The smell of lotus flower [Michiyo & Domino]

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    • The smell of lotus flower [Michiyo & Domino]

      Willkommen in der Taverne Fremder. Setzt Euch ans Feuer, wärmt Euch auf.
      Ihr wollt etwas über dieses Land wissen? Dann will ich Euch die wichtigsten Dinge erzählen, die Euch dabei helfen werden, zu überleben. Es gibt vier Clans, welche das Land zwischen sich aufgeteilt haben, welche regieren und die Lebensbedingungen bestimmen. Zwar besitzen einige kleinere Clans noch Territorien, doch im Spiel um die Macht, um Politik und Krieg sind sie zu vernachlässigen. Maßgeblich sind die Taten der Schlangen, der Wölfe, der Drachen und des Lotus.

      Der Lotusclan ist bekannt für seine mächtigen Magier, wenngleich sie einem verderbten Pfad der Magie folgen, der ebenso schrecklich wie geheimnisvoll ist. Sie hüten ihre Geheimnisse argwöhnisch und den meisten Außenstehenden ist der Zutritt zu ihren innersten Kreisen absolut verwehrt. Bereits seit Jahrhunderten werden sie von Fürst Y angeführt, der dem Lotusclan zu unglaublicher Macht und unglaublichem Einfluss verholfen hat. Er ist ein strenger, grausamer aber sehr effektiver Herrscher. Intrigen sind am Hofe des Lotus an der Tagesordnung, doch von jenen lässt er sich nicht zu Fall bringen, gilt er doch als der mächtigste Magier des Landes. Sein wahres Alter ist allerdings vollkommen unbekannt und nur wenige wissen, welchen Ritualen er sich unterziehen muss, um sein ansehnliches Äußeres zu erhalten. Der Lotusclan ist seit über einem Jahrhundert eng mit dem Schlangenclan verbündet, während die Fehde mit dem Wolfsclan auch noch 30 Jahren noch immer andauert.

      Der Wolfsclan ist ein raues Volk, welches im vollkommenen Einklang mit der Natur lebt. Sie verachten fast jegliche Magie, lediglich die Druidinnen, die von den Waldgottheiten mit magischen Fähigkeiten gesegnet wurden und das Wissen des Clans wahren, sind hoch angesehen. Darüber hinaus kämpfen sie eher körperlich und lieben es Hausforderungen zu meistern sowie ihren Mut unter Beweis zu stellen. Das Zusammenleben mit Wolfrudeln ist bei ihnen alltäglich und es gibt Gerüchte über schreckliche Wesen, di ein ihren Wäldern herumstreifen, doch das sind lediglich Gerüchte. Einst gab es einen Krieg zwischen den Wölfen und dem Lotus, doch mithilfe ihrer Magie und ihren Verbündeten den Schlangen, dauerte dieser lediglich ein Jahr – danach schuftete der gesamte Clan in den Schieferminen im Territorium der Magier. Sie müssen unvorstellbare Qualen erlitten haben, doch nachdem bereits eine ganze Generation als Sklaven aufgewachsen war, gelang es ihnen vor 30 Jahren schließlich, sich unter der Führung Graurückens gegen ihre Aufseher zu erheben und sich zu befreien. Ihr Hass auf den Lotus währt noch immer, doch Graurücken ist ein Fürst, der sich ohne Zweifel mit Männern wie Shinja oder Caelan messen kann. Seit allerdings vor 10 Jahren seine einzige Tochter verschwand, steht der Clan ohne Erbin da.

      Der Schlangenclan entstand einst aus dem Drachenclan. Nach mehreren Tragödien, die den Clan dazu zwangen seine Heimat zu verlassen und ihn dezimierten, veränderte sich die Mentalität der Angehörigen. Einstmals waren sie auf Ehre bedacht, darauf dem Clan zu dienen, ihm Ehre zu bringen und wenn es sein musste auch für ihn zu sterben. Es gibt unzählige Geschichten über den Mut und den Stolz der Drachen, doch diese gehören nicht an diese Stelle. Das oberste Ziel der Schlangen ist es, zu überleben, wozu ihnen jedes Mittel recht ist. In den Tavernen der Schlangen tummeln sich Schwertkämpfer, Banditen und Räuber, Abschaum würden manche sagen. Nachdem Prinz Kenji vor 15 Jahren seinen Vater, Fürst Oja, ermordete und daraufhin ins Exil floh, entstand ein Machtvakuum. Dieses nutzte Shinja, ein enger Vertrauter des verstorbenen Fürsten, um sich die Führung des Schlangenclans zu eigen zu machen. Er ist hart und grausam, unbarmherzig und dennoch nicht nur autoritär sondern auch führungsstark.

      Der existierende Drachenclan ist noch recht jung. Er wurde vor gut 10 Jahren gegründet, als Kenji aus seinem Exil zurückkehrte, es allerdings vorzog nicht zum Schlangenclan zu gehen, sondern den alten Wegen wieder treu zu werden. Daher verhalf er dem Drachenclan zu neuem Leben. Einige einflussreiche Personen, die ihrem Prinzen immer die Treue gehalten hatten, darunter Otomo und Garrin, schlossen sich ihm an und er schaffte es innerhalb recht kurzer Zeit sein Territorium auszubauen und den Clan zu vergrößern. Derzeit befinden sie sich in Bündnisverhandlungen mit dem Wolfsclan, um ein gewisses Machtgleichgewicht zu dem Lotus und den Schlangen herzustellen.

      X ist die Tochter des Anführers des Wolfsclans und einer Druidin und die Erbin ihres Vaters. Dank ihrer Mutter ist sie zudem in Naturmagie begabt. Im Alter von 14 Jahren wurde sie, bei einem Streifzug durch die Wälder von einigen Soldaten des Schlangenclans verschleppt. Dort wurde sie zur Kurtisane ausgebildet, verhielt sich zunächst still, um eine passende Gelegenheit zur Flucht abzuwarten, welche allerdings auch nach 10 Jahren noch nicht kam. Unterdessen ist sie allerdings zu einer begehrenswertesten Frauen des ganzen Hofes geworden.
      Y hingegen ist ein mächtiger Hexenmeister, welcher bereits seit Jahrhunderten den Lotusclan führt. Da der Lotus und die Schlangen seit jeher recht freundschaftliche Bande hegten, besucht er auf Einladung den Hof des Schlangenfürsten. Dort wird ihm X als Gesellschafterin für seine persönlichen Bedürfnisse zugeordnet, welche selbstverständlich die Gelegenheit sieht, Rache für das Leiden ihres Volkes zu nehmen. Doch ob dieser Anschlag wohl gelingt?

