Eine Welle nach der anderen, höher, mächtiger, überwältigender, bis sie ihn vollständig verschluckt hatte.
Das salzige Wasser brannte in seinen Augen, während er verzweifelt versuchte, an die Oberfläche zu gelangen.
Seine Lungen brannten vor dem Verlangen nach Luft, doch jede Bewegung, die er machte, schien ihn nur tiefer in die Tiefen des Ozeans zu ziehen.
Panik ergriff Besitz von ihm, als er sich in einem undurchdringlichen schwarzen Nichts verlor, nicht wissend, ob er überhaupt noch die Richtung nach oben kannte.
Finn schrie, doch kein Ton kam aus seinem erstickenden Mund.
Die Furcht packte ihn bei den Knochen und zog ihn weiter hinab in die Dunkelheit, wo kein Lichtstrahl je hinreichte -
Plötzlich, wie ein Blitz aus heiterem Himmel, schreckte Finn aus seinem Albtraum hoch, sein Körper von einem kalten Schweiß bedeckt, sein Herz raste wie wild in seiner Brust. Er lag in seinem einfachen Bett aus Leinenstoff, die Umrisse des Zimmers im fahlen Mondlicht nur schwach zu erkennen. Es war nur ein Traum, dachte er sich erleichtert, doch die Erinnerung an diese schreckliche Zeit, als er sein Gedächtnis im Meer verloren hatte, war immer noch lebhaft in seinem Geist.
Instinktiv wanderte seine Hand zu der Narbe an seiner Brust. Er wusste nicht mehr, wo er sich diese zugezogen hatte, aber ihm wurde erzählt, dass er mit dieser Verletzung in die Netze der Fischer hinein gespült wurde. Anscheinend hatte er Glück. Was auch immer ihn getroffen hatte, hatte sein Herz nur knapp verfehlt.
Langsam erhob er sich aus dem Bett und begann, sich für den Tag fertig zu machen. Es dauerte nicht mehr lange bis zum Morgengrauen. Und seiner Abreise…
Heute war der Tag, an dem er das Dorf verlassen sollte.
Die Hauptstadt hatte alle jungen Männer des Landes als Rekruten für ihre neue Armee einberufen, um gegen die drohende Gefahr aus dem benachbarten Reich zu kämpfen.
Auch Finn und ein weiterer junger Mann aus dem Dorf namens Jonas waren dazu ausersehen.
Aber warum genau eine Kriegserklärung ausgesprochen wurde oder wofür sie kämpfen sollten, wurde ihnen natürlich nicht mitgeteilt. Sie waren ja schließlich nur einfache Menschen vom Lande.
Nachdem er sein Gesicht kurz in kaltem Wasser gewaschen hatte, um den letzten Rest Müdigkeit und die letzten Spuren seines Albtraumes hinfort zu waschen, begann er sein wenig Hab und Gut zusammen zu packen.
Es war wirklich überschaubar.
Einige Leinenhemden, ein Kamm, und ein kleines Säcklein gemahlener Kohle.
Stets erhielt er Rückmeldung darüber, dass es doch gar nicht nötig sei, dass er seinem Haar damit eine dunklere Nuance verlieh. Doch irgendwie fühlte er sich so wohler, wenn sein helles, auffälliges Haar ihn nicht wie eine erleuchtete Fackel aus der Masse hervorstechen ließ.
Als Finn schließlich den Dorfplatz erreichte, traf er auf Jonas, der bereits dort wartete. Die beiden jungen Männer begrüßten sich mit einem Nicken und einem schwachen Lächeln, doch ihre Augen verrieten die Angst und Unsicherheit, die sie beide empfanden.
"Denkst du, wir werden je wieder hierher zurückkehren?", fragte Jonas mit zitternder Stimme.
Finn schluckte schwer. "Ich hoffe es."
Er ließ seinen blick schwermütig über den kleinen überschaubaren Dorfplatz wandern. Die Schlichten Holzhütten, an denen die Netze und Leinen zum Trocknen aufgehängt waren, die lehmigen Wege, von Schilf gesäumt, ja sogar das Geräusch der wellen die gegen die Rümpfe der Boote schlugen, die man vom nahegelegenen Ufer bis hierher hören konnte - all dies würde ihm fehlen. Er hatte keine Erinnerungen an seine Vergangenheit, doch dieser Ort war zu seiner Heimat - seinem Zuhause geworden.
Nach und nach trudelten immer mehr Leute ein um die jungen Männer zu verabschieden.
Tränen flossen, und Wünsche für ihre sichere Rückkehr wurden ausgesprochen.
Finn und Jonas versprachen, stark zu sein und zurück zu kehren, wenn der Krieg vorbei war.
Bevor sie sich endgültig auf den Weg machten, überreichte ihnen die Dorfgemeinschaft eine Ration geräucherten Fisches als Wegstärkung. Bescheiden, aber äußerst nahrhaft.
“Mein Junge, komm bloß zurück, hörst du?”
Finn beobachtete, wie Jonas von seiner Familie verabschiedet wurde, und er seinen weinenden Mutter einen Abschieskuss auf die tränenüberströmte Wange gab. “Mach dir keine Sorgen, Mutter! Ich komme zurück mit neuen Geschichten und einem ganzen Sack Gold am Mann!"
