Behind the Screens [Michiyo & Kiimesca]

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    • Behind the Screens [Michiyo & Kiimesca]

      Vorstellung
      @Michiyo


      Ein Date?!
      Ein richtiges Date?!
      So von Angesicht zu Angesicht?!

      Mein Herz schlug wie wild, während ich auf mein Handy starrte und die Nachricht immer und immer wieder las, die zwar von meinem Handy abgeschickt, aber nicht von mir geschrieben wurde. Ich wusste sofort, dass Jenny, meine Cousine, wieder an meinem Handy war. Ich liebte sie wirklich, aber sie stieß mich schon so oft ins eiskalte Wasser. Vielleicht brauchte ich das aber auch.. Ohne sie, hätte ich mich nie bei dieser Dating App angemeldet. Und dann hätte ich niemals Sam kennengelernt. Wir schrieben schon ein paar Wochen, aber zu einem Treffen ist es nie gekommen. Er hatte nie gefragt und ich natürlich auch nicht! Nun sah es aber so aus, als hätte ich gefragt und die Nachricht war auch bereits als gelesen markiert, weshalb ich sie nicht mehr löschen konnte. Vielleicht sollte ich mein Handy in Zukunft mit ins Bad nehmen, wenn ich dusche...
      Jetzt saß ich hier, an meinem Schreibtisch, und stützte meinen Kopf mit beiden Händen, während ich auf den kleinen Bildschirm auf dem Tisch starrte und auf eine Antwort wartete. Was, wenn er nein sagt? Dann mag er mich wohl doch nicht so sehr, wie ich gehofft hatte..
      Aber was, wenn er ja sagte?!
      Alles war super, so wie es war. Ich hatte zumindest das Gefühl, einen Freund zu haben. Nun raste mein Herz wie das eines Kaninchens und etliche Gedanken schossen mir durch den Kopf. Wir hatten viel geschrieben. Sehr viel. Sehr viel peinliches! Ich war immer ehrlich, außer bei meinem Profilbild. Wobei.. es zeigte zumindest wirklich mich, nur nicht so, wie ich für gewöhnlich aussah. Jenny fotografierte sehr gern und kannte auch ein paar Tricks, wie man gute Profilbilder machte. Dazu steckte sie mich in eines ihrer Kleider und trug mir ihr Make-Up auf. Dann suchten wir uns einen hübschen Hintergrund und da - Abigail in hot. Mir war nicht klar, dass ich so aussehen konnte.. Irgendwie liebte ich dieses Bild, aber zugleich hasste ich es auch. Was, wenn Sam von meinem normalen Aussehen enttäuscht wäre? Gnaaahhh.. und was, wenn er mich trotzdem hübsch fand? Was, wenn er mich doch nur veraschte? Oh Gott.. Ich war so aufgeregt. Einerseits war ich neugierig und freute mich darauf, aber andererseits hatte ich große Angst.
      "Du bist eigentlich ganz süß für eine Brillenschlange.."
      "Warum versteckst du deine Arme? Hast du Tattoos? Bist du ein Emo?"
      Solche Sprüche durfte ich mir während der High School dauernd anhören. Im College wurde das zwar etwas besser, aber es gab sie immer noch. Die coolen Jungs und Mädchen, die auf uncoolen Leuten wie mir herumhackten. Die sich hinter meinem Rücken über mich lustig machten, aber so, dass ich sie gut hören konnte.
      "Die ist bestimmt noch Jungfrau.."
      Na und..? Was war so schlimm daran? Nur weil ich schon 21 war.. Dafür hatte ich kein erstes Mal, dass ich bereute... Zum Glück...
      Es wäre vielleicht fast dazu gekommen, als ein gutaussehender Junge mich nach einem Date fragte. Als ich zu seinem Auto auf dem Schulparkplatz kam, hatte sich Jenny jedoch auf ihn gestürzt und verprügelte ihn. Er traute sich nicht, zurückzuschlagen, weil sie ein Mädchen war, aber sie hatte keine Skrupel. Deswegen liebte ich sie, denn auch wenn sie mich an meine Grenzen brachte, war sie immer für mich da. Ryan hatte sich mit ein paar anderen Schülern über mich lustig gemacht. Sie wollten Wetten abschließen, wie lange er brauchen würde, um mich.. naja.. flachzulegen.. Es war also alles nur gespielt..
      Und wenn Sam mir auch nur etwas vorspielte? Ich mein.. er ist viel zu heiß für jemanden wie mich.. Anfangs war ich skeptisch und habe es nicht all zu ernst genommen, doch je besser wir uns kennenlernten, desto mehr mochte ich ihn.
      Aber es war scheiße peinlich. Fuck! Keine Ahnung, was sich Jenny dabei gedacht hatte.. Sie wollte mein Selbstbewusstsein stärken oder so'n Scheiß.. Das war nicht die erste Nachricht, die sie in meinem Namen verschickt hatte. Und die letzte vor einer Woche hatte zu.. einem wirklich schönen, aber unglaublich peinlichen Moment geführt! Gott... Er konnte sich ganz sicher noch gut daran erinnern, als wir.. keine Ahnung.. irgendwie Sex im Chat hatten.. Wieso sollte er das auch vergessen..
      Nur weil ich noch nie mit einem Jungen geschlafen hatte, war ich ja nicht komplett unwissend, ja? Selbstbefriedigung ist doch nichts verwerfliches... Aber was, wenn er glaubt, dass wir schon so weit waren? Also, dass wir in echt rumknutschen und.. Sex haben.. Gleich beim ersten Date? Oh Gott..
      Ganz ruhig, Abby..

      Neugierig streckte Jenny nun auch noch ihren Kopf durch die Tür.
      "Hat er schon geantwortet?" In ihren Augen lag aufrichtige Neugier und sie sah so unschuldig aus. Als hätte sie nicht gerade vielleicht mein Leben zerstört. Sie glaubte wahrscheinlich, dass sie Armor war und für mein Glück gesorgt hatte.
      "Noch nicht...", murmelte ich und rührte mich nicht.
      "Das wird er noch... genau wie letztes Mal..", schmunzelte sie und stellte mir einen Pfefferminztee vor die Nase, ehe sie sich auf meinen Schreibtisch setzte und zu mir runter sah. Nun blickte ich zu ihr auf - seine Antwort käme ja nicht schneller, wenn ich die ganze Zeit aufs Handy starrte.
      "Ich hätte ihn auch selbst gefragt... Irgendwann.."
      "Klar. Aber ein kleiner Stupser kann ja auch nicht schaden."
      Ein kleiner Stupser? Sie stieß mich die Klippe hinab und sah nun dabei zu, ob Sam mir die Hand reichte oder mich fallen ließe...
      Ich fühlte mich unruhig. Wie in einer Achterbahn. Ein unangenehmes Gefühl.. Diese Unwissenheit machte mich echt fertig. Wollte er es auch oder doch nicht? Wenn er Nein sagte, dann wäre es wenigstens schnell vorbei. Kurz und schmerzlos. Naja. Zumindest nicht so schmerzhaft, als wenn er mir erst beim Treffen einen Korb gab. Oder danach!
      ~ ♦ ~ Die Freiheit der Phantasie ist keine Flucht in das Unwirkliche; sie ist Kühnheit und Erfindung. ~ ♦ ~
      - Eugene Ionesco
    • Freitag Nachmittag, der Beginn des tobenden Lebens und der wochenendlichen Sorglosigkeit. Während die meisten Studenten sich nach dem Trott der Vorlesungen auf die unvergesslichen Partys, belebende Musik und aufheiternde Getränke freuen, bevorzuge ich das Gefühl von kühlem Leder zwischen meinen Fingern. Hinter dem Lenkrad unseres Game Simulators, dem wohlbehüteten Schatz unserer Wohngemeinschaft, für den wir alle unser gesamtes Erspartes haben fließen lassen, konnte ich so tiefe Wurzeln schlagen wie ein Baum. Eine Schande, Verschwendung wertvoller Lebenszeit und nichts als ein dummes Spiel in den Augen meiner Familie, die Erfolg und Lebensfreude an die Anzahl von Bekanntschaften knüpfte. Quantität war noch nie besser als Qualität, zumindest nicht in meiner Welt. Zugegeben, selbst meine besten Freunde waren mittlerweile der Meinung, ich sollte meine Fühler ausstrecken, um mich wie das zarte Pflänzchen, das ich war, zur Sonne zu drehen, doch ehrlich gesagt hielt ich das für schwachsinnig. Ich war glücklich. Menschen sind scheiße. Waren sie immer, werden sie immer sein. Ein einziges Krebsgeschwür, das unaufhaltsam über dem Körper der Erde wuchert. Kaum eine Spezies beweist sich so talentiert in der Zerstörung der eigenen Art. Ich hatte genug Freunde, zwei an der Zahl. Keine hervorragende Leistung, wenn man berücksichtigte, dass ich in einer Vierer-WG wohnte, aber mit Tristan wurde ich einfach nicht warm. In ihm verbarg sich die Verkörperung aller Übel, was in der Gesellschaft schief lief. Schwächere verspeiste er zum Frühstück und auch wenn ich ihm aufgrund der Freundschaft zu seinem Bruder bisher im Hals stecken blieb, so war auch ich nicht verschont von seinen Angriffen. Darauf, einer seiner “Homies” zu sein, konnte ich gepflegt verzichten. Allein das bloße Wort sorgte mittlerweile für Augenrollen meinerseits.

