Like father, like son [Kiimesca&Hemera]

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    • Juliette de Valois

      Verwirrt blickte ich dem Schwarzhaarigen hinterher. Er hatte einfach eingestimmt und war dann wieder abgezogen. Mit hochgezogenen Augenbrauen sah ich zu den Frauen an der Bar, die aber nur unwissend die Schultern hochzogen. Ich verstand diesen Mann wirklich garnicht. Normalerweise verstand die Männerwelt mich nicht, damit dass ich niemanden kennenlernen wollte oder mich distanziert zeigte, aber Alexander war mir ein absolutes Rätsel. Ich konnte mir nicht ansatzweise ausmalen, was wohl hinter diesen dunklen Augen vorging. Nachdem eine Dame mit einem Tablett zurück zur Bar kam, nahm ich ihr dieses ab, damit sie sich stattdessen um andere Gäste kümmern konnte. Ich war wirklich dankbar, dass ich anstelle dessen einfach leere Gläser einsammeln konnte.

      Während ich meine Runde durch die große Spielhalle machte behielt ich Alexander mit seinem Gast im Auge und hielt dabei eine gewissen Abstand zu den zwei Männern. Ich spürte den Blick des fremden Mannes neben dem Schwarzhaarigen auf mir, aber jemand anderes hatte mich ebenfalls im Auge. Wie ich diese Gabe hasste. Mit einem vollen Tablett in der Hand sah ich mich in dem großen Raum um. Mit verschränkten Händen stand ein Mann an die Wand gelehnt, offensichtlich jemand vom Personal. Er war es, dessen Blick ich ebenfalls auf mir spürte. Sollte er etwa auf mich aufpassen? Ich schüttelte den Gedanken ab und lief zurück zur Bar. Wahrscheinlich fand er mich einfach attraktiv. Ich konnte mir kaum vorstellen, dass ich hier wie ein Kunstwerk gehütet würde. Dafür war das ja wohl mit Abstand das schlechteste Umfeld dafür.

      „Noch einen!“, Sophies Stimme riss mich aus den Gedanken. Ich räumte die Gläser vom Tablett und nickte ihr mit einem schmalen Lächeln zu. Wie zuvor beigebracht bereitete ich ihren Sex on the Beach vor - mit einem extra Schuss Vodka auf ihren Wunsch hin. Fröhlich zog sie am Strohhalm des fertigen Cocktails. Immerhin ein Rezept beherrschte ich anscheinend auswendig. Oder Soph war meine schlechteste Kritikerin. „Willst du eigentlich die ganze Nacht hier sitzen?“, fragte ich die lebendige Brünette und zog eine Augenbraue hoch. Eigentlich war es garnicht ihr Stil so lange still sitzen zu können. Zu meiner Überraschung antwortete sie: „Ja, super spannend hier.“ So nichtssagend wie diese Aussage von ihr, war auch ihr Gesichtsausdruck. Ich blickte zu Emilia auf, ob sie verstand was meine Freundin da meinte, aber sie war in eine lange Liste von Cocktails, die noch zubereitet werden mussten, vertieft. Im Versuch dabei etwas zu lernen sah ich der Schwarzhaarigen beim Zubereiten der Drinks zu und versuchte ihr zumindest damit auszuhelfen, ihr Zutaten zu reichen. Unter ihrer Anleitung versuchte ich den ein oder anderen Cocktail zeitgleich mit ihr zuzubereiten, aber da war die erfahrene Barkeeperin einfach viel zu schnell bei, so dass ich nicht mal ansatzweise die Chance hatte mitzuhalten. Seufzend stütze ich die Hände auf die nasse Theke der Bar und blickte durch den Raum. Diesen Abend lernte ich wirklich in welchen Sachen ich so garnicht begabt war.
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      Love by the moon ☽︎
    • Kirian / Alexander Daskalalos

      Normalerweise verschwand Sebastian auch recht schnell wieder, sobald er seiner Meinung nach genug Geld hatte. Doch heute wollte er noch 'etwas chillen'. Das passte mir irgendwie gar nicht. Ich war oft von Menschen und Halbgöttern genervt, aber nicht so. Ich sah sie eher als lästige Maden, statt als Bedrohung, wie ich es heute tat. Als würde Sebastian oder jemand anderes mich bestehlen können.
      Also begleitete ich den Halbgott an die Bar, denn dort wollte er hin. Sollte er meinetwegen mit der Menschenfrau flirten, das wäre mir recht. Da Juliette allerdings noch nicht die Hilfe war, die Emilia gebrauchen könnte, stellte ich mich neben sie und fing an ihr beim Mischen der Getränke zu helfen. Nicht weniger geschickt als sie - immerhin hatte sie von mir gelernt - landete ein volles Glas nach dem anderen auf dem Tresen. Woher ich das konnte? Ich war auch mal klein angefangen. Als gewöhnlicher Barkeeper, ja. Doch ich lernte schnell und vor allem hatte ich ein gutes Händchen, um unauffällig zu betrügen. Was ich wollte, bekam ich auch. Das hatte sich wohl irgendwann rumgesprochen, sodass andere bei mir nach Hilfe fragten. Und so entstanden letztendlich die Wetten.

      Als es etwas ruhiger an der Bar war, setzte ich mich auf einen Stuhl im Inneren und versuchte diesen Halbgott zu beschäftigen, damit er nicht auf dumme Ideen kam. Das hier war kein Bordell. Stammkunden wussten eigentlich, dass sie nur gucken, aber nicht anfassen durften. Der Abend blieb glücklicherweise gewohnt friedlich. Ein Streit wurde meist schon geschlichtet, bevor er richtig ausgebrochen war, denn auf eine Schlägerei unter halbstarken konnte ich gut verzichten. Hin und wieder beäugten die Damen des Hauses den Neuling, doch ich machte mir keine Sorgen darüber, dass sie sich nicht verstehen könnten. Eigentlich hatte ich ein gutes Händchen dafür, um harmonische Gruppen zu bilden. Die letzte Hostess, die wegen einer Wette herkam, fand so großen Gefallen an diesem Job, dass sie freiwillig blieb. Das war die kleine Asiatin, die mir irgendwann diesen Hulk abgenommen hatte, damit ich aufatmen konnte. So konnte ich meine Runden durch den Club fortsetzen. Gelegentlich half ich Emilia aus oder versuchte Juliette schon ein paar Rezepte näher zu bringen. Zwar war ich nicht der größte Cocktailtrinker, doch ich musste ja auch mal probieren, was mein kleines Juwel da zauberte. Außerdem war nicht jeder Drink bestellt, den ich sie machen ließ. Ihre Freundin bekam an diesem Abend jedoch mehr als genug zu trinken.
      ~ ♦ ~ Die Freiheit der Phantasie ist keine Flucht in das Unwirkliche; sie ist Kühnheit und Erfindung. ~ ♦ ~
      - Eugene Ionesco
    • Juliette de Valois

      Ich war etwas beeindruckt davon, wie schnell Emilia und nun auch Alexander neben mir Drinks zubereiteten. Vor allem hatte ich nicht von dem Halbgott erwartet, dass er solche Arbeiten in seinem eignen Club erledigen würde, nur um auszuhelfen. Es wirkte fast schon erbärmlich, wie ich verzweifelt versuchte mit den beiden mitzuhalten, aber irgendwie stattdessen nur in die Quere kam. Deswegen war ich umso dankbar, dass zumindest Emilia die Hilfe bekam, die sie über den Abend hinweg brauchte - zwar nicht von mir, aber ich gab mein bestes zu lernen und auszuhelfen.

