Storyteller - Twisted Fairy Tales ... [Nim♡Ju]

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    • Storyteller - Twisted Fairy Tales ... [Nim♡Ju]


      ⏳I'am falling to the hourglass...⏳

      Storyteller - Twisted Fairy Tales...
      In Saint Evermore, eine alten aber noch immer florierenden Stadt an der Küste Englands sollen sich schon so manch sagenhafte Ereignisse zugetragen haben. Eines davon schlummert tief in den Herzen des "Auracrest" Verlages, welches der Jura Student Sebastian Evans und die angehende Literaturwissenschaftlerin Madeline Grace unwilltenlich entdecken. Eigentlich fing alles doch so ganz harmlos an. Die Beiden hatten im Sommer beide ein Praktikum im Rahmen ihres Studiums bei den Verlag begonnen. Sebastian in der Rechtsabteilung und Maddy in der Redaktion. Es lief ganz gut, ab und an lief man sich über den Weg so wie in der Uni und beide lebten ihr Leben.

      Bis zu jenen verhängnisvollen Moment - den Abend der Jubiläumsfeier der Gründung des Verlages. Viele Menschen in schönen Kleidern, Musik, Feierlaune und viel Alkohol ... so kam es wie es kommen musste, um sich wegen der plötzlich aufkommenden Anziehung zurück zu ziehen und einen Augenblick innnigster Zweisamkeit zu genießen verschulg des die Zwei in die alten Katakomben. Dort störte sicherlich keine Menschenseele und die Atmosphäre gäbe "den gewissen Kick". Das und ein paar einzelne verschwomme Bilder ist alles, woran sich die zwei noch entsinnen können als sie in fremder Kleidung mitten im Wald erwachen. Was ist hier geschehen? Und... was ist mit ihnen passiert? Haben sie etwa...?

      Nach einer langen Wanderung in schöner Kulisse finden die Beiden lediglich leere Häuser die wie für eine Mottoparty hergerichtet scheinen und daher nur einen Lebenshauch vorspielen. Da guter Rat teuer zu sein scheint beschließen die Zwei das Beste aus der Situation zu machen und leben sich in den großen Haus an Füße eines malerischen Sees ein. Es vergehen ganze zwei Tage bis langsam etwas noch Seltsameres wahrnehmbar ist, zwischen den Bäumen und auch weit in der Ferne...
    • „Eine absolute Katastrophe ist das hier“, fluchte Sebastian innerlich, während er erneut versuchte, die Orientierung in diesem unwirtlichen Wald zu finden. Der Zorn in ihm stieg, wie es immer geschah, wenn Dinge nicht nach Plan liefen. In seinem Leben hatte er sich an Strukturen und klare Abläufe gewöhnt, doch hier – inmitten dieser verwirrenden Wildnis – war nichts davon greifbar. Seine Gedanken drehten sich in einer unaufhaltsamen Spirale, und der Frust brodelte in ihm, als wäre es seine Pflicht, diese Situation in den Griff zu bekommen.
      Abrupt blieb sein Fuß hängen. Mit einem unschönen Laut stolperte er über eine aus dem Boden ragende Wurzel, die – da war er sich sicher – vor einer Sekunde noch nicht dort gewesen war.

      „Ich raste hier gleich aus!“, schrie er, seine Stimme durchbrach die friedliche Stille des Waldes wie ein Stein, der in stilles Wasser geworfen wird.
      Es war, als hätte sich die Welt um ihn herum gegen ihn verschworen. Zwei Tage lang irrte er nun durch dieses verlassene Dorf, umgeben von einem endlosen Meer aus Bäumen und weiten Feldern und Wiesen. Und obwohl die Szenerie so friedlich und behütet wirkte, so fühlte es sich an wie auf einer Bühne zu stehen, deren Requisiten nach der letzten Aufführung achtlos zurückgelassen worden waren. Zwei Tage – zumindest glaubte er das. Die Nacht war zweimal hereingebrochen, und nun kämpften die ersten Sonnenstrahlen darum, den dichten Baldachin der Baumkronen zu durchdringen. Lange schlafen war noch nie seine Stärke gewesen und hier, in dieser seltsamen, unwirklichen Umgebung, war es schlicht unmöglich überhaupt ein Auge zu zu bekommen.

