Project N [Aurelius | Atomic]

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    • Project N [Aurelius | Atomic]


      Solaris - Auditoriumshalle des Soyuz Firmengebäudes - 13:10 Uhr - Montag, 01. Mai 2124 -

      Gelangweilt zupfte Nova an einem Faden ihres Ärmels herum, der sich irgendwann gelöst hatte. Seit zehn Minuten stand ihr Vater vor der Versammelten Menschenmenge und hielt einen Vortrag über seine neueste Entwicklung - irgendein Neurum- Neutral- Natrium Dings.
      “- was den Neural Polymer Link zweifelsohne zu dem revolutionärsten Produkt dieses Jahrzehnts macht.”
      Ach, stimmt ja, “Neural Polymer Link” hatte er das unscheinbare Gerätchen genannt, welches er gleich einer dieser total veralteten Bluetooth Kopfhörer wie einen kleinen Knopf an seinem Ohr trug und nun zu Demonstrationszwecken an das Publikum ausgehändigte.
      Während es nun der Reihe nach unter den Zuschauern weitergereicht wurde, reflektierte die junge Frau auf ein neues, wie sie überhaupt in dieser Situation gelandet war.
      Eigentlich hatte sie ja bereits Pläne gehabt, sich in der Stadt mit einigen ihrer Freunde zu amüsieren und gemeinsam Pläne für ihre bevorstehende Geburtstagsfeier in der kommenden Woche zu schmieden.
      Stattdessen kam ihr Vater auf die glorreiche Idee, dass sie als seine Nachfolgerin etwas “Präsenz in den Firmen Geschehnissen zeigen” und einem -wie er es formulierte hatte- “historischen Moment bewohnen” sollte.
      Was so historisch daran sein sollte, in einem Saal voller ernstaussehender alter Männer in Anzügen vor sich hin zu vegetieren, das wusste Nova nun auch nicht.
      Zugegebener Weise hatte sie aber auch nicht wirklich aufgepasst was das jetzt eigentlich für ein Neural Propeller-was-auch-immer Ding sein sollte, um das Ihr Vater so viel Wirbel gemacht hatte. Nun zumindest schien das Publikum ziemlich begeistert zu sein. Das hieß viele potentielle Investoren, was wiederum mehr Geld in der Zukunft versprach - so viel konnte Nova zumindest noch schlussfolgern.
      Gelangweilt ließ sie ihren Blick durch den großen Saal schweifen.
      An der Wand entlang auf Podesten aufgereiht wie riesige Trophäen, standen starr und Still eine Vielzahl an ausgewählten Robotern.
      Einige der ertragreichsten und beliebtesten Modelle, welche die Firma über die Jahre hinweg entwickelt und auf den Markt gebracht hat. Auch wenn sie aussahen, als wären sie lediglich Ausstellungsstücke, so wusste Nova, das jede der humanoiden Maschinen in der Tat völlig funktionsfähig war und sich jederzeit mittels Sprachbefehl aktivieren ließe.
      Ihre Gedanken wurden unterbrochen, als sie aus dem Augenwinkel eine Bewegung wahrnahm. Anscheinend war das kleine Gerätchen, auf dem so viel Aufmerksamkeit lag nun endlich bei ihr angekommen.
      Semi interessiert nahm sie das Kleine, knopfartige ding in die Hand und drehte es in ihren Fingern, während ihr Vater im Hintergrund weiterhin seinen Vortrag hielt “-der neurale Link erlaubt ihnen durch die Übertragung elektrischer Nervenimpulse eine vollständige Echtzeit Kontrolle der mechanischen Applikationen.”
      Ohne jegliche Vorwarnung wurde die Stimme ihres Vaters von einem Lauten Knall verschluckt. Die Hitze erreichte Nova noch bevor die Druckwelle es tat.
      Ehe sie verstehen konnte, was überhaupt vor sich ging, wurde sie in ein Flammenmeer gehüllt.
      Ein kurzer Moment unerträglichen Schmerzes erfüllte sie doch genauso schnell wie die Schmerzen kamen, tauchte sie ein in absolute schwärze und… Stille.



      Solaris - Auditoriumshalle des Soyuz Firmengebäudes - 14:02 Uhr - Montag, 01. Mai 2124 -

      So eine verdammte Scheiße. Ausgerechnet heute, an Casey’s erstem Tag als neuer Kommissar des Solaris Polizeidepartments, musste so eine scheiße passieren.
      Erneut ließ er seinen Blick über das Bild der absoluten Zerstörung schweifen.
      Vereinzelte Einsatzkräfte -Überwiegend T.H.E.O. Units- bargen die Körper der beteiligten zwischen den Trümmern, bevor diese schließlich von M.A.R.U. Robotern notfallmedizinisch versorgt wurden. Für einen großen Teil kam jegliche Hilfe jedoch zu spät. Die Gruppe der Körper, abgedeckt mit einem dunklen Tuch welches ihr ableben kennzeichnete, wuchs stetig an, während die Anzahl Überlebender zunehmend schwand.
      Während er verbittert beobachtete, wie soeben auch der schwer zugerichtete Körper eines jungen Mädchens abgedeckt wurde, näherte sich einer der Roboter.
      Erstatte Bericht. Chemische Residuen von Nanothermit Titaniumboron an der berechneten Explosionsquelle ermittelt. Eindeutige Hinweise einer herbeigeführten Detonation.”
      Also kein technisches Versagen, sondern ein gezielter Anschlag?
      “Was sagen die Überwachungssysteme?”
      Während Casey sich die Antwort anhörte musterte er die Vielzahl defekter Roboter die ebenfalls zwischen den Trümmerteilen lagen.
      Vollständiger Zugriff der Sicherheitssysteme nicht möglich. Korruption der Daten von Z0600 bis fortlaufend.” Interessant. Seit 6 Uhr morgens wurde also das Sicherheitssystem gestört, ohne dass es jemandem aufgefallen war.
      “Was ist mit denen da?” Der Polizist deutete auf die verschütteten Blechbüchsen. “Zeichnen die Dinger nicht Video und Audioaufnahmen der letzten 24 Stunden auf? Vielleicht wurde ja irgendetwas brauchbares aufgezeichnet?”
      Ein Ruck fuhr durch die Maschine, was bei einem Menschen wohl beinahe einem Salutieren gleichkommen könnte. “Auftrag wird durchgeführt.”
      Ohne weitere umschweife wandte sich sein mechanischer Kollege wieder den Trümmern zu und begann nun auch mit der Bergung der Maschinen.
      “Und falls die Dinger zu beschädigt sind um die daten einlesen zu können, seht zu, dass ihr sie zu einer anständigen Werkstatt schickt. Vielleicht kann dort noch etwas brauchbares gerettet werden.” Rief er noch hinterher, bevor er sich mit einem Kopfschütteln von der schlachtfeldartigen Szenerie abwand.
      Was für ein abgefahrener erster Tag das doch war....
      In the midst of chaos
      there is also opportunity
    • Solaris - Garage der Mackenzie-Werkstatt - 16:41 Uhr - Montag, 01. Mai 2124

      "Keine einzige Frage ist bis zum jetzigen Zeitpunkt geklärt. Das Polizeidepartment Solaris schweigt zu der Explosion, die heute um 13:10 Uhr im Auditorium des Soyuz-Hauptquartiers stattfand."
      "Shanice, weiß man denn schon Genaueres zu etwaigen Tätern oder Gruppierungen, die in Frage kommen?"
      "Nun, Duncan, du sagst es schon richtig. Nach aktuellem Stand geht man davon aus, dass hinter dem Bombenattentat eine kriminelle Vereinigung steht. Einige Vertreter des Soyuz-Firmenkonglomerats sprechen von Gruppen wie der Human Rebellion oder Nature's Collective, die schon öfter kriminelle Aktionen auf Konzerne oder Firmenangestellte verübt haben. Doch ein Attentat wie dieses wäre selbst für diese Terroristen eine neue Stufe der Gewalt."
      "Danke, Shanice. Du wirst uns auf dem Laufenden halt.."


      Der mechanische Ton erlosch. Kane hatte den Knopf des Radios gedrückt und schüttelte genervt den Kopf. Doch ehe er sich weiter darüber Gedanken machen konnte, ob das diesen Schnöseln von Soyuz zu Recht geschehen war, weckte ein bekanntes Klappern ihn aus seinen Überlegungen. Laika hatte seinen Kopf in den Metallfressnapf gesteckt und schob diesen nun gegen die Wand in der Garage der Werkstatt. Der Mechaniker sah zur Qulle und warf dem Streuner, der mittlerweile sein Haustier war, einen bösen Blick zu. "Du bist ganz schön verfressen seit dem du bei mir lebst. Ich glaube ihn verwöhne dich zu sehr." Der Hund schaute ihn mit einem unschuldigen Blick an. Kane schmunzelte, ehe er sich von dem Arbeitstisch abstieß, an den er sich gelehnt hatte, um dem Radiobericht zu zuhören und ging zu Laika. Er griff unweit des Fressnapfs in ein Regal und machte dem Hund etwas Hundefutter in die Schale, auf das sich dieser gleich stürzte als ob er tagelang nichts gefressen hätte. "Übertreib nicht so", kommentierte er die Dramatik, die der Hund an den Tag legte. "Als ob du hier nie etwas zu fressen bekommst." Mit einem mürrischem Blick beobachtete Kane den Magen auf vier Beinen, der sichtlich zufrieden das gute Hundefutter herunterschlang. Es blieb ihm jedoch nicht viel Zeit Laika dies abzutrainieren, da in dem Moment das Garagentor aufging und er einen alten Bekannten erspähte. Der Anblick des Bekannten ließ Kanes mürrischen Blick zu einem finsteren Blick abändern, da der Besuch nichts Gutes verhieß.

      Es handelte sich um Inspector Kingston, einen Polizisten des Solaris Polizeidepartments, der mit Kane zusammenarbeitet. Es war eine Zusammenarbeit, die sich für Kane zwar lohnte, die er aber nun im Nachhinein bereute. Und Kane ahnte, dass der Inspector erneut nichts Gutes im Schilde führte. "Na, Kane. Wie läufts hier in deiner Schrottbude?", grinste der Polizist Kaugummi kauend und setzte seine Sonnenbrille ab. Kane sah den Mann mit einem abwertenden Blick an und ging nicht auf die Frage ein. Er wusste, dass sie beiden sich nicht ausstehen konnte und er nur gier war, damit Kane für ihn irgendwelche Drecksarbeit erledigte. "Hm? Heute so stumm? Scheinst die Warnung, dass ich deinen Laden hier dicht mache, wenn du nicht mit dem Solaris Police Department kooperierst, ernst zu nehmen."
      "Ich arbeite mit dem Police Department zusammen? Das ist mir neu."
      Der Polizist lachte laut. "Aber natürlich! Was denkst du denn?" Erneut reagierte Kane nicht auf die Frage, sodass der Polizist mit seinem Monolog weitermachte. "Und weil du so ein guter und kooperativer Staatsbürger bist, habe ich ein Anliegen für dich. Ein polizeiliches versteht sich natürlich." Mit diesen Worten schob er das rote Garagentor weiter auf und offenbarte den Blick auf ein Gestell mit mehreren stark beschädigten Robotern. "Diese Schmuckstücke hier sind ...", fing der Polizist an, ehe ihn Kane unterbrach: "Vom Soyuz-Anschlag." Kane erinnerte sich an den Bericht aus dem Radio. "Was für ein schlaues Bürschchen", feixte der Polizist und schob das Gestell in die Werkstatt. "Das sind Beweismittel", raunte Kane und sah ablehnend zu dem Polizisten, der abwinkte. "Mach dir mal darum keinen Kopf! Das sind Beweismittel. Die vermisst niemand." Der Mechaniker verschränkte die Arme vor der Brust und sah weiterhin ablehnend. Der Polizist spürte die Ablehnung und trat an Kane heran. "Du wirst den brauchbaren Scheiß aus diesen Blechbüchsen rausschrauben und verkaufen. Hast du mich verstanden? Übliche Regelung 60 Prozent für mich 40 für dich."
      "Leck mich. Ich schraub doch nicht Beweismittel auseinander, wenn das einer deiner Kollegen mitkriegt. Was meinst du, was dann mit mir passiert?"
      "Ich habe die Akten rebooted. Keiner weiß etwas über dieses Gestell. Es ist quasi nicht vorhanden." Er schnaufte dabei weiterhin ablehnend.
      "Weißt du was? Aufgrund der besonderen ... Exklusivität dieser Ware erhöhe ich deinen Anteil auf 50 Prozent!", bot der Polizist an, was den Mechaniker weiterhin ablehnend schauen ließ.
      "Überleg dir das gut, Kane! Ich lasse sonst deine krummen Dinger hier auffliegen. Dann nimmt das SPD diese abgeranzte Werkstatt hier komplett auseinander und du kriegst keine Kohle mehr!"
      Kane schnaufte nochmals laut. Er hat mich an den Eiern, dachte er sich und auch sein Gegenüber spürte das und nickte zufrieden. "Gut, Kane. Dann sind wir ja im Geschäft!" Der Polizist verabschiedete sich und kaute dabei mit einem neuen breiten Grinsen auf seinem Kaugummi. Frustriert trat er gegen das Gestell mit den Robotern. Durch den Tritt fiel einer der beschädigten Roboter aus dem Gestell. Der Mechaniker erkannte, dass es ein schwer beschädigtes MARU-Modell war. "Erstes Oper gefunden." Er legte seinen Arm unter die Blechbüchse und schleifte sie über den Boden zu einer Art OP-Tisch, auf den er den weiblichen Roboter legte. Er musterte diesen und stellte die erheblichen Brandschäden fest. "Da hilft nur noch recyclen", sprach Kane zu sich und ging einmal um den Tisch um den Roboter nochmals zu mustern. Er griff nach einem Laserschneider, hielt diesen ins Freie und drückte den Knopf, um diese Laserschneideklinge zu testen. Er holte sich einen Hocker und setzte sich an den Tisch bereit, den MARU-Roboter in seine Teile zu zerlegen.
    • Solaris - NA - XX:XX Uhr - NA, XX. NA 2124


