Our Journey Below [Castti | Atomic]

    Diese Seite verwendet Cookies. Durch die Nutzung unserer Seite erklären Sie sich damit einverstanden, dass wir Cookies setzen. Weitere Informationen

    • Our Journey Below [Castti | Atomic]


      Ein Sturm War aufgezogen. Natürlich. Wie hätte es auch Ander sein sollen bei dem Glück, was Kohaku stets besaß?
      Fröstelnd schlang sie ihre mittlerweile durchnässte Jacke enger um sich, in der Hoffnung so noch etwas Wärme erhaschen zu können und behielt Ihre Augen gen Horizont gerichtet. Zum Einen, weil sie erhoffte dort endlich die Umrisse der Insel zwischen den Wogen des Meeres erspähen zu können, und zum anderen, weil der Blick in die Ferne sie zumindest ein wenig von ihrer Seekrankheit zu bewahren schien.
      Dies war ihre erste, und mit Sicherheit auch letzte Reise auf einem Boot gewesen. Nie im Leben hätte sie gedacht, dass sie so empfindlich auf das Hin und her Schaukeln der Wellen reagieren würde... - Na super- Jetzt hatte sie wieder darüber nachgedacht und spürte sogleich einen neuen Anflug von Übelkeit.
      Ein geringer Trost spendete ihr die Tatsache, dass sie offensichtlich nicht die Einzige war, der es so erging. Mindestens ein dutzend anderer Fahrgäste hatten ein ebenso blass-grünes Gesicht wie sie.
      Das war nun Einmal der Preis, den man zahlen musste um auf die Insel zu gelangen. Ein altmodisches, wackliges Holzboot.
      Moderne Fortbewegungsmittel würden den Geist aufgeben, sobald man den näheren Umkreis der Insel erreichte.
      Jeder, der sich das Betreten der Insel zum Ziel gemacht hatte, war angewiesen auf ein Bot ohne Navigationssysteme und einen Kapitän, der noch wusste, wie man sich mit Kompass, Sextant und Seekarten auf hoher See orientierte.
      Ein beinahe aussterbendes Handwerk - zumindest bis die Insel vor 50 Jahren entdeckt wurde, und die Nachfrage danach ein nie zuvor gewesenes Ausmaß erreichte.
      Kohakus Gedankenkreise wurden Unterbrochen, als sie in der Ferne einen kleinen Schwarzen Punkt entdeckte, dem das Schiff sich zielstrebig näherte.
      Dem Aufgeregten Murmeln, welches sich auf dem Schiff verbreitete zu urteilen, war sie nicht die Einzige, die diese Entdeckung am Horizont gemacht hatte.
      Ihr Herz schlug Höher. Endlich war es so weit. Seit ihrer Kindheit hatte sie von diesem Moment geträumt, endlich in die Fußstapfen vieler anderer Entdecker und Forscher zu treten.
      Mittlerweile konnte man immer mehr von der dunklen Umrissen der Insel erkennen. Das obere Deck füllte sich nach und nach mit mehr Leuten, welche die Unruhen vernommen hatten und trotz des kalten Reges einen ersten Blick auf die Insel werfen wollten.
      Nebelschwaden bedeckten stellenweise, wie gezupfte Zuckerwatte, die vollständige Sicht auf die Küste, doch die emporstehenden Felsen, die den Krater des Abgrundes umgaben, erstreckten sich wie Dunkle Klauen imposant gen Himmel.
      Die Küste War nun nahe genug, dass Kohaku die ersten kleinen Häuser erkennen konnte.
      Mit den Jahren hatte sich eine kleine Bewohnerschaft um den Abgrund herum etabliert:
      Ein Großteil davon bestand aus Wissenschaftlern und Forschern, die Ihr Leben der Erkundung und Analyse des Abgrundes widmeten - im herzen zählte auch Kohaku sich zu dieser Gruppe.
      Aber auch viele religiöse Gruppierungen hatte ihre Anhängerschaft hier errichtet. Damit hatte sie eher weniger am Hut.
      Der weitaus kleinere Anteil der dortigen Population bestand aus Leuten, welche die bestehende Marktlücke erkannt hatten und bedarfsmäßige Läden oder Wirtshäuser führten, und mit dem steten Strom der entdeckungslustigen Reisenden ein immer nachkommendes Klientel besaßen.
