und alten Grabkerzen konnte er nichts entdecken.
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    • Ayumi nickte nur langsam über Harutos vage Spekulation und warf noch einmal einen Blick auf den zerkratzten Grabstein, bevor sie sich von ihm wieder auf die Beine ziehen ließ. Als sie dann das kleine Messer in seiner Hand bemerkte, weiteten sich überrascht ihre blauen Augen. „Wo hast du denn das Messer her, Haruto?“, fragte sie und sah ihm direkt ins Gesicht.
      Ihre Blicke trafen sich und für einen Moment schien es, als würde der Wald den Atem anhalten.

      Sie dachte über seinen Vorschlag nach und ließ den Blick zu dem Baum wandern, den er gemeint hatte. Ihre Namen in die Rinde zu ritzen... das wäre tatsächlich ein Beweis. Einer, der wohl für immer dort bleiben würde.
      Trotzdem ließ Ayumi den Blick noch einmal über den Friedhof schweifen – in der vagen Hoffnung, vielleicht doch noch etwas zu entdecken, das sie mitnehmen konnten. Aber da war nichts.
      Nichts wirklich Interessantes. Nichts, das beweisen würde, dass sie hier waren. „Weißt du... vielleicht brauchen wir gar keinen Beweis für die anderen, dass wir wirklich hier gewesen sind.“, begann sie nachdenklich und sah ihn wieder an.
      „Es reicht doch vollkommen, wenn wir es wissen. Wenn das unser ganz eigenes Geheimnis bleibt.“

      Ein leises Grinsen schlich sich auf ihr Gesicht zurück. „Gut. Lass uns unsere Namen in den Baum ritzen. Und wenn wir eines Tages nochmal herkommen sollten, dann werden wir uns immer an den heutigen Tag erinnern.“
      Behutsam nahm sie ihm das Messer aus der Hand und schritt mit erhobenem Kopf auf den Baum zu. Ohne zu zögern begann sie, ihren Namen in das dunkle Holz zu ritzen. Die Rinde gab nach, das Messer glitt ruhig über die Oberfläche – Buchstabe für Buchstabe.
      Als sie fertig war, verharrte sie einen Moment.
      Ihr Blick wurde nachdenklich, während ihre Finger noch leicht das eingeritzte Zeichen berührten. Dann wandte sie sich langsam wieder Haruto zu. „Meinst du... wir werden wirklich für immer Freunde bleiben?“
    • Haruto zögerte kurz, ehe er die Frage mit dem Messer beantworten konnte. "Naja... Es ist geliehen." gestand der Junge dem Mädchen und wich dabei ihrem Blick aus. Er wollte sie nicht anlügen. Außerdem hatte er wirklich vor gehabt das Messer irgendwann zurück zu geben.

      Beide hielten Ausschau nach einem passenden Beweis, doch wurden nicht fündig. Ayumis Entschluss doch keinen extra Beweis zu brauchen, nickte Haruto lächelnd ab. "Wie ichs gesagt hab. Wers nicht glaubt muss selbst her kommen und unsere Zeichen suchen. Das ist doch viel cooler als das Gerümpel, dass hier rum liegt." Stimmte der Junge zufrieden zu und ließ sich das Messer aus der Hand nehmen.

      Er beobachtete ganz genau, wie sie sorgfältig ihre Zeichen in die Ringe ritzte. Als sie damit fertig war, tat er ihr es gleich. Auf Ihre Frage hin, stoppte er seine Handlung und betrachtete sie mit ernstem Blick. Natürlich wünschte er sich für immer mit ihr befreundet zu sein. Doch sein ganzes Leben hatte er gelernt, dass Wünsche nun mal Wünsche sind und diese oft nicht in Erfüllung gehen. Ein seltsamer Schmerz fur ihm bei dem Gedanken ins Herz. Nein, dieses Mal konnte und wollte er ihr nicht sagen wie er wirklich darüber dachte.
      "Aber klaro!" Antwortete er auf ihre Frage und wollte gerade seine Schnitzerei beenden, als er mit dem Messer abrutschte und sich in den Finger schnitt.
      Reflexartig, ließ der Junge das Messer fallen und beobachtete, wie das rote Blut in kleinen Tropfen zur Erde tropfte. Kurz darauf erfüllte ein gespenstischer Windhauch die Umgebung. Haruto blickte Ayumi mit einem fast schon bösartigen Lächeln an und meinte: "Wir können das auch mit Blut besiegeln. Ein Versprechen ist mehr wert als ein Wunsch." Er hob das Messer vom Boden auf, wischte die Klinge sauber und schnitt sich ohne zu zögern in die gleiche Hand, welcher er dem Mädchen auffordern hin streckte. Er rechnete nicht damit, dass sie darauf ein ging. Sie war hart, stark und mutig. Manchmal vielleicht auch etwas verrückt, aber sicherlich nicht auf diese Art.
      "Ich verspreche dir für immer dein Freund zu sein." Sagte er feierlich, woraufhin erneut ein heftiger Windstoß durch die sonst so stillen Bäume ging. Haruto äußerte seine Vermutung nicht, doch er hatte bemerkt, dass der Wind in kurzer Zeit aus unterschiedlichen Richtungen gekommen war. Es deutete alles auf ein Unwetter hin.
      I think everyone was aware, that the bird is the word.
    • Ayumi zog leicht die Augenbrauen hoch, als Haruto ihr erklärte, dass er sich das Messer „ausgeliehen“ hatte.
      „Ausgeliehen...“, wiederholte sie langsam und musterte sein Gesicht ein wenig genauer, ehe sie seine Aussage schließlich nur stumm abnickte.
      Dass sie ihm die Geschichte nicht ganz abnahm, behielt sie für sich. Das Letzte, was sie wollte, war, ihren besten Freund vor den Kopf zu stoßen. Er hatte es oft schon schwer genug – besonders, wenn sie darüber nachdachte, wie man ihn im Dorf behandelte.