      „Erst diese dämliche Veranstaltung, dann dieser Ausrutscher, und jetzt sitze ich hier in irgendeiner verfluchten Ecke im Nirgendwo fest“, knurrte er vor sich hin.. Sebastian war es gewohnt, die Kontrolle zu haben – sei es in einem Gespräch, einer Verhandlung oder seinem eigenen Leben. Doch hier schien nichts seinen Willen zu beugen.
      Seitdem er an jenem Morgen in diesem seltsamen Dorf aufgewacht war – natürlich neben der Person, deren Anblick er lieber verdrängt hätte – hatte er zunächst zwei Tage damit verbracht, sich gemeinsam mit ihr in einem der verlassenen Häuser am See einzurichten. Dabei war er ihr so gut wie möglich aus dem Weg gegangen, um den unausweichlichen Konflikten zu entgehen. Doch als ihm klar wurde, dass das Verstecken ihn keinen Schritt näher an eine Lösung brachte, entschied er sich schließlich, die Gegend zu erkunden und einen Ausweg aus dieser bizarren Situation zu suchen. Leider war sein einziger Erfolg bislang das schwindende Vertrauen in seine Orientierungsfähigkeiten.

      „Nicht mal ein verdammtes Ortsschild gibt es hier! Bin ich ins Mittelalter katapultiert worden, oder was?!“ Er wusste, dass er übertrieb, aber die Absurdität der Situation ließ ihn jede Fassung verlieren. Es war, als würde ihm der Wald mit jedem Schritt die Kontrolle über sein Leben entreißen.
      Er warf einen vorwurfsvollen Blick über die Schulter in Richtung des Haus am See in welchem seine Begleitung wahrscheinlich immer noch schlief - als wäre sie für all das verantwortlich. Er hatte es bis jetzt vermieden mit ihr zu reden oder weiter in ihrer Nähe zu sein - alles an dieser Situation brachte ihn um den Verstand.

      „Hätte ich bloß nicht so viel getrunken“, murmelte er und rieb sich die Stirn. Es ärgerte ihn, wie wenig er sich an den entscheidenden Moment erinnern konnte, der sie hierhergebracht hatte. Normalerweise war er ein Mensch, der selbst in ausgelassener Stimmung niemals die Kontrolle verlor. Doch an jenem Abend war alles anders gewesen – und jetzt bezahlte er den Preis dafür.

      Er ging weiter, seine Schritte mechanisch, während seine Gedanken in Kreisen liefen. Der Wald um ihn herum blieb eine unberechenbare Konstante. Die mächtigen, hoch aufragenden Bäume ließen den Himmel nur in winzigen Fragmenten durchblitzen, während das Licht sich wie ein Netz aus Glitzer auf dem Boden verteilte.
      Hätte Sebastian mehr auf seine Umgebung geachtet, anstatt sich in seinen eigenen Gedanken zu verlieren, wäre ihm aufgefallen, wie lebendig der Wald war. Ein Bach plätscherte nicht weit entfernt, sein klares Wasser hüpfte über Steine und verschwand in der Ferne. Das Gras raschelte im Wind, als würde es mit ihm flüstern. Die alten, knorrigen Bäume knarrten, als hätten sie eine Geschichte zu erzählen. Und in den Schatten der Äste schien die Fauna zu atmen – Vögel zwitscherten, Tiere huschten, Zweige knackten.

      Doch Sebastian war nie jemand gewesen, der sich Zeit für Details nahm - jedenfalls Details die in seinen Augen unwichtig waren. Seine Mutter hingegen hatte ihm oft vorgehalten, „den Raum nicht lesen zu können“ - was für ein Blödsinn.


      Er atmete tief ein, spürte die kühle Luft in seiner Lunge und zwang sich, weiterzugehen. Er wusste, dass er einen Ausweg finden musste – sofort!
      "Books are a uniquely portable magic" - Stephen King

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      Madeline

      Es war überaus sonderbar, jede Bewegung, jeder Atemzug und sogar jeder Gedanke schien von quälender Anspannung erfüllt zu sein. Nichts war arg bedrohlich aber alles außer der jungen Frau und ihren Mitstreiter, wobei die Betonung wirklich mehr auf der Silbe 'Streit' lag, glänzte vor künstlicher Perfektion. Von den Ästen der Bäume und ihren samtgrünen Blattwerk bis hin zu den zarten Blumen und Gräsern. Von den Bergen und Felsen mit deren Ecken und Kanten bis hin zu den kleinen Kieseln in den Flussläufen oder Waldwegen, ja selbst die Art wie die Häuser gebaut waren. All die Willkür und das Unvollkomme war genau so gewünscht. Wie eine unsichtbare Handschrift die alles bestimmte. Die Frage war nur wessen Handschrift war es? Klar war, dass Alles einen größeren Willen folgte. Ein Umstand der dem hellen Kopf der jungen Frau bereits früh klar geworden war. So lagen einzelne Gegensätnde immer wieder an ihren ursprünglichen Platz, obwohl sie diese ganz bewusst völlig wo anders eingeordnet hatte. Jedes Mal wenn sich die Brünette fragte oder sie gerade begann die Stirn darüber zu runzeln klang ein heller Hall durch die Stile. Wie leises Gelächter des Spott. Noch dazu das ständige Gefühl beobachtet zu werden. Es war fast wie auf einer Bühne, nein vielmehr in einer Art Modellwelt in der versucht wurde Normalität nachzuahmen.

