If We Don't Lie (Kiimesca & Minamimoto)

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    • If We Don't Lie (Kiimesca & Minamimoto)

      Vorstellung
      @Minamimoto


      Mit so einem Ereignis hätte niemand rechnen können. Dem Auftauchen der Anomalien. Und doch schien Aaron Alister bestens darauf vorbereitet zu sein. Ein junger Mann, der kaum Gefühlsregungen zeigte und alles auf Anhieb zu beherrschen schien. Ganz egal, ob es dabei um theoretisches oder praktisches Können ging. In der Schulzeit glänzte er mit einem glatten Einser Zeugnis. Auch jede Sportart meisterte er in einem unnatürlichem Tempo. Selbst bei der Musik gab es keine Grenzen. Von Erwachsenen wurde er oft Genie genannt. Ein Alleskönner eben. Von seinen Schulkameraden wurde er jedoch als Streber bezeichnet. Seine ruhige und kühle Art machte ihn zu einem arroganten Multitalent, dass auf andere herabzusehen schien, denn er gab sich nie mit anderen ab. Er war ein Einzelgänger.

      Aaron überraschte es nicht, dass er auch in der High School die Aufmerksamkeit anderer Mitschüler auf sich zog. Bei den Mädchen kam er gut an, wobei seine unnahbare Art jedes einzelne Herz brach. Bei den Jungen traf er auf Groll. Ob sie nun neidisch waren oder einfach nur seine Art nicht mochten, spielte dabei keine Rolle. Er blockte einfach alle Versuche ab, wenn andere versuchten ihm näher zu kommen. So wurde er schnell vom coolen Typen zum arroganten Schnösel, denn je älter er wurde, desto mehr seiner Mitschüler kannten den Namen seiner Familie.
      Sie soll ziemlich wohlhabend sein. Er bildet sich etwas darauf ein, weil er reich ist. Er hält sich für etwas besseres. Warum geht er nicht auf eine Schule für reiche Kids?
      Das und viele andere Dinge tuschelte man hinter seinem Rücken, wobei einige sich sogar trauten, es ihm ins Gesicht zu sagen. Doch was tat Aaron? Er ignorierte sie. Sein widerwärtiger Stolz brachte immer mehr Mitschüler dazu ihn zu hassen. Aber er wehrte sich nie und suchte auch nie die Hilfe von Lehrern oder seinen Eltern. Als wäre es ihm vollkommen gleichgültig, wenn er gemobbt oder verprügelt wurde.
      Aaron weinte nie. Er wurde nie wütend. Er jammerte nicht. Und er lachte auch nie. Sein Blick erschien leer, doch er war immer bei voller geistiger Anwesenheit. Seine Augen sahen nicht durch einen hindurch, sondern blickten furchtlos, aber auch empathielos in die Augen seines Gegenübers.

      Das hatte sich bis heute nicht geändert. Im Militär, dem er nach seinem Schulabschluss beigetreten ist, stieß er auf etwas weniger Groll. Einige hielten ihn noch immer für arrogant, aber einige bezeichneten ihn auch als 'einen Killer'. Er war kein Psycho und man musste nicht um sein Leben fürchten, aber jeder wusste, dass Aaron nicht zögerte, zutun, was getan werden musste. Das seine Kameraden also gerne Späße darüber machten, dass er wie geboren für die Bekämpfung der Anomalien zu sein schien, war zu erwarten. Allerdings war Aaron ein ganz gewöhnlicher Mensch und ebenso unfähig die Anomalien effektiv zu bekämpfen, als seine Kameraden. Freiwillige zur Verstärkung zu rufen, erschien vielen völlig wahnsinnig. Was sollte so ein Bürohengst schon gegen einen Feind wie diesen ausrichten? Aber welche Wahl hatten sie?
      Niemand würde diese Amateure einfach so in den Kampf schicken. Damit das alles auch einen Sinn hatte, verteilte man die Freiwilligen möglichst gleichmäßig auf die erfahrenen Kämpfer. Im zarten Alter von 26 galt man nicht unbedingt als erfahren, doch bei Aaron war eben nichts normal.

      Mit den Händen über dem Steißbein, stand er stramm vor seinem Vorgesetzten und dem Frischling.
      "Alister, das ist Ridley. Zeig ihm, wie man mit den Anomalien fertig wird."
      "Ja, Sir." Seine Stimme klang wie damals schon recht monoton. Er war nie zu leise oder zu laut. Nie aufgebracht oder verängstigt. Manche scherzten deshalb gern, dass er ein Roboter wäre.
      Was seinen Partner anging, so wusste Aaron ganz genau, wen er da vor sich hatte. Mo Ridley. Einen der schlimmsten Raufbolde der Schule, der Aaron ganz besonders auf dem Kieker hatte. Der Braunhaarige wandte sich dem jungen Mann zu und sah in seine Augen. Genau so, wie er es damals schon immer getan hatte. Er fürchtete Mo nicht. Das hatte er noch nie. Aber er wirkte auch nicht genervt oder nervös. Aaron hatte sich zu damals kein Stück verändert. Er war höchstens noch besser in allem, was er tat. Vor allem im Kampf.
      "Wie gut kannst du kämpfen, Ridley?", fragte er, noch immer mit den Händen auf dem Rücken und der Haltung eines gehorsamen Soldaten.
      "Die Anomalien sind unempfindlich gegen unsere Waffen. Es gibt kaum Möglichkeiten ihnen zu schaden. Sie sind schnell und wirken beinahe immun gegen Schusswaffen. Größere Kaliber haben manchmal mehr Erfolg, aber wir können nicht wie wild mit Raketen um uns schießen. Auf Distanz können sie kaum etwas anrichten, deshalb sind sie im Nahkampf am gefährlichsten. Aber genau deshalb, können wir uns das zu Eigen machen. Sie kommen von selbst auf uns zu, also müssen wir nichts weiter tun, als sie im Nahkampf zu besiegen. Folge mir."
      Aaron führte den Neuzugang ins Lager, wo er sich für ihren ersten Einsatz rüsten sollte. Es lag neben einer Uniform, bei der man auf kugelsichere Westen inzwischen verzichtete, da sie bei diesem Gegner überflüssig waren, noch einige Waffen für ihn parat. Neben den speziellen Schusswaffen befand sich auch ein Schwert, da sich diese als recht nützlich herausgestellt hatten, sofern man damit umgehen konnte.
      "Such dir aus, was immer du möchtest. Frage dich nicht, welche Waffe am effektivsten sein könnte. Die effektivste Waffe ist die, die gekonnt benutzt wird. Eine Waffe, mit der man nicht umgehen kann, wird nicht mehr als Glückstreffer landen."
      Aaron trug sowohl ein Schwert an der Hüfte, als auch eine der speziell zur Bekämpfung von Anomalien entworfenen Pistolen. Zusätzlich hatte er auch eine spezielle Schrotflinte in einem Holster am Oberschenkel, die ebenfalls für kürzere Distanzen geeignet waren. Da er seine Ausrüstung schnell zusammen hatte, schnallte er sich bereits einen Rücksack auf den Rücken, indem sie neben etwas Proviant und nützlichen Werkzeugen auch Erste Hilfe Sets und Munition mit sich tragen konnten.
      ~ ♦ ~ Die Freiheit der Phantasie ist keine Flucht in das Unwirkliche; sie ist Kühnheit und Erfindung. ~ ♦ ~
      - Eugene Ionesco

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    • Mit einem Mal ging alles ziemlich flott.
      Mo stand im Büro des Offiziers, kerzengerade und angespannt. Er könnte schwören, dass es dasselbe Büro von damals war -- das, oder die sahen eben alle gleich aus. Er verkniff sich das Grinsen, als der Offizier genauso steif nickte. "Sie sind an Bord, Ridley." Eine Genugtuung war das; einst abgelehnt, im selben Büro (oder eines, das genauso aussah) und nun waren sie doch auf seine Hilfe angewiesen.

      Gestern erst hatte Mo den Flyer aufgehoben, nachdem der Stapel vom Thresen umgekippt worden war, gegen den er selbst geschubst worden war. Schließ dich dem Kampf an! Beschütze deine Heimat! hatte der Titel gelautet, aber Mo hatte nicht viel Zeit dafür gehabt, sich über diesen lächerlich patriotischen Klang der Wortwahl lustig zu machen. Der Flyer landete zusammengeknüllt in der Vordertasche seines Hoodies, während er mit seiner Rechten bereits ausgeholt hatte, um sich an demjenigen zu rächen, der ihn eben noch geschubst hatte. Über der Bar hatte der alte Röhrenkasten die Nachrichten über ein neues Anomalievorkommen abgespielt, aber dem hatte seit dem Ausbruch der Kneipenschlägerei auch keiner mehr Beachtung geschenkt.
      Prügeln. Das war etwas, das er schon immer gut gekonnt hatte. Vielleicht sogar sein einziges echtes Talent, wenn man von einem solchen sprechen und sofern man Videospiele und Saufen nicht dazu zählen wollte.
      Es gab sogar mal eine Zeit, in der Mo ganz schön stolz auf seine Stärke gewesen war. Andere Kinder schrieben gute Noten, na und? Die nützten ihnen auf dem Schulhof auch nichts mehr. Oder im echten Leben. Hatte er geglaubt.
      Inzwischen war ihm das ganz schön unangenehm. Er dachte nicht gerne an die Schulzeit zurück, obwohl er da wenigstens nicht alleine gewesen war. Heute wusste er, dass seine Freundschaften aus Sicht seiner Kameraden nichts mehr waren als ein Schutzversprechen, eines, das er ihnen gegeben hatte, ihnen weder das Geld zu stehlen, noch sie zu verprügeln. Aber heute gab es keinen Schulhof mehr, auf dem er anderen Kindern Angst einjagen konnte.
      Und wer sah schon gerne ein, dass nicht etwa der stolze Streber der Versager war, sondern er selbst, der die anderen als solche bezeichnet hatte?

      Beachtet hatte Mo den Flyer erst wieder, als er auf seiner Couch zur Ruhe gekommen war und eigentlich in seiner Tasche nach einem Taschentuch gesucht hatte, mit dem er sich die blutende Nase hätte trocknen können.
      Zur Ruhe kommen -- welch eine zynische Beschreibung, bedachte man, dass in Mos Leben nicht viel Unruhe herrschte, abgesehen von der, die er sich selbst zuzuschreiben hatte. Er stand auf, wann er wollte; manchmal blieb er auch den ganzen Tag im Bett. Ansonsten verbrachte den Tag über auf der Couch und sah Fern, zockte an seiner Playstation und abends ging er in die Bar.
      Das wars. Das war sein Leben.
      Ausbildungen hatte er abgebrochen. Von Aushilfejobs wurde er recht schnell wieder gefeuert. Im echten Leben einem Fight Club wie im Film beizutreten erwies sich als schwieriger als erträumt.
      Mo hatte den zerknitterten Flyer aufgefaltet und wischte sich das Blut von der Nase eben am Ärmel ab. Er war beschissen in Rechenaufgaben, aber er war nicht dumm. Der Flyer predigte von Ruhm und gloreichen Siegen, aber es war eine Selbstmordmission. Die Armee konnte nichts gegen die Anomalien ausrichten; Städte waren teilweise schon zertrampelt worden, ohne dass irgendetwas dagegen hätte getan werden können. Beschütze deine Heimat! Ja, klar. Aber sie versprachen gutes Geld. Geld, das Mo ziemlich gut gebrauchen konnte. Und abgesehen davon; was hatte er schon zu verlieren?

      Mos Leben war seit seinem Abschluss an der Highschool dahin geplätschert und verlief nun auf einmal rasend schnell. Der Offizier nickte seinem Kollegen an der Tür zu, diese wurde geöffnet und das Zimmer betrat einer der Soldaten.
      Er kam ihm bekannt vor, dachte Mo, auch wenn er noch nicht genau wusste, woher. Aber er sah cool aus in seiner Uniform und dem eisernen Blick. Mo sah sich förmlich selbst schon genauso aussehen wie er. Ein Gedanke, den er gleich im nächsten Moment bereuen sollte.
      "Alister, das ist Ridley.", sprach der Offizier und Mo erfror das Blut in seinen Adern. Alister wie in... Aaron Alister? Der elende Streber, der auf dem Schulhof die meisten Schläge von ihm hatte einstecken müssen?
      Nein, konnte nicht sein. Jaja, er kam ihm bekannt vor und irgendwie... sah er ihm auch ganz schön ähnlich. Aber was sollte der Überflieger schon bei der Armee wollen? Hinter einem Bankschalter konnte er ihn sich viel besser vorstellen oder in einem Büro unter Akten begraben.
      Alister drehte sich zu ihm um und Mo erstarrte nur noch mehr. Sein Gegenüber sah ihn mit demselben Ausdruck an, sprach ihn mit derselben kühle Stimme an und fegte alle Zweifel davon. Das war er. Das war Einsteins Zombie, wie er ihn damals gerne genannt hatte. Sollte eine Anspielung an Frankensteins Monster sein; Einstein, weil er ein Nerd war und Zombie aufgrund seines starren Ausdrucks, der kein Leben hinter dieser emotionslosen Miene vermuten ließ.
      Einste-- Aaron fragte ihn, wie gut er kämpfen konnte und Mo entfloh ein ungläubiges Prusten. Hatte er ihn vergessen? Erkannte er ihn wirklich nicht? Denn wenn es etwas gab, das Aaron von ihm wissen sollte, dann, dass er sehr gut kämpfen konnte. Sport war sein bestes -- sein einzig gutes Fach gewesen. Er hatte die Kendo-AG besucht und außerschulisch sich an reihenweise anderen Kampfsportarten ausprobiert -- und war an Kickboxen hängen geblieben, bis das Geld für die Vereinssumme gefehlt hatte. Ach; und er sollte das ganz gut an seinem eigenen Leib gespürt haben, dass er recht gut kämpfen konnte.
      "Ganz passabel, nehme ich an, Alister.", antwortete Mo und ließ seine Stimme sarkastischer klingen als er ursprünglich vorgehabt hatte, war einfach so aus ihm herausgesprudelt. Doch Aaron erklärte ihm so professionell und monoton wie eh und je die Situation und bedeutete ihm dann, ihm zu folgen. Mo blieb währenddessen... die Sprache im Hals stecken. Wie automatisch ballte sich seine Hand zu einer Faust, auch wenn er nicht vorhatte, seinem... seinem Partner eine reinzuwürgen. Die Tage waren vorbei, das tat er nicht mehr. Jedenfalls nicht ohne Grund. Trotzdem fühlte er sich schlagartig wie früher. Wütend. Und zeitgleich mit so vielen Fragen im Kopf. Wieso er hier war, wieso hier und wieso er und warum er ihn nicht ansprach oder abwies und einen neuen Partner verlangte. Ebenso fragte Mo sich, wieso er selbst keinen neuen verlangt hatte, aber nun stand er mit dem Zombie schon im Lager und seine Aufmerksamkeit wurde auf das Hier und Jetzt gelenkt. Sein Gegenüber hielt ihm erneut eine Predigt, diesmal über Effizienz und Mos Körperhaltung spannte sich abermals beim Klang seiner Stimme an. Wenigstens konnte er sich gerade noch so davon abhalten, die Kinnlade fallen zu lassen und all die Fragen aus sich raussprudeln zu lassen, die er sich stellte.
      Der Einstein erkannte ihn nicht?
      Gut. Dann erkannte Mo ihn eben auch nicht.

