Der Anbruch der Nacht legte sich wie ein dichter Mantel aus Dunkelheit über Falkenhain. Einzig und allein das fahle Licht des Mondes und der schwache Schein der Laternen des Dorfes durchbrachen ihn an einigen Stellen. Der Wind strich sanft durch die Wipfel der Bäume die das Dorf umzäunten, die Äste leise knarrend und raschelnd. Die dumpfen Geräusche der Nacht wurden nur gelegentlich von einem weit entfernten Ruf eines Nachttiers oder dem Klirren von Metall unterbrochen, wenn ein weiterer Dorfbewohner seine Türen verriegelte. Der Geruch von feuchter Erde und frischem Gras lag in der Luft, der von den umliegenden Wäldern herübergeweht wurde. Leichter Nebelschleier kroch über den Boden und legte sich über das Land, verschleierte einzelne Konturen der Gebäude und verlieh der Nacht ihre teilweise unheimliche Note. Sterne funkelten wie Diamanten am Himmel und der Mond tauchte das Dorf, dort wo die Dunkelheit nicht herrschte, in silbriges Licht. Einzelne Wolken zogen durch den Himmel und erzeugten im Zusammenspiel mit Mondlicht und Dunkelheit allerlei Formen und Muster.
In dieser Nacht schien alles möglich zu sein.
Was man nicht vergessen durfte - unter der vermeintlichen Nachtruhe lauerten Gefahren und Bedrohungen die nur darauf warteten, sich aus den Schatten zu erheben und friedliche Dörfer in Chaos und Angst zu stürzen. Mittendrin befand sich Evelyne - bereit, das Licht der Wahrheit in die Finsternis zu bringen und den Gefahren die Stirn zu bieten.
Die Jägerin blickte gen Himmel, während der Wind ihr die vereinzelten Strähnen aus dem Gesicht blies. Sie konnte ein Gefühl der Unruhe in der Luft verspüren - eine Vorahnung von Gefahr, die ihre Sinne schärfte und sie zu allem bereit sein ließ.
Sie schlenderte durch die Gassen Falkenhains. Der Blick starr nach vorn gerichtet, die Hand fest um den Bogen gespannt der ihr über der Schulter hing. Als Erbin der Montagues war es ihre Pflicht, inmitten der Nacht zu patrouillieren und das Dorf vor den Bedrohungen zu schützen, die in den Schatten lauerten und nur auf eine Chance hofften, hervorzutreten. Zwar gab es eine ganze Menge an Gefahren - doch keine von ihnen war so bedrohlich, wie die Vampire selbst. Seit Generationen kämpfte Evelynes Familie gegen diese und es war an ihr, diese Tradition fortzusetzen.
Als sie die Grenze des Dorfes erreichte, wollte sie wieder umdrehen und den vorgeschriebenen Wegen der Patrouille nachkommen - in dieser Nacht allerdings war es anders. Sie spürte eine unheimliche Präsenz in der Luft - ein Kribbeln auf der Haut, das ihr signalisierte nicht allein zu sein. Sie verlangsamte ihren Schritt, spannte sicherheitshalber den Bogen vor und lauschte der Dunkelheit. Rascheln im Unterholz zog ihre Aufmerksamkeit auf sich und ohne zu Zögern richtete sie ihre Waffe auf den undurchdringlichen Schatten, der sich erhob. Eine düstere, große Gestalt mit feuerrot-glühenden Augen erhob sich aus dem Schleier der Nacht und fixierten die Frau durchdringend.
Ohne Zweifel handelte es sich um einen Vampir. Nicht weiter verwunderlich wenn man bedachte, dass von ihnen auch eine ganze Menge existierten - doch so nah an der Dorfgrenze war es eher unüblich auf einen zu treffen. Vampire wussten mittlerweile, dass Menschen nicht zu unterschätzen waren. Besonders diese nicht, die es sich zur Berufung gemacht hatten, sie für ihre Schandtaten büßen zu lassen.
Der von der Nacht Gesandte hatte sich den falschen Gegner ausgesucht - zumindest dachte sie das. Innerhalb eines kurzen Augenblicks feuerte sie den gespannten Bogen ab, mitten in sein Herz zielend. Zu ihrer Überraschung allerdings wich ihr Gegenüber mit Leichtigkeit aus und entgegnete ihr mit einem verächtlichen Lächeln. Sich davon nicht weiter irritieren lassend, zog sie einen in Weihwasser getränkten Dolch aus dem Stiefel und scheute nicht davor zurück, ihm näher zu kommen.