      @Michiyo

      Post folgt <3

      "Fear of death is worse than the death itself"
      by Shuichi Akai

      "Lächle. Du kannst sie nicht alle töten."

    • "Nimm dein Haar hoch." Wortlos befolgte ich den Befehl, umfasste meine rote Mähne mit beiden Händen und schlang sie so zu einem Knoten, dass Utara ungehindert meine entblößte Kehrseite betrachten konnte - inklusive der Überbleibsel der vergangenen Nacht, die sich in relativ gut sichtbaren Knutschflecken manifestiert hatten. Den Lippen meiner Lehrmeisterin entfloh ein Seufzen und selbst wenn ich sie nicht sehen konnte, wusste ich doch, dass sie die Augen verdrehte. "Männer. Vetkin hätte auch einmal daran denken können, welcher Tag heute ist. Zumindest wird alles vom Kimono verdeckt sein." Hm ... Von mir hatte die Aussage, ich solle mich beim General für seine Güte gebührend bedanken, nicht gestammt. Darüber hinaus war ich ihm wirklich dankbar, dass er gestern im Garten nicht nur versucht hatte meine Ängste zu lindern, sondern auch, weil er mir heute Nacht zumindest einige Stunden verschafft hatte, in denen ich nicht einmal an den heutigen Tag hatte denken müssen. Nachdem ich Vetkins Gemächer verlassen und versucht hatte zu schlafen, hatte sich das allerdings sehr viel anders gestaltet. Angst war wohl die vorherrschende Emotion, die ich mit dem, was in wenigen Stunden stattfinden würde, verband. Nicht nur, dass der Lotusfürst in Schlangenholm eintreffen würde, nein, ich war ihm auch noch als seine persönliche Dienerin zugeteilt - wobei Sklavin träfe es wohl besser. Letztlich wäre ich ihm vollkommen ausgeliefert und es war alleine schon wegen meines Aussehens offenkundig, dass in meinen Adern kein Schlangenblut floss. Die Fehde zwischen unseren Clans reichte weit zurück, wie lange konnten meiner Kenntnis nach nicht einmal unsere Druidinnen sagen, doch ich machte mir keine Illusionen darüber, dass der Fürst die Demütigung, die ihm mein Vater einst zugefügt hatte, als er unser Volk in die Freiheit führte, vergessen hatte. Der einzige Vorteil war, dass niemand meine wahre Identität kannte. Die war auch nach 10 Jahren bei den Schlangen ein gut gehütetes Geheimnis und mittlerweile fragte niemand mehr nach meiner Herkunft. Ich war schon so lange Utaras Schülerin, dass ich einfach dazu gehörte. Doch eben jener Fürst war der Grund, warum ich zum Frühstück kaum etwas hatte essen können, obwohl ich eigentlich wusste, dass es klüger war, zu essen, weil ich kaum abschätzen konnte, wann ich das nächste Mal etwas bekommen würde und warum es sich seit Stunden so anfühlte, als hätte ich einen Stein verschlungen - oder eines der eisernen Wurfgeschosse, die man für das Wolfballspiel verwendete.
      "Setz dich hin", riss mich die Stimme meiner Lehrmeisterin aus meinen Gedanken, der ebenfalls eine gewisse Anspannung innewohnte. Ich konnte sie verstehen - wenn ich das hier in den Sand setzte, dann würde das nicht nur auf Fürst Shinja zurückfallen, sondern hauptsächlich auf sie und da würde ihr auch kaum die mehr als nur exklusive Beziehung zum Führer des Schlangenclans von Nutzen sein. Also gehorchte ich und war froh, dass Utara begann vom neusten Schlossklatsch zu erzählen, von dem sie erfahren hatte. Es lenkte mich immerhin ein wenig ab, während ihre Finger damit begannen aus meinem Haar ein schieres Kunstwerk zu zaubern. In solchen Momenten wurde mir immer wieder bewusst, wie viel ich noch immer zu lernen hatte. Kein Wunder also, dass ich bisher nur leichte Aufträge außerhalb der Feste hatte erfüllen dürfen, die sich zumeist um die politischen Gegner des Fürsten drehten.