      Sein Blick fiel kurz auf einen Bogen mit Köcher, doch auch wenn er die Haltung von Bogenschützen allgemein als sehr attraktiv empfand, wandte er sich doch lieber dem Schwert zu. Auch wenn er es gerne anders hätte -- Mo war letztendlich doch eher derjenige, der sich Hals über Kopf in den Nahkampf stürzen würde. Zumal er mit dem Schwert einigermaßen umzugehen wusste. Auch wenn es ein paar Jahre her war.
      "Habt ihr die Teile aus einem Videospiel geklaut?", fragte er spöttisch, als er das Schwert von der Wand nahm. Seine Klinge war breiter als eine gewöhnliche, war schwerer als es aussah und sah absolut nicht aus wie eine Waffe, die er dem Militär zuordnen würde. Mo hob es ein paar mal hoch und senkte es wieder, um sich an sein Gewicht zu gewöhnen. Er würde es schwingen, aber dafür war der Raum zu schmall. Und er wollte nicht gleich ganz aus Versehen seinen Partner verwunden.

      "Hast du das schon mal gemacht? Gegen die Dinger gekämpft, meine ich." Widerwillig warf er wieder einen Blick auf den anderen und spürte, wie Nervosität in ihm aufstieg, als er Aaron so vollgepackt und bereit zum Aufbruch sah. Wie ein echter Soldat eben. So einer, wie er selbst mal hatte werden wollen, als er noch nicht geglaubt hatte, er würde mal als Futter für merkwürdige Monster enden. Oder Fußabtreter.
    • Aaron reagierte nicht auf seine spöttische Frage. Wie zu erwarten. Niemand hatte Mo dazu gezwungen hier zu sein. Wenn er das hier nicht ernst nahm, würde er seinen heutigen Einsatz wohl nicht überleben. Und selbst wenn, waren seine Chancen eher gering. Diese Anomalien schlug man nicht mit ein paar Faustschlägen in die Flucht.

      Langsam drehte sich der Braunhaarige zum anderen um.
      "Ja. Ein paar mal." Durch den Klang seiner Stimme wirkte es immer so, als hätte Aaron diese Kämpfe mit Leichtigkeit gewonnen.
      Er betrachtete Mo kurz und ging einen Schritt auf ihn zu.
      "Du hast nur ein Leben. Es gibt keinen Restart nach einem Game over. Wild auf die Knöpfe drücken bringt dir auch keinen Sieg."
      Obwohl Aaron klar war, dass Mo kaum einen Nutzen in diesem Kampf hatte, schwieg er darüber. Das hier war weder der Schulhof, noch eine Kneipenschlägerei. Prügeln konnte man nicht mit Kämpfen vergleichen. Prügeln war impulsiv und nur selten strategisch. Eine Anomalie war kein Streber, den man zusammenschlagen konnte.

      Nachdem Mo sich umgezogen und ausgestattet hatte, brachen sie auf. Aaron fuhr einen eher unauffälligen Wagen, als wäre die beiden ganz gewöhnliche Menschen und keine Soldaten, die gleich um ihr Leben kämpften. Dieser Riss war vor ein paar Stunden erschienen. Draußen war die Situation erstmal unter Kontrolle.
      "Alister! Jetzt kann ja nichts mehr schief gehen", meinte ein Soldat, der nur ein paar Jahre älter war und grinste dabei.
      Eine Frau mit Pferdeschwanz kam auf die beiden zu. Sie war ebenfalls etwas älter, wirkte jedoch genau so touph wie Wilson. Der Name auf ihrer linken Brust lautete James.
      "Alister. Schwing deinen Arsch endlich da rein", sagte sie und besorgte sich Munitionsnachschub am Wagen. Wilson betrachtete dabei den viel hübscheren Arsch von James, während er sich lässig streckte.
      "Hey, Neuer. Was meinst du? Ist sie lesbisch oder steht sie auf Kerle?"
      "Frag sie einfach nach einem Date. Mehr als Nein sagen, kann sie nicht."
      Das war möglicherweise das erste Mal, dass sein ehemailiger Mitschüler erleben durfte, wie Aaron tatsächlich an einer sozialen Interaktion teilnahm. Genauer betrachtet sogar das zweite Mal, hatte er vorher schon Bezug auf seine Aussage mit den Videospielen gemacht. Dennoch wirkte er dabei noch immer arrogant. Wilson schmunzelte allerdings und klopfte Aaron freundschaftlich auf die Schulter.
      "Stirb nicht da drin, klar? Du schuldest mir noch eine Revanche."
      "Ja." Mit diesen knappen Worten wandte er sich schließlich wieder seinem Partner zu.
      "Die beiden halten hier draußen die Stellung, um die Zivilisten zu schützen. Unsere Aufgabe ist es, da reinzugehen und die Quelle zu finden. Sobald du drin bist, könnte dir etwas schwindelig werden. Das vergeht schnell wieder, wenn du dich an die Atmosphäre gewöhnt hast", erklärte Alister auf dem Weg zum Riss. Dann ging er hindurch und sah sich um.
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      - Eugene Ionesco
    • Wie gesagt, es ging alles super schnell. Fast wie bei einer Achterbahnfahrt. Kaum sitzt man drin, ist auf dem Weg nach oben, gibts kein zurück mehr. Super merkwürdiges Gefühl. Auf seinen so gut wie sicheren Tod zu zu steuern und anstelle umzukehren, schlug man sich mit einem alten Schulkamerad rum, der immer noch derselbe arrogante Zombie war wie vor Jahren. Er war nur älter geworden.

      Es gab keinen Spiegel im Lagerraum, was bedauerlich war. Mo hätte gerne gesehen, wie er aussah in der Uniform, das Schwert über seinen Rücken gespannt, Lederriemen um seine Beine verstauten zusätzliche Messer und sogar eine Pistole hatte er bekommen. Mo hatte noch nie in seinem Leben geschossen und wahrscheinlich war das sogar gut so. Dass er trotzdem einfach so eine Schusswaffe bekam, bewies nur ein weiteres Mal, wie aussichtslos diese Lage war. Und immer noch nicht kehrte er um.
      Jedoch nahm seine Nervosität ab. Das merkwürdige Gefühl blieb; allgemein passierte gerade alles zu schnell; seine Aufnahme, Ausstattung, dass sein Partner ausgerechnet sein größter Feind in der Schule war... Vielleicht hatte Mo einfach keinen Platz mehr für Nervosität.

      Sie fuhren auf einen abgesperrten Platz; was lächerlich war. Wäre eine Anomalie bereits aus dem Riss gekommen, was sollten ein paar dämliche Absperrungshütchen und ein bisschen rot-weißes Band da schon noch bewirken?
      Die beiden anderen Soldaten -- James und Wilson, wie es ihre Namenpaletten an der Brust verrieten (Mo fiel jetzt erst auf, dass seine Uniform keinen Namen trug und vielleicht kam gerade ein ganz klein wenig Nervosität in ihm zurück) -- schienen sich genauso wenig Sorgen zu machen wie Aaron. Oder versteckten diese genauso gut, denn Mo erschrak beinahe, als er von dem Mann bezüglich seiner Beziehungsprobleme angesprochen wurde. Mo, allgemein ungewöhnlich still, konnte nicht schnell genug reagieren, da antwortete Aaron schon für ihn, was ihn möglicherweise genauso gut abermals erschreckte.
      Behutsam spürte er noch die Hand des fremden Mannes auf seiner Schulter und Mo warf ihm einen skeptischen Blick zu, ehe er realisierte, dass diese Geste wohl aufmunternd gemeint sein sollte. Er sollte umkehren.
      Er kehrte nicht um. Folgte seinem Partner wie ein treudoofer Hund und ärgerte sich währenddessen über so ziemlich alles, allen voran über seinen alten Schulkameraden, der so cool und gelassen war, der das hier alles schon kannte, geübt war. Sogar Siege gegen Monster aus fremden Welten fielen ihm einfach so in den Schoß, was? Und er? Der Neue ohne Namensschild; sollte er den Köder spielen oder die Ablenkung?
      "Und wie viele Partner hattest du schon?" Mo spuckte das Wort verächtlich aus, als er sich dem Riss näherte. Aaron betrat diesen ohne zu zögern, klar. Mo hingegen atmete kurz, aber tief ein, fasste mit der Hand vorsichtig an die Spalte. Es war verrückt. Das Tor befand sich mitten in der Luft; im Nichts, könnte man sagen. Ein dicker, fetter Spalt, etwas breiter als er, dafür aber doppelt so groß. Als hätte jemand an dieser Stelle die Luft, das Nichts zerschnitten.
      Zudem war es Mo tatsächlich möglich, diesen Riss an seinen Rändern zu berühren. Er gab nach unter seiner Berührung, fühlte sich unangenehm weich unter seiner Hand an. Wie eine tiefe Fleischwunde, die man einfach so auseinander ziehen konnte.
      Ein weiteres kurzes Ein- und Ausatmen und mit leicht angewiderten Gesichtsausdruck zog Mo den Spalt weiter auf und quetschte sich hindurch.

      Wenn er zurück an ihre Schulzeit dachte, tat ihm inzwischen das meiste ziemlich leid. Über Facebook hatte er mal von einem Klassentreffen erfahren; er war hingegangen, obwohl er nicht eingeladen worden war. Wollte das irgendwie alles wieder gut machen, in der Hoffnung, sein Leben würde sich dadurch auch wieder verbessern. Er glaubte zwar nicht an Karma, aber er hatte ohnehin nichts besseres zu tun gehabt. Nur dass Einsteins Zombie entweder ebenfalls nicht eingeladen worden war, oder kein Interesse an Klassentreffen hatte; beides zeitgleich würde Mo ebenfalls nicht ausschließen. Mit anderen Worten: Mo hätte ihn damals sogar gerne wiedergesehen. Hätte versucht, sich mit ihm anzufreunden. Redete sich das zumindest ein (in Wahrheit war er nämlich ziemlich schnell wieder vom Treffen verschwunden ohne sich mit irgendwem anzufreunden). Er versuchte zumindest, ein besserer Mensch zu sein.
      Aber das ging zu schnell. Aaron hatte hier ganz klar die Überhand und er, Mo, war das armselige Würstchen, das sich hier beweisen musste, wollte, um vor Aaron ein kleines bisschen Würde zu bewahren, bevor er hoffentlich nicht einfach so draufging. Und so hätte er ihm wahnsinnig gerne bewiesen, selbst wenn es nur gespielt gewesen wäre, dass ihm die fremdartige Atmosphäre 'nen Scheiß ausmachte.
      Dem war nicht so. Aarons Beschreibung traf zu wie die Faust aufs Auge. Kaum hatte Mo seinen zweiten Fuß in die andere Welt gesetzt, überkam ihn ein Gefühl der Übelkeit gepaart mit Schwindel. In etwa wie wenn man im Suff einen gegen den Deckel bekommt. Er taumelte, legte sich den Arm um den Magen und gerade als er glaubte, er müsse sich übergeben, atmete er tief durch und das Gefühl war weg. Zurück blieb ein schwaches Gefühl von Schwummrigkeit, wie nach ein bis zwei Bier über den Durst, aber das war aushaltbar.
      Verwirrt von diesem plötzlichen Umschwung richtete Mo sich wieder auf, warf zunächst einen Blick auf Aaron, der wie immer absolut makellos da stand.
      "Okay... Und wie sieht diese Quelle aus? Verfluchte Scheiße, was ist dieser Ort?!" Das hatte er jedenfalls noch nicht in den Nachrichten gesehen; keine Kamera hatte ihnen gezeigt, was sich hinter oder in diesen Toren befand und Mo konnte sich gar nicht entscheiden, was er am merkwürdigsten fand. Er ging ein paar Schritte auf dem Boden, der ihn zu tragen schien, obgleich er zeitgleich unter seinen Füßen nachgab. Wie weicher Sand. Anstelle von Absperrhütchen wucherten blaue Pflänzchen aus dem Boden, wiegten sich hin und her wie im Wasser und wiederholten die Bewegung so ruckartig, dass das Auge nicht hinterher kam; kaum hatten sie sich vollständig nach links geneigt, befanden sich ihre Blätter auch schon wieder rechts. Insekten schwirrten ihm ins Gesicht, so klein wie Fliegen, verpufften jedoch im Nichts, sobald er versuchte, eines davon anzusehen. Abgesehen davon war es unangenehm still.
      Und die Luft war dicker. Und schmeckte anders.
      Mo warf einen Blick zurück zu dem Spalt, aus dem sie gekommen waren. Ihre eigene Welt sah von ihrer Perspektive nun sehr verzerrt aus. Ein Körper (einer der beiden Streitkräfte?) schob sich davor und schien zu winken. Mo konnte nicht erkennen, wer von den beiden es war.
      Würde er es nicht besser wissen, würde er das hier für einen Traum halten. Oder einen schlechten Trip.
      Kurzerhand nahm er das Schwert vom Rücken. Einen Teufel würde er tun und umkehren. Auf gar keinen Fall. Ebenso wie er sich hiermit fest vornahm, nicht zu sterben, Namensschild hin oder her. Das würde er Aaron nicht gönnen.
      Fest umklammerte er den Griff des Schwertes, achtete darauf, die Klinge nicht über den Boden schleifen zu lassen, was ihm ein seichtes Gefühl von mehr Sicherheit gab. Und da er keine Angst zeigen wollte, ging er ein paar Schritte voraus.
    • "Zwei."
      Zwei Partner hatte er bisher. Der erste starb, ohne das Aaron ihn retten konnte. Das war zu Beginn des Angriffs. Der zweite wurde wie er ebenfalls einem Neuling zugeteilt.