      Ich fand nie, dass ich allein war. In den unzähligen Stunden, in denen ich mit dem Brummen des Motors und dem Flackern der digitalen Rennstrecke verbrachte, hatte der Raum neben mir nie eine Bedeutung gehabt. Der Beifahrersitz war nichts weiter als ein unberührtes Polster. Doch in letzter Zeit schien sich das zu ändern. Als wäre die Luft dort dichter geworden, das Flüstern meiner Gedanken, die langsam Gestalt annahm. Nicht als Person, nicht wirklich. Eher eine Fata Morgana oder Anhäufung von Pixeln, die in meiner Vorstellung die Leere neben mir füllten. Es war, als hätte jemand die Schaltfläche für den Beifahrer plötzlich aktiviert, bereit jemanden zu empfangen, dessen Stimme über das Rauschen des Online-Spiels eine Brücke in meine reale Welt baute. Manchmal, in kurzen Pausen, wenn das Game lud, schweifte mein Blick zur Seite. Ich stellte mir vor, wie es wäre, wenn sie dort säße. Jemand, der mit mir durch die nächtlichen Straßen fuhr. Durch die schlafende Stadt, entlang des leeren Asphalts, während das vorbeiziehende Licht der Straßenlaternen einen sanften Schein auf ihr Gesicht warf. Hier, neben mir, realer als alles. Ein flüchtiger Blick zu ihr hätte genügt, würde mein Herz einen schnelleren Takt schlagen lassen bei dem Gedanken, wie nah sie mir wäre. In einem Moment der Kühnheit, hätte ich meine Hand vom Lenkrad gelöst und auf ihren Oberschenkel sinken lassen. Ihre Finger würden den Weg zu meinen finden. Jede rote Ampel wäre eine willkommene Pause, in der meine Aufmerksamkeit nur ihr gehören würde. Diese Gedanken waren neu für mich, ungewohnt und ein wenig beängstigend. Aber sie waren nicht mehr als das. Hirngespinste, pures Wunschdenken und, wie vieles in meinem Leben, keine greifbare Realität. Und da war es wieder. Das Pingen meines Handy-Klingeltons und der Dating-App, die in den letzten Wochen meinen Alltag bestimmte. Fast wäre ich beim Schulterblick zum leuchtenden Bildschirm aus der Kurve geflogen. Ich hasste es, ein Rennen zu pausieren, nachdem ich es gestartet hatte und doch tat ich es immer häufiger.
      “Naa, was haben wir denn da? Eine neue Nachricht von Abigail?” stimmte mein Mitbewohner und bester Freund Elliot melodisch ein, bevor ich die Gelegenheit hatte, das Spiel zu stoppen. Er war der Grund, weswegen ich überhaupt in dieser Misere steckte.
      “Worauf wartest du? Ließ vor.” rief Max meine Gedanken vom Sofa aus herüber.
      Auf das Drängen folgte lediglich ein heiteres Lachen, ehe eine Antwort ohne meine Kenntnis versendet wurde.
      “Unser Rory hat ein Date!” Wandte sich der dunkelhaarige mehr an Max als an mich.
      “Was?!” zischte ich, sah dem flüchtenden Zwerg, der sich zu unserem Kumpel mit der Chipstüte gesellte, hinterher und erschrak bei der plötzlichen Vibration des Sitzes, in dem ich saß. In der digitalen Welt fand ich mich gecrashed im Reifenstapel wieder, was ironischerweise eine ziemlich treffende Darstellung meiner Gefühlswelt war. Die Anmerkung, dass der Crash meine Statistik ordentlich in den Keller zog, verarbeitete mein Hirn nicht länger. Das Spiel war irrelevant, so sehr sogar, dass ich vergaß, wie ich mich aus dieser Zwangsjacke von realistischem Motorsportsitz überhaupt befreien konnte. Ich strauchelte mit einem Gegenstand, der meinen Alltag seit Jahren prägte, und das nur, weil mein Herz beschloss, wie ein eingesperrter Vogel panisch gegen den Rippenkäfig zu knallen. Endlich aus dem Gurt gelöst, stolperte ich zur Couch, konnte mich gerade noch mit der Hand an der Rückenlehne stützen und einen Sturz verhindern, bevor meine Ungeduld die Oberhand gewann und den beiden Witzbolden mein Smartphone entriss.
      Tatsache. Schwarz auf weiß stand es geschrieben. Abigail fragte nach einem Treffen, so draußen - im echten Leben. So ganz in Fleisch und Blut, live und in Farbe. Meine vermeintliche Antwort hingegen gab mir den Rest. Ich sagte zu.

      “Hast du komplett den Verstand verloren?” Entglitten mir jegliche Gesichtsmuskeln, während bereits einhundert Ausreden mir wie kleine Teufel auf den Schultern Beistand leisteten.
      “Was denn? Bist du nicht der Meinung, dass ihr nach eurer Cyber-Sex-Session euch mal endlich auf ein Kaffee treffen solltet? Du weißt schon, dass man sowas auch wirklich mit einer Person machen kann, statt nur darüber zu schreiben?”
      “Und es in echt um Längen besser ist?” ergänzte Elliot, bevor beide herzlich lachten.
      “Okay, klar. Ja, was hab ich denn bloß für Sorgen? Ich geh hin, mach ihr den Hof und wir leben glücklich bis ans Ende unserer Tage. Nur mit dem klitzekleinen Haken, dass sie Nicholas erwartet.”
      “Fängt diese Laia wieder an?” stöhnte Max, der sich genervt quer über das Polster warf.
      “Nic und du seht identisch aus!” Bewahrte Elliot die Fassung.

      Natürlich, wenn man alle Menschen mit rotem Haar und heller Haut als identisch betrachtete, hatte ich keinen Grund zur Sorge. Nicholas war alles das, was ich nicht war. In mir steckte der billige Abklatsch meines älteren Bruders, als wäre dem Drucker die Tinte oder meinen Eltern das feine Erbgut ausgegangen. Sportlich, breit gebaut, beliebt und der Schwarm jeder Frau beschrieb ihn nunmal und nicht mich! Schlaksig, unbeliebt und unscheinbar hätte es schon eher getroffen. Nicholas entsprach einem Meisterwerk, gemeißelt mit der Präzision und Leidenschaft Michelangelos, während ich einer Skizze aus der Hand eines Straßenkünstlers glich - voller Potential, doch unvollendet im Schatten meines Bruders. Nic war makellos, ich hingegen nur eine Kopie, die zwar Herz und Seele besaß, aber in Perfektion und Glanz nicht mit dem Original mithalten konnte.

      “Wenn man sich mit der Reflektion in einem zerbrochenen Spiegel zufrieden gibt.” Wank ich kopfschüttelnd ab. Meine Haut war wie Porzellan, das einmal in unzählige Stücke zerbrochen und dann Stück für Stück wieder zusammengefügt worden war. Eine Narbe küsste die andere, teilte nicht nur mein Gesicht, sondern annähernd meinen gesamten Körper in unschöne Einzelteile. Keine Frau hätte mir freiwillig ein Match gegeben. Und nun stand ich vor der Wahl, mich dem Endgegner zu stellen oder aus dem Rennen auszuscheiden, bevor es überhaupt begann.
      A heart's a heavy burden.

    • Jenny blieb noch wie ein Geier auf meinem Tisch sitzen, während ich in meinen Bestechungstee pustete und vorsichtig daran nippte. Der Geruch beruhigte mich ein wenig, aber als mein Handy verkündete, dass ich eine Nachricht erhalten hatte, musste ich schnell meine Hand darauf legen, damit sie es sich nicht krallen konnte. Dabei verschüttete ich etwas Tee auf dem Schreibtisch, aber das war jetzt nicht so wichtig. Aufgeregt hob ich das Smartphone und erstarrte.
      "Er hat zugesaaaaagt~", trällerte Jenny und grinste breit, während sie freudig von einem Fuß auf den anderen tappte, als hätte sie gerade selbst eine Zusage bekommen.
      "Wir müssen shoppen gehen. Du brauchst was hübsches zum anziehen. Vor allem Unterwäsche. Kondome könnten auch nicht schaden" Den Rest ihres Gebrabbels nahm ich nicht mehr wahr, weil sie in meinem Zimmer auf und ab ging und mein Kopf gerade wie ein Computer abgestürzt war.
      Unterwäsche.. Kondome.. Date?
      "Jennyyy...", quängelte ich und sah mit einem Schmollmund zu ihr auf. Das war alles nur ihre Schuld. Alles. Die App, das Sexting, der erste Anruf - Der ging auch auf ihre Kappe, als sie ihm einfach meine Nummer gab! Die ganzen Wochen - Monate - schrieben wir nur über diese App. Ich mochte seine Stimme, sie war so.. sanft.. und er wirkte überhaupt nicht aufdringlich. Gar nicht das, was man bei seinem Bild erwarten würde. Aaaaber man soll ja nicht nach dem Äußeren urteilen. Vielleicht hatte er sich meine Stimme auch verführerischer vorgestellt.
      Jedenfalls klammerte ich mich an diesen Gedanken, dass ihm das Äußere wirklich nicht so wichtig war. Das alles, was er bisher geschrieben hatte, wahr war. Denn darüber hatten wir natürlich auch gesprochen. Das die inneren Werte viel wichtiger waren.
      Ich könnte mich natürlich zurecht machen und mich mit ihm im Eiscafé treffen, aber was dann? Wollte ich dieses Spiel bis an mein Lebensende spielen, sollte sich unsere Beziehung weiter entwickeln? Für mich fühlte es sich bereits so an, als wären wir ein Paar, aber da fehlte was. Ich wollte in seine Augen sehen, sein Lächeln. Seine Hand halten. Ja und ihn küssen und all das! War doch logisch.. Ich war total in ihn verknallt.. Sein Bild war mir nicht mal wichtig gewesen - ich hatte eigentlich fast alle Typen geliked, die ich zu sehen bekam. Außer die, die irgendwie unheimlich aussehen.. Bei dieser App sah man ja nicht viel mehr als das Bild. Total oberflächlich. Aber die meisten Chats waren schnell vorbei. Nur dieser nicht. Er war so ein wundervoller Mensch. Ich glaubte ganz fest daran, dass er wie ich, wirklich auf der Suche nach etwas ernstem war.