      Langsam ebbten die Bestellungen ab, weswegen ich den Blick endlich wieder einmal durch den Raum gleiten lassen konnte. Soph hatte sich nach ein paar zu vielen Cocktails verabschiedet und Einwand eingelegt, dass sie jemand nach Hause begleiten musste. Zum Glück hatte die Brünette es nicht weit von hier. Mit einem erschöpften Seufzen lehnte ich mich gegen die unordentliche Bar. Eigentlich war das entstandene Chaos allein meine Schuld. Bei manchen Drinks hatte ich sogar schon Schwierigkeiten, allein so schnell die Flüssigkeit in ein Glas zu gießen, ohne dabei was daneben laufen zu lassen. Emilia musterte ihre Bar und ich bemerkte die Müdigkeit in ihrem Blick. Es konnte sicherlich nicht einfach sein gleichzeitig alles am Laufen zu halten und auch noch mir etwas erfolgreich beizubringen. „Ich räum alles auf, keine Sorge“, meinte ich zu der Schwarzhaarigen. Sie sah mich überrascht an und fragte: „Bist du sicher?“ Als Antwort nickte ich nur knapp. Sie lächelte dankbar, während sie die letzten Getränke zubereitete.

      Die Nachzügler dieser Nacht verließen torkelnd den großräumigen Spielsaal. Mit ihnen zusammen auch Emilia, die nochmal von mir versichert bekommen hatte, dass es sicher in Ordnung war mich alleine aufräumen zu lassen. Nachdem die Barkeeperin mir eine gute Nacht wünschte - und das um 5 Uhr morgens - verschwand ihr schwarzer Haarschopf in der Tür. Seufzend stützte ich die Hände auf die klebrige Theke. Ich strich mir die blonden Haare hinter die Ohren und ließ meinen Blick über das kleine Chaos vor mir gleiten. Dann machte ich mich wohl besser daran die Bar sauber zu machen. Ich sah mich kurz im großen, leeren Saal um und zog dann mein Handy raus. Das ganze würde sicherlich schneller mit ein wenig Musik gehen. Dementsprechend spielte ich von meinem Handy paar französische Lieder ab. Darunter auch eins meiner neuen Lieblingslieder.
      Mit der Musik in einer etwas energiegeladeneren Stimmung zog ich einen nassen Lappen aus dem Waschbecken und wischte über die Thekenoberfläche, während ich nebenbei alle umgefallenen Strohhalme, Obststücke zur Dekoration und anderes wegräumte.
      ☀︎ Live by the sun
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    • Kirian / Alexander Daskalalos

      Ich ließ die Damen später wieder allein und ging auch meine Runden durch die anderen Räume, um nach dem Rechten zu sehen. Je später es wurde, desto schrecklicher klangen die Sänger, die sich beim Karaoke versuchten. Auch wenn ich wusste, dass es nicht nötig war alles zu kontrollieren, war das für mich auch ein wenig wie der Gang über den roten Teppich. Immerhin hatte ich diese Welt geschaffen und rühmte mich gern mit diesem Erfolg. Deshalb sah ich gern mit eigenen Augen, wie alles lief.
      Als ich mich kurz an die Bar im Eingangsbereich setzte, um die gehenden Gäste zu beobachten, holte der Barkeeper schon ein Glas heraus, doch ich winkte ab. Heute hatte ich schon mehr als genug getrunken. Daraufhin widmete er sich wieder der Reinigung. Mein Blick fiel auf die schwarzhaarige Halbgöttin, die sich mit wackelnden Fingern von mir verabschiedete. Dieses Gefühl, wenn der Club sich leerte war immer eigenartig. Es war, als würde das Leben verblassen. Doch hinter den Kulissen hieß es für mich auch, dass meine Kassen voller waren als sie es noch am Morgen waren.

      Langsam erhob ich mich und ging zurück in die Glückshalle. Sofort fielen meine Augen auf Juliette. Sie war fleißiger, als ich befürchtet hatte. Zum Einarbeiten war der Samstag nicht unbedingt der beste Tag, aber das Chaos blieb überschaubar. An den anderen Tagen wäre es ruhiger.
      Ich setzte mich an die Bar und betrachtete sie offensichtlich. Es war kein Starren, welches anzügliche Gedanken vermittelte. Mein Blick war sanft, aber so aufmerksam, als wolle ich die Geheimnisse eines Gemäldes ergründen. Als wolle ich verstehen, was uns der Künstler damit sagen wollte. Was also wollte Juliette uns sagen? Gab es noch Geheimnisse zu entdecken oder hatte ich sie schon vollends durchschaut? Das galt für mich noch herauszufinden.
      ~ ♦ ~ Die Freiheit der Phantasie ist keine Flucht in das Unwirkliche; sie ist Kühnheit und Erfindung. ~ ♦ ~
      - Eugene Ionesco
    • Juliette de Valois

      Mit der lauten Musik, die in der leeren Spielhalle widerhallte, war ich relativ schnell vorangekommen die Bar wieder sauber zu machen. Ich wippte im Takt des gerade laufenden Liedes, bis ich ein Prickeln auf meiner Haut spürte. Sofort sah ich mit meinen grünen Augen auf und blickte dem Schwarzhaarigen vor mir entgegen. „Oh, entschuldige“, meinte ich schnell und griff nach meinem Handy, um die Musik auszustellen. Das Smartphone landete in meiner Handtasche unter der Theke. Dann galt meine Aufmerksamkeit wieder Alexander, der sich auf einem der Barhocker mir gegenüber niederließ. „Ist es immer so voll hier im Club?“, fragte ich neugierig nach und wrang dabei den Waschlappen in meiner Hand über der Spüle aus, bevor ich ihn ins Waschbecken legte. Ich merkte wie sein Blick weiterhin auf mir ruhte, aber nicht über meinen Körper wanderte.
      Ungewohnt, aber eine willkommene Abwechslung. Vor allem nachdem ich immer wieder die Blicke betrunkener oder ekstatischer Männer - oder neugieriger Frauen - auf mir gespürt hatte. Vor allem wusste ich nun, dass ich für diese Arbeit definitiv keine hohen Schuhe anziehen würde. Ich stützte mich mit einer Hand an der Theke ab, während ich nacheinander beide Füße ausschüttelte. Ich spürte meine Fußballen schon garnicht mehr, es würde ein Segen sein, wenn ich diese hohen Schuhe Zuhause endlich ausziehen konnte.
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    • Kirian / Alexander Daskalalos