      Wie diese Quelle aussah? Wie konnte man das am besten beschreiben?
      "Wie dicker Nebel, der aus einem Spalt kommt." Das traf es wohl am besten. Es hatte eine ähnliche Materie wie die Anomalien selbst. Vermutlich bildeten sich ihre Körper aus jedem seltsamen Miasma. Wenn man es nicht besser wüsste, könnte man dies wirklich für ein Videospiel halten.
      "Er hat eine starke, magnetische Wirkung. Mit einem Kompass kann man ihn leicht aufspüren", erklärte Aaron und holte einen Kompass hervor. Sie mussten also lediglich der roten Kompassnadel folgen.
      "Wir wissen nicht, was das für ein Ort ist. Wieso das alles passiert und ob wir es besiegen können. Was immer das ist, will möglicherweise unsere Welt verschlingen. Alles was wir tun können, ist dagegen zu kämpfen." Man wusste ja nicht mal, ob die geschlossenen Risse auch für immer verschlossen blieben.

      Aaron ging los, fast in dieselbe Richtung wie Mo.
      "Je näher wir kommen, desto mehr Anomalien werden uns begegnen. Es ist nicht leicht zu erkennen, doch sie haben so etwas wie ein Herz. Einen Kern. Zerstört man diesen, verschwindet die Anomalie. Doch der Kern befindet sich nicht immer an derselben Stelle. Sie scheinen außerdem gelernt zu haben, dass wir das herausgefunden haben. Sie können ihn in ihrem Körper frei bewegen und so vor uns schützen. Ihre Angriffe sind nicht scharf wie Klingen. Es ist mehr wie eine Art Gift. Gasmasken bringen allerdings nichts. Man nimmt es nicht über die Atemwege auf. Vermeide Berührun-"
      Aaron streckte schnell seine Hand aus, um seinen Partner an der Schulter zurückzuziehen. Eine Sekunde später und die Anomalie hätte sich direkt unter ihm manifestiert. Im gleichen Moment zog er mit der anderen Hand das zweischneidige Schwert und schnitt schnell in einem Zickzackmuster durch die dunkle Gestalt. Auf diese Weise traf er auch den besagten Kern und das Ding zerfiel zu Rauch, der in den Boden sickerte. Bei ihm sah alles so leicht aus, doch das war es ganz gewiss nicht. Ein paar Meter weiter erschienen nun weitere Gestalten. Dennoch blieb Aaron ruhig und beobachtete die Lage.
      "Je schneller wir die Quelle zerstören, desto eher sind wir in Sicherheit. Bist du immer noch genau so schnell wie damals?", fragte er und zog einen Gürtel von seiner Schulter, den er ihm umwarf.
      "Lauf so schnell du kannst zu dem Spalt da hinten und werf das dort rein. Direkt davor ziehst du an dieser Schnur", erklärte er ihm und zog nun mit der linken Hand seine Schrotflinte, während er in der rechten noch immer das Schwert hielt.
      "Ich bin bei dir. Überlass die mir."
      Ein Aufwärmtraining wäre wünschenswert gewesen, doch aktuell gab es zu viele dieser Risse, als das sie dagegen ankämen.

      Aaron blieb dicht bei ihm und hielt ihm den Rücken frei. Er war schnell und beherrschte seine Waffen perfekt. So perfekt, wie er schon immer alles beherrschte. Die Waffe, die einer Schrotflinte sehr ähnelte - sie gab zumindest einen ähnlichen Streuschuss ab und war doppelläufig - konnte er sogar einhändig nachladen. Dazu schüttete er die leeren Patronen einfach auf den Boden und setzte sie einfach über die neuen Patronen. Effektivität. Das war alles, was in Aaron's Leben zählte. So wurde es ihm jedenfalls von kleinauf beigebracht. Ob er dabei cool aussah, war vollkommen unwichtig.

      Allerdings war irgendetwas anders als sonst. Die Anomalien waren gerissener, als sonst. Dadurch waren sie schwieriger zu töten. Wobei msn nicht wusste, ob man sie im herkömmlichen Sinne töten konnte. Man wusste noch immer kaum etwas über sie. Eines war Aaron jedoch aufgefallen. Sie passten sich an und lernten immer mehr dazu. Egal wie schnell Aaron war, es war deutlich schwerer sie zu überraschen, als beim letzten Mal. Er wurde getroffen. Zweimal. An der Stelle blieb ein blauer Fleck zurück. Berührte man sie zu lange oder wurde unglücklich getroffen, konnte man an inneren Blutungen sterben. Doch es traf nur seinen linken Oberschenkel und die rechte Wade, bevor Aaron sie besiegen konnte. Sein Reaktionsvermögen ließ ihn allerdings nicht vollkommen im Stich. Es war nicht mehr weit zur Quelle, doch irgendetwas großes richtete sich vor Mo auf. Möglicherweise hätte man mit Mo's Opfer die Mission noch erfüllen können, doch ob er wirklich den Mut besäße, um sich todesmutig durch die Anomalie zu begeben und die neu entwickelten Sprengsätze hineinzuwerfen? Davon abgesehen verabscheute Aaron solche Opfer.
      Gerade rechtzeitig hatte er seine Waffen nach vor geworfen, um sie später wieder aufheben zu können und machte selbst einen Satz, um seinen Partner mit sich ebenfalls nach vorn zu werfen. Er legte seine Arme um dessen Körper und rollte sich mit ihm ab, allerdings hatte er nicht rechtzeitig gesehen, dass die beiden in einen weiteren Riss hineinrollten. Einen Riss wie in ihrer Welt, der sie in irgendeine freme Welt brachte. Der Unterschied dieser neuen Ebene war, dass die Luft hier sogar Aaron etwas zu schaffen machte. Das schlimmste war jedoch, dass es kein Zurück gab, denn der Riss, durch den sie gekommen waren, war verschwunden. Sie befanden sich nun also im unbekannten Gebiet, ohne wissen ob, wann und wie sie zurück kämen. Einen Teil seiner Waffen hatte er nun ebenfalls verloren.
      "Alles in Ordnung?", erkundigte er sich bei dem anderen, nachdem er aufgestanden war und ihm seine Hand reichte, ehe er sich umsah. Trotz allem, wirkte Aaron noch immer ruhig.
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      - Eugene Ionesco

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    • Zwei. Wie beruhigend. Überaus beruhigend.
      Mo konnte die Art, wie Aaron mit ihm sprach, weiterhin nicht ausstehen. Er fühlte sich wie ein belehrtes Kind, das vom Lehrer Extraunterricht erhielt. Und war es nun seine Aufgabe, sich das Sternchen zu verdienen?
      Dabei war es nicht mal der Inhalt, es war einfach die Art. Die Art, wie seine Stimme die Worte formte. In der Schulzeit hätte Aaron sich mal wagen sollen, so mit Mo zu reden. Aber anstelle ihm nun eine zu verpassen, hörte Mo zu, und zwar konzentriert, auch wenn die vielen neuen Eindrücke und teilweise plötzlichen Bewegungen seiner Umgebung seine Aufmerksamkeit manchmal zusätzlich beanspruchte.
      Was hatte er auch für eine andere Wahl, außer zuzuhören und versuchen sich zu merken, was Aaron da sprach? Es brachte ihm vielleicht nicht bei, wie man einen Schuss zielsicher abfeuerte, aber es waren die einzigen Informationen, die er jetzt noch hatte kriegen können und die sein Überleben eventuell noch sichern konnten.

      Der Boden unter ihm fühlte sich beim nächsten Schritt weicher an als bei den Schritten davor. Keine Sekunde später und Aaron zog Mo an seiner Schulter zurück, eine Anomalie sickerte aus dem Boden genau an der Stelle, an der Mo eben noch gestanden hatte. Für einen Bruchteil eines Moments, ehe die Klinge das Etwas zerschnitt und es wieder an Masse verlor. Mo hatte sich in dieser kurzen Zeit völlig verspannt und würde man ihn später fragen, er wäre nicht in der Lage, diese Situation nochmals zu beschreiben. Weder die Anomalien, die sich nun in näherer und weiterer Entfernung formten, noch wie er sich in diesem Augenblick gefühlt hatte. Er wusste nur, dass ihm sein Herz bis zur Brust schlug.
      Aaron warf ihm etwas um, einen Gürtel, und hätte Mo Zeit gehabt, sich etwas zu wünschen, dann hätte er um eine kurze Pause gebeten, um zu reflektieren und zu evaluieren, was hier abging und gerade passiert war. Stattdessen hatte er noch nicht einmal die Zeit, zu begreifen, was das für ein Gürtel war, der ihm umgeworfen wurde. Blut rauschte ihn in den Ohren, Anomalien vermischten sich ineinander, andere spalteten voneinander ab und hätte Aaron nicht ausgerechnet jetzt das Wörtchen "damals" verwendet, stünde Mo womöglich immer noch stocksteif in der Gegend herum und war von der Reizüberflutung wie gelähmt.
      Spalt. Schnur ziehen. Damals. Schnell.
      Ja. Ja, war er.
      Mo nickte, presste seine Hand fester um den Griff des Schwertes und tat, wie Aaron ihm geheißen. Er sprintete nach vorne und vielleicht konnte er seine Ambitionen in Kneipenschlägereien nun doch als Talent gelten lassen, denn Anomalien auszuweichen, die sich plötzlich vor und neben ihm manifestierten, war nicht viel anders als hagelnden Fäusten zu entgehen. Ganz instinktiv wich er den Dingern aus, während er sich weiter nach vorne bewegte. Anders als in Kneipenprügeleien schlug er hier nur nicht zurück. Musste er auch gar nicht, denn kaum war er einem miasma-ähnlichen Körper entkommen, verpuffte dieser im nächsten Moment durch Aarons Schuss und er konnte weitergehen.
      Dabei fiel ihm auf, dass die Anomalien recht klein waren. Fotos und Kameras waren in den Nachrichten und verbreiteten Videos im Internet nicht in der Lage gewesen, die Viehcher ordentlich einzufangen und Mo wurde langsam klar, warum. Würden keine ganzen Städte von den Dingern zerstört werden, hätte man die Bilder von ihnen wohl als Fake mit Geisterflecken bezeichnet; die großen, unscharfen Monster retuschiert. Aber diese fast formlosen, nebelartigen Dinger, denen Mo auswich, wären nicht in der Lage, alles um sich herum zu zertrampeln und nichts als Trümmer zurückzulassen. Und so wie Aaron den Biestern den Gar ausmachte, bezweifelte er ebenso, dass sie eine allzugroße Gefahr waren. Sie waren nur viele.

      Geschickt wich Mo einer weiteren Anomalie aus, die im nächsten Moment nicht direkt erschossen wurde. Mo umfasste sein Schwert mit der zweiten Hand und führte es mit einem lauten Grummeln diagonal nach oben, durchschnitt die Anomalie in einem geraden Schnitt bis hinauf zu ihrem Kern. Ihr Gas legte sich um seine Klinge und doch fühlte die Masse sich an wie Fleisch, ehe sie zu schwinden begann.
      Mit gemischten Gefühlen von Stolz und Verwirrung drehte Mo sich zu seinem Partner um, um zu sehen, was ihn aufgehalten hatte. Dieser vernichtete gerade eine weitere Anomalie, die sich um sein Bein hatte schlingeln wollen.
      Er wollte sich gerade wieder nach vorne bewegen, als er in seinem Blickwinkel vernahm, dass etwas Größeres sich vor ihm aufbaute. Im nächsten Moment warf sich Aaron auf ihn und riss ihn zu Boden, keuchend rollten sie sich von diesem ab und im nächsten Moment, in dem es Mo wieder ermöglicht sein sollte, auf seine Umgebung zu reagieren, wurde er erneut von Schwindel und Übelkeit gepackt. Die Stille war so laut, dass sie auf seine Ohren drückte und Mo ließ das Schwert los, um sich seine Hände schützend an seinen Kopf zu legen.
      Es dauerte seine Momente, länger als beim letzten Mal, bis der Druck in seinem Kopf abnahm und er die Hände wieder senken konnte. Als er aufsah, stand Aaron vor ihm und reichte ihm seine Hand.
      Mo ergriff wieder das Schwert, rammte die Klinge in den Boden und stützte sich mit dessen Hilfe auf, um sich aufzurichten, ignorierte Aarons Hand als wäre sie ihm nie angeboten worden. "Ja. Und bei dir?", antwortete er zähneknirschend, obgleich der Druck für weiteren Schwindel sorgte. Paar mehr Bier über den Durst als nur ein bis zwei.
      Verwirrt sah er sich um. Weder von den kleinen Anomalien noch von der großen war keine Spur mehr, ebenso war kein Nebel mehr zu sehen. Hatten sie die Quelle verpasst? Mo fasste nach dem Gürtel an seinem Körper, doch dieser war weg. Er musste ihn im Fall verloren haben.
      "Ich hoffe, du hast einen Plan B, Schlauberger. Was sagt dein Kompass nun?" Wahrscheinlich wäre das der Moment gewesen, um sich bei ihm zu bedanken. Aaron hatte ihm mit hoher Wahrscheinlichkeit gerade das Leben gerettet, aber Mo sah nicht ein, wieso er ihm das zugestehen sollte.
      Stattdessen verlagerte er sein Gewicht abwechselnd von einem zum anderen Bein, langsam. Das schien zu helfen, den Schwindel allmählich loszuwerden, als würde die Atmosphäre so langsam seinen Körper als neuen Teil akzeptieren. Vorsichtig ging er ein paar Schritte und sah sich erneut um. Dieser Ort hier war aus irgendeinem Grund anders; immer noch merkwürdig, verhielt sich auch nicht viel eigenartiger als der vorherige. Und so brauchte Mo einen Augenblick um zu begreifen, was ihn so stutzig machte.
      Alles hier kam ihm... kleiner vor. Beengend. "Ich glaube, das hier ist nicht mehr als... als ein Raum? Ich fühl mich wie in einer Art Glaskugel oder sowas."
      Nach Bestätigung suchend, sah er zu Aaron; gerade wohl rechtzeitig, denn hinter ihm schlängelte sich ein dickes, schwarzes Etwas aus der Wand, eine Art Arm oder Tentakel. Es dampfte, genau wie die Anomalien davor, aber es schien mehr Masse zu besitzen, denn es war viel leichter, es anzuvisieren und im Blick zu behalten.
      "Achtung!", brüllte Mo und schwang sein Schwert überkopf auf den Tentakel. Er durchtrennte ihn sogar; die Spitze fiel zappelnd zu Boden, während die andere Hälfte sich laut brüllend in die Wand zurückzog.
      Moment. Laut brüllend?
      Mo verringerte seinen Abstand zu Aaron ganz instinktiv und sah sich weiter um. Das Gröhlen verhallte langsam, aber der Raum oder wie auch immer man diesen Ort hier bezeichnen wollte, zitterte. Das klang nicht gut. Lieber wollte er zu den kleinen Anomalien zurück und diesen ausweichen. Aber sicherlich würde ihm Aaron gleich noch erklären, was hier abging. Richtig?
    • "Ja."
      Aaron ignorierte die Tatsache seiner abgelehnten Hand ebenso wie sein Partner. Während er mit einem Fuß die Beschaffenheit des Bodens prüfte, nahm er tiefe Atemzüge, um auch die Luft zu überprüfen. Gleichzeitig checkten seine Augen jeden Winkel. Ein kurzer Blick auf den Kompass verriet ihm, dass er ihnen hier keine Hilfe mehr war, denn er drehte sich im Kreis. Demnach könnten die 'Wände' also ein ähnliches Magnetfeld bilden, wie die Quelle der ersten Ebene. Das hier würde Aaron in seinem folgenden Bericht also die zweite Ebene nennen, so erschien es ihm am logischsten. Während die erste Ebene so wirkte, als wäre sie endlos weit - bevor man herausfand, dass ein Kompass hier bei der Orientierung half, verwendete man vorher eine Seilwinde, die außerhalb des Risses war, um sich nicht in der ersten Ebene zu verlaufen - glich die zweite Ebene allerdings wie Mo es einschätzte eher einem Raum. Verlaufen konnte man sich hier nicht, doch gab es hier auch einen Ausgang? Wo genau befanden sie sich?
      Aaron's Gehirnzellen arbeiteten, so schnell und effektiv, wie es ihm möglich war. War er versehentlich in diesen Spalt, den sie als Quelle bezeichneten, gelangt? Das konnte nicht sein. Dieser befand sich mindestens 5m weiter links. Hatte er sich vielleicht ausgebreitet, als sie auswichen? Anomalien konnten sich schließlich auch frei im Raum bewegen. Ihre Größe und Form ändern, je nach Stärke ihres Kerns. Die Quelle schien diese Kerne mit Energie zu speisen. Das war jedoch alles nur reine Spekulation, denn sie hatten kaum Daten mit denen sie eine genaue Analyse erstellten konnten.
      Die Quelle könnte allerdings auch selbst eine Anomalie sein. Was, wenn sie inzwischen verstanden hatte, wie die Menschen vorgingen und sich angepasst hatte? Waren die Anomalien miteinander verbunden? Oder die Quellen? Wenn sie die Enden eines komplexen Nervensystems eines einzelnen Organismuses waren, dann wusste jede Anomalie, was andere erlebt hatten. Das würde erklären, warum Aaron es immer schwerer hatte, gegen sie zu kämpfen. Sie hatten ihn beobachtet. Ihn studiert. Wussten, wie er sich bewegte. Sie lernten. Das sie lernten, schien offensichtlich, aber wenn Aaron's Theorie richtig war, dann wäre die Menschheit früher oder später am Arsch. Schon beim nächsten Betreten eines Risses könnte die erste Anomalie Aaron soweit studiert haben, dass er keine Chance mehr hätte sie zu besiegen. Eine furchtbare Vorstellung, doch momentan leider eine nur allzu logische Schlussfolgerung.