      Also

      Ganz einfach.
      Augen zu und durch. Wieviele Dates wollte ich haben, bis ich aufflog und er mich abwies? Ich gehe einfach hin, so wie ich bin. Ganz natürlich. Kurz und schmerzlos. Wie ein Pflaster, das man ganz schnell abzog. Dann hätte ich Gewissheit, ob er wirklich der Richtige war.

      Natürlich zerrte mich Jenny am Samstag ins Einkaufscenter, aber sie versuchte wirklich etwas zu finden, dass ich war. Es war Herbst, also wurde es schon frischer und sie schlug mir einen hübschen Strickpullover vor. Die waren ja auch wieder in Mode gekommen, worüber ich mich sehr freute. Ich wollte nichts kitschiges und nichts aufdringliches, also nahmen wir einen in cremefarben. Dann schleppte sie mich jedoch wirklich in ein Dessougeschäft, was mir total peinlich war. Ich kaufte sehr ungern Unterwäsche ein.
      "Schwarz. Ganz klar", meinte sie und schielte zu mir rüber, als sie bereits ein paar Sets durchstöberte.
      Schwarz? Sagte man nicht, dass man schwarze Unterwäsche trug, wenn man.. naja..
      "Ich weiß ja nicht.."
      "Das war ein Scherz. Für dein erstes Mal such ich dir etwas weißes raus. Sam wird das Wasser im Mund zusammen laufen, wenn er so eine unschuldige Schönheit vernaschen darf.."
      Schmunzelnd betrachtete sie also nun die weißen Teile, während meine Wangen vor Scham glühten. Zum Glück hatte das niemand gehört, aber.. Wasser im Mund zusammenlaufen? Schönheit? Ich fand mich nicht hässlich, das war nicht das Problem, meines mangelnden Selbstbewusstseins. Es war eher das Gesamtpaket, dass die anderen verspotteten. Ich war ein Mauerblümchen.
      "Ich werd Sonntag ausgehen. Du kannst ihn also ruhig zu uns bringen.." Es war offensichtlich, was sie damit meinte. Allerdings hatte ich gelesen, dass man sein erstes Mal an einem Ort haben sollte, wo man sich wohl fühlte. Und das war mein Zimmer. Bei dem Gedanken wurde mir ganz anders. Ich wollte es. Vielleicht nicht unbedingt beim ersten Date, aber.. irgendwann natürlich schon.. Aber ich wusste doch noch gar nicht, ob ich ihm wirklich vertrauen könnte. Und ob er mich immer noch mögen würde, wenn er mein wahres Ich sah.
      Ich wurde aus meinen Gedanken gerissen, als Jenny mich in eine Umkleidekabine schob und mir einige Sets reichte. Die sahen schon ganz gut aus, aber.. Nein. Stell dich nicht so an, Abby. Tatsächlich war die Auswahl gar nicht so schlimm, wie ich befürchtet hatte. Die Unterwäsche war hübsch. Irgendwie süß und dennoch sexy. Der BH hatte noch etwas Spitze unterhalb der Brust, was mir irgendwie gefiel. Und sie hatte mir auch keinen Tanga oder sonstigen Hauch von Nichts gereicht, sondern Panties, die oben und unten ebenfalls mit Spitze verziert waren. Jenny kannte mich eben doch sehr gut..
      Tatsächlich gefiel mir mein Spiegelbild und ich musste lächeln. Das hatte ich nicht erwartet. Ob sie Sam ebenfalls gefallen wird? Das werde ich früher oder später herausfinden.. Vielleicht..

      Dazu musste ich jedoch die erste Hürde meistern. Das erste Date.
      Viel zu nervös blickte ich in den Spiegel an meiner Schranktür, um mein Outfit zu überprüfen. Natürlich trug ich die Unterwäsche - nur für den Fall, der Fälle, meinte Jenny - und den neuen Strickpullover, zusammen mit einer blauen Skinny Jeans und braunen Stiefeletten. Das Haar an meinen Seiten hatte ich hinten mit einer kleinen roten Schleife hochgebunden, während mein restliches Haar offen blieb.
      "Wenn irgendwas ist, gib mir einfach ein Zeichen."
      Jenny wollte sich ebenfalls ins Eiscafé setzen, um mir zu helfen, falls ich mich unwohl fühlte. Sie war meine Beschützerin und ich fühlte mich dadurch wirklich ein wenig sicherer. Wenn man sie nicht zügelte, würde sie Sam 'die Fresse polieren', sollte er sich über mich lustig machen.
      Ich war etwas früh dran und wartete wie abgemacht unter dem Baum vor dem Café. Wir kamen nicht zusammen, aber Jenny saß bereits an einem Tisch und hatte einen guten Blick auf mich. Ob er mich erkennen würde? Ich hatte ihm zwar geschrieben, dass ich eine rote Schleife im Haar und einen cremefarbenen Pullover trug, aber ich hatte ihm nichts von der Brille gesagt. Sollte ich das nachholen? Vielleicht war er schon da und ist weitergegangen, als er mich gesehen hatte? Ich wurde immer nervöser, je länger ich dort stand und blickte auf den Boden, während sich meine Finger fest ineinander verschränkten.
      ~ ♦ ~ Die Freiheit der Phantasie ist keine Flucht in das Unwirkliche; sie ist Kühnheit und Erfindung. ~ ♦ ~
      - Eugene Ionesco

      Dieser Beitrag wurde bereits 5 mal editiert, zuletzt von Kiimesca ()

    • Die gesamte Charade war an Absurdität nicht zu übertreffen. Von den eigenen Mitbewohnern für nichts und wieder nichts gefeiert zu werden, fühlte sich falsch an. Ich hatte kein Date mit der “rattenscharfen Abigale”, wie El sie fortan nannte,ergattert, sondern wenn man es genau betrachtete, hatte mein Bruder das Herz dieser Frau erobert. Ausgerechnet das Herz jener Frau, die ich leider verdammt gut fand. Die Stunden bis zu unserem Treffen zählte ich vor meinem inneren Auge an meinen Fingern ab, während mir die beiden Idioten mit Worten in den Ohren lagen, die weder Abby, noch mir gerecht wurden. Max schien mir in der Zeit der ewigen Zweifel eine Stütze zu sein, bot sogar an, mir seine Schmink-Künste zu Nutze zu machen. Als sei meine Haut eine leere Leinwand, die mit Sorgfalt zu übermalen gedacht war. Jede Schicht Farbe ein Versuch, die darunter liegende Unvollkommenheit zu verbergen. Wie sehr ich mir wünschte, dass ein einfacher Pinselstrich genügte, die Spuren vergangener Fehler zu überschminken. Doch mit dem Retuschieren von Narben kannte sich die Hobby-Dragqueen leider nicht aus. Mutlos trat ich den Tagen entgegen, kämpfte mit den verfolgenden Gedanken mit der Zusage, einen großen Fehler begangen zu haben, auch wenn es technisch gesehen gar nicht mein Verfehlen war. Ich schrieb kaum noch auf der App, wollte mir meine Nervosität nicht anmerken lassen, doch jeder Blick auf dieses kleine Herz-Icon ließ mein eigenes aus dem gewohnten Takt geraten. Was hatte ich mir nur dabei gedacht?