      Viel zu schnell war ich allerdings frisiert, dezent geschminkt und in meinen neuen violetten Kimono gekleidet - den Farben des Lotusclans. (Eine Assoziation bei der mir übel wurde.) Fertig. Eigentlich wollte ich nicht fertig sein, denn das bedeutete, dass das Eintreffen der Lotusgesandtschaft immer näher rückte. Sollte ich allerdings zumindest ansatzweise leben wollen, dann hatte ich keine Wahl. Shinja zu brüskieren bedeutete nämlich mein sofortiges Todesurteil zu unterschreiben. Mit einem Seufzen band ich den dazu passenden dunkelblauen Obi, sodass er perfekt saß und warf einen Blick aus dem Fenster, um anhand der Sonne abzulesen, wie spät es bereits war. Nicht mehr lange. Das Herz schlug mir bis zum Hals.
      "Ich hoffe du hast dich im Griff. Mir ist nicht daran gelegen eine der besten Schülerinnen zu verlieren, die ich je hatte." Was? Meine Augen weiteten sich. Das war so ziemlich das größte Lob, das ich in den letzten zehn Jahren bekommen hatte und ich spürte, wie ich stolz mich das machte. Mir bedeutet der Schlangenclan nichts und die Fähigkeiten, die ich lernte, schätzte ich nur deswegen, weil sie mir mehr Möglichkeiten eröffneten und mein Wissen erweiterten, aber Utara bedeutete mir etwas. Ohne sie würde ich immer noch in diesem Badehaus versauern.
      "Mir ist nicht daran gelegen Euch zu enttäuschen", versicherte ich ihr und es gelang mir tatsächlich, ein Lächeln auf meine Lippen gleiten zu lassen, ehe ich tief durchatmete, um ihr zu folgen. Jetzt wurde es wirklich langsam ernst. Meine Beherrschung war schon viel stabiler geworden, als damals, als ich nach Schlangenholm kam und ich handelte nicht mehr so unglaublich impulsiv, aber ich konnte auch kaum absehen, wie ich mich gegenüber jenem verhalten würde, der der Todfeind meines Volkes war. Schweigend und versuchend meine Nervosität in den Griff zu bekommen, folgte ich Utara durch die Korridore, die ich mittlerweile auswendig kannte - besser sogar als den Hauptsitz des Wolfsclans, der in meiner Erinnerung immer mehr verschwamm, je mehr Jahre vergingen. In der Eingangshalle angekommen, begaben wir uns auf unsere Plätze und ich kniete mich links neben sie. Der gesamte Empfang war minutiös geplant worden und waren wir ehrlich - ich hasste es eine so relativ große Rolle darin spielen zu müssen. Als die Türen aufgestoßen wurden, war es obligatorisch, dass sich der ganze Saal verneigte, die Stirn auf den Boden drückte, um so dem verbündeten Fürst die Ehrerbietung zu erweisen, die ihm gebührte. Der Gedanke, Shinja diese Ehrerbietung zu erweisen, der gerade die Halle betreten hatte und angemessenen Schrittes auf den Besuch zutrat, war mir bedeutend lieber.
      "Herzlich willkommen Fürst Odair", ergriff der Gastgeber das Wort. "Es ist mir eine Freude Euch empfangen zu dürfen. Ich hoffe, Ihr hattet eine Anreise ohne bemerkenswerte Zwischenfälle." Der Zeitpunkt meines Auftritts rückte immer näher und das gefiel mir gar nicht. Unwillkürlich presste ich meinen Kiefer aufeinander, mahnte mich zur Beherrschung. Ich hatte zu funktionieren, mehr nicht. Aber ich wollte nicht, dass diese Worte fielen, doch letztlich fielen sie natürlich noch.
      "Ich darf Euch jemanden meiner Dienerschaft für sämtlich Eurer persönlichen Belange zur Seite stellen", führte Shinja aus und es brauchte weder die Handbewegung, noch das energische "Dahlia!", damit ich wusste, was ich zu tun hatte. Unwillkürlich schluckte ich, weil sich das Unbehagen nur noch verstärkte. Dann riss ich mich zusammen und erhob mich mit gesenktem Kopf, um dann auf den Lotusfürsten zuzutreten und mich vor ihn zu knien, mich tief verneigend. Tatsächlich fühlte es sich sofort anders an, als vor Shinja zu knien, das war nun einmal so, aber es fühlte sich einfach nicht so schrecklich demütigend an. Die Bemerkung des Fürsten, dass zu Ehren des Gastes in einigen Stunden ein Bankett geplant war drang gar nicht mehr an meine Ohren, auch wenn ich natürlich davon wusste. Letztlich war es egal, ich war nun den Gutdünken Odairs absolut schutzlos ausgeliefert.

      "Fear of death is worse than the death itself"
      by Shuichi Akai

      "Lächle. Du kannst sie nicht alle töten."

    • Die Farbe Schwarz… Ich empfand sie schon immer als einen zeitlosen Vorhang der Unendlichkeit. Sie hüllt die Welt in eine Stille, die sowohl furchteinflößend als auch faszinierend ist. Die nächtliche Leere des Himmels, in der die Sterne erst in voller Pracht zur Geltung kommen. Ich sah fabelhaft darin aus. Das schwere Gewand auf meinen Schultern fühlte sich wie eine zweite Haut an. Nicht viele würden so etwas von der drückenden Last des Brokatgewebes behaupten, doch ich war bekanntlich nicht einer von vielen. Die opulente Fülle des Stoffes sagte mir zu, mehr noch verlangte ich nach ihrer wuchtigen Präsenz, denn ihre schwerfällige Eleganz unterstrich meine unausgesprochene Macht. Bescheidenheit ist eine Tugend, die man meiner Person wohl kaum zusprechen würde. Zurecht, wie ich es empfand. Es lag nichts erstrebenswertes an Zurückgezogenheit, die ein bescheidenes Wesen feiert, entpuppt sich dies doch nur als eine Barriere, die einen davon abhält, die volle Größe zu erreichen. Wer in mir einen billigen Abklatsch eines Prince Charmings sucht, wird ihn nicht finden. Man fürchtet mich eher als das man mich liebt. Und deswegen schreibe ich meine eigenen Regeln. Der dezente Gurt um meine Hüften und die minimalen Akzente des Gewebes waren das einzige Royalblau, dass ich an mir trug. Wie ein Makel inmitten von Schönheit und das nur, um nicht des Clan Verrats oder schlimmer des Kollaborationismus bezichtigt zu werden. Kleinbürgerliche Nöte, sich mit Farben und Traditionen von Völkern herumzuschlagen. Etwas, auf das ich getrost hätte verzichten können. Normalerweise zierte mich Schwarz und Rot - die Tinte der Ewigkeit, geküsst vom Feuer des Lebens. Nun, an manchen Tagen konnte ich mich den gesellschaftlichen Zwängen nicht entziehen. Die Audienz beim Schlangenholm stand an. Während meine rußfarbene Robe noch als eine wertschätzende Geste dem Gastgeber gegenüber interpretiert werden konnte, grenze die Verkörperung beider Schlangen Farben an eine gemeinen Verbrüderung. So wich das Rot dem Blau während der Talisman an meinem Ohr einsam in Violett glänzte. Vermutlich ging in mir eine Schlange verloren. Mein solitärer Lebensstil hätte wohl auch zu dem Stereotyp gepasst. Leider konnte ich mein Vorhaben nicht auf eigene Faust antreten, also reiste ich - wie so oft - mit zwei Untertanen. War man wirklich ein Mann von Größe, wenn man einen halben Stamm mobilisieren musste, um in ein fremdes Land zu reisen? Laut meiner Definition nicht. Ganz ohne Schar konnte die Delegation jedoch nicht vonstattengehen. Wie sagt man immer so schön? Alle guten Dinge sind Drei. Drei an der Zahl. Drei Magier, die besten unseres Landes, mehr als das benötigte ich nicht. Meine Wenigkeit, dicht gefolgt von zwei weißhaarigen Silhouetten, so blass wie der erste Schnee, den Geschwistern Kael und Riven.
      Als wäre es gestern gewesen, kitzelte die Erinnerung meine Sinne. Der Tag an dem ich diese ausgehungerten Klappergerüste,die nichts als knochige Rahmen, die bei der geringsten Berührung drohten, zu Staub zu zerfallen, waren unter meine Fittiche nahm. Die Unschuld stand ihnen auf die Stirn geschrieben, ihre Haut blass wie Mondlicht, das auf einer nächtlichen Fläche bricht. Kein Jahrzehnt wandelten sie auf Erden und hatten trotzdem mehr erlitten als manche Krieger. Es ist mir ein Rätsel, wieso ich beschloss, die Kinder auszubilden. Eine einfache Anstellung hätte es getan. Stattdessen machte ich sie zu meinen Marionetten. Die einzigen Magier des Lotus, denen die Ehre zuteil wurde, in meine Lehre treten zu dürfen. Sie erwiesen sich als nützlich. Ein Bursche, dem das Augenlicht fehlte, aber mehr durchschaute, als jeder Narr an meinem Hof und seine stillschweigende Schwester. Sie glich einer zarten Nachtigall, die das Singen verlernt hatte und mit ihren Blicken mehr sprach als tausend Worte. Ich erzog beide zu gefährlichen Zauberern. Über zwei Jahrzehnte begleiteten sie mich nun. Vertraute, die meine Geheimnisse mit in die stille Dunkelheit nahmen. Ungeachtet des vielen Hörensagens, es sei mein Verdienst, dass sie sonderbar seien, kann ich mich in solch Grausamkeit nicht suhlen. Ich hätte Kael seines Augenlichts beraubt und Riven die Zunge aus der Mundhöhle gerissen. Ich verneinte es nie. Wozu auch? Mir gefiel es, zu wissen, dass meine Riten bei ihnen aufgehoben waren, unzugänglich für die Menschheit, für den unwahrscheinlichen Fall, dass mein Ableben eintreten sollte. Die Zwei kamen meinem Erbe am nächsten, schließlich waren sie die einzigen Abkömmlinge, die ich mein nannte.