      Wie lange war Nova bewusstlos gewesen? Oder hatte sie geschlafen? Nein. Danach fühlte es sich nicht an. Es fühlte sich... seltsam leer an. So, als wären bereits Jahre vergangen, oder aber auch nur wenige Sekunden.
      Es schien, als würde die Zeit still stehen, ja, sogar beinahe so, als würde sie gar nicht existieren. Bis ein Ruck sie durchfuhr und wieder in das Hier und Jetzt zurückriss.
      Was war geschehen? Hatte sie sich irgendwo den Kopf gestoßen?
      Das Letzte, woran sie sich erinnern konnte, war, dass sie für einen Vortrag ihres Vaters im Auditorium war und dann - eine plötzliche Hitze, unerträgliche Schmerzen und ... Moment. Sie fühlte gar keine Schmerzen mehr. War das alles bloß ein lebendiger Traum gewesen?
      Nova versuchte die Augen zu öffnen, um sich zu orientieren, aber irgendwie wollte ihr dies nicht so ganz gelingen.
      'Komm schon, jetzt öffne endlich die Augen!' Befahl sie sich selbst im Stillen
      [Visuelle Sensorik aktiviert]
      Überraschend kam ihr mit einem Mal ihre Umgebung in den Blick.
      Doch sie hatte keine Zeit sich über die seltsame Art und Weise, wie dies geschah, zu wundern, denn ihre gesamte Aufmerksamkeit lag nun auf dem Mann, der halb über sie gebeugt stand.
      Für einen Augenblick verharrte sie in einer regungslosen Schockstarre, bis ihr der Laserschneider in seiner Hand auffiel, welcher sich immer mehr in ihre Richtung bewegte. "Was zur Hölle tust du da du Psycho?!"
      Mit einem kräftigen Stoß versuchte sie, den unheimlichen Fremden von sich weg zu drücken und war überrascht, dass sie genug Kraft aufbringen konnte, um ihn tatsächlich ein Stück weit von sich weg zu befördern. Dabei verlor sie jedoch selbst das Gleichgewicht und fiel mit einem lauten Scheppern rücklings von der Liege, auf der sie lag.
      Beim Aufprall verspürte sie keinerlei Schmerzen - das musste wohl an der Panik liegen. Adrenalin war schon was komisches.
      Schnell versuchte sie sich aufzurappeln, um von diesem fremden Ort zu fliehen, doch ihre Beine gehorchten ihr nicht. Stattdessen fiel sie unsanft wieder zurück zu Boden.
      Was zur Hölle war hier los?!
      Panisch sah sie sich um. Wie ist sie hierher gekommen? Was war das für ein Ort? Eine heruntergekommene Werkstatt? Ihr Blick fiel auf ein Gestell, an dem eine Vielzahl geschädigter Roboter hing. Beschädigt - und bestimmt gestohlen.
      War dieser Kerl etwa einer von diesen Illegalen Ausschlachtern die angeblich im Neon-Distrikt ihre Geschäfte verrichteten? Aber was wollte er dann von ihr?! Etwa Lösegeld?
      "Wer zum Teufel bist du, und warum hast du mich entführt?!" forderte sie panisch und ihre Stimme wurde vor lauter Angst ganz schrill.
      Moment.
      Das war gar nicht ihre Stimme.
      In the midst of chaos
      there is also opportunity
    • Solaris - Garage der Mackenzie-Werkstatt - 16:41 Uhr - Montag, 01. Mai 2124

      Als sich Kane darauf konzentrierte seinen ersten Schnitt mit dem Laserschneider anzusetzen, spürte er nicht, wie der Roboter langsam und verhofft wieder zurück ins Leben kam und ihn aus dem Nichts trat, sodass er einige Schritte von ihr weggeschoben wurde. Doch gleichzeitig stürzte der stark in Mitleidenschaft gezogene Roboter mit einem mechanischem Klirren auf den Boden. Die MARU sprach äußerst emotional zu dem Mechaniker, der noch kurz gebannt auf das am Boden um sich bewegende aber nicht vorankommende Wesen starrte. Dann schüttelte er den Kopf und ging zielstrebig auf den Roboter zu. "Ganz schön garstig für so nen Toaster wie dich", raunte er und packte den Roboter im Nacken und hielt den Körper, dessen Beine nur noch Gerippe waren in die Luft. Weit weg, sodass das MARU-Modell nicht nach ihm schlagen konnte. "Wirklich verwunderlich, dass deine Schaltkreise noch funktionieren nach der Explosion und dass du dann auch noch so ... menschlich redest." Er starrte erneut auf den Roboter. Er kannte die Maru-Modelle sehr gut, hatte schon oft genug fragwürdige Umbauten an den weiblichen Robotern für irgendwelche Freaks durchführen müssen. Doch noch nie hatte er sie so menschlich gehört. Sie waren sonst sehr neutral bis abwesend. Aber so abwehrend. Er hievte den Roboter wieder auf den Tisch und griff nach oben zu einer Leiste oberhalb des Tisches, in der mehrere kleine Lichter und technische Apparaturen angebracht waren. Er zog daraus einen dreizackigen Haken, der sich bei seinem Zugreifen öffnete und drückte diesen auf den Oberkörper der MARU. Der Haken bohrte sich mit einem leisen Zischen ins Metall. Nachdem ersten Haken folgten automatisch drei weitere: einer für den Oberkörper auf der anderen Seite und zwei haken, die sich in das Metall der Oberschenkel fest schweißten. Er sah dem Roboter, der eigentlich für medizinische Zwecke bestimmt war, ins Gesicht und rümpfte die Nase. "Halt still. Dann sind wir hier schnell durch. Ich habe noch ein paar von euch zu recyclen.", raunte er und griff wieder zu seinem Laserschneider. Der weibliche Roboter wackelte unter den haken jedoch vehement, sodass Kane erneut den Schneider zur Seite legte und raunte: "MARU-Einheit? Gib mir einen Statusbericht!" Auf den Befehl, den normalerweise jeder der MARUs ausführte, folgte jedoch nichts. Stattdessen bewegte sich der Roboter noch immer und schien sich zu befreien, was jedoch in diesem Zustand und in Anbetracht der starken Nano-Carbon-Haken unmöglich war.

      "Ich hasse diese Blechbüchsen", fluchte Kane und ging schnellen Schrittes von der Liege weg hin zu einem Werkzeugkasten. Er kramte kurz durch die Werkzeuge, ehe er das richtige fand und wieder zurückkam. Den sich bewegenden Kopf des Roboters drückte er zur Seite. "Nun wollen wir mal sehen, welcher Schaltkreis dir durchgebrannt ist", murrte er. Er hatte de Kopf der MARU zur Seite gedrückt und öffnete nun mit einem kleinen Schrauber die sechs Schrauben im Nacken der Einheit, die einen ersten groben Einblick in das Rechenzentrum des Roboters gaben. Kanes Augen weiteten sich, denn im Gegensatz zum Äußeren war das Rechenzentrum in einem guten Zustand. Hier und da gab es ein paar lose funkende Kabel, aber sonst alles gut. Das war ein wahres Vermögen, da die Rechenzentren dieser hochmodernen MARUs auf dem Schwarzmarkt Unsummen einbrachten. "Hmm du scheinst ja ein richtiger Goldesel zu sein. Kein Wunder, dass du so zickig bist", grinste Kane und musterte erneut den Roboter, ehe er die Hand grübelnd unters Kinn legte. "Wenn ich dich restauriere und reboote könnest du ein schöne Puppe werden", überlegte er laut während sein abwägender Blick über den Roboter fuhr. Bei dem guten Zustand der Schaltkreise wäre ein Reboot relativ ungefährlich und die Gefahr, dass sie durchbrennen wäre bei 5% oder so. Als Puppe würde ihm dieser Schrotthaufen das meiste Geld einbringen. Es war zwar kein schöner Gedanke, aber Kane musste selber zusehen wie er in dieser rauen Welt über die Runden kam.

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      Puppe = Roboter (männlich als auch weiblich), die so umgebaut werden, dass sie als mechanische Prostituierte oder Spielzeug herhalten.
    • Solaris - Unbekannt - 16:42 Uhr - Montag, 01. Mai 2124

      Nova konnte nicht begreifen, was hier los war. Warum klang ihre Stimme nicht wie ihre eigene? Warum spürte sie ihre Beine nicht mehr? Und warum starrte sie auf zwei zerstörte Metallbeine, als sie versuchte an sich hinunter zu sehen?
      Sie hatte kaum realisiert, dass ihr Gegenüber wieder auf sie zugekommen war, bis dieser sie vom Boden hievte, als würde sie kaum etwas wiegen.
      "Was fällt dir eigentlich ein-?!" empört versuchte sie nach ihm auszuholen und irgendwie zu erwischen, doch der Mann hielt sie in einem solchen Winkel, dass sie lediglich ins Leere schlug und dabei vermutlich ziemlich lächerlich aussah.
      Doch nun ergab sich ihr ein freier Blick auf ihre Hände.
      Nova wusste genau wie Ihre Hände auszusehen hatten, denn schließlich hatte sie diese gestern erst während und nach ihrer Maniküre streng begutachtet.
      Eigentlich sollte ihr Blick auf zwei gepflegte Hände, mit zarten Fingern und weicher Haut fallen. Auf frisch aufgetragene, blassrosa Gelnägel.
      Das, was sie hier vor sich sah, waren nicht ihre Hände. Das konnten sie nicht sein. Es waren zwei mit Polyamid Kunststoff Beschichtete, eindeutig Mechanische Hände die vielleicht zu einem Roboter passen würden, aber nicht zu einem Menschen.
      Nova versuchte sofort ihre echten Hände zu finden, doch als sie diese zu bewegen dachte, korrespondierten die Hände, die eindeutig nicht ihr gehören sollten zu ihren Bewegungen.
      Ungläubig führte sie “ihre” Hände vor ihr Gesicht. Träumte sie? Hatte ihr jemand die Arme abgehackt und durch Prothesen ersetzt?
      Ungläubig rieb sie ihre Augen, als könnte sie aus diesem Alptraum erwachen. Oder zumindest rieb sie an der Stelle, an der ihre Augen hätten sein sollen. Stattdessen stieß sie auf kaltes Metall.
      Was…? Ungläubig begann sie ihr Gesicht abtasten, oder eher die Stelle, an der sich ihr Gesicht befinden sollte.
      Statt menschlicher Haut, ertastete sie metallische Verstebungen, die sich über die Fläche ihres Gesichtes zur Mitte hin zogen. In besagter Mitte, statt einer Nase, thronten zwei Linsen übereinander. Sie brauchte sie gar nicht zu sehen, um zu wissen, dass es zwei blau erleuchtete, mit Alumosilikatglas überzogene Sensoren waren, wie sie bei jeder M.A.R.U. Einheit eingebaut waren.
      Aber warum hatte sie- ? Was?
      Widerwillig begann es ihr nach und nach zu dämmern.
      Er hatte sie als Toaster bezeichnet. Sprach von “ihren” Schaltkreisen.
      War sie etwa -? NEIN.
      Es war eine technologische Unmöglichkeit, dass sie in einem Roboter gelandet war. Wie denn auch? Sie weigerte sich, diesen unsinnigen Gedanken anzunehmen.
      Sie war ein Mensch! Aus Fleisch und Blut! ”Was hast du mit mir gemacht du Freak?!”

      Hysterisch schlug sie um sich, versuchte mit ihren nutzlosen, regungslosen Beinen nach ihm zu treten, sich irgendwie zu wehren, sich zu befreien.
      Entsetzt sah sie zu, wie er nach einem von der Decke hängenden Hacken langte und im Begriff war, diesen in sie hinein zu bohren. In was für einem Horrorfilm war sie hier gelandet?!
      “Wag es dich bloß nicht! Wenn mein Vater davon erfährt, bist du geliefert! Hast du gehört?!”
      War es schlau, den Kerl zu bedrohen, der einen eindeutig in seiner Gewalt hielt? Nicht sonderlich, nein.
      Gab es sonst irgendetwas, was sie in dieser Situation hätte tun können?
      Auch wieder nicht.
      Und so sah sie voller Entsetzen zu, wie der Haken sich in ihr Fleisch[?] bohrte.
      Sie rechnete mit Schmerzen, einem Stechen oder Brennen, mit Blut oder dem Geruch verbrannten Fleisches.
      Doch nichts geschah. Sie spürte nichts. Kein Schmerz. Kein stechender Geruch. Nichts.
      Warum. Warum geschah das alles hier?! Was hatte Nova verbrochen, um diese Tortur zu verdienen?!
      "MARU-Einheit? Gib mir einen Statusbericht!" die Stimme ertönte und ließ die Realität mit einem Mal gewaltsam in sie einschlagen. Aus dem Nichts heraus erscheinen vor ihrem inneren Auge Zahlen und Datensätze, die sich in ihrem Bewusstsein gruben, als würde jemand Informationen direkt in ihr Gehirn hinein beamen.
      Nein. Das musste ein Scherz sein. Ein sehr, sehr schlechter Scherz.
      Vor lauter Panik musste sie hyperventilieren. Doch es gab keine Lungen, die irgendwelche Luft einziehen konnten. Kein Herz, das panisch schlagen konnte. Kein Blut, das durch ihre Adern floss. Nur ein Komplexer wirrwarr aus Kabeln und Getriebe. Metall und Kunststoff, die miteinander verwebt waren. Öle und Hydraulikflüssigkeiten, die sich in Schläuchen durch ihr Inneres zogen.
      Nein. Nein nein nein neineinneinnein.
      Sie wollte weinen, schreien, schluchzen, doch aus dem implantierten Lautsprechersystem drang nur ein mechanisches Kratzen, gleich einer defekten Schallplatte.
      Während ihrer Panikattacke hatte sie kaum registriert, dass der tätowierte Kerl hinter sie getreten war, bis sie einen Druck an ihrem Hinterkopf spürte und sich kurz darauf etwas löste. Selbst ohne, dass sie etwas sah, wusste sie genau, dass sich dort an dieser Stelle das Hauptrechenzentrum jedes komplexeren Roboters befand.
      Auch wenn sie keine Schmerzen spürte, fühlte sie sich seltsam entblößt.
      ”Was hast du mir angetan?!” schluchzte sie.
      Sie wollte nur noch hier raus und nach Hause. In ihrem eigenen Körper.
      Ihr Kopf schoss schockiert hoch, als er das Wort “Puppe” erwähnte. Nein. Alles bloß das nicht! Reichte es ihm nicht, sie zu quälen, musste er sie auch noch auf diese Weise demütigen?!
      ”Bitte tu mir das nicht an!” flehte sie verzweifelt ”Ist es Geld das du willst?? Mein Vater würde dir alles geben, was du verlangst! Wie viel willst du? Eine Millionen? Zehn Millionen? Oder lieber Milliarde?” Panisch sah sie sich nach etwas um, das ihr helfen könnte. Dabei fiel ihr auf ein Neues auf, wie schäbig und heruntergekommen die Werkstatt um sie herum aussah.
      "Wie wäre ein eigenes Anwesen im besten Teil des Soyuz-Distrikts? Nein, Zehn Anwesen!” Sie bettelte, als würde ihr Leben daran hängen. Das tat es ja schließlich auch.
      In the midst of chaos
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    • Solaris - Garage der Mackenzie-Werkstatt - 16:44 Uhr - Montag, 01. Mai 2124

      Beinahe schockiert beobachtete Kane das Verhalten der M.A.R.U.-Einheit. Noch nie in den all den Jahren, die er schon als Mechaniker für diese Toaster tätig war, hatte er eine solche Reaktion gesehen. Dieser Roboter wirkte als ob er eine Seele hatte. Normalerweise bettelten sie nicht um ihr Leben; sie waren leblos und kalt. Wenn man ihnen den Stecker zog, machten sie keine Anstalten und gingen einfach aus. Ihnen lag nichts daran zu überleben. Sie hatten keine Gefühle oder beachteten ihr Äußeres. Sie dienten nur einem Zweck. Das war es wohl gerade, was Kane an diesen Teilen so abstoßend fand. Sie dienten dem Soyuz-Konzern, allem im Distrikt und ersetzten jeden Abweichler durch einen solchen Metallzombie. Umso erstaunlicher war die aktuelle Reaktion dieser Einheit. Sie realisierte ihr Äußeres und schien damit unzufrieden? Verstört? Überrascht? Kane konnte seine Eindrücke gar nicht in Worte fassen. Er sah auf den Roboter und spürte selber, dass er immer noch wie paralysiert vor diesem Stand. Erst jetzt spürte er langsam, wie er die Gewalt über seinen Körper zurück erlangte. Ungläubig schüttelte er den Kopf und glaubte noch immer nicht, was er erlebt hatte. "Ich ... du ... eh ...", sagte er verwirrt und ließ den Roboter auf dem Tisch liegen. Schnellen Schrittes ging er auf das Gestell zu, das ihm der Officer in die Werkstatt gefahren hatte. Er checkte die Nummern im Nacken der anderen M.A.R.U.-Einheiten und stellte fest, dass sie alle aus der selben Produktionscharge stammen, aus der auch andere M.A.R.U.-Modelle stammen und keines dieser, die Kane bisher zerlegt oder umprogrammiert hatte, hatten dieses Verhalten an den Tag gelegt. Er starrte mit großen Augen auf den eigenartigen Roboter, der auf dem Tisch lag. Langsam kam er dem Modell näher, bis er am Tischen stehen blieb und sie nochmals von oben nach unten musterte. "Du bist eine ganz normale M.A.R.U.-Einheit", sagte er versichernd zu sich selbst. Er hatte das Rechenzentrum gecheckt und dort war nichts Unauffälliges. Dieser Roboter hier war genauso normal wie die anderen tausend M.A.R.U.-Einheiten, die Soyuz den Krankenhäusern und ähnlichen Einrichtungen verkauft hatte. Es ist dasselbe Modell, das er regelmäßig recycled oder umbaut. Er schüttelte erneut den Kopf und hörte wieder die verzweifelte Stimme des Roboters. Es klang so anders. Die Stimme war die einer M.A.R.U., doch sie wäre nie so verzweifelt. Kane setzte sich auf den Hocker unweit des Tisches und starrte auf den Roboter.