      Sie beobachtete ihn nun dabei, wie er seinen Namen neben ihren in die Rinde ritzte. Doch als er abrutschte und sich in den Finger schnitt, zuckte sie unwillkürlich zusammen. Ein Stich – als hätte sie selbst den Schmerz gespürt. Sie öffnete bereits den Mund, um ihn zu fragen, ob alles in Ordnung sei – doch da fegte plötzlich ein Windhauch durch die Umgebung.
      Ein kalter, unangenehm trockener Hauch. Ayumi fröstelte, ein eiskalter Schauer lief ihr über den Rücken. Etwas in ihr zog sich zusammen – ein flaues, ungutes Gefühl breitete sich in ihrem Magen aus. Doch sie zwang sich, es hinunterzuschlucken. Nicht jetzt. Nicht hier. Und erst Recht nicht vor Haruto.

      Als Haruto nun vorschlug, ihre Freundschaft mit Blut zu besiegeln, weiteten sich Ayumis Augen überrascht. Doch noch ehe sie reagieren konnte, hatte er sich bereits mit dem Messer in die Handfläche geschnitten. Etwas an seinem Lächeln fühlte sich... falsch an.
      Nicht unecht – aber irgendwie fremd. Anders als sonst.
      Als er sein Versprechen laut aussprach, peitschte ein erneuter, heftiger Windstoß über den Friedhof. Die Bäume knarrten. Das Gras legte sich für einen Atemzug flach. Es war, als hätte der Wind selbst gelauscht.
      Zu ihrer eigenen Überraschung zögerte Ayumi keine Sekunde. Ehe sie darüber nachdenken konnte, hatte sie Haruto bereits das Messer wieder aus der Hand genommen und ließ die Klinge ohne weiteres Zögern in ihre eigene Handfläche gleiten.

      Sie verzog kaum das Gesicht, als der Schmerz ihren Körper durchzuckte und das Blut langsam aus ihrer Hand quoll. Das würde eine Narbe geben - so viel stand fest.
      Langsam ließ sie das Messer sinken und hob den Blick, um Haruto direkt in die Augen zu sehen. „Und ich verspreche dir auch heute – bis in alle Ewigkeit – deine Freundin zu sein. Egal, was auch passieren mag.“
      Mit diesen Worten griff sie nach seiner Hand und schloss ihre Finger fest um seine. Blut traf auf Blut. Zwei Schnitte, zwei Versprechen – und eins davon vielleicht zu groß für einen einzigen Moment.
    • Haruto war sehr überrascht, als sie ihm das Messer aus der Hand nahm und auch ihre Versprechen laut aus sprach. Die Hände der Kinder umschlossen sich und ein seltsames Gefühl keimte in dem Jungen auf. Es war eine Mischung aus Sehnsucht und Hass.
      Sehnsucht nach der Güte und der Herzlichkeit, die er so sehr schätzte. Hass, auf dieses unglaublich schlechte Dorf, in dem wohl nur eine einzige Person gut zu ihr war. Und diese hatte er nun dazu gebracht sich für ihn zu verletzten.
      Trotzdem ließ er die Hand des Mädchens nicht los, sondern hielt sie weiter sehr fest.
      Ein noch kräftigerer Windstoß schien die Beiden auseinander treiben zu wollen.