      “Du hast doch nicht ernsthaft vor, diese Unterwäsche zu tragen?” verurteilte mich mein bester, der im Türrahmen stehend einen Blick auf meine roten Boxershort warf. Eigentlich wollte ich mich für das Treffen anziehen, stattdessen hielt ich halbbekleidet inne.
      "Wieso nicht?” eine Frage, auf die ich aufrichtig keine offensichtliche Antwort fand.
      “Weil die nicht sexy ist? Nimm ne schwarze. Muss man dir denn alles erklären?” Patzte er die Worte in meine Richtung, während er seine Arme vor der Brust verschränkte.
      Seufzend warf ich einen Blick in den Spiegel, ehe ich mich wieder an El wandte.
      ”Was spielt es für eine Rolle?”
      “Sag mal, willst du ihr gefallen oder nicht?”
      “Seit wann ist der entscheidende Faktor dafür die Farbe meiner Unterwäsche, die sie wohlbemerkt nicht zu Gesicht kriegen wird?" Urplötzlich war Elliot, der Herr, der in seinem Leben auf weniger Dates gegangen war als jeder andere Mann, den ich kannte, der Experte in Sachen Sexappeal?
      “Rory, Rory, Rory… Naiv wie eh und je. Eine Granate wie sie wird auf deine ich-bin-ein-kleiner-unschuldiger-Junge Nummer nicht abfahren. Frauen wie sie können jeden haben, meinst du ehrlich, die gibt dir ne zweite Chance, wenn du ihr nicht beim ersten Date zeigst, wie vielseitig talentiert du bist?” Seine Worte verursachten Kopfschütteln meinerseits.
      “Okay, nur so zum Spaß spinnen wir dieses Gedankenkonstrukt weiter. Angenommen, ich wäre darauf aus, beim ersten Date lediglich ihren Körper, statt die Person dahinter kennenzulernen - was ich nicht bin - und würde auf magische Art und Weise das Wunderwerk vollbringen sie im Café davon zu überzeugen mich in ihre Wohnung einzuladen-”
      “Oder für eine heiße Nummer in der Öffentlichkeit” warf Max ein, eine Bemerkung, die so absurd war, dass wir sie nicht weiter beachteten.
      “-stoßen wir spätestens hier auf ein Problem." Mit einer Geste auf meinen Oberkörper legte ich die Wurzel meines Unbehagens dar. Doch dann wies Elliot auf ein grundlegendes Problem hin, während sein Blick ernst wurde. "Sam." Er nannte mich selten bei meinem tatsächlichen Vornamen. "Ist dir eigentlich jemals in den Sinn gekommen, dass es die Leute nicht so sehr stört wie dich selbst? Wenn du bis zu dem Punkt kommst, wird sie die paar Narben nicht stören."
      Seine Worte spendeten kaum Trost. Im Gegenteil, es hielt mir erneut vor Augen, dass bereits mein Gesicht sie vermutlich abschrecken würde. Mich vor ihr auszuziehen - davon konnte ich nur träumen. Das würde nicht geschehen, nicht in diesem Leben.

      “Was mache ich hier eigentlich?” stöhnte Ich verzweifelt und ließ mich auf die Matratze meines Bettes fallen. Meine Hände schlug ich die entstellten Züge bedecktend vors Gesicht. Horror-Szenarien überwältigten meine Gedankenwelt wie eine Flut, deren Wasser die Dämme der Vernunft brach und alles mit sich riss, was mir Halt gab.
      “So ein Schwachsinn. Du bist ein feiner Kerl, wenn sie das nicht erkannt hätte, würdet ihr nicht rund um die Uhr an den Bildschirmen kleben.” Elliots Versuch mich aufzumuntern, ging ins Leere, denn feine Kerle fakten nicht ihr Profil mit Bildern des eigenen Bruders. Der Unfall, der mich in einen Menschen verwandelt hatte, der sich vor seinem eigenen Spiegelbild fürchtete, saß zu tief und die Narben in meiner Seele waren längst nicht verheilt.

      Ich erinnerte mich ungern an jene Nacht zurück. Ein Abend, wie jeder andere, dachte ich, als ich die Schwelle zur Party überschritt, deren Erinnerung später nur noch in schmerzhaften Splittern existieren sollte. Rückwirkend stellt sich mir noch immer die Frage, was ich überhaupt in der überfüllten Studentenbude zu suchen hatte. Die Feier brodelte wie ein Hexenkessel. Betrunkene Seelen zelebrierten ihre Existenz und machten die Nacht zu ihrem Dschungel. Die Machos unter den Gästen glichen einer Schar wilder Tiere, entfesselt und ungestüm. Ihr Löwengebrüll hallte in der sticken Luft, um ihr Territorium zu beanspruchen. Bereit, ihre Pranken auszufahren und alles zu ergreifen, was ihrer Vorstellung von Beute entsprach, verstand ich nie wie eine Spezies in solch primitives Verhalten verfallen konnte. Mit jedem Glas zu viel verwischte die Grenze ihrer Hemmungen, bis sie nicht mehr waren als triebgesteuerte Kreaturen, die ihr Unwesen trieben. Die Könige des Dschungels. Es war ein falscher Schritt, ein unbeabsichtigter Zusammenprall gegen die falsche Schulter - mehr brauchte es nicht. Worte wurden zu Fäusten, und Fäuste ließen die Vernunft verstummen. Was als ein Stoß begann, entlud sich in einem Strudel aus Schreien, Schlägen und dem klirrenden Geräusch von Glas. Ich lag dort, umgeben von den Trümmern. Der Scherben getränkte Boden empfing mich härter als jeder menschliche Hit es je konnte. Ein Gedanke, durchzieht noch heute meinen Geist - die wirklichen Monster, vor denen man sich fürchten sollte, tragen kein Fell oder scharfe Zähne. Sie tragen das gleiche Gesicht wie wir.

      Ein Grund mehr auf das Kennenlernen mit Abby zu verzichten. Meine Hoffnung in der Menschheit lag schwarz verbrannt vor mir. Stattdessen herrschte die Ödnis, wo nichts als Asche zurückblieb.
      Zu meinem Glück schien das Schicksal mir einen kleinen Gefallen zu tun, da der Herbst in vollem Gange war. Die kühle Jahreszeit erlaubte mir, lange Kleidung zu tragen, die zumindest die Narben auf meinen Armen verbarg. Jeder Schritt, den ich durch das raschelnde Laub setzte, fühlte sich an wie ein kleiner Sieg über meine Ängste. Die bedeckten Arme gaben mir ein Stückchen Würde zurück, ein schwacher Trost zwar, aber in diesem Moment nahm ich, was ich bekommen konnte. Mit einem schweren Herzen und einem ratternden Kopf machte ich mich schließlich auf den Weg zum Café, dem Ort unseres Treffens. Die Straßen der Stadt waren mit fallenden Blätter in warme Farben gehüllt und schenkten mir für einen kurzen Moment die Illusion von Frieden. Doch je näher ich dem Café kam, desto lauter schlug mein Herz. Als ich schließlich vor dem Ort stand, zögerte ich einen Moment. Mit jedem Atemzug versuchte ich, die aufkommende Panik zu unterdrücken, die mich daran erinnerte, wie viel auf dem Spiel stand. Immer wieder ging ich an dem Lokal vorbei, traute mich nicht, einen Blick hinein ins Innere zu werfen, um mein Gesicht zu wahren.
      Dann, mit einem tiefen Atemzug, der mehr Mut erforderte, als ich zu haben glaubte, öffnete ich die Tür und trat ein,in der Hoffnung, dass vielleicht, nur vielleicht, die Asche meiner verbrannten Hoffnung doch noch Nährboden für etwas Neues sein konnte. Doch von ihr schien jede Spur zu fehlen.
      A heart's a heavy burden.

    • Irgendwann warf ich einen Blick zu Jenny, da sich das Warten wie eine Ewigkeit anfühlte. In Wahrheit waren es gerade mal ein paar Minuten. Dennoch war es unangenehm, hier zu stehen und zu warten. Am Ende würde er nicht kommen und ich wäre wieder die Dumme.
      Meine Cousine trank in Ruhe ihren Kaffee und schien mich weiter hier stehen lassen zu wollen. (Kerle verspäten sich schon mal, war ihre Aussage dazu).

      Dann nahm ich aus den Augenwinkeln rote Haare wahr und bekam fast einen Herzstillstand. War er das? Ich sah nur flüchtig hin, doch er kam nicht zu mir. Aber er ging ein paar Mal auf und ab, was mich etwas verwirrte. Erkannte er mich also wirklich nicht? Er wirkte irgendwie anders.. Ich war mir nicht ganz sicher, aber es sah aus, als hätte er.. Narben im Gesicht? So gut konnte ich es nicht erkennen, da ich fremden Leuten nicht ins Gesicht schauen konnte.
      Als er jedoch ins Lokal verschwand, sah ich noch einmal zu Jenny, die ihre Sonnenbrille hochzog und mich mit hochgezogener Augenbraue ansah. Ihr war der Typ auch aufgefallen, aber ob er das war? Schnell zog ich mein Smartphone aus der Tasche und schickte ihr eine Nachricht.
      Ist er das?

      Möglich. Ich frag ihn.