      Heute Morgen war Madeline bereits früh aufgebrochen. So früh, dass noch nicht einmal der erste Sonnenstrahl die Erde berühren konnte. Bereits an ihren ersten Abend waren ihren wachen grünen Augen ein wahrlich sonderliches Phänomen aufgefallen. Immer wenn es zu dämmern begann fluteten hier und dort Strahlen des Regenbogen diese Welt. An manchen Gegenden des Waldes badeten sie diese geradezu in sich. Folglich wurde das Licht der auf oder untergehenden Sonne irgendwo gebrochen und in seine Einzelteile zerlegt. Es war eines der wenigen Teile welche sich partout nicht in das Bild der perfekten Abbildung einfügen wollte. Dennoch folgte es einer geradezu sturen sowie verständlichen Regelmäßigkeit. Schon seit Stunden war sie stehts nur gerade aus gegangen und doch wurde sie das Gefühl nicht los von außen, wie von einer höheren Macht, im Kreis geleitet zu werden. Immer wenn sich Maddy fragte ob sie bereits zum fünften Male an jenen Baum vorbei gezogen zu sein kam ein Windhauch auf. Ein Windhauch der belustigtes Kichern an ihre Ohren trug. Als sich diese Szene bereits zum siebten Male wiederholten blieb sie ruckartig stehen. "Jetzt reicht's!" mit geballten Fäusten hielt sie inne. "Komm raus und zeig dich. Ich verlange eine Erklärung. Und zwar eine wirklich gute!" Doch nichts passierte, bis abermals ein nekischer Windhauch leises Gelächter verlauten ließ. "Na warte!" zischte die junge Dame mit zusammen gepressten Zähnen. Jetzt reichte es, wenn was auch immer so viel Spaß daran hatte sie zu betrachten und sich darüber zu amüsieren wie es Maddy und wahrscheinlich auch den jungen Mann an der Nase herum führte, dann würde sie ihn nun einen Strich durch die Rechnung machen. Nun würde es schon sehen was es davon hatte.

      Wutentbrannt zog sie das Messer welches in den ledernen Band um ihr rechtes Bein ruhte. Wenn sich die Umgebung einen fremden Willen beugte blieb ihr nur eine Wahl, die Spielregeln zu ändern indem sie das Einzige änderte was ihren eigenen Willen gehorchte. Sich selbst, ihre Geist und ihr Körper. Das glänzende Metall der Klinge war unsagbar kalt als es sich mit einen unangenehmen Brennen über die zarte Haut ihres Halses glitt. "Haaaaalt! Stoppp!" Brüllte eine fremde Stimme deren Erschütterung selbst die Bäume zittern ließ. Na bitte! Eine Frauenstimme. Die Freude darüber die Fremde enttarnt zu haben verflog jedoch sogleich mit bitterer Ernüchterung. Denn nun konnte Madeline sich nicht mehr rühren. Sie erstarrt war sie in der Bewegung verweilt, lediglich ihre Bauchdecke hob und senkte sich mit ihren Atem.