      Hätte mich ihre Musik gestört, hätte ich schon was gesagt. Doch ich schwieg und beobachtete sie nur. Jedes Handeln war ein Puzzleteil, welches das Gesamtbild vervollständigte. Warum entschuldigte sie sich also dafür? Entweder mangelte es ihr an Selbstbewusstsein, was ihren Musikgeschmack anging oder sie hatte lernen müssen, dass andere so etwas nicht duldeten. Ob sie einen dominanten Vater hatte? Oder war es ihr Freundeskreis? Oder gab es andere Dinge, die gegen ihr Kartenhaus pusteten?
      Menschen - oder sagen wir lieber Personen - waren wie Bücher. Die einen legte man schon nach den ersten drei Seiten beiseite und manche konnte man einfach nicht aus der Hand legen, bis man am Ende angekommen war. So eines war Juliette für mich. Ich wollte jede einzelne Seite lesen und sie ergründen.
      Deshalb musste ich auch ein wenig schmunzeln, als ich sah, wie sie im Verborgenen ihre Füße ausschüttelte. Ihre Schuhe waren mir beim Betreten des Clubs aufgefallen, aber sie wollte sich unbedingt schon heute in die Arbeit stürzen.
      "Meistens", antwortete ich auf ihre Frage. Sie war ja nun nur in diesem Bereich gewesen und der war jeden Tag etwa gleich gut gefüllt. Am Wochenende natürlich ein wenig mehr, aber auch in der Woche kamen einige Spielsüchtige. Ich konnte sie gut verstehen, denn es gab kein berauschenderes Gefühl, als etwas zu gewinnen.

      Juliette war die letzte, die das Gebäude verließ, weshalb ich auf sie gewartet hatte, um die Tür abzuschließen. Eine Treppe führte mich in mein Loft über dem Club, dass ich mein Zuhause nannte. Kein Wunder also, dass auch der Club zu meinem Zuhause zählte. Es war meine eigene kleine Unterwelt. Ein passender Name, wenn man sich vorstellte, dass hier einige Gäste in ihrem Existenzminimum ein und aus gingen. Irgendwelche Unruhestifter und Depressionen auslösende Gestalten kamen mir allerdings nicht ins Haus. Sagen wir, dass meine Welt mehr für die Mittelschicht geschaffen war.
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      - Eugene Ionesco
    • Juliette de Valois

      Nach dieser langen Samstagnacht war ich dankbar für die frische Morgenluft draußen. Ich atmete tief ein und aus, während der Schwarzhaarige hinter mir die Tür abschloss. Bevor ich mich für diese Schicht verabschiedete, erklärte Alexander mir um welche Uhrzeit ich an der Bar aufzutauchen hatte. Nun waren es nur noch 2 Monate und 29 Tage. Vielleicht würde ich anfangen die Tage in meinem Kalender zu markieren, um den Überblick zu behalten. Im Bus nach Hause saß ich zusammen mit den Leuten, die schon früh morgens unterwegs zur Arbeit waren. Während ich aussah als hätte ich die ganze Nacht durchgefeiert - daran würde ich mich auf jeden Fall gewöhnen müssen.

      Erleichtert kam ich in meinem kleinen Apartment an, stellte meine Handtasche ab und nachdem ich die Schuhe abgestreift hatte - die man nach der ganzen Zeit auch als Foltermethode gelten könnte - fiel ich direkt ins Bett.
      Erst am späten Nachmittag wurde ich langsam wieder munter. Ich rieb mir den Schlaf aus den Augen und sah an mir runter. Im rosanen Partykleid lag ich auf meiner Tagesdecke, ich hatte mich nicht einmal richtig zugedeckt. Normalerweise war ich auch nicht bis 5 Uhr morgens wach. Wie spät war es überhaupt? Wie in Zeitlupe setzte ich mich in dem rosa bezogenen Bett auf und sah auf der Suche nach meinem Handy zu meinem Nachttisch. Da lag es aber nicht. Hatte ich es noch in der Handtasche gelassen? Ein genervtes Seufzen entfuhr mir, während ich mich vom Bett quälte und in den Flur lief, wo meine kleine Tasche neben meinen hohen Schuhen stand. Ich kramte nach meinem Handy und blickte auf die Uhr. „Schon 17 Uhr?! Ich hab über 10 Stunden geschlafen?“, rief ich etwas geschockt aus. Eigentlich brauchte ich nicht so viel Schlaf, aber fairerweise musste ich bisher nicht so hart arbeiten wie gestern Nacht. Generell hatte ich mich um nichts neben dem Studium kümmern müssen, außer meinem eigenen Haushalt. Um 18 Uhr sollte ich im Apólafsi erscheinen. Noch im Flur zog ich mir das kurze Kleidchen aus und ließ es einfach auf dem Bett liegen. Und dann stand ich wie gestern schon ratlos vor meinem Kleiderschrank. Zwar musste ich mich nicht wie Emilia an der Bar kleiden, aber das half mir nicht dabei, was ich denn nun anziehen sollte? Nachdem ich mehrere Optionen rausgezogen hatte, entschied ich mich für eine lange schwarze Hose und eine rosane Bluse, bei der ich die obersten Knöpfe offen ließ. Und natürlich stellte ich mir für heute ein paar weiße Sneaker raus. Für nichts in der Welt würde ich nochmal eine solche Nacht mit hohen Schuhen durchmachen. Selbst jetzt noch spürte ich meine schmerzenden Fußballen.

      Nachdem ich mich noch im Bad frisch gemacht hatte, war ich schon auf dem Sprung zum Nachtclub. Egal wie sehr ich es versucht hatte, ließ sich meine Verschlafenheit nicht von Schminke verdecken. Wieder mit einer kleinen Handtasche bewaffnet stieg ich in den Bus und fuhr die wenigen Haltestellen zu meinem Zielort. Die Atmosphäre war vor dem Club um diese Uhrzeit eine ganz andere. Die Sonne tauchte die Fassade des Gebäudes in ein warmes orange und es leuchteten noch nicht überall strahlende Lichter. Dazu waren nicht überall Leute unterwegs, nichtmal die Security war vor der Tür anwesend. Hatte ich Alexander falsch verstanden? Etwas unsicher lief ich auf die Eingangstür zu, fast schon überzeugt davon, dass sie nicht aufgehen würde. Doch als ich mich mit meinem Körpergewicht dagegen lehnte, schwang sie einfach auf. „Alexander?“, fragte ich laut in die Eingangshalle und streckte den Kopf durch die offene Tür. Genauso wie wir den Club gestern verlassen hatten, war es komplett leergefegt und still. Fast schon gruselig. Und dennoch trat ich ein, auf der Suche nach dem Schwarzhaarigen.
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    • Kirian / Alexander Daskalalos

      Wie frisch aus dem Ei gepellt, stieg ich die Stufen hinab in den Club. Ich hatte gut geschlafen, gut 'gefrühstückt' und mich noch um ein wenig Papierkram gekümmert. Ich war nicht so verrückt, alles selbst zutun. Wenn ich sage, dass ich mich um den Papierkram kümmere, dann meinte ich damit nur, dass ich lose Zettel in ein Fach steckte auf dem 'neu' stand. Den Rest erledigte die Buchhaltung. Meine Einnahmen waren groß genug, dass ich ausreichend Leute bezahlen konnte, um die langweilige Arbeit zu erledigen. Selbst für meine privaten Räume hatte ich eine Reinigungskraft.