      Haruto fühlte sich plötzlich etwas seltsam. Sein Kopf pochte und seine Magengrube zog sich merklich zusammen.
      "Jetzt bekommen wir garantiert Ärger von deinen Eltern." Scherzte er und löste langsam die seine Hand von ihrer. Es hatte aufgehört zu bluten. Den Rest wischte er an seiner Hose ab. Es war einen Moment still. Der Wind hatte sich gelegt, doch das Pochen in seinem Kopf war schlimmer geworden. Es schien, als würde der Druck in seinem Kopf immer weiter steigen. Ein kaltes, ekelhaftes Gefühl der Fülle, als würde man versuchen seinen eigenen Geist aus dem Körper zu pressen.
      Haruto sammelte sich wieder und schloss anschließend die Hände des Mädchens in seine, um mit seinem Hemd die groben Reste um den Schnitt zu säuber. Er wollte nicht auch noch die Schuld dafür haben, dass ihre Mutter die Kleidung wegwerfen musste.
      Als alles gereinigt war, sah er sie eindringend an. "Es tut mir Leid. Ich weiß nicht was über mich gekommen ist." Entschuldigte er sich leise, ihre Hände fest umschlossen. "Ich möchte hier weg. Dieser Ort macht mir Angst." Gestand er. Es war das erste Mal, dass er so etwas wie Angst spürte. Nicht um sich selbst, sondern um das was er ihr hier sonst noch im Stande wäre anzutun.

      Die Zeit war plötzlich wirklich schnell vergangen. Im dunklen Wald schien es von jetzt auf gleich immer dunkler zu werden.
      Haruto ließ die Hände des Mädchens wieder los und sagte auffordern. "Gehen wir zurück, bevor man uns noch sucht."



      I think everyone was aware, that the bird is the word.
    • Ayumis Hand zuckte unwillkürlich, als Haruto mit seinem Hemd das restliche Blut von ihrer Handfläche wischte. Sie beobachtete ihn still dabei und hob langsam den Blick, als er mit eindringlicher Stimme erneut das Wort ergriff.
      „Dir muss nichts leid tun.“, antwortete sie leise, aber mit fester Stimme.
      Als er schließlich zugab, dass er fortwollte und dieser Ort ihm Angst machte, nickte sie verständnisvoll. In ihren Augen lag kein Hohn, kein Spott. Nichts davon. Nur ehrliches Verständnis und Sorge.
      „Es ist nichts Schlimmes, Angst zu haben, Haruto. Angst bewahrt uns vor unbedachten Entscheidungen. Und Angst… zeigt, dass wir noch menschlich sind.“, sagte sie, ohne den Blick von ihm abzuwenden.
      Als er ihre Hände schließlich losließ, nickte sie erneut, ließ die Arme locker an ihre Seiten sinken und ging gemeinsam mit ihm los.
      „Dann lass uns gehen...“

      Der Rückweg verlief schweigend. Beide Kinder liefen stumm nebeneinander her, während sie den Friedhof – mitsamt dem verbotenen Wald – hinter sich ließen.
      Ayumi bewegte ihre verletzte Hand immer wieder leicht und verzog dabei kaum merklich die Mundwinkel. Beim Abendessen würde sie aufpassen müssen, dass weder ihr Vater noch ihre Mutter die Wunde bemerkten. Allein dafür, dass sie heute die Schule geschwänzt hatte, würde es sicher schon genug Ärger geben.
      Je näher sie dem Dorf kamen, desto lauter wurden die Stimmen, die ihren Namen riefen. Es waren die Stimmen ihrer Eltern – und auch einige Nachbarn mischten sich darunter. Doch je öfter Ayumis Name durch die Luft hallte, desto deutlicher wurde, dass niemand nach Haruto rief. Nicht ein einziges Mal.
      Der Gedanke schnürte ihr den Magen zusammen. Sie warf ihm aus dem Augenwinkel einen mitleidigen Blick zu – wohl wissend, dass er kein Mitleid wollte. Aber trotzdem: Wie sehr sie sich wünschte, ihm all diesen Schmerz nehmen zu können. Wie sehr sie sich wünschte, dass er ein normales Leben hätte. Nicht im Heim. Sondern bei einer Familie, die ihn liebte.