      Erst jetzt antwortete er ihr. "Du bist eine M.A.R.U.-Einheit, wahrscheinlich aus dem Soyuz-Hauptquartier, wo heute ein Bombenanschlag stattfand. Deswegen sieht dein Körper auch so ... beschädigt aus. Ein Wunder, dass ihr den Anschlag überlebt habt", sagte Kane noch immer ungläubig und deutete mit der Hand auf die anderen stark beschädigten M.A.R.U.s in dem gestell. Redete er tatsächlich mit dieser Blechbüchse wie mit einem Menschen? Erst jetzt erinnerte er sich an die Worte des Roboters. Er hatte sie in seiner Fassungslosigkeit nicht gehört und nun schallten sie wie ein Echo in seinem Kopf wider. Der Roboter wollte sich frei kaufen ... sich frei kaufen? Wie in einem Fieberwahn lachte Kane auf und schüttelte erneut den Kopf. Er konnte das alles gar nicht glauben. "Ich muss wohl verrückt sein!", sagte er und richtete sich auf. Er fuhr sich durch die dunkelbraunen Haare, hoffte er würde wieder zur Besinnung kommen und blickte nochmals auf den Roboter, als ob er sich versichern wollte, dass dieser wirklich mit ihm sprach wie ein Mensch mit Emotionen und Berechnung. Diese Berechnung schien sich auch in dem geäußerten Angebot widerzuspiegeln. "Du willst mir Geld geben? Schau dich doch mal an! Du bist ein Roboter. Aus so einer Blechbüchse wie dir mache ich maximal Geld." Er stellte sich an den Tisch und beugte sich über den Roboter. "Anwesen im Soyuz-Distrikt? Wovon willst du das bezahlen?" Immer noch oder wieder (?) ungläubig starrte er auf die bettelnde Blechbüchse, die ihm mehr Rätsel auftat als alles andere, was er hier jemals in dieser Werkstatt hatte. Da war vor einer paar Wochen dieser T.H.E.O. und es fiel ihm wie Schuppen von den Augen. Er verließ den Tisch hastig, kehrte dem Roboter auf dem Tisch den Rücken zu und öffnete an einem Schreibtisch an der Wand ein Notebook. Er nahm dieses in die Hand und kam wieder zum Roboter. "Das muss es sein!", sagte er und zog aus dem Laptop ein langes Kabel, das er in den Port am Hinterkopf der M.A.R.U. einklickte. "Vermutlich bist du von diesem Hacker-Angriff auf Soyuz betroffen. Nicht auszuschließen, dass sie irgendwelche Viren in dein System eingespielt haben. Ich werde dein System prüfen." Er drückte unverzüglich auf die Entertaste und setzte sich an den Rand des Tisches. Dabei blickte er immer wieder zwischen Notbebook und Roboter hin und her. Auf dem Laptop Bildschirm liefen diverse Programme automatisiert ab. Alleine diese Software hatte Kane ein kleines Vermögen gekostet, doch immer häufiger wurden die Roboter Angriffsziele von Viren, Hackern oder Überwachungssoftware. Wer hinter den Angriffen steckte, vermochte in der Öffentlichkeit niemand genau zu sagen, doch Kanes Kontakte aus dem kriminellen Milieu steckten ihm, dass es wohl eine der Extremisten-Gruppen wie Human Rebellion oder Nature's Collective sein könnten. Er wand den Blick zur M.A.R.U und fragte sich, ob tatsächlich ein Virus ein solches Systemverhalten auslösen könnte? Er hatte zumindest noch nie davon gehört und auch solche Erlebnisse noch nie bei seinen Robotern erlebt. Ob das eine neue Angriffstaktik war? Er runzelte die Stirn und versank im Gedanken, ehe kurze Zeit später ein Ping signalisierte, dass diese Systemprüfung abgeschlossen war. Kane sah auf den Bildschirm und rechnete mit einigen Fehlermeldungen, doch das was er sah, ließ ihn nur noch ungläubiger auf den Bildschirm starren. Es gab keine Fehlermeldung. "Was?", fragte sich Kane verwundert, griff nach dem Kabel am Kopf des Roboters und versicherte sich, dass es fest steckte. "Was zur Hölle?", fluchte er und starrte auf den Roboter. Er stellte den Laptop zur Seite, stand vom Tisch auf und beugte sich wieder über den Roboter, der ihm in seinen Äußerlichkeiten absolut bekannt war. "Was bist du für ein Ding? Was hat Soyuz sich schon wieder Neues einfallen lassen?" Sein ungläubiger Blick war mittlerweile Skepsis gewichen, da er ahnte, dass er diesen Roboter nicht verkaufen konnte und er hier scheinbar etwas 'Sonderbares' entdeckt hatte.
    • Solaris - Unbekannt - 16:46 Uhr - Montag, 01. Mai 2124

      Seine Worte darüber, dass sie in seinen Augen nur eine M.A.R.U. Einheit war, bestätigte ihre schlimmsten Befürchtungen nur.
      Auch wenn sie es sich mittlerweile eigentlich schon längst selbst zusammen gereimt hatte, tat es nicht weniger weh, nun auch noch die zusätzliche Bestätigung zu hören.
      Als er den Bombenanschlag erwähnte, wurde sie hellhörig. “Was? Ein Bombenanschlag im Soyuz-Hauptquartier?!” wiederholte sie. Eine fürchterliche Vorahnung überkam sie. Nova erinnerte sich vage, dass sie kurz vor Ihrer Ohnmacht noch eine unerträgliche Hitze und Schmerzen empfand, war es das gewesen? Lag es irgendwie an diesem Bombenanschlag, dass sie sich in diesem unschmeichelhaften Körper wiedergefunden hatte?
      Aber warum sollte jemand einen Bombenanschlag auf das Quartier verüben? Ihr Vater hatte doch bloß einen Vortrag über irgendein - Halt! Ihre Gedanken rasten wild durcheinander. Wurde ihr Vater auch von diesem Anschlag erfasst? Ging es ihm gut?!
      “Bitte sag mir, dass keiner während dieses Anschlages verletzt wurde!” fragte sie voller Panik und hoffte, dass ihr Peiniger ihr wenigstens die Gnade erwies, diese zu beantworten.
      Oder wäre es für ihr Gewissen vielleicht besser, die Antwort darauf gar nicht zu kennen? Nein. Sie musste einfach wissen, ob es ihrem Vater gut ging!
      Selbst wenn sie dafür mit einem Kriminellen wie diesem Kerl hier kommunizieren musste. Sie kannte ja nicht einmal seinen Namen. Aber wirklich scharf darauf, diesen in Erfahrung zu bringen, war sie nun auch wieder nicht. Außer um diesen vielleicht später an die Polizei melden zu können, sobald sie es hier heraus geschafft hatte. Falls sie es jeh hier raus schaffte…

      Sein Lachen riss sie zurück in die Gegenwart. Er lehnte das Geld ab? Nein. Er glaubte ihr bloß nicht, dass sie welches besaß. Frechheit!
      Dabei war sie die zukünftige Inhaberin der ertragreichsten Firma weltweit! Nun, aber wer genau sie war, musste er vielleicht nicht unbedingt wissen.
      Hinter dem Familiennamen Soyuz standen viele Feinde und Konkurrenten, die sie mit dem allergrößten Vergnügen aus dem Verkehr ziehen wollen würden.
      Und seiner dubiosen Arbeitsweise sowie den zahlreichen Tattoos, die seinen Körper zierten zu urteilen, stand er nicht gerade weit oben auf ihrer Liste an Vertrauten.
      ”Das Geld ist kein Problem! Ich kenne die Zugangskombinationen zu mehr als nur einem gut gefülltem Konto!” Diese Konten waren für sie nicht weiteres als bloße Lagerorte für etwas “Kleingeld” im fünf - bis sechsstelligen Bereich, was sich immer mal wieder irgendwo bei ihr angestaut hatte.
      Zwar Missfiel ihr es enorm, selbst dieses “Kleingeld” an einen Kriminellen wie ihn abtreten zu müssen, doch sie war gewillt, dieses Opfer auf sich zu nehmen, wenn es dadurch eine Chance gab, dem Albtraum hier zu entkommen.

      Ihm musste wohl eine neue idee gekommen sein, denn mit einem mal hatte er sich einen laptop und ein kabel geschnappt und machte sich daran, eines der kabelenden an ihrem hinterkopf anzuschließen “Hey, fass mich nicht an!” fauchte sie und versuchte auszuweichen. Doch in ihrem fixierten Zustand war jeglicher Widerstand vergebens und sie sah ihre Niederlage mit dem leisen -klick- des angeschlossenen Kabels verbittert ein.
      Es tat ihr zwar nicht weh - Nova war sich gar nicht sicher, ob sie überhaupt noch irgendetwas spüren konnte- aber es fühlte sich irgendwie an… intrusiv an.
      Mit kindlicher Schadenfreude beobachtete sie, dass der junge Mann seiner Mimik zu urteilen offensichtlich nicht das fand, was er sich erhofft hatte.

      ”Zu erst einmal-” begann sie auf seine Frage hin mit einem tadelnden Unterton ”-bin ich kein verdammtes ‘Ding’, klar? Ich bin ein Mensch. Aus Fleisch und Blut und was sonst noch so dazugehört. Oder zumindest war ich das noch bis ich eben aufgewacht bin und du deinen Spaß damit hattest, mich zu foltern.”
      Den letzten Teil des Satzes bedachte sie, mit möglichst vorwurfsvoll Ton zu formulieren, was sich mit ihrer neuen emotionslosen Stimme als wirklich schwer erwies.
      “Und bevor du mich fragst wie das möglich sein kann, lass mich dir im voraus sagen, dass ich mindestens genauso viel Ahnung davon habe, wie ich hier drinnen gelandet bin, wie du. Ich saß eben noch in einem langweiligen Vortrag und - boom - ich bin hier aufgewacht.”
      Bei dem Wort “boom” ließ sie ihre Hände theatralisch wie eine kleine Explosion durch die Luft segeln um damit den Dramatischen Effekt zu verdeutlichen.
      In the midst of chaos
      there is also opportunity
    • Solaris - Garage der Mackenzie-Werkstatt - 16:48 Uhr - Montag, 01. Mai 2124

      Auf ihre Frage hin, ob jemand den Anschlag überlebt hatte, reagierte Kane mit einem Schulterzucken. "Keine Ahnung. Interessiert mich auch nicht. Aber bisher wurde nichts davon berichtet, dass jemand überlebt hätte. Bei den Bildern ... würde mich wundern, wenn ein Mensch diese Detonation überlebt hat. Ihr Blechbüchsen habt Glück, dass ihr aus Titankarbonidstahl mit isolierendem Siliziumborid hergestellt seid." Er blickte abwägend zu den anderen M.A.R.U.s in dem Gestell, die ähnlich stark beschädigt wie die Einheit vor ihm waren. Es würden noch viel Arbeit vor ihm stehen: er müsste jeden Roboter einzeln prüfen, ob er ihn reparieren kann oder eine Ausschlachtung effizienter ist. Die Einzelteile brachten natürlich weniger ein, als eine voll programmierte Puppe. Doch dafür würden - nach erstem Blick über die Beschädigungen - nur die wenigstens Modelle in Frage kommen. Die Kunden waren trotzt dessen, dass es sich um ein Schwarzmarktgeschäft handelte, bei den Puppen sehr kritisch und nahmen nur makellose Modelle ab. Das einträgliche Geschäft mit den Puppen wurde nämlich zusehends durch Konkurrenz aus Südostasien unter Druck gesetzt. Viele kriminelle Kartelle verschiffen die geklauten M.A.R.U.-Einheiten mittlerweile dorthin und lassen sie dort zu Dumpingpreisen umbauen. Dort gab es ganze Fabriken, die auf diese Umrüstung spezialisiert waren. Dagegen wirkte Kanes Werkstatt behelfsmäßig. Doch, das konnte keiner leugnen, die Modelle, die im Neon-Bezirk umgerüstete wurden, waren bedeutend solider. Die Puppen aus Südostasien brannten öfter die Schaltkreise durch oder schalteten sich ab.

      Als sich der Roboter vor ihm wieder meldete, riss dieser Kane aus seinen Gedanken. Was er dann hörte ließ seine Augen weiten, ehe er laut lachte. "Ja klar! Und ich bin der Direktor der Weltbank!" Er stand auf und stellte den Laptop neben den Tisch. "Hör mal! Du glaubst doch nicht im Ernst, dass ich dir das abkaufe? Du willst Zugangsdaten zu einem schweren Konto haben? Niemals." Er winkte ab. Sowieso wäre das Unterfangen zum Scheitern verurteilt gewesen. Geldabhebungen und Überweisungen mussten per Fingerabdruck identifiziert werden. Egal für welches Konto dieser Roboter vermeintlich einen Zugang hatte, es würde ohne den entsprechenden Fingerabdruck nichts bringen. Durch immer wieder stattfindende Hackerangriffe und Phishing-Versuche haben die Banken im Laufe der letzten Jahrzehnte ihre Sicherheitsvorkehrungen enorm erhöht. Insbesondere solche Banken, die so hohe Einlagen verwalten; dort musste man zum Teil persönlich vorstellig werden, sich als Kontoinhaber identifizieren und erst dann kann man überhaupt auf das Konto zugreifen. "Selbst mit den Zugangsdaten wäre ein Zugriff unmöglich." Mit diesen Worten verwarf er die Idee. Er glaubte dem Roboter sowieso nicht. Vielmehr musste er fürchten, dass wenn er sich auf diese Möglichkeit einließ, die Blechbüchse ihn verrät oder mit Absicht auf eine falsche Fährte lockt, sodass er bei der Bank wegen Diebstahls oder ähnlichem festgenommen wird. Zwar unterstellte er dieser Blechbüchse keine so weitreichende Berechnung, doch er war schlau genug vorsichtig in seinem Job zu sein und nicht mehr Risiko einzugehen als notwendig.

