Zeilen aus der Zelle [Michiyo & Concorde]

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    • Zeilen aus der Zelle [Michiyo & Concorde]

      Vorstellung

      @Michiyo

      Milan schluckte schwer als er vor dem Ausgang des Gefängnis stand, in dem er eine gefühlte Ewigkeit eingesessen hatte. Er war als junger Mann hineingekommen und nun … nun war er beinahe 30 und hatte immer noch genausowenig Ahnung von Leben wie damals als er durch das schwere hochbewachte Tor kam. Er war hier nur und eine Nummer gewesen. Ein Insasse von vielen und die Wärter hier brachten ihre Abscheu gegenüber ihnen deutlich zum Ausdruck. Bereits im Radio, das hier am Ausgang zur Ausgabe der letzten persönlichen Sachen stand, lief eine Nachrichtensendung.

      „Der Präsident hat heute verlautbaren lassen, dass er in den kommenden Tagen einen Gesetzentwurf in den Kongress einbringen wird, um die Einstellung von ehemaligen Gefängnisinsassen zu erschweren. Er sagte dazu: ‚Es kann nicht sein, dass diese kriminellen Ausländer auf unsere Kosten in unseren Gefängnissen sitzen und dann noch hier arbeiten! Ich werde meine Ausweisungen noch ausweiten und jeden kriminellen Ausländer wieder abschieben! Dorthin wo diese Wilden hingehören!‘ Mehrere Sozialverbände reagieren mit massiver Kritik auf den Vorschlag des republikanischen Präsidenten. Wir werden gleich mit dem Minderheitenführer im Abgeordnetenhaus sprechen, wie er den Gesetzesentwurf beurteilt. Das war Mary Walkins von American Broadcast und nun folgt das Wetter.“

      Der Wärter vor Milan legte währenddessen den Kopf schief. „Was soll das für ein Name sein? Ich kann den nicht mal aussprechen Vukik?“
      Der Braunhaarige rollte die Augen. „Ist doch egal, ich bin hier eh weg“ Seine Stimme klang genervter als er wirken wollte. Dies entging dem Gegenüber auch nicht, sodass dieser ihn misstrauisch ansah. „Ja geh besser wieder in deine Heimat“
      Milan wollte ihn gerade unterbrechen, dass er selbst US-Amerikanischer Staatsbürger ist, aber verkniff es sich dann. Es brachte nichts. „Kann ich nun meine Klamotten haben?“, fragte er stattdessen sehr klar um hier endlich fertig zu werden. Der Wärter schob einen Stapel fein säuberlich zusammen gelegter Wäsche über den Tisch, der zwischen den beiden stand, zu Milan. Er musterte die Sachen. „Wow. Nicht mal die Mühe gemacht, neue zu kaufen“, murmelte er und erkannte seine Sachen, die er damals zur Inhaftierung anhatte. Die würden ihm nur sehr knapp passen, dachte er sich und musterte das oben liegende Shirt. „Als ob wir für euresgleichen neue Kleidung kaufen“, winkte der Wärter sichtlich amüsiert ab. „Und nun los! Umziehen! Du bist nicht der einzige, der heute entlassen wird!“ Der Braunhaarige sah sich suchend nach einer Umkleide rum. Doch diese Schleuse zum Ausgang war lediglich ein schmaler Gang ohne Räume. Der Wärter lachte. „Was los? Du ziehst dich hier um! Na los!“ Milan seufzte nur leise. Es war nur eine von vielen demütigenden z, die man hier mit ihnen abzog. Er hatte jedoch kein Problem damit sich vor dem Wärter umzuziehen. Er hatte hier schon viel schlimmere Dinge tun müssen. „Wenns dich glücklich macht, Spanner“, konterte er und zog sich bereits sein Shirt aus. Der Wärter wollte wohl gerade auf ihn los gehen als er jedoch Milans breiten Oberkörper sah, gab er auf. Milan grinste amüsiert und zog sich vor dem Wärter um. Er gab seine alte orangefarbene Kleidung ab und hielt nun nur noch den letzten Brief von Monty in der Hand. Mit diesem ging er durch das sich langsam öffnende Tor nach draußen.