"Eine mutige kleine Jägerin." sprach der Feind mit einer Stimme, die dem Knistern von Flammen glich. "Du wirst den Schatten nicht gewachsen sein, die sich bald über diese Welt legen werden."
Sie holte aus und schaffte es tatsächlich, den Fremden mit der Spitze ihres Dolches zu streifen. Dieser stieß aber lediglich einen grollenden Laut aus, bevor er zu lachen begann und zurück in die Tiefen des Waldes verschwand. Evelyne blieb mit einem beklemmenden Gefühl im Herzen allein zurück. Die Dunkelheit die sie zu bekämpfen gelernt hatte schien sich nun um sie zu legen und sie wusste, dass etwas Böses erwacht war, das ihre Welt für immer auf den Kopf stellen würde.
Mit rasenden Gedanken kehrte sie in Windeseile Nachhause zurück. Der Weg durch die dunklen Gassen schien neben ihrem rasenden Herzen endlos und jeder einzelne Schritt wurde von dem Gefühl begleitet, dass es bald zu spät sein würde.
Irgendwann erreichte sie das Haus ihrer Familie, dass im Gegensatz zu den anderen Steinhäusern majestätisch über dem Dorf thronte. Auch, wenn die umliegenden Steinmauern zur Sicherheit dienen sollten wusste sie, dass die Gefahr nicht von außerhalb kam - sondern aus den Schatten, die sich überall hineinzwängten.
Durch den Eingangshof eilend betrat sie das Innere des Hauses, wo das Feuer im Kamin loderte und warmes Licht die Dunkelheit fernhielt. Der Geruch von verbranntem Holz vermischte sich mit dem Duft von herrlich zubereitetem Essen. Eine Mahlzeit würde sie in diesem Zustand allerdings ohnehin nicht runterbekommen und machte sich daher sofort auf die Suche nach ihrem Vater Oswald, Oberhaupt der Familie und Evelynes Mentor im Kampf gegen die Gesandten der Nacht.
Es dauerte nicht lang, bis sie ihn in seinem Arbeitszimmer fand, wie er über Botschaften brütete, die von Aktivitäten der Vampire berichteten.
Mit stockendem Atem begann sie: "Vater" - und trat ins Innere des Zimmers. "Einer der Vampire hat sich in unser Lande gewagt. Bis zur Dorfgrenze." Oswald hob den Kopf und sah seine Tochter mit ernster Miene an: "Bist du dir auch sicher? Wir befinden uns in äußerst schweren Zeiten und können es uns nicht leisten, falschen Fährten nachzugehen." - "Ich habe ihn mit eigenen Augen gesehen, Vater. Ich werde mir in Angesicht zu Angesicht wohl kaum etwas eingebildet haben. Jetzt ist er nur einer - aber was, wenn das nicht so bleibt und etwas vor sich geht, von dem wir nichts wissen?" drängte sie ihn. Für einen Moment lang schwieg er sie an, bevor er die Lippen spitzte und dabei langsam nickte: "Du hast Recht und bist nicht allein mit der Vermutung, dass uns etwas Böses bevorsteht. Wir können nicht zulassen, dass die Vampire an weiterer Macht gewinnen und in letzter Zeit war es ungewöhnlich ruhig um sie." er räusperte sich, bevor er weitersprach: "Ich hatte ehrlich gesagt Angst vor genau diesem Tage, aber ich denke ich kann dich nicht weiter davon abhalten, dich ins Territorium unseres größten Feindes zu stürzen." Evelyne nahm die Hand ihres Vaters behutsam und schenkte ihm ein aufrichtiges Lächeln. "Ich werde vorsichtig sein, versprochen. Ich weiß auch, dass ich auf meinem Wege nicht jeden retten kann - aber ich kann nicht tatenlos dabei zuschauen, wie die Dunkelheit immer mehr von unserer Welt einnimmt. Ich werde diesen Vampir verfolgen und das Licht der Wahrheit finden, egal um welchen Preis."
Mit diesen Worten verabschiedete sie sich von Oswald und fing an für ihre lange Reise zu packen. Nun war es zu hoffen, dass der Vampir seine Spuren nicht verwischt hatte und ihre Vermutung, dass die Vampire etwas im Geheimen planten, sich für richtig erwies.
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