      Das Apòlafsi öffnete um 19 Uhr. Die ersten Mitarbeiter trudelten zwischen halb 7 und 7 rein. Juliette bekam allerdings noch keine richtige Einweisung, weshalb ich sie früher zu mir bestellte. Und da stand sie. Wie ein scheues Reh reckte sie ihren Hals und rief fragend meinen Namen in den Raum, als würde ich gerade einen Horrorfilm schauen und sie gleich von hinten angegriffen würde. "Juliette!", begrüßte ich sie enthusiastisch und breitete meine Arme aus, um der Freude sie zu sehen, mehr Ausdruck zu verleihen. Da war sie wieder mein kleiner Juwel. Wieder an meiner Seite.
      Mein Blick wanderte langsam über ihre Beine, von denen sie heute nicht viel zeigte. Im Satz 'Kleider machen Leute' steckte aber so viel Wahrheit drin. Was machten die weißen Sneaker und die rosane Bluse neben dieser Hose also aus Juliette? Für mich war das wie ein Rätsel, dass es zu lösen gab. Ein Rätsel, um die Büchse der Pandora zu öffnen. Bei ihr würde wohl nur ein Kartoffelsack helfen, um ihre Schönheit zu verbergen. Nein, vermutlich nicht einmal das. Es war ihre Ausstrahlung, auf die sie selbst nur wenig Einfluss übte. Andernfalls könnte sie Könige verführen und ganze Länder erobern. In der heutigen Welt würde sie sich wohl eher einen Superstar angeln und in Kohle schwimmen.

      Ich erzählte ihr ein wenig über die unterschiedlichen Räume, aber nur das Gröbste, da sie nur in einem Raum eingesetzt werden würde. In eben diesem Raum angekommen, ging ich mit ihr hinter die Bar, um sie mit allem vertraut zu machen. In aller Ruhe ohne den Druck der wartenden Kundschaft. "Hat auch was von Kunst, findest du nicht?", fragte ich und betrachtete das Cocktailglas. Ein Tequila Sunrise, der wirklich die Schönheit eines Sonnenaufgangs hatte. "Welcher Kunst hast du dich verschrieben?" Kunst war vielseitig und bestand nicht nur aus Farben und Formen. Die Musik und der Tanz waren ebenfalls Facetten der Kunst.
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      - Eugene Ionesco
    • Juliette de Valois

      Meine Augen erblickten einen viel zu enthusiastischen Alexander, der mich mit ausgebreiteten Armen begrüßte. Freute er sich bei all seinen Mitarbeitern so, wenn sie durch die Tür reinkamen? Mit hochgezogener Augenbraue betrachtete ich den Schwarzhaarigen. Ihm konnte man nicht ansehen, dass er eine ewig lange Nacht hatte. Stattdessen sah er frisch und ausgeschlafen aus, wiedermal in einem schicken Hemd gepaart mit einer makellosen Anzugshose. Ein Aspekt, der doch sehr positiv auf mich wirkte. Wäre er mir nicht bei der ersten Begegnung wie ein flirtender Macho vorgekommen, fände ich ihn wahrscheinlich auch ganz charmant. Aber der erste Eindruck blieb eben bei mir hängen.

      Ich folgte dem Schwarzhaarigen durch den ausladenden Nachtclub. Mir war schon gestern aufgefallen, wie viele unterschiedliche Räume es hier gab, aber alle hintereinander gezeigt zu bekommen, war nochmal etwas anderes. Begeisterter, als ich jemals Alexander gegenüber zugeben würde, folgte ich ihm bis schließlich zur Bar hin, die mein Arbeitsplatz für die kommende Zeit darstellen sollte. Zusammen mit ihm übte ich die beliebtesten Drinks, die über den Abend hinweg bestellt wurden. Gerade stand ich vorgebeugt vor einem gefüllten Cocktailglas und betrachtete aus nächster Nähe die unterschiedlichen, farbigen Schichten, die von rot bis hin zu gelb verliefen.

      „Ja, gerade diese farbigen find ich toll“, antwortete ich dem Schwarzhaarigen. Bei seiner Frage bezüglich meiner Kunst sah ich überrascht zu ihm auf. Langsam richtete ich mich auf und stemmte die Hände in die Hüfte. „Impressionismus“, erklärte ich ihm, „Also ich male impressionistische Portraits.“ Mein Handy war zwar fast leer, aber zog ich es aus meiner Handtasche raus, die ich mal wieder unter der Bartheke geparkt hatte. Ungefragt zeigte ich Alexander mein Handyhintergrund. Es war eins meiner Portraits für das Studium. Es zeigte eine Frau im weißen Kleid zwischen pinken Blumen. Anstatt ebenfalls auf das Handy zu sehen, betrachtete ich den Schwarzhaarigen. Was meine Kunst anging, wollte ich immer wissen was der Betrachter davon hielt. Besonders die erste Reaktion war etwas, was man nur schlecht verbergen konnte.
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    • Kirian / Alexander Daskalalos

      Gerade Farben wie diese machten einen Cocktail zu mehr als einem Cocktail. Fast zu schade, um darin umzurühren. Ein flüchtiger Moment bis zum ersten Schluck. Impressionismus. Genau. Eine leichte Überraschung, die viel mehr für mein Interesse sprach, zeichnete sich in meinem Gesicht ab, als sie mir erklärte, sie würde impressionistische Portraits malen. Leuchtende Farben, schimmerndes Licht und flüchtige Augenblicke wie dieser.
      Meine Augen sprangen von ihrem Gesicht auf das Display, um ihr Kunstwerk zu betrachten.
      Als würde die Frau im Bild beim nächsten Wimpernschlag ihre verspielte Drehung weiterführen. Die Schönheit eines glückseligen Moments. Als wäre diese Frau meine Geliebte, der ich meine Hand entgegenstrecken wollte, um sie an mich zu ziehen und ihr dabei entwichenes Kichern mit einem Kuss zu ersticken.
      Die Uhrzeit, die sich auf dem Display in den Vorhergrund zu drängen versuchte, verschwamm in den Farben, sodass ich mich als nächstes der doch etwas wilderen Strichführung widmen konnte. Kein aggressiver Schwung, sondern viel mehr von Leichtigkeit und Lebensfreude geführt. Mein kostbares Juwel war also wirklich eine begabte Künstlerin.

      Langsam hob ich meine Augen wieder und blickte in die ihren. Ob sie wohl geschickt genug war, um meine Gedanken erfassen zu können? Ich versuchte mir vorzustellen, wie Juliette genau wie die Frau auf dem Bild für einen winzigen Augenblick in einer anderen Welt lebte. Wie sie alles um sich herum vergaß und nur noch die Blumen sehen konnte, bis jemand sie daran erinnerte, dass sie nicht allein war.
      Mir stellte sich jedoch schnell die Frage, warum sie meine Hilfe brauchte? War es das einzige Bild, das eine so starke Ausdruckskraft hatte? Möglicherweise lag es an ihrem Alter oder der Angst, dass die meisten Künstler nur kleine Fische blieben.
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      - Eugene Ionesco
    • Juliette de Valois

      Ich beobachtete den Schwarzhaarigen, wie er mein Hintergrundbild musterte und auf sich wirken ließ. Seine Gesichtszüge wurden weicher und seine dunklen Augen spiegelten die bunte Mischung aus pink und grün wieder. Allmählich sahen genau diese Augen zu mir auf. Ich hatte garnicht gemerkt wie nah ich ihm gewesen bin, um ihm sowohl das Bild zu zeigen, als auch jede noch so kleine Reaktion seinerseits mitzubekommen. Sein Blick wechselte zwischen einem gewissen Stolz zu einer unerklärlichen Abwesenheit, als ob er irgendwo anders mit seinen Gedanken war. Und während ich ihm das erste Mal so nah war, konnte ich seinen Geruch wahrnehmen. Etwas holziges, durchflochten mit einem würzigen Duft. Es passte absolut zu dem selbstbewussten Schwarzhaarigen.