      In der Stille der Morgendämmerung, als die ersten Strahlen des Sonnenlichts die dunklen Wolken durchbrachen, steuerten wir unser Ziel an. Das Reich des Schlangenclans, ein Land, dass die Überquerung eines vergessenen Winkel der Welt erforderte. Hinter den verlorenen Weiten der Landkarte, die fernab der ausgetretenen Pfade nur verstoßene Seelen bewohnten, lag ein prächtiges Königreich. Mit eben jenen heimatlosen Gestalten, die in keinem der Reiche ihren Platz fanden, erwartete uns ein Zwischenfall. Eine kleine Familie, verzweifelt und in Lumpen gehüllt, die es wagte, uns zu überfallen. Ihre Augen, getrübt von Hunger und Not, betrachteten uns als Beute, als ob sie die Verzweiflung selbst waren. Die Frau, zunächst ruhig und kontrolliert, verlor ihre Fassung, als ein leises Quietschen ihres Kindes, das sie fest auf dem Rücken trug, ihre furcht erfüllten Blicke enthüllte. In einem anderen Leben hätte ich sie vielleicht genährt, sie in meinen Dienst genommen. Das Kind an der Seite der Frau weckte mein Interesse. Es war nicht meine Art, Kinder zu bestrafen, sie stattdessen für niedere Aufgaben einzusetzen. Doch die Nachkommen von Verrätern mit dem kostbaren Geschenk der Zeit zu versehen, das war ebenfalls nicht mein Stil. Ich war der Herrscher über die Unsterblichkeit, doch mein Geschenk verteilte ich nicht leichtfertig. Der Mann, kein geborener Magier, doch in den Künsten der Alchemie hätte er vielleicht sein Glück gefunden. Doch in ihrer Verzweiflung hatten sie einen fatalen Fehler begangen. Ein Fehler, der sie nun auf andere Weise in meine Dienste stellen würde…
      So setzten wir unsere Reise fort, ein kleiner, aber mächtiger Trupp, der sich durch das Land der Schlangen bewegte, durch ein Reich voller Geheimnisse. Unsere Schritte waren leise, doch unser Einfluss war wie das Echo eines mächtigen Donners, der die Welt in ihren Grundfesten erschütterte. Wir zogen alle Blicke auf uns, bis wir schließlich den Hof erreichten und mit dem würdigen Respekt begegnet waren, der mir zustand. “Die Freude ist ganz meinerseits.” erwiderte ich dem Lord der Schlangen, während das Schmunzeln Kaels in meinen Augenwinkeln Präsenz hatte. “Keinerlei Zwischenfälle.” sprach ich die Gedanken des Blinden aus, ehe ich mich wieder dem Mann der Stunde widmete. Belanglosigkeiten wurden ausgetauscht, meine geistige Brillanz beinahe zu Tode gelangweilt, bis Shinja mir als Zeichen seiner Gastfreundschaft eine Dienerin vorführte. Eine für mich redundante Gebräuchlichkeit, die man so in unseren Reihen pflegte. Als würde mir nicht schon ein halbes Königreich zu Füßen liegen, die zitternden Lenden der Weiber nicht auf mein Kommando warten, um einen Nachfolger zu gebären. Die Fesseln der Fleischeslust, die die Vernunft trüben und den Geist ablenken, hatte ich abgelegt. Und doch… gewann die rote Mähne meine Aufmerksamkeit. “Anders Dahl, Schüler des Naturforschers Carl Linnaeus, der sich um die Erforschung der Flora verdient." kam es mir mit zur Seite geneigten Kopf in den Sinn, alsgleich meine Hand sich zu ihr streckte, sie als Stütze zum Erheben anbietend. Ein Automatismus, den ich in den Jahren entwickelt hatte, um mein Gegenüber in den Radius meines Talismans zu locken. Dem Lotusduft, den er versprühte, sagte man vielerlei Wirkungen nach. Auf die einen wirkt er wie ein sanftes Wiegenlied, einlullend und beruhigend, andere wiederum küsst das Licht der Morgensonne, das die Dunkelheit vertreibt und den Tag mit Vitalität erfüllt. Kurz gesagt handelte es sich bloß um einen Schutzzauber. Als mein Wunsch ihr Befehl war, ihre zarten Finger auf meine raue Handfläche traf, erntete ich einen misstrauischen Blick von Riven. Später erfuhr ich, dass mein Augenlicht leicht die Nuance gewechselt hatte. Durchaus ungewöhnlich für das übliche Ballett, bei dem jede Bewegung sorgfältig choreographiert schien. Allerdings wurde mir schnell bewusst, was die Anomalie erzeugte. Das Bankett war bereits in vollem Gange, als ich mit der Dame an meiner Ellenbeuge und meinen zwei Schatten hinter uns den Saal betrat. Es entfaltete sich in prächtigen Räumlichkeiten, desen hohe Decken von glitzernden Leuchtern gekrönt waren, die wie Sterne an einem samtigen Nachthimmel funkelten. Lange Tafeln, bedeckt mit strahlend weißem Leinen, bogen sich unter dem Gewicht von silbernen Platten, die mit den exquisitesten Speisen beladen waren. Zwischen den Gängen flanierten die Gäste, in Seide und Samt gekleidet, durch den Raum, ihre Stimmen ein summendes Meer von Konversationen, Gelächter und leisem Geschirrgeklirr. Diener, so leise wie Geister, bewegten sich geschickt zwischen den Tischen, füllten Gläser mit rubinroten Wein. Am Ende des Saales tobten Musiker mit Geigen und Flöten, ihre Melodien webten sich durch den Raum und vermischten sich mit den schnellen Schritten der Tänzer. Ein sanftes Nicken in die Richtung ließ das engelsgleiche Geschwisterpaar von meiner Seite weichen, um die Tanzfläche zu vereinnahmen. Ein Blinder, der herausragend tanzte, riss genügend Aufmerksamkeit auf sich, um mich zur Abwechslung in den Hintergrund zu rücken. Unbeobachtet genug, um auszusprechen, was mir auf der Zunge lag. “Ihr verabscheut mich.” flüsterte ich, ohne eine Miene zu regen, den Blick eisern auf die Darbietung gelegt. “Zarte Blüte, kommt nicht auf die Idee, mich zu belügen. Ich wandle länger auf diesem Planeten, als Ihr eure Abstammung rekapitulieren könnt. Die Mehrheit der Damen in eurer Position begegnen mir mit Ambivalenz oder Angst, einige hoffnungslose Fälle sehen in mir die Chance auf einen Aufstieg, wenn ich mich nur in ihren Lenden verlieren würde, doch Ihr…” ich wandte meinen Blick zu ihr. “Ihr versprüht eine geradezu elektrisierende Verachtung in meine Richtung.” Lächelnd sah ich ihr in die Augen, während meine Gesichtszüge in eine jüngere Version meiner selbst wechselten und das pechschwarze Haar, das zuvor lang über meine Schlüsselbeine fiel, zog sich bis zu meinem Nacken zusammen.