      Erst als ein Sonnenstrahl zaghaft durch die Wolkendecke brach, und schon beinahe theatralisch einen Teil der Insel erleuchtete, bemerkte Kohaku, dass der regen aufgehört hatte.
      Siehe da. Vielleicht war ihr ja doch noch ein kleines bisschen Glück erhalten geblieben.
      Erfrischt, mit neuem Mut, straffte sie die Riemen ihres Üppigen Rucksacks, den sie seit Beginn ihrer Reise nicht abgelegt hatte. Mit einem Mal kam ihr dieser auch gar nicht mehr so schwer vor.
      "Sehr geehrte Damen und Herren." die Barsche Stimme des Kapitäns schalle über das Rauschen der Wellen hinweg. "Wie sie unschwer erkennen können, näheren wir uns nun unserer Destination. Falls sie elektronische Geräte mit an Bord genommen haben, werden diese Ihnen hier nun nichts mehr nützen. Ich bitte sie, geduldig und zivilisiert an Bord zu bleiben, bis wir angelegt haben!"
      Den letzten teil sprach er so eindringlich, dass Kohaku nicht umhin kam, zu vermuten, dass einige ungeduldige Seelen sich in der Vergangenheit bereits voreilig über Bord gehüpft waren. Schließlich verspürte sie ebenfalls den Drang, sich jetzt schon in Bewegung zu setzen, statt noch weiter zu Warten.
      Doch sie hatte bereits so lange auf diesen Moment gewartet, diese paar Minuten der Geduld würde sie auch noch aufbringen können. Auch wenn sich diese Minuten wie eine Ewigkeit dahinzogen.

      Doch dann war es endlich soweit. Endlich. Nach all der Zeit. Es fühlte sich beinahe surreal an, ihren Fuß auf diese Insel zu setzen, die vor 50 Jahren noch nicht einmal existiert hatte und einfach über Nacht entstanden war.
      Kohaku schloss einmal kurz die Augen und nahm einen Tiefen Atemzug. "Ich hab's geschafft." murmelte sie zu sich selbst und konnte es selber kaum fassen.
      Als würden die Strapazen der Langen Reise von einem Moment auf den anderen von Ihr abfallen, durchströmte sie eine nie dagewesene Energie die Ihre Füße in Bewegung setzte. Es fühlte sich beinahe wie ein Traum an, durch diese Provisorischen Straßen zu laufen. Sie ignorierte die Leute und Häuser an denen sie vorbei Zog und eilte schnurstracks in Richtung der Inselmitte. Und dann, auf einer kleinen Anhöhe angelangt, sah sie ihn endlich:
      Den Abgrund. Den Abyss. Den Ort Ohne Wiederkehr. Er hatte viele Namen. Doch keiner wurde dem Anblick gerecht. Ein tiefer Schlund, umsäumt von üppiger Vegetation, die auch in sein Inneres Hinein reichte, soweit das Auge reichte.
      Wasserfälle, dessen Wasser in die Tiefen stürzten und binnen weniger hundert Metern wieder als Nebelschwaden Emporstiegen.
      Der Schlund war so gigantisch, dass sie nicht einmal Die andere Seite des Kraters erkennen konnte.
      Hier war sie nun endlich. Am Anfang ihrer größten Reise. und sie konnte es kaum erwarten.
      In the midst of chaos
      there is also opportunity
    • Es gab keine allgemeine Antwort darauf wie der Mensch mit seinem eigenen, unausweichlichen Tod umging. Manche mochten ihr Leben feiern; gehen, wie sie gekommen waren. Andere versammelten ihre Familien und Freunde um sich und blickten ein letztes Mal in die Gesichter derer, die sich an sie erinnern würden. Manche verschenkten all ihr Hab und Gut oder gaben Weisheiten und Lehren weiter, die sie angesammelt haben. Gelegentlich weinten sie, spülten Trauer und Reue aus ihren zitternden Leibern und wünschten sich all die Dinge zurück, die niemals ihre eigenen waren; die unerfüllte Liebe, das ungeborene Kind, die verstrichenen Träume…
      Vespasians Tod hingegen begann an einem klaren, milden Morgen nach einem Unwetter wie jeder andere auch. Er erwachte, wie jeden Morgen sehr zeitig, wusch sein Gesicht und kleidete alleine seine Robe an, bevor er für den Gottesdienst hinabstieg in die Kapelle. Der Platz neben ihm in der ersten Bankreihe blieb frei. Viele traten ein und aus, saßen um ihn herum verteilt und erhaschten neugierige Blicke auf sein kaltes, gleichgültiges Gesicht, manche flüsterten still untereinander.