      "Wie kannst du es wagen?! So funktioniert das hier nicht!" hallte es aus gefühlt jeder Richtung. Dieses Mal klang die Stimme ernsthaft verstimmt. Maddys Blick glitt zu der Klinge. Sie schluckte schwer, machte einen tiefen Atemzug und nahm alle Kraft zusammen um der Unbekannten etwas entgegen setzen zu können. "Wie...wie funk-...-tioniert... es.. d-dann?" Tja, das war wohl die große Preisfrage. Die Fremde prustete empört. Vor der jungen Frau bildete sich ein Strudel aus blauen Rauch, der sich wie eine flakerndes Trugbild langsam zu einer Frau verformte deren Unterleib völlig im Rauch verschwamm. Sie hatte die Hände an ihren Hüfte getsützt und blickte mit ernsten Blick und finsteren Funkelen auf sie herab. Die Brünette staunte nicht schlecht mit vor Verwunderung aufgerissenen Augen schnappte sie nach Luft. Das war gar nicht so einfach wenn man sich nict weiter rühren konnte. "Also wirklich!" Schimpfte die Blaue. "Erst so ein Chaos anrichten und dann noch so blöd fragen. Tze!" Mit einen Schnauben schnippte sie in ihren Finger, was Madeine augenblicklich wie eine Marionette zusammenfallen ließ deren Fäden man durchtrennt hatte. Endlich war sie fähig sich wieder zu bewege. Das Messer glitt aus ihrer Hand und sofort striffen ihren Finger über den sanften Schnitt aus dem allmählich etwas rotes Blut quoll. "So lange ihr das nicht in Ordnung gebracht habt, lasse ich das nicht zu - verstanden?!" Was regte dieses Wesen sich so auf? Sie war ja nicht diejenige die hier blutete und von welchen Chaos sprach sie die ganze Zeit. Nun wusste sie zwar welch Geschöpf sie die ganze Zeit verhöhnte aber... ihre Fragen hatte die Blaue kein Stück beantwortet. Schlimmer noch - zunächst flüchtig und dann immer genauer striff ihr wacher Blick über die Fremde. Blaue Haut, schöne Züge, listige Augen, Freude daran Anderen Streiche zu spielen und ein verschwimmener Unterleib... das war.... ein... Flaschengeist?! Aber die gab es doch nur in Sagen, Märchen und Geschichten!!! Nein das konnte nicht- ... das konnte nicht möglich sein. Schlimmer noch, Flaschengeister waren Wesen welche man mit äußerster Vorsicht entgegentreten musste.

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      Die Sonne hatte sich kaum merklich weiterbewegt, doch Sebastian fühlte sich, als wäre er seit Stunden unterwegs – und das immer im Kreis. Bäume, Büsche, schmale Pfade und selbst die Tiere schienen sich endlos zu wiederholen, als wären sie Teil eines bizarren Schattenspiels, das ihn narrte. Vor einer Weile hatte er an einem Baum innegehalten, von dem er schwören konnte, ihn bereits viermal passiert zu haben. Um sicherzugehen, hatte er ein X aus kleinen Steinen auf den Waldboden gelegt. Doch seitdem war ihm diese Stelle nicht wieder begegnet.

      Er war allein. Und doch fühlte es sich nicht so an. Immer wieder drehte er sich abrupt um, doch nichts als das scheinbar endlose Dickicht starrte zurück. Dennoch ließ ihn das Gefühl nicht los, dass ihn etwas beobachtete. Noch beunruhigender war das leise, spöttische Kichern, das zu erklingen schien, wenn er an einer Gabelung einen bestimmten Weg einschlug. Mit wachsamem Blick ließ er seine Umgebung nicht aus den Augen, suchte nach Details, die ihm zuvor entgangen waren. Und dann sah er es – einen verborgenen Pfad, kaum mehr als ein Schatten zwischen dichtem Geäst, halb verdeckt von Moos, Gras und Felsen. Hätte er nicht genau hingesehen, wäre er daran vorbeigelaufen. Mit vorsichtigen Schritten bewegte er sich darauf zu, darauf bedacht, nicht wieder über eine Wurzel zu stolpern.

      Je weiter er voranschritt, desto dunkler und kühler wurde es. Die Felsen links und rechts seines Weges schienen zu wachsen, ragten wie alte, lauernde Wesen in die Höhe. Die Luft roch feucht, nach frischem Wasser, das irgendwo in der Nähe sein musste. Ohne es zu merken, bewegte er sich stetig abwärts, in einer fast spiralförmigen Bewegung. Das Sonnenlicht wurde schwächer, und doch blendete es ihn immer wieder, bis er die Augen zusammenkniff. Er bemerkte nicht, dass es nicht mehr die Sonne war, die ihn störte, sondern Reflexionen auf gläsernen Flächen, die sich in seiner Nähe befanden. Doch eine verborgene Präsenz sorgte dafür, dass er sich nicht allzu sehr ablenken ließ. Ein neuer Spieler sollte sich schließlich nicht bereits an den ersten Tagen ernsthaft verletzen.

      Dann, mit einem letzten Schritt, trat er auf ebenen Boden und sein Atem stockte. Vor ihm erstreckte sich eine Szenerie, so wunderschön wie unwirklich. Ein See lag inmitten der Lichtung, sein Wasser so klar, dass er den Grund sehen konnte, doch gleichzeitig schimmerte die Oberfläche geheimnisvoll im sanften Licht. In der Mitte des Sees, wie ein Relikt aus einer anderen Zeit, thronte ein Pavillon, der über eine schmale Holzbrücke mit dem Ufer verbunden war.