      Mein Blick huschte schnell zu ihr rüber, da war sie schon aufgestanden. Ihren Mut hätte ich gerne.. Sie konnte immer einfach auf Fremde zugehen.
      Also folgte sie ihm ins Lokal und sprach ihn an.
      "Hey, bist du Sam?" Direkt mit der Tür ins Haus gefallen. Falls er nein sagen würde, würde ich im Boden versinken, aber Jenny würde sich einfach locker entschuldigen und das wär's. Allerdings hatte Jenny sein Gesicht im Gegensatz zu mir deutlich gesehen. Sie war ein wenig verdutzt, aber hatte entschieden, dass es mich nicht abschrecken würde. Außerdem wusste sie, dass ich nicht so sehr auf Äußerlichkeiten achtete und vor allem: Wir verstanden uns einfach zu gut, als das sie jetzt wegen einem Fake-Bild (Von dem ich ja mehr oder weniger auch eins hatte) aufgeben würde.
      ~ ♦ ~ Die Freiheit der Phantasie ist keine Flucht in das Unwirkliche; sie ist Kühnheit und Erfindung. ~ ♦ ~
      - Eugene Ionesco
    • Jeder Atemzug brannte in meiner Lunge wie giftiges Gas, als hätte ich unentdecktes Land betreten und mich vorher nicht ausreichend mit den örtlichen Gegebenheiten vertraut gemacht. Mal wieder, wie zu oft seit geraumer Zeit, spielte mir mein Verstand einen Streich. Mein rasendes Herz hämmerte so schnell wie der hastige Puls eines Kindes. Mein Körper empfing das stille Kommando zur Flucht – eines meiner bekannten Muster, da ich das Risiko meistens mied und selten neue Freundschaften schloss. Selbst ein offenes Buch birgt Geheimnisse zwischen den Zeilen, und genau diese Unvorhersehbarkeit der Menschen schüchterte mich ein. Gerade als ich kehrt machte, meine bleiernen Beine einen Schritt nach dem anderen machten, trat sie in meinen Weg. Ihr gelocktes Haar umspielte sanft ihre Schultern, und das Selbstbewusstsein, das sie ausstrahlte, blendete fast. Nachdenklich legte ich den Kopf zur Seite im Versuch, mir einen Reim daraus zu machen. Ihre Frage, ob ich Sam sei, traf mich unerwartet. Innerlich angespannt biss ich auf meiner Unterlippe. Je länger ich ihr feines Gesicht betrachtete, desto mehr Ähnlichkeiten mit der Frau, für die ich all diese Strapazen in Kauf genommen hatte, entdeckte ich. Ich hatte sie mir anders vorgestellt, sicherlich dachte sie das Gleiche von mir.Ich hatte eine weniger einschüchternde Aura des Selbstbewusstseins erwartet, die sie umgeben würde. Sie war zweifellos eine Schönheit, aber bei ihr gab es einen Unterschied zwischen bescheidener Anmut und der Ausstrahlung einer femme fatale. Ihre zierliche Erscheinung war feurig, fast so, als würde man sich verbrennen, wenn man ihr zu nahe kam. Schluckend setzte ich einen Schritt zurück, um etwas Distanz zwischen uns zu bringen. Wurde mir nun Karma zum Verhängnis? Hatte ich mit den Bildern meines Bruders zu hoch gepokert und mich blindlings in eine Frau verknallt, die mein Herz in tausend Teile zerschmettern könnte? Keine Frage - verdient hätte ich es. Lügen hatten bekanntlich kurze Beine, passend, da meine Just in dem Moment im Boden versanken. “Abby?” fragte ich zögerlich nach, schämte mich gleich darauf für den erbärmlichen Klang meiner Stimme, die meine Unsicherheit verriet. Worte fühlten sich fremd auf meiner Zunge an, zu schwer beladen mit der Angst einer unerfüllten Sehnsucht. Ihr Bild, das ich so sorgfältig in meinen Gedanken bewahrt hatte, zerfiel zu Asche und hinterließ nur die harte, kalte Realität einer Begegnung, die nie meinen Träumen entsprechen konnte. Ich, der sich in die Vorstellung einer Person verliebt hatte, stand nun der Wahrheit gegenüber, die weder die Wärme noch die Sicherheit bot, die ich all die gemeinsam verbrachten Stunden empfunden hatte. Die Idee von ihr, die mich getragen hatte - eine sanfte, verständnisvolle Gestalt - zerrann wie Morgennebel in der Sonne. Ihre Präsenz war sowohl anziehend als auch abschreckend für mich. Die tiefe Verbundenheit war verschwunden und das obwohl wir keine sieben Sätze miteinander gewechselt hatten. „Du hast sicherlich einige Fragen wegen der Bilder und um ehrlich zu sein hast du vollkommen Recht. Ich sollte sowas nicht tun. Ich bin ein schlechter Mensch und habe deine Zeit verschwendet. Tut mir mega leid. Ich..ähm mach mich dann mal auf den Weg.“ Von Nervosität übermannt, brachte ich jeden noch so dummen Gedanken hervor, der mir in den Sinn kam. Meine Gedanken kreisten und hingen sich ausgerechnet an dem Fakt auf, dass es viel zu warm in dem Lokal war. Urplötzlich bereute ich die Wahl meiner Kleider. Zum Verdecken meiner Narben waren sie gut geeignet, doch nun wo mir die Hitze zu Kopf stieg, fühlte sich das lange Sweatshirt an wie ein siedender Kessel voll Öl. Alle Alarmglocken läuteten, verlangten nach der Flucht, von der ich mich dummerweise hatte abbringen lassen. Wann fing ich endlich an, auf meine Instinkte zu vertrauen? Ich schwor mir meinen Mitbewohnern eine Lektion zu erteilen, damit sie mir nie wieder erlauben würden das Haus zu verlassen. Die Hektik meiner Glieder ließ mich zum Ausgang stolpern und gerade so wenige Zentimeter vor dem nächsten Gast zum Stehen kommen. Ich hatte von Glück reden können, da mir die Blamage einer Kopfnuss erspart blieb. Und erst dann realisierte ich es. Sie trat unter den Türrahmen hervor, der hängende Efeu, der sich um den Eingang schlängelte, wirkte als würde er nur in ihre Richtung wachsen. Es war, als hätte jemand das ganze Universum angehalten. Ihre Haare fielen in weichen, braunen Strähnen gegen das Gestell ihrer Brille, jede Locke schimmerte im Licht wie gewoben aus dem Stoff aus dem die Sterne waren. Ihre Augen leuchtend und tief, spiegelten die Farbe der Loyalität, einem warmen Strudel aus Honigbraun. Ein stürmisches Pochen in meiner Brust übertönte alle Vernunft. Kein Traum hatte mich auf ihren Anblick vorbereitet, der sich mir bot. Die Stürme meines Inneren, die meine Gedankenwelt zuvor umgeben hatten, verblassten zu einer rauschenden Leere der Ruhe. Es gab nur noch sie und ihr schüchternes Lächeln, das meine Zweifel dahinschmolz. Liebe auf den ersten Blick entsprang meines Empfinden nach nur der Fantasie von Poeten, aber noch nie zuvor verschaffte mir die bloße Anwesenheit eines Menschen solch ein unerklärlichen Frieden, dass ich nicht mal bemerkte, wie meine Lippen ein leises „Hi.“ hauchten.
      A heart's a heavy burden.

    • Zum Glück war Jennifer sehr verständnisvoll, auch wenn sie nicht immer die Geduld eines Engels hatte, bedrängte sie den Rothaarigen nicht. Später erzählte sie mir, dass Sam sie ewig sprachlos angestarrt hatte und sie das Gefühl hatte, er sei ein scheues Reh. Das konnte ich sehr gut nachvollziehen.
      Jedenfalls kam sie nicht dazu, seine Annahme sie sei ich zu korrigieren, als er sich - wie sie sagte - holprig auf die Flucht begab. Ob sie seine Aussage dazu richtig wiedergab, konnte ich nicht sagen, aber er dachte wohl, dass er ihre beziehungsweise meine Zeit verschwendete.

      Ich stand währenddessen noch immer draußen und fühlte mich wie bestellt und nicht abgeholt. Was dauerte da so lange? Nahm sie ihn nun erstmal ins Verhör? Nervös sah ich mich um und hatte das Gefühl, dass mich alle ansahen. Das sie Mitleid mit mir bekamen, weil mein Date nicht auftauchte. So sah es wohl für sie aus und so war es auch!
      Deshalb setzte ich mich in Bewegung. Notfalls würde ich einfach die Toilette ansteuern, Hauptsache ich musste hier nicht mehr warten. Mein Herz schlug mit jeden Schritt schneller und ich hatte einen riesigen Kloß im Hals. Ich hatte fast das Gefühl zu ersticken.

      Allerdings kam ich nicht weit, als der Mann, wegen dem Jennifer mich hier stehen ließ, mir den Weg versperrte. Ich konnte gerade so rechtzeitig bremsen und sah mit gefärbten Wangen nach oben. Natürlich wollte ich mich entschuldigen, doch als ich die roten Haare erblickten, blieb mein Herz beinahe stehen. Die Wangen um mein verlegenes Lächeln leuchteten bestimmt wie eine Tomate, doch die Panik vor dem Treffen und der Scham wegen des Beinahe-Unfalls wurden von seinen blauen Augen weggespült. Als würde sich die Welt nur noch um uns drehen, konnte ich mich von diesen warmen Augen nicht abwenden.
      Ich hörte wie ein leises 'Hi' seine Lippen verließen, die in seinem blassen Gesicht beinahe rot wirkten. Sofort packte mich die Sehnsucht einen echten Kuss zu erleben und nicht nur darüber zu schreiben.
      "Hi..", antwortete ich ebenso leise, während sich jemand an uns vorbeischlängelte, bemüht uns nicht zu berühren. Er nuschelte auch irgendetwas, doch das konnte ich gerade nicht verarbeiten.
      Jenny meinte, wir hätten uns wie in einer Schnulze angestarrt, als hätten wir uns unsterblich ineinander verliebt. Etwas, worüber sie immer nur gelacht hatte.