      „Da ist er, siehst du…“, murmelte eine ältere Dame herüber zu ihrem Mann. „Meinst du er ist soweit?“
      Der Herr neben ihr schnaubte, ehe er einen bedächtigen Moment über seine Worte nachdachte.
      „Sein Vater kam auch nicht zurück.“
      „Noch nicht“, mischte sich zischend ein junger Glaubensbruder ein. Er drückte seine Worte aus zusammengepressten Zähnen. „Es dauerte 20 Jahre bis Reto von den Forschern wimmernd aus dem Abgrund gezerrt wurde.“
      Betretenes Schweigen legte sich über die versammelten. Die Dame faltete erneut ihre Hände zusammen. „Lasst uns für sie beide beten.“, schlug sie entschlossen vor.
      Doch ihr Gatte lehnte sich wieder herüber zu dem Jungspund. „Meinst du es ist noch zu früh für einen weit—… Hey!“
      Seine Frau schlug ihn mit giftigem Blick in die Seite. „Ich hab gesagt wir beten!“

      Vespasian seufzte unhörbar. Er ließ das Rosario durch seine Hände gleiten indem er eine Perle nach der nächsten aus seinem Griff zog. Während die anderen kamen und gingen, blieb er sitzen. Seine Augen hingen auf der goldschimmernden Orgel, die das Sonnenlicht der Farbfenster reflektierte.
      Alles hier oben ist schmutzig, kam es ihm plötzlich in den Sinn, als er anfängliche Verfärbungen und Kratzer an den langen, gewundenen Rohren ausmachte. Nichts hier oben war für die Ewigkeit. Er wird einmal blinzeln, vielleicht eine Nacht schlafen und nichts mehr von diesem jämmerlichen Gerüst oder diesen Schwätzern wird übrig sein.
      Der junge Mann ließ sich zurückfallen und entspannte für einen Moment. Gleich wie schwach der Glaube der anderen gewesen ist, gleich wie blind ihre sterbliche, jämmerliche Seele sie machte; er war soweit. Vespasian hat gedient. Er hat gebüßt. Er hat sich rein gewaschen wie kein anderer von ihnen dazu in der Lage gewesen ist.
      Die Tore des Paradieses standen ihm offen. Und er konnte es nicht erwarten seiner Existenz inmitten dieser Ratten endgültig zu entsagen. Ein Lächeln breitete sich auf seinen Lippen aus. Seine Zeit war nun endlich gekommen.
      Knarrend wurde die Kapellentür erneut aufgedrückt und Vespasians Lächeln schwand sofort von seinen Zügen. Es war an der Zeit sich um die Vorbereitungen zu kümmern. Elegant und erhaben erhob er sich auf die Beine, als sein Blick auf die Frau fiel, die im Gang zwischen den Bänken stand.
      Beinahe wäre Vespasian wieder ein Seufzen entwichen. Ihre Haare waren hochgesteckt, doch vereinzelte Strähnen fielen ihr dennoch ins Gesicht. Ihre Augen waren rot und geschwollen. Die leichten Falten schienen nun tiefe Furchen durch ihr Gesicht zu ziehen und sie trug ein schwarzes Trauerkleid. Wie theatralisch.
      Sie sahen sich eine Weile schweigend an, während sie gegen ihr Schluchzen ankämpfte. Durch die Tränen fing sie zitternd an zu lächeln.
      „Mein Junge…“ Ihr Blick glitt über seine Gestalt und sie kam einen stolpernden Schritt auf ihn zu.
      „Mein kleiner, schöner Vespasian. Sieh dich nur an… So groß. Ich glaube du hast deinen Vater überragt…“
      Vespasians Brauen zuckten. Doch seine Lippen blieben versiegelt.
      „Du bist nun älter als er, bei unserer Hochzeit war...“ Nun begann sie hemmungslos zu schluchzen.
      „Willst du… willst du es dir nicht noch einmal überlegen? Ves… bitte! Du… du hast doch noch gar nicht gelebt.“ Die Stimme seiner Mutter zitterte und sie fiel vor ihm auf die Knie und klammerte sich an sein Gewand.