      Aaron hörte Mo's Worte, doch reagierte nicht darauf. Er konzentrierte sich zu sehr und obwohl er vollkommen in Gedanken versunken zu sein schien, nahm er sowohl Mo's, als auch die Bewegung des Feindes war. Also hockte er sich ruckartig hin, war sich sicher, dass Mo sich darum kümmern würde und blickte auf den Boden, um diesen nun mit seiner Hand abzutasten.
      Manche hielten diese 'Welt' für einen anderen Planeten und die Risse als eine Art Portal, die diese Außerirdischen Wesen auf ihre Welt brachten. Manche fantasierten hingegen, dass diese Anomalien schon immer ein Teil der Erde waren und aus irgendeinem Grund nun ans Tageslicht traten, als hätte es sich all die Jahrtausende aus dem inneren hochgekämpft. Dann gab es noch völlig absurde Mutmaßungen von Verschwörungstheoretikern. Gläubige hielten es für das jüngste Gericht. Eine Strafe dafür, weil die Menschen den Planeten schlecht behandelt hatten. Irgendein Gift, dass aus dem Erdkern gelangt war. Und natürlich glaubten auch einige, dass bestimmte Menschengruppen dafür verantwortlich waren. Ein Unfall bei irgendeinem Experiment, wie dem, ein Wurmloch erschaffen zu wollen. Oder absichtlich freigesetzt, um die Menschen durch Angst gefügiger zu machen.
      Es gab zahlreiche wahnwitzige Theorien. Keine davon hielt Aaron für wahr, doch in diesem Augenblick entwickelte er seine eigene Theorie.
      Das Brüllen schien den jungen Mann gar nicht zu kümmern, doch auch das floss in seine Gedanken mit ein. Mo hatte sein Schwert in den Boden gerammt und kurz darauf, wurden sie angegriffen. Ersteres hatte 'ihm' keine offensichtlichen Schmerzen hinzugefügt, die einem Brüllen wie beim zweiten Fakt würdig waren. Oder war es eher ein verärgertes Brüllen, weil er nicht getroffen hatte? Aaron war sich schon immer sicher, dass es sich um eine Art Lebensform handelte. Es war nicht natürlich, wie ein Geysir, oder ein Vulkan. Das war also definitiv keine Naturkatastrophe. Außerirdische erschein ihm logischer, doch er versteifte sich nicht auf diese Theorie.

      Nun legte Aaron sich auch noch auf den Boden und legte sein Ohr auf diesen. Warum erzitterten Wände und Boden nach dem Brüllen? Der Braunhaarige zog einen Dolch aus dem Holster an seinem Unterschenkel und führte ihn langsam in den Boden ein. Als er vollständig versunken war, packte er ihn fester und zog ihn mit einem Ruck nach unten, um den Boden damit aufzuschlitzen. Es entstand eine Art Schnittwunde, doch es strömte nichts hinaus.
      Mo hielt ihn möglicherweise für verrückt, doch genau genommen war Aaron nicht einfach nur Soldat. Nicht wirklich. Seine Aufgabe war nicht im Krieg an vorderster Front zu kämpfen, auch wenn er dazu fähig wäre. Dafür hätten allerdings Muskeln gereicht. Aaron war, wenn man so wollte, mehr ein Wissenschaftler. Mit den Anomalien hatte niemand gerechnet, doch Aaron befasste sich mit Waffen jeglicher Art, inklusive der biochemischen. So war es auch nicht verwunderlich, dass er selbst bei der Herstellung dieser speziellen Waffen mitgewirkt hatte. Er war es auch, der die erste Ebene auf Herz und Nieren geprüft hatte und so das Magnetfeld der Quelle entdeckte. Und genau das tat er nun auch mit der zweiten Ebene.
      Seine Augen schienen ins Leere zu starren, doch Aaron hatte immer ein Auge auf seine Umgebung. Als hätte er einen 6. Sinn. Die, die ihn nicht mochten, bezeichneten ihn gerne selbst als Anomalie. Die Verletzung des Bodens hatte einen erneuten Angriff zur Folge. Ein - für den Anfang konnte man es wohl als Tentakel bezeichnen - schoss hinter Mo aus der Wand. Wie beim ersten Mal bewegte er sich im vermeintlichen toten Winkel der beiden. Aaron reagierte, indem er Mo mit seinem Bein die Füße seines Partners wegzog, um so dafür zu sorgen, dass er fallen würde. Der Aufprall am Boden dürfte ihn kaum verletzen. Doch der Braunhaarige führte die Drehung weiter aus, richtete sich in dieser auf, raubte das Schwert aus Mo's Hand und zerschnitt nun auch diesen zweiten Tentakel. Erneut erklang ein Brüllen und Aaron ließ das Schwert auf den Boden fallen, damit Mo es wieder an sich nehmen konnte. Er selbst schmiss sich noch in der flüssigen Bewegung wieder auf den Boden und steckte seinen gesamten Unterarm in die Öffnung, die er zuvor hereingeschnitten hatte. Er spürte das Zittern der Umgebung so noch deutlicher. Klar, es wäre möglich, dass ihm bei dieser Aktion der Arm abgetrennt werden könnte, doch dieses Risiko war er bereit einzugehen. Er drang noch tiefer ein, bis sein Arm beinahe bis zur Schulter im Boden verschwand. Der Boden fühlte sich ähnlich wie der Körper einer Anomalie an. Ja, auch damals als er seinen Arm einfach so in so eine Anomalie gesteckt hatte, hielt man ihn für vollkommen wahnsinnig. Sein Arm war danach auch eine ganze Weile blau und er brauchte eine Bluttransfusion. So erfasste er aber nicht nur die Beschaffenheit der Anomalien, sondern fand auch heraus, dass sich ihre 'Angriffe' dadurch auszeichneten, dass die Blutgefäße zum Platzen brachten. Das reichte von einem gewöhnlichen blauen Fleck bis zum inneren verbluten.
      Man war sogar kurz davor ihm den Arm zu amputieren, doch er behandelte ihn selbst. Aaron hatte keinen Doktortitel, denn er studierte nichts, um dort irgendeinen Abschluss zu machen. Er saugte lediglich möglichst viel Wissen in sich auf. Besuchte neben etlichen Kursen an unterschiedlichen Uni's auch andere Vorlesungen. Außerdem waren ständig Gelehrte bei ihm zu Besuch. Naturwissenschaft, Medizin, Informatik, Mechanik, Elektronik und noch vieles mehr. Die wenigsten konnten glauben, was für ein umfangreiches Wissen in diesem erst 26jährigen Gehirn schlummerte. Es wunderte Aaron also nicht, dass Mo die Waffen mit Videospielen verglich, dabei waren sie nicht einmal das abgedrehteste. Aaron entwarf mit erfahrenen Wissenschaftlern quasi die bekannten Medi-kits, die es in vielen Videospielen gab. Die, die man sich in den Arm jagte, um seine HP zu füllen. Nur, dass ein Mensch natürlich keine HP oder dergleichen hatte. Er fantasierte viel, teilte seine verrückten Ideen mit einem riesigen Team aus namenhaften Wissenschaftlern aus allen möglichen Bereichen. Biologie, Chemie, Physik. Er fantasierte, spann sich die merkwürdigsten Verbindungen zusammen, warf alles in einen Topf, doch einige davon ließen sich tatsächlich umsetzen. Die Feinheiten übernahm das restliche Team. So entwickelte man vor kurzem also ein spezielles Medi-kit für den Kampf gegen die Anomalien. Eines, dass effektiv kleinere, innere Blutungen stoppte und die beschädigten Adern notdürftig reparierte. Es war kein Wundermittel, denn schwere Verletzungen konnte man damit nicht behandeln. Allerdings könnte man auf diese Weise eine Verletzung wie die seines Armes damals soweit in Schach halten, dass man eine Amputation mit hoher Wahrscheinlichkeit nicht in Betracht ziehen musste.

      Völlig verrückte und fiktiv wirkende Methoden, um ebenso absurde Gegner zu besiegen. Ohne diesen Überlebenskampf hätte Aaron möglicherweise sowohl die Medizin, als auch die Waffenindustrie revolutioniert.

      Wie er das in seinem Alter schaffte? War er wirklich so ein Genie? Fiel ihm das alles einfach so in den Schoß? Der höchste gemessene IQ-Wert lag bei 230 und erstaunlicherweise übertraf Aaron diesen um einiges. Das half ihm zwar, doch das war nicht sein Geheimnis. Es gab Gründe, warum er so war, wie er war.

      Die Öffnung begann sich zu schließen und was auch immer das war, worin sie sich befanden, versuchte die beiden Parasiten nun immer vehementer loszuwerden.
      "Kümmer dich... um die Tentakel... und lass dich nicht treffen..", presste er zwischen seinen Zähnen hervor, sodass seine Stimme vermutlich zum aller ersten Mal so etwas wie eine Regung zeigte. Ja, Aaron strengte sich gerade enorm an und litt auch unter zunehmenden Schmerzen, je enger sich die Masse des Bodens um seinen Arm schloss. Allerdings sagte er nur, dass Mo sich nicht treffen lassen sollte und forderte nicht, dass er ihn um jeden Preis schützte. Denn im selben Moment traf ihn einer dieser Tentakel am Bein. Ähnlich wie bei den Anomalien legte sich die Substanz um sein Fleisch und drang ein, woraufhin sich die Stelle unter seiner Kleidung färbte. Doch Aaron wollte nicht ablassen. Das dieser Organismus anfing sich so sehr zu wehren, zeigte ihm, dass er nicht aufhören durfte.
      Er verpasste sich nicht nur eine Ladung der unangenehm aussehenden Spritze in die Schulter, sondern direkt zwei. Vorbeugend für folgende Verletzungen, wenn das wirklich so funktionierte. Das würde vermutlich bereits als Überdosis durchgehen, weshalb Aaron auch anfing extrem zu schwitzen und immer schwerer zu atmen. Er versuchte so gut es eben ging, nicht immer voll erwischt zu werden, doch auf dem Boden liegend hatte er nicht viel Spielraum. Er weitete die Öffnung mit dem Dolch in der freien Hand, um mit dem verschwundenen Arm wie durch einen unglaublich dicken Wackelpudding herumzufischen. Es gelang ihm gerade so, ein Stück nach vorn zu robben, sodass er nicht an den Schulterblättern und somit auch am Herzen getroffen zu werden. Der untere Rücken barg allerdings nicht weniger wichtige Organe. Er würde krepieren. Ganz sicher. Doch für diesen Fall hatte er immer ein Diktiergerät dabei, dass alles, was er sagte - wenn er denn was sagte - aufzeichnete. Er musste nur lang genug leben, um seine Theorien zu erläutern.

      "Schei..ße...", knurrte er, doch er konnte etwas ertasten, dass er nicht aufgeben wollte. Draufgehen wollte er zwar auch nicht, aber seine Überlegungen kamen zu dem Entschluss, dass es von hier kein Entkommen gab. Er zog es in Betracht, tatsächlich in diesen Spalt gefallen zu sein. Niemand war bisher daraus zurückgekehrt, als sie es erforschen wollten. Ob es nur diesen einen oder mehrere Orte hinter den Spalten gab, wusste er nicht. Doch es gab keine Öffnung. Sie müssten sich durch die Wände schneiden, doch der Option rechnete er keine hohen Erfolgschancen aus. Eigentlich wollte er nur prüfen, woraus dieser Raum bestand. Als nächstes hätte er ebenso auch in den Wänden herumgefummelt, doch alles in ihm sagte, dass er hier das einzig richtige Tat.
      Für ihn war es sowieso schon zu spät. Dabei verabscheute er es doch, wenn sich jemand heldenhaft opferte. Doch er wusste auch, dass es von ihm erwartet werden würde. Sein eigenes Leben war er als einziges bereit zu opfern. Er wollte nie wieder einen Kameraden sterben sehen. Ein unrealistischer Wunsch, an den er sich klammerte.
      Solche Kraftausdrücke hatte Aaron noch nie in den Mund genommen. Zumindest gab es keine Menschen, die Zeugen dessen wurden. Doch er spuckte Blut, da durfte er wohl auch fluchen.
      In seiner Verzweiflung und Besessenheit jagte er sich eine dritte Dosis in die Flanke, die seiner Verletzung am nächsten war.

      "Mo! Tritt so fest du kannst auf meine Schulter!" Seine Stimme war lauter und das war ein Befehl, dessen Missachtung Aaron nicht hinnehmen wollte. Er hatte allein nicht genug Kraft, um diese dickere Schicht vor seinen Fingern selbst zu durchdringen. Als würde man einen Pfahl in den Boden schlagen.
      "So fest du kannst, und wenn du mir dabei die Knochen brichst! Scheiß drauf! Beeil dich!"
      Als Mo seiner Bitte nachkam, presste Aaron seine Zähne aufeinander, das es schmerzte. Er schmeckte Blut, doch wenn er jetzt aufgab, würden die beiden hier zu 99% draufgehen. Ein schmerzerfülltes Knurren konnte auch Aaron nicht mehr verdrängen, doch es funktionierte! Seine Finger fühlten sich fast schon taub an. Gut möglich, dass er nun wirklich Abschied von seinem Arm nehmen müsste, aber da musste doch etwas sein! Als sie nur herumstanden, regte sich nichts. Dieses Ding hätte vermutlich einfach nur zugesehen, wie die beiden hier langsam verhungerten. Doch immer, wenn sie den Boden verletzten, wehrte es sich. Dank Aaron's Hartnäckigkeit mehr denn je. Wenn es ihm egal wäre, würde es doch ruhig dabei zusehen, wie Aaron psychopatisch im Boden herumwühlte.
      Seine Finger drangen durch die Schicht und die Taubheit wurde von einem Schmerz abgelöst, als würde er sich gerade die Finger zwischen einer Tür einquetschen. Er war sich sicher, dass er zumindest diese verlieren würde, so wie es sich anfühlte. Doch er spürte etwas festes. Einen Gegenstand? Der Kern dieses Raums?
      Angenommen sie wären wirklich im Spalt, der Quelle der Anomalien. Sie warfen einfach einen Sprenggürtel mit gewaltiger Explosionskraft hinein. Was, wenn dieser in einem Raum wie diesem landete und das, was Aaron da im inneren spürte, dabei zerstörte?

      "Zieh mich raus!", schrie er, stemmte sich mit seinem anderen Arm auf, streckte seinen Kopf in die Höhe und versuchte auch seine Beine zur Hilfe zu nehmen, doch erst als Mo an seinem Arm zog, bewegte er sich merklich. Wobei Aaron nichts außer Schmerzen in seinem Arm spürte. Seine Hoffnung überflügelte diesen Schmerz jedoch.
      Verzweiflung, Hoffnung und schier unendliche Schmerzen spiegelten sich in seinen Augen wieder. Der Beweis, dass Aaron eben doch nur ein Mensch war. Sein Schrei verstummte abrupt, als sein Arm vollständig befreit war und er nach hinten fiel. Im selben Moment sah er jedoch, wie ein Tentakel genau auf sie zuraste. Sie könnten nicht ausweichen und er würde sowohl den Kopf von Mo, als auch seinen treffen. Ein Treffer am Herzen oder dem Kopf führte zum sofortigen Tod.
      Doch er sah auch etwas anderes. Es sah aus, als würde plötzlich so etwas wie ein Stalagmit aus dem Boden sprießen. Er schimmerte, als bestünde er aus Eis.

      Eine Sekunde.

      Nur eine Sekunde später, hätte die Anomalie Mo getroffen, doch sie erstarrte. Der gesamte Raum erstarrte. Eine Eisschicht breitete sich in Windeseile aus und sorgte für die unangenehme Stille, wie beim Betreten dieser Ebene.

      Schnell atmend, lag Aaron auf dem Boden, streckte die Arme von sich, während seine Hand - was auch immer er gefunden hatte - fest umklammerte. Auch wenn Aaron sich bewusst war, dass jeder Tag sein letzter sein könnte und er ganz sicher nicht an Altersschwäche sterben würde, hatte er in diesem Moment Angst. Ein Ausdruck, der sich weder Mo, noch sonst einem seiner Mobber je gezeigt hatte.
      Er starrte in Mo's Gesicht. Zweifelnd daran, dass er wirklich noch lebte. Was war das für ein Gefühl? Er konnte keinen Schmerz mehr spüren, doch genau so verlor er das Gefühl seiner Gliedmaßen, als wäre er gelähmt. Das machte ihm jedoch genau so viel Angst, wie die Schmerzen. War er vielleicht schon Tod? Schließlich wusste niemand, was nach dem Tod kam. Möglicherweise würden sie nun die Ewigkeit in diesem Raum verbringen. Doch Aaron bekam keinen Ton heraus und rührte nicht einen Muskel. Bis auf seine Atmung tat sich nichts. Er konnte nicht einmal nachsehen, was er da rausgefischt hatte und ob es das ganze wirklich wert war.
      ~ ♦ ~ Die Freiheit der Phantasie ist keine Flucht in das Unwirkliche; sie ist Kühnheit und Erfindung. ~ ♦ ~
      - Eugene Ionesco

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    • Das war ein Traum. Musste einfach ein Traum sein. Sowas passierte doch nicht in der Realität. Keinesfalls. Mo glaubte, die Welt würde über ihn zusammenbrechen, der Himmel ihm auf den Kopf fallen. Und Aaron reagierte noch nicht einmal auf seine Rufe. Hockte dort auf dem Boden und zählte Staubkörnchen oder was auch immer er da trieb.
      Lass dich nicht treffen., war Aarons Anweisung an ihn, während er selbst im Boden herumstocherte und Mo damit völlig verwirrte. Was? War der jetzt komplett irre?
      Aber was hatte Mo auch schon für eine Wahl, als Aaron zu vertrauen? Obwohl er ihm überhaupt nicht vertraute, wenn er ehrlich war. Aber wie gesagt. Eine Wahl hatte er nicht.
      In den nächsten Minuten und es erschien ihm wie eine Ewigkeit vorzukommen, tat Mo nichts anderes, als Tentakel zu zerhacken. Seine Arme brannten mittlerweile, seine Muskeln wurden müde, das schwere Schwert die ganze Zeit schwingen zu müssen. Doch so langsam erinnerte er sich wieder an das Training in der Schule, nahm allmählich eine gesündere, aufrechtere Haltung ein. Er parierte die Tentakel, wenn sie ihm zu nahe kamen und schlug sie von der Wand, sobald er die Gelegenheit dazu hatte.
      Zwischenzeitlich sah er immer wieder zu Aaron. Und jedes Mal, wenn er zu ihm sah, schien dieser noch tiefer im Boden versunken zu sein -- wortwörtlich. Und das sah nicht gesund aus. Abgesehen davon, dass die Tentakel immer mehr wurden, Mo langsam der Atem ausblieb und er wirklich etwas Hilfe gebrauchen könnte.

      Die Zeit zog sich wie Gummi, und lief doch ab wie in einem Film. Mo war ganz schön schwummrig zumute, als er auf dem Boden saß, Aaron neben ihm auf der einen Seite, das Schwert auf der anderen liegend. Sein Atem ging schwer und ihm war kalt. Sehr kalt. Um sie herum hatte sich ja auch eine Eisschicht gebildet.
      Mo hatte aufgehört, diese Welt hier infrage zu stellen. Nichts hier war normal und nichts reagierte natürlich. Wenn er es so betrachtete, war Eis womöglich noch das Normalste. Woher auch immer das gekommen war, aber wenigstens war es ein Element, das er kannte.
      "Bist du völlig übergeschnappt? Was hast du da getrieben?!", blaffte er seinen Partner an. Partner; was für ein Witz. Sein Partner hatte irgendetwas gemacht, weiß der Henker, was genau. Aber was auch immer es war, es hatte dafür gesorgt, dass sie nicht mehr angegriffen wurden. Gleichzeitig fühlte Mo selbst sich recht nutzlos und er fragte sich, wieso er überhaupt hier war. Dabei war es nur fair, wenn Aaron ihn in seine Pläne nicht einweihte, denn er hatte wohl noch bessere Gründe, Mo nicht zu vertrauen als umgekehrt. Nervte trotzdem. Mo hasste es, auf ihn angewiesen zu sein. Und dass er selbst zu kaum mehr gebraucht wurde, als ihm gegen die Schulter zu treten.
      Ängstlich starrte Aaron von unten zu ihm hinauf, aber selbst das schenkte Mo keinerlei Genugtuung. Auch wenn es ein Ausdruck war, den Mo für eine gewisse Zeit lang mal sehr gerne gesehen hätte. Nun jedoch brachte er ihm nichts. Er veränderte nichts.
      "Und was hast du da rausgezogen?" Schnell grif er nach Aarons Hand und schnappte sich das Medallion, das diese umklammerte, besah es. Es war klein, rund. In einer Farbe, die er nicht kannte; schwarz, aber funkelte golden im Licht. Und es erwärmte ihn; mit einem Mal war ihm nicht mehr kalt. Angenehm.
      Mo seufzte. "Geht es dir gut? Kannst du dich bewegen?"
    • Kämpfen war er gewohnt. Möglicherweise wäre es klüger gewesen, hätte er die Tentakel bekämpft und Mo im Boden wühlen lassen. Aber Mo wüsste ja gar nicht, was Aaron zu erforschen versuchte. So rum war es besser, auch wenn Aaron dadurch ein paar Schläge zu viel einstecken musste. Sein Herz pochte, dröhnte in seinen Ohren, während sein Atem kleine Wölkchen vor seinem Gesicht aufsteigen ließ, weil die Luft plötzlich so kalt war. Doch Aaron war nicht kalt. Ihm war warm. Und sein Kreislauf drohte zu kollabieren, auch wenn er keinen Schmerz mehr spürte. Als wäre dieser mit dem Raum und der Zeit eingefroren.
      Nur noch Mo rührte sich und fragte ihn ob er übergeschnappt war. Was er da getrieben hatte.
      "Ich habe.. diese Ebene erforscht..", antwortete er noch immer außer Atem.
      "Das ist mein Job. Irgendwie. Jedenfalls wurde es zu meinem Job, als diese Dinger aufgetaucht sind. Vermutungen aufstellen und nach Beweisen suchen. Herauszufinden, womit wir es zutun haben. Wie wir es aufhalten. Und wenn möglich auch, warum es überhaupt da ist."
      Sein Atem beruhigte sich langsam, doch Aaron fühlte noch immer nichts. Er sprach weiter. Zum einen, um Mo aufzuklären, zum anderen - und das war noch bedeutend wichtiger - um seine Gedanken aufzunehmen.
      "Ich vermute, dass diese Anomalien keine Individuen sind. Anfangs dachte ich, sie wären mit einem Bienenschwarm vergleichbar. Doch dafür lernen sie viel zu schnell. Sie sind vermutlich miteinander verbunden. Wie, weiß ich noch nicht. Wenn dieser Raum hier die Quelle ist, die wir zerstören wollten, dann ist das hier ein Ast. Die Anomalien, die im und außerhalb des Risses ihr Unwesen treiben, sind die Blätter. Dann muss es irgendwo einen Stamm geben. Eine Wurzel. Diese Wurzel müssen wir finden und zerstören. Diese Anomalien waren viel geschickter, als das letzte Mal. Und das Mal davor. Und davor. Das kann kein Zufall sein. Sie beobachten uns. Studieren uns. Wenn sie sich jedes kleine Detail einprägen können, dann können sie von jedem von uns eine Art Akte anlegen, auf die jeder, jederzeit Zugriff hat. Sie begreifen, wie ich mich bewege. Schon bald, werden sie meine Bewegungen voraussehen können. Ich muss stärker werden. Ich darf mir keine Verhaltensmuster angewöhnen, die sie sich einprägen können. Dieser Raum ist möglicherweise der Spalt, in den wir versehentlich geraten sind. Bisher ist niemand aus einem solchen Spalt zurückgekehrt. Jedes noch so robuste Seil ist gerissen, als wäre diese Ebene komplett abgeschnitten. Jetzt weiß ich auch warum. Es gibt hier keinen Ein- oder Ausgang, wie in der ersten Ebene. In dieser Ebene, der zweiten Ebene, gibt es Wände. Die Luft ist dicker und die Anomalien erschienen mir stärker zu sein. Allerdings haben sie keine eigenen Körper. Es sind viel mehr Gliedmaßen, Tentakel, die aus den Wänden wachsen. Aus den Wänden.. Wieso nicht aus dem Boden? Wo sind wir hier?"
      Aaron starrte an die Decke, rührte sich aber noch immer nicht. Stattdessen sprach er weiter, ungeachtet dessen, ob Mo ihn verstand oder nicht. Das war nicht von Belang.
      "Ich wollte die Beschaffenheit des Bodens überprüfen und dabei fiel mir auf, dass wir, seitdem ich meinen Arm in den Boden gesteckt hatte, unentwegt angegriffen wurden. In der Zeit, in der wir uns nicht gerührt haben, ist nichts passiert. Davor, als du dich aufgerichtet hast und meine Hilfe verweigert und stattdessen das Schwert in den Boden gestoßen hast, hat es auch darauf reagiert. Also habe ich mich gefragt, ob dort irgendetwas ist, dass die Anomalie beschützen wollte. Ihren Kern."
      Aber egal, wie logisch das alles klang, irgendwas stimmte da nicht. Bisher hatten sie noch keinen eigenständigen 'Körper' gesehen. Lediglich Tentakel, die aus der Wand kamen. Das warf die Frage auf, ob sie sich nicht vielleicht sogar in einer Anomalie selbst befanden. Das klang völlig absurd und doch musste jede noch so verrückte Idee überprüft werden. Aber das war nicht alles. Es kam ihm irgendwie zu leicht vor. Zwei junge Männer, von denen einer keine Kampfausbildung hatte, sollten kaum eine Chance auf Erfolg haben. Auch nicht, wenn einer davon Aaron war.
      Bevor er allerdings weitersprechen konnte, fragte Mo bereits nach dem Etwas, das Aaron in seiner Hand hielt.

      Was er da allerdings herausgezogen hatte, wusste er nicht. Bevor er es selbst ansehen konnte, schnappte Mo es ihm weg.
      Aaron wurde wärmer. Fast schon heiß. Er fühlte sich, als hätte er Fieber und daran war er möglicherweise auch selbst Schuld. Der Schmerz kehrte zurück und dazu wurde ihm schwummrig. Entgegen seiner Schmerzen drehte er sich schnell zur Seite und übergab sich, was Mo's Frage, wie es ihm ginge, wohl ausreichend beantwortete. Seine Arme zitterten und konnten ihn kaum halten. Aaron hatte nie auch nur einen Schluck Alkohol getrunken, aber so musste man sich wohl fühlen, wenn man sturzbetrunken war.

      "Nimm das.. Bring es einem Vorgesetzten.. einem Soldaten. Ganz egal.. Wenn ich draufgehe, müssen diese Informationen ins Labor.."
      Und an seinem Tod zweifelte er auch kaum noch. Noch nie hatte sich jemand zwei Dosen gespritzt, geschweige denn drei! Doch jede Minute, jede Sekunde, die er damit herausschlagen konnte, war es wert. Diese Aufnahmen, die er Mo so eben anvertraute, mussten es nach draußen schaffen.
      Aaron war nichts besonderes, nur einer von vielen. Einer, der mit winzigen Schneebällen um sich warf, denen andere zu mehr Größe verhalfen. Alles was sie bisher hatten, waren unausgereifte Testversuche. Die Waffen schienen effektiver zu sein, als die herkömmlichen, doch würden sie wohl nicht ausreichen, um ihren Gegner vollständig zu bezwingen. Und ihr 'Heilmittel'? Es gab bisher nicht viele Testobjekte. Man konnte Anomalien nicht einfangen und untersuchen. Also konnte man ihr 'Gift' oder wie auch immer man es nennen mochte, nicht erforschen. Demnach hatten sie noch viel zu wenig Daten. Welche Nebenwirkungen dieses Heilmittel hatte, war noch völlig unklar. Doch es funktionierte fürs Erste. Ob man damit seine natürliche Lebensdauer verkürzte? Andere unbemerkte Nebenwirkungen? Alles ohne Angabe. Doch man war sich ziemlich sicher, dass zu viel davon nicht gut sein konnte. Welches Medikament war schon gut, wenn man davon zu viel nahm?

      Während Aaron über seiner eigenen Kotze hing und dagegen kämpfte, nicht mit seinem Gesicht hineinzufallen, versuchte er nachzudenken. Sie waren noch immer hier und es gab keinen ersichtlichen Ausgang. Irgendwo müsste es doch irgendetwas geben. Einen anderen Spalt oder einen Kern. Doch Aaron's Gedanken fingen an sich im Kreis zu drehen. Ebenso wie sein Sichtfeld. Bis er eine Veränderung bemerkte. Das Eis unter seinen Händen begann langsam zu tauen.
      "Zeig es mir.. Was ist das?" Wofür war es gut?
      Konnte er denn wirklich nichts tun? Mühselig leerte er den Inhalt seines Rucksacks auf dem Boden aus und betrachtete diesen. Seiner eigenen Frage schenkte er keine Beachtung mehr. Er hatte das Gefühl, dass sein Gehirn nur noch mit halber Leistung arbeitete, aber er musste sich zusammenreißen. Wenigstens Mo musste es hier rausschaffen. Irgendwie. Hatte er etwas brauchbares dabei? Könnte er mit irgendetwas davon eine Bombe bauen? Irgendetwas, mit dem sie durch die Wände kämen. Irgendetwas?!
      "Scheiße...", zischte er. Warum hatte er nichts eingepackt? Mit den richtigen Zutaten hätte er irgendetwas anstellen können. Der Schweiß ran über seine Stirn. Mit diesem komischen Ding konnte man rein gar nichts anfangen. Zumindest sah es nicht brauchbar aus.
      "Kannst du es.. zerstören? Ist es ein Kern?" Die Anomalie versickerte samt Kern im Boden, sodass er noch nie einen Kern so wirklich zu Gesicht bekam. Möglich war es. Ein Versuch sollte es wert sein.
      ~ ♦ ~ Die Freiheit der Phantasie ist keine Flucht in das Unwirkliche; sie ist Kühnheit und Erfindung. ~ ♦ ~
      - Eugene Ionesco
    • Mo beobachtete Aaron genau. Wie dieser sich vom Boden abstützte, ihm erklärte, was er getan hatte. Sich letztendlich übergab und noch mehr Stuss von sich gab.
      "Jetzt halt aber mal den Sabbel, meine Fresse.", begann er zu fluchen. "Diese Einstellung ist genau der Grund, wieso ich dir in der Schule die Fresse poliert habe!" Erschrocken fuhr er zusammen. Das... hatte er nicht sagen wollen und trotzdem war es nur so aus ihm herausgesprudelt. Er hatte es gedacht, ja. Aber aussprechen wollte er es nicht. "Ich... meine... äh... du tust immer so, als würde das nicht dir passieren, nicht wirklich. Als wärs dir egal. Und du hältst mir eine Predigt über das eine Leben, das man hat?! Fang vielleicht erst mal an, dein eigenes wertzuschätzen!" Genervt wandte er sich von Aaron ab. Mann, ihm war heiß. Und nun hatte er noch mehr von sich gegeben als er eigentlich hatte sagen wollen.
      Das Eis um ihn herum begann zu schmelzen und das ziemlich schnell und das war nicht gut. Vor ihnen befand sich immer noch die Tentakel, die gerade noch eingefroren war, doch ihre Spitze begann bereits zu tropfen. Mo erhob sich, taumelte kurz auf seinen Beinen. Er war zu müde, um direkt weiterzukämpfen, weswegen er lieber erst mal Abstand zwischen sich und der Tentakel bringen wollte. Dabei fiel ihm auf, dass das Eis in seiner Nähe viel schneller zu schmelzen schien als das Eis etwas weiter von ihnen entfernt.
      "Nur damit dus weißt: wenn du irgendeine Information an deinen Vorgesetzten überbringen willst, machs selbst. Ich werds nicht tun. Ohne dich komm ich hier sowieso nicht raus." Ugh. Das Letzte hatte er auch nicht sagen wollen. Was war denn los mit ihm? Mo biss sich selbst auf die Zunge, um nicht noch mehr ungewollt auszusprechen. Das musste Aaron alles gar nicht wissen! Das musste diese Atmosphäre sein, die seinen Verstand benebelte, gepaart mit der Müdigkeit.
      Er sah auf das Medallion auf seiner Hand, als Aaron es ansprach. Als er vor wenigen Augenblicken sich die eigenartige Farbe angesehen hatte, war es nichts weiter als eine runde, dicke Münze gewesen. Nun formte die goldene Farbe, die vorher nur im Licht zu funkeln schien, ein schwaches Symbol. Mo konnte es noch nicht erkennen, aber es bildeten sich schwungvolle Linien, an ihren Anfängen dicker und schwächer je weiter sie verliefen. Als wäre das Symbol noch nicht ganz fertig gezeichnet worden.
      Und eigentlich wollte er es nicht zerstören. War so ein Gefühl. Er hatte absolut gar kein Verlangen danach.
      Aber was, wenn Aaron Recht hatte und es sich tatsächlich um den Kern handelte?
      Mo beugte sich nochmals zum Boden, um das Schwert aufzuheben. Mit seinen bloßen Händen könnte er die Münze keinewegs zerstören, dafür war sie viel zu massiv. Aber kaum hatte er den Griff des Schwertes mit seiner Hand umfasst, sich halb wieder aufgerichtet, fing die Klinge mit einem Mal loderndes Feuer.
      Mo taumelte vor Schreck abermals zurück, was logischerweise nichts brachte; er hielt das Schwert ja in der Hand. "Was zum--" Gerade wollte er das Schwert einfach wieder fallen lassen, doch das zusätzliche Feuer brachte mehr Eis zum tauen; so auch die Tentakel direkt vor ihnen. Die Spitze wurde freigelegt und sie begann sich zu winden, das Eis zur Wand hin begann zu splittern. Mo reagierte absolut instinktiv und aus Panik, indem er mit dem Schwert auf die Tentakel einschlug. Er bedachte dabei nicht, dass das Eis dadurch nur schneller schmelzen würde und er prompt die gesamte Gliedmaße freilegte. Jedoch bemerkte er, dass die abgetrennte Spitze nicht etwa wie all die unzähligen Tentakel zuvor zappelnd zu Boden fiel, sondern sich auflöste. Genauso wie die Anomalien in dem Spalt zuvor.
      Der hintere Teil des schwarzen Fangarms zog sich erneut in die Wand zurück.
      Hilfesuchend sah Mo wieder zu Aaron. "Hast du das gesehen? Du bist schlauer als ich, Zombie. Also los, streng dein Hirn an!"
    • Diese Einstellung sollte der Grund für Mo's Prügel gewesen sein? Es war ja nicht so, als könnte er seine Begründung nicht verstehen, aber im Gegensatz zu den meisten anderen, hatte er nicht die Freiheit sein Leben so zu gestalten, wie es ihm beliebte. Es war irgendwann in der Mittelschule, als er aufhörte, sich Gedanken um seine Zukunft zu machen und was er sich alles wünschte. Der Traum vom Haus, der Yacht, Urlaub, Sportclubs oder Liebe. Nichts davon war ihm vorbestimmt. Wenn man keine Wünsche hatte, konnte man nicht unglücklich sein. Dennoch hatte Aaron's Leben einen Sinn mit Bedeutung. Redete er sich jedenfalls ein oder ließ er sich besser gesagt einreden.
      "Ich will nicht sterben...", knurrte er leise, während er sich langsam auf die Beine quälte. Er war doch hart im Nehmen, oder? Er durfte bis zum bitteren Ende keine Schwäche zeigen. Aufgeben kam nicht in Frage. Sollte Mo etwa berichten, dass er vor seinem Tod hoffnungslos auf dem Boden lag und auf diesen gewartet hatte? Nein. Irgendwo tief in seinem Inneren hatte er außerdem auch Hoffnungen und Wünsche, auch wenn er nicht wirklich an dessen Erfüllung glaubte. Doch so unerwartet, wie die Anomalien auf den Plan traten, konnte eben auch alles mögliche in seinem eigenen Leben passieren.

      Egal war es ihm nicht so richtig, doch er hatte klare Vorgaben seines Vaters, die er zu erfüllen hatte. Natürlich würde er bevorzugen, dass Aaron überlebte und lange lebte. So könnte er schließlich mehr leisten. Leistung war alles, was zählte. Und wenn er für Ergebnisse sein Leben opfern müsste, dann wäre das eben so. Das war etwas vollkommen anderes, als sein Leben leichtfertig wegzuwerfen. Ein Leben ohne Sinn und Verstand zu leben und es ebenso ohne Sinn und Verstand zu verlieren. Das war es, was Aaron störte.
      "Okay..", keuchte er und lächelte sogar etwas, während er auf allen Vieren hockte und zu Boden blickte. Er würde versuchen, die Informationen selbst zu überbringen, aber viel wichtiger war es, dass er sie beide oder wenigstens Mo hier rausbekäme. Nur wie? Ihm war noch immer hundeelend. Sein Körper hatte nicht viel Kraft und sein Kopf rauchte auch schon. Es kam kein hilfreicher Gedanke zustande und er hockte noch immer da.

      Als Mo's Schwert plötzlich in Flammen aufging, wandte er seinen Blick auf dieses. Er beobachtete das Geschehen, konnte sich aber nicht rühren.
      "Ja.." Natürlich hatte er das gesehen! Das war ja nicht zu übersehen. Zombie.. Im Moment irgendwie sogar ziemlich treffen, so untot wie er sich fühlte. Hirn anstrengen.
      Langsam zurück spulen..
      Das Schwert brannte...
      Das Eis schmolz...
      Das Eis überzog alles...

      Aber wie? Was übersah er?
      Brennendes Schwert...
      Schmelzendes Eis...
      ...
      Egal wie unwichtig oder unrealistisch ein Detail wirken mochte, er musste alles berücksichtigen.. also..

      Brennendes Schwert.
      Schmelzendes Eis.
      Mo nahm ihm das Ding aus der Hand.
      Alles erstarrte zu Eis.
      Er nahm das Ding in die Hand.

      Das Ding.
      Hatte das wirklich damit zutun? Sie waren hier doch in keinem abgedrehten Roman oder Videospiel. Aber was war schon normal? Die Anomalien jedenfalls nicht. Ein Versuch war es wert.

      Aaron kam auf die Beine, schwankte und näherte sich seinem Partner. Je näher er ihm kam, desto wärmer wurde ihm. War ihm nicht viel zu heiß?
      "Ich.. gib mir mal dieses Ding..", meinte der Braunhaarige und hielt ihm seine offene Hand hin. Er müsste es ja sowieso genauer untersuchen. Egal ob es irgendwas mit diesen Phänomenen zutun hatte oder nicht. Schließlich hatte er sein Leben dafür riskiert!
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    • "Na, das ist doch schon mal was.", presste Mo zwischen seinen Zähnen murmelnd hervor, als Aaron bemerkte, nicht sterben zu wollen. Er hätte ja gern irgendetwas getan, um ihm zu helfen, Mo wusste schlicht jedoch nicht was. Er war kein Arzt, verdammte Scheiße. Und sein letzter zwischenmenschlicher Kontakt war auch schon was her, abgesehen von den Raufereien in der Bar, die er nicht gelten lassen wollte. Die Leute von dort waren nicht weniger abgefuckt als er und eigneten sich somit zum Üben für den Umgang mit sozialen Kontakten eher weniger.
      Also was sollte er schon tun? Ihm die Spucke vom Kinn wischen half doch auch nichts. Er hatte auch weder Ahnung, noch überhaupt Wissen von den Ampullen und ihrem Inhalt, die sich Aaron vor ein paar Minuten in den Körper gejagt hatte. Hätte alles sein können. Drogen. Keine Ahnung. Alles, was Mo wahrnahm, war, dass Aaron äußerlich nicht verletzt zu sein schien, also hatte er auch nichts, auf dessen Stelle er ihm nun ein Pflaster hätte kleben können.
      Aaron rappelte sich auf und kaum stand dieser auf den Beinen, fiel Mo auf, dass er ihm hätte aufhelfen können.
      Tja. Das war jetzt auch zu spät.
      Er ließ den anderen auf sich zugehen, ohne selbst Anstalten zu machen, ihm näher zu kommen. Sein Schwert brannte immer noch und er hielt es für keine gute Idee, noch mehr von der Umgebung aufzutauen.
      Als sich die Hand nach ihm ausstreckte, zuckte Mo wenige Zentimeter nach hinten, ehe er auf das Ding in seiner Hand sah. Die goldenen Linien hatten sich kaum weiter ausgebreitet, aber sie schienen noch immer langsam ihre Pfade zu ziehen. Es aus der Hand zu geben, gefiel Mo genauso wenig wie der Gedanke, es zerstören zu wollen, dennoch gab er sich einen Ruck und legte es dem anderen auf die Handfläche. Kaum berührten seine Finger es nicht mehr, löschten sich die Flammen an seinem Schwert und ihm wurde wieder kalt.
      Ratlos hob er die Klinge vor sein Gesicht, berührte sie vorsichtig mit der freien Hand. Sie war eiskalt. Ohne jegliche Spur, dass es einst in Flammen gestanden hatte.Das hatte er sich aber nicht eingebildet, oder?
      Sollte jeden Moment jemand aus der Wand springen mit einem lauten Knall und laut 'Verarscht!' rufen, würde ihn das mittlerweile noch nicht einmal mehr verwundern. Das wäre wenigstens mal eine logische Erklärung für diesen ganzen Mist.
      Stattdessen verstaute er das Schwert wieder in seiner Vorrichtung an seinem Rücken und schlag seine Arme leicht zitternd um seinen Körper, Aaron währenddessen genau beobachtend.
    • "Interessant..", murmelte Aaron in Gedanken, als das Feuer genau so schnell erlosch, wie es entzündet war.
      Während er den Gegenstand genauestens betrachtete, mehrmals in seiner Hand drehte und abtastete, bemerkte er, dass ihm nicht mehr so heiß war, wie noch eben gerade. Mo hingegen schien allerdings zu frieren. Aaron nicht. Auch der Schmerz war kaum noch wahrnehmbar. Wieso?
      "Sag mal.. war es dir vorhin nicht viel zu heiß?", fragte er und betrachtete die Umgebung. Das Eis schmolz nicht mehr und schien sogar langsam wieder dicker zu werden. Das, oder er halluzinierte bereits. Er fuhr sich durch die Haare und massierte seine Kopfhaut ein wenig, während er noch immer das Ding in der Form einer Münze betrachtete.
      Was sollte das überhaupt sein? Er konnte sich nicht vorstellen, dass es eines dieser 'Kerne' sein sollte. Aber was hatte es mit diesem Eis und dem Feuer auf sich?
      Es gab keine Inschrift, die man zu entschlüsseln versuchen könnte. Das einzige besondere daran war, dass es nichts besonderes daran gab. Bis auf diese Linien. Sie unterschieden sich bisher in Form und Farbe. Die eine Seite war golden und begann mit einem Bogen. Die andere Seite war silbern und verlief eher Spitz. Wie ein offenes Dreieck.
      "Was soll das sein..", flüsterte er zu sich selbst. "Komm schon.. denk nach.."
      Er dachte nach und wie er nachdachte. Doch ihm fiel einfach nichts dazu ein. Mo zu fragen, brächte wohl auch nichts. Abgesehen davon, dass er Aaron selbst als schlauer bezeichnet hatte, bezweifelte er, dass Mo irgendetwas nützliches einfiel. Wobei.. Es war egal, ob es nützlich oder realistisch war.
      "Hast du irgendeine Idee? Ganz egal was. Egal, wie komisch es dir vorkommt. Und wenn es irgendetwas ist, dass dich an ein Videospiel erinnert. Jeder Gedanke kann etwas ins Rollen bringen." Manchmal zweifelte man an seinem eigenen Verstand, doch wenn man ehrlich war, entsprangen die meisten Entdeckungen aus wilden Fantasien.
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      - Eugene Ionesco
    • Mo musterte Aaron ganz genau. Aktuell sah er etwas blasser aus, aber das war wohl kaum verwunderlich. Er warf einen kurzen, eher instinktiven Blick, um seine Gedanken zu untermalen, zu dem Häufchen an Erbrochenem, das nun mit einer Eisschicht überzogen vor sich hin glitzerte. Im selben Moment fragte sein Partner ihn, ob ihm nicht mehr heiß wäre.
      Zu verwirrt um zu antworten, schaute er schweigsam wieder zu Aaron zurück, der nach wie vor das Medallion in seinen Händen drehte. Und etwas Sorgen machte er sich schon, denn es stimmte, was er gerade noch gesagt hatte. Ohne Aaron würde er hier erst recht nicht mehr rauskommen. Mit ihm -- möglicherweise auch nicht. Aber ohne definitiv eindeutig nicht.
      Was hatte er noch über die Anomalien gesagt? Mo versuchte, sich an die Informationen zu erinnern, die ihm viel zu schnell übermittelt worden waren. Er wusste nicht, ob irgendeine davon für die Öffentlichkeit zugänglich gewesen war oder nicht; zugegebenermaßen hatte er sich nicht sonderlich mit den Nachrichten rund um die Anomalien beschäftigt. Hatte ein paar Videos und Bilder sich angesehen und online ein paar Diskussionen über sie gelesen; viele hielten sie für eine Verschwörung vom Staat ausgehend, andere fürs jüngste Gericht. Alles Trottel.
      Also, was war es, das Aaron gesagt hatte? Dass man sich nicht berühren lassen sollte, weil dies sonst zu inneren Blutungen führte?
      Litt Aaron gerade an diesen Blutungen? Wie schlimm war das?
      Seine Frage riss Mo wieder aus seinen Gedanken und abwehrend verschränkte er seine Arme vor der Brust. "Was, glaubst du etwa, ich spiele den lieben langen Tag nur Videospiele?", blaffte er beleidigt, obgleich Aaron mit dieser Einschätzung gar nicht mal so weit daneben läge. Trotzdem lenkte er seine Gedanken kurz in jene Richtung. Aber... das war abwegig.
      Unsicher, ob er seine Gedanken nun wirklich aussprechen sollte oder nicht, drehte er sich weg und winkte ab, ehe er seine Arme wieder um seinen Körper schlang. Er bezweifelte, dass es ihnen irgendetwas brachte; aber im Grunde antwortete er ja nur auf eine Frage, richtig? Eine Antwort auf Aarons Frage würde ihn schon nicht als den Dummen darstellen.
      "In einem Videospiel wärs wohl Magie und das Ding da", er fuchtelte mit einer Hand in Aarons Richtung, ohne sich zu vergewissern, ob er wirklich auf seine Hände deutete oder nicht, nach wie vor von ihm abgewandt, "wäre die Mana-Anzeige oder sowas. Zufrieden?"
      Pft, Mana. Diese inneren Blutungen mussten schlimmer sein als es Mo lieb wäre, sonst würde er vielleicht nicht so abwegige Fragen stellen.
      Mo bauschte sich vor der Wand auf und versuchte an andere, logischere Erklärungen zu denken. Und darüber zu grübeln, wie sie hier raus kämen. Gab es etwas hinter diesen Wänden? Stattdessen stellte er fest, dass man sich im Eis leicht spiegeln konnte und so stemmte die Hände in die Hüften und versuchte trotz Kälte aufrecht zu stehen. Vielleicht konnte er endlich herauszufinden, ob er in der Uniform so cool aussah; ob sie so maßgeschneidert passte wie -- und er hasste den Gedanken -- Aaron.
    • "Nein. Und selbst wenn. Warum solltest du es nicht tun, wenn es dir Spaß macht und es dir niemand verbietet?", fragte er, ohne groß darüber nachzudenken, was oder viel mehr wie er es ausgesprochen hatte. Als wäre er neidisch. Völlig absurd. Oder auch nicht. Irgendwie war er das. Neidisch auf Mo und seine Freiheit. Doch das war egal.

      Leise seufzend hob Aaron seinen Blick und betrachtete Mo's Rücken. Dieser teilte doch wirklich seine Gedanken mit ihm.
      "Magie... Mana-Anzeige... Mana ist die Energie, die man zum Wirken von Magie benötigt, oder?" Er kannte sich damit nicht besonders gut aus, aber so ein bisschen Grundwissen hatte er schon. Aaron besaß nicht eine einzige Spielekonsole. Er hatte zwar einen Laptop, aber der war zum Lernen und Arbeiten. Irgendwann war er bei seinen Recherchen auch im Fantasy Bereich gelandet, doch die Informationen hatte er nur überflogen.
      "Also angenommen, da ist was dran.. Dann ist das Eis- und Feuermagie? Wenn ich es halte, wirkt es Eismagie und wenn du es hältst Feuermagie? Und wie kommst du darauf, dass es Mana anzeigt? Meinst du diese Linien hier?", fragte er, als ob er dieses Thema ernsthaft weiter vertiefen wollte. Mit einer gewissen Neugier und Offenheit, die so wirkte, als würde er Mo's Gedanken nicht für vollkommen bescheuert halten. Weil es eben genau so war. Wenn er eins wusste, dann das eigentlich nichts unmöglich war, nur manchmal sehr schwer zu erreichen.
      Es war vielleicht nicht die richtige Fährte, doch bisher war es der einzige Anhaltspunkt, den sie hatten. Was würde also passieren, wenn er das Ding weiterhin festhielt? Dem wollte er als nächstes auf den Grund gehen. Solange sich in diesem Raum nichts rührte, waren sie in Sicherheit. Außerdem war es eine große Erleichterung, dass Aaron nicht beinahe vor Schmerz zusammenbrach. Allerdings dachte er vor ein paar Minuten noch, dass er zu Tode gegrillt werden würde. Übertrieben gesagt, aber es war schon irre warm geworden. Ob es für Mo also jetzt so kalt war, dass er bald genau wie die Tentakel zu Eis erstarren würde?
      Um das zu vermeiden, schritt Aaron langsam auf ihn zu und zog seine Jacke aus. Da er darunter nur ein Shirt trug, konnte man gut erkennen, dass sein Arm nicht besonders gesund aussah. Es sah fast noch schlimmer aus, als beim letzten Mal. Dank des Serums und vielleicht auch diesem Ding hier, ging es ihm einigermaßen gut.
      "Hier.. Dir ist doch kalt, oder? Mir nicht..", sagte er und legte ihm ohne abzuwarten die Jacke um die Schultern.
      "Ich würde es gern noch länger halten, ist das in Ordnung?", fragte er und lächelte ein wenig.
      "Wenn du es nicht mehr aushältst, sagst du Bescheid, ja? Vielleicht wird es wieder wärmer, wenn du es nimmst." Er wollte es zwar nur ungern hergeben, weil er sich besser fühlte, wenn er es hielt, aber er wollte nicht, dass Mo deswegen irgendetwas zustieße. Er sorgte sich um seinen Partner, auch wenn er das eher nicht so offen zugeben würde. Immerhin ließ es ihn schwach wirken.

      "Ich habe noch nie ein Videospiel gespielt... Erzählst du mir mehr über Magie und Mana?"
      Solange sie hier drin gefangen waren und nicht weiterkamen, könnten sie über alles sprechen, was auch nur den Hauch einer Chance hatte, Aaron weiterzubringen.
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      - Eugene Ionesco

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    • Das Eis gab nicht die beste Reflektion her und so seufzte Mo enttäuscht. Viel mehr als dass seine Uniform grün war (und das wusste er auch so), konnte er nicht erkennen. Niedergeschlagen ließ er seine Haltung wieder hängen; kein Grund mehr, mit angespannten Schultern zu stehen.
      Dass Aaron sich ihm genähert hatte, bekam Mo zu spät mit; erst als er die Berührung spürte. Erschrocken fuhr er erst zusammen, dann herum, hob bereits die Faust, um sich gegen den Hinterhalt zu wehren -- ehe er noch rechtzeitig bemerkte, dass dies keiner war. Aaron hatte ihm seine Jacke umgehängt, was... zugegeben eine freundliche Geste war.
      Mo zögerte, nahm jedoch die gehobene Faust wieder runter. Sein Puls, der kurzzeitig in die Höhe geschossen war, senkte sich wieder. "Danke?", murmelte er mehr fragend, denn er wunderte sich tatsächlich darüber. Wie kam es überhaupt, dass Aaron so nett zu ihm war? Er beschützte ihn regelrecht. Er wollte nachfragen, gleichzeitig wollte er keine Antwort hören, also beließ er es dabei.
      Noch dazu fiel sein Blick auf Aarons Arm. Dieser war blau und rot und an manchen Stellen bereits lila und grün. Als hätte ihn jemand ganz übel vermöbelt. Kam das alles von dem Boden, in dem er herumgestochert hatte, um diese Münze da hervorzukramen? Aaron hatte es ihm zwar erklärt, wie er darauf gekommen war, gerade den Boden bzw. im Boden zu suchen, aber ganz verstanden hatte Mo es nicht. So wie Aaron aussah, mussten das furchtbare Schmerzen gewesen sein, evtl jetzt noch immer.
      Und vielleicht verspürte er ein ganz klein wenig Ehrfurcht vor ihm.

      Die Jacke roch fremdartig; nach ihm wohl, wonach sonst, und Mo gestand sich ein, dass er den Geruch nicht abstoßend fand. Die zusätzliche Wärme war willkommen, auch wenn er weiterhin fror und er die Hitze von dem Feuer bereits vermisste. Er zog sich die Jacke an ihrem Kragen näher an seinen Hals.
      "Von mir aus.", murmelte er dann bezüglich des Medaillons und dass Aaron dieses noch ein wenig behalten wollte. Ob es wohl tatsächlich dafür sorgte, dass entweder Eis oder Feuer entstand? Es klang abwegig, aber so abwegig auch wieder nicht, wenn er daran dachte, wie schnell das Schwert Feuer gefangen hatte -- und wie schnell dieses wieder erloschen war. Und tatsächlich war ihm mit der Münze ziemlich warm geworden. Allerdings war es eine angenehme, wohltuende Hitze gewesen, so eine von innen heraus und nicht wenn die Sonne bei 30°C im Schatten die Luft aufheizte, nicht so erdrückend. Allerdings war ihm selbst klar, dass falls das Eis und das Feuer von dem Medallion ausgingen, es besser wäre, alles eingefroren zu lassen und somit sollte Aaron es weiterhin behalten. Selbst wenn er das Gefühl hatte, seine Gliedmaßen, vor allem seine Finger, würden ihm noch abfrieren.
      In einer anderen Situation hätte Mo wohl geglaubt, Aaron würde sich über ihn lustig machen, als dieser noch mehr über Mana und Magie erfahren wollte. Aber wieso sollte er so nett zu ihm sein, wenn er sich einen Scherz über ihn erlaubte? Ergab keinen Sinn, also holte er tief Luft, sah seinem eigenen Atem in der Luft beim kondensieren zu und sprach dann: "Mana ist quasi die Ressource, mit der Magie gewirkt werden kann. Kannst dir 'nen Feuerspucker vorstellen. Wenn dem seine Flüssigkeit ausgeht, kann er auch keins mehr ausspucken. So ungefähr, nur nicht sichtbar. Ich dachte nur, irgendwo müsste diese Ressource dann gespeichert sein, damit man -- wir auf sie zugreifen können. An die Linien habe ich nicht gedacht." Leicht neigte er seinen Kopf zur Seite. "Ziehst du das wirklich als Option in Betracht? Du warst doch schon öfter hier in diesem...", er sah sich nochmal um, "wo auch immer wir hier sind. Gabs sowas Ähnliches schon mal?"
      Nun, zugegeben. Hier war ohnehin alles viel zu merkwürdig, also wieso eigentlich nicht? Dann war das da eben ein Artefakt, durch das sie Magie wirken konnten. Und mal angenommen es wäre wahr, dann wäre das auch ganz schön cool. Leicht amüsiert verschränkte Mo wieder die Arme ineinander und lehnte sich leicht mit dem Oberkörper zurück und brachte sogar ein leichtes Lächeln zustande. "Ein Grund mehr, hier rauszukommen und zwar bald. Um herauszufinden, ob das in der echten Welt immer noch funktioniert. Mit der Magie meine ich. Allerdings..." Er überlegte nochmal kurz. Beinahe könnte man sagen, fand er Gefallen an dieser Unterhaltung. Man konnte schließlich nicht immer über Fantasy Elemente sinnieren und dabei auch noch wertvolle Informationen weitergeben. Eventuell gefiel es ihm auch, etwas besser zu wissen als der Schlauberger vom Fach. "...wenn es wirklich Magie sein sollte, dann sollte sie auch besser kontrollierbar sein." Sein Gesicht nahm herausfordernde Züge an und seine Augen funkelten zu Aaron, wobei er versuchte, nicht zu seinem Arm zu sehen. "Du bist doch so ein Naturtalent in allem. Versuch doch mal, ganz gezielt was mit dem Eis zu machen."

      Dieser Beitrag wurde bereits 1 mal editiert, zuletzt von Minamimoto ()

    • "Aha, ich verstehe..", antwortete Aaron und versuchte Mo's Informationen mit seinem aktuellen Wissensstand irgendwie zu verbinden.
      Nachdenklich schritt er durch den Raum und suchte aufmerksam nach irgendeiner Auffälligkeit, abgesehen von dem Eis und all das, was man auf den ersten Blick sah. Als Mo ihn fragte, ob er es wirklich in Betracht zog, drehte er sich zu ihm um und blickte ihn an.
      "Ich schließe nichts aus, egal wie verrückt es klingt. Also ja. Ich denke darüber nach. Wir haben keine Fakten, also ist alles, was wir wissen, reine Spekulation. Theorien, die ein einzelner von uns aufstellt und die wir gemeinsam verarbeiten, um der Antwort möglicherweise ein Stück näher zu kommen." Mehr war da nicht. Sie hatten noch nicht genug Zeit, um irgendetwas wissenschaftlich belegen zu können. Und zu wenig Möglichkeiten.
      "Ich war noch nie an einem Ort wie diesem. Niemand war das bisher. Jedenfalls niemand, der wieder zurückkehrte..", meinte er, obwohl er es gar nicht so hoffnungslos ausdrücken wollte. Immerhin wollte er Mo keine Angst machen, dass sie hier nie wieder rauskämen. Wenn man hereinkam, musste man auch herauskommen. Ganz einfach.

      "Stimmt." Ob es außerhalb dieser 'Welt' noch immer funktionierte, war schließlich noch ungewiss. Im Moment war alles möglich und wiederum nichts.
      Er entfernte sich immer weiter von Mo, um eine weitere Theorie zu prüfen. Aaron hatte das Gefühl, dass es wärmer war, je näher er Mo war. Einbildung vielleicht, aber wenn es keine Einbildung war, müsste das andersherum doch auch funktionieren. Wenn Mo kälter war, je näher Aaron ihm war, dann dürfte er weniger frieren, wenn er sich weiter weg stellte. Anstelle von Antworten, häuften sich die Fragen. Aber Aaron würde nicht aufgeben und weiter nach Antworten suchen.
      Kontrollierbar?
      "Aber wie?", fragte er und starrte erneut auf das Medaillon. Wie sollte er bewusst etwas mit Eis machen? Ob es reichte, es sich einfach vorzustellen? Hatte er an etwas bestimmtes gedacht, als der Raum eingefroren war? Er war ziemlich verzweifelt und wünschte sich lediglich, dass sie herauskämen und sie überlebten. Hatte er sich gewünscht, dass der Raum einfriert? Höchstens, dass es aufhörte, die beiden anzugreifen oder etwas in der Art. Also doch reine Vorstellungskraft? Als ob er mit Eiszapfen um sich schießen könnte, nur weil er sich das vorstellte...
      Und er sollte ein Naturtalent sein? Dachte Mo etwa, dass ihm alles beim ersten Mal gelang?
      "Nein, ich.. Ich bin doch kein Naturtalent..", seufzte er. "Ich versuch's.."
      Einen Versuch war es zumindest wert. Also stellte er sich vor, dass irgendetwas aus seiner Hand käme, die er nach vorn streckte. Nichts. So einfach war das wohl eher nicht.
      "Hm.." Stellte er es sich nicht gut genug vor? Vielleicht verhinderten seine Zweifel ein Wirken der Magie. Aber wer würde schon vollkommen überzeugt davon sein, wirklich Magie nutzen zu können. Magie war ja nichts wissenschaftliches. Nichts, was in Büchern stand. Jedenfalls keinen Fachbüchern. Also blieb ihm nur, sich weiter den Kopf darüber zu zerbrechen.
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      - Eugene Ionesco

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    • Das Lächeln auf seinem Gesicht verblasste recht schnell wieder. Aaron hatte es vorher bereits gesagt, dass keiner aus einem Spalt zurückgekommen war, aber irgendwie war das nicht so dramatisch in Mos Hirn angekommen. Er hatte geglaubt, dass trotzdem Informationen draus gewonnen worden waren, irgendwelche Signale versendet oder... irgendetwas Nützliches eben!
      Dass tatsächlich schon Leute in Orte wie diese gefallen waren und höchstwahrscheinlich in ihnen auch gestoben sind, begriff er erst jetzt. Sollte das etwa sein Schicksal sein? Wetten darüber abschließen, ob er zuerst verhungern oder erfrieren würde?
      Mit zusammengebissenen Zähnen ging Mo in die Hocke und nahm das Messer aus dem Holster an seinem Bein, rammte es in das Eis am Boden. Hätte er nochmal etwas nachgedacht und sich daran erinnert, dass der Boden der Schwachpunkt war und die Tentakel erzürnte, wenn man ihn beschädigte, hätte er vielleicht doch lieber die Wand genommen, um darin herumzustochern, aber das tat er nicht. Zumal er ohnehin nur die Eisschicht in kleine Stückchen hackte.

      Aaron scheiterte kläglich bei dem Versuch, kontrollierte Magie zu wirken und beinahe hätte Mo das doch wieder zum Lachen gebracht. Wie der andere dort stand, mit ausgestreckter Hand und konzentriertem Gesicht. Wie ein Kind, das spielte, ein Zauberer zu sein. Aber die hoffnungslose Lage verdarb ihm seinen Humor. Er fühlte sich wie seine Tiefkühlpizza im Gefrierfach.
      Mo hatte sich Magie immer wie einen Muskel vorgestellt, wie einen zusätzlichen Arm, den man lenken konnte und weniger wie etwas, das einfach aus dem Nichts erschien. "Spürst wohl nichts, hm?", hakte er demnach nach, auch wenn er selbst nicht daran glaubte. Er konnte sich auch nicht daran erinnern, dass er das Schwert willentlich in Brand gesetzt hatte; wieso sollte es also bei Aaron anders sein?
      Er ließ das Messer belanglos aus seiner Hand fallen und hob seine beiden Hände an seinen Mund, hauchte seinen Atem in die zu einer Schale geformten Handflächen. Das brachte zumindest für den Moment etwas, reichte jedoch bei Weitem nicht aus.
      Und langsam riss sein Geduldsfaden. Er hatte weder Lust zu erfrieren, noch zu verhungern! Da wäre es ihm lieber gewesen, von der Anomalie zerquetscht worden zu sein; innerlich oder äußerlich, egal, Hauptsache schnell vorbei! Aber hier für Tage eingesperrt zu sein, wahrscheinlich Aaron noch beim Sterben zusehen, wenn dieser an seinen Verletzungen erlag und dann selbst elendig zu verrecken? Gar keine Lust drauf!
      Mo stieß einen verzweifelten Laut aus seiner Kehle, ergriff das Messer und erhob sich wieder. Diesmal rammte er das Messer in die Wand vor seiner Nase, anstelle den Boden zu zerhacken. Die Klinge blieb im Eis stecken; er zog sie mühsam wieder heraus und wiederholte das Spielchen von vorne. Auch wenn seine Finger kaum noch den Griff halten wollten, vielleicht wurde ihm durch die Bewegung wieder etwas wärmer.
      "Verfluchte Dreckswand!", fluchte er wütend mit dem festen Entschluss, die Wand früher oder später kleingehackt zu bekommen. "Die war doch ganz am Anfang auch noch nicht so da!" Es war richtig schwer zu erklären, weil es keinen Sinn ergab und höchstwahrscheinlich hatte es nur an dem Schwindel gelegen, dass Mo die Wände erst nach einer Zeit so klar und deutlich vor sich gesehen hatte wie er sie jetzt sah. Dass das beklemmende und beengende Gefühl da gewesen war, bevor er begriff, sich in einem geschlossenen Raum zu befinden. Als hätten sie sich erst später manifestiert -- aber es war auch egal. Es war nicht die erste Wand, auf die Mo eingschlug und es sollte auch nicht die letzte sein, in die er ein Loch schlagen wollte. Nahm er sich zumindest fest vor.
    • "Nein.." Er spürte nichts ungewöhnliches. Nichts, was sich so anfühlte, als würde er Magie benutzen, wie auch immer sich das anfühlen sollte. Vielleicht war es eben doch etwas anderes.
      Allerdings war Aaron im Gegensatz zu Mo sehr geduldig. Er wollte dieses Medaillon beobachten, während er es hielt. Also ließ er sich an der Wand runterrutschen, um sich zu setzen, während er seinen Leidensgenossen beobachtete. Wollte er mit seinem Herumgestocher etwas bewirken oder suchte er lediglich Ablenkung?
      "Hey.. du solltest deine Kräfte schonen. Irgendwann werden wir diese Dinger auftauen müssen und dann musst du gegen sie kämpfen. Ich kann nicht mehr kämpfen.. Ich bring uns irgendwie hier raus.. Und dann werde ich alles geben, um die Welt von dieser Plage zu befreien." Das hatte er sich fest vorgenommen. Ob seine Lebensaufgabe damit allerdings erfüllt wäre, glaubte er nicht. Immerhin war es nie vorgesehen, dass Aaron sich mit Anomalien herumschlagen musste. Sein Vater hatte andere Pläne. Wenn er allerdings in diesem Kampf sterben würde.. Was dachte er da nur?! Er wünschte sich doch nicht den Tod seines Vaters! Oder doch? Er wusste es selbst nicht genau. Seit dem Wiedersehen mit Mo, kam alles nach und nach wieder hoch. Vorher hatte er nur mit seinen Kollegen zutun und alles war rein beruflich. Mo aber weckte längst begrabene Wünsche in ihm. Dieser Raum hier machte es nur schlimmer.
      "Ich beneide dich...", murmelte er leise und starrte wieder auf das Medaillon. Eigentlich wollte er das nicht laut aussprechen, allerdings blieb er so ruhig dabei, als wäre es Absicht gewesen.
      ~ ♦ ~ Die Freiheit der Phantasie ist keine Flucht in das Unwirkliche; sie ist Kühnheit und Erfindung. ~ ♦ ~
      - Eugene Ionesco
    • Aarons Worte drangen zu Mo zwar durch, bewegten ihn jedoch nur fester auf das Eis einzuschlagen. Interesse daran, gegen die Dinger wieder zu kämpfen, hatte er nicht. Also musste er hier vorher rauskommen, auch wenn er sich nicht sicher war, ob die Wand vom Eis zu befreien, da so klug war.
      Mit dem Eis bröckelte jedoch auch etwas Putz ( ? konnte man das Putz nennen? Wohl kaum, war aber der einzige Begriff, der Mo einfiel, auch wenn das Material ziemlich offensichtlich aus etwas anderem zu bestehen schien) ab und wer weiß? Wenn die Wand sehr dünn wäre, käme er vielleicht durch bevor ein weiterer Angriff passieren konnte. Gab natürlich auch die Möglichkeit, dass die Wand dicker war; im worst case war sie endlos dick. Aber einfach nur herumsitzen brachte ihn auch nicht weiter. Seine Muskeln waren zwar tatsächlich müde und eine Auszeit hätte ihm eventuell wirklich nicht geschadet. Aber wenigstens hatte er so etwas zu tun. Etwas, das eventuell sogar was brachte. Vielleicht.
      Abfällig prustend pausierte er seine Schläge für wenige Momente. Aaron war ja sehr ambitioniert. Während Mo sich vornahm, nochmal eine andere Wand als diese hier kleinzuprügeln, wollte Aaron gleich die ganze Welt retten. Spiegelte gut wieder, wie unterschiedlich sie sich doch waren. Mo musste kein Held sein oder werden; aber für jemanden, der sonst schon alles haben musste im Leben, jemand wie Aaron, dem alle Türen offen standen, für den waren solte Ambitionen womöglich das einzig reizvolle, das noch blieb.
      Erst bei Aarons nächster Bemerkung stoppte Mo mit seinem Gehacke ganz und drehte sich skeptisch mit erhobenen Brauen zu dem anderen um, der nun mit gutem Abstand zu ihm auf dem Boden saß und die Münze anstarrte. "Was...?", stammelte er ungläubig. Wieso sollte ausgerechnet Aaron ausgerechnet ihn beneiden? Der Mann, der immer gute Noten hatte, der es zum Militär geschafft hatte, auf den eine Zukunft ohne Tiefkühlpizza warten würde, sofern sