Vicky & Jian - Shared Spaces Sidestory [Nao.Kii]

    Diese Seite verwendet Cookies. Durch die Nutzung unserer Seite erklären Sie sich damit einverstanden, dass wir Cookies setzen. Weitere Informationen

    • Vicky & Jian - Shared Spaces Sidestory [Nao.Kii]

      Vorstellung
      @Nao.nline
      ___________________
      Das ist eine Nebengeschichte zum Gruppenplay Shared Spaces
      Vorstellung
      RPG
      ___________________


      Auch wenn Sarah an diesem Sonntag wie immer mit dem Kopf in ihrer eigenen Welt war - sie machte sich jetzt schon Gedanken über ihre Party und insbesondere ihr Outfit - bekam sie mit, dass Vicky anders war als sonst. Die Braunhaarige lag auf dem rosafarbenen Prinzessinnenbett der Blondine, deren Haus generell ziemlich edel war - immerhin verdienten ihre Eltern sehr gut - und starrte an die Decke.
      "Frag ihn einfach, was soll schon passieren", meinte sie, als würde ein Nein nicht alles ruinieren. Aber sie konnte sich auch kaum vorstellen, dass er Nein sagen würde. Für sie war Vicky einfach cool und dieser Nerd stand doch bestimmt auf sie.

      Sie hatte ja gar nicht vor ihn nicht zu fragen! Angst hatte sie auch nicht. Sie überlegte nur, wann und wie sie ihn fragen sollte. Im Unterricht natürlich nicht, denn sie wollte nicht stören. Also in der Pause. Ihr Plan stand.
      Während des Unterrichts versuchte sie dennoch gelegentlich einen Blick auf ihn zu erhaschen und sich vorzustellen, wie er reagieren könnte. Es gab gefühlt eine Million Szenarien in ihrem Kopf. Eines absurder als das andere. Eine blühende Fantasie hatte sie ja. Ganz anders als ihr Bruder, dessen Fantasie nur für die Dekoration auf Tellern reichte.

      Als es zur Pause klingelte, packte sie ihre Sachen und ging in den Flur. Ihr Spint war gar nicht mal so weit weg von seinem, weshalb sie darauf lauerte, dass er dort hin kam, um seine Bücher auszutauschen. Sarah versperrte ihr allerdings die Sicht, als sie ihren Spint öffnete, der genau neben Vicky's war. Doch sie konnte Jian schon auf dem Flur erkennen und ging deshalb zu dessen Spint rüber. Ihre Bücher hatte sie an ihre Brust gedrückt, während sie ihn ganz erwartungsvoll ansah. Ein Lächeln legte sich auf ihre Lippen und ihr Herz schlug bis zum Hals, als er endlich vor ihr stand.
      "Hey, Jian. Sarah und ich machen nächstes Wochenende eine Karaokeparty.. Ich würde mich freuen, wenn du auch kommst..", sprach sie ihre Einladung aus und hielt kurz den Atem an. Ganz ruhig bleiben, Vicky. Aber wenn er Ja sagen würde, wüsste sie doch immer noch nicht, ob er sie mochte.. Musste sie dafür jetzt wirklich fast 2 Wochen warten?! Wie sollte sie das aushalten?
      ~ ♦ ~ Die Freiheit der Phantasie ist keine Flucht in das Unwirkliche; sie ist Kühnheit und Erfindung. ~ ♦ ~
      - Eugene Ionesco
    • Entweder mangelte es Jian deutlich an einer generellen Wahrnehmungsgabe oder aber Vicky war unheimlich gut darin, plötzlich in seiner Nähe aufzuploppen wie Werbung auf einer Streamingseite. Als er bei seinem Spind ankam und die Kombination seines Schlosses eingab, rutschte ihm fast das Herz in die Hose, als sie ihn auf einmal ansprach. Er zuckte sichtbar zusammen.
      "Oh, äh- was?", fragte er nervös, obwohl er sie gehört hatte, er brauchte bloß ein bisschen Verarbeitunsgszeit. Moment, sie lud ihn zu einer Party ein? Sein Gehirn wurde von einem Kurzschluss heimgesucht und er antwortete, bevor er darüber nachdenken konnte. "Ähm… okay. Wann… und wo ist die Party?", fragte er. Erst als er selbst das Wort Party aussprach, klingelte bei ihm, dass das nicht unbedingt nach etwas klang, dem er normalerweise zustimmen würde. Eine Karaokeparty? Wo man mit anderen Leuten irgendwelche Lieder singen sollte? Und hatte sie nicht gerade eben Sarah Olsen erwähnt? Oh Mann, das würde eine richtige Party werden… mit… Menschen, die man regelmäßig auf Partys finden konnte. Eigentlich hatte Jian dort überhaupt nichts verloren. Außer Vicky würde er niemanden kennen, den er auch nur ansatzweise mochte, und außerdem musste er seinen Eltern irgendwie erklären, wo er steckte.
      Er konnte, und wollte, seine Zustimmung allerdings nicht zurücknehmen. Wenn Vicky ihn persönlich einlud, konnte er das auf keinen Fall tun. Jian stellte seine Physik Unterlagen in seinen Spind und zog eine eingequetschte Sporttasche heraus, dann schob er sich die Brille die Nase hoch und wandte sich wieder an Vicky. Besser wäre es wohl gewesen, die Brille abzunehmen, damit er nicht sehen konnte, wie niedlich sie zu ihm aufsah. Er schluckte.
      ✦ . ⁺   . ✦ .  ⁺   . ✦⁺   . ✦ .  ⁺   . ✦⁺   . ✦ .  ⁺   . ✦
    • Da Jian bei ihrer Frage zusammengezuckt war und den Eindruck machte, als müsste er sich kurz orientieren, wartete Vicky geduldig und sah ihn einfach nur weiterhin an. Ihr selbst war nie bewusst, dass es für andere süß aussehen würde, wenn sie diese großen, geduldigen Augen hatte, denen man einfach alles anvertrauen könnte.
      Dann sagte er zu, weshalb Vicky noch mehr strahlte. "Nächsten Samstag, bei Sarah", erläuterte sie ihm, während ihr Herz vor Freude Purzelbäume schlug. Jian hatte tatsächlich zugesagt! Das war großartig! Jetzt musste sie nur noch herausfinden, ob er mehr für sie empfand. Sarah war zwar davon überzeugt, aber sie dachte ja auch, dass Ash und Ethan ein Paar wären, also sollte man ihrem Urteilungsvermögen nicht zu sehr vertrauen.
      Ihr Blick fiel auf Jian's Sporttasche, sodass auch ihr wieder einfiel, dass sie sich langsam vorbereiten sollte. "Okay! Bis gleich!", verabschiedete sie sich vorläufig, da sie sich in der nächsten Stunde ja schon wiedersehen würden. Dann ging sie zu ihrem Spind rüber und tauschte auch ihre Bücher gegen die Sporttasche ein. Sarah wusste schon, dass Jian zugesagt haben musste, so wie Vicky lächelte. Deshalb grinste sie und stupste sie kurz an, ehe sie sich auf den Weg machten, um erst einmal gemeinsam zu essen.