      Ich brachte wieder etwas Distanz zwischen uns beide, indem ich das Handy in meiner Tasche verstaute. „Und was sagst du?“, fragte ich neugierig und sah zu dem Schwarzhaarigen auf. Obwohl ich es aus seinem Gesicht lesen konnte wollte ich es ausgesprochen zu hören. Ich wollte es sicher wissen. Durch meine getuschten Wimpern blickte ich zu ihm auf. Ohne hohe Schuhe war ich nun wirklich zwei Köpfe kleiner als Alexander, dabei würde ich nicht behaupten, dass ich für eine Frau besonders klein war. Während ich zu ihm hoch sah, stand mir meine Neugier ins Gesicht geschrieben.
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    • Kirian / Alexander Daskalalos

      Ich hatte vorher schon einen Verdacht, wem Juliette ihre göttliche Seite verdankte, doch der Duft nach Rosen, der sanft mit Honig benetzt war, bestätigte ihn: Aphrodite. Nun sollte mir klar sein, warum ich meine Augen nicht von ihr lassen konnte, aber als mächtiger Halbgott war ich über solche banalen Fähigkeiten erhaben. Glaubte ich zu diesem Zeitpunkt zumindest. Doch die Waage zwischen finanziellen und anderen Gelüsten, geriet bereits ins Wanken. Juliette, die vom Jupiter gesandte, die mir mehr Reichtum bringen sollte und eines Tages in Ruhm baden würde, wurde mehr und mehr zu Juliette, meinem kostbaren Juwel, dass ich in einer Muschel verstecken wollte. Noch nie verstand ich die Motive meines Vaters so gut wie jetzt. Juliette war meine Persephone. Doch wie schon erwähnt wollte ich keine Juliette hinter Gitterstäben, sondern eine Juliette, die vor meinen Augen durch die Blumen tanzte.
      Das neugierige Funkeln in ihren Augen verschlug selbst mir einen Moment die Sprache. Was ich sage? "Fast so schön wie du." Ich konnte ihr Bild nicht einfach so loben. Ich würde ihr sagen, dass sie ihre Sachen nehmen und hinausgehen sollte, um berühmt zu werden. Das ich nicht glaubte, dass sie dies nur mit meiner Hilfe schaffen würde, auch wenn ich sie schneller an ihr Ziel bringen konnte. Doch das konnte ich nicht, denn dann müsste ich sie gehen lassen. Ich begehrte sie mit jeder Faser meines Körpers, doch es war nicht die Wollust, die mich einnahm. Viel mehr genoss ich es sie anzusehen, als sie zu berühren, wobei ich mich doch fragte, wie sich ihre Haut unter meinen Fingern anfühlen würde. Oder an meinen Lippen.
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      - Eugene Ionesco
    • Juliette de Valois

      „Fast so schön wie du“, kam es dem Schwarzhaarigen über die Lippen. Ich hatte zwar schon viele direkte Komplimente bekommen, aber keins, dass mich so unvorbereitet mitten ins Herz traf. Als hätte er gezielt und genau ins Schwarze getroffen. Ich spürte wie meine ganze Haut elektrisierend prickelte und die Hitze in meine Wangen aufstieg. Rot zeichnete sich in meinem Gesicht meine Scham, darüber, dass mich gerade von diesem Mann ein Kompliment tatsächlich treffen konnte. Doch dieses unangenehme Gefühl meiner Gabe Aphrodites ließ nicht zu, dass ich weiter drauf einging. Unwillkürlich schüttelte ich mich, in der Hoffnung, diese körperliche Wahrnehmung loszuwerden.

      „Das ist doch wieder nur eins deiner leeren Komplimente“, wehrte ich seine Schmeichelei ab und wendete den Blick von ihm zur Theke. Ich merkte wie ich mit meinem Widerstand die Situation nur umso schlimmer für mich machte. Die Hitze aus meinen Wangen zog sich durch meinen ganzen Körper. Wie peinlich. Ich musste ihn dringend loswerden um wieder einen klaren Kopf zu bekommen.

      Ich stemmte beide Hände gegen seinen Oberkörper und protestierte: „Du musst doch bestimmt anderen wichtigen Kram erledigen und ich muss meine Cocktail Rezepte lernen, also will ich dich nicht hier festhalten.“ Mit meinem ganzen Körpergewicht lehnte ich mich in die Bewegung rein, ihn hinter der Bar zu vertreiben - wohl wissend, dass er es zulassen musste, oder ich würde den deutlich größeren Schwarzhaarigen keinen Zentimeter weit bewegen.
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    • Kirian / Alexander Daskalalos

      Ich sah dabei zu, wie sich die Farbe ihrer Wangen änderte, doch mein Gesicht blieb wie es war. Kein triumphales Grinsen, weil ich sie in Verlegenheit gebracht hatte und auch kein Bedrängen, weil sie vielleicht darauf eingehen würde. Dann bezeichnete sie es als leeres Kompliment, was mich fast hätte kränken können. Sie hatte eben noch keine Ahnung, wie sie in meinen Augen aussah.
      "Stimmt", stimmte ich ihr zu und ließ mich wegschieben. "Bis dann."
      Ich verabschiedete mich mit einer angedeuteten Verbeugung und steuerte die Doppeltür an, als Soraya sie öffnete. Ein paar ihrer dunklen Locken fielen aus ihrem hochgesteckten Haar, wie sie es immer taten. Sie wusste vermutlich genau wie ich, dass sie das I-Tüpfelchen in diesem Gemälde waren. Wie bei Juliette breitete ich meine Arme aus, während sie an mir vorbeischritt. Lediglich ihre Hand strich dabei über meine Brust, wobei ein Lächeln ihre Lippen zierte. Ja, auch sie arbeitete gern hier und kam als Gast, ehe sie sich beworben hatte. Wobei sie eigentlich mehr oder weniger einfach hineingerutscht war, denn irgendwann war sie einfach Teil der Crew. Obwohl sie viel mehr eine der Darstellerinnen war. Sie war eine Königin. Nicht umsonst bedeutete ihr Name Licht der Sterne oder Diadem des Himmels. Soraya war wirklich ein leuchtender Stern. Alle liebten sie, denn sie war ein Engel. "Oh hey, du musst Juliette sein", begrüßte sie die Blondine an der Bar und setzte sich an diese, um sie zu begrüßen und sich direkt den unangerührten Cocktail zu schnappen. Gekleidet war sie in einem eleganten, schwarzen Kleid, in dem ein Schlitz ihre schönen, langen Beine zur Geltung brachte. "Kasumi hat mir von dir erzählt, aber sie hatte auch noch keine Zeit dich anzusprechen."
      Und wenn man vom Teufel spricht: Wenig später trat die zierliche Asiatin ein, die mein Juwel vor Sebastian beschützt hatte. Soraya hatte gestern einen freien Tag. "Konnichi wa~", begrüßte sie uns melodisch und hob ihre Hand. Ich drehte mich mit ihr, um ihr nachzusehen, als sie an mir vorbeiging, da ich wusste, da sie ebenfalls immer noch einmal zu mir sah und mich anlächelte. Dieses unschuldige Lächeln, der reinen Blume. Doch ihr Name hatte noch eine weitere Bedeutung und so umgab sie sich gelegentlich mit einem Nebel, der ihre Umgebung einhüllte. Hauptsächlich die Gäste. Ihr Kleid hatte einen tiefen Rückenausschnitt und betonte ihre Taille. In ihrer Statur war sie Juliette recht ähnlich, nur noch um einiges Kleiner. Ihre Ausstrahlung war niedlich und frech.
      Unter den Mädels herrschte bisher immer Harmonie und ich hatte auch keine Sorgen, dass sich dies durch Juliette ändern würde. Jede von ihnen wusste, wie schön sie war und das sie es nicht nötig hätten die Tochter Aphrodite's zu beneiden.