      A heart's a heavy burden.

    • Die Anspannung in der ganzen Halle schien greifbar zu sein, derart dicht war die Atmosphäre und ich selbst bildete da keine wirkliche Ausnahme, ganz im Gegenteil – ob es überhaupt jemanden gab, der nervöser war als ich? Schließlich war ich die einzige, die an diesem Abend wie Vieh zur Schlachtbank geführt werden würde. Jeder verdammte Schritt, den ich von Utaras Gemächern hier her in die Halle zurückgelegt hatte, hatte sich angefühlt, als würden Tonnen von Steinen an meinen Füßen hängen. Alles in mir sträubte sich das zu tun, was mir zugedacht war, doch es war ja nicht so, als würde ich eine andere Wahl haben. Es war meine Pflicht, es war ein Befehl meines aktuellen Fürsten – auch wenn ich Shinja kaum als meinen Fürsten anerkannte, natürlich nicht – aber wenn ich mich dem verweigerte, dann würde ich die Konsequenzen auch auf mich nehmen müssen. Shinjas Konsequenzen, wenn man sich seinem Befehl widersetzte und ihn vor einem anderen Fürsten blamierte, würden allerdings mit hoher Wahrscheinlichkeit wenig erstrebenswert sein. Als fügte ich mich ganz einfach dem was mir zugedacht worden war: Dem Lotusfürsten zu dienen. Zumindest war meine Selbstbeherrschung in den letzten Jahren sehr viel besser geworden, auch wenn ich mich genau dieser Aufgabe noch nicht einmal ansatzweise gewachsen fühlte. Da hätte der Fürst mich sehr viel lieber zu irgendeinen Auftragsmord ausschicken sollen, aber wenn man meiner Lehrmeisterin zuhörte, dann war ich immer noch gut ein Jahr davon entfernt, dass mir derartige Dinge anvertraut wurden. Also saß ich in Schlangenholm fest.
      Das Tor zur Halle war gut geölt und doch hörte man, wie die mächtigen Flügel über den Holzboden schabten, als es für die Gäste geöffnet wurde. Nun war es soweit. Ich schluckte, ballte die Hände im Innern meiner Kimonoärmel zu Fäusten, während ich darum rang weiterhin ruhig zu bleiben und mich zu verneigen. Es war alles andere als einfach, auch wenn man meinen konnte, dass ich mich in den letzten sechs Jahren daran gewöhnt hätte. Nicht, dass es am Hof des Wolfsclans keinerlei höfisches Zeremoniell gab – die meisten würden derartiges wohl kaum erwarten, galten wir doch als unzivilisiert und barbarisch – aber es war nicht derart strikt wie beim Schlangenclan und vor allem hatte ich mich zu Hause vor niemandem verneigen müssen. Schon gar nicht vor dem Erzfeind meines Clans. Vom kurzen Wortwechsel der beiden Fürsten bekam ich gar nicht so viel mit, es konnte mir auch egal sein. Sie würden kaum vor versammeltem Hofstaat irgendwelche nennenswerten Informationen austauschen. Erst als mein Name fiel, nahm ich meine Umgebung wieder wahr und tat genau das, was von mir erwartet wurde. Ich erhob mich, ging dann einige Schritte, nur um mich von meinem zeitweiligen Herrn abermals zu verneigen, vollkommen egal wie sehr mich die Geste an sich bereits abstieß. Ich sollte mich nicht vor einem Lotus beugen, niemals. Wir hatten viel zu viele Jahre vor ihnen im Staub gekrochen und dabei war es vollkommen egal, dass ich zum damaligen Zeitpunkt nicht einmal geboren worden war, der Groll war fest in mir verankert. Aber ich durfte ihn nicht zeigen, ich durfte um der Bäume willen nichts tun, um dermaßen offenkundig meinen Hass auszudrücken. Also schwieg ich, erwiderte nichts auf die Bemerkung des Lotusfürsten, weil ich schlicht nicht den Eindruck hatte, dass sie auch nur ansatzweise für mich bestimmt war. Erst als ich der Hand gewahr wurde, die sich in mein Blickfeld reckte, richtete ich mich wieder auf, ergriff die Hand – eine Geste, die ebenso viel Überwindung kostete als zu knien – und erhob mich, wenngleich ich den Blick noch immer gesenkt hielt. Letzteres änderte sich erst als er mir seinen Arm anbot. Nun denn. Es hatte nur einer einzigen Geste bedurft, die meine Rolle vollkommen änderte – eine Dienerin führte man nicht am Arm, zumindest nicht als Fürst, eine Frau, die einem Gesellschaft leisten sollte allerdings schon.
      Als ich an der Seite des Lotusfürsten den Bankettsaal betrat, hatte ich keine Ahnung, wo unter den Scherben meiner selbst ich den Stolz noch hervorgekramt hatte, den ich zur Schau stellte. Er war da, das wusste ich, aber in den letzten Jahren war er kaum benötigt worden. Trotzdem dosierte ich ihn vorsichtig, es durfte nicht zu viel Stolz werden, aber auch nicht zu wenig. Immerhin gab es neben mir nur noch eine einzige Frau, die am Arm eines Fürsten hing, weswegen es an und für sich nun einmal eine Auszeichnung war, egal wie unwillkommen und lästig. Zumindest musste ich lediglich schweigend neben ihm hergehen. Tja, bis zu dem Zeitpunkt, als sich seine beiden Gefolgsleute nach einem Nicken auf die Tanzfläche begaben und schier die ganze Aufmerksamkeit auf sich lenkten. Ein kluger Schachzug, um zu einem verbalen Angriff überzugehen. Es kostete mich meine gesamte Selbstbeherrschung und doch konnte ich nicht verhindern, dass ich minimal zusammenzuckte. Vermutlich reichte das, war Eingeständnis genug, dass er mit seiner Feststellung absolut richtig lag. Dabei hatte ich sorgsam darauf geachtet meine Abneigung hinter Gleichgültigkeit und Professionalität zu verbergen, doch entweder war er scharfsinniger als ein durchschnittlicher Mensch oder ich musste noch sehr viel mehr üben. Vermutlich einfach beides.
      „Genau genommen muss ich Euch auch nicht mögen um meinen Zweck zu erfüllen“, erwiderte ich ebenso leise. Er wollte die Wahrheit, er bekam die Wahrheit in diesem Fall. Unsere Blicke trafen sich, Rot auf violett, während sich das Antlitz des Fürsten vor meinen Augen veränderte. Er wurde jünger, sein Haar wurde kürzer und doch hatte ich weiterhin das Gefühl in Abgründe zu starren, die schon zahllose Welten aufsteigen und untergehen sehen hatten. Ein teil von mir war fasziniert von der Magie, die der Fürst da gerade vor mir demonstrierte, als würde er einen Handschuh anziehen – und vermutlich war es auch genau das. „Ich bin keine dieser Frauen, die sich Euch um jeden Preis an den Hals werfen möchten, wenn Ihr das nicht ausdrücklich wünscht.“ Das fing ja wirklich wunderbar an, so angenehm als hätte man in ein Nest voller Natter gefasst.

      "Fear of death is worse than the death itself"
      by Shuichi Akai

      "Lächle. Du kannst sie nicht alle töten."