      In der Umkleide war mal wieder Theater. Zumindest bei den Mädchen, die sich viel zu sehr um ihr Aussehen kümmerten und gegenseitig ihre Bewunderung für die Unterwäsche der anderen aussprachen. Irgendwelche Jungennamen die dabei fielen und Zeug, das Vicky ohnehin immer ignorierte, während sie sich umzog, wobei sie als erstes die Brille beiseite legte. Beim Sport brauchte sie sie nicht, dafür waren ihre Augen gut genug. Lesen konnte sie ohne jedoch nur schlecht.
      Meistens ließen die Mädchen sie in Ruhe, aber heute mussten sie wohl wieder Frust ablassen oder so. Jedenfalls war das Vicky's Meinung, als eines der Mädchen sich darüber lustig machte, dass sie keinen BH trug, aber nun einen Sport-BH anzog. Eine andere sagte, dass da auch nichts wäre, das gehalten werden müsste. "Ich mag es, wenn mir jemand in die Augen sieht und nicht eine Etage tiefer", konterte Vicky einfach trocken, während sie ihr Sportshirt überzog und dann auch den Rest der Kleidung wechselte, um in die Sporthalle zu gehen, wo schon einzelne Schüler und ihr Lehrer wartete. Sie musste nicht mit den Brüsten anderer Mädchen konkurrieren, denn sie war zufrieden mit dem, was sie hatte. Da hatte sie anderen Mädchen im Alter deutlich was voraus.
      ~ ♦ ~ Die Freiheit der Phantasie ist keine Flucht in das Unwirkliche; sie ist Kühnheit und Erfindung. ~ ♦ ~
      - Eugene Ionesco

      Dieser Beitrag wurde bereits 2 mal editiert, zuletzt von Kiimesca ()

    • Zum Glück hatte die Kleinere sich gleich umgedreht und war zurück zu ihrem Spind gegangen, bevor sie sehen konnte, wie Jian ein wenig die Fassung verlor und dank ihren gigantischen, glänzenden Augen doch noch rot wurde. Er schlug seine Spindtüre zu und beeiilte sich zu den Umkleiden, um den Kopf wieder frei zu bekommen. Dass Vicky ihn ständig so überforderte, war zwar etwas ungewohnt, weil er meistens einen kühlen Kopf bewahren konnte, aber es war auch genau eines der Dinge, die er an ihr mochte. Sie war gleichzeitig cool und süß und sowas war Jian noch nie untergekommen. Er war ein wenig eingeschüchtert von ihr, aber ausnahmsweise gefiel ihm das. Denn sie war nicht, wie viele andere ihrer Mitschüler. Sie war direkt und hin und wieder laut aber gleichzeitig schien sie immer ehrlich zu sein und es nur gut zu meinen. Jians Meinung nach könnte der Großteil der Schule sich eine Scheibe bei ihr abschneiden.

      In der Umkleide hielt er sich wie immer recht still in der Ecke auf, beeilte sich und war einer der ersten, die in der Turnhalle standen. Er hatte seine Umzieh-Geschwindigkeit perfektioniert, um so schnell wie möglich von den anderen Jungs wegzukommen. Besonders von denen, die er wohl freiwillig nächsten Samstag um sich haben würde…
      Doch Wochentage wie heute waren eine Ausnahme, wenn es um den Sportunterricht ging, und er hasste ihn nicht ganz so sehr, wie sonst. Hin und wieder teilten sie sich die Halle nämlich mit den Mädchen, wenn andere Klassen neben ihrer Sport hatten und zu wenig Platz war. Seit er Vicky kannte, war das zwar mit ein wenig mehr Aufregung verbunden, als ihm lieb war, aber es war immernoch besser als alleine mit den Gremlins seiner Klasse in einem Raum festzustecken und eine Mischung aus Fußball und Rugby über sich ergehen zu lassen. Die Hoffnung bestand jedenfalls, dass es heute etwas ruhiger zugehen würde.

      Aber da hatte er sich wohl geirrt. Nichtmal die Mädchen wurden verschont, wenn sich irgendein Lehrer in den Kopf gesetzt hatte, sie mit Dodgeball zu foltern. Oder, naja, Jian damit zu foltern. Vicky hatte bestimmt kein Problem damit. Das würde… einfach nur erniedrigend werden, so wie immer.
      Als Jian in eines der beiden Teams aufgerufen wurde, natürlich ziemlich gegen Ende, zupfte er nervös an seinem Shirt als er aufstand und machte sich mental schon bereit, gleich von diversen Bällen malträtiert zu werden. Manchmal hatte er das Gefühl, dass sich die anderen abgesprochen hatten, ihn zum Ziel zu machen. Wieso gab es nur so grausame Spiele?
      ✦ . ⁺   . ✦ .  ⁺   . ✦⁺   . ✦ .  ⁺   . ✦⁺   . ✦ .  ⁺   . ✦
    • Auch wenn Vicky Sport an sich mochte, war Schulsport meistens echt nervig. Eigentlich immer. Entweder wurden die Gruppen in Jungen und Mädchen aufgeteilt, sodass sie mit den Nervensägen Vorlieb nehmen musste, obwohl sie sich bei den Jungen viel besser aufgehoben fühlen würde oder weil die Mädchen immer so eine Show daraus machten, wenn sie gemeinsam spielten. Man müsse ja auf sie Rücksicht nehmen, nur weil sie lieber hübsche Augen machen wollten, als wirklich ins Schwitzen zu geraten und sich mal sichtbar zu bewegen. Lächerlich. Vicky fiel fast vom Glauben ab, als die Hälfte der Mädchen einfach katastrophal beim Hochsprung abschnitt. Also bitte. Wie konnte man denn nicht über eine Stange springen, die sich in Kniehöhe befand?! Egal. Heute war Dodgeball dran. Auch nicht viel besser. Vicky mochte Dodgeball an sich zwar, aber die Mädchen waren einfach nicht zu gebrauchen. Wenn ihre Angst vor Bällen sie wenigstens besser vor Treffern schützen würden, wären sie unschlagbar.

      Die besten Spieler wurden natürlich zuerst gewählt. Erstaunlicherweise schnitt Vicky dabei gar nicht mal so schlecht ab. Immerhin wussten ihre Klassenkameraden ja das sie gut in Sport war, so wurde sie recht früh gewählt, nachdem die ganzen vor Testosteron strotzenden Sportskanonen verteilt waren.
      Dann kam der Teil, in dem die beliebten Mädchen gewählt wurden. Einfach nur weil sie gut aussahen und Mann seine Chancen bei ihr erhöhen wollte. Denn so begeistert wie die Mädchen dabei aussahen, wirkte es fast, als hätte man sie als Braut ausgewählt.
      Sarah war leider nicht in ihrem Team, da war ihr ach so toller Kapitän nicht schnell genug. Jian leider auch nicht.

      Vicky war gut darin, die Bälle auch zu fangen, anstatt ihnen nur auszuweichen. Was vor allem dann gefeiert wurde, wenn ein Junge rausgeflogen war, den sie wieder drin haben wollten. Andernfalls kamen nur Mädchen zurück, die sowieso bald wieder rausflogen. Sie hatte versucht möglichst nicht auf Saran oder Jian zu zielen, aber ihre Teamkollegen waren da anderer Meinung.
      Die Braunhaarige gab sich auf jeden Fall Mühe, um ihrem Team den Sieg zu bringen, als sie plötzlich ein leises "Volltreffer!" hinter sich hörte und sah wie die Jungs grinsend einschlugen. Es wurde auch leise gekichert, bis der Lehrer "RUHE!", brüllte. Der war ja angespannt. Oder nur nicht besonders froh über den Verletzungsgrad seines Unterrichts.

      Der Ball rollte über den Hallenboden, während der Lehrer zu Jian ging, um ihn sich genauer anzusehen. Sarah kam auch dazu und sah besorgt zu Vicky, als sie ebenfalls die gegnerische Teamseite betrat. Das war pure Absicht! Jian hatte es ganz schön erwischt. Er blutete aus der Nase und musste ins Krankenzimmer gebracht werden. "Ich mach das!", bot Vicky sofort an und tauschte kurz einen Blick mit dem Lehrer, der ihr zunickte.
      Mit einem Tuch an der Nase, begleitete sie den Jungen also zurück ins Schulgebäude und betrat das Krankenzimmer. Während sie auf die Schwester warteten, nahm Vicky ihm vorsichtig die Brille ab und betrachtete diese. Hoffentlich war sie noch reparabel. Wie gut sah Jian eigentlich ohne seine Brille, fragte sie sich und sah ihn blinzelnd an. Gestochen scharf sah Vicky zwar auch nicht, aber solange sie keine Buchstaben oder Zeichen erkennen musste, ging es. Dann machte sie allerdings Platz für die Schwester und setzte sich an die Seite, um auf Jian zu warten.
      ~ ♦ ~ Die Freiheit der Phantasie ist keine Flucht in das Unwirkliche; sie ist Kühnheit und Erfindung. ~ ♦ ~
      - Eugene Ionesco
    • Das war ja wieder klar gewesen. Als der Ball ihn im Gesicht getroffen hatte, war Jian ein Stück zurück getaumelt, unter anderem weil er plötzlich deutlich weniger sehen konnte, als vorher. Wichtiger war aber, dass ihm das Blut aus der Nase floss wie ein Wasserfall. Das bräuchte er jetzt, eine gebrochene Nase.