      Ich nickte den Damen noch einmal zu und verließ die Halle, um mich wie immer in den Eingangsbereich zu setzen. Dort begrüßte ich nicht nur die Mitarbeiter, die nach und nach eintrafen, sondern auch schon die ersten Gäste, die den Eindruck erweckten, sie hätten seit einer Stunde vor dem Club gestanden und sehnsüchtig auf die Öffnung gewartet. Diese steuerten meist auf die hinteren Bereiche zu. Eine größere Gruppe junger Männer kam rein und ganz offensichtlich war einer von ihnen jemand, der in Kürze heiraten würde. Ein Junggesellenabschied also. Da müsste ich später mal nachsehen. Die würden sich sicher erstmal ordentlich im Stripclub betrinken und auch in der Spielhalle vorbeisehen.
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      - Eugene Ionesco

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    • Juliette de Valois

      Ohne Widerrede und Aufstand hatte sich der Schwarzhaarige von mir vertreiben lassen, was mich selbst etwas überraschte. Er hatte zugelassen, dass ich meinen Willen bekam und ließ mich an der Bar stehen, während er auf die große Doppeltür, die aus der Spielhalle führte, zusteuerte. Ich schüttelte meine entstandene Verwirrung ab und blickte zu den verstreuten Zutaten auf der Bar. Ich fing an alles wieder an seinen Platz zu räumen und sah erst auf, als eine junge Dame sich an die Bar setzte. Ich musterte sie, wie ihr die schwarzen Locken einzeln aus den hochgesteckten Haaren fielen und wie sie sich in dem langen schwarzen Kleid bedacht auf den Barhocker setzte.
      „Meine Anwesenheit macht wohl die Runde“, scherzte ich mit einem schmalen Lächeln und widmete meine Aufmerksamkeit wieder der Bar. Ich wollte das alles perfekt aussah, wenn Emilia hier reinkam. Mir war wichtig eigentlich ihren Bereich sauber und ordentlich zu halten. „Ich hoffe der Cocktail schmeckt“, entgegnete ich und blickte zu der Frau im schwarzen Kleid auf. Sie nickte und ihr liebevolles Lächeln strahlte förmlich in ihrem Gesicht. „Übrigens heiß ich Soraya“, ihre Stimme war so sanft und doch klar, man konnte sie nicht überhören oder ignorieren. Ihre filigrane Hand reichte über die Theke hinweg, weswegen ich ihr als Geste meine reichte. „Freut mich Soraya“, antwortete ich und konnte bei ihrem Lächeln garnicht anders, als ihr ebenfalls mit einem fröhlichen Strahlen zu entgegnen. Kurz darauf trat eine weitere Frau zu uns, in einem locker fallenden Kleid, das am Rücken frei war. Kurze, schwarze Haare fielen ihr ins Gesicht bei ihren schnellen und frechen Bewegungen. „Jetzt hast du sie ja doch vor mir kennengelernt“, meckerte die kleine Frau und hackte sich bei Soraya in den Arm ein „Ich bin Kasumi.“ Ich nickte anerkennend. „Kann ich dir was zu trinken machen?“, fragte ich fast schon automatisiert und sah die zierliche Dame an. Sie wollte das gleiche, was Soraya hatte. Dementsprechend konnte ich direkt mein neu gewonnenes Cocktail Wissen anwenden. Unwillkürlich sah ich mich bei dem Gedanken nach Alexander um, doch der Schwarzhaarige verließ gerade den Saal.

      Die ersten Gäste waren mittlerweile schon am Spielen und Wetten in der Spielhalle, doch Emilia war noch immer nicht da. Hatte sie nicht gesagt, dass wir uns heute wieder sehen würde? Damit war ich mit dem ersten Ansturm konfrontiert, doch mit allem was Alexander mir beigebracht hatte, war ich zumindest für jetzt gut genug bewaffnet. Die beiden Damen, hatten sich derzeit im Raum verteilt und waren offensichtlich auf der Pirsch, um ihren Job für heute Abend zu erledigen. Auch ohne Emilia an meiner Seite kam ich erstmal gut zurecht an der Bar. Zumindest bis eine ganze Truppe an jungen Männern laut lachend in den Saal rein polterten und direkt auf die Bar - inklusive mir - zusteuerten.
      Etwas überfordert sah ich mich um. Eigentlich wollte ich den Sohn Hades‘ noch drauf ansprechen, dass ich hier alleine ohne Emilia stand, aber jetzt hatte ich meine Chance verpasst. Zwei der Jungs ließen sich auf die Barhocker fallen und bestellten für die ganze Gruppe Getränke. „Halt halt halt, so schnell bin ich nicht“, widersprach ich überfordert und brachte damit die beiden zum Lachen. „Hast du etwa erst heute als Barkeeperin angefangen oder was?“, kam es von einem der beiden. Mein Blick verdunkelte sich und ich brachte mit einem schmalen, gezwungenen Lächeln hervor: „Nein, gestern.“ Wieder ein Lachen. Offensichtlich bediente ich gerade für die beiden das Klischee von der Blondine an der Bar, die nicht wusste was sie machen sollte. Ich versuchte mein Ego zurückzunehmen und einfach ihre Getränkewünsche zu erfüllen.
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    • Kirian / Alexander Daskalalos

      Ich blieb nur eine Stunde, um zu sehen, ob jemand interessantes hereinkam. Doch irgendwie fühlte ich mich unruhig. Emilia's Schicht begann heute etwas später, deswegen verkürzte ich meine Ausschau und ging zurück in die Spielhalle. Etwas überrascht musste ich feststellen, dass die Gruppe sich doch bereits hier aufhielt. Da aber generell noch nicht zu viel los war, sollte eine Barkeeperin damit klar kommen. Doch diese eine war heute Juliette. Entschuldigend sah ich sie an und legte ihr meine Hand auf die Schulter, als ich mich zu ihr hinter den Tresen begab, um ihr auszuhelfen. Die Gruppe konnten wir vorerst zufrieden stellen, doch die Blicke einiger Männer, die ihrem göttlichen Charme unterlegen war, gefielen mir nicht. Dabei widersprach das dem Bedürfnis, um sie beneidet zu werden.