      Er sah auf den Brief und fragte sich, was diesen Typen dazu bewegt hatte, ihm anzubieten bei ihm eine Zeit unterzukommen. Sie kannten sich doch kaum oder doch? Ihre Briefe waren sehr nah und ab und zu entdeckte Milan an sich sogar eine sehr emotionale Seite und sogar etwas wie Zuwendung für Monty? Er schützte sich die Lippen, da sie bei diesen Gedanken trocken wurden. Was dachte er sich? Er wusste es nicht und sein Herz pochte ausnahmsweise stark. Er war aufgeregt wie er es sonst nur selten war. Würden sich die beiden in echt überhaupt verstehen? War das in den Briefen wirklich? Er spürte einen schweren Druck auf seinem Körper und sein Kopf füllte sich mit Gedankenspielen. Er schüttelte ihn um endlich davon los zu kommen und ging durch das Tor in die Freiheit. Er konnte immer noch nicht glauben, dass es nun soweit ist!

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    • Nervosität, solch ein seltsames Gefühl der inneren Unruhe, auf das in den ungeeignetsten Situationen stets Verlass war. Rational betrachtet gab es keinen Grund, die Gelassenheit zu verlieren, doch brachte das hektische Hin und Her seiner Schwester Unruhe in den 1,84 m hochgewachsenen Körper. "Würdest du diesem Schwachsinn endlich ein Ende bereiten?" Die hellblauen Augen verdrehten sich genervt, ehe sich Monty seufzend auf die Couch fallen ließ. Der braune Stoff gab sanft unter dem Gewicht seines Körpers nach, war schon damals alt eingesessen gewesen, als der Student sie vom Vormieter erworben hatte, aber erfüllte immer noch ihren Zweck als gemütliches Sitzmöbel. "Schwachsinn, ja? Du hast eindeutig nicht genügend True Crime Dokumentationen gesehen", konterte die Schwester, die in der Kochnische des offenen Wohnbereichs ihr Unwesen trieb. "Genau so fangen diese Geschichten nämlich immer an. Ein gutgläubiger Kerl, der einen Mitbewohner auf Craigslist sucht und sich irgendeinen Verbrecher ins Haus holt, der ihn dann im Schlaf ermordet, um an dessen Trust Fund zu kommen." Ihre Stimme drang nur noch gedämpft aus dem Schrank hervor, in dem sie ihren Kopf versenkt hatte. "Yee, wenn mir nach einer Moralpredigt wäre, hätte ich Dad angerufen." Mit seiner Schwester zu diskutieren, brachte selten Erfolg. Sie hatte den Dickkopf ihrer Mutter geerbt – eine Eigenschaft, die in der Familie Langford offenbar nicht zu kurz kam. Eine weitere Antwort folgte nur in Form von Kopfschütteln, bevor sie weiter die Küchenschubladen von jeglichen scharfen und spitzen Gegenständen befreite.

      "Außerdem weiß er weder vom Trust Fund, noch von sonst dergleichen. Und wie soll ich hier kochen, wenn du mir alle Messer wegnimmst?" Monty trat nun doch an seine Schwester heran, um die Küchenutensilien entgegen ihrem vorherigen Fleiß an den vorgesehenen Plätzen zu verstauen. Seine Finger strichen über den Holzgriff des Brotmessers – seltsam, wie alltägliche Gegenstände plötzlich fragwürdig erscheinen konnten.
      "Der Typ kann froh sein, dass er ein Dach überm Kopf und ein weiches Bett hat. Über Take-Out wird er sich schon nicht beschweren."
      "Die Messer leuchten mir ja ein, aber der Gemüseschäler?" Monty konnte sich beim Anblick des bunten Plastikstücks das Schmunzeln kaum verkneifen. Die Vorstellung, dass jemand mit diesem lächerlichen Gerät ernsthaften Schaden anrichten könnte, war absurd.
      "Noch nie 'Schweigen der Lämmer' gesehen?" Sie blies sich eine widerspenstige Haarsträhne aus dem Gesicht und sah ihn mit hochgezogenen Augenbrauen an.
      "Es steht nicht mal fest, ob er mein Angebot in Anspruch nimmt." Monty ließ sich wieder auf die Couch sinken und zog sein Handy aus der Tasche. Auf seinen letzten Brief folgte noch keine Antwort. Möglicherweise war er noch auf der Poststelle im Umlauf und würde noch eintrudeln. Denkbar wäre auch, dass Monty mit seiner Hilfestellung, dem Hinterlassen seiner Adresse sowie seiner Handynummer zu weit gegangen war und Milan verjagte. Hatte er es sich anders überlegt? Der Gedanke hinterließ einen bitteren Nachgeschmack.