      Als von allen genau Vicky sich bereit erklärte, ihn ins Krankenzimmer zu begleiten, wollte er dem Übeltäter, der ihn abgeschossen hatte, am liebsten eine reinhauen. Eigentlich kümmerte er sich nicht großartig darum, was andere von ihm dachten, aber ihm war selten etwas so peinlich gewesen wie gerade eben. Als sie ihn auch noch die Brille abnahm, wollte er im Boden versinken. Diese hatte aber auch nicht mehr viel in seinem Gesicht verloren, eines der Gläser war gesprungen und der Rahmen verbogen. Er musste also heute wohl mit verschwommener Sicht klarkommen… Mitschreiben wurde heute dann also nichts mehr.

      Die Schulärztin gab ihm bloß ein frisches Taschentuch und befahl ihm, den Kopf für zehn Minuten in den Nacken zu legen, und dann nochmal zu sehen, ob seine Nase noch blutete. Scheinbar war nichts gebrochen oder geprellt, aber ihn dürfte morgen vielleicht ein blaues Auge erwarten. Wie schön. Er hielt den Kopf brav zurückgelegt und schwieg eine Weile, als die Ärztin ihn bereits mit Vicky alleine zurückgelassen hatte. Das war alles ziemlich unangenehm.
      „Danke fürs Mitkommen“, murmelte er irgendwann, immernoch gen Decke blinzelnd, und hoffte, dass sie auch wirklich noch da war und er nicht mit sich selbst sprach. „Du musst aber nicht warten, wenn du nicht willst. Dein Team vermisst dich wahrscheinlich“ Und wie, immerhin war sie quasi alleine dafür verantwortlich gewesen, dass die anderen Spieler überhaupt wieder zurück aufs Feld kamen. Aber so peinlich es auch war, Jian war ganz froh darüber, dass sie hier mit ihm saß. Er kam nicht wirklich oft dazu, über irgendetwas anderes als Schulkram mit ihr zu reden, auch wenn er sowieso nicht wirklich wusste, wie man so ein Gespräch einleitete. Aber er wollte es mal versuchen. Wie sollten sie sich jemals näher kommen, wenn sie nie über irgendetwas redeten? Und nachdem sie ihn zu ihrer Party eingeladen hatte… wollte sie das doch vielleicht auch, oder?

      „Hey, äh…“, fing er an, dann nervte ihn allerdings, dass er nur die Zimmerdecke sah, und er ließ den Kopf sinken, um Vickys verschwommene Statur vor sich wahrnehmen zu können. Eigentlich war das von Vorteil, weil ihre Augen ihn so nicht nervös machen konnten. „Du singst gerne, oder?“ Er hatte sie zumindest hin und wieder über Musik sprechen gehört. „War die Karaokeparty deine Idee?“ Hoffentlich musste Jian keinen Ton von sich geben, sonst lagen seine Chancen bei ihr endgültig bei Null.
      ✦ . ⁺   . ✦ .  ⁺   . ✦⁺   . ✦ .  ⁺   . ✦⁺   . ✦ .  ⁺   . ✦
    • Zum Glück ging es Jian soweit gut. Zumindest war seine Nase noch ganz, was man von der Brille in ihren Händen nicht mehr behaupten konnte. Während Jian an die Decke starrte, setzte sie sie kurz auf, um zu testen, wie stark sie war. Ganz eindeutig stärker als ihre. Deshalb setzte sie sie auch schnell wieder ab und blinzelte ein paar Mal.
      Als Jian sich dann bei ihr bedankte, lächelte sie. "Ach, pfff", machte sie nur. "Ich bin lieber bei dir", sagte sie, wobei ihr wieder mal erst im Nachhinein auffiel, wie das klang. Erst denken, dann reden. Ob sie das jemals lernen würde?

      Sie überlegte selbst gerade, was für ein Gespräch sie mit ihm anfangen könnte, als er schon seine Stimme erhob und sie wieder ansah. Ohne Brille sah er ja noch niedlicher aus! Vicky musste sich zusammenreißen und lehnte sich deshalb zurück, um nicht steif zu wirken. "Ja. Sarah sing aber auch gern", erklärte sie. Auch wenn Sarah definitiv kein Star werden würde, sangen die beiden immer lautstark mit, wenn sie Musik hörten. Was quasi ständig war, wenn sie bei einer von ihnen zuhause waren.
      "Aber eigentlich ist mir nicht ganz wohl dabei, wenn wir so viele Leute einladen... Deshalb bin ich froh, dass du auch kommst. Du darfst mich nicht allein lassen, ja?" Dabei strahlte sie wieder und lehnte sich vor. Jetzt? Sollte sie diese Chance nutzen? Wie erkannte man gute Gelegenheiten? Wenn es nach ihr ginge, würde sie einfach immer volle Kraft voraus fahren. Also worauf warten?
      Bevor sie allerdings wie geplant Jian's Hand ergreifen konnte, kam die Schulärztin zurück. Seine Nase blutete nicht mehr, also konnte er zurück in die Umkleide und sich umziehen. Sofern er sich nicht schlecht fühlte, könnte er auch den Unterricht fortsetzen.

      Auf dem Weg zurück, überlegte Vicky wieder, wie sie ihm näher kommen könnte. "Hey! Gibst du mir deine Handynummer? Dann schicke ich dir nach der Schule meine Mitschriften aus dem Englischunterricht, damit du sie abschreiben kannst", bot sie an, da er ohne diese Brille wohl kaum dazu käme. So konnte sie ihm helfen UND bekam auch noch seine Nummer! Haha! Da konnte sie ja fast froh sein, dass ihm so etwas widerfahren war. Was sie natürlich nicht war, denn das tat sicher weh.
      ~ ♦ ~ Die Freiheit der Phantasie ist keine Flucht in das Unwirkliche; sie ist Kühnheit und Erfindung. ~ ♦ ~
      - Eugene Ionesco
    • Eine Sache nach der anderen, die aus Vickys Mund kam, ließ Jians Herz aussetzen. Das war's bald mit ihm. Beim nächsten Mal fiel er in Ohnmacht. Zum Glück kam die Schulärztin aber vorher zurück. Und mit dem Taschentuch konnte er ganz gut verstecken, dass er jedes Mal knallrot anlief, wenn Vicky irgendetwas sagte, das sie vermutlich garnicht so meinte, wie es klang. Aber Jian hörte nur, wie es klang. Sie war also lieber bei ihm als beim Rest der Klasse? Und er sollte sie nicht alleine lassen? Das klang zu gut um wahr zu sein. Aber Vicky war immer ziemlich direkt und sagte einfach laut, was sie gerade dachte, also bemerkte sie vermutlich garnicht, wie das bei Jian ankommen könnte. Und bestimmt bildetete er sich einfach nur etwas darauf ein, weil er so etwas unbedingt hören wollte.
      Er wusste garnicht, was er antworten sollte. Also sagte er nur: "Okay. Ich bleib bei dir" Und er hoffte, dass das nicht zu kitschig rüberkam.