      Einige von ihnen waren zum ersten Mal hier, zwei davon kamen mir bekannt vor. Sie steuerten auf den Tisch der hübschen Rothaarigen zu. Victoria. Croupier in meinen Diensten und Halbgöttin. Ihr Name passte zu ihren Fähigkeiten, denn sie war die Siegesgöttin. Die einzige Frau, die mich je gegen meinen Willen in einem Spiel schlagen konnte. Sie war die Tochter von Tyche, der Göttin des Schicksals, des Glücks, des Zufalls und der (un-)glücklichen Fügung. Als der Andrang auf meine Spielhalle wuchs, war sie ein wahrer Segen für mich, denn sie half mir dabei, das Glück auf dem richtigen Level zu halten. Obwohl sie in einem Abendkleid alle Männeraugen auf sich ziehen könnte, trug sie etwas hochgeschlossenes. Nicht weniger sexy, als etwas freizügiges, doch man wusste sofort, dass sie keine Hostess war. Auf ihrem Kopf trug sie immer diesen Hut und das rote Haar fiel ihr seitlich über die Schulter. Mir gefielen ihre Sommersprossen, die sich wild über ihre Wangenknochen und Nasenrücken verteilten. Außerdem hatte sie unglaublich schöne Augen. Sie versuchte sich als Wahrsagerin, als ich sie kennenlernte, doch bei mir war sie nun viel glücklicher in ihrem Beruf und blühte wahrlich auf.

      Nun. Auch wenn Victoria genau so schön wie die anderen Frauen waren, hatte Juliette doch etwas viel bezaubernderes an sich. Ob ihre Magie mich, den Sohn Hades' verzaubert hatte? Möglich. Das würde sie zur zweiten Frau machen, der ich unterlag.
      "Alles in Ordnung?", fragte ich sie und hoffte, dass sie nicht überfordert war. Ich hatte nicht damit gerechnet, dass hier um diese Zeit viel zutun wäre. "Emilia kommt in zwei Stunden." Bis dahin müsste sie aushalten oder mit mir Vorlieb nehmen. Statt aber wieder zu verschwinden und durch den Raum zu schleichen, stellte ich mich ans Waschbacken und spülte die Gläser. "Ich werd doch nicht wieder weggeschoben, oder?", fragte ich mit einem leichten Schmunzeln und sah kurz zu ihr rüber.
      Ein lautes Jubeln erhaschte meine Aufmerksamkeit und ich sah zu der Gruppe rüber, die sich über ihren Sieg freuten. Heute Abend würde es hier drin wohl etwas lauter werden als sonst.
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      - Eugene Ionesco
    • Juliette de Valois

      Ich lächelte Alexander dankbar zu, als er mir an der Bar zu Hilfe kam. Nicht nur, hatte mich die Größe der Männer Gruppe überfordert, sondern auch, dass ich die ganzen beiläufigen Blicke auf mir spürte. Dabei hatte ich dieses Mal wirklich nichts besonderes an und trotzdem flammte das bekannte Prickeln immer wieder auf meiner Haut auf. Selbst wenn ich es zu unterdrücken versuchte, hatte ich eine gewisse Anziehungskraft auf Männer. Vor allem auf genau die Art Männer, die ich am wenigsten leiden konnte. Hier an der Bar konnte ich mich zumindest damit ablenken, indem ich mich aufs Drinks zubereiten konzentrierte.

      Die Bestellung des Junggesellenabschied flachte erstmal ab und sie waren nun an einem Pokertisch mit einer rothaarigen Frau zu Gange. Sie hatte ich gestern auch noch nicht gesehen. Lange, rote Welle kamen unter ihrem Hut hervor und drapierten sich über ihre Schulter. Wirklich jede Frau, die hier arbeitete, war wunderschön. Da konnte man echt neidisch werden, wenn man auf so etwas Wert legte. Mich beeindruckte viel mehr wie freundlich all die angestellten Damen hier miteinander waren. Nicht nur Emilia, sondern auch Soraya und Kasumi, die ich heute kennengelernt hatte. Ich war dankbar drum, dass die Rothaarige die Aufmerksamkeit der Männergruppe bei sich am Pokertisch behielt und die Bestellungen uns nur über die Kellnerin zu teil kam. Dadurch hatte ich an der Bar zumindest die Möglichkeit durchzuatmen und musste nicht mehr diese unangenehmen Blicke ertragen.

      Ich sah das erste Mal richtig zu dem Schwarzhaarigen auf, seit er mir zur Hilfe an der Bar gekommen war. Langsam nickte ich, als Antwort auf seine Frage. „Ja, allein war es nur etwas zu viel“, erklärte ich mit einem lauten Seufzen und stützte die Hände auf der Theke auf. Auf die Information hin, dass Emilia erst in zwei Stunden kommen würde, zeichnete sich leichte Panik in meinem Gesicht. Würde ich die Zeit über allein überbrücken müssen? Doch als Alexander sich vor das Waschbecken stellte und begann die benutzten Cocktailgläser zu spülen, wusste ich, dass ich das nicht eigenständig überstehen musste.
      Bei seinem schmunzelnden Kommentar merkte ich, wie mir sofort wieder die gleiche Wärme wie vorhin in die Wangen schoss. Ich öffnete den Mund, brauchte aber einen Augenblick, um mich zu sammeln. „Nein, dieses Mal nicht“, antwortete ich mit einem entschuldigendem Lächeln, „Also nur wenn du mir nicht in die Quere kommst, versteht sich.“ Bei der stichelnden Bemerkung musste ich leise auflachen, doch wurde das von lautem Jubeln übertönt. Ich sah zu der Gruppe aus Männern, die sich gegenseitig für ihren Sieg High Fives gaben und direkt in das nächste Spiel einstiegen.

      Mein Blick glitt zurück zu dem Schwarzhaarigen neben mir und ich reichte ihm noch ein Glas zum Spülen. „Wer ist eigentlich die Rothaarige dort am Tisch?“, fragte ich neugierig und nickte in die Richtung der Gruppe. Ihre Haare wirkten wie loderndes Feuer im Raum und stachen einem sofort ins Auge. Ähnlich wie Emilia hatte sie eine ganz andere Aura und Ausstrahlung, wie die restlichen Frauen hier. Ich stütze mich neben dem Waschbecken ab und sah zu Alexander auf.
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    • Kirian / Alexander Daskalalos