      Scheinbar spürte die M.A.R.U. Kanes Skepsis gegenüber ihr und so erklärte sie ihm, dass sie doch ein Mensch sei, woraufhin sich der Mechaniker über ihren Körper beugte, sie musterte und dann in die Linsen in ihrem Kopf starrte. "Nun wie ich das sehe bist du ein Roboter aus Stahl und Schaltkreisen." Er glaube ihre 'Erinnerungen' rührten von einem Systemfehler her, sodass er in Richtung des Laptops sah. "Ich glaube du warst einfach vor der Explosion schon eingeschaltet und die folgende Detonation hat vielleicht deine Quantenrechen-Einheiten durcheinander gebracht. Das sollte ich aber gefixt kriegen." Er ging wieder zum Laptop, tippte etwas und sah dabei über den Rand auf den Roboter. "Mach dir nichts draus. Ich bin auch lieber ein Mensch als so eine Blechbüchse. Aber du warst schon immer eine und wirst ..." Er stockte in seinem Satz und riss die Augen ungläubig auf. "Das kann nicht sein!", fluchte er vor sich her und tippte hastig im Laptop. Nochmals sah er prüfen über den Laptop hinweg auf die M.A.R.U. als ob er ganz sicher gehen müsste als ob es stimmt.
      "Ich pinge dich nun zweimal an. Gib mir eine Rückmeldung ob du beide Pings erhältst." Kane startete zwei Pings; dabei handelt es sich um das 'Kontaktieren' eines bestehenden Systems. Der Mechaniker hatte mit dem Diagnose-Tool in seinem Laptop festgestellt, dass diese M.A.R.U.-Einheit zwei Betriebssysteme besaß. Dies war schon auffällig, da ein zweites Betriebssystem in der Regel wie ein doppelter Boden war. Man konnte so einer Einheit ein zweites System verschaffen. Dies gab es unter anderem bei einigen Theo-Einheiten, die mit einem Attentäter-Betriebssystem auf dem Schwarzmarkt nachgerüstet werden konnte. Doch bei einem werksseitigen Modell - wie dieser M.A.R.U. - war das bisher vom Soyuz-Konzern in dieser Form nicht bekannt. Noch interessanter für den Robotik-Mechaniker war, dass beide Betriebssystem parallel arbeiteten. Das hatte er bisher noch nie gesehen und er hatte schon dutzende Roboter auf dem Tisch gehabt und analysiert.

      Folglich pingte er nun das Basissystem der M.A.R.U. an und anschließend das zweite System. Neugierig abwartend wie ein Kleinkind sah er zu der M.A.R.U. "Und? hast du etwas ... gespürt?" Er sah nochmals prüfend auf den Bericht des Laptops und konnte dem Ergebnis immer noch nicht trauen. Der Roboter schien seinen fragenden Gesichtsausdruck zu lesen. "Du scheinst zwei Betriebssysteme zu haben, was an sich für eine neue Einheit schon ungewöhnlich ist. Noch merkwürdiger ist jedoch, dass beide parallel arbeiten. Das ist mit deiner Recheneinheit eigentlich nicht verkraftbar. Die Taktung ist zu gering und der Arbeitsspeicher müsste überlasten." Erneut sah Kane ungläubig auf das Notebook. Er war ratlos und doch sicher, dass es sich nicht um einen Systemfehler handelte. Viel zu sehr passte das antagonistische Verhalten der M.A.R.U. zu diesem Befund. "Irgendwer wird dir ein zweites System aufgespielt haben. Nach welchen Mustern funktioniert das?", überlegte er laut und sah wieder auf den Monitor vor ihm. Er klickte auf das zweite Betriebssystem, um den Quellcode einzusehen und war überrascht, was sich ihm zeigte. "Was zur Hölle?", fragte er verwundert und sah den Roboter auf dem Tisch an. "Was bist du für ein Ding?"
      Der geöffnete Quellcode wich von allem ab, was Kane bisher in seinem Leben gesehen hatte. Es gab mehrere Programmiersprachen, die er auch alle kannte. Manche verstand besser und andere bloß rudimentär. Doch der nun geöffnete Quellcode ich von allen Programmiersprachen, die einem festen Muster folgten, ab. Es war ein völlig anderer Programmiercode. Der Mechaniker war sich nicht einmal sicher, ob sein Code überhaupt richtig arbeiten würde. Doch die Faszination ergriff ihn und er blickte auf das Durcheinander. Es bestand zu seiner Faszination nicht - wie üblich - aus Zahlen und Buchstaben sondern völlig unbekannten Zeichen. "Wow! Das ist echt krass.", sagte er beeindruckt und beobachtete die diversen Zeichen, die er noch nie in seinem Leben irgendwo gesehen hatte. Fragend blickte er wieder auf den renitenten Roboter und grübelte. 'Ob es sich bei ihr um ein neues Modell handelte? Nein, ich habe doch ihre Chargennummer geprüft. Dann hätte ihr Soyuz wie gewöhnlich ein neue Chargennummer gegeben.', sinnierte er und schloss das Betriebssystem wieder.

      Die Übersicht der beiden Betriebssystem erinnerte ihn an die Erzählung des Roboters, die sie ihm vorhin schilderte. "Moment mal", atmete er tief durch und sah auf seinen Laptopbildschirm, "du sagtest du warst vor der Explosion bereits im Soyuz-Hauptquartier?" Er versuchte sich an den Radio-Bericht zu erinnern. "Um 13:10 Uhr ist die Bombe explodiert", fiel es ihm wieder ein. Kritisch blickte er auf die Übersicht der beiden Betriebssysteme. "Äußerst ungewöhnlich", nuschelte er und richtete seinen Bick auf die M.A.R.U.
    • Solaris - Unbekannt - 16:50 Uhr - Montag, 01. Mai 2124

      Keine Überlebenden. Diese Information hallte wie ein unheilvolles Echo immer und immer wieder in Ihrem Kopf.
      Nein, jemand MUSSTE überlebt haben! Vielleicht wurde diese Information ja bloß nicht der Öffentlichkeit zugetragen, um die Terroristen, die diesen Anschlag verübt haben, nicht dazu zu verleiten, als nächstes eines der behandelnden Krankenhäuser anzustreben, um ihr Werk zu vollenden. Ja, das musste es sein! Die Polizei hielt vermutlich bewusst Informationen zurück.
      An dieser Hoffnung musste sie sich festklammern. Nach all dem, was ihr an diesem Tag bereits widerfahren war, konnte Nova den Gedanken an das Ableben ihres Vatern nicht akzeptieren.
      Ebenso wenig wie sie den Fakt akzeptieren wollte, dass ihr Bewusstsein in dieser Blechbüchse gelandet war. Aber die Realität, der sie sich stellen musste, wies unwiderlegbare Tatsachen auf, die sie beim besten Willen nicht ignorieren konnte.
      Ihr metaphorisches Herz rutschte ihr in die Hose, als ihr Peiniger ihr weder glaubte, dass sie Zugriff auf mehrere Konten besaß, noch dass sie ein Mensch war. Natürlich nicht. Es klang ja auch viel zu verrückt.
      Sie an seiner Stelle hätte es auch nicht geglaubt, wenn ein Roboter ihr diese irrsinnige Geschichte erzählt hätte.
      Auch wenn sie das mit den Konten ernst gemeint hatte, war ihr der kleine Fakt entgangen, dass sie nun keinen Fingerabdruck mehr hatte, mit dem sie überhaupt an ihr eigenes Geld gelangen konnte. Verflucht sei dieser elende Metalkörper!
      All seine Beteuerungen und Zusicherungen, dass sie definitiv nichts weiter als eine gewöhnliche, wenn auch etwas durchgebrannte M.A.R.U. Einheit in seinen Augen war, trugen auch nicht viel dazu bei, dass sie sich in irgendeiner Form besser fühlte. Viel eher war das Gegenteil der Fall.
      Ein kleiner Teil von Ihr begann sich unterbewusst bereits selbst für verrück zu halten…
      Aber sie wusste, wer sie war! Und daran konnte so ein möchtegern Schlaumeier wie er hier nichts ändern!
      Apropos… er schien irgendetwas gefunden zu haben, was ihn stutzig werden ließ.
      "Ich pinge dich nun zweimal an. Gib mir eine Rückmeldung ob du beide Pings erhältst.” verkündete er.
      Sie wusste nicht recht, was sie unter diesen “Pings” verstehen konnte. Aber vielleicht war, was auch immer er dort ausfindig gemacht hatte, genau das, was ihm beweisen konnte, dass sie tatsächlich ein Mensch war.
      Und so spielte sie widerwillig mit.
      Unwissend, dass er den ersten Ping bereits längst gestartet hatte, begann sie nach einer kurzen Weile ungeduldig nachzufragen.
      ”Worauf genau soll ich jetzt - ” Der Satz blieb unvollendet, als der zweite Ping sie erreichte.
      ”Was zur-?” irritiert und aus gewohntem Reflex fasste sie sich an den Kopf. Ein seltsamer Reiz durchflutete ihr Bewusstsein. Beinahe so, als würde jemand von innen heraus an ihre Schädeldecke klopfen.
      ”Also irgendwas habe ich gerade gespürt.” berichtete sie, als er fertig war, über Betriebssysteme zu sprechen. Sie verstand zwar nicht viel von dem ganzen komplizierten technischen Kram, war jedoch bemüht, sich einen Reim aus dem zu machen, was er ihr erzählte.
      “Seltsam, hört sich ja fast so an, als hätte ich ein menschliches Bewusstsein, das in Form eines zweiten Betriebssystems existiert. Wie verrückt.” Sie versuchte sarkastisch zu klingen, was ihr mit ihrer monotonen Stimme nicht so erfolgreich gelang wie erhofft.
      Sein plötzliches Interesse an ihrer Anwesenheit während des Anschlages ließ sie aufmerksam werden. Könnte es den Bomben liegen, dass sie nun in diesem Dilemma festsaß? Eine neue Art Bio-Waffe?
      ”Ich war zu der Zeit in der Auditoriumshalle.” Berichtete sie, eher sie mit nachdruck beteuerte ”Aber als Mensch!”
      Sie überlegte kurz, welche Details sie preisgeben konnte, ohne viel über ihre eigentliche Identität preisgeben zu müssen.
      ”Ich habe das Gelände kurz vor 13 Uhr betreten und saß in einem Vortrag über irgendein ‘Neural Polymer’ Ding fest. Aber das war so winzig, das hätte niemals eine Bombe sein können.” Mit ihren Fingern formte sie demonstrativ einen kleinen Runden Kreis der in etwa der Größe des kleinen Gerätchens entsprach. ”Da fällt mir ein… ich hatte es gerade in der Hand, kurz bevor ich das Bewusstsein verloren habe…” Sie grübelte nach. Könnte das neuartige Gerät ihres Vaters etwas mit ihrem Zustand zu tun haben? Hätte sie doch bloß etwas mehr aufgepasst…


      Solaris - Polizei Hauotquartier, Soyuz Distrikt - 16:50 Uhr - Montag, 01. Mai 2124
      Zum dritten Mal starrte Casey auf die Zahlen, die vor ihm auf dem Bildschirm standen. Mittlerweile hatte er so lange auf das Display gestarrt, dass er sich sicher war, dass das Bild sich auf seine Netzhaut gebrannt hatte.
      50 Roboter hatten sich laut Angaben der Firma Soyuz in der Auditoriums befunden. 20 M.A.R.U.s, 20 T.H.E.O.S. und 10 weitere diverse Prototypen verschiedener nicht näher definierter Einheiten.
      Doch laut der Dokumentation des Cyber Departments befanden sich derzeit nur 10 M.A.R.U.s zur Datenanalyse dort.
      Wo zur Hölle steckten die anderen 10 Einheiten, die mit keinem Wörtchen in den Polizeiberichten erwähnt worden sind?
      Man hätte meinen können, dass die Firma vielleicht fehlerhafte Daten übermittelt hätte, doch Casey war zum Zeitpunkt der Bergung vor Ort. Zwar hatte er nicht genau gezählt, aber schon alleine seiner groben Schätzung nach wurden deutlich mehr als 10 Exemplare geborgen. Hatte sich jemand seiner Männer verzählt? oder wurden die Berichte im nachhinein von jemandem verändert?
      Der Kommissar kratzte sich nachdenklich am Kinn. Irgendetwas stimmte an der ganzen Sache doch nicht…
      In the midst of chaos
      there is also opportunity
    • Solaris - Garage der Mackenzie-Werkstatt - 16:52 Uhr - Montag, 01. Mai 2124


      Der Mechaniker hörte den Ausführungen der monotonen Stimme aus der M.A.R.U. Einheit genauestens zu. Den angedeuteten Sarkasmus, der aber mit dieser mechanischen Stimme kaum hörbar war, ignorierte er dabei. Interessanter wurde es für ihn als sie einen Neuralpolymer erwähnte. Abwägend mit einer hochgezogenen Augenbraue sah der Dunkelhaarige die Blechbüchse an. Sein Blick glitt auf den Monitor. "Es könnte sein, dass du dich irgendwie ... vielleicht mit diesem Neuralpolymer mit dem Roboter verbunden hast." In sein Programm vertieft tippte er etwas ein und warf dieses Mal keinen Blick über den Bildschirmrand auf den Roboter. "Dein zweites Betriebssystem startete vor dem Basisbetriebssystem. Das ist ... äußerst ungewöhnlich und technisch eigentlich nicht machbar." Er richtete den Blick wieder auf den Roboter, um sicher zu gehen, dass er das was er gerade im System gesehen hatte auch tatsächlich vor sich sah. Er kratzte sich am Kopf. "Du könntest also tatsächlich ein Mensch gewesen sein. Ein Virus kann keine ausgeschaltete Maschine, die vorher noch nie im Betrieb war, anschalten.", resümierte er seine Erkenntnisse und schritt auf den Roboter zu. Noch immer waren Haken in den Gliedern. Kane haderte offensichtlich, wie er weiter verfahren sollte. Sein Forschergeist, der sonst nur noch selten geweckt wurde, da hier alles gewöhnliche Tätigkeiten waren, die er selbst im Schlaf konnte, hielt ihn dazu an mehr zu erfahren. "Du bist so dumm, Kane", nuschelte er zu sich und löste einen der Haken, ehe er den Roboter ernst ansah. "Na gut, Blechbüchse. Ich lasse dich erstmal in einem Stück. Dafür erzählst du mir alles in Ruhe, woran du dich erinnern kannst. Vielleicht gibt es für all das eine plausible Erklärung", fügte er dabei leise an und löste den nächsten Haken. "Und komm mir nicht auf dumme Gedanken. Ich bin vorbereitet falls du vorhast abzuhauen."

      Wie vorbereitet er war, verschwieg er der M.A.R.U. Seine Sicherheitsvorkehrungen waren jedoch seit dem er einen T.H.E.O. mit einem Attentäter-Betriebssystem ausgestattet hatte und dieser ihn ausschalten wollte, bedeutend höher geworden. So besitzt die Garage ein induktisches Feld, das dafür sorgt, wenn Elektronik ohne Autorisierung dieses Feld verlässt (z.B. wenn die M.A.R.U. aus der Garage stürmt) ihre Schaltkreise durchdrehen und ihr System herunterfährt. Ein Selbstmechanismus, den mittlerweile jeder einfacher Toaster und erst Recht dieses hochtechnischen Maschinen besaßen. Dies stellte auch aktuell die größte technische Hürde beim Entwickeln neuer und moderner Roboter dar: durch ihre Feinfühligkeit bei Erhitzen der Schaltkreise ist es mit der aktuellen Schaltkreistechnik nicht möglich höhere KI oder große Ionen-Quantenrechner als Haupteinheit in die Roboter einzubauen. Ob es deswegen diesen Neuralpolymer gab? Kane sagte der Name in einer abgeänderten Form etwas, doch er wusste nicht, wo er ihn aufgeschnappt hatte.
      Das Klicken des letzten Hakens aus dem Körper der M.A.R.U. riß ihn aus seinen Gedanken. "Geht mir ganz schön viel Geld durch die Lappen", raunte er und blickte Richtung der anderen Roboter. Er hoffte, dass diese keine ähnlichen Störungen besaßen. Sofern man das überhaupt Störung nennen konnte. "Also ... fangen wir damit an. Wieso warst du bei so einer Veranstaltung von Soyuz? Die ist nur Pressefutzies und hochrangigen Tieren vorbehalten." Da der Mechaniker wusste, dass der Roboter nicht stiften konnte bzw. nicht weit kam, wenn dieser so dumm sein sollte, setzte er sich auf einen Drehhocker und fuhr Richtung eines Schreibtisches am der Wandseite der Garage. Dort lagen diverse Schaltplatten, Steckvorrichtungen sowie andere technische Ersatzteile, die er teilweise erkauft und teilweise aus Robotern oder anderen Haushaltsgeräten ausgebaut hatte. Er startete den dortigen PC und tippte etwas ein. Kurz darauf kamen dutzende Schlagzeilen von dem Anschlag. "Hmmm", grübelte er und überflog die Artikel nur hastig. "Nirgends steht etwas wieso heute diese Veranstaltung war. Es wird nur von der Vorstellung einer neuen technischen Weltrevolution gesprochen." Genervt stöhnte er. Es ließ sich nichts Stichhaltiges finden und er drehte sich wieder zur M.A.R.U.-Einheit.

      Es war Kanes Job besser zu wissen, was Soyuz entwickelte und wie als die meisten Vertriebsmitarbeiter dieses dreckigen Konzerns. Dafür hatte er seine Mittel und Informanten, die er teilweise von seinem Vater "geerbt" hatte und die ihm teilweise Inspector Kingston zugespielt hatte. Vielleicht war diese Form der Informationsbeschaffung nicht immer ganz legal (insbesondere, wenn Kane sich dabei die Hände blutig machen musste). Doch bisher schien Kingston das zu tolerieren oder Kane sogar zu decken. Als ob es der Zufall so wollte, klingelte in diesem Moment sein Telefon und Kane erkannte die nicht eingespeicherte Nummer. Es war Kingston. Was will der denn jetzt, fragte er sich genervt. Er seufzte und ging ran.
      "Ja, was ist? Du störst."
      ...
      "Keine Ahnung, was ich rausholen kann. Die Teile sehen aus als ob du sie nach einem Robokampf, verbrannt hast und anschließend in die Müllpresse geworfen. Es wird Wochen dauern aus den Blechbüchsen etwas Qui zu kratzen und ..."
      ...
      "Wie keine Zeit? Die Roboter stehen hier sicher ..."
      ...
      "Du hast mich da in irgendeine Scheiße reingezogen?! Sollten deine Kollegen hier ..." In dem Moment spürte er, dass der so emotionslos wirkende Roboter scheinbar genauer zuhörte als es Kane lieb war. Er biss sich auf die Zunge und wusste er hatte genug gesagt. "Leck mich! Krieg deine Leute unter Kontrolle und lass mich nun Gottverdammt arbeiten." Wütend legte Kane auf und richtete sich vom Hocker auf. Hastig fuhr er sich durch die Haare. "Dieser Pisser! hätte ihm nie vertrauen sollen!" Er trat wütend gegen einen Schraubenschlüssel am Boden, der schallernd durch die Garage flog und setzte sich dann wieder der M.A.R.U. gegenüber. Es hatte keinen Sinn jetzt auszurasten, erinnerte er sich und müsste versuchen das Beste aus der Situation herauszuholen. Bisher ging ja auch immer alles glatt. Auch wenn es das erste Mal war, seit dem er mit Kingston zusammen arbeitete, dass dieser scheinbar Probleme mit dem verschwindenden Beweismaterial im Polizeipräsidium hatte.
    • Solaris - Kane's Werkstatt - 16:55 Uhr - Montag, 01. Mai 2124

      Nova fühlte sich wie in einem undurchdringlichen Nebel gefangen, während sie die Analyse der Situation verfolgte. Die Worte des Mechanikers hallten dumpf in ihrem Verstand wider, während sie versuchte, die Informationen zu verarbeiten.
      Das Neuralpolymer? Verbindung mit einem Roboter? Die Gedanken wirbelten in ihrem Kopf, und sie konnte kaum glauben, was sie hörte. War es möglich, dass ihr Geist durch diese kleine Gerätchen tatsächlich irgendwie mit diesem Metallkörper verschmolzen war? Es erschien ihr absurd und surreal zugleich.
      Aber immerhin schien er ihr nun tatsächlich zu glauben, dass sie ein Mensch war. oder zumindest war er der Idee nicht mehr so ablehnend gegenüber wie zuvor. Das war doch schonmal ein erfolgreicher Schritt in die richtige Richtung!
      Eine weitere positive Überraschung ereilte sie, als er doch tatsächlich die Haken, mit denen er sie zuvor fixiert hatte, zu lösen begann.
      "Du bist so dumm, Kane" murmelte er dabei zu sich selbst. Kane? Dies war also sein Name?
      Instinktiv rieb sie mit ihrer Hand and er nun befreiten Stelle, obwohl sie keinerlei Schmerzen fühlte. Es war… komisch. Um es milde auszudrücken.
      Zu sehen, wie riesige Metallische Hacken in ihrem Körper stecken, aber dennoch nichts zu spüren.
      Ihr Kopf konnte mit diese Mangel an Reizen noch nicht so recht umgehen. Sie hoffte auch inständig, dass sie schnell wieder in ihren alten Körper zurück gelang, bevor sie überhaupt eine Chance hatte, sich daran zu gewöhnen...
      Innerlich wusste Nova nur zu gut, dass diese symbolische Freiheit, die er ihr nun gewährte, nicht absolut war, und sie ihm weiterhin hilflos ausgeliefert war.
      Zusätzlich zu den Sicherheitsvorrichtungen, die er gewiss irgendwo versteckt hatte, waren ihre völlig zerstörten Beine für eine Flucht absolut nutzlos.
      Es blieb ihr also nichts weiteres übrig, als vorerst weiterhin brav mitspielen, so sehr es ihr auch widerstrebte.
      "Also, fangen wir damit an", begann er. Nova konnte die Anspannung in seiner Stimme spüren, die Eile, die seine Bewegungen begleitete. "Wieso warst du bei so einer Veranstaltung von Soyuz?"
      Die Frage traf sie unvorbereitet, und für einen Moment kämpfte Nova damit, eine plausible Antwort zu finden. Sie konnte nicht einfach sagen, dass sie die Tochter des Firmenchefs war, und Nachfolgerin des Unternehmens, welches er mit Leib und Seele zu verabscheuen schien. Also griff sie nach den wenigen Fragmenten, die sie aus ihrer Vergangenheit zusammenkratzen konnte ohne zu viel ihrer Identität preisgeben zu müssen.
      "Ich war dort... aus beruflichen Gründen", begann sie zögerlich. "Als eine Art Praktikantin. Ich sollte mir die Veranstaltung mal ansehen, um ein bisschen Erfahrung für die Zukunft zu sammeln." Es war eine halbe Wahrheit, aber vielleicht genug, um Kane zufriedenzustellen.
      "Es tut mir leid, aber an die genauen Details von dem Neuralpolymer Ding kann ich mich nicht mehr erinnern.", antwortete sie weiter. "Aber meine Erinnerungen sind ... nun ja, ziemlich verschwommen." Eine Notlüge um zu verbergen, dass ihr technisches Wissen im Grunde unterirdisch war und sie sich beschämenderweise nicht mal wirklich auf die wichtige Präsentation konzentriert hatte.
      Kane tippte auf seinem PC herum und war offensichtlich bemüht, mehr über die Veranstaltung heraus zu finden. Nova spürte trotz dieser beklemmenden Lage einen Anflug von Hoffnung in sich aufkeimen. Vielleicht konnte er ihr helfen, die Rätsel ihrer seltsamen neuen Existenz zu lösen, vielleicht gab es eine Möglichkeit, diesen Metallkäfig zu verlassen und wieder Mensch zu werden.
      Der plötzliche Wutausbruch von Kane, gefolgt von einem Telefonat, das offensichtlich hitziger war als ein geschmolzenes Metall, machte die Situation nicht besser. Nova beobachtete ihn mit einem Hauch von Neugier, wie er völlig in Rage durch die Werkstatt tigerte, seine Wut kaum im Zaum halten.
      Offensichtlich ging es bei dem Gespräch um eher dubiose Angelegenheiten, in die sie sich ehrlicherweise lieber nicht allzu sehr vertiefen wollte.
      Mit den ganzen Tattoos die einige der sichtbaren Stellen seiner Haut zierten, war es eigentlich schon offensichtlich, dass Kane sich in eher verrufenen Kreisen bewegte uns so bestimmt auch nicht vor kriminellen Aktivitäten zurück schreckte.
      Dass die beschädigten Roboter, zu denen sie selbst ebenfalls gehörte, eigentlich Soyuz-Eigentum waren, die sich unrechtmäßig hier befanden, hatten sie mittlerweile ebenfalls schlussfolgern können.
      Natürlich war ihr dies ein Dorn im Auge. Aber Nova wollte sich das bisschen Zusammenarbeit, was mittlerweile zustande gekommen war nicht dadurch ruinieren, dass sie diesen Umstand laut kommentierte.
      Solange er ihr half wieder zu ihrem alten Leben zurück zu kommen, konnte ihr doch egal sein, was aus ein paar demolierten Blechbüchsen wurde.
      Völlig aufgewühlt beendete er schließlich das Gespräch und gab seinen Unmut noch einmal mit einem kräftigen Tritt gegen eines seiner Werkzeuge preis.
      Es war seltsam, wie sie in dieser blechernen Hülle gefangen war und dennoch so viel menschliche Emotionen um sich herum wahrnehmen konnte. Die Hitze der Wut, die Spannung in der Luft, all das fühlte sich so echt an, wie es nur ein Mensch wahrnehmen konnte. Oder etwa nicht?
      Ein verstohlener Blick auf ihren eigenen Körper ließ sie innehalten. Die klobigen Gliedmaßen, das metallische Glänzen, das monotone Summen ihrer eigenen Stimme – all das wirkte so befremdlich. Als hätte sie eine zweite Haut angelegt, die sie nicht wieder ablegen konnte.
      Als Kane sich wieder zu ihr wandte, mit einem Hauch von Beherrschung in seinen Augen, atmete Nova tief durch -oder versuchte es aus Gewohnheit heraus zumindest- und zwang sich, die Gedanken an ihre eigene Identität beiseite zu schieben. Sie musste sich auf die Gegenwart konzentrieren, auf das, was vor ihr lag.
      "Also, wie geht es weiter?", fragte sie und zwang sich, den Optimismus in ihrer Stimme zu bewahren.
      "Wir müssen offensichtlich mehr herausfinden, über diesen Neuralpolymer, über alles, was mit diesem Anschlag zu tun hat." erneut ärgerte sie sich über sich selber, dass sie so wenige Antworten liefern konnte. “Jemand der anderen anwesenden hat vielleicht mehr Informationen als ich. Die Überlebenden wurden doch bestimmt in irgendeinem nahegelegenen Krankenhaus untergebracht. vielleicht gibt es dort jemanden, den man befragen kann?” äußerte sie ihre Überlegungen nachdenklich..
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    • Solaris - Garage der Mackenzie-Werkstatt - 16:58 Uhr - Montag, 01. Mai 2124

      Kane hörte zu, wie der Roboter erzählte, dass er eigentlich als Praktikantin bei der Veranstaltung gewesen sei. Entweder war sie für einen wichtigen Posten vorgesehen, dass sie zu so einer Veranstaltung als Praktikantin durfte oder sie war nur das Mädchen für alles. Eine Art unterbezahlte Sekretärin. Als sie ihm eröffnete, dass sie sich an kaum etwas Technisches erinnerte, fühlte er sich in dem Gedanken, dass sie eine Art unterbezahlte Sekretärin war, bestärkt. Gleichzeitig entwich ihm dabei ein deutliches Seufzen, da er sich mehr Antworten aus ihrem Mund erhofft hatte. Doch diese Spur erlosch gerade. "Zu schade", raunte er und er sah den Roboter musternd an, "das hätte es uns leichter gemacht, zu wissen woran wir sind und womit wir es zu tun haben." Erst jetzt weiteten sich Kanes Augen und er fragte sich, was er hier gerade tat. Half er etwas dieser Praktikantin? Sein Kopf sträubte sich gegen diese Erklärung. Nein nein, er versuchte hier doch nur eine technische Neuerung des Soyuz-Konzerns zu erforschen. Wenn ihm die Blechbüchse genug Anhaltspunkte geliefert hatte, könnte er das Teil rebooten und dann für Geld ausschlachten oder weiterverkaufen. Es gab in dieser Stadt keine Nachsicht und Kane würde sie sicherlich nicht mit einer dieser Blechbüchsen haben, die dafür verantwortlich sind, dass es den Menschen in dieser Stadt und insbesondere im Neon-Bezirk so schlecht ging. Doch bisher konnte er kaum den Nutzen des Neuralpolymers erkennen. Es wirkte ihm eher wie eine Folter als Mensch in einer mechanischen Vorrichtung wie dieser gefangen zu sein.

      Nach seinem Wutausbruch fing sich der Braunhaarige nun so langsam wieder und setzte sich wieder auf den Drehhocker gegenüber des Roboters. Er raufte sich durch die dunkelbraunen haare, seufzte und lauschte der monotonen, mechanischen Stimme, die fragte, wie es nun weitergehen sollte. Optimismus war kaum zu vernehmen, dennoch grinste Kane schwach. "Du versuchts hier Optimismus zu verbreiten, hm? Schwierig mit deiner Stimme." Er sah die M.A.R.U. Einheit an und hörte zu, welche Möglichkeit sie sich vorstellte, wie sie an weitere Informationen kommen könnten. "Alles, was mit diesem Anschlag zu tun hat", grübelte er laut vor sich her. "Nun, bisher gibt es keine Überlebenden, sodass wir dort niemanden befragen können und mein Kontakt bei der Polizei ist auch ... schwierig." Er schüttelte intuitiv den Kopf als ob er die Flinte ins Korn werfen wollte, ehe ihm ein Gedanke kam. Er sprang auf und griff nach seinem Handy, das auf dem Schreibtisch mit den Schaltkreisen, Steckverbindern und technischen Gerätschaften lag. Er legte einige der Bauteile zur Seite, ehe er sein Handy geborgen hatte. Er hatte es nach dem aufbrausenden Telefonat auf den Berg an Elektronik geworfen und nun etwas gebraucht, um daraus wieder hervor zu holen. Doch nun scrollte er bereits durch seine Kontakte, ehe er einen bestimmten fand und diesen anschrieb. "Ich kenne da jemanden", nuschelte er und setzte sich wieder auf den Hocker während er am Handy tippte.
      "Sagt dir die Vereinigung Human Rebellion etwas? Nicht? Nun gut, das sind ganz coole Typen, die Aktionen gegen Soyuz und Roboter machen. Sie bauen manche Roboter zu Trainingsdummies für unseren Boxkampf um", lachte Kane und rieb sich die Faust ehe er feststellte, dass er gerade selbst mit einem Roboter sprach. "Nun eh ja. Auf jeden Fall planen sie regelmäßig Aktionen gegen deinen Arbeitgeber, der ein ziemliches Arschloch ist und unseren Bezirk hier ausbluten lässt. Ich glaube nicht, dass sie etwas mit dem Anschlag zu tun haben, da diese Aktion selbst für sie zu krass ist, aber sie kennen sich gut aus und vielleicht wissen sie mehr."

      Kane verschwieg, dass er selbst Mitglied bei Human Rebellion war und alle seine Forschungsergebnisse oder neuste Updates des Soyuz-Konzerns, die er während seiner Ausschaltung entdeckte, Human Rebellion mitteilte. Doch er war überzeugt von den vermeintlichen Terroristen. Kannte die Mehrheit seit seiner frühen Jugend und wusste, dass der Begriff Terroristen nur von der Presse verwendet wurde um die Vereinigung zu diskreditieren. Dem Soyuz-Konzern gehörten eigentlich alle Fernsehsender, Zeitungen und Radios in der Stadt und wenn sie nicht ihm gehörten, dann einem der Konkurrenzunternehmen, die ebenfalls ihren Gewinn mit Robotern machten und so ein ernsthaftes Interesse daran hatten, sämtliche Anti-Roboter-Vereinigungen als Terroristen darzustellen, nur weil sie mal einen Roboter zerstörten oder einen Konzernmitarbeiter entführten.
      Kane blickte auf den Roboter und seufzte leise. "Du wirst sicherlich nicht gut über sie denken, weil du nur die Soyuz-Zeitungen liest. Aber am Ende geht es hier ganz anders zu als im blinkenden Protz-Bezirk von Soyuz. Die Leute hier haben genug von diesem und den anderen Konzernen." In kanes Stimme flammte kämpferische Begeisterung auf. "Jedoch würden Vereinigungen wie Human Rebellion nicht zu einem solchen Mittel greifen. Da bin ich mir sicher!" Er schaute über seine Schulter zum PC auf dem noch immer ein Artikel einer Online-Zeitung offen war und das zerstörte Entrée des Syouz-HQ zeigte.
    • Solaris - Kane's Werkstatt - 17:03 Uhr - Montag, 01. Mai 2124



      Nova stand starr in ihrem metallischen Körper und lauschte aufmerksam Kanes Erklärungen über die Human Rebellion. Als er von ihren Aktionen gegen Soyuz sprach, fühlte sie ein kaltes Schaudern durch ihre mechanische Hülle laufen. Die Vorstellung, dass es Menschen gab, die so entschieden gegen ihr Erbe und alles, wofür ihre Familie stand, vorgingen, war beunruhigend. Gleichzeitig regte sich in ihr eine unerwartete Faszination.
      "Human Rebellion?" Novas mechanische Stimme verriet nichts von der inneren Anspannung, die sie bei der Erwähnung des Namens ergriff. Sie wusste von dieser Gruppierung. Ihr Vater hatte immer von solchen Gruppen als „Terroristen“ gesprochen, als „gefährliche Extremisten“, die die Stadt destabilisieren wollten.
      Doch Kanes Enthusiasmus und seine Überzeugung, dass diese Leute „coole Typen“ seien, verwirrten sie. War es möglich, dass sie und ihre Familie die Dinge völlig falsch eingeschätzt hatten?
      Jetzt, gefangen in dieser metallischen Hülle, war sie gezwungen, ihre Sichtweise zu überdenken.
      Eine kleine Welle von Panik durchlief sie, als sie sich fragte, ob Kane etwas über ihre wahre Identität wusste. Sie zwang sich zur Ruhe. Nein, das konnte er nicht wissen. Und sie würde alles tun, um es zu verbergen. Mit einer Anstrengung lenkte sie ihre Gedanken wieder auf das Gespräch.
      "Nein, der Name sagt mir nichts," antwortete sie schließlich und bemühte sich, ihre Neugier zu verbergen. Sie musste vorsichtig sein. Zu viel Abneigung gegen die Human Rebellion könnte Kane misstrauisch machen, aber zu viel Interesse könnte sie ebenfalls verdächtig wirken lassen.
      "Also, diese Leute wissen vielleicht etwas über den Anschlag?" Nova überlegte fieberhaft, wie sie die Informationen nutzen konnte. Ihr Vater hatte ihr oft von den Gefahren erzählt, die von solchen Gruppen ausgingen, aber vielleicht war das jetzt ihre einzige Chance.
      "Ich meine, wenn sie gegen Soyuz arbeiten, könnten sie doch auch eine Ahnung haben, was genau passiert ist, oder? Vielleicht können sie uns helfen, mehr über diesen Neuralpolymer zu erfahren."
      Nova versuchte, ihre Stimme so neutral wie möglich klingen zu lassen. Sie musste Kane davon überzeugen, dass sie wirklich keine Bedrohung für ihn war, dass sie lediglich nach Antworten suchte. Ihre Situation war verzweifelt, und in diesem Moment war sie bereit, jeden Strohhalm zu ergreifen.
      "Und wenn sie wirklich so gut über Soyuz Bescheid wissen, könnten sie vielleicht auch wissen, wie ich zurück in meinen menschlichen Körper komme," fügte sie leise hinzu. Das war ihre größte Hoffnung, die einzige, die sie noch hatte. "Ich meine, sie hassen Soyuz doch so sehr, dass sie bestimmt jeden ihrer Schritte verfolgen, oder? Vielleicht haben sie herausgefunden, wie man diesen ganzen Albtraum rückgängig machen kann."
      Innerlich kämpfte Nova mit ihrer eigenen Verzweiflung. Sie wollte nichts mehr als aus dieser metallischen Gefangenschaft zu entkommen, wieder in ihren eigenen Körper zurückzukehren und ihr altes Leben wieder aufzunehmen. Aber dazu brauchte sie Informationen, und wenn die Human Rebellion diese Informationen hatte, dann würde sie alles tun, um sie zu bekommen.
      "Trotzdem, ich muss zugeben, dass ich ein bisschen Angst habe. Was, wenn sie mich nicht einfach so helfen wollen?" Nova wusste, dass sie vorsichtig sein musste. Wenn Kane Verdacht schöpfte, dass sie mehr über Soyuz wusste, als sie zugab, könnte alles verloren sein. "Ich meine, sie sind doch gegen alles, was Soyuz repräsentiert. Und jetzt stecke ich in einem dieser Roboter, die sie hassen. Werden sie mir überhaupt zuhören?"
      Nova versuchte, ihre innere Zerrissenheit zu verbergen. Sie musste diese Karten geschickt ausspielen. Einerseits wollte sie ihre wahre Identität verbergen, andererseits musste sie genug Interesse und Zusammenarbeit zeigen, um Kanes Hilfe zu bekommen. Es war ein schmaler Grat, auf dem sie balancierte, und jeder falsche Schritt könnte alles ruinieren.
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    • Solaris - Garage der Mackenzie-Werkstatt - 17:08 Uhr - Montag, 01. Mai 2124


      "Diese Leute wissen bestimmt etwas über den Anschlag, doch wir sollten schauen, wie viele Informationen sie uns preisgeben wollen. Wir müssen immer wieder damit rechnen, dass die Kommunikation ins Fadenkreuz der Konzern-Geheimdienste fällt. Daher werden wir nur spärliche Infos kriegen ... wenn überhaupt." Kane sah den Roboter ernst an. "Übrigens Informationen. Bis auf den Punkt, dass du bei SOYUZ als Praktikantin gearbeitet hast, hast du noch nicht weiter über die verraten. Wie heißt du? Wie alt bist du? Deine Familie?" An sich war es hier nichts gewöhnliches, dass die Leute nicht über ihre Vergangenheit redeten (oftmals gab es diese auch nicht mehr, das sie von den Konzernen ausgelöscht wurde). Eine Frau wie diese in der M.A.R.U. jedoch würde sicherlich ein geordnetes Sozialleben vorweisen können, vielleicht sogar einen Mann und Kinder. Misstrauisch musterte er den Roboter und musste sich dann doch selbst ermahnen angesichts der Möglichkeiten des Forschungsdurchbruch milde zu sein. Vielleicht hatte sie einfach zu große Schäden vom Anschlag davon getragen. Wer wäre schließlich nach so einer Aktion und dem Landen in einem Roboter nicht auch völlig zerstreut? Er sah abwägend zur Seite und verschränkte die Arme vor seiner Brust. Er konnte sich es kaum ausmalen, doch er versuchte normal zu blieben, denn in diesem Roboter steckt ein Mensch und so war seine Hoffnung, dass wenn sich die Frau wieder gefangen hatte ihr vielleicht noch mehr Erinnerungen ins Gedächtnis zurückkommen. Für den Anfang jedoch musste Kane daraufsetzen, dass sie die Eckdaten ihres Lebens noch kannte. "Vielleicht fängst du mit deinem Namen an? Außer ich soll dich Blechbüchse oder Toaster oder so nennen." Den gehässigen Kommentar konnte er sich in Anbetracht ihrer Stellung als SOYUZ-Mitarbeiterin nicht verkneifen. Zu sehr verband er diese Firma mit all dem Übel, das ihm hier täglich begegnete.

      Der Roboter überlegte schon, ob ihr die Human Rebellion wirklich helfen würde. "Das bleibt abzuwarten. Der Gedanke, dass man Menschen in so eine mechanische Hülle sperren kann, macht mir jedoch ... Sorgen und auch Human Rebellion wird das zumindest interessieren - da bin ich mir sicher." Kane verschwieg, dass er sehr wohl die Hilfsbereitschaft der Human Rebellion beeinflussen kann, wenn er sein Wort einlegt. Währenddessen machte sich der Roboter immer mehr Gedanken darüber, ob diese Vereinigung ihr überhaupt helfen würde, da sie ja selbst als Roboter ein Teil des Systems ist. "Nun ich denke, nach deinen persönlichen Erfahrungen mit dieser Wundererfindung von SYOUZ wird man dich fragen, ob du noch immer zum Konzern stehst und bereit bist etwas zu riskieren." Eine Antwort alleine würde hier nicht reichen, wusste Kane bereits jetzt. Die Human Rebellion konnte sehr konkrete und Forderungen stellen, was Kane schon mehrmals zu Ohren kam, wenn Leute die Hilfe der Organisation brauchten. Er konnte froh sein, dass die Human Rebellion damals auf ihn zukam und er mehr oder minder freiwillig aufgenommen wurde, da er mit seinem Fachwissen und den Kontakten seines Vaters ein wirklich wichtiger Baustein im Netzwerk der Human Rebellion wurde. Umso wichtiger war es ihm auch gegenüber dem Roboter vorsichtig zu sein. Doch dieser Roboter schien angesichts seines Zustands so verzweifelt, dass er zu allem fähig war.

      "Am Ende wird es sich um die Frage drehen, wie weit du bereit bist zu gehen", erklärte Kane ihr mit einem kühlen Blick. Seine Augen fuhren an dem in Mitleidenschaft gezogenem M.A.R.U.-Modell hinunter. Der Mechaniker könnte sich vorstellen, dass wenn man den Roboter wieder in einen sehr guten Zustand kriegt, sodass er wie die Fabrikate vom Fließband aussieht, man mit ihr sicherlich hinter den 'feindlichen Linie' operieren könnte. Wohl überlegend, ob man einer ehemaligen Mitarbeiterin von SOYUZ so viel Vertrauen schenken möchte. Sie könnte genauso gut alle in Gefahr bringen und auf eine Lösung durch einen der anderen Konzerne oder die Reste des SOYUZ-Konzerns hoffen.

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    • Solaris - Kane's Werkstatt - 17:10 Uhr - Montag, 01. Mai 2124


      Nova blickte starr in die flackernden Leuchten der Werkstatt, das Summen der Maschinen und das Geräusch von Kanes Schritten hallten in ihren mechanischen Ohren wider. Die Vorstellung, sich mit der Human Rebellion einzulassen und Gegen Soyuz zu arbeiten, erzeugte ein schwindelerregendes Gefühl in ihr.
      Alles, was ihr Vater ihr beigebracht hatte, worauf ihre Familie hingearbeitet hatte, stand in krassem Widerspruch zu dem, was Kane ihr gerade über diese Leute erzählt hatte. Dennoch konnte sie nicht leugnen, dass sie eine Hoffnung auf Freiheit in diesen Worten erkannte.
      Die im Roboter gefangene junge Frau bemühte sich, ihre ohnehin monotone Stimme ruhig zu halten, während sie antwortete. "Mein Name…," sagte sie langsam, wobei sie den metallischen Klang ihrer künstlichen Stimme bewusst ignorierte.
      Ihren echten Namen konnte sie ihm wohl kaum sagen, dann war jegliche Hoffnung, dass er bereit war, ihr zu helfen, völlig dahin. “Mein Name ist Vanya Osoz.” log sie notgedrungen.
      Es war ein Name, den sie in der Vergangenheit schon des Öfteren benutzte, wenn sie Anonym bleiben wollte. Beispielsweise für Reservierungen oder Bestellungen. Es musste ja nicht gleich jeder X-beliebige Pizzabote wissen, wo Nova Soyuz ihre Residenz hatte, oder?
      Der Vorteil dessen, dass sie diesen Namen bereits einige Male in der Vergangenheit genutzt hatte, war, dass der Name im System zu finden war und ‘Vanya Osoz’ kein völliger Geist war, sollte Kane oder Human Rebellion sich die Mühe machen, danach zu suchen.
      "Ich bin 26 Jahre alt." Da konnte sie immerhin ehrlich sein. Sie zögerte kurz. Ihre Familie zu erwähnen war gefährlich, doch sie musste ihm zumindest einen Anhaltspunkt geben, ohne zu viel zu verraten.
      "Meine Familie... mein Vater arbeitet ebenfalls bei Soyuz. Er hat mir die Stelle beschafft und bestand auf meine Anwesenheit. Mehr gibt es nicht zu sagen."
      Sie sah zu, wie Kane ihre Worte aufnahm, sein Ausdruck schwer zu deuten.
      Sie blickte den jungen Mann vor sich direkt an, ihre mechanischen Augen - oder wohl eher Linsen- fixierten seine, auf der Suche nach irgendeiner Gefühlsregung, die ihr verraten konnte, was in seinem Inneren vor sich ging.
      Sie konnte sich vorstellen, wie seine Gedanken arbeiteten, die Puzzleteile zusammensetzend, um ein Bild von ihr zu formen.
      Sie musste weiterhin vorsichtig sein, durfte nichts preisgeben, was ihre wahre Identität verraten könnte.
      Von dir weiß ich aber auch nicht sonderlich viel, außer dass du hier scheinbar deine Werkstatt betreibst und Kane heißt.” Wechselte sie schnell das Thema auf ihren gegenüber hin, um den Fokus von sich selbst weg zu rücken.
      Als Kane von den Anforderungen der Human Rebellion sprach, verkrampfte sich etwas in ihrem Inneren. "Risiken eingehen? Nun, ich denke, ich habe nicht mehr viel zu verlieren," sagte sie beinahe ironisch und winkte mit ihrer Hand an ihrem Körper herab.
      Vor Organhändlern brauchte sie sich zumindets nicht zu fürchten, so grotesk es auch klingen mochte.
      "Wenn sie wirklich an der Wahrheit interessiert sind und vielleicht sogar eine Lösung haben, wie ich wieder in meinen Körper zurückkommen kann, dann bin ich bereit, alles zu tun, was nötig ist." sagte sie schließlich entschlossen.
      Vielleicht war dies die einzige Möglichkeit, die sie hatte, um diesen Albtraum zu beenden? Sie musste Kane zeigen, dass sie bereit war, dass sie entschlossen war, diese Risiken, von denen ihr Gegenüber sprach, einzugehen. Auch wenn es ihrem Naturell widerstrebte, Kooperation mit diesem Fragwürdigem Personenkreis zu zeigen war nun ihre einzige Alternative.
      “Sag mir, was ich tun muss, und ich bin dabei."
      In diesem Moment war sie bereit, alles zu riskieren. Sie konnte nicht zurück in ihr altes Leben, nicht in dieser Form. Sie musste nach vorne schauen, musste jede Möglichkeit ergreifen, um wieder frei zu sein. Auch wenn das bedeutete, sich mit den Feinden ihrer Familie einzulassen.
      Den möglichen Konsequenzen konnte sie sich auch stellen, wenn sie ihren Körper zurück hatte.
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    • Solaris - Garage der Mackenzie-Werkstatt - 17:12 Uhr - Montag, 01. Mai 2124