      "Meine Nummer?", fragte er, schon wieder schockiert, als sie wieder zur Umkleide zurück liefen. "Äh… klar", sagte er dann, als Vicky erklärte, wieso. "Danke" Er nahm ihr Handy entgegen und tippte seine Telefonnummer in ihrer Kontaktesammlung ein. Sie wollte ihm nur die Mitschrift schicken, zuvorkommend wie sie war… Nichts weiter. Nur die Mitschrift.
      Allerdings… war es ein ziemlich guter Schritt, wenn sie ihre Nummern ausgetauscht hatten. Man konnte ja mal ganz zufällig ein Gespräch über irgendetwas anderes beginnen! Irgendwas würde Jian sich schon einfallen lassen.
      "Oh, kann ich meine Brille… vielleicht zurück haben?", fragte er, als ihm auffiel, dass Vicky sie immernoch trug. "Nur weil ich sie zu meinem Optiker bringen will… Vielleicht kann sie ja repariert werden. Hoffe ich jedenfalls"
      'Nur' war eine interessante Formulierung, schließlich gehörte ihm die Brille. Aber wenn Vicky schon so daran festhielt, wollte er sie ihr nicht wieder wegnehmen. Seinetwegen konnte sie alles haben was sie wollte, und es behalten bis zu ihrem Lebensende.
      ✦ . ⁺   . ✦ .  ⁺   . ✦⁺   . ✦ .  ⁺   . ✦⁺   . ✦ .  ⁺   . ✦
    • Grinsend wie ein Honigkuchenpferd sah sie dabei zu, wie Jian ihr seine Nummer eintippte. Sie hatte so oder so danach fragen wollen und nun hatte sie sie wirklich bekommen. Die Mitschrift würde sie ihm selbstverständlich schicken, aber sie freute sich auch darüber, dass sie ihn aus anderen Gründen kontaktieren könnte. Wenn sie Ash davon erzählte! Der wird ganz aus dem Häuschen sein.
      Als Jian nach seiner Brille fragte, lachte Vicky leise und gab sie ihm zurück. Zum Glück spielten sie nicht dauernd Dodgeball. Sonst müsste sie sich mal diese Idioten vorknöpfen, damit sie sich nicht immer so auf Jian stürzten. Das war überhaupt nicht witzig! Blöde Affen. Und davon sollten einige zu ihrer Party kommen? Das kann ja heiter werden.

      "Wartest du auf mich?", fragte Vicky lächelnd, bevor sie die Sporthalle erreichten. Sie wusste, dass Jian immer ziemlich schnell fertig war mit dem Umziehen und wenn sie nicht fragen würde, würde er vielleicht schon zurück in die Schule düsen. Etwas frisch machen musste sie sich ja schon. Und dann würde sie ganz gern die Pause mit ihm verbringen, bevor sie schon wieder schweigend in der Klasse sitzen mussten. Immerhin wollte sie Jian gerne noch nach einem richtigen Date fragen. Was würde sich da denn am besten anbieten? Kino? Auf Kino hätte sie ja schon große Lust. Sie könnte während des Films seine Hand nehmen. Aber vielleicht war das auch etwas zu viel für das erste Date. Also lieber Eis essen?
      Ganz aufgeregt grinste sie vor sich hin, während sie sich umzog, wobei sie sich beeilte. Auf dem Weg zu Jian summte sie leise und überlegte immer noch, was sich am besten fürs erste Date eignete. Sollte sie Sarah fragen? Die hatte ja auch keine Ahnung. Oder Ash? Ja vielleicht. Aber als Beziehungsexperten konnte man ihn auch nicht bezeichnen. Sam sollte die bessere Ansprechpartnerin sein. Also zückte sie schnell ihr Handy und tippte energisch darauf herum. Für große Erklärungen hatte sie gerade keine Zeit, das würde sie später nachholen. Deshalb fragte sie ganz direkt, was sich besser für das erste Date eignen würde: Kino oder Eis essen? Hoffentlich würde sie schnell antworten, damit sie ihn nach der Schule noch fragen könnte.
      Und wenn sie das Handy schon in der Hand hatte, nutzte sie auch die Gelegenheit um Jian einen Grinse-Emoji zu schicken. Nur um sicher zu gehen, dass sie auch die richtige Nummer bekommen hatte.
      Was den Unterricht anging, hätte sie ihm ja ihre Brille angeboten, aber wie viel sie helfen würde, wusste sie auch nicht. Am Ende würden sie beide kaum lesen können. Da war das mit der Mitschrift bestimmt klüger.
      ~ ♦ ~ Die Freiheit der Phantasie ist keine Flucht in das Unwirkliche; sie ist Kühnheit und Erfindung. ~ ♦ ~
      - Eugene Ionesco

      Dieser Beitrag wurde bereits 1 mal editiert, zuletzt von Kiimesca ()

    • Eine Nachricht von Vicky? Sam hatte gerade ihr Handy gezückt, um online nachzusehen, was es heute in welcher Kantine zu essen gab und wo sie Ash am besten hin mitschleppte, da ploppte eine Nachricht auf ihrem Handy auf. „Kino oder Eis…?“, murmelte sie zu sich selbst und fing sich von dem Blonden einen fragenden Blick ein. Sie grinste, als sie ihn sah, und drehte ihr Handy zu ihrem Freund herum, der gegenüber von ihr an den Spinden lehnte.
      „Erstes Date? Mit wem?!“, wiederholte er und stellte sich sofort neben Sam, um auf ihr Display zu linsen, während sie ihre Antwort eintippte.
      „Das kommt darauf an, wie gut ihr euch kennt!“, schickte sie als erstes ab. Und dann: „Im Kino kann man sich schlecht unterhalten. Also Eis. Aber wenn ihr euch regelmäßig seht (Schule??), definitiv Kino! Ist mal was anderes“
      „Frag sie, mit wem“, stresste Ash von der Seite und Sam rollte belustigt die Augen. Die Beziehungen anderer Leute hatten ihn schon immer mehr interessiert, als seine eigenen, wenn sie das von einer Außenperspektive beurteilen müsste. Aber das war nur ein guter Grund für ihre Freundschaft.
      „Mit wem gehst du aus?“, tippte sie also und kam der Aufforderung nach. Dann ließ sie ihre Hand jedoch sinken und sah zu Ash über die Schulter. „Ich hab hunger, können wir bitte gehen? Ich verspreche dir, ich sag dir, was sie antwortet“, lachte Sam.


      „Oh, klar“, sagte Jian etwas überfordert und blieb kurz stehen, bevor er dann selbst in die Umkleide ging und sich wieder seine normalen Klamotten anzog. Bildete er sich das ein, oder war Vicky heute etwas… anders als sonst? Sie sprachen normalerweise über wenig anderes als Schulkram. Außerhalb der Unterrichtsstunden sowieso nie. Grinsen tat sie immer und diese gigantischen Augen brachten Jian ständig ins Schwitzen, aber heute war es noch etwas schlimmer, als sonst. Sie lud ihn zu einer Party ein und fragte nach seiner Nummer? Gut, für die Mitschriften, aber… Na schön, er bildete sich wahrscheinlich viel zu viel darauf ein. Aber er würde das im Hinterkopf behalten und ab jetzt genau nach Hinweisen suchen, ob die klitzekleine Chance bestand, dass Vicky ihn auch mochte, egal wir surreal das wirkte.
      Er zog sich gerade die Schuhe an, als sein Handy neben ihm auf der Bank vibrierte. Er warf einen Blick darauf und sah den Emoji, den Vicky ihm gesendet hatte, der in der Sekunde ein Lächeln in sein Gesicht gezauberte, dass er mit viel Mühe wegbekommen musste, bevor er wieder aus der Umkleide kam.
      ✦ . ⁺   . ✦ .  ⁺   . ✦⁺   . ✦ .  ⁺   . ✦⁺   . ✦ .  ⁺   . ✦
    • Vicky fühlte sich fast wie damals, als sie das erste Mal einen Freizeitpark besuchten. Sie war 14 und hatte ihren Vater und Ethan kaum gesehen. Ihre Eltern sprachen seit der Trennung nicht mehr viel miteinander, wobei sie auch davor schon nicht viel sprachen. Daran gab sie allerdings ihrer Mutter die Schuld, denn ihr Vater war einfach der beste Mann auf der ganzen Welt. Er war offen, witzig und fürsorglich. Bis auf das witzig also genau wie Ethan. Davon hatte dann wohl Vicky mehr abbekommen.
      Dieser tolle Tag hatte aber auch etwas blödes. Irgendwie hatte Vicky wohl unbeabsichtigt viele Ähnlichkeiten zu Ash gezeigt. Nicht nur ihr Kleidungsstil. Jemand aus ihrer Klasse hielt Ash sogar für ihren Bruder. "Du musst Ash nicht nachahmen, damit ich dich mag, Vicky", hatte dieser Idiot zu ihr gesagt. Das war auch nie ihre Absicht! Aber sie war dann irgendwie beleidigt mit ihm verglichen zu werden, weil Ash ihm immer wichtiger war als sie. Ja, da hatte sie ihm gesagt, dass sich die Welt nicht nur um ihn drehen würde. Hinterher tat es ihr leid, denn in Ethan's Leben drehte sich eigentlich immer alles nur um andere und nie um ihn. Er meinte damit nur, dass er sie mochte, egal wie sie war. Das hatte sie aber erst später begriffen.
      Wegen Ash hatten sich ja auch ihre Eltern getrennt. Mehr oder weniger. Auf jeden Fall war er der Grund, warum Ethan seine Mutter nicht mehr besuchte. Und Vicky sich bei ihr unwohl fühlte und sehnsüchtig darauf wartete, dass sie auch bei ihrem Vater wohnen konnte. Vor Ash hatte sie nichts gesagt, aber es war nichts nettes, was sie später über ihn gesagt hatte. Ethan und Vicky hätten das gar nicht hören sollen und sie hatte es lange nicht verstanden. Ihr Bruder nahm sie einfach und brachte sie in ihr Zimmer, wo er sich dann den ganzen Abend mit ihr beschäftigt hatte.
      Heute wusste sie natürlich, was da los war. Schon länger. Es war besser so, dass sich ihr Vater getrennt hatte. Auch wenn es ihm nie leicht gefallen war. Wegen der Kinder. Vermutlich hatte Ethan ihn sogar irgendwie darin bestärkt. Schade, dass ihr Vater seitdem keine neue Liebe mehr gefunden hatte. Aber er war glücklich. Vicky's Einzug hatte sein Leben wieder versüßt.
      Was Ash anging, hatte Ethan sie gebeten ihm nie etwas davon zu erzählen. Er wollte nicht, dass Ash sich deswegen irgendwie schlecht fühlen würde. Die einzige Person, die sich schlecht fühlen sollte, war seine Mutter.