      „Du hast doch noch nicht einmal geliebt. Du hast kein Kind in den Armen gehalten. Du hast doch noch so viel Zeit! Niemand ist so jung wie du hinab gestiegen.“

      „Das war ihr Fehler“, erhob Vespasian endlich in schneidender Kälte seine Stimme. „Sie verschwendeten ihr Dasein mit Sünden, anstatt sich von ihnen freizusprechen und ketteten sich an ihre Triebe.“
      Er trat einen Schritt zurück, damit sie ihn loslassen musste und ging achtlos an ihr vorbei. Hohl und kalt klangen seine Schritte durch die Halle. „Lebewohl, Mutter.“, waren seine letzten Worte, ehe er die schwere Holztür hinter sich zufallen ließ und die wimmernde Frau auf dem Boden zurück ließ.
      Sie faltete die Hände zusammen und senkte ihr Haupt, bis ihre Stirn den Boden berührte. Mit bebender, hauchender Stimme wisperte sie Gott flehende Gebete zu.
      „Bitte pass auf meinen Jungen auf… Bitte nimm ihn in deine Arme und hüte ihn so wie ich es nicht kann…“
      Vespasian vernahm, dass einige Glaubensbrüder sie wegtragen mussten, da sie sich weigerte sich von Ort und Stelle zu bewegen. Doch nichts davon war für Vespasian noch von Belang. Er zeigte keine Gefühlsregung, wich nicht von seiner Entschlossenheit ab und ignorierte das schmerzende Ziehen in seiner Brust. Sein Schicksal und den Ruf Gottes zu ignorieren war niemals eine Option für ihn gewesen.
    • Trotz dass der Regen nachgelassen hatte, war ein eisiger Wind aufgezogen, der Kohaku in ihrer durchnässten Jacke frösteln ließ.
      Vielleicht wäre es keine allzu verkehrte Idee, sich ein letztes Mal in einem Gasthaus zu wärmen und eine letzte warme Mahlzeit an der Oberfläche einzunehmen, bevor sie für lange Zeit in die Tiefen des Abgrundes hinab stieg?
      Es kostete sie einiges an überwindung ihr Blick von dem tiefen Krater, der so viele Jahre das Ziel ihrer Begierde war,
      abzuwenden.
      Sie war schon so weit gekommen, da würden sie ein oder zwei Stunden weiteres warten schon nicht umbringen.
      Und so schlenderte sie widerwillens zurück in die kleine Siedlung, die sich um den Rand des Abgrunds herum gebildet hatte, auf der Suche nach einem halbwegs einladendem Gasthaus.
      Eines der etwas größeren Gebäude in Küstennähe, dessen Aussehen beinahe an ein Bootshaus erinnerte,
      stach ihr ins Auge.
      “The Last Dive” - Der Letzte Tauchgang- stand in großen, ausgeblichenen Lettern über dem Eingang. Kein sonderlich einladender Name, aber irgendwie doch sehr passend.
      Kurzerhand entschlossen, betrat Kohaku also dieses Lokal. Sogleich strömte ihr eine einladende Wärme entgegen. Ja, hier war sie richtig!
      Das Innere des hölzernen Gebäudes war ausgeschmückt mit einer Vielzahl kleiner Tische, an denen die Gäste für sich bleiben konnten, eine bunte Tapesterie an der Wand, die diverse gemalten Szeneries aus dem inneren des Abgrundes darstellen und ganz hinten, ein Steinerner Kamin, in dem ein gemütliches Feuerchen vor sich hin knisterte.
      Sofort steuerte die junge Frau geradewegs auf den freien Platz zu, welcher dem Kamin am nächsten war.
      Herrlich!
      Die angenehme Wärme ließ sie förmlich auf ihrem Stuhl dahinschmelzen.
      “Willkommen. Was kann ich ihnen anbieten?”
      Peinlich berührt, die Gastwirtin nicht schon vorher bemerkt zu haben, schreckte Kohaku ein wenig auf.
      “Oh! Ich, uhmm.” Hastig wühlte sie in ihrer Tasche herum und zückte ihr beschämend leeres Portemonnaie.
      Viel Geld hatte sie nicht mehr übrig. Ein Großteil dessen, was ihr noch verblieben war, ging für die Bootsüberfahrt flöten.