      Still hörte er den monotonen Stimme aus der M.A.R.U.-Einheit zu und der Gedanke, dass sich darin ein Mensch befand wirkte beinahe lächerlich in Anbetracht der blechernen Stimme, die keinerlei menschliche Regung erkennen ließ. Doch Kane war sich sicher, dass es sich hier nicht um eine Weiterentwicklung einer M.A.R.U. handelte, dafür war alles zu eigenartig und speziell als dass es sich eine Maschine hätte ausdenken können. Sogleich verriet ihm der Roboter auch wie er hieß und wie alt er war. "Vanya Osoz ... so so ... 26 Jahre", nickte er und lehnte sich wieder gegen seinen Schreibtisch, auf dem dutzende mechanische Teile wild umher lagen. Er musterte sie um sich nicht anmerken zu lassen, dass er im Kopf bekannte Namen des SOYUZ-Konzern durchging. Vielleicht gehörte Sie zu jemanden ... doch der Name war so generisch, dass er ihn hätte überall hören können. Es fiel ihm zumindest auf die Schnelle niemand ein, den er mit dem Namen Osoz verband. Doch die Human Rebellion könnte dazu Licht ins Dunkel bringen. Des Öfteren wurden schon Mitarbeiterkarteien des SYOUZ-Konzerns und anderer großer Konzerne geleaked oder befanden sich im Umlauf, um neue Informanten zu finden oder aber um Leute zu erpressen. Dabei erwähnte Vanya wie aus dem Nichts ihren Vater und dass dieser sie in den Konzern brachte. "Na ein Glück. Sonst hättest du dir noch die Hände schmutzig machen müssen wie wir hier", raunte Kane und stieß sich wieder vom Tisch ab um etwas im Raum auf und ab zu gehen. Er konnte seine Vorbehalte gegenüber dem SOYUZ-Konzern und seinen Mitarbeitern nicht einfach so herunterschlucken und wenn er auch (was er nie zugeben würde) etwas Mitleid mit Vanya für ihre missliche Lage hatte, war gleichzeitig angewidert vom Konzern, den Maschinen und diesem entwickelten Neuralpolymer. Für dieses verknüpfende Gerät erhoffte sich der Braunhaarige mehr Antworten als sie ihm Vanya liefern konnte.

      Diese fragte ihn auch kurzerhand nach ihm. "Korrekt, Ich betreibe diese Werkstatt und wie du unschwer gesehen hast, nehme ich diese Blechbüchsen auseinander oder baue sie um, um damit meinen Lebensunterhalt zu bestreiten. Lieber wäre es mir jedoch jedes dieser Teile auszuschalten", raunte Kane und blickte über Vanya zu den zerstörten Einheiten in der Aufhängung, die ihm der Polizist vorbeigebracht hatte. "Es ist kein leichtes Unterfangen bringt mir aber genug Geld, um hier zu überleben." Kane ging ein paar Schritte auf Vanya zu und sah sie ernst an. "Allzu viel musst du für den Anfang nicht wissen, doch der Vollständigkeit halber: ich bin 29 und habe die Werkstatt von meinem Vater, der sie wiederum von seinem Vater übernommen hat. Wir tüfteln schon lange an den Robotern und ihren Vorgängermodellen." Er spürte wie die Linsen der M.A.R.U.-Einheit sich umsahen und ihn auch scheinbar erneut betrachteten. "Und wenn das Geld nicht ausreicht oder ich Wünsche habe", sein Blick glitt kurz zu einem Gerät, das unter einer Plane stand. Es war sein Schmuckstück, sein Motorrad. "Dann verdiene ich mir etwas Geld damit meine Hände schmutzig zu machen." Er ließ die Knochen seiner Fäuste knacken und spürte den Blick des Roboters auf seinen vernarbten, tätowierten Händen.
      Vanya erklärte ihm, sie sei bereit sämtliche Risiken einzugehen, da sie nichts zu verlieren hat. "Richtig. Und wer nichts zu verlieren hat, gibt auch alles." Ihr Ausspruch alles zu tun, was nötig sei, bestätigte ihn in seiner Annahme, sodass er zufrieden nickte. Er spürte so lächerlich sich dies auch anhören mag, die Entschlossenheit hinter der mechanischen Stimme. Auch wenn der Roboter so belchern und mechanisch klang, spürte er in den Worten den festen Willen.

      Ehe Kane auf die Frage, was sie tun solle, antworten konnte, ringte bereits sein Handy in seiner Hosentasche. Er nahm den Anruf entgegen. Dann hörte er der Stimme am anderen Ende zu und nickte am Ende. "Verstanden", beendete er den kurzen Anruf und ging an seinen Laptop. "Wir sind soweit. ich hoffe du machst keinen Rückzieher, Vanya", erklärte Kane und wählte sich in ein VPN ein, ehe er über einen ausländischen Kommunikationsdienst die Einwahldaten, die ihm gerade per Telefon durchgegeben wurden, eingab. Auf einem großen Bildschirm in der Mitte des Raumes leuchtete die Oberfläche der Kommunikation auf und es stand dort in großen Buchstaben 'VERBINDE ...' Er sah zu dem Roboter, ehe im nächsten Moment ein dunkles Wesen den Bildschirm zierte. "Kane. Schön von dir zu hören.", sagte der Mensch, dessen Stimme technisch verzerrt war, sodass man nicht erahnen konnte ob es eine Frau oder ein Mann war, der sprach. Auch so war die Person kaum zu erkennen. Sie trug eine schwarze Maske, die aussah wie ein Porzellangesicht aus der Renaissance. "Du klangst in deiner Nachricht sehr besorgt und ich kann gar nicht glauben, was mir meine Informanten berichtet haben."
      "Danke, dass du dich meinem Anliegen annimmst, Vergil. Ich hätte nicht gedacht, dass die Human Rebellion mein Anliegen so hoch einstuft."
      "Du bist einer unserer fähigsten Mechaniker und deine ... Entdeckung klingt unglaublich. Wo ist dieser Roboter?"
      Kane zeigte auf den Roboter. Unterhalb des Bildschirms befand sich eine Kamera, die scheinbar den Roboter fixierte. Es war normal, dass die Human Rebellion für die Kommunikation die Übernahme über die gesamte Hardware der Kommunikationsteilnehmer übernahm (um etwaige Sicherheitsrisiken auszuschließen). Und so fokussierte die Kamera fremdgesteuert den Roboter. Anschließend berichtete Kane davon wer sie war und wie sie in die M.A.R.U.-Einheit kam.
      "Und? Was sagst du, Vergil?"
      Die Person am anderen Ende blieb stumm. Kane wartete einen Moment, ehe er sich auffällig räusperte.
      "Kane. Lass deine Neugier nicht deine Vorsicht besiegen. Wir checken sie gerade durch."
      Demütig senkte Kane den Kopf und wartete.
      "Kein Treffer", sprach die Stimme am anderen Ende enttäuscht. "Schade. Sie scheint wie berichtet tatsächlich nur ein kleines Licht bei SOYUZ gewesen zu sein."
      "Schade?"
      Die Stimme am anderen Ende lachte herzlich. "Du glaubst doch nicht, dass wir ein hochrangiges SOYUZ-Mitglied aus dieser Lage befreit hätten. Diese Schweine verdienen so eine Bestrafung. Diese Frau scheint wirklich misslich in diese Lage gekommen zu sein und kann uns so von großem Nutzen sein"
      Kane sah zu Vanya. "Könnt ihr mir mehr zu dem Neuralpolymer sagen? Was ist das? Habt ihr dazu Informationen aus dem SOYUZ-System"
      "Ein Schritt vor dem nächsten, Kane. Lass uns eine elektronische Kopie ihres BIOS-Archivs, die MAC-DATEN und einen ASSB zukommen. Wir werden die Daten auswerten und uns melden, ob es sich lohnt."
      "Lohnt?", raunte Kane, doch da war die Übertragung bereits durch Vergil beendet wurden. Er seufzte und sah Vanya an. "Besser als nichts auch wenn ich genauso schlau wie vorher bin."
    • Solaris - Kane's Werkstatt - 17:15 Uhr - Montag, 01. Mai 2124
      Nova fühlte, wie ihre metallischen Glieder sich unter der Spannung verkrampften.
      Kanes ernste Miene verriet, dass dies kein gewöhnlicher Anruf war. Als die verzerrte Stimme des Unbekannten, den Kane alsbald mit Vergil ansprach, ertönte, fühlte sie einen kalten Schauer durch ihre mechanische Hülle laufen. Die Stimme klang wie aus einem Albtraum, verzerrt und unmenschlich.
      Wobei sie selber im Augenblick auch nicht sehr viel besser klang.
      Als Kane dann ihr Alter und ihren Anagramm Namen weitergab, hielt sie den Atem an – oder das, was davon in ihrer aktuellen Form übrig war. Ihre Linsen fixierten den Bildschirm, während Vergil über sie sprach.
      Die Anspannung wuchs noch weiter, als Kane die Kamera auf sie richtete. Sie konnte förmlich spüren, wie Vergil und die anderen sie durchleuchteten, nach Spuren suchten, die ihre Lüge entlarven könnten.
      Die Worte "Kein Treffer" brachten für einen Moment Erleichterung, aber Vergils Lachen und die Worte über Bestrafung für hochrangige Soyuz-Mitglieder ließen sie innerlich zusammenzucken.
      Die Situation spitzte sich zu. Und das auf eine Art und Weise, die Nova gar nicht gefiel.
      Sie wagte nicht zu sprechen, nein, nicht einmal sich zu bewegen, während die Leute, in deren Hand sie ihr Schicksal gelegt hatte sich unterhielten und dabei eine noch viel größere Abneigung gegen das Vermächtnis ihrer Familie an den Tag legten als sie zunächst vermutet hatte.
      Wollte sie wirklich mit ihnen Zusammenarbeiten? Vielleicht musste sie nur solange das vertrauen dieser Leute Gewinnen, bis sich ihr eine Möglichkeit ergab, abzuhauen?
      Mit Sicherheit konnten die Wissenschaftler von Soyuz ihr genauso gut, wenn nicht sogar besser weiterhelfen!
      Ja, was hatte sie sich bloß dabei gedacht, sich auf Kane und seien Zwielichtigen Geschäfte einzulassen?!
      Ihr war in diesem Augenblick nach weinen zumute. Es war wohl Glück im Unglück, dass ihre tatsächlichen Gefühle, die sie geradezu überwältigten, nicht durch die starre Mimik der M.A.R.U. Einheit hindurch drangen und sie verrieten.
      Der Anruf war schneller vorbei als gedacht und hatte ihr letzten Endes keine Antworten auf ihre Fragen beschaffen.
      Nova starrte noch eine ganze Weile auf den Bildschirm, wo das Bild der maskierten Figur eben verschwunden war und versuchte das eben gesagte zu verarbeiten. Ihr metallischer Körper war reglos, aber in ihrem Inneren tobten die Gedanken.
      Vergils Verzerrte Worte hallten immer noch in ihrem Kopf wieder: „Ein kleines Licht bei SOYUZ.“ Ein kleiner Teil von ihr fühlte sich fast erleichtert, dass ihre wahre Identität nicht enthüllt worden war. Doch die restliche Wahrheit war schwer zu schlucken. War sie vielleicht wirklich nur ein unbedeutendes Rädchen im großen Getriebe?
      Die junge Frau wusste, dass sie auf Messers Schneide balancierte. Jede ihrer nächsten Aktionen musste perfekt sein, jede Antwort durchdacht.
      Sie zwang sich, ihre Unsicherheit und Verwirrung beiseite zu schieben und sich auf das Wesentliche zu konzentrieren.
      Sie durfte sich nicht anmerken lassen, wie sehr dieser Anruf sie in Wahrheit erschüttert hatte!
      Was ist der nächste Schritt, Kane?“ fragte sie, ihre künstliche Stimme durchdringend und monoton. „Welche Daten benötigt ihr genau von mir? Und… wie genau kommt ihr an diese heran?“
      Sie versuchte, sich zu erinnern, wie man in die administrativen Systeme der M.A.R.U.-Einheit gelangte. Vor dem Unfall hatte sie nie wirklich daran gedacht, dass sie jemals auf solche Daten zugreifen müsste. Jetzt hing ihr Leben davon ab.
      Sie konnte nicht riskieren, dass ihre wahre Identität aufgedeckt wurde, aber gleichzeitig musste sie kooperieren, um das Vertrauen der kriminellen Bande zu gewinnen.
      Ihre Gedanken rasten.
      Eine elektronische Kopie ihres BIOS-Archivs? MAC-DATEN? Ein ASSB?
      Diese Begriffe waren ihr nicht fremd, aber die Vorstellung, dass ihre gesamten Systemdaten an diese Rebellen geschickt werden würden, machte sie nervös.
      Was, wenn sie doch etwas finden, das ihre Identität verraten würde?
      Virgils Worte darüber, hochrangige Mitglieder ihres Unternehmens zu bestrafen, hatten sich in ihr Gedächtnis gebohrt. Was würde passieren, wenn sie erfuhren, wer sie wirklich war? Würden sie Nova foltern? Bestimmt. Auch wenn sie in diesem Körper keine Schmerzen spüren konnte, würden sie sicherlich einen Weg finden, ihr das Leben noch mehr zur Hölle zu machen, als es ohnehin schon war.
      Verdammt. Sich auf diese Leute einzulassen war ein riesen Fehler gewesen. Aber was hätte sie tun sollen? Kane einfach weiter an ihr rumbasteln und zu einer ‘Puppe’ modellieren lassen wie er es nur wenige Zeit zuvor noch geplant hatte.
      Bei dem Gedanken alleine drehte sich ihr metaphorischer Magen wieder um.
      In the midst of chaos
      there is also opportunity
    • Solaris - Garage der Mackenzie-Werkstatt - 17:18 Uhr - Montag, 01. Mai 2124


      Kane sah skeptisch auf den Roboter. Es wirkte für ihn zwar noch immer komisch, aber der Roboter wirkte etwas nervös. Konnte ein Gerät überhuapt nervös wirken? Nun in Anbetracht ihres menschlichen Inneren war dies gut möglich und dennoch wirkte es so fremd und ungewöhnlich, dass er seinen skeptischen Blick auf der M.A.R.U.-Einheit ruhen ließ. "Vanya", sagte er dann mit konzentrierter Stimme, "das wird dir nicht gefallen, aber für diese Daten werde ich dich ausschalten müssen." Der Braunhaarige sah sich um und suchte seinen Laptop. Noch immer lag er vom letzten Scan am Kopfende des Arbeitstisches. Er schnappte sich den Laptop und klemmte ihn unter den Arm. Sie schien noch nervöser zu werden. "Keine Panik. Du wirst quasi nur schlafen. Sobald ich dein System wieder starte bist du wieder da." Er spürte, dass sie noch nicht überzeugt schien. "Denk an deine Worte. Du willst bereit sein alles zu tun. Dann musst du jetzt hier durch." Er drehte ihr den Rücken zu und ging an eine Art Werkzeugtisch, auf dem einige Arbeitsgeräte lagen. Darunter befand sich auch eine Art kleine Fernbedienung an deren Ende eine Glaskuppel angebracht war, in der ein hellgrüner Kristall schwebte. Er schwenkte wie eine Kompassnadel auf. Als Kane die Bedienung ergreift und auf Vanya zugeht, schlägt die nadelheftig in ihre Richtung aus und zeigte dann auf sie. "Versuch ruhig zu bleiben", erklärte er und drückte eine Taste auf der Bedienung. Im nächsten Moment verkrampfte sich die M.A.R.U.-Einheit und ihre elektronischen Leuchten und Lichter gingen aus. Der Kristall in der Bedienung fing wieder an auszuschlagen.