      Jedenfalls spürte sie diese Schmetterlinge in ihrem Bauch und konnte nicht aufhören zu grinsen. Sarah hatte sie auch kurz geschrieben, dass sie bei Jian wäre. Sie hatte ja auch andere Freundinnen, mit denen sie die Pause verbringen konnte.
      Als sie bei Jian ankam, verschränkte sie ihre Arme hinter dem Rücken und sah ihn mit großen Augen an. Was brachte Menschen eigentlich dazu sich zu verlieben? Wie funktionierte das? Was war das Geheimnis? Es gab so viele unterschiedliche Menschen und irgendwie fand jeder früher oder später einen Partner. Im besten Fall. Wenn sie aber beantworten müsste, warum sie Jian mochte, dann.. wüsste sie keine Antwort. Weil er toll ist? Er war nicht so nervig wie andere Jungs. Und auch kein Angeber. Er war ruhig und schlau. Er behandelte sie auch nicht komisch, weil sie so war, wie sie war. Für ihn war sie einfach nur Vicky. Oder? Zumindest hatte sie dieses Gefühl.
      "Da bin ich!", verkündete sie und ging mit ihm in das Schulgebäude zurück, wo sie ihre Taschen im Spind verstauten. "Lass uns essen gehen", sagte sie und wank Sarah kurz, als sie diese im Flur sah.
      Nun stand sie mit ihrem Schwarm in der Mensa und sah kurz auf die Speisekarte. Dann sah sie zu Jian und lächelte, ehe sie ihm ungefragt vorlas, was es heute gab. Damit er nicht erst nachfragen musste und so den Verkehr aufhielt.
      Nachdem sie sich etwas geholt hatten, setzten sie sich an einen der Tische. Sie hätte sich gegenüber setzen können, doch sie wollte lieber neben ihm sitzen. Ihr Herz schlug ganz aufgeregt und sie dachte wieder an das Date, weshalb sie auf ihr Handy sah und Sam's Nachrichten las. Wie gut sie sich kannten? Leider viel zu wenig, würde Vicky jetzt sagen. Also Eis? Aber dann schlug sie doch das Kino vor, wenn sie sich regelmäßig sahen. Irgendwie fühlte sich das gerade nicht wirklich hilfreich an. Dann fragte sie auch noch mit wem sie ausging. Ob die Frage von Ash kam? Würde sie jedenfalls nicht wundern. "Mit Jian! Dem Nerd von dem ich Ash erzählt habe. Er kommt auch zur Party, aber ich will nicht so lange warten...", antwortete sie und sah dann aus den Augenwinkeln zu Jian, bevor sie das Handy weglegte und aß. "Gehst du eigentlich gern ins Kino...?", fragte sie möglichst unauffällig.
      ~ ♦ ~ Die Freiheit der Phantasie ist keine Flucht in das Unwirkliche; sie ist Kühnheit und Erfindung. ~ ♦ ~
      - Eugene Ionesco

      Dieser Beitrag wurde bereits 4 mal editiert, zuletzt von Kiimesca ()

    • Essen gehen…? Jian fragte sich einen Moment, ob sie wirklich mit ihm sprach. Sie hatten noch nie zusammen Mittag gegessen und langsam kam ihm dieser Tag wie ein Fiebertraum vor. War er auch wirklich wach? Warum wollte Vicky plötzlich alles mit ihm machen? Was war denn mit Sarah, hatten die sich gestritten? Als Vicky ihr aber ganz normal im Flur winkte konnte er das auch ausschließen. Ihm ging nur einfach nicht in den Kopf, was sie dazu trieb, mit ihm herumhängen zu wollen. Vor allem nach der peinlichen Situation im Sportunterricht… Das Zimmer der Schulärztin war nicht gerade der ideale Ort, um zum ersten Mal wirklich miteinander zu sprechen, wenn es nicht gerade um Arbeitsaufträge ging. Jian war massiv verwirrt.
      Dass Vicky eine der Menschen war, die ihre Aufgaben in der Schule immer sehr ernst nahm, war der erste Grund gewesen, weshalb er sie mochte. Er konnte gut mit ihr arbeiten, denn sie nahm die Sachen ernst und war ordentlich und keiner von ihnen zog den anderen runter, weil sie beide gute, wenn nicht sogar perfekte Noten schrieben. Und abgesehen davon, dass er sie von vornherein unglaublich süß gefunden hatte, was er natürlich nie zugegeben hätte, war das irgendwie ein Auslöser gewesen, dass er sie etwas mehr mochte, als er vielleicht sollte. Außerdem war sie im Gegensatz zu vielen anderen Mädchen in ihrer Schule einfach sehr direkt und hielt ihre Meinung nicht zurück, was eine Stärke war, die Jian sehr schätzte. Er selbst tat sich schwer, nicht zu viele Gedanken daran zu verlieren, wie seine Worte und Handlungen bei anderen ankamen. Aber es war schön, dass es quasi unmöglich war, Vicky misszuverstehen.