      Der Rest… Nun ja, den würde sie nach ihrem Abstieg ohnehin nicht mehr benötigen, also könnte sie es auch gleich für eine letzte, anständige Mahlzeit ausgeben.
      “Was kann ich dafür kriegen?” Fragend legte sie der anderen Frau ihren letzten Schein und einige Münzen in die Hand, welche das Geld kurz abzählte und ein kurz angebundenes “Eintopf.” Erwiderte. Nun gut. Eintopf war besser als garnichts.
      Wenig später stand auch schon eine großzügig gefüllte, dampfende Schüssel vor ihr.
      Die heiße Gemüsebrühe war eine Wohltat für ihren Gaumen und das Aroma war zugegebenermaßen auch nicht schlecht.
      Während sie sich ganz dem Genuss ihrer Mahlzeit widmete, vernahm sie das vage Gespräch einiger weiterer Gäste des Lokals.
      “Hast du gehört? Die Gläubigen Voragos wollen einen weiteren Ihrer Jünger in den Abgrund schicken.” “Glaubst du das ist was dran an dem ganzen religiösen Zeug?” "Also, wenn du mich fragst, haben die alle doch eine Meise.”
      Kohaku schenkte den Männern am Nebentisch keine weitere Beachtung. Mit Religion hatte sie es nicht so am Hut. Ab und an hörte sie mal verrückte Geschichten über allerlei Glaubensbewegungen, die dem Abgrund eine göttliche Bedeutung zuteilwerden ließen, aber so wirklich hatte sie sich nie mit diesen beschäftigt.
      Sie hoffte nur, dass sie keinem dieser “Jünger” über den Weg laufen würde.

      Die Sonne hatte das Himmelszelt bereits hoch erklommen, als sie sich schließlich zum Aufbruch entschied.
      An ihrer Jacke und Ausrüstung haftete noch eine Restfeuchtigkeit vom Regen, doch sie wollte und konnte nicht länger warten! Die Sonne würde den Rest schon trocknen.
      Auf ein Neues schulterte sie Ihren Rucksack, sprach einen Dank für die Mahlzeit an die Wirtin aus und verließ das Wirtshaus.
      Ausgeruht und gewärmt, sprudelte sie nun geradezu über vor Energie und Motivation. Und jeder Schritt in Richtung des Abgrundes beflügelte ihr Herz nur noch mehr!
      Nun stand sie erneut am Rande des Kraters und blickte in das geheimnisvolle Innere hinab.
      Hier und dort gab es seichte Senkungen, die den Abstieg wie einen Spaziergang aussehen ließen. Zumindest vorerst.
      Kohaku erinnerte sich zu gut, aus all den Berichten und Aufzeichnungen, die sie mit gieriger Faszination allesamt gelesen hatte, dass die Erste Höhenschicht die mit Abstand leichteste zu bewältigen war.
      Eine milde Flora und keine erwähnenswerten Konsequenzen des Aufstieges.
      Das würde sich spätestens mit der zweiten Schicht, die in 1350 Metern Tiefe begann, ändern.
      Für das erste gab sich die junge Frau jedoch der ersten Schicht hin.
      An einer besonders günstigen Stelle, die den veralteten Spuren nach zu urteilen wohl von vielen mutigen Abenteurern zum Abstieg verwendet wurde, setzte sie ehrfürchtig ihren ersten Schritt in das Innere des Kraters.
      Es ging los. Ihre Reise begann endlich!
      Fasziniert sah sie sich jeden Meter des Weges um.
      So weit oben ähnelte die Pflanzenwelt noch sehr der Oberfläche, auch wenn Kohaku genau wusste, dass jede der hier wachsenden Pflanzengattungen einzigartig und nur in jenem Abgrund heimisch war.
      Eine besonders schöne Pflanze mit schneeweißen Blüten erregte ihre Aufmerksamkeit.
      Der Blütenkelch alleine war schon beinahe so groß wie ihre Faust und die Blütenblätter so hauchzart, als würde ein Windhauch reichen, um sie wie Staub zerfallen zu lassen.
      Ihr Geruch war eben so betörend wie ihre Schönheit.
      Die Frau musste ein wenig den Kopf schütteln, um ihren Kopf frei zu kriegen und sich von der Blume los zu reißen.
      Wenn sie jetzt schon wegen einer einfachen Blume so viel Zeit und Aufmerksamkeit vertrödelte, würde sie nicht weit kommen!