      Genau genommen sah ich Sam ja nicht zum ersten Mal. Durch seine Nachrichten sah ich ihn deutlich vor mir. Ein gefühlvoller, charmanter und humorvoller Mann, von dem ich glaubte, dass er wie Quasimodo aussehen könnte und ich ihm dennoch bereits vollständig verfallen war. Das tat er zum Glück nicht, auch wenn mir seine Narben in diesem Moment kaum auffielen.
      "Ja, Hi. Wie wärs, wenn ihr euch hinsetzt", holte meine Cousine uns in die Realität zurück, wobei sie uns an den Ellenbogen fasste. Ich sah sie an, als hätte ich gerade vor mich hingeträumt. Dann sah ich wieder kurz zu Sam und lächelte entschuldigend.
      Dank Jenny konnten wir den Weg zu einem Tisch bestreiten. Sie verabschiedete sich stumm von mir, sodass ich mit dem Mann, der immer nur hinter meinem Bildschirm existiert hatte, allein war. Ich wusste nicht was ich sagen sollte und sah völlig ratlos zu der Bedienung, die uns die Karten reichte.
      "Eiskaffee.. bitte.." Mit der Karte konnte ich mich gerade nicht befassen, also bestellte ich das übliche.
      Sam schien es ähnlich zu gehen, oder er wusste eben ganz genau, was er wollte.
      Wir saßen auf einer runden Bank, sodass uns nur wenige Zentimeter voneinander trennten. Noch immer unsicher was ich sagen sollte, sah ich herab und legte meine Hand zwischen uns; darauf hoffend, dass er sie halten würde.
      ~ ♦ ~ Die Freiheit der Phantasie ist keine Flucht in das Unwirkliche; sie ist Kühnheit und Erfindung. ~ ♦ ~
      - Eugene Ionesco

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    • Im Trubel der Ereignisse hatte ich gar nicht bemerkt, wie tief meine schweren Glieder bereits Wurzeln geschlagen hatten. Erst die sanfte Berührung der zum Verwechseln ähnlichen Gestalt katapultierte mich zurück in die Realität. Ich schluckte, verwirrt und ein wenig verloren, während mein Verstand noch versuchte, sich einen Reim daraus zu machen, wer sie war und woher diese Ähnlichkeit stammte. Eine ältere Schwester vielleicht? Überraschend gefasst und ohne zu stolpern, folgte mein Körper ihrer Anleitung zum Tisch. Dann verschwand das Double wie ein Schatten in der Nacht. "War das deine Schwester?" fragte ich mit einer Stimme, die mir halb im Hals stecken blieb. Ihr Lächeln, so vertraut und doch fremd, ließ ihn mir eine Wundertüte der Gefühle aufkeimen und trug alle Bedenken, die mich den Tag über geplagt hatte, hinfort. Was ich dafür gegeben hätte dieses befreite schmetterlingsgleiche Kribbeln als ständigen Begleiter zu wissen. Es fühlte sich an, als stünden mir alle Türen offen und jede noch so schwere Bürde könnte mit Leichtigkeit getragen werden. Noch nie zuvor fühlte ich mich so… Bevor meine Gedanken weiterer Tagträumerei verfielen und ich mich in dem warmen Karamell ihrer Augen gänzlich verlor, brachte mich die Bedienung aus dem Konzept. Ich bestellte das gleiche wie Abby, wollte meine Zeit nicht mit solch einer Banalität vergeuden, wie dem Studieren der Karte, da ich ohnehin wusste, dass eine Entscheidung zu treffen, eine halbe Ewigkeit dauern würde. Also legte ich die Karte auf dem Tisch nieder, realisierte daraufhin meine Gedankenlosigkeit und streckte sie der Kellnerin zu, die jedoch schon das Weite suchte. “Smooth Operator” klingelte die Stimme von Max in meinen Ohren, der - wäre er Zeuge dieser Szene geworden - mich bis auf die Knochen belächelt hätte. Eine seltsam mechanische Geste, die meine inneren Aufruhr kaum verbarg. Jenny saß mir so nah, dass ich ihren Duft einatmen konnte – nur wenige Zentimeter trennten uns, zu nah und doch unendlich fern. Die plötzliche Nähe ließ mich fast in Panik geraten. War die Hand, die zufällig zwischen uns lag, ein Zeichen? Ich kämpfte mit dem Impuls, ihre Hand zu ergreifen, traute mich jedoch nicht. Was, wenn mir mein Verstand einen Streich spielte und keine weitere Intention dahintersteckte? Plötzlich sah ich mich in einer dieser Klischee-Szenen meiner Kindheit gefangen. Eine Engelsgleiche Gestalt auf der einen und einen teuflischen Zwerg auf der anderen Schulter. Beide flüsterten mir Anweisungen zu, wie ich die Gunst meiner Herzensdame für mich gewinnen könnte. “Sie will, dass du ihre Hand hältst, du Feigling.” schimpfte die rötliche Figur mit mir, daraufhin Einspruch von der anderen Seite folgte. “Musst du immer ausfallend werden? Sie lernen sich doch gerade erst kennen.” Gerne hätte ich die Worte des Engels mit einem Nicken bejaht. Den ersten Eindruck, den ich hinterlassen wollte, war nicht der eines aufdringlichen Mannes. Doch das Teufelchen ließ nicht locker. “Ach, komm schon! Wissen Menschen, die sich gerade erst kennenlernen, welche Knöpfe sie bei einander drücken müssen? Ihr habt doch längst mehr geteilt als nur Worte.” Die Röte, die mir bei dem Gedanken auf die Wangen schoss, glühte warm auf meiner Haut. Das dringende Bedürfnis, meine Mitbewohner anzurufen, von denen ich wusste, dass sie mir einige klare Worte der Vernunft spenden könnten, machte sich in mir breit. Ich musste eine Entscheidung treffen und wusste, dass ich mich nicht länger verstecken konnte. Mit einem tiefen Atemzug entschloss ich mich, dem Rat des Teufelchens zu folgen. Langsam, fast zögerlich, streckte ich meine Hand aus und legte sie sanft auf ihre. Ein kurzer, elektrisierender Moment entstand, als unsere Haut sich berührte. In dem Augenblick wich eine unsichtbare Last von meinen Schultern. Doch gerade als ich mich sicher fühlte, drängte sich die Realität zurück in meinen Kopf. Die Nervosität kehrte mit voller Wucht zurück, und ich entschuldigte mich hastig. "Ich... ich muss kurz mal weg," stammelte ich und stand auf, bevor ich ihre Reaktion abwarten konnte. Wie ein Angsthase beschritt ich den Weg zur Toilette im Versuch, der eigenen Nervosität zu entkommen. Im Badezimmer angekommen, stützte ich mich auf das Waschbecken und blickte in den Spiegel. Mein Gesicht war rot, und meine Augen wirkten unruhig. Das kalte Wasser, das ich mir ins Gesicht spritzte, war eine willkommene Erfrischung, doch es konnte das Chaos in meinem Kopf nicht beseitigen. Mit zitternden Händen griff ich in meiner Hosentasche nach meinem Handy und schrieb eine Nachricht an Max: "Hilfe! Sie denkt sicher, ich bin ein Freak." Ich schickte die Nachricht ab und wartete, mein Herzschlag dröhnte in meinen Ohren. Kaum eine Minute später vibrierte mein Handy. Max hatte geantwortet: "Atme tief durch, Kumpel. Sei einfach du selbst. Wenn du es bis hierher geschafft hast, läuft es doch gut. Geh zurück und zeig ihr, dass du interessiert bist. Viel Glück!" Lächelnd spürte ich wie etwas von meiner Nervosität verflog. Max hatte recht. Es gab keinen Grund zur Panik. Sie hatte mich gesehen und nicht unweigerlich die Flucht ergriffe. Mit einem letzten tiefen Atemzug verließ ich das Badezimmer und ging zurück zu unserem Tisch. Abby sah auf, als ich mich setzte, und ich bemerkte, dass ihre Hand immer noch in Reichweite lag. "Sorry." entgegnete ich mit einem Lächeln, das hoffentlich selbstsicherer wirkte, als ich mich fühlte. "Wo waren wir stehengeblieben?" Das schmetterlingsgleiche Kribbeln war wieder da, stärker als je zuvor, und diesmal war ich bereit, ihm zu folgen.
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    • Als Sam mich fragte, ob Jenny meine Schwester war, konnte ich nicht sofort antworten. Gott, war ich nervös. Dabei war das nur eine ganz harmlose Frage. "Meine Cousine. Jenny...", erklärte ich ihm. Mir war etwas schlecht vor Aufregung. Mein Herz raste unaufhörlich und auch wenn dieses Gefühl deutlich schlimmer war, als damals vor der ganzen Schulklasse sprechen zu müssen, war da noch ein anderes Gefühl. Glück. Ich war so glücklich ihn endlich richtig vor mir zu haben. Den Mann, in den ich mich so verliebt hatte. Den Mann, dem ich schon so viel von mir preisgegeben hatte. Und mit dem ich.. schon wirklich intime Momente hatte, die mir gerade wirklich peinlich wurden. Ich bereute es nicht, aber ich hatte sie schließlich nicht angeleiert. Das war Jenny! Aber.. es war schön. Jede Minute mit Sam war wundervoll.
      Mein Herz drohte stehen zu bleiben, als er tatsächlich meine Hand nahm. Von diesem Moment hatte ich so lange geträumt! Ja.. ja.. auch von anderen Dingen, ja... Puh, ich wusste gar nicht mehr wo mir der Kopf stand. Ich konnte mir gut vorstellen, wie die kleinen Wesen aus dem Film 'Alles steht Kopf' in meinem Kopf panisch im Kreis liefen. So fühlte es sich für mich jedenfalls an.