      "Ty, du hast das Herz am rechten Fleck. Dein Aktivismus, deine Überzeugungen, selbst die Teilnahme am Programm, alles schön und gut. Aber einen Häftling bei dir wohnen lassen?" Ihr Aufräumwahn hielt für den kurzen Moment der Sorge inne. Stattdessen sah sie ihren Bruder eindringlich an, eine seltene Ernsthaftigkeit in ihren Augen, die Monty nur aus wichtigen Familien Momenten kannte.
      "Ex-Sträfling! Er hat seine Strafe abgesessen und verdient eine Chance auf Rehabilitation. Ohne ausreichende Unterstützung vom System landen gute Menschen direkt wieder hinter Gitter." Monty fuhr sich durch die dunklen Haare, wie er es häufig unterbewusst in stressigen Situationen tat. Eine blöde Routine, die er sich nie hatte abgewöhnen können.
      "Das weiß ich doch. Ich will dich nur in Sicherheit wissen. Glaubst du wirklich, dass du diesem Typen vertrauen kannst?" Eine Frage, die sich der Student über die vergangenen Monate selbst zu Genüge gestellt hatte. Vertrauen war schon immer ein zerbrechliches Konstrukt. Etwas, das Jahre braucht, um aufgebaut zu werden, und nur Sekunden, um zu zerbrechen. Wie sollte er einer Person vertrauen, deren Vergangenheit in Dunkelheit gehüllt war? Die Briefe, die sie getauscht hatten, enthielten tiefe Gedanken, Einblicke in persönliche Geschichten, aber nie den einen entscheidenden Teil: Warum Milan überhaupt dort gelandet war. Was hatte er getan? Wofür musste er bezahlen? Monty hatte sich mit diesen Fragen gequält, nur um sie immer wieder beiseite zu schieben. Vielleicht war es besser, manche Dinge nicht zu wissen – zumindest noch nicht.

      Erinnerungen an die Briefe flackerten vor seinem geistigen Auge auf. Die sorgfältigen gewählten Worte, die ein dutzend Mal durchgestrichen und neu geschrieben wurden. Milans präzise, aber irgendwie zittrige Handschrift. Sechs Monate, in denen aus "Sehr geehrter" ein "Lieber Milan" geworden war. In denen aus höflichen Floskeln ehrliche Gespräche wurden. In denen Monty mehr von sich preisgegeben hatte als manchem seiner langjährigen Freunde. Sätze, die zunächst förmlich distanziert waren und mit der Zeit von tiefer Verbundenheit zollten. Kleine Skizzen am Rande des Papiers, die Monty manchmal hinzufügte – ein Vogel auf einem Ast, ein halbes Porträt eines Gesichts. Er dachte an die Zeilen, in denen Milan von seinem Heimatland erzählte, von der Sehnsucht nach dem Meer… Hatte er sich all das nur eingebildet? Die Verbindung zwischen ihren Zeilen, die zaghaften Andeutungen, das vorsichtige Flirten. War es nur der verzweifelte Versuch eines Gefangenen gewesen, sich an etwas oder jemanden zu klammern? Jetzt würde er es herausfinden - ihm begegnen. Nicht mehr durch den Filter von Papier und Stift, sondern von Angesicht zu Angesicht. Die Vorstellung ließ seinen Magen flattern.

      "Milan ist..." Monty zögerte, unsicher, wie er beschreiben sollte, was in den letzten sechs Monaten zwischen ihnen entstanden war. "Milan ist nicht einfach irgendein Krimineller. Er ist ein Mensch, wie du und ich, den ich kennengelernt habe. In seinen Briefen. In seinen Worten." Seine Schwester musterte ihn mit einem kritischen Blick, der zwischen Mitleid und Verständnis schwankte.
      "August Montgomery Langford, bitte sag mir nicht, dass du dich in einen Strafgefangenen verliebt hast, den du noch nie im echten Leben gesehen hast."
      "Ich habe mich nicht verliebt", protestierte er, vielleicht ein bisschen zu schnell. "Ich will ihm nur helfen. Und vielleicht..." Er brach ab, unsicher, was das "vielleicht" eigentlich bedeuten sollte. Vielleicht würde Milan nicht mehr nur schwarze Tinte auf blassem Papier sein. Wärme breitete sich in Montys Brust aus. War das alles Real?