      Kaum hatten sie einen Fuß aus dem Wald gesetzt, wurden sie auch schon von Ayumis Vater entdeckt, der sofort mit schnellen, entschlossenen Schritten auf die beiden Kinder zustürmte.
      Der Himmel dämmerte bereits – erst jetzt wurde Ayumi bewusst, wie sehr sie die Zeit im Wald aus den Augen verloren hatten.
      Als ihr Vater sie erreichte hatte, öffnete sie den Mund, um etwas zu sagen, sich zu erklären. Doch so weit kam sie gar nicht. Noch bevor eines der Kinder reagieren konnte, hob der Mann die Hand und im nächsten Moment zeichnete sich ein roter Abdruck auf Harutos linker Wange ab.
      „Ich habe zugesehen, lange genug. Aber jetzt ist Schluss!“, seine Stimme bebte vor Wut, während er auf Haruto hinabstarrte.
      „Du bist eine Gefahr – für dieses Dorf, und ganz besonders für meine Tochter.“, er trat einen Schritt näher, der Blick hart wie Stahl.
      „Dich sollte man aus dem Dorf werfen, bevor du noch mehr Unheil anrichtest.“, ein bitteres Schnauben folgte.
      „Was glaubst du eigentlich, wer du bist? Du bist nichts. Ein Niemand. Ein Taugenichts.“, er zeigte auf Haruto, als wolle er ihn mit dem Finger aus der Welt stoßen. „Halte dich von meiner Tochter fern – und zwar für immer!“

      Mit diesen Worten packte er Ayumi grob am Handgelenk, um sie wegzuzerren. Sie versuchte zu protestieren, doch noch ehe sie mehr als ein Wort hervorbringen konnte, zuckte seine Hand erneut und kurz darauf zierte auch ihr Gesicht ein roter Handabdruck.
    • Der Rückweg ins Dorf verlief recht reibungslos. Von weitem waren die Stimmen einiger Dorfbewohner zu hören. Es war nicht das ersten Mal, dass die Beiden gesucht wurde; oder zumindest Ayumi. Dem Heim war es egal ob er hier war oder nicht. Er war nur ein Maul mehr, dass man stopfen musste. Ihren mitleidigen Blick kannte Haruto nur zu gut. Sie sagte nichts weiter dazu, behielt ihr Mitleid für sich. Es war dem Jungen egal, dass niemand nach ihm suchte, solange wenigstens Ayumi einen Platz hatte an dem sie glücklich leben konnte.

      Kaum was dem Wald heraus gekommen, stürmte auch schon ein wütender Mann auf sie zu, der sich, welch Wunder, als Ayumis Vater entpuppte. Dass Haruto bei ihm unten durch war, war kein Geheimnis. Nun bekam er es allerdings direkt ins Gesicht. Nicht nur die Worte, sonder auch die Hand des Vaters. Der Junge rührte sich nicht. Kein Bisschen. Das Feuer auf seinen Wangen war nur halb so stark, wie der Schmerz in seinem Herzen, als er hörte, dass er das Mädchen zukünftig nicht mehr sehen durfte. Noch immer wortlos, starrte er den Beiden hinterher. Die Bewohner wurden allmählich ruhiger und dann sah und hörte er es. Der eigene Vater holte gegen sein Kind aus. Das Schallen der Ohrfeige traf Haruto tief im Innern, wie eine Schockwelle.

      Harutos erster Impuls war es die Fäuste zu ballen, doch mehr konnte er nicht tun. Wenn er hinter her kam würde sie nur noch mehr Ärger bekommen... oder Gewalt. Der Junge ließ also von seinem Wunschdenken ab und schlich sich wie gewohnt ins Heim zurück. Vermutlich hatte dort nicht mal jemand mitbekommen, dass er gefehlt hatte.
      Mit flammenden Wangen, schlich er durch den kleinen Vorgarten, um dann durchs Fenster in den Schlafsaal zu gelangen. Es war dunkel und... leer. Niemand war hier? Auch im Nachbarzimmer war niemand zu finden.
      Erst im Hauptraum brannte Licht. Es war eine Stimme zu hören. Als der Junge den großen Raum betrat, zeigte sich ein Bild der Verwüstung. Was war hier nur passiert? Und wer waren diese komischen Gestalten, die hier versammelt waren?
      Das Waisenhaus lag etwas Abseits der Stadt. Vermutlich hatte niemand bemerkt, dass hier etwas schlimmes passiert war.