      Doch plötzlich endete dieser Moment viel zu schnell. Er ließ meine Hand wieder los und sprang ja schon fluchtartig auf! Stimmte etwas nicht? Störte es ihn vielleicht doch, dass ich nicht ganz so aussah wie auf dem Bild? Ich mein.. er doch auch nicht! Irgendwie schon, aber.. irgendwie auch nicht! Jedenfalls hatte er keine Narben... Aber davon würde ich mir meinen Traummann nicht ausreden lassen! Ich war dafür, dass mehr Menschen auf den Charakter achteten und wer wäre ich, wenn ich meine eigenen Prinzipien über Bord werfen würde?
      Sam war ein toller Mensch und er war trotzdem ziemlich attraktiv, fand ich. Aber wie sah er das? Nachdenklich hatte ich meinen Blick gesenkt und bemerkte, dass er zurückkam, weshalb ich sofort meinen Blick hob, als er sich bereits setzte. Gott sei Dank! Er war zurück! Ich atmete erleichtert auf.
      "Ah, alles gut!", sagte ich schnell, damit er sich nicht schlecht fühlte.
      Wo wir stehen geblieben waren? Bei Jenny. "Eigentlich... haben wir noch gar nicht wirklich angefangen...", sagte ich und lächelte verlegen.

      "Aber.. warum machen wir nicht bei dem weiter, was neu ist?", meinte ich. Wir hatten ja schon so viel geschrieben. Was wir mochten und was nicht. Was wir so erlebt hatten. Aber unser Aussehen.. unser echtes Aussehen.. das war eben noch neu und unergründet. "Für das Foto hab ich meine Brille abgesetzt...", erklärte ich und zog meine Brille ab, ehe ich ihn ansah. "Aber.. ohne Brille bin ich eher wie ein Maulwurf.. Und mit Kontaktlinsen komme ich nicht zurecht...", gestand ich, ehe ich meine Brille wieder aufsetzte. Dabei fiel mein Blick auf seine Narben und ich biss mir auf die Unterlippe. Ich Dummerchen! Hatte ich ihn jetzt indirekt aufgefordert mir davon zu erzählen? "Ich mag deine Augen...", sagte ich schnell und oh Gott! Mein Herz platzte gleich! Meine Lippen zitterten ein wenig, als ich in seine Augen sah und als ich wegsehen wollte, sah ich versehentlich auf seine Lippen! "S-sorry.. Ich hatte noch nie ein Date... Aber.. ich bin wirklich froh, dass du hier bist...", sprach ich und nahm seine Hand in der Hoffnung, dass ich etwas ruhiger werden würde. "Sam... ich mag dich... sehr..", sagte ich ganz leise und fühlte wie meine Wangen glühten. Ich.. redete zu viel, oder?! Aber ich konnte nichts dagegen machen. Ich wollte einfach, dass er wusste, wie viel mir dieser Moment bedeutete.
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      - Eugene Ionesco
    • Gott, kaum war ich zurück, sprach sie vom Aussehen und wie sie ihre Brille für das Profilbild absetzt. Eine Brille! Die sie all die Zeit verheimlicht hatte. War das ihr Ernst? Hatte sie wirklich Sorge, dass so eine Lappalie, ein einfaches – zugegeben lebensnotwendiges – Accessoire, irgendeine Rolle spielte? Nervös fuhr ich mir mit einer Hand in den Nacken, bereitete mich seelisch darauf vor, meine Charade zu enthüllen. Da griff sie hastig nach meiner Hand, murmelte Worte, von denen ich mir nicht sicher war, ob ich sie mir nur einbildete. „Ich glaub, ich brauch nach diesem Date einen Herzschrittmacher.“

      Seufzend zog ich meine Hand sanft zurück und fuhr mir damit durchs Haar, nicht weil ich ihre Berührung nicht schätzte oder gar unterbrechen wollte, sondern weil es sich falsch anfühlte, ihr so nah zu sein, bei dem, was ich im Begriff war zu sagen. „Die Brille steht dir,“ begann ich mit dem weniger schwierigen Teil und zwang mir ein Lächeln auf die Lippen. Es war nicht gelogen, sie sah hervorragend aus, wie frisch aus einem Modekatalog – nicht, dass ich wusste, wie Frauen für gewöhnlich darin aussahen, aber für mich hätte sie in jedem Zeitungsregal stehen können. Dann würde ich die Magazine zumindest mal lesen. Wobei ich sie wohl weniger wegen ihrer literarischen Inhalte erwerben würde. Ich driftete ab! Fokus. In der Zwischenzeit waren unsere Getränke erschienen. Gerne hätte ich einen Schluck genommen, um meine trockene Kehle zu benetzen, fürchtete jedoch in dem Moment, den flüchtig gewonnenen Mut wieder zu verlieren. Schwer ausatmend lehnte ich mich zurück, schloss erst meine Augen, bevor ich den Mut aufbringen konnte, es auszusprechen. „Die Bilder… sie zeigen meinen Bruder aus Gründen, die du dir vermutlich denken kannst.“ Erst dann öffnete ich meine Augen. Vermutlich nur, um zu sehen, ob sie die Flucht ergriff. „Meine Mitbewohner hatten das Profil angelegt – mit meinen Bildern natürlich – aber ich fürchtete mich davor, meine eigenen Fotos zu verwenden und statt das Profil zu löschen – was ich hätte tun sollen – verwendete ich einfach die Bilder von Henry. Es tut mir leid. Ich weiß, was ich tat, war falsch, dich so hinters Licht zu führen. Mir. Ich. Es gibt keine Rechtfertigung dafür…“ seufzend ließ ich geschlagen meinen Kopf hängen. „Ich wurde nicht so geboren. Also… mit den Narben… Gott natürlich weißt du das, kein Mensch wird so geboren.“ Verhaspelte ich mich in all der Aufregung, an die der dröhnende Takt meines Herzens schmerzlich erinnerte. „Nochmal, es macht es nicht wieder gut. Und war absolut falsch. Ich bin nicht im Reinen mit mir selbst, es ist einfach noch nicht so lang her, dass ich mein neues Spiegelbild ertragen muss… Aber das rechtfertigt nicht, dass ich das über deinem Kopf ausgetragen habe. Ab-aber alles andere war 100% aufrichtig und ehrlich.“ Nun war ich es, der sich nach ihrer Hand ausstreckte und sie zwischen meine Finger nahm. Ich konnte selbst nicht fassen, was ich da tat. Vermutlich stiegen mir ihre Worte zu Kopf. Sie waren wie der Wermutstropfen in meiner beinahe erlöschenden Flamme. Ohne sie hätte ich längst die Flucht ergriffen. „Ich wünsche mir nichts sehnlicher, als dass du mir verzeihst. Denn ich mag dich wirklich gern.“

      „Wenn du mich aber abstoßend findest oder lieber nicht mit mir gesehen werden willst, habe ich dafür vollstes Verständnis. Ich war nicht ehrlich zu dir und ich weiß, dass ich mit den Konsequenzen meines Fehlverhaltens klarkommen muss.“ Erleichterung machte sich in mir breit, die Karten endlich auf den Tisch gelegt zu haben. Alles, was blieb, war die Anspannung, wartend auf eine Reaktion. Mein Herz polterte in meiner Brust, meine Lungen brannten, als hätte ich zwischen all meinen Worten das Atmen vergessen.
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    • Ein leises Kichern entwich mir, als er meinte, einen Herzschrittmacher zu brauchen. Das Gefühl hatte ich auch. Meine Knie waren total weich und ich wusste nicht, ob ich jemals wieder aufstehen könnte.
      Als er dann jedoch meine Hand wieder los ließ und seufzte, betrachtete ich ihn etwas in Sorge. Für einen kurzen Moment dachte ich, dass es an mir liegen könnte, doch das war es nicht. Er schien sich nicht gut zu fühlen und warum das so war, erklärte er mir auch.
      Das Bild seines Bruders also? Das.. war schon ein wenig hinterhältig, könnte man sagen. Aber die Ähnlichkeit war da. Meine Probleme hingegen fühlten sich auf einmal so winzig an. Vielleicht war ich einfach noch nicht erwachsen genug, um über den Neckereien von Gleichaltrigen zu stehen. Ich wollte ja nie auf Jenny hören, die meinte, dass ich gar keinen Grund für mein geringes Selbstbewusstsein hätte.
      Da hatten wir beide etwas gemeinsam, denn er hatte sein Profil auch nicht selbst erstellt. Nicht freiwillig. Also könnte man unsere Freunde für die Drahtzieher bezeichnen, nicht wahr? Für Liebesengel. Denn egal, wie weit er sich mir in diesem Moment öffnete um die Wahrheit zu offenbaren - ich war in ihn verliebt.