Bei dieser Szene spürte Finn einen kleinen Stich in seinem Herzen. Er hatte keine Familie, die ihn so verabschiedete. Und wenn er sie je gehabt hatte, so konnte er sich nicht einmal an ihre Gesichter erinnern.
Schnell wand er sich ab und ließ noch einen letzten Blick über seine Heimat und die vertrauten Gesichter schweifen.
Der Weg zur Hauptstadt des Königreichs war lang und beschwerlich, aber die beiden jungen Männer hielten sich gegenseitig bei Laune, indem sie Geschichten aus ihrer Kindheit erzählten.
Nun ja, Jonas zumindest. Er hatte es schon immer geliebt, Geschichten lebhaft zu erzählen, während Finn stets aufmerksam lauschte. Wenn er schon selber keine Geschichten zu erzählen hatte, lauschte er umso lieber anderen und versuchte, seine eigene innere Leere zu füllen.
Immer wieder musste er über Jonas Geschichten lachen, gab vereinzelte Kommentare und stellte Fragen.
Der Redefluss des Fischers war unermüdlich, und so verging die Zeit wie im Fluge.
Je näher sie der Hauptstadt kamen, desto mehr junge Männer aus anderen Dörfern trafen sie, die dasselbe Ziel hatten wie sie. Auch sie begannen ihre eigenen Geschichten zu erzählen.
Die Nacht warbbereits hereingebrochen, als sie schließlich in der Hauptstadt ankamen, doch es gab keine Zeit zum Ausruhen.
Der Ausbilder für die Rekruten, ein stoischer, hochgewachsener Mann mit ergrautem Haar, begann sofort damit, die eingetroffenen Männer in ihre neuen Einheiten einzuteilen und Anweisungen zu geben.
“Du, dort entlang.” Wies er auf Jonas und dann in Richtung einer Unterkunft.
Instinktiv wollte Finn ihm folgen, doch der Ausbilder scjüttelte energisch den Kopf.
“ Du nicht. Diese Einheit ist voll. Du gehst dorthin." Er deutete in die andere Richtung, zu einer entfernten Unterkunft. Beunruhigt trafen sich die Blicke der beiden.
“Wir werden uns wiedersehen.” versprach Finn und Jonas nickte zuversichtlich "Bestimmt."
Und so trennten sich ihre Wege während beide in die ihnen jeweils zugewiesene Unterkunft hinein traten.
Er spürte einen Stich der Hilflosigkeit, von der einzigen Person getrennt zu werden, die er hier kannte.
Doch fürs erste überwog die Müdigkeit.
Allein in seinem neuen Quartier fiel Finn erschöpft auf ein freies Lager aus Stroh, am hintersten Ende, und dachte an die Herausforderungen, die vor ihm lagen. Der Krieg mochte noch nicht begonnen haben, aber er wusste, dass sein Leben nie wieder dasselbe sein würde.
Aurin Van Belenus
Aurin ritt durch das sanfte Hügelland, sein Pferd wiehernd und die klirrende Rüstung ein Echo seiner Gedanken. Die vergangenen Tage hatten ihn tief in die Archive des Schlosses geführt, wo vergilbte Seiten und staubige Bücher ihm Geschichten aus längst vergangenen Tagen erzählten.
In der majestätischen Bibliothek des Schlosses, erleuchtet vom weichen Schein der Kerzen, hatte Aurin nächtelang umgeben von Wissen und Geheimnissen die Schriften durchforstet.
Die schweren Bücher, die auf dem großen Holztisch vor ihm ausgebreitet lagen, erzählten von vergessenen Intrigen und längst vergangenen Mächten.
Doch ein Eintrag hatte sein Interesse geweckt, wie eine verborgene Perle in einem Meer von Worten.
Die Geschichte einer Dienstmagd, einfach und doch bedeutsam, zog ihn in ihren Bann.
Sie war als einfache Küchenhilfin angestellt, bis sie auf Geheiß des damaligen Königs selbst zu seiner persönlichen Dienstmagd wurde.
Über Jahre hinweg hatte sie ihm treu gedient, ihre Anwesenheit im Schloss unauffällig und dennoch von Bedeutung. Bis sie dann, eines Tages, einfach verschwunden ist, wie ein Schatten in der Nacht.
Aurin spürte, dass diese Frau ein wichtiges Puzzlestück in der Geschichte des Königshauses sein könnte, ein fehlendes Glied in einer Kette von Geheimnissen.
Zurück in der Gegenwart erreichte Aurin einen abgelegenen Hof, auf dem einige Hühner auf dem Innenhof herumpickten. Er stieg von seinem Pferd ab und sah sich um, seine Rüstung klirrte leise im Wind. Er hoffte, dass sein Aufzug ihm den angemessenen Empfang sichern würde, den er brauchte, um seine Nachforschungen fortzusetzen.
Der Hof schien ruhig und abgeschieden zu sein, und Aurin atmete tief durch, als er sich entschloss, den Hof zu betreten und nach den Bewohnern zu suchen. Vielleicht würde er hier endlich die Antworten finden, nach denen er so lange gesucht hatte.
In the midst of chaos
there is also opportunity