    • Das sanfte Beben ihres Körpers war subtil. Ein Hauch, so leicht wie Morgentau auf einem Spinnennetz, dennoch entging mir die flüchtige Reaktion ihres Körpers nicht. Obwohl ihre scharfe Zunge Worte wie Dolche fliegen ließ, verriet ihre Körpersprache mehr, als ihr Mund je aussprechen würde. Sie war wie ein zartes Reh, das, eingekesselt vom Wolf, die Flucht erwog, sich aber der Unausweichlichkeit seiner Präsenz beugte. Trotzdem flackerte in ihren violetten Augen kein Funke der Angst und hielt meiner Nähe stand. Ich spürte ihren Puls in der sanften Umklammerung meines Arms, ein zartes Flattern, das mich an den Flügelschlag eines eingefangenen Vogels erinnerte. Ich würde meinen Spaß mit ihr haben. Ihre Abneigung, die ungezügelte Zunge, das vorlaute Mundwerk angesichts ihrer prekären Lage. Ein Leben wie ihres wäre innerhalb eines Fingerschnips beendet, ohne ein großes Tränenmeer nach sich zu ziehen. Nicht hier, nicht an einem Ort, wo sie niederer als das niederste Fußvolk stand. Eine Opfergabe, die man Fürsten wie mir zum Fraß vorwarf. Ein Verlust um ihre Schönheit, ihres Muts vielleicht, wobei es töricht war, diesen so offenkundig zu tragen, doch letztendlich verlangte ich die Wahrheit und erhielt sie. Braves Mädchen. Sie war nicht die Erste, die mir mit Widerwillen begegnete, ihren Hass auf die Welt und die Umstände, die sie in diese Lage brachte, kundtat. Sie würde auch nicht die letzte sein, der ich Manieren lehren würde, wenn es nötig wäre. Ob unter flehenden Wimmern, erregten Stöhnen oder dem Gurgeln des Blutes in den Tiefen ihrer Kehle, hatte noch kein Weib die Rebellion nicht niedergelegt. Diese Art von Frau war mir lieb. Löwen, denen man das Futter servierte, statt sie auf die Jagd zu schicken, verdummen mit der Zeit. Es war gegen ihre Natur, gegen ihre Instinkte. Schlicht und ergreifend langweilten mich die dutzenden Bediensteten, die versuchten, jeden Wunsch von meinen Lippen abzulesen. Wie Maschinen, die man lediglich zur Erleichterung meines Lebens programmiert hatte. Wo bleibt einem da der Spaß? Obwohl ihre Art mit mir zu sprechen von jedem anderen bestraft worden wäre, man ihr vermutlich die Zunge aus dem Mund geschnitten hätte, um ihren Fehler nicht wiederholen zu können, wollte ein kleiner Teil in mir ihren Hochmut belohnen. “Ich würde es mir niemals anmaßen, euch zu etwas zu zwingen, was nicht eurem Willen entspricht, meine Blüte.” Was natürlich nur die halbe Wahrheit war. Mir lag wenig daran, meine Macht an wehrlosen Kreaturen dieser Welt auszulassen, ohne dass ich einen Nutzen davon trug. Ohnehin geschah nie etwas, wonach die Frauen nicht insgeheim verlangten. Die Angst und der Respekt, ihre eigenen Gebieter mit den Diensten zufrieden zu stellen, drangen meist tiefer in ihre Köpfe, als es mir in der kurzen Zeit, in denen ich ihre Gesellschaft genießen konnte, möglich wäre.

      Für den Rest des Abends haftete das junggesellige Antlitz an meiner Haut. Eine Taktik, die nicht nur meiner weiblichen Begleitung galt. Als würden wir durch ein Meer aus Eis schreiten, fühlte ich jeden Blick der Anwesenden wie ein eiskalter Strahl, der versuchte, durch meine Rüstung zu dringen. Die frostigen Wellen der Aufmerksamkeit ließen mich unerschütterlich. Ich war es gewohnt, jedes Augenpaar im Raum auf mich gerichtet zu haben. Spätestens nach der Tanzeinlage meiner Untergebenen, die sich im tobenden Applaus hätten suhlen können, trat ich aus dem Schatten der Wahrnehmung wieder hervor. Die Luft im Saal schien zu vibrieren, gefüllt mit der elektrischen Spannung und dem flüchtigen Duft exotischer Blumen, die überall in opulenten Arrangements verteilt waren. Ich ließ meinen Blick schweifen, über die glitzernden Gewänder und die glänzenden Rüstungen, bis er schließlich auf Shinja fiel, den Schlangenfürsten. Mit einem Glas feinsten Weins in der einen und Dahlia an der anderen Hand, näherte ich mich ihm, die Ruhe selbst. Er war schon fast zu einer Art Freund, dessen Raffiness ich trotz unserer unterschiedlichen Welten schätzte, geworden. "Ich danke euch für die Einladung, Shinja.”, begann ich, meine Stimme so glatt und ruhig wie ein spiegelglatter See. “Doch heute Abend liegt mir mehr am Herzen als bloßes Vergnügen. Es scheint, als würde der Drachenclan seine Flügel weiter ausbreiten als üblich.” stellte ich fest, während mein Blick kurz über die Menge schweifte. ”Ihr Wachstum, sowohl an Macht als auch an Einfluss, wird zu einer Bedrohung für das Gleichgewicht unserer Reiche." Shinja, dessen Augen immer den Glanz verborgener Gedanken trugen, ließ sein Blick kurz über die Versammlung gleiten. Ein Diener trat heran, uns Nachschub an Getränken anbietend, doch ein einfacher Blick von mir genügte, und er zog sich zurück, als wäre er nie da gewesen. Shinja, dessen Aufmerksamkeit kurz abgewichen war, richtete seinen Blick wieder auf mich. Die Musik schwoll an, ein neues Stück begann, doch unsere Konversation, leise und doch geladen mit Bedeutung, setzte sich fort während um uns herum das Bankett in vollem Gange war. Wir diskutierten Möglichkeiten, Bündnisse und die Kunst der Kriegsführung, ohne jemals die Namen unserer Gegner laut auszusprechen. Als das Gespräch kurz zum Stehen kam, erhob ich mein Glas in einer stillen Geste des Respekts und der Anerkennung gegenüber Shinja. "Auf die Weisheit, die in der Stille liegt,! sagte ich, und mit einem letzten, tiefen Blick tauschten wir ein Verständnis aus, das jenseits von Worten lag. Die Herausforderung durch den Drachenclan war zwar groß, doch ich war überzeugt, dass der Lotus Clan unter meiner Führung blühen würde, wie er es schon immer getan hatte.
      A heart's a heavy burden.