      "Du meldest dich bei mir! Und wenn ich nichts von dir höre, ruf ich die Polizei, melde dich als vermisst und veranlasse eine Großfahndung", unterbrach seine Schwester seine Gedanken, während sie widerwillig ihre Tasche packte.
      "Nimm ein hübsches Foto, ja? Keines dieser gestellten Weihnachtsfotos mit geleckter Frise", grinste Monty, froh über die Ablenkung seiner wachsenden Nervosität.

      Als die Tür hinter ihr ins Schloss fiel, blieb Monty allein mit seinen rasenden Gedanken zurück. Die plötzliche Stille in der Wohnung schien fast greifbar. Er stand auf, durchquerte den Raum und blieb vor dem kleinen Spiegel im Flur stehen. Seine Reflexion starrte zurück: hellblaue Augen unter dunklen Brauen, die Langford-Nase, die er von seinem Vater geerbt hatte, ein nervöses Zucken um die Mundwinkel. "Was machst ich hier eigentlich?", flüsterte er seinem Spiegelbild zu, doch die Frage hallte unbeantwortet durch den Raum.
      A heart's a heavy burden.

    • Das Tor schloss sich hinter dem gebürtigen Serben mit einem lauten Knall als werfe man ihn auf die Straße. Zurück in die raue Wirklichkeit, aus der er einst kam. Er sah nochmals über seine Schulter, um sich zu vergewissern, dass er tatsächlich entlassen wurden war. Vorzeitige Entlassung wegen guter Führung, sinnierte Milan und musste hämisch lachen. Nach all der Zeit, die er inhaftiert war, wirkte es wie ein Hohn. Er ärgerte sich noch immer, dass die damalige Aktion überhaupt so endete und er am Ende der Leidtragende war. Zorn und der Lust nach Rache machten sich in seiner Brust breit. Wie ein stechender Schmerz zieht sich das Gefühl über seine ganze Brust. Jeder Atemzug zwickte gerade leicht und er spürte, wie er intuitiv die Hände zu Fäusten geballt hatte. Doch dann flog sein Blick auf den Brief, den er verkrampft in der Hand hielt. Dann war da Monty. Seine Anpassung löste sich und er atmete konzentriert. Er öffnete den Brief erneut und las die Worte von Monty. Das Stechen in seiner Brust verschwand und er spürte eine wohlige Wärme, die ihn zu umarmen schien. Gleichzeitig fragte sich Milan, was Monty für ein Typ war, der einfach einem Sträfling anbot bei sich zu wohnen. Bis zuletzt hatte sich Milan nicht entschieden, wie er mit Montys Angebot umgehen sollte. Seine Antwort konnte er nicht mehr verfassen, da er überraschend entlassen wurde. Er fühlte sich etwas schlecht, Monty so stehen gelassen zu haben. Alleine deswegen würde er ihn nochmal aufsuchen, aber aktuell. Sein Blick glitt vom Brief hinauf in die Umgebung des Gefängnisses. Bis zur Entlassung hatte er verdrängt, was es heißt wieder draußen zu sein. Er hatte nicht viel: er könnte zu seiner Mutter zurück oder müsste sich irgendwie durchschlagen. Und dann, dann war da noch Montys Angebot. Milans Lippen wurden trocken und er schürzte sie überlegend.