      Und um wertvolle Artefakte zu finden, musste sie wirklich tief hinunter.
      “Na dann mal los!” Spornte sie sich an und stapfte frohen Mutes weiter weiter hinab in den Schlund der Erde hinein.
      In the midst of chaos
      there is also opportunity
    • Der rituelle Abstieg hinab in den Abgrund war eine schweigsame und respektvolle Angelegenheit, um keine zu große Aufmerksamkeit und keinen Tumult zu erregen. Zwei Männer klopften an seine Zimmertür, um ihn abzuholen. Ein sehr alter Priester der Kirche und ein gerade ausgewachsener Jüngling. Sein flammendes Haar floss in seine Sommersprossen auf seinem Gesicht. Er reflektierte das Sonnenlicht aus jeder Faser.
      Vespasian erinnerte sich daran sehr wütend gewesen zu sein, dass er selbst noch zu klein gewesen ist, um als Geleit für seinen Vater gewählt zu werden. Beide senkten ihre Häupter in einer kurzen, distanzierten Begrüßung.
      „Bruder Vespasian, hast du die Vorbereitungen beendet?“ Vespasian hatte sein langes Haar in einen strammen Zopf geflochten. Unter seiner Kutte trug er angemessene Kleidung für den Abstieg. Ein großer Rucksack prall gefüllt mit allen Geräten, die er benötigte lag zu seinen Füßen. Der Mann nickte.
      Eilig setzte sich der kleine Junge in Bewegung und schnappte sich wie ein dressierter Hund auf Handzeichen des Priesters das Gepäck und schulterte den Rucksack. Auf seinen dünnen Beinchen schwankte er aufgrund des fehleingeschätzten Schwungs, fing sich dann allerdings wieder. Verlegen behielt er die Augen auf dem Boden, doch Vespasian konnte sehen, dass seine Ohren sich langsam rot färbten. Er unterdrückte ein Augenrollen.
      Ein letztes Mal prüfte der Priester das Zimmer, während er leise Gebete murmelte. Er setzte Kreuze mit Gesten in die Luft und bat für eine sichere Aufnahme ins Paradies.
      „… Möge er uns anführen in unserem Weg hinab. Führe ihn. Schütze ihn. Amen.“ Vespasian starrte den Alten nieder. Dieses ganze Theater war nicht notwendig. Das hier war kein Glücksspiel. Vespasian war kein hoffnungsfroher Kandidat, den sie ins Kolosseum schickten. Es war außer Frage, dass er seinen rechtmäßigen Gang hinab antrat. Er hatte sein Lebtag dafür Sorge getragen, dass keine Kompromisse eingegangen werden mussten. Sein Charakter war vollkommen. Vespasian war frei von Fehlern, frei von Sünden. Frommer als dieser alte, betende Mann, der sich eine 18-jährige Frau genommen hat.
      „Nun gut.“, lächelte der Priester und Falten drückten sein Gesicht zusammen.
      „So dann treten wir deine letzte Reise an. Bist du bereit?“
      Vespasian zeigte keine Gefühlsregung. Er nickte. Natürlich. Was für eine lächerliche Frage. Und rhetorisch obendrein. Was wäre die Alternative gewesen? Galle stieg ihm auf allein bei dem Gedanken daran nun zu verneinen und den Abstieg zu verwehren.

      Gemeinsam gingen sie durch die Gänge des Klosters, passierten in einem Umweg die Kirche und traten schließlich auf die Straße. Gläubige der Gemeinde waren gekommen, um Vespasian zu verabschieden. Sie machten den drei Männern Platz und senkten das Haupt als würden sie einen König verabschieden. Irgendwo passierte er seine Mutter. Vespasian hatte sie aus dem Augenwinkel wahrgenommen. Für den Moment hatte sie sich zusammen gerissen, doch hinter ihm ertönte ein leises Schluchzen, das schnell ertränkt wurde in eiligem Flüstern, als er vorbei gewesen ist. Vespasian versuchte nicht zu denken. Er verbannte jeden Laut aus seinem Verstand und befahl seinem hämmernden Herzen sich zu beruhigen.
      Er ging ins Ungewisse.
      Nein, er ging voraus ins Paradies.
      Es könnten Gefahren auf ihn lauern.
      Nein, Gott wird ihn beschützen.
      Aber er musste bis zum Boden überleben.