      Weshalb die momentane Situation ihn ja so verwirrte. Er hatte bisher keine Anzeichen wahrgenommen, dass sie mit ihm befreundet sein wollte. Das kam etwas plötzlich, oder Jian war vorher einfach zu sehr in ihre Aufgaben vertieft gewesen, um irgendetwas zu merken. Ja, gut, es fiel ihm immer ein wenig schwer, Vicky direkt anzusehen, weil ihre Augen sich in seine Seele zu brennen schienen. War ihm deshalb etwas entgangen, weil er zu beschäftigt mit sich selbst und seiner Panik gewesen war?
      Jian schielte ein wenig zur Seite, als Vicky sich direkt neben ihn setzte. Das entging ihm auf keinen Fall, sie hätte auch einfach gegenüber Platz nehmen können. Aber das war nicht der einzige Grund, weshalb bei Jian gerade explosiv die Nervosität einsetzte. Er saß normalerweise alleine in der Kantine. In der Parallelklasse gab es einen Jungen, der zufällig sein Nachbar war, und mit dem er sich bizarrerweise ganz gut verstand, aber der saß auch nur bei ihm am Tisch, wenn er nicht das Mittagessen sausen ließ und stattdessen mit seinen Mitschülern draußen Basketball spielte, oder sowas. Das kam relativ oft vor.
      Was noch nie vorgekommen war, war ein Mädchen an Jians Tisch. Er fühlte sich seltsam beobachtet. Mit Vicky stand man irgendwie recht schnell im Mittelpunkt. Ihre Worte rissen ihn plötzlich so sehr aus den Gedanken, dass er fast seine Gabel fallen ließ.
      "Äh, hä? Kino? J-ja, eigentlich schon. Wieso?" Er ging nur kaum ins Kino. Seine Freizeit verbrachte er zu 90% zuhause an seinem Schreibtisch. "Gibt… es irgendeinen Film, den du sehen willst?", fragte er langsam nach. Sie würde doch nicht ihn fragen, ob sie zusammen ins Kino gingen, oder? Das… war das nicht… irgendwie ein Date?
      ✦ . ⁺   . ✦ .  ⁺   . ✦⁺   . ✦ .  ⁺   . ✦⁺   . ✦ .  ⁺   . ✦
    • Vicky war sich irgendwie nie sicher, wie Jian über sie denken könnte. War sie einfach nur eine Klassenkameradin mit der man gut arbeiten konnte? War da sonst nichts? Schüchtern schien er auf jeden Fall zu sein, aber das bedeutete ja nicht gleich, dass er sie genau so mochte, wie sie ihn mochte.
      Aber bei seiner Antwort legte sich ein erwartungsvolles Lächeln auf ihre Lippen. Und dann fragte er auch noch, ob es einen Film gäbe, den sie sehen wollte! Das klang ja fast schon so, als würde er sie einladen und nicht umgekehrt! Aber wer wen einlud, war auch vollkommen egal. Vicky's Augen funkelten und waren vollständig ihm gewidmet. Das Essen war jetzt gerade Nebensache. "Mh. Borderlands sieht cool aus. Wollen wir zusammen gehen?", fragte sie gerade weg und hoffte inständig, dass er zusagen würde. Ob er Horrorfilme mochte, wusste sie nicht und fürs erste Date wäre das vielleicht auch nicht so passend. Eine Schnulze wollte sie aber nicht gucken, da saßen vermutlich lauter Pärchen, die sich kaum auf den Film konzentrierten. Und warum sollte sie sich einen Film anschauen, der sie gar nicht wirklich interessierte? Ein Actionfilm war daher deutlich besser. "Oder möchtest du lieber etwas anderes gucken?" Sie würde sich auch anpassen können.
      ~ ♦ ~ Die Freiheit der Phantasie ist keine Flucht in das Unwirkliche; sie ist Kühnheit und Erfindung. ~ ♦ ~
      - Eugene Ionesco
    • Seine Überraschung überwog tatsächlich die Schüchternheit und Jian drehte sich zur Seite. Er sah Vicky einen Moment lang an. Sie wollte tatsächlich mit ihm ins Kino gehen. Nur war er sich nicht sicher, ob er das nun wirklich als Date betiteln sollte.
      "Nein, das klingt gut. Ich wollte mir den Film auch noch ansehen. Spielst du Borderlands?", fragte er. Durch Jians Kopf gingen tausende Möglichkeiten. Vielleicht mochte sie das Spiel und keiner ihrer Freunde wollte den Film mit ihr ansehen, weshalb sie jetzt ihn fragte? Aber dann würde sie Jian nicht fragen, ob er etwas anderes lieber ansehen wollte. Also… wollte sie wirklich bloß mit ihm ins Kino. Als Freunde? War das der Beginn einer Freundschaft? Sollte Jian dann nicht besser irgendetwas tun, um nicht in die Friendzone zu geraten?
      …Aber, Moment, er hatte nie darüber nachgedacht, ob er wirklich mit Vicky ausgehen wollte. Das war alles bloß hypothetisch gewesen, er hätte sich vermutlich nie getraut zu fragen und die Option, dass sie das tun würde, war ihm nie in den Kopf gekommen! Also… war das eine Chance?
      Er musste wohl erst herausfinden, was sie über ihn dachte. Und das war nicht leicht.
      "Wann willst du denn hingehen? Samstag ist die Party, also… Freitag?" Er überlegte. "Kann ich dich irgendwo abholen?", fragte er letztendlich. Er hatte keine Ahnung wo Vicky wohnte und er hatte auch keinen Führerschein, aber vielleicht war das 'Abholen' genau die Kleinigkeit, die ein Date von einem freundschaftlichen Treffen unterschied, also musste er einfach fragen. Glücklicherweise kannte er, trotz seines Mangels an romantischen Erfahrungen, die Regeln des Dating in und auswendig. Oder, zumindest die Stereotype. Abholen, Einladen, Nachhause bringen. Vielleicht konnte er ihr auch irgendetwas mitbringen. Vicky sah vielleicht nicht wie der typische Fan von einem Blumenstrauß aus, aber das Risiko musste er wohl eingehen, bevor sie enttäuscht war. Oder hatte sie Allergien?! Oh Mann, wie fragte man denn gerade heraus, ob jemand zufällig eine Gräserallergie hatte?
      ✦ . ⁺   . ✦ .  ⁺   . ✦⁺   . ✦ .  ⁺   . ✦⁺   . ✦ .  ⁺   . ✦
    • Er hat zugesagt! In ihrem Kopf konnte man sich nun eine kleine Variante ihrer selbst vorstellen, die vor Freude zu tanzen und zu hopsen begann, während sie äußerlich versuchte ruhig zu bleiben. Sie wollte Jian ja auch nicht verschrecken. "Ja." Ja, sie spielte hin und wieder auch Borderlands, auch wenn man sie nicht als Suchti bezeichnen konnte. Dafür hatte sie einfach zu viele Hobbies, als es nur aufs Zocken zu beschränken. Auch hätte sie kein Problem damit gehabt allein zu gehen, wobei sie zuerst Ash und dann Ethan gefragt hätte.
      Ob Jian wohl verstand, dass sie es als Date sah? Nicht, dass er nur einen auf Kumpel machen wollte. Sollte sie etwas sagen? Wäre irgendwie auch strange, oder? Aber nun musste sie erstmal überlegen wann, da musste sie den anderen Gedanken beiseite schieben, der direkt zurückkam, als er fragte, ob er sie abholen könnte. Zum Glück wohnte sie gar nicht mal so weit weg vom Kino, da könnten sie auch noch einen netten Spaziergang machen.
      Freitag? Freitag musste sie noch einiges vorbereiten und außerdem wusste sie nicht, ob sie es so lange aushielt. "Wir könnten auch heute gehen... Montags kriegen wir immer die wenigsten Hausaufgaben auf.. und manche können wir auch erst morgen machen..." Für gewöhnlich machte sie ihre Hausaufgaben immer direkt, aber man konnte ja mal eine Ausnahme machen. Mit der Begründung klang ihr Vorschlag aber absolut schlüssig und nicht so, als wolle sie sich gleich hier und jetzt auf ihn stürzen. Wollte sie natürlich nicht! Aber wenn das Date gut lief, könnten sie sich vor der Party ja vielleicht nochmal treffen oder zumindest in der Schule mehr miteinander reden.
      ~ ♦ ~ Die Freiheit der Phantasie ist keine Flucht in das Unwirkliche; sie ist Kühnheit und Erfindung. ~ ♦ ~
      - Eugene Ionesco
    • Heute?! Das war kurzfristig. Absolut keine Zeit für mentale Vorbereitung. Ob das gut gehen würde? Und dann musste er seine Eltern auch noch irgendwie überzeugen, ihn an einem Schultag Abends ausgehen zu lassen, was er normalerweise nicht einmal an Wochenenden tat, also würde er sich bestimmt irgendwie rechtfertigen müssen und er konnte kaum sagen, dass er ein Date hatte (was er noch nicht einmal mit Sicherheit wusste). Seine Eltern waren zwar nicht lieblos oder super streng, aber es war schon immer ganz klar gewesen, dass seine oberste Priorität die Schule sein musste. Eine Beziehung… stand irgendwie völlig außer Frage. Und Jian hatte sich seinen Eltern noch nie wirklich widersetzen müssen, schließlich ergab sich kaum eine Option dazu. Das höchste aller Gefühle waren schon die D&D Abende bei seinem Nachbarn, aber dafür musste er nicht einmal das Wohnhaus verlassen und seine Eltern kannten die Eltern seines Freundes. Also, wie erklärte er, dass er an einem Montag Abend mit einem Mädchen ins Kino ging? Das konnte er nicht, er brauchte eine Ausrede.