      "Das würde ich nie wagen", verteidigte ich mich sofort und hob meine Hand, in der ich ein gespültes Glas hielt, bevor ich es zum Abtropfen abstellte. Ich versuchte dennoch von hier aus alles im Blick zu haben, ehe Juliette sich wieder meine Aufmerksamkeit mit dem Klang ihrer Stimme auf sich zog. Als spiele man eine Harfe, bei der selbst ein Anfänger keine unangenehmen Töne erzeugen konnte, da alle Saiten der Harfen immer einen wundervollen Klang hatten. "Das ist Victoria, Tochter von Tyche", antwortete ich ihr, während ich das mir so eben gereichte Glas spülte. "Sie kann dich zum glücklichsten, aber auch unglücklichsten Menschen in diesem Raum machen", erklärte ich weiter, ehe ich die Gläser abtrocknete und dabei zu ihr rüber sah. "Sie hat manchmal einen eigenartigen Humor, aber sie ist gar nicht so temperamentvoll, wie sie aussieht."
      Nachdem alle Gläser wieder bereit an ihrem Platz standen, drehte ich mich zu Juliette um und lehnte mich mit den Händen hinter mir an den Tresen, um sie zu betrachten. "Wie findest du die Mädchen? Kommst du mit ihnen klar?" Ich schnappte mir eine halbe Orangenscheibe und biss hinein, während ich versuchte all ihre Schönheit in einem Blick einzufangen, was unmöglich war. Manchmal spricht man ja davon, dass man eine Schokoladenseite hätte, aber Juliette war wie eine glatte Perle einfach rundum perfekt. Fast. Wäre da nicht ständig diese Unsicherheit und die Angst in ihren Augen. Angst vor ihren Fähigkeiten? Angst vor dem Scheitern ihrer künstlerischen Karriere?
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      - Eugene Ionesco
    • Juliette de Valois

      Bei seiner Beschreibung von Victoria musterte ich sie von unserem Standpunkt aus. Tyche.. Ich kramte in meinem Kopf nachdem was die Göttin auszeichnete. Da viel es mir ein. Göttin des Schicksals. Sie war mit ihren Halbgott Fähigkeiten wohl genau richtig hier. Fast schon ironisch, wenn man sie an einem Pokertisch mit den unwissenden Männern sah und wusste das sie wohl ein Händchen in dem hatte, was im Glücksspiel passierte. Gestern war sie aber nicht da gewesen, heißt das Pokerspiel zwischen Alexander und mir hätte sie nicht manipuliert haben können, oder?
      Neben ihm an der Bar gelehnt, sah ich zu ihm auf. Diese dunklen Augen, die mich eindringlich betrachteten und interessiert auf mir ruhten. „Bisher find ich alle nett, die ich kennengelernt habe“, antwortete ich auf seine Frage und wendete dabei nachdenklich den Blick wieder von ihm ab. „Normalerweise habe ich es eher schwer mit anderen Frauen, aber hier ist die Stimmung ganz anders..“, versuchte ich dem Schwarzhaarigen zu erklären. Ich wusste nicht ob ein Mann das überhaupt nachvollziehen konnte. War es für Männer leichter im Thema Freundschaften? Ich hatte es nämlich immer mit Eifersucht zu tun. Entweder von den Frauen selbst, oder weil ihr Partner sich von mir angezogen fühlte. Sophie war die einzige Freundin, die ich an der Uni machen konnte und mir immer zur Seite stand. Aber ähnlich zu Emilia war sie einfach sehr selbstbewusst und nicht durch meine simple Anwesenheit verunsichert.

      Ich spielte gedankenverloren mit einem Strohhalm in meiner Hand. Drehte ihn zwischen meinen Fingern und hielt schließlich in meiner Bewegung inne. „Ich hab sonst nicht so viel mit anderen Halbgöttern zu tun, aber es scheint, dass sowohl du, als auch die Tochter Tyches, deutlich bessere Fähigkeiten geerbt habt“, gestand ich Alexander und biss mir dabei auf die Lippe, um nicht noch mehr meiner Gedankenwelt zu teilen. Wie er das wohl sah? Mit deutlich mehr Kontakt zu allerlei Arten von Menschen und Halbgöttern? Wieder sah ich zwischen meinen langen Wimpern zu dem großen Mann auf. Ob er zufrieden mit seinen Fähigkeiten war? Immerhin hatte er sich daraus ein eigenes kleines Reich geschaffen. Mit dem Versuch das Thema direkt wieder in seinem Keim zu ersticken, drehte ich mich von dem Schwarzhaarigen weg, um den Strohhalm zur Seite zu legen.
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    • Kirian / Alexander Daskalalos

      "Hier spielen die Frauen miteinander, nicht gegeneinander." Wobei sich das nicht nur auf die Frauen bezog. Keine war eifersüchtig auf die andere. Entweder wussten sie schon selbst, was für Qualitäten sie hatten oder ließen sie sich von mir zeigen. Von ihren Qualitäten würde ich wohl auch Juliette überzeugen müssen, so wie sie über die Fähigkeiten anderer Halbgötter sprach.
      Ich suchte gerade nach den passenden Worten, als sie sich von mir abwandte und mir die Sicht auf ihre wunderschönen Augen raubte. Da ich nicht wusste, wie sie auf eine Berührung von mir reagieren würde, ließ ich sie gewähren. "Du scheinst deine Fähigkeit nicht besonders zu mögen." Ganz offensichtlich. Sie litt darunter. Warum? Vielleicht wollte sie keine Frau wie die anderen werden? Vielleicht wollte sie sich lieber mit Jogginghose und Hoodie vor eine Leinwand setzen. Vielleicht wollte sie keine Königin sein.
      "Soll ich dir verraten, warum dir die Stimmung hier so anders vorkommt?", fragte ich und drehte mein Gesicht in den Raum, sah aber aus den Augenwinkeln zu ihr. "All diese Frauen haben erkannt, dass sie einander nicht beneiden müssen. Denn sie haben selbst genug Qualitäten, die beneidenswert sind. Es gibt nicht die eine perfekte Frau, denn so unterschiedlich wie die Frauenwelt ist, ist auch der Geschmack der Männerwelt. Die einen mögen blasse Haut, die anderen dunkle. Blond, Brünette, rot, schwarz. Groß und klein. Ja selbst das ulkige Grunzen beim Lachen kann auf einen Mann bezaubernd wirken", begann ich und wandte auch meine Augen von ihr ab.
      "Der erste Eindruck mag wichtig sein, denn so können wir sagen, ob wir noch mehr von jemandem sehen wollen. Viel wichtiger ist der zweite Eindruck. Nämlich das, was man nicht auf den ersten Blick sieht", sagte ich und fertigte Soraya ihre zwei Drinks, mit denen sie so schnell verschwand, wie sie gekommen war. Die benutzten Gläser spülte ich dann wieder ab.
      "Das Funkeln in den Augen, das wir aus der Ferne nicht sehen können. Wie sich die Lippen beim Sprechen formen. Die Feinheiten, die man nicht sofort erkennt. Stell dir ein Bild vor. Eine Reihe aus Häusern, davor eine Straße. Ein paar Fußgänger. Du siehst ein Paar, weil sie nah beieinander stehen. Das rote Kleid verrät dir, dass es eine Frau ist, die am Arm eines Mannes geht, weil er größer ist und eine Hose trägt. Wie sie zueinander stehen siehst du erst, wenn du näher ran gehst. Aber nicht nur das. Wenn du näher an das Bild herangehst, kannst du Menschen innerhalb der Häuser sehen. Durch ihre Fenster. Eine Familie, die zu Abend isst. Ein älteres Paar, das zu ihrem Lieblingslied tanzt. Eine Frau, die alleine weint. Das alles siehst du erst auf den zweiten Blick", erklärte ich und schmunzelte. "Oder dritten."
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      - Eugene Ionesco

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