      Natürlich wird er überleben, er hat sein Leben lang dafür trainiert und ist bestens vorbereitet.
      Doch was, wenn dem nicht der Fall gewesen ist?
      Nahezu unmerklich zuckte Vespasian zusammen, als seine Begleiter plötzlich stoppten. Sie waren angekommen am Abstieg. Die Luft war hier dünner. Oder atmete der Blonde nur flacher? Der Priester nahm ihm seine Robe ab. Das schwere Gewicht der edel gewobenen Stoffe und wertvollen Kordeln fehlte ihm. Für einen Moment fühlte er sich schutzlos.
      Schweigend nahm er den Rucksack von dem Jungen und trat voraus. Seine Begleiter warfen sich schnell zurück auf einen angemessenen Sicherheitsabstand. Lächerlich., dachte sich Vespasian.
      Seine Beine zitterten. Er ignorierte es und setzte seinen ersten Schritt hinab. Der Anfang glich einem Abstieg einer Treppe und sein Fuß fand problemlos den Boden. Und dennoch schossen Schauer seinen Körper auf und ab. Sein Hals wurde steif von dem Zwang nicht zurück zu blicken. Jede Schwäche, die er zuließ würde in der Gemeinde verbreitet werden und weitere Zweifel säen. Niemals würde er sich diese Blöße geben…

      Lange Zeit bewegte sich sein Körper fernab seiner Kontrolle. Die Erinnerung seiner Muskeln sorgte dafür, dass er einen Schritt vor den anderen machte mit dem Blick hinab auf seinen Untergrund. War dieser Moment real oder träumte er nur mal wieder?
      Würde er sich wünschen, dass es ein Traum war?
      Natürlich nicht. Er ging Gottes Armen entgegen. Welch Blasphemie wäre es nun Angst zu entwickeln? Undenkbar für ihn…
      Nach einer guten Stunde kam er langsam zu sich. Er begann einen Luftzug wahrzunehmen, der durch den Abgrund pfiff. Die Wände um ihn herum wichen zu offenen Nischen, überwachsen von Gras und Blumen sprossen an der Felswand entlang. Noch entdeckte er Überreste von menschlichen Wanderungen. Von Campingplätzen und liegengebliebenen, abgebrannten Hölzern zu kleinen leeren Gefäßen, die zurück gelassen wurden, um den Ballast zu reduzieren. Vespasian schnalzte mit der Zunge. „Elendige Forscher.“
      Für einen Moment hielt er inne. Seine eigene Stimme klang sonderbar in seinen Ohren. Er… hatte laut gesprochen. Blinzelnd sah er sich um. Er… war allein. Sein Körper schien das schneller begriffen zu haben, als sein Verstand. Es gab keine Begründung seine Gedanken mehr zurückzuhalten. Was für ein… sonderbares Gefühl der Freiheit, die ihn da beflügelte.
    • Die ersten Schritte waren leicht. Die Vegetation um sie herum war üppig, und die Sonne, die durch die Blätter drang, verlieh allem einen goldenen Schimmer.
      Die erste Schicht des Abgrunds war wie ein fremdes, aber faszinierendes Land. Alles war anders hier, von der Flora bis zur Fauna, von der Luft bis zum Licht. Kohaku konnte sich nicht sattsehen an den seltsamen Pflanzen und Tieren, die ihren Weg säumten. Jeder Schritt war ein Abenteuer, jede Entdeckung ein kleiner Triumph.
      Doch je mehr sie sich der Grenze zur zweiten Tiefenschicht näherte, desto drückender wurde die Atmosphäre. Die Luft wurde dicker, die Pflanzen und sogar das Licht veränderte sich.
      Kohaku erinnerte sich, aus den Aufzeichnungen, dass der Tag-Nacht Zyklus ab einem gewissen Punkt durch biolumineszenten Organismen simuliert wurde.
      So weit oben war dies natürlich noch lange nicht der Fall, doch die diffuse Art und Weise, wie das Sonnenlicht bereits gebrochen wurde, ließ sie denken, dass sie sich bereits in einer völlig anderen Welt befand.
      Wie tief genau sie bereits gekommen war, konnte sie ohne Höhenmesser nicht genau sagen.
      Ebenso wenig wie sie sagen konnte, wie lange sie bereits unterwegs gewesen war -Eine Stunde? Vielleicht auch zwei?
      Doch selbst wenn eine Uhr hier unten funktionieren würde, wäre diese wenig Sinnig.
      Weder die Menschen, noch das Konzept der Zeit waren immun gegen die seltsamen Auswirkungen des Abgrundes.
      Bis heute, 50 Jahre nach Entdeckung der Insel, war es den Forschern noch nicht gelungen einheitlich zu berechnen, wie groß die Differenz der Zeit war, die man im Abgrund verbrachte und wie viel Zeit tatsächlich an der Oberfläche verging. Sowohl die Dauer, die man selbst im Schlund der Erde verbrachte, als auch die zurückgelegte Tiefe bis zu der man vorgedrungen war, schienen ausschlaggebend zu sein.
      Aber im Grunde spielte es doch keine Rolle wie lange sie hier untern war, oder? Schließlich war es nicht so, als würde noch irgendjemand auf sie warten.
      Kohaku spürte, wie sich eine Last auf ihre Schultern legte, eine Last, die nicht nur physischer Natur war. Die Erinnerungen an ihr bisheriges Leben, die Verantwortung, die sie zurückließ, und die Ungewissheit dessen, was sie in der Tiefe erwartete, drückten auf ihr wie ein unermessliches Gewicht.
      Trotzdem ging sie weiter. Sie hatte keine andere Wahl.
      Ihr Traum, die Geheimnisse des Abgrundes zu ergründen war nicht mehr bloß ein Wunsch. Es war ein Verlangen, eine Bestimmung, der sie sich nicht entreißen konnte. Und sie würde dieser Bestimmung folgen, egal wohin diese sie auch führen würde.
      Aber je weiter sie kam, desto deutlicher spürte sie die Veränderung. Die Luft wurde schwer, fast unerträglich, und die Pflanzen nahmen immer tropischere Formen und Farben an. Es erinnerte sie schon beinahe ein wenig an einen Urzeitlichen Tropenwald. Ein Gefühl von Unbehagen machte sich in ihr breit, als würde der Abgrund selbst sie abstoßen, sie zurückstoßen wollen.
      Aber Kohaku ließ sich nicht beirren. Sie hatte ein Ziel vor Augen, und sie würde es erreichen, koste es, was es wolle.
      „Elendige Forscher.“
      So plötzlich aus dem nichts heraus eine Menschliche Stimme zu vernehmen ließ die junge Frau vor Schreck zusammenfahren. Sie war nicht alleine?
      Vom Klang der Stimme her, befand sich die andere Person noch ein kleines Stückchen hinter Ihr. Das dichte Gestrüpp verdeckte zwar noch die Sicht, doch von der Stimme her war es eindeutig ein Mann, der gesprochen hatte.
      Es war nicht so, dass sie Männer hasste, aber… eine gewisse Abneigung war durchaus vorhanden. Unbedingt scharf darauf war sie nicht darauf, mit jenem Fremden zu interagieren.
      Aber wenigstens sollte sie des Anstandes halber ihres Präsenz erkenntlich machen, oder nicht? Zumindest fühlte es sich irgendwie nicht richtig an, sich wie ein Spanner stillschweigend im Gestrüpp zu verstecken und zu warten, bis die andere Person weitergezogen war.
      Und so reduzierte sie ihre Geschwindigkeit gerade so, dass sie den jungen Mann wenig später aus dem Unterholz heraus erkennen konnte.
      „Uhm, Hi? Ich glaube wir sind beide in die Gleiche Richtung unterwegs.“ Was für eine geistreiche Bemerkung. Am liebsten wäre Kohaku an Ort und Stelle im Erdboden versunken. Soziale Interaktionen waren echt nicht ihre Stärke.
      jetzt wo sie ihren gegenüber tatsächlich auch sehen konnte, fielen ihr seine ungewohnt aussehenden Gewänder auf.
      Nun fing sie auch an, die Worte, die sie soeben überhört hatte zu verarbeiten. ‘Elendige Forscher‘. Was sie heute Morgen im Gasthaus überhört hatte, dass irgendeine der Kirchen einen ihrer Jünger hinabschicken wollte fiel ihr ebenso wieder ein.
      Der Kontext begann sich ihr zu erschließen. Mist. Konnte es sein…?
      So viel zum Thema, dass sie solche Konfrontationen vermeiden wollte. Nun saß sie mittendrinnen. Na toll.
      In the midst of chaos
      there is also opportunity