      "A-alles klar, schickst du mir deine Adresse?", antwortete er. Oh Mann, er konnte einfach nicht Nein zu ihr sagen. Und er hatte nicht einmal Zeit, sich richtig vorzubereiten. Vielleicht sollte er das mit den Blumen doch besser lassen, bis er wusste, was Vicky mochte. Sie kannten sich schon verdammt lange und doch irgendwie viel zu schlecht. Jian wusste kaum etwas über sie, was ihre Hobbys waren oder was sie überhaupt nicht mochte. Aber… das Gespräch hier war ein guter Anfang.
      Sie spielte also Videospiele? Dann hatten sie zumindest noch etwas gemeinsam, abgesehen von den guten Noten. Ungewollt lächelte er leicht. Der Gedanke, dass sie ähnliche Hobbys hatten, ließ sein Herz etwas höher schlagen. Vermutlich sollte er sich weniger Gedanken darum machen, ob das Treffen gut laufen würde, wenn er sich mit Vicky doch irgendwie schon immer ganz gut verstanden hatte. Sie hatte ihn zumindest nie dafür verurteilt, wenn er etwas schüchtern war oder keine Ahnung hatte, worüber er reden sollte und dann seltsam wirkte.
      Vielmehr sollte er sich Sorgen um seine Eltern machen. Aber er würde sich definitiv von nichts aufhalten lassen, heute ins Kino zu gehen. Irgendeinen Weg würde er schon finden. Und das hieß ja nicht, dass er direkt die Schule vernachlässigte… Wie Vicky sagte; die meisten Aufgaben konnten sie auch morgen machen.
      ✦ . ⁺   . ✦ .  ⁺   . ✦⁺   . ✦ .  ⁺   . ✦⁺   . ✦ .  ⁺   . ✦
    • "Ja!" Mit einem breiten Lächeln nahm sie wieder ihr Handy und schickte ihm sofort ihre Adresse zu. So konnte sie es auch nicht aus Versehen vergessen. Damit war die Sache also geklärt! Jedenfalls für Vicky. Ihr Vater hatte nämlich keine Probleme, wenn sie öfter ausging. Vielleicht würde er fragen, ob sie zu Ethan oder Sarah ginge, aber auch nur aus Neugier. Er war echt total entspannt und dafür liebte sie ihn ja so. Aber vielleicht bräuchte sie später Hilfe, was sie anziehen sollte. Ihre Gedanken gingen jetzt schon grob durch ihren Kleiderschrank, ehe sie sich wieder auf Jian fokussierte. "Ich freu mich", lächelte sie, was es etwas schwieriger machte zu essen, da sie das Grinsen nicht aus ihrem Gesicht bekam. Außerdem war sie so aufgeregt, dass sie sich ganz schön zusammenreißen musste, um still zu sitzen.

      Da Jian allgemein nie viel redete - und in seinen Gedanken versank - redeten die beiden nicht mehr viel miteinander, denn auch Vicky war in Gedanken schon bei dem Date. Nebenbei musste sie auch noch essen und wollte am liebsten zu Sarah stürmen, um ihr davon zu erzählen. Das tat sie dann, als sie sich vor dem Klassenraum trafen. Der Unterricht fiel ihr schwer, aber sie gab sich Mühe, auch wenn sie erneut immer wieder an ihr Outfit dachte. War es vielleicht doch zu spontan? Hätte sie sich schon für ein Outfit für die Party entschieden, hätte sie ja einfach das nehmen können. Wobei eine Party was anderes als ein Date war. Puh, war das kompliziert.
      Nach Schulschluss verabschiedete sie sich noch von Jian. "Bis später!" Immer noch breit grinsend, ging sie dann mit Sarah ein Stück nach Hause. Ihre beste Freundin riet ihr, vielleicht etwas feminineres anzuziehen. Vicky trug gern Hosen - vor allem Latzhosen - und Hoodies. Ihr Kleiderschrank gab aber auch ein paar andere Dinge her. Ein Jeanskleid zum Beispiel, aber sie war nicht sicher, ob das nicht etwas übertrieben wäre. Also gingen die Mädchen ein paar Möglichkeiten durch und legten sich für ein Outfit fest, dass Vicky vor ein paar Wochen beim Familien-Grill-Abend anhatte. Eine dickere, lockere Bluse und ein Rock. Da sie ungern Haut zeigte, noch eine dünne, schwarze Strumpfhose dazu. Für den Vicky-Style kamen noch schwarze Kniestrümpfe und ihre Lieblingsstiefel dazu. Sie entschied sich gegen auffällige Farben, da sie ohnehin schon nervös sein würde.

      Zuhause machte sie dann auch direkt ihre Hausaufgaben, ehe sie sich zurecht machte, da Jian bald vor ihrer Tür stehen würde. Ihr Vater hatte heute Nachtschicht und war demnach noch Zuhause, weshalb er das Mädchen neugierig betrachtete. "Heute noch was vor?", fragte er mit einem Schmunzeln. "Ich hab ein Date!", antwortete sie, wie sie nun mal war. "Aahhh~", betonte er und hob eine Augenbraue. Vicky ahnte schon, was jetzt kommen würde. "Wie praktisch, dass ich den ganzen Abend weg bin... Hast du überhaupt Kondome?" Vicky rollte mit den Augen und boxte ihm gegen die Brust. "Wir gehen nur ins Kino!" Da würde sie ihn noch nicht in ihr Zimmer einladen. Vor allem, da sie gerade wirklich keine Kondome hatte... Aber so weit wollte sie heute auch noch gar nicht gehen! Was dachte er denn bitte?! "Das ist unser erstes Date, Papa", meinte sie und verzog das Gesicht, da er echt bescheuert sein konnte, aber böse konnte man auf ihn nicht sein. "Na dann, viel Spaß", wünschte er ihr und hielt sich gerade noch zurück nicht durch ihre Haare zu wuscheln. "Fast hätte ich deine Frisur ruiniert", grinste er. "Welche Frisur?", gab sie zurück und lachte. Sie hatte ihre Haare ja lediglich gebürstet. Mit Styling würde sie keine Zeit verschwenden. "Hab dich lieb", meinte er dann und wuschelte doch durch ihr Haar, ehe er sich auf den Weg machte. "Ich dich auch."
      Danach atmete sie tief durch und sah noch einmal auf die Uhr. Sie hatte noch ein paar Minuten, bis Jian kam, aber es war eine echte Qual zu warten.
      ~ ♦ ~ Die Freiheit der Phantasie ist keine Flucht in das Unwirkliche; sie ist Kühnheit und Erfindung. ~ ♦ ~
      - Eugene Ionesco
    • Sobald Jian zuhause war, beschäftigte er sich als erstes damit, wie er die Tickets für den Film heute Abend gleich online kaufen konnte. Was… sich als unmöglich herausstellte, weil er keine Kreditkarte besaß. Aber- zumindest konnte er die Tickets reservieren. Dann beeilte er sich mit einem Teil der Hausaufgaben (glücklicherweise hatte er für sowas noch nie lange gebraucht) und machte sich dann auf der Stelle daran, sich ein Outfit zu suchen und parallel 'perfekte erste Dates' zu Google, immer noch unsicher, ob Vicky ihr Treffen als Date betiteln würde, aber er blieb mal optimistisch. Und selbst wenn es keines war, dann traf er dennoch seinen Schwarm und ging mit ihr ins Kino, was den heutigen Tag vermutlich zu einem der Top fünf Tage seines Lebens machen würde.
      Irgendwann hatte er sich auf eine normale, locker sitzende blaue Jeans und einen schwarzen Strickpullover festgelegt und er hatte keine Ahnung, ob das 'speziell' genug war, aber er war ohnehin nicht der Typ, der sich mit Mode sonderlich auskannte oder… überhaupt durch irgendetwas auffallen wollte. Und, naja, die größere Hürde kam ja jetzt und da war es vielleicht hilfreich, möglichst 'normal' auszusehen.