      Er griff suchend in seine Taschen seiner alten Kleidung, spürte dabei wie diese drückte. Das wäre definitiv das erste, was ich ersetze, dachte er sich raunend und spürte etwas in seiner rechten Tasche. Er griff danach und hatte 50 US-Dollar in der Tasche. Das würde wohl für ein Taxis reichen, grübelte er. Erneut galt sein Blick dem Brief, seinem einzigen Lichtblick im Gefängnis und doch fühlte sich Milan nun - wie sonst selten - nervös. Er hatte mit Monty von einer anfangs sehr trockenen Konversation zu einer sehr lebhaften, emotionalen und manchmal sogar flirtenden Kommunikation gefunden. Und dennoch hatte er ... Angst? Angst vor seinen Gefühlen, Angst vor Montys Reaktion, wenn sie sich wirklich begegnen und Angst vor dem was es aus ihm machen könnte. Er hatte noch nie mit jemanden so geschrieben und diese Gefühle, die er da irgendwie hatte, für einen Mann? Das fühlte sich komisch an. Vermutlich versuchte sich sein Kopf einfach mit dem Geflirte in den Briefen abzulenken. Doch wann hatte er schon einmal dieses Glück? Monty schien ihn tatsächlich als Menschen zu sehen. Das gab ihm Kraft. Kraft, die ihm früher nur seine Mutter gab, doch die würde ihn nun nur löchern und er wollte mit diesem dunklen Kapitel abschließen und nicht alte Wunden aus der Zeit seiner Inhaftierung erneut öffnen. "Damit ist es wohl klar", sagte er zu sich und steckte den Brief ein. Er hatte seinen Entschluss gefasst.

      Das Gefängnis lag in einem an Chicago grenzenden County ohne wirkliche Infrastruktur. Als wolle man, dass die ehemaligen Gefangenen gar nicht nach Chicago zurückkämen und doch schienen die Taxifahrer aus der US-Metropole zu wissen, dass es hier fast täglich wen abzuholen galt. Denn unweit des Gefängnisses standen zwei gelbe Taxen. Milan ging zu den beiden Taxifahrern, die gerade in der Mitte der Wägen standen und sich unterhielten. Als er vor ihnen stand, musterte sie ihn beide kurz und beendeten ihr Gespräch in einer Milan unbekannten Sprache. Ihrer Optik nach zu urteilen, waren sie aber Inder. "Wo solls hingehen?", fragte einer der Fahrer und setzte ein müdes Lächeln auf.
      Milan zögerte kurz. Was verunsicherte ihn denn? Er räusperte sich: "Chiacgo Downtown"
      Der Taxifahrer nickte bedächtig und ging zu seinem Wagen, öffnete Milan die Tür und wartete bis dieser einstieg. Er würde bevor er bei Milan aufschlug sich vernünftig anziehen wollen. Sein Blick glitt an sich herunter während er im Taxi saß und der Fahrer ebenfalls einstieg und den Motor startete. Das Shirt war bei weitem zu eng. Milan war im Gefängnis nicht faul gewesen und nochmals sportlicher geworden (viel mehr blieb ihm als Beschäftigung ja nicht übrig). So wollte er aber nicht vor seiner Brieffreundschaft auftauchen. Er möchte einen guten Eindruck hinterlassen, wenn Monty schon so wahnsinnig ist, ihm zu helfen. Einem ehemaligen Sträfling! In den USA gab es fast nichts Schlimmeres, was auch der Taxifahrer bestätigte: "Ihr habt es noch schwieriger als wir."

      Milan raunte leise. Er wollte kein Mitleid. Er brauchte jetzt aufmunternde Worte. Der Taxifahrer spürte die aufkeimende Stille und wechselte das Thema. Erzählte Milan auf der langen Fahrt von seiner Einwanderung in die USA und seiner Familie. Ebenso erklärte Milan, wie er hierher kam und irgendwie baute das Gespräch Milan doch auf. Es schien wohl für jeden eine zweite Chance zu geben? Als der Wagen Downtown erreicht hatte, löste er den Taxifahrer aus und begab sich in das nächst beste Geschäft, das zum Restbetrag passte. Er holte sich ein neues weißes Shirt, einen schwarzen Hoody und eine neue Jeans. Die alten Sachen flogen in den Müll. Ein sinnbildlicher Abschied von seinem alten Ich? Zufrieden sah er auf den Mülleimer und fühlte sich gleich etwas anders. Besser. Anschließend zog er erneut den Brief hervor, las die Adresse und ging zur nächstgelegenen U-Bahnstation. Es wirkte alles so unecht. Er war mitten in Downtown. Frei und ohne Überwachung. Und das Beste: es war kein Traum!

      Anschließend machte er sich mit der Adresse aus dem Brief und seinem Handy, das er Gott sei Dank, noch hatte auf den Weg. Als er kurz davor war in die U-Bahnhaltestelle zu gehen, entdeckte er an einem Floristen einige Sträuße. Er grübelte. Doch dann überkam ihn ein eigenartiges Gefühl, das sagte er solle Monty einen mitnehmen und er würde sich bestimmt freuen. Er würde ihn gerne lächeln sehen. Ehe sich Milan versah hatte er mehr oder minder geistesabwesend einen Strauß mit gelben Gerbera, Rosen und Dahlien gekauft. Was machst du hier bloß, fragte er sich und ging zur U-Bahn.
      Am Haus, wo Monty wohnte angekommen, blieb er stehen. Es trennte ihn nur noch der Hausflur von seiner Brieffreundschaft und dennoch fühlte es sich alles so unnatürlich an. Wäre jemand da, würde er fragen, ob er ihn boxen kann, damit er weiß, dass es echt ist. Doch für den Moment musste er auf seine Intuition vertrauen und nach der war das alles echt. Er schluckte und ging zur Haustür, wollte gerade Montys Nachnamen auf der Vielzahl der Klingelschilder suchen, ehe jemand herauskam und ihm die Tür offen hielt. Milan trat in den Flur und ging dann zu Montys Haustür. Als er davor angekommen war, klopfte er schon. Doch dann spürte er den starken Druck auf sich. Was war wenn Monty das doch nicht ernst meinte? Was ist, wenn da alles nur eine naive Idee war? War das überhaupt sinnvoll? Seine Gedanken kreisten. Sein erster Fuß drehte sich gerade ein, um umzudrehen und besser woanders anzufangen als auf einmal die Tür aufging.
    • Ein sanftes Klopfen an der Tür ließ Monty zusammenzucken und riss ihn unweigerlich aus seinen träumerischen Gedanken. Wundersam, dass anstelle eines Klingelns nur ein zaghaftes Pochen, fast als hätte jemand im letzten Moment gezögert, erklang. Monty erstarrte vor Überraschung. Entsprang das Geräusch nur seiner Einbildung, einem bloßen Wunschdenken? Das musste Milan sein, aber er war früh. Viel früher als gedacht. Oder hatte Eliza etwas in der Wohnung liegen lassen? Ein letzter Blick in die Küche erweckte nicht den Anschein, als hätte etwas den Besitzer gewechselt. Mit zittrigen Fingern fuhr Monty sich durch die zerzausten Haare, zupfte sein Shirt zurecht und machte den überwindenden Schritt zur Tür. Was, wenn nichts von dem, was er sich über sechs Monate erhofft hatte, real war? Was, wenn die Person vor der Tür ein Fremder war, der nur die Worte geschrieben hatte, die Monty hatte hören wollen? Jedoch gäbe es dann keinen Grund für einen Besuch… Außer die Naivität einer freundlichen Person auszunutzen. Erneut hielt er einen Moment inne. Seine Hand verharrend auf der Klinke, bevor er tief durchatmete und öffnete.

      Der Mann vor ihm war nicht der, den er erwartet hatte – und doch erkannte Monty ihn sofort. Die dunklen Augen, die auf dem Foto so ernst in die Kamera geblickt hatten, waren in Wirklichkeit weicher, fast verwundbar und von feinen Lachfältchen umgeben. Das dunkle Haar war kürzer als auf dem Bild, frisch geschnitten vermutlich. Seine Statur war breitschultriger und größer als gedacht. Auch die Haltung war leicht gebeugt, als trüge er die Last seiner Vergangenheit noch immer auf den Schultern. Es würde dauern die Zeit der Inhaftierung hinter sich zu lassen, dachte Monty. In einer Hand entdeckte der Student einen bunten Strauß Blumen – gelbe Gerbera, Rosen und Dahlien. Es war überflüssig zu fragen, die Bestätigung, dass dies wirklich geschah, benötigte Monty dennoch. „Milan?“ entwich es unsicher seinen Stimmbändern.

      Die Blumen entgegennehmend, streiften sich ihre Finger. Die Berührung war warm und real und ließ etwas in Montys Brust aufblühen, das er über Monate nur in Worten interpretiert hatte. "Mir hat noch nie jemand Blumen geschenkt", gab er leise zu, ehe er sich mit einem "Wunderschön, danke." bedankte und dabei nicht nur die Blumen meinte. Seine Gedanken wanderten zu seiner Schwester, die bei der Geste des vermeintlichen Hannibal Lecters sicherlich vor Scham versunken wäre.