      Sein Blick haftete an der Wasseroberfläche. Je länger er sie betrachtete, desto stärker spürte er eine unwiderstehliche Anziehungskraft. Der sanft kreisende Strudel in der Mitte des Sees wirkte hypnotisierend, als rufe er ihn zu sich. Seine Gedanken wurden schwer, seine Glieder leicht. Unbewusst setzte er einen Fuß vor den anderen, Schritt für Schritt, direkt auf die Brücke zu, während seine Sinne im Strudel verloren gingen. Er bemerkte nicht, wie seine Zehenspitzen den Rand des Pavillons erreichten – genau an jener Stelle, an der kein Geländer ihn schützte.
      Er bemerkte nicht das hölzerne Podium in der Mitte des Pavillons, auf dem ein gewaltiges, alt aussehendes Buch lag.
      Er bemerkte nicht, dass er kurz davor war, in den Strudel zu treten.

      Doch dann – ein Ruck!
      Jemand zog ihn mit einer abrupten Bewegung an der Kapuze seiner Jacke zurück. Sebastian stolperte nach hinten, riss die Arme hoch, um sich abzufangen. Sein Herz hämmerte. Hastig wirbelte er herum, doch niemand war da.
      Wie war er hierher gekommen?
      Sein Blick wanderte suchend über die Brücke, zurück zum See, dann über die Lichtung. Doch er war allein. Oder?

      Nach einigen Momenten, in denen nichts weiter geschah, ließ er seinen Blick langsam zu dem großen Buch gleiten, das auf dem Podium thronte. Es war gewaltig – nicht nur in Höhe und Breite, sondern auch in seiner Dicke. Es erinnerte ihn an die schweren Wälzer, die er in seinem Studium benutzen muss. Vorsichtig trat er näher. Gerade als er sich über das Buch beugte, erhob sich eine plötzliche Brise, die die Seiten sanft aufblätterte.

      "Die Bremer Stadtmusikanten."
      Er blinzelte verwirrt. Ein Märchen? Doch noch seltsamer war, dass die Seiten darunter vollkommen leer waren. Er blätterte weiter – nichts. Jede einzelne Seite war leer. Bevor er weiter darüber nachdenken konnte, zuckte ein ohrenbetäubender Blitz über den Himmel, gefolgt von einem tief grollenden Donner. Sebastian zuckte zusammen, riss den Blick vom Buch los. Über ihm hatte sich aus dem Nichts ein Sturm zusammengebraut. Der Wind heulte, die Bäume neigten sich unter seiner Kraft, und der einst ruhige See war nun in Aufruhr.

      Das Buch!
      Er blickte zurück – doch das Buch war geschlossen. Als er danach greifen wollte, zuckte ein weiterer Blitz herab, diesmal so nah, dass der Boden unter ihm vibrierte. Es fühlte sich fast an, als wolle jemand verhindern, dass er es an sich nahm.
      "Ich kann später nochmal herkommen."
      Der Gedanke war schnell gefasst, und er setzte sich hastig in Bewegung. Der Sturm wurde mit jeder Sekunde wilder, und mit dem einsetzenden Regen war es eine Herausforderung, den rutschigen Pfad zurück nach oben zu nehmen. Mehr als einmal rutschte er aus, fing sich gerade noch rechtzeitig, bevor er stürzte. Doch je weiter er sich vom See entfernte, desto mehr legte sich das Unwetter. Sebastian dachte nicht weiter darüber nach – sein einziges Ziel war es, in Sicherheit zu gelangen und seine Begleitung über diesen seltsamen Fund in Kenntnis zu setzen. Vielleicht konnte sie sich einen Reim darauf machen.
      Hätte er sich noch einmal umgedreht, hätte er vielleicht die gewaltige Glaswand bemerkt, die sich über den See erstreckte. Dahinter – ein unendliches Meer aus funkelnden Sternen. Doch sein Verstand war zu sehr mit anderen Dingen beschäftigt, als dass er die wahre Natur dieses Ortes hätte erkennen können.
      ---
      Eine bläuliche Hand fuhr sanft über das alte Buch. Goldene Augen funkelten kühl im Halbdunkel, fixierten den Pfad, auf dem Sebastian gerade verschwunden war. Die Natur hatte sich beruhigt, doch eine unsichtbare Schwere lag noch immer über dem See.
      „Noch seid ihr nicht bereit, Menschlein“, murmelte die Gestalt leise. Mit einem einzigen Schnipsen verschwand sie.


      "Books are a uniquely portable magic" - Stephen King