      Seine Großmutter kochte gerade das Abendessen, seine Mutter versuchte verzweifelt ihr zu helfen und sein Vater saß gegenüber an der kleinen Kücheninsel mit einer Zeitung vor sich, wohl um seiner Frau irgendwie emotionale Unterstützung zu bieten, nachdem sie von ihrer Schwiegermutter quasi lebenslänglich aus der Küche verbannt worden war. Aber in ihrem eigenen Haus ließ sie sich das natürlich nicht gefallen.
      Als Jian vor seiner kleinen Familie stand, schien sich der Trubel mit einem Mal zu lösen und der Fokus lag auf ihm, was ihn fast zum Schwitzen brachte.
      "Hast du dich umgezogen?", fragte seine Mutter und kam ihm entgegen. Sie zupfte ein wenig an seinem Pullover herum.
      "Ja, ich wollte zu Haoyu, wir, äh, wollten Videospiele spielen", erwiderte Jian leicht nervös. Seine Mutter sah ihn so durchdringend an, dass er immer das Gefühl hatte, sie konnte seine Gedanken lesen.
      "Montag Abend? Was ist mit den Aufgaben? Habt ihr das auch mit Zhi Ruo geklärt?"
      "Ich hab alles erledigt und ja, Haoyu hat mir vorhin zurückgeschrieben, dass es okay ist" Das hatte er tatsächlich. Gleich nach der letzten Unterrichtsstunde hatte Jian den Parallelklässler nämlich abgefangen und ihm seine Lage erklärt. Daraufhin hatte er mit seiner Mutter vereinbart, dass Jian bis etwa neun Uhr bei ihm bleiben konnte. Was ihre Eltern nicht wussten: Vor Haoyus Fenster war die Feuertreppe und sie wussten beide, dass es keine Herausforderung war, Zhi Ruo aus seinem Zimmer fernzuhalten. Sie mochte Jian, vor allem weil sie seine Mutter mochte, und damit freute sie sich immer, wenn Haoyu mal ihn statt einen seiner anderen ('nicht-chinesischen') Freunde einlud. Solange Jian also um neun wieder zuhause war, würde das glatt laufen.
      … Hoffentlich.

      Um Punkt Sechs stand Jian vor Vickys Haustüre, oder zumindest hoffte er es. Er hatte aus Panik zehn Mal gecheckt ob er die richtige Adresse ins Navi eingetippt hatte. Mittlerweile war es um die Uhrzeit schon wieder recht kalt und dunkel, also trug er eine schwarze Jacke und einen Schal, in dem er sein Gesicht ab und zu vergraben hatte, um dem Wind zu entkommen, nur um dann eine beschlagene Brille zu haben und erst wieder frieren zu müssen.
      Er klingelte und wartete, nervös mit den Füßen wippend.
      ✦ . ⁺   . ✦ .  ⁺   . ✦⁺   . ✦ .  ⁺   . ✦⁺   . ✦ .  ⁺   . ✦
    • Eine Weile stand sie im Flur herum, aber das machte sie ganz verrückt. Deshalb setzte sie sich noch einen Moment ins Wohnzimmer und spielte an ihrem Handy. Als es endlich klingelte, sprang sie auf und eilte zur Tür, um sie mit einem freudestrahlendem Gesicht zu öffnen. Zum Glück war es wirklich Jian und nicht nur der Paketbote. Ihr Lächeln wurde noch breiter, als sie ihn sah und dann schlüpfte sie auch schon aus der Tür heraus. Ihre kleine Handtasche hatte sie schon umgehängt, sodass sie eben nur noch die Schuhe anziehen musste.

      Nach einer kurzen Begrüßung - schließlich hatten sie sich erst vor wenigen Stunden gesehen - gingen sie gemeinsam zum Kino rüber. Jian sprach sowieso nie viel und Vicky wusste gar nicht, worüber sie reden sollten. Wäre Eis essen vielleicht doch besser gewesen? Sie wusste kaum privates über ihn. Aber das war nichts, was man nicht nachholen könnte. Im Kino war jedenfalls sowieso Stille angesagt. "Wollen wir uns eine Tüte teilen?", fragte sie, da die größeren Popcorntüten logischerweise günstiger waren als zwei kleinere.
      Und dann saßen sie auch schon mit ihren Getränken und Snacks im Kino. Sie hatten noch recht gute Plätze bekommen, dafür das es so eine spontane Aktion war. Dabei wusste Vicky gar nicht, worüber sie sich mehr freuen sollte. Über den Film oder über Jian. Wobei.. über Jian natürlich! Der Film wäre ihr sogar ziemlich gleich gewesen, wenn sie dafür mit ihrem Schwarm hier sein konnte. Sie hätte sich sogar irgendeine Doku angesehen oder so. Nicht, dass sie den Film ausblenden würde, nein. Jian war zwar das beste an diesem Abend, aber ihre Aufmerksamkeit würde sie schon noch auf den Film richten. Zumindest hatte sie sich das vorgenommen.

      Noch während die Werbung lief, griff sie ein paar Mal zum Popcorn und sah dabei schon irgendwie fasziniert aus, als wäre es die spannendste Werbung überhaupt. Dabei war sie nur ein wenig nervös. Nur weil sie alles andere als schüchtern war, war sie nicht gleich auch nie aufgeregt. Sie wollte Jian sagen, dass sie ihn mochte. Oder vielleicht konnte sie es ihm auch zeigen? Er war sicher nicht so begriffsstutzig wie ihr Bruder.
      Deshalb nahm sie all ihren Mut zusammen! Der Film lief schon eine Weile, doch sie konnte sich nicht so sehr darauf konzentrieren, wie sie sich vorgestellt hatte. Ihre Gedanken drehten sich immer nur um den Jungen neben ihr und das sie endlich seine Hand halten wollte. Aber wie stellte sie das an? Ihre Hand auf die Lehne zu legen und darauf zu warten, dass er sie nahm, war nicht ihr Stil. Aber er hielt diese blöde Tüte fest. Die musste erstmal weg. Also kam sie wieder rüber zu Vicky, die sich ein paar in den Mund stopfte, um dann die Tüte mit der anderen Hand zu halten, um die auf Jian's Seite frei zu haben. Doch das reichte leider auch nicht. Sie konnte ja schlecht gewaltsam seine Hand entführen. Also wartete sie, bis das Popcorn leer war, wobei sie sehr ambitioniert mithalf.
      Jetzt aber! Nun gab es keine störende Tüte mehr. So wandte sie ihren Blick kurz von der Leinwand ab, um zu ihm rüber zu sehen. Sie wollte nicht ausversehen irgendwo hinlangen, wo ihre Hand nichts zu suchen hatte. Deshalb musste sie schauen, wo seine Hand lag. Ihr Herz schlug immer schneller und dann tat sie es. Sie hob ihre Hand und nahm dreist wie sie war, die seine in diese. Ihre Wangen wurden immer heißer, aber nachdem sie ihr Ziel nicht verfehlt hatte, sah sie wieder zum Film und hoffte, dass es für Jian okay war und sie wie ein Pärchen ihre Finger ineinander verschränken könnten. Das war nun davon abgängig, ob er es genau so wollte, wie sie.
      ~ ♦ ~ Die Freiheit der Phantasie ist keine Flucht in das Unwirkliche; sie ist Kühnheit und Erfindung. ~ ♦ ~
      - Eugene Ionesco