      Da standen sie nun. Seine Anwesenheit fühlte sich surreal an. Leibhaftig in Fleisch und Blut - der Mann, der sechs Monate nur aus einer Handschrift und Worten bestanden hatte. Zusammengereimt aus sorgfältig gewählten Sätzen und zwischen den Zeilen angedeuteten Gefühlen. Unter einem Dach, im selben Raum, atmeten sie dieselbe Luft. Die Nervosität stand Monty ins Gesicht geschrieben. „Du bist ja genauso groß wie ich.“ stammelte er den ersten Satz, der ihm in den Sinn kam. Zumindest ließ ihn die banale Bemerkung leise lachen, was die Anspannung etwas löste. Endlich hatten die vorsichtigen Annäherung durch Briefe ein Ende, denn mit Milans Übertreten der Schwellen wurde dem Studenten bewusst, dass es kein zurück mehr gab. Milan war real.
      A heart's a heavy burden.

    • Ein zaghaftes Lächeln zuckte über seine Lippen, als sich ihre Finger streiften. Warm. Echt. Für einen Moment wagte Milan es nicht, sich zu bewegen, aus Angst, die Blase könne platzen. Doch sie hielt. Monty – mit seinen hellen Augen, dem nervösen Zucken am Mundwinkel und dem viel zu ehrlichen Blick – stand wirklich vor ihm. Kein Traum. Kein Trugbild. Und schon gar kein flüchtiger Gedanke auf Papier.
      „Ich dachte, Blumen wären vielleicht zu kitschig…“, murmelte er, unsicher, während sein Blick kurz zu dem Strauß wanderte. Gelb. Leuchtend. Fast wie ein Kontrast zu ihm selbst, der in neutralem Schwarz und Weiß vor der Tür stand, als hätte er sich mit Absicht farblos gemacht. Damit Monty leuchten konnte. Oder damit er selbst nicht auffiel. Vielleicht beides.

      Er wollte etwas sagen – irgendetwas Kluges, Witziges, Charmantes. Doch stattdessen kam nur ein leiser Atemzug, ein kurzes Zucken der Schultern. Worte waren leichter gefallen, als sie noch Tinte waren. Jetzt zitterte seine Stimme, obwohl er es verbergen wollte. Doch Monty nahm es ihm ab, indem er feststellte, dass Milan ja in etwa so groß sei wie er. Er musste schwach grinsen. "Okay? Sorry oder so", lächelte er mit einem schelmischen Blick. „Du bist nicht so, wie ich dich mir vorgestellt habe“, gab er neckisch zu. „Irgendwie… besser. Und irgendwie auch viel echter.“ Sein Blick glitt über Montys Gesicht, blieb an dem nervösen Ausdruck hängen, den er aus den Briefen nie lesen konnte, aber der jetzt so deutlich in der Luft lag wie das Parfum einer Erinnerung. „Ich hab... keine Ahnung, wie man das hier richtig macht“, fügte Milan hinzu, seine Stimme ehrlich und verletzlich.
      Er hob den Kopf, suchte Montys Blick, auch wenn es ihn überwindete. „Ich weiß nicht, ob ich das verdiene. Oder ob du das durchziehst, weil du denkst, du musst. Aber ich bin wirklich hier. Nicht nur, weil ich nichts anderes hatte… sondern, weil ich das wollte.“ Eine Pause. „Weil ich dich sehen wollte.“

      Und da war sie wieder – diese verdammte Nervosität, die ihn sonst nie heimsuchte, aber jetzt mit voller Wucht zuschlug. Die Art, wie sein Magen sich zusammenzog, wie seine Hände nach Halt suchten, obwohl er still dastand. Er kratzte sich verlegen am Kopf und wurde nun für einen Moment kurz rot, da er glücklich war, dass das Aufeinandertreffen irgendwie ... herzlich war? Es hätte alles passieren können, vielleicht wäre die Adresse nicht einmal echt gewesen, doch nun stand er hier. Vor Monty. Vor der Person, mit der er das etzte halbe Jahr so viel geschrieben hatte und so viel ausgetauscht hatte. Wenn er mehr über das Geschriebene nachte, würde er noch rot werden und so verdrang er den Gedanken fürs Erste und schaute stattdessen den Gegenüber an.