      Mein Blick ruhte unentwegt auf seinem Gesicht, abgesehen von dem Moment, als ich der Bedienung kurz dankend zulächelte. Wie sehr er bisher wohl gelitten haben muss... Mein Herz schmerzte bei dem Gedanken, doch ich wollte ihn bestärken und drückte seine Hand sanft, als er sie wieder ergriff.
      "Es gibt nichts zu verzeihen...", sagte ich und lächelte zaghaft. Es fiel mir nicht leicht mich in einem realen Gespräch zu öffnen, doch ich wollte ihm unbedingt meine Gefühle gestehen.
      "Okay.. es war ein Trick.. Aber.. ich weiß nicht, wie ich reagiert hätte, wenn du dein Bild nicht getauscht hättest.." Vielleicht hätte ich dennoch mit ihm geschrieben, aber ich wusste es nicht, also wollte ich auch nichts derartiges behaupten. "Das ist nicht so wichtig.. Ich bin froh, dich kennengelernt zu haben. Jenny hat mich zu dieser App überredet.. Anfangs konnte ich mich nur schwer damit anfreunden, doch je mehr ich mit dir geschrieben hatte, desto glücklicher war ich." All die Worte, die wir getauscht hatten... Das war einfach etwas besonderes. Er war der Mensch hinter diesen Worten und das war alles, was zählte.
      Puh.. mein Gesicht heizte wieder ordentlich auf und ich brauchte einen Schluck, nach dem ich kurz durchatmete und ihn dann wieder ansah. "Ich... habe mir so lang vorgestellt, wie es wohl ist, deine Hand zu halten..", sagte ich und blickte auf unsere Hände. "Ich.. will sie gar nicht mehr los lassen...", fügte ich hinzu und kicherte verlegen, als ich meinen Blick wieder hob. "Ich.. möchte mit dir zusammen sein, Sam..." Nicht nur in der virtuellen Welt. Ich wollte ihm in die Augen sehen können, seine Wärme spüren und seine Stimme hören. Auf viele weitere Dates mit ihm gehen und eine richtige Beziehung führen!
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      - Eugene Ionesco
    • Das war zu schön, um wahr zu sein. Ich war mir sicher, jeden Moment aus meinem Traum zu erwachen, in meiner Unterhose im Bett zu liegen und über die dröhnend laute Musik meiner Mitbewohner zu schimpfen. Vielleicht hatte mich auf dem Weg zum Treffen auch ein Auto erfasst, einer dieser wilden Raser – die ich zugegebenermaßen besser kannte, als ich sollte – und lag nun im Koma, den Blick auf das Himmelreich erhaschend. So bitter diese Einsicht auch war, letzteres schien mir wahrscheinlicher, als dass alles, was geschah, die wahrhaftige Realität war. So viel Glück konnte ich nicht haben. Mein Bruder? Ohne Frage! Jeder Tag seines Lebens glich dem eines Filmstars: Frauen, die sich um seine Aufmerksamkeit rissen, von den Männern als Sportgigant gefürchtet und die Welt, die es als seine zu erobern galt. Ihm hätte sowas widerfahren können. Henry, der locker am Küchentisch davon erzählt, mal eben in die Liebe seines Lebens gestolpert zu sein und nun das Happy Ending seiner persönlichen Geschichte auszuleben, bevor es jemand niederschreiben und als Bestseller verkaufen würde. Durchaus plausibel. Doch das hier? Das grenzte an ein Weltwunder. Abby war zu gut, zu schön, zu warmherzig, als dass so ein trotteliger Nerd wie ich sie verdient hatte. Sie verzieh mir nicht nur meine Lügen, ließ ihr Vertrauen zu mir dadurch nicht verblühen, sondern sprach diese zuckersüßen Worte, die wie klebriger Honig an meinem Gaumen haften blieben. Hatte ich womöglich tatsächlich einen Herzanfall und lag in Wahrheit schon für meinen Herzschrittmacher unter dem Messer? Ich lachte, schüttelte ungläubig den Kopf. Wo war der Haken?

      „Hör auf damit, du machst mir Angst.“ Witzelnd löste ich meine Hand aus ihrem Griff und rutschte ihr stattdessen ein Stück auf der Bank entgegen, sodass ich meinen Arm um ihre Schultern legen konnte. Beflügelt von ihrer offenen Bekundung, schien mir das Adrenalin zu Kopf zu steigen. In keinem Szenario der Welt hätte ich mich sonst getraut, einer Frau beim ersten Date so nahe zu kommen und mich dabei auch noch wohl zu fühlen. Mein Herz sprudelte vor Zuneigung nahezu über. Am liebsten hätte ich sie in meinen Armen wie einen Plüschteddy zerquetscht oder in Küssen übersät. So übermütig war ich dann aber doch nicht. „Ich hoffe, das ist auch okay,“ spielte ich auf die Tatsache an, ihre Hand nicht länger zu halten. Meine Stimme war kaum mehr als ein Flüstern, da ich bei den wenigen Zentimetern, die uns jetzt noch trennten, Sorge trug, gesprochene Worte würden wie Schreie an ihr Ohr gelangen. Eine Antwort auf die Frage, woher ich die Tapferkeit nahm, ihr direkt in die Augen zu sehen, fand ich selbst nicht. Umso weniger verstand ich, wie mein Augenmerk auf ihre Lippen fallen konnte. Naja, zu meiner Verteidigung muss ich gestehen, dass mir ihr eigenes Linsen auf meinen Mund nicht entgangen war. Ich legte lediglich dieselbe Neugier an den Tag wie Abby auch. Als sich mein Körper jedoch verselbständigte und meine Zunge beschloss, meine Unterlippe zu benetzen, stieg mir die Hitze in die Wangen. Mit einem Räuspern versuchte ich, meine durchgebrannten Synapsen zur Besinnung zu bringen. Wie verzweifelt wollte ich denn bitte rüber kommen? Ich war keiner dieser Idioten, die sich blind von ihren Trieben leiten ließen. Zumindest war ich bis zu diesem Tag fest davon überzeugt! Doch diese Frau… Sie trieb mich in den Wahnsinn.

      „Wollen wir uns die Beine vertreten?“ Das Teufelchen auf meiner Schulter hasste mich für die Unterbreitung dieses Vorschlags, doch wäre ich länger in dieser Position verweilt, hätte ich sicherlich Wege gefunden, etwas Dummes anzustellen. Etwas frischer Wind würde mir sicherlich helfen, wieder klaren Verstand zu erlangen. Die bestellten Getränke verweilten unberührt, während die schmelzenden Eiswürfel den Kaffee verdünnten. Mir war nicht danach, an Essen oder Trinken zu denken, und von den Blicken, die wir teilten, konnte ich sagen, dass es ihr genauso ging. Trotzdem ließ ich unsere Bestellung mit einer kurzen Handbewegung in To-Go-Becher umfüllen. Verschwenderisch zu sein, gehörte nicht zu einer meiner Eigenschaften. Dann streckte ich meine Hand nach Abby aus, grinste wie ein Honigkuchenpferd vor mich hin und wartete darauf, mit ineinander verschlungenen Fingern durch die Gegend zu schlendern.
      A heart's a heavy burden.

    • Etwas unsicher hob ich einen Mundwinkel. Ich machte ihm Angst? War ich zu forsch? Erdrückte ich ihn schon?
      Aber es klang nur halb so schlimm, während ich beobachtete, wie sich unsere Hände lösten und er näher rutschte. Wurde es gerade heißer hier drinnen? Ich fühlte mich wie in einem Auto, das in der prallen Sonne stand. Sein Arm über meiner Schulter fühlte sich nicht real an. Wie gern ich mich nun an ihn lehnen würde.. Aber.. Sein Gesicht hielt mich davon ab. Ich konnte nicht anders, als in seine Augen zu sehen und diese Nähe machte mich tierisch nervös. Wollte er mich jetzt küssen?! Bei der Frage sah ich kurz auf seine Lippen hinab und wagte es kaum zu atmen. Es war nicht so, dass es mir zu schnell ging, schließlich hatten wir schon ganz andere Dinge.. getan.. Aber damit hatte ich nicht gerechnet. Okay.. doch schon irgendwie.. Oder viel mehr gehofft..
      Mein ganzer Körper kribbelte und ich ermahnte mich nicht einmal selbst, dass wir in einem Café saßen. Mein Körper, meine Lippen, ich sehnte mich schon so lange nach diesem Mann.

      Doch der Kuss blieb aus und er fragte stattdessen, ob wir gehen wollten. Gehen? Wohin? Etwa.. Nein.. So weit waren wir sicher noch nicht... oder doch? Gott ich wusste nicht mehr wo oben und unten war!
      "Ja...", antwortete ich und nickte lächelnd. Nachdem unsere Getränke umgefüllt wurden, nahm ich seine Hand und betete, dass mich meine Beine nicht im Stich lassen würden. Sie fühlten sich wie Wackelpudding an. Und ich hatte plötzlich das Gefühl, als würde meine Blase explodieren.. "Ich.. bin gleich wieder da...", meinte ich und reichte ihm meinen Becher, ehe ich noch einmal kurz auf der Toilette verschwand. Erleichtert atmete ich auf, als ich einen Moment für mich hatte und mich gesetzt hatte. Schnell hatte ich mein Handy aus meiner Tasche gekramt und entdeckte die Nachricht von Jenny. Sie hatte... was?! Mehrere Packungen Kondome in meinen Nachtisch gelegt, da sie schließlich nicht wusste wie gut Sam bestückt war... Sie meinte das wirklich ernst, oder?
      Ich wusste nicht, was ich darauf noch hätte antworten sollen, aber der Grund, warum ich mein Handy in die Hand nahm, war mir auch entfallen. Jenny hätte sowieso keine wirklich hilfreichen Tipps, die nicht damit endeten, dass wir im Bett landeten..

      Nachdem ich mich erleichtert und mein Gesicht gekühlt hatte, kehrte ich zu Sam zurück und lächelte ihn strahlend an. "Bereit!", verkündete ich und nahm ihm mein Getränk ab, damit wir beide eine Hand frei hatten, um die des anderen zu halten, während wir durch die Straße spazierten. "Hast du.. an etwas bestimmtes gedacht?", fragte ich und sah ihn kurz an. Ganz in der Nähe war ein Park. Da.. waren viele Pärchen unterwegs.. Bei dem Gedanken kehrte die Hitze in meinen Wangen zurück. Die würde heute wohl sowieso mein ständiger Begleiter sein.
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