      Aus der Ecke holte Kane einen Schiebewagen und legte den stark beschädigten Roboter auf diesen. Er fuhr den Schiebewagen mitsamt der M.A.R.U. darauf eine Auffahrt innerhalb der Garage hinauf. Hier in der Ecke der Werkstatt war ein Arbeitsplatz mit einer verdeckten Plane. Er zog diese zur Seite und offenbarte den Blick auf einen großen Rechner, vier Bildschirme und zwei Tastaturen. Es war ein Analyse-Rechenzentrum, das sich Kane mehr oder minder selbst zusammen gespart hatte und größtenteils in Eigenregie aufgebaut hatte. Neben dem eigentlichen Arbeitsplatz gab es eine Art Stuhl, wie man ihn vom Zahnarzt kannte. Auf diesen legte er Vanyas metallischen Körper und schloss an ihrem Kopf mehrere Kabel an. Er startete dem Computer und starrte auf den leblosen Roboter. Die Augen leuchteten hellblau auf, da die Systemsoftware nun gestartet wurde. Es war eine Art Schlaf. Vanya könnte nicht reagieren, aber unter Umständen hörte sie ihn. "Ich habe dein System hochgefahren. jedoch nur rudimentär. Du bist in einer Art Schlaf. Versuch dir einfach nicht zu denken."

      "Datentransfer eingeleitet", tönte die blecherne Stimme des Analyserechners und begann auf einem der vier Bildschirme die ersten Programmzeilen und Daten auszuspucken. Kane lehnte sich im Stuhl zurück und beobachtete die Blechbüchse. Es hatte beinahe etwas von einem Besuch beim Psychologen, da er jetzt in ihr technisches Hinterstübchen schaute. "Die gezogenen Daten sind eine Kopie deines BIOS-Archiv ... eine Art Überblick über alle Systemeckdaten und sonstigen Auffälligkeiten wie Abstürze oder Hardwareausfälle, dann haben wir noch deine MAC-Daten das sind Verbindungs- und Standortdaten, an denen man ableiten kann, wo der Roboter oder - wenn sein System transferiert wurde - er vorher war und dann haben wir noch ..." Kane grübelte und sah auf den Bildschirm "Ah ja den ASSB. Den allgemeinen Systemsicherheitsbericht. Der pikanteste Teil. Das ist eine Art Archiv sämtlicher Systemänderungen, in einer eigenen Programmiersprache. Er umfasst auch Hardware-Änderungen, systemimanente Abweichungen, Changelogs und so weiter."

      "Datenkonfiguration begonnen", sprach die Stimme aus dem Rechner und Kane sah zu den Bildschirmen, auf dem sich nun die angesammelten Daten, die teilweise nur Formen oder Daten waren, in lesbare Berichte verwandelten. Seine Augen folgten dem regen Treiben auf den Bildschirmen und es dauerte einige Minuten, ehe das Programm abgeschlossen war und er die Berichte als fertige Dateien auf dem Monitor sah. Er verschickte sie sogleich und sah zu der noch immer leblosen M.A.R.U.-Einheit bei der nur die Augen hellblau leuchteten. "Zeit aus deinem Schlaf zu erwachen, Dornröschen", erklärte er und tippte ein paar Zeilen in das Programmierfeld. Mit einem leisen Klicken startete das Hochfahren des Roboters erneut an diesem Tage. Kane musterte die Zeilen der generierten berichte ohne zu merken, wie sein Hund und Mitbewohner Laika ankam und seinen Kopf auf den Oberschenkel von Kane legte. Verwundert sah er nach unten und lächelte. Er streichelte dem Hund den Kopf, wobei dieser zufrieden brummte. Erst als Vanya endgültig zu sich gekommen war und sich versuchte in dem leicht liegenden Stuhl aufzurichten, sprang Laika auf und starrte auf den Roboter. Früher hatte er sie angeknurrt, doch mittlerweile begegnete er dem Blechbüchsen nur noch mit Skepsis bis Gleichgültigkeit. Umso interessanter war seine jetzige Reaktion. Er hatte seinen Schwanz aufgerichtete und starrte zielstrebig auf den Roboter.
    • Solaris - Kane's Werkstatt - 17:25 Uhr - Montag, 01. Mai 2124

      Ausschalten?! Kane wollte sie wirklich ‘ausschalten’, als wäre sie ein Toaster, den man mal eben von der Steckdose ziehen konnte?
      „Keine Panik. Du wirst quasi nur schlafen. Sobald ich dein System wieder starte, bist du wieder da.“ Diese Worte sollten Nova beruhigen, taten es aber nicht. Der Gedanke an den ‘Schlaf’ klang trügerisch friedlich.
      Wie so oft an diesem Tag durchströmten eine Mischung aus Panik und Hilflosigkeit ihren mechanischen Körper. Ihre metallischen Glieder verkrampften sich unwillkürlich, und sie musste all ihre Willenskraft aufbringen, um nicht in sinnlose Bewegungen auszubrechen.
      Was, wenn die Daten ihm verrieten, wer sie wirklich war?
      Was, wenn er sie nicht wieder aufweckte?
      Ob er sie vielleicht einfach vergessen könnte oder, noch schlimmer, absichtlich abgeschaltet lassen würde?
      Die Ungewissheit nagte an ihr, aber ihr blieb nichts anderes übrig, als das Risiko einzugehen. Nova war vollkommen von Kane abhängig, seinen Entscheidungen und seinen Fähigkeiten völlig ausgeliefert. Und das gefiel ihr ganz und gar nicht.
      Ihr Innerstes war ein einziges Chaos aus Angst und Unsicherheit. Die Anspannung ließ keinen Raum für klare Gedanken.
      Als der von Tattoos übersäte Mann mit konzentrierter Stimme weiterredete und seinen Laptop holte, konnte Nova kaum seinen Worten folgen.
      Ihre Wahrnehmung schien sich zu verzerren, jede Sekunde fühlte sich endlos an. Als er die Fernbedienung mit dem hellgrünen Kristall nahm, sah sie, wie das Licht darin auf sie zuließ. Es war fast hypnotisch, und für einen Moment fühlte sie sich wie in einem Albtraum gefangen. Ihr künstlicher Verstand klammerte sich erfolglos an die letzte Spur von Bewusstsein, als ihr Gegenüber die Taste drückte.
      Ein greller Blitz vor ihrem inneren Auge, dann völlige Finsternis.


      In dieser Dunkelheit gab es kein Gefühl von Zeit, keine Geräusche, keine Bilder. Es war ein formloser Zustand des Seins, der sich gleichzeitig ewig und augenblicklich anfühlte.
      Ihr Bewusstsein schwebte in einem Vakuum, ohne festen Halt, ohne Bezugspunkte.
      Es war, als wäre sie in ein tiefes, bodenloses Loch gefallen, in dem es weder oben noch unten gab.
      In dieser Leere waren ihre Gedanken seltsam klar.
      Bilder und Erinnerungen flackerten durch ihr Bewusstsein, geisterhaft und ungreifbar.
      Aber es gab auch eine seltsame Ruhe in dieser Dunkelheit.
      Keine Bedrohungen, keine Ängste, nur sie selbst und ihre Gedanken.
      Es war, als hätte sie eine Pause von der Realität bekommen, eine Chance, ihre Situation zu reflektieren.
      Doch diese Ruhe war trügerisch. Ihr Verstand kämpfte darum, die Kontrolle nicht zu verlieren, sich nicht in der Leere aufzulösen.


      Dann, ganz plötzlich, war das Licht wieder da. Ein schwaches, blaues Leuchten, das sich allmählich in ihren visuellen Sensoren ausbreitete.
      Es war, als würde sie aus einem tiefen Schlaf auftauchen, benommen und desorientiert.
      Sie konnte nicht erfassen, ob sie nur wenige Sekunden weggetreten war oder für mehrere Stunden.
      Ihre Systeme starteten langsam, die internen Protokolle liefen durch, und sie konnte die Welt um sich herum wieder wahrnehmen.
      Die ersten Worte, die sie hörte, klangen wie ein Echo, das in ihrem Geist widerhallte.
      „Dornröschen…“ Wie ironisch. Sollte er etwa der Prinz sein, der sie weckte?
      Ich bin… wach“, sagte sie, ihre Stimme immer noch monoton, aber mit einer Spur Desorientierung dahinter.
      Die junge Frau versuchte, sich aufzurichten, wobei die metallischen Gelenke ihres mechanischen Gefängnisses surrten und klickten. Diese Art des Aufwachens fühlte sich seltsam und unangenehm an.
      Ich hoffe, das müssen wir nicht allzu schnell wiederholen.“ Gab sie kopfschüttelnd von sich, als könnte sie so die restlichen Erinnerungen an diesen abstrakten Zustand abschütteln.
      Eine Bewegung im Raum lenkte ihre Aufmerksamkeit auf sich.
      Ein Hund? Wo kam er plötzlich her?
      Neugierig musterte sie das Tier.
      Sie selbst hatte nie Haustiere gehabt, ihr Vater war stets der Meinung gewesen, dass sie unhygienische Krankheitserreger waren, denen sich nur die Menschen der Unterschicht freiwillig auslieferten.
      Ihr Blick wechselte zwischen Hund und Kane hin und her.
      Wie sollte sie mit dem Tier umgehen? Es einfach ignorieren? Zu sich rufen? Währenddessen musterte der Hund sie weiter mit aufgestellten Ohren und aufmerksamem Blick, der jede ihrer Bewegungen folgte.
      Uhm, hallo… Hund?“ versuchte sie ihr Glück und hoffte, dass dieser sie nicht direkt anfallen würde, als sie zaghaft eine Hand nach diesem ausstreckte.
      Immerhin konnte sie sich in diesem Körper nicht mit Tollwut oder Tetanus oder was auch immer diese Wesen übertrugen, infizieren. Ein schwacher Trost.
      „Also, was haben die Daten ergeben?“ fragte sie Kane und versuchte dabei, völlig beiläufig zu klingen. Ihre eigentliche Frage war, ob die Daten ihre Identität preisgeben konnten, aber explizit danach zu fragen wäre wohl eindeutig zu verdächtig gewesen.
      Während sie auf Antwort wartete, konnte sie das Geräusch der Maschinen um sich herum hören, das Summen und Brummen, das fast beruhigend wirkte. Ihre Sensoren, nun klarer und heller, fixierten abwechselnd Kane und dann seinen Hund wieder aufmerksam.
      In the midst of chaos
      there is also opportunity
    • Solaris - Garage der Mackenzie-Werkstatt - 17:27 Uhr - Montag, 01. Mai 2124

      Er drehte sich zu Vanya, die gerade (wieder) erwacht war und sich beinahe wie ein Mensch verheilt, der einen schlechten Traum gehabt hatte. Kane sah nur kurz zum Roboter, ehe er Laika musterte, der noch immer die MARU-Einheit ansah. "Nun starr sie doch nicht so an", rollte er die Augen und beobachtete den Hund, der nun etwas näher an Vanya herantrat. Es war äußerst ungewöhnlich, dass der Streuner so die Nähe von Robotern suchte. Bei Menschen passierte das schon mal, aber bei diesem überdimensionierten Toastern? Er kratzte sich am Kopf, ehe er sich an die beiläufige Frage seines Besuchs erinnerte. "Deine Daten?", fragte er und drehte sich wieder zum Laptop. "Nun die sind noch recht roh, wenn man nicht weiß wonach man sucht. Auf den ersten Blick sehen sie jedoch ganz normal aus." Kane flog prüfend über die Berichte und sah ab und zu über seine Schulter zum Roboter. "Nun es gibt hier und da Auffälligkeiten, die hängen aber vermutlich mit deinem Transfer in den Roboter zusammen und ..." Er stockte und ging etwas näher an den Bildschirm. "Hmmm. Das ist komisch", grübelte er und sah zur M.A.R.U. "Ein Teil deines BIOS-Archivs ist nicht da oder zensiert. Ich kann es auf jeden Fall nicht einsehen und das ist ... wirklich ungewöhnlich." Kane tippte etwas in die Tastatur. Ein Programm öffnete sich und lud eine Datei, doch es tat sich nichts. Sie war wirklich ein besonderer Fall. "Dazu bräuchte ich vermutlich einen Hacker. Wird sicherlich ein spezielle SOYUZ-Codierung sein, die mit dem Neuraltransfer zusammenhängt." Mit diesen Worten schloss er den Codierungsbericht, löschte seine Pfade und Achive und schickte die rohen Dateien an Human Rebellion.

      Er drehte sich auf seinem Stuhl um und richtete sich auf. Kane warf die Stirn in Falten. Es würde sicherlich dauern bis sie eine Antwort erhielten, doch so recht wusste er nicht, ob sie das Richtige getan hatten. Das Gespräch mit Vergil gab ihm zu denken. Sie würden prüfen, ob es sich lohnt ihr zu helfen. Lohnte es sich denn für Kane? Er biss sich auf die Lippe und fragte, ob er hier nicht zu tief in fremder Scheiße steckte. Erst der Officer, dann diese Roboter aus dem SOYUZ-HQ und jetzt auch noch diese Frau in einer MARU-Einheit. Die Nummer war eigentlich zu groß für ihn und doch ... Doch spürte er Aufregung wie ein kleines Kind, das mit seinen Eltern einen Ausflug unternahm. Sein Instinkt sagte ihm, dass hier mehr zu holen war und mit dem Wissen über den Neuralpolymer sich sicherlich ein gutes Sümmchen verdienen ließ und vielleicht reichte dieses Schlagzeile endgültig, dass auch die Leute im Soyuz-Distrik aufwachen und merken, wie krank diese Konzerne wie SOYUZ und Co. alle sind. Er spürte den Blick seiner Gegenüber auf sich und konnte wohl auch nicht zu gut seine Skepsis verbergen. "Ich traue der Sache noch nicht ganz, Vanya ... aber uns bliebt kaum eine andere Möglichkeit, wenn wir mehr über den Neuralpolymer erfahren wollen. Vielleicht fällt dir noch etwas ein? Manchmal bewirkt so ein System-Neustart wahre Wunder. Versuch doch mal dein Archiv zu überprüfen. Jeder Roboter hat ein Reparatur-Programm für beschädigte Archiv-Dateien." Kane lehnte sich mit verschränkten Armen gegen den Tisch und beobachtete den Roboter.

      Nach all dem erhoffte er sich endlich Antworten, doch die Dateien, die er bisher aus dem Roboter zu Tage befördert hatte, ließen immer nur neue Fragen aufkommen. Wieso waren Teile ihres Archivs zensiert? Wie kann man überhaupt eine menschliche Seele in einen Roboter übertragen? Ist sie überhaupt noch ein Mensch oder ist das, was da vor ihr steht nur eine mechanische Kopie des Charakters der toten Vanya? Fragen über Fragen. Kane hatte schon lange nichts mehr außerhalb der Norm erfragt. Er nahm nur seine Aufträge entgegen, führte sie gewissenhaft aus und kassierte seinen Bezahlung. Dabei war es ihm bisher immer egal gewesen, wieso er etwas tat. Doch hier war es anders.