      Die Körper der Bewohner lagen geschichtet in der Mitte des Raumes. Haruto stand wie erstarrt da. Doch anstatt Angst zu haben oder zu flüchten, grinste er zufrieden. Sein Schicksal war es also auch auf diesem Haufen zu landen. Wenigstens würde er ganz oben landen und wenigstens einmal an der Spitze sein.
      Ein blonder Mann, fein gekleidet, trat aus dem Dunkel eines Nebenraums und lachte: "Tz, Tz, Tz... Welch abstrusen Gedanken. Ich kann dir helfen deinem Schicksal eine Wendung zu geben. Du könntest auch anders an die Spitze kommen. Stärker, mächtiger, gnadenloser und vor allem: Anerkannt. Ich erkenne Potential, wenn ich es sehe." Seuselte eine Stimme. Sie kam Haruto sehr bekannt vor. Diese Aura. Das Gefühl. Fast wie der Wind auf dem Friedhof. Waren sie wegen ihm gekommen? Was ist mit Ayumi?
      Der blonde Mann nährte sich dem Jungen und tippte mit einem Finger gegen seine Brust. "Sehr viel Potential... aber ein lästiges Herz. Das ist kein Problem. Jeder muss ein Laster haben, sonst wären wir doch... keine Dämonen." Ein Raunen zog durch den Raum, die Meute schien äußerst belustigt zu sein.
      Haruto wurde klar, dass er hier nun sterben konnte oder? Was war nun die zweite Option? Einem Dämon zu dienen?
      "Was... muss ich tun?" Frage Haruto mit eiserner Entschlossenheit, denn tot konnte er Ayumi weder beschützen noch treffen. Es gab nur diesen einen Weg. Der blonde Mann grinste, als hätte er eine fette Gans serviert bekommen, die sich selbst zerteilte und in seinen Mund hüpfte.
      "Zuerst muss ich etwas tun und den Rest erledigen wir gemeinsam..." Antwortete der Mann und im nächsten Moment hatte er seine menschliche Gestalt verloren. Ein stechender Schmerz durchbohrte die Brust des Jungen. Ein Brennen durchzog seine Venen. Er spürte wie sein Herz immer langsamer schlug und alles um ihn herum dunkel wurde.

      Als er wieder zu sich kam, fühlte er erst einmal gar nichts mehr. Seine Augen gewöhnten sich sehr schnell an den dunklen Raum. Mit einem Ruck, war das Kind wieder auf den Beinen. Erst als er den blonden Mann mit seinen glühend roten Augen sah, erinnerte er sich an die Vorkommnisse. An Ayumi, die Schläge. All das was ihm die Bewohner dieses Dorfes angetan hatten.
      "Mein Name ist Madou und du bist nun mein Eigentum." verkündete der Dämon und Haruto ging, wie gesteuert, auf die Knie. "Jawohl." Antwortete er, denn sein Kopf ließ keine andere Antwort zu. "Ab heute trägst du den Namen: Jakuji. Und jetzt: Macht dieses Dorf dem Erdboden gleich." Verkündete er lachend und seine Diener begannen damit hinaus ins Dorf zu strömen. Draußen war es inzwischen tiefe Nacht geworden. Von der Heimkehr bis zur Verwandlung waren einige Stunden vergangen. "Du auch. Zeig mir was in dir steckt." Befahl Madou mit einem selbstgefälligen Grinsen und just in dem Moment entlud sich in Jakuji die ganze angestaute Wut.
      Mit einem tiefen, schmerzerfüllten, Schrei, stürmte er hinaus in die Nacht, um die zu Richten, die sich ihm in den Weg stellten.

      Es vergingen einige Minuten, doch das ganze Dorf stand plötzlich auf der Matte. Kinder weinten. Menschen Schrien. Überall brach das Chaos aus. Jakuiji hatte bereits einige Dorfbewohner auf dem Gewissen, als er aus weiter Entfernung eine vertraute Stimme hören konnte. Es war Ayumis Vater, der sich versuchte gegen einen der Dämonen zu wehren.
      Der junge Dämon konnte sich nicht mehr zurück halten, er wollte Rache. Rache für alles ungerechte.
      Mit einem kräftigen Sprung, schaffte er es gerade noch rechtzeitig den Dämonen abzuwehren, der fast Ayumis Vater getötet hätte.
      Jakuji fühlte sich mächtig und unbesiegbar. Selbst diesen Dämon hatte er, wenn auch mit Glück, in seine Schranken weisen können.
      Der Vater hob sein Schwert wieder auf und richtete es gegen den jungen Dämonen, der über und über bis zur Unkenntlichkeit mit Blut beschmiert war. Ein grauenhafter Anblick. In seinen Augen glühte purer Hass. Das Geräusch der Ohrfeige trommelte in seinem Kopf.
      Ohne dem Menschen eine Chance zum Angriff zu lassen, sprintete Jakuji auf in zu und enthauptete ihn mit der flachen Hand.