    • Schon nachdem ich den Befehl erhalten hatte, was meine Aufgabe während des Besuchs des Lotusfürsten sein würde, war mir klar gewesen, dass es unglaublich schwierig werden würde. Allerdings hatte ich nicht erwartet, dass er meine wahren Emotionen, vor allem jene die seine Person betrafen, so unglaublich schnell durchschauen würde. Aber gut, in der Regel liefen Pläne nie so ab, wie man sich das vorstellte, weswegen es wichtig war flexibel auf die jeweiligen Umstände reagieren zu können. Vor allem wenn einen dermaßen unberechenbaren Gegenüber hatte, immerhin herrschte er sicherlich nicht ohne Grund bereits so lange über den Lotusclan. Dennoch lag es wenig in meinem Interesse mich von alleine der Tatsache, wer er war, was er symbolisierte, was er für meinen ganzen Clan darstellte, einschüchtern zu lassen. So viele Jahre im Schlangenclan hatten es nicht geschafft mich gänzlich zu brechen, da würde er das auch nicht schaffen. Mehr konnte ich mir nicht vornehmen, mehr konnte ich nicht einmal wirklich planen, dazu gab es viel zu viele Unwägbarkeiten. Immerhin hing ich gerade äußerst unfreiwillig am Arm der größten Unwägbarkeit von allen. Ich hatte vorerst keine andere Wahl als mich den aktuellen Umständen zu beugen, nicht wenn ich überleben wollte, nicht wenn ich meine Heimat wiedersehen wollte. Allerdings machte mich das nicht schwach – ich wartete nur auf den richtigen Moment um zuzuschlagen, auch wenn das eher ein Verhaltensmerkmal der Schlangen war. Meine Antwort, meine Erwiderung auf seine Worte war nicht das, was auch nur ansatzweise dem Anstand entsprach, sie war eher ehrlich – genauso wie er es verlangt hatte – denn diplomatisch geschickt. Beinahe konnte ich Utaras strafenden Blick in meinem Nacken spüren, wie immer wenn ich mich viel zu impulsiv benahm, viel zu wenig wie eine Geisha. Geishas waren nicht impulsiv, sondern perfekt. Ein Teil von mir erwartete, dass ich es nach den ersten fünf Minuten tatsächlich geschafft hatte mir seinen Zorn zuzuziehen. Ernsthaft, war das nicht immer so? Die hohen Herren erwarteten die Wahrheit, die gefiel ihnen nicht und dann durften es jene ausbaden, die unter ihnen standen. Seine Erwiderung hätte mich fast lachen lassen. Nur zehn Jahre des Überlebens unter Schlangen, zehn Jahre Übung in Selbstbeherrschung bewahrten mich davor einen derartigen Fehler zu begehen. Stattdessen neigte ich leicht das Haupt. Was für ein Possentheater.
      „Wie überaus großzügig von Euch, Herr“, bekundete ich meinen Dank, mehr geheuchelt als alles andere, schluckte den Sarkasmus, der mir auf der Zunge lag, wieder hinunter. Der war ziemlich fehl am Platz, fiel nicht unter jene Werkzeuge, die beim Überleben förderlich waren. Immerhin wusste ich, dass seine Aussage der reinste Schwachsinn war – wer mit so viel Macht würde das nicht auch nutzen? Wen mit so viel Macht scherte es, was seine Untergebenen wollten? Sicherlich nicht den Lotusfürsten. Derartig viel Menschlichkeit sprach ich ihm schlicht nicht zu. Nicht nach allem was ich im Laufe der Jahre über ihn gehört hatte, nicht nach allem was er getan oder zumindest veranlasst hatte.

      Auch nachdem die Aufmerksamkeit wieder zum Fürsten gewandert war, blieb ich natürlich weiterhin das das hübsche Anhängsel an seiner Seite, während wir durch den Saal schritten. Nicht wenige feindselige oder verachtende Blicke trafen mich, vor allem von anderen Frauen, die nur zu gerne meinen Platz eingenommen hätten. Ah, wie unglücklich, dass ich so unglaublich gerne tauschen würde, weil es eine sehr viel angenehmere Vorstellung wäre, den Abend mit Vetkin zu verbringen als die mir zugedachte Aufgabe zu erfüllen. Doch selbstverständlich war das kaum möglich. Bedauerlicherweise hatte Fürst Shinja mir nicht einmal mitgeteilt, wie lange der Lotusfürst zu bleiben beabsichtigen würde. Eine zusätzliche Unwägbarkeit, ehe ich wieder in meinen Alltag entlassen werden würde. Das war besser, viel besser als das hier und das obwohl wir bisher nur vier Sätze gewechselt hatten. Vier Sätze zu viel. Wie lange es dauerte, bis er mich zielstrebig auf Shinja zuführte, wusste ich nicht, zumindest hatte ich tatsächlich weder etwas sagen noch etwas tun müssen, schon gar keine weitere Unterhaltung führen. Ein Glück.
      „Ich freue mich, dass Ihr sie angenommen habt“, erwiderte Shinja, ehe sich seine Aufmerksamkeit gänzlich auf seinen Gesprächspartner fokussierte, während ich daneben stand, den Blick gesenkt hielt und mich fragte, wo sich eigentlich meine Lehmeisterin herumtrieb. „In der Tat. Wenn man dann die Gerüchte bedenkt, das der Drachenclan beabsichtigt sich mit den Wölfen zu verbünden, wäre das eine nicht zu missachtende Allianz.“ Ich sollte zuhören, ich sollte definitiv zuhören, auch wenn ich nichts an Informationen, das ich erlangte, in irgendeiner Weise nützlich verwerten konnte. Ich war keine Spionin, ich war nur eine Gefangene ohne auch nur die kleinste Verbindung nach außen. Trotzdem waren Informationen ungemein wichtig und vielleicht würden sie irgendwann später einmal nützlich sein. Also hörte ich zu, lauschte den Strategien, auch wenn ich zugeben musste, dass ich die Hälfte davon nicht einmal verstand. Ich hasste meine Wissenslücken so sehr. Wissenslücken, die ich nicht haben sollte, eigentlich nicht haben durfte. Aber sie waren da.
      Just wenige Augenblicke später, als der Lotusfürst sein Glas hob und einen Trinkspruch anbrachte, trat Vetkin an Shinjas Seite, verneigte sich knapp und ich versuchte nicht daran zu denken wie verdammt gut er heute Abend aussah.
      „Verzeiht die Störung, mein Fürst. Allerdings gibt es Neuigkeiten bezüglich des morgen ankommenden Transports“, erklärte der General den Grund, dass er das Gespräch sozusagen unterbrach. Fast schon könnte ich Mitleid haben, aber eben nur fast. Und was für ein Transport?
      „Bitte entschuldigt mich für einen Augenblick.“ Shinja winkte Vetkin ihm zu folgen, wohl um ihm in Ruhe Bericht zu erstatten. Und schon wieder war ich mit dem Lotusfürsten alleine.

      "Fear of death is worse than the death itself"
      by Shuichi Akai

      "Lächle. Du kannst sie nicht alle töten."