Percival
Simon konnte kaum glauben, dass der Tag endlich gekommen war. Seit Wochen hatte er von nichts anderem mehr geträumt als vom Release des heiß ersehnten VRMMORPGs „Drakonia“. Als leidenschaftlicher Gamer hatte er schon viele Spiele hinter sich gebracht, doch selten war er so aufgeregt auf den Release eines neuen Spiels wie heute.Natürlich hatte er das Game bereits vorinstalliert und wartete nur noch darauf, dass die Uhr 6 Uhr schlug, um den endgültigen Launch der Server einzuleiten. Und dann, endlich, nachdem er bereits die Sekunden gezählt hatte, erschien der "Log in" Button.
Mit nervöser Vorfreude setzte Simon das VR-Headset auf und loggte sich ein. Die Verbindung zum Spiel war nahtlos, und innerhalb von Sekunden war er nicht mehr in seinem Zimmer, sondern fand sich in einem Charakter-Kreations-Screen wieder. Die bisherigen Trailer hatten noch nicht viel Auskunft darüber gegeben, welche Rassen und Klassen in diesem Fantasy-MMORPG spielbar waren, und so staunte Simon nicht schlecht, als er durch die vielen unterschiedlichen Optionen scrollte. Wie sollte er sich da bloß entscheiden? Er wollte möglichst schnell mit dem Spielspaß beginnen und nicht ewig daran sitzen, einen Startcharakter zu erstellen, den er sowieso bald durch einen Hauptcharakter ersetzen würde, sobald er die Mechaniken des Spiels durchschaut hatte.
Also warum nicht mal etwas Neues ausprobieren? Die Klasse des Musikers stach ihm ins Auge. Hmm, solche Supporter-Klassen hatten ihn bisher nie richtig interessiert. In seinem letzten MMO hatte er einen Untoten-Blutritter gespielt, der nur auf reinen Damage Output ausgelegt war. Ach, warum nicht? Neugierig darauf, was ihn erwarten würde, klickte er also den Musiker an. Sofort ploppten neben einigen der Rassenoptionen kleine "Empfohlen"-Icons auf. Huh, interessant! Einige Rassen eigneten sich also mehr für bestimmte Klassen als andere, und das Game wies die Spieler sogar noch extra darauf hin. Anscheinend hatten Elfen eine gute Affinität als Musiker, und so wählte er diese Rasse aus. Besonders die Unterrasse "Dunkelelfen" sprach ihn sehr an.
Neben einigen kleinen kosmetischen Anpassungen näherte er sich nun endlich dem finalen Schritt: der Wahl eines Spielernamens! Ohne zu zögern, tippte er seinen altbekannten Gamertag ein: Percival. Schon klar, es klang altmodisch. Aber hey, das war ein Fantasy-MMO, da passte sowas doch wohl rein!
Ein letztes Mal bestätigte er seine Auswahl. Der Ladebildschirm verblasste und vor ihm erstreckte sich die atemberaubende Landschaft von Drakonia.
Mächtige Berge, üppige Wälder und weitläufige Ebenen bildeten eine lebendige Kulisse, die in atemberaubendem Detailreichtum zum Leben erwachte. Und- heilige scheiße, War das Ein riesiges Drachenskellet was dort die Stadt umgab?!
Die Luft war erfüllt von den Geräuschen der Natur und der geschäftigen Aktivitäten anderer Abenteurer, die sich in der Nähe des Startgebiets Dracosa, vor dem auch er gespawnt war, tummelten.
Wow! Verblüfft, wie real sich alles hier anfühlte, streckte Simon - nein, jetzt Percival - seine Hände aus und betastete sein Gesicht, strich sich über sein seidiges Haar, über seine spitzen Elfenohren. Es fühlte sich alles so krass real an!
Sogar die Sonne, die vom strahlend blauen Himmel auf ihn herab schien, fühlte sich so an, als könnte sie ihm einen Sonnenbrand zufügen, wenn er sich zu lange in ihrem Licht aufhielt. Was für ein krasser Realismus! Wie konnte man so viel Liebe zum Detail in einem einfachen Computercode verstecken?
Percival, in seinem eleganten Bardenoutfit, ließ seinen Blick über die atemberaubende Szenerie schweifen und fühlte eine Welle der Begeisterung in sich aufsteigen. Als nächstes begutachtete er seine Ausrüstung. Als Musiker trug er eine Laute als "Startwaffe" (pffffh) bei sich, deren Saiten im Licht der Sonne glitzerten.
„Mal sehen, wie das hier funktioniert“, murmelte Percival und schlug die ersten Akkorde auf seiner Laute an. Sofort erfüllten harmonische Klänge die die Umgebung und ließen die Luft magisch vibrieren, die nicht nur ihn, sondern auch einige vorbeiziehende Spieler zum Staunen brachten.
Percival wanderte durch die Straßen von Dracosa, spielte Melodien und testete seine Fähigkeiten. Er stellte schnell fest, dass die Musik tatsächlich Einfluss auf die Umgebung hatte. Er konnte andere Spieler mit Buffs versehen, ihre Moral heben und sogar einfache magische Effekte erzeugen. Ein breites Grinsen breitete sich auf seinem Gesicht aus. Diese Welt war wirklich etwas Besonderes.
Nach einigen Stunden des Entdeckens und Ausprobierens beschloss Percival, dass es an der Zeit war, sich auszuloggen. Es machte ihm wahnsinnig Spaß hier, aber mittlerweile dürfte es bereits nach Mitternacht sein, und morgen musste er eigentlich noch zur Schule. Wobei die Versuchung, einfach krank zu machen und den Tag über weiter zu zocken, schon sehr verlockend war...
Er öffnete das Menü und suchte nach dem Auslogg-Button. Doch zu seiner Verwunderung war da keiner. Er durchforstete das gesamte Menü, jede Einstellung und jeden Unterpunkt, aber der Auslogg-Button war einfach nicht zu finden. Eine Welle der Irritation stieg in ihm auf. Er versuchte es erneut, diesmal systematischer, aber es gab keinen Hinweis darauf, wie man das Spiel verlassen konnte. Sein Herzschlag beschleunigte sich. Sowas war ihm ja noch nie passiert. Stellte er sich einfach nur dämlich an, oder hatte das Game einen Bug?
Percival rannte durch die Straßen von Dracosa, suchte nach anderen Spielern und sprach sie an. „Hey, kann sich jemand ausloggen? Ich finde den Button nicht!“
Jeder, den er fragte, hatte dieselbe Antwort: „Nein, ich auch nicht.“ Die Verwirrung und Besorgnis stand den Spielern ins Gesicht geschrieben.
„Das kann doch nicht wahr sein“, murmelte Percival und schloss sich einer kleinen Gruppe von Spielern an, die sich in der Nähe eines Brunnens versammelt hatten. Alle waren sichtlich besorgt und diskutierten aufgeregt darüber, was zu tun sei.
„Wir müssen den Admins eine Nachricht schicken“, schlug einer der Spieler, ein Mensch mit einer riesigen Streitaxt am Rücken, vor. „Vielleicht ist das nur ein Bug, den sie schnell beheben können.“
Der Dunkelelf und die anderen stimmten zu. Gemeinsam verfassten sie eine detaillierte Nachricht an die Admins und gaben einen Bugreport ab. „Bitte behebt diesen Fehler so schnell wie möglich. Wir können uns nicht ausloggen!“
Nachdem die Nachricht abgeschickt war, blieb ihnen nichts anderes übrig, als zu warten. Die Stunden vergingen und mit jeder Minute wuchs die Ungewissheit. Was, wenn das Problem nicht so einfach zu lösen war? Was, wenn sie wirklich in dieser Welt gefangen waren?
Percival setzte sich auf eine Bank und starrte in die Ferne. Die anfängliche Begeisterung über die neue Welt war einer tiefen Besorgnis gewichen. Aber hey, so musste er sich am nächsten Tag zumindest nicht krankmelden...
... - ...
Es war auf den Tag genau ein Jahr vergangen, seit die Spieler in Drakonia festsaßen.
Ein Jahr voller Abenteuer, aber auch voller Ungewissheit und Verzweiflung.
Kein Spieler hatte es bisher geschafft, sich auszuloggen, und niemand hatte je eine Antwort auf einen Bugreport erhalten.
Das anfängliche Chaos hatte sich allmählich gelegt, und die Spieler hatten sich widerwillig an ihre neue Realität angepasst.
Percival, der sich mittlerweile mit seiner Rolle als Barde abgefunden hatte, saß an einem der Tische im Gasthaus der Gilde „Frozen North“. Das Gasthaus war ein belebter Treffpunkt für Abenteurer, die nach neuen Quests und Gruppenmitgliedern suchten. Percival ließ seinen Blick durch den Raum schweifen und beobachtete die Leute, die sich dem Questboard näherten.
Das Questboard war heute besonders voll. Es war das einjährige Jubiläum des Spiels, und die Spieler waren auf der Suche nach neuen Herausforderungen und Abenteuern. Percival hatte bereits eine Anfrage auf dem Questboard gepostet, in der er seine Dienste als Barde anbot. Viele Gruppen nahmen gerne Barden oder andere unterstützende Klassen für diverse Buffs mit. Heute, am Jubiläumstag, suchten besonders viele Leute nach neuen Gruppenmitgliedern.
Seit einigen Tagen gab es eine Ankündigung samt Timer, der im Menü jedes Spielers aufgetaucht war und auf das Erscheinen eines großen Event-Bosses hinwies. Irgendwelche Spieler hatten das Gerücht in die Welt gesetzt, dass diejenigen, die den Boss besiegen, anstelle von Loot einen Auslogg-Button im Menü bekommen würden. Natürlich gab es keine Beweise für diese Gerüchte, aber die Hoffnung trieb die Spieler an, sich dieser Herausforderung zu stellen.
Percival wusste nicht so recht, was er davon halten sollte. Einerseits hoffte er natürlich, dass die Gerüchte stimmten und er endlich einen Weg nach Hause finden könnte. Andererseits bezweifelte er, dass es so einfach sein würde. Nach einem Jahr ohne Antworten oder Hinweise auf eine Lösung war sein Optimismus stark gedämpft.
Nichtsdestotrotz war heute eine gute Zeit, um lukrative Geschäfte zu machen. Jeder wollte Buffs, um gut gegen den Event-Boss gewappnet zu sein und eventuell nach Hause zurückkehren zu können.
Der Dunkelelf hatte in den letzten Monaten gelernt, seine Fähigkeiten als Barde effektiv einzusetzen und ein ordentliches Einkommen zu erzielen. Die Buffs, die er verteilen konnte, waren in der Welt von Drakonia äußerst begehrt, zumal es kaum Spieler gab, die gleich zu Beginn einen Musiker als Startklasse ausgewählt hatten und somit die Zahl der Barden und der dazugehörigen Buffs auf der Spielplattform stark beschränkt war.
In the midst of chaos


there is also opportunity
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