      Ein unbeschreibliches Gefühl von Zufriedenheit durchströmte seinen Körper. Und etwas sagte ihm, dass er sich an seiner Beute laben musste. Das es das war was ihn stärker machen würde. Und er ein guter Diener wäre. Und so gehorchte der junge Dämon seinem Meister und begann die Überreste zu verzehren.
      I think everyone was aware, that the bird is the word.
    • Ayumi lag wach in ihrem Bett. Nachdem ihr Vater sie nach Hause gezerrt und ihr eine gefühlt endlose Standpauke gehalten hatte, war sie – ohne Abendessen direkt ins Bett geschickt worden.
      Aber das Abendessen war wohl das Letzte, worüber sie sich gerade Sorgen machte. Ihre Wange schmerzte noch immer von der Ohrfeige, doch das Schlimmste war das Verbot, das ihr Vater ihr ausgesprochen hatte: sie durfte Haruto niemals wiedersehen.
      Der Gedanke fühlte sich an wie ein Albtraum. Wie sollte sie sich von ihrem besten Freund fernhalten? Noch dazu so kurz nachdem sie sich versprochen hatten, für immer Freunde zu bleiben?

      Sie hob ihre Hand, um sie zu betrachten – mittlerweile war sie mit einem leichten Verband umwickelt. Ayumi blickte sie für einen Moment lang an und schloss dann langsam ihre Finger zu einer Faust.
      Sie würden einen Weg finden. Einen Weg, wie sie weiterhin Zeit miteinander verbringen konnten – heimlich, hinter dem Rücken ihres Vaters und dem Rest ihrer Familie. Sie würde Haruto nicht aufgeben. Nicht, weil man es von ihr verlangte. Niemals, weil man es von ihr verlangte.
      Mit einem leisen Seufzen legte sie die Hand auf ihre Brust – direkt über das pochende Herz, das schwer vor Wehmut schlug. Das es heute so weit gekommen war...das alles so aus dem Ruder lief...das war allein ihre Schuld.
      Wenn sie Haruto nicht dazu gebracht hätte, mit ihr die Schule zu schwänzen, dann wären sie nie am Friedhof gelandet. Dann hätte ihr Vater ihn nie geschlagen. Dann... wären sie jetzt nicht in dieser Lage.

      Sie wusste nicht, wie sie es heute schaffen sollte, auch nur ein wenig Schlaf zu finden. Ihre Gedanken wirbelten – erst um die Prügelei mit Shou und seinen Freunden, dann um den verbotenen Wald und den verlassenen Friedhof...und schließlich um das Verbot ihres Vaters, Haruto jemals wiederzusehen.
      Ganz langsam begann es in ihren Augen zu brennen. Erst kaum spürbar – dann immer stärker. Aber stur, wie sie nun einmal war, weigerte sie sich, diesen Gefühlen nachzugeben.
      Hastig wischte sie sich mit dem Handrücken über die Augen, drehte sich auf die Seite und vergrub ihr Gesicht im Kissen. Sie hoffte, wenigstens etwas Schlaf zu finden. Oder... wenigstens so zu tun, als könnte sie es.

      Gerade als Ayumi glaubte, endlich in das Land der Träume hinüberzugleiten, zerriss ein markerschütternder Schrei die Stille der Nacht und riss sie in einer einzigen Bewegung in die aufrechte Sitzposition.
      Dann kam noch ein Schrei. Und noch einer. Und wieder einer.
      Ohne auch nur einen Moment zu zögern, sprang Ayumi aus dem Bett, stolperte zum kleinen Fenster ihres Kinderzimmers und riss die Holzluke auf.
      Das Bild, das sich ihr bot, wirkte, als stamme es direkt aus einem Albtraum. Überall herrschte Chaos. Gebäude brannten. Tod und Verzweiflung. Nachbarn und Freunde – Menschen, die sie kannte, mit denen sie gelacht hatte – wurden von dunklen, schattenhaften Gestalten angegriffen.
      Kreaturen, deren Umrisse in der Nacht verschwammen, deren Bewegungen unnatürlich schnell und lautlos waren. Sie stolperte rückwärts vom Fenster zurück und knallte mit der Schulter gegen die Wand.
      „Mama! Papa!“, rief sie, ihre Stimme ein panisches Krächzen. Doch keine Antwort. Stattdessen hörte sie das Krachen von Holz – näher als noch vor einem Atemzug. Dann etwas Schweres, das über das Dach ihres Elternhauses kratzte.

