Das Leben als Zombie?
Man könnte fast glauben, dass es ein sorgloses war. Völlig geistesabwesend durch die Gegend schlurfen und Menschen anfallen, bis einem jemand irgendwann den Schädel wegpustet.
Yuma war aus irgendeinem Grund keiner dieser hirnlosen Untoten, aber sein Leben war durchaus sorglos. Es war kaum ein Unterschied zu seinem bisherigen Leben. Anfangs jedenfalls. Er hatte Strom, fließend Wasser und sogar Internet. Und das vollkommen umsonst, denn es gab niemanden mehr, der ihm Rechnungen schickte. Königlicher ließ es sich also kaum leben. Wäre da nicht die Sache mit dem Hunger und dem Appetit auf Hirn. Abstoßend. Er konnte früher schon nicht nachvollziehen, wieso es Menschen gab, die sich Delikatessen wie Herz, Leber und Hirn schmecken ließen. Yuma hatte versucht ein ganz normales Leben als Mensch zu führen. Er hatte es wirklich versucht. Doch seine liebsten Schokoriegel mit süßem Karamel und Erdnüssen war enttäuschend unbefriedigend. Es war zum Heulen, nur das Yuma nicht weinen konnte, selbst wenn er wollte. Angetrieben von einer unerschöpflichen Ausdauer musste er also nie auf Klo und schlafen tat er auch nie wirklich. Kein Wunder, dass selbst die sportlichsten Typen den unnachgiebig folgenden Zombies zum Opfer fielen, wenn sie nie müde wurden.
Irgendwie ein sehr entspanntes und cooles Leben. Allerdings auch sehr einsam. Yuma war alles andere als schüchtern und knüpfte schnell neue Kontakte. Nicht jeder war sein Freund, aber er hatte auch keine Feinde. Nun war er jedoch der einzige verdammte Zombie mit einem Gehirn im Kopf, statt in seinem Magen. Das Stöhnen und Grunzen seiner Artgenossen ergab keinen Sinn und Menschen würden ihn ohne zu zögern umnieten. Wenn die Menschen nicht damit beschäftigt wären sich Schutz vor ihnen zu suchen und auch im Online-Game-Universum keiner mehr zum Abhängen war, schrumpfte Yuma's Kontakt zu anderen innerhalb der letzten 2,5 Jahre auf Null. Die Menschen hatten es sogar geschafft, das Internet großflächig zu schrotten. Auch Strom hatte Yuma irgendwann nicht mehr, sodass er sich fast ins Mittelalter zurückversetzt fühlte.
Deshalb verließ er seine Wohnung im 9. Stock und zog hinaus in die Welt. Zombies interessierten sich nicht für ihn, spazierten an ihm vorbei oder aßen genüsslich frisches Menschenhirn von armen Trotteln, die noch hier umherirrten. Es würde Yuma nicht wundern, wenn bescheuerte Halbstarke Mutproben daraus veranstalteten, raus zu gehen und einem Zombie den Schädel mit einem Baseballschläger zu zertrümmern. Solche Idioten gab es schon immer und wird es auch immer geben. Dabei rotteten sich die Zombies oft zu einer Herde zusammen. Nicht, weil sie dachten, dass sie im Rudel stärker waren, dazu fehlte ihnen einfach die Intelligenz. Viel mehr lag es daran, dass sie von irgendetwas - wie einem gut riechenden Menschen - angelockt wurden und danach eben sabbernd nebeneinander herliefen. Yuma hielt sich von diesen Rudeln fern, denn sie waren gefundenes Fressen für bewaffnete Menschen und außerdem sowieso keine gute Gesellschaft.
Außerhalb der Stadt, wo es sich etwas ländlicher lebte, fand Yuma ein hübsches Häuschen, in das er sich einquartierte. Es hatte Photovoltaikanlagen auf dem Dach und versorgte sich somit selbst mit Strom! Praktischerweise wurde auch das Wasser elektrisch erhitzt, weshalb er sich wieder regelmäßig eine entspannte Dusche oder sogar ein Bad genehmigen konnte. Hier muss wohl ein komischer Kauz gelebt haben, denn es gab mehrere Regentonnen im Garten, die das Haus mit Wasser versorgte. Internet hatte er hier zwar nicht, doch daran hatte er sich inzwischen gewöhnt. Er las Bücher, spielte gegen sich selbst Schach oder starrte Löcher in die Luft.
Wie öde..
Er konnte nicht zu den Menschen, aber sollte er sein Leben nun noch 10, 20 oder 30 Jahre so fortführen? Noch nie hatte Yuma auch nur ansatzweise darüber nachgedacht Suizid zu begehen, aber wollte er hier verfaulen? Doch anstatt sich selbst zu bemitleiden und Trübsal zu blasen, entschloss er sich dazu, einfach durch die Welt zu ziehen. Wer konnte schon durch Japan spazieren ohne müde zu werden? Einfach ein wenig von der Welt sehen. Bisher war er nie weit weg von seiner Heimatstadt. Auch jetzt brauchte er vielleicht höchstens 3 Stunden zu Fuß nach Hause.
Nach einer stärkenden Mahlzeit - man möge ihm verzeihen einen armen Straßenköter in die Falle gelockt zu haben - nahm er noch eine Dusche. Hunde und Katzen vermehrten sich wie Ratten in der freien Natur. Einmal hatte sich sogar ein Reh in seine Falle verirrt. Er fühlte sich schäbig, doch es erschien ihm moralischer, als über Menschen herzufallen.
Mit einem Rucksack voller Kleidung und anderen nützlichen Dingen, wie einem Seil, einem Taschenmesser und so'n Zeug, marschierte er los. Was sollte schon passieren? Früher oder später würde er ohnehin sterben. So war das Leben. Aber wer hatte schon die Chance sein Leben wirklich sorgenfrei so zu leben, als wäre jeder Tag der letzte? Ein Mensch jedenfalls nicht. Zu gefährlich. Durch sein Verhalten würde er zumindest nicht sofort als Zombie auffliegen, auch wenn seine Haut noch blasser war, als vorher. Auch seine aschblonden Haare waren mit der Zeit blasser geworden. Das seine Haare nicht wuchsen - weder auf seinem Kopf, noch sonst wo - sah er auch als großen Vorteil. Man musste doch schließlich immer das positive sehen, oder nicht?
Lediglich die Bisswunde an seinem rechten Unterarm war lästig, da sie noch deutlich zu sehen war. Sein Mitbewohner kam sturzbetrunken nach Hause - so sah er jedenfalls aus - und hatte es gerade so auf die Couch geschafft. War nicht das erste Mal, dass er dort lag. Doch als Yuma sich einen Snack holen wollte - es war so gegen 4 oder 5 Uhr rum - stürzte er sich wie ein Irrer auf Yuma und biss ihn. Das war verdammt schmerzhaft. Yuma konnte ihn mit einem Stuhl fernhalten und schloss sich in seinem Zimmer ein. Kauerte stundenlang an der Tür, an die sein Mitbewohner hungrig kratzte. Dann war plötzlich Stille. Yuma kam aus dem Zimmer und blickte in die leeren Augen seines Mitbewohners, der sich nicht mehr für ihn interessierte. Das er sich in einen von ihnen verwandelt hatte, checkte er erst später.
~ ♦ ~ Die Freiheit der Phantasie ist keine Flucht in das Unwirkliche; sie ist Kühnheit und Erfindung. ~ ♦ ~
- Eugene Ionesco
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