      Ihr Atem stockte in der Kehle und so schnell sie konnte, rannte Ayumi aus ihrem Kinderzimmer und die knarrenden Holztreppen hinunter in den Wohnbereich.
      Sie wirbelte panisch umher – doch von ihrem Vater fehlte jede Spur. Gerade wollte sie nach ihren Eltern rufen, als sie es hörte. Ein seltsames, feuchtes Schlürfen. Ein schmatzendes, widerwärtiges Geräusch, das die Stille durchbrach wie ein Messer.
      Ayumi erstarrte. Langsam wandte sie den Blick in Richtung der kleinen, offenen Küche. Und da sah sie es: ihre Mutter – reglos am Boden.
      Die Augen weit aufgerissen und leer. Blut unter ihrem Körper, zu viel Blut. Über ihr kauerte etwas. Etwas, das fraß. Langsam hob die Gestalt den Kopf und grinste. Ein breites, hämisches Grinsen voller Zähne. Viel zu vieler Zähne. Blut tropfte von seinem Kinn. Die roten Augen leuchteten im Dunkeln, als es das Mädchen anstarrte. Doch es bewegte sich nicht. Nicht sofort. Es wusste, dass das Kind nirgendwohin konnte und es Zeit hatte.

      Genau in diesem Moment brannte etwas in Ayumis Kopf durch. Etwas kippte und ihre Instinkte übernahmen. In ihrem Inneren schrie nur noch ein Wort: Überleben.
      Langsam wich sie zurück. Jeder Schritt so leise wie möglich auf dem knarrenden Holzboden. Dann, ohne noch eine weitere Sekunde zu verlieren, riss sie die Hintertür auf und rannte hinaus – hinaus in die Nacht, hinaus aus ihrem Zuhause, das nie wieder dasselbe sein würde.
      Das Dorf war in Panik. Schreie, Feuer, das Kreischen der Dämonen – es war überall. Die Chance zu überleben war verschwindend gering. Aber aufgeben war keine Option.

      Sie hatte kaum ein paar Schritte durch die brennenden Straßen gemacht, da durchzuckte es sie wie ein Blitz: Haruto.
      Ohne zu zögern änderte sie die Richtung. Ihre Füße trugen sie mit aller Kraft zum Waisenhaus. Doch als sie ankam, blieb sie abrupt stehen.
      Die Flammen schlugen hoch. Das Waisenhaus stand bereits lichterloh in Brand.
      Ayumi riss die Augen auf. Sie spürte, wie sie erneut zu brennen begannen – dieses schreckliche Brennen, das Tränen ankündigte.
      „Nein... nein, nein, nein. Haruto, bitte nicht...“, flüsterte sie, kaum hörbar.
      Doch sie wusste: für Trauer war keine Zeit. Nicht jetzt. Nicht hier.

      Gerade wollte sie weiterlaufen, weiter fliehen, als sie es hörte – ein leises Kichern, kaum mehr als ein Wispern hinter ihr.
      Und dann...Schmerz. Heiß und beißend. Eine Reihe spitzer Zähne vergrub sich in ihren rechten Arm. Ihr Schrei zerriss die Nacht und hallte durch die lodernden Gassen.
      Die Zähne drangen tiefer und tiefer. Panik flutete ihren Körper und dann erinnerte sie sich: Harutos Messer.
      Sie trug es noch immer bei sich. Instinkt und Schmerz verschmolzen zu Bewegung. Ayumi zog die Klinge, riss sie aus der verborgenen Halterung und schlug zu. Einmal. Noch einmal. Wieder und wieder.
      Mit einem wütenden Brüllen ließ die Kreatur endlich von ihr ab. Es wich zurück und hielt sich mit krallenbewehrten Händen das hässliche Gesicht.

      Doch Ayumi nahm sich gar nicht erst die Zeit um durchzuatmen. Ihre Füße zwangen sie dazu, weiter zu flüchten. Direkt aus dem Dorf hinaus, hinein in die Nacht. Das Messer fest umklammert in der linken Hand und ihr rechter Arm blutend und schwer an ihrer Seite.
      Sie hörte das Feuer hinter sich, die Schreie, das Kreischen – doch sie rannte weiter. Ihre Lunge brannte. Ihre Beine flehten um Gnade. Aber sie würde nicht anhalten. Sie würde weiterlaufen...

      ...bis die Sonne endlich wieder aufgehen würde und sie in Sicherheit war.
    • Pre-Play - Vorgeschichte: Die Jugend


      Seit der Auslöschung des Dorfes, in dem Ayumi und Haruto aufgewachsen waren, sind einige Jahre vergangen. Der Großangriff der Dämonen hatte sich im Umland herum gesprochen. Man sprach davon, dass niemand das Dorf lebend verlassen konnte. Heute ist das Dorf unter neuer Leitung wieder aufgebaut. Die Felder erneut bewirtschaftet und nur ein kleiner Friedhof, im kleinen Wald, erinnerte mit seinen Massengräbern an das was vor langer Zeit geschehen war.
      Die beiden Kinder hatten sich in dieser Zeit nicht mehr wieder gesehen und sind jeweils ihren ganz eignen Weg gegangen. Beide gingen davon aus, dass der jeweils Andre im Feuer der besagten Nacht sein Leben gelassen hatte.

      Zum aktuellen Zeitpunkt plant die Stadt Tatsumaki eines der größten Feste der Region. Das große Lichterdjubiläum soll am heutigen Abend stattfinden. Eine Feier, um die Befreiung der Stadt von den Dämonen zu würdigen.
      Viele Menschen haben sich aus den umliegenden Regionen hier versammelt, um an den Feierlichkeiten teilzunehmen. Doch nicht nur Menschen werden von dem Schauspiel angezogen. Die Dämonen haben geplant die Festlichkeit für ihre Zwecke zu missbrauchen. Ihnen entgegen stehen einige getarnte Wachtruppe der Dämonenjäger.




      Die Dämmerung hatte eingesetzt und das war das Zeichen um sich auf den Weg zu machen. Das Ziel des jungen Dämonen waren heute mindestens zwei Opfer mit hohem Potential unter erschwerten Bedingungen.
      Es war leicht einen Gegner im offenen Kampf zu konfrontieren, denn entweder man gewann oder man verlor. Um zur Elite zu gehören musste man dem Meister beweisen, dass man mehr konnte also nur zu kämpfen. Einen starken Gegner aus dem Hinterhalt zu töten war um einiges schwieriger. Vor allem gab es keinen zweiten Versuch.
      Jakuji nutzte seine neuen Kräfte gerne und hatte sich in den letzten Jahren ganz schön gesteigert. Unter den jungen Dämonen war bereits jetzt schon einer der Favoriten des Meisters. Seine Skrupellose Art und die Präzision seiner Ausführung brachten ihm ein gutes Ansehen. Lediglich sein Eigensinn schmälerte diesen Bonus etwas.
      Da er noch keine Fähigkeit hatte, um seinen Körper zu oder seine Aura zu verstecken, war er darauf angewiesen auf seine Augen und das Gespür zu vertrauen, was man ihm in die Wiege gelegt hatte.

      Lauernd wie ein Raubvogel, lag der Jugendliche auf einem der vielen Dächer und starrte hinab auf die Straßen. Durch die Dunkelheit getarnt, schien sein Körper fast mit der Umwelt der Nacht zu verschmelzen. Es war ihm bewusst, dass wahrscheinlich auch Jäger anwendend waren, doch schienen sie sich unter die Menschen gemischt zu haben. Da diese Jäger ebenfalls als Beute in Frage kamen, es aber nicht so klug wäre einen von ihnen zu töten, bevor alle ihre Aufgabe erfüllt hatten, hatten sich die Prüflinge darauf geeinigt nach Möglichkeit nur dann einen Jäger zu wählen wenn es absolut sich war, dass dieser nicht sofort auffiel, wenn er fehlte. Also gar nicht.
      Elite Dämonen mussten auch manchmal zusammen arbeiten. In diesem Fall war es eben eine Absprache für den Einzelkampf.

      Jakuji bemerkte einen äußerst stark wirkenden Mann, der deutlich angetrunken zu sein Schien. Seine Blicke folgten dem wankenden Kerl, bis dieser sich in eine Gasse begab um Urin abzulassen. Das war zu einfach.
      Der junge Dämon ließ sich vom Dach fallen, packte den Kerl von hinten und sprang mit ihm zurück aufs Dach.
      Die Wucht des Absprungs war dabei absichtlich so stark, dass der Hals des Opfers der Geschwindigkeit nicht standhalten konnte.
      Es war, als wäre nie jemand da gewesen.
      Um keine Spuren zu hinterlassen, beförderte der Dämon sein Opfer aus der Stadt heraus und beendete sein Werk.
      Frisch gestärkt und leicht angeheitert von Alkoholgehalt des Blutes, versuchte sich Jakuji wieder zu positionieren. Doch scheinbar waren die Jäger durch irgendetwas aufmerksamer geworden. Auf den Dächer standen nun einzelne Patrouillen, die Ausschau hielten.
      Er musste nun also sehr langsam und bedacht über die flachen Dächer gleiten, um den vollen Schutze der Dunkelheit und den Abstand zur Wahrnehmung der Jäger zu haben.
      I think everyone was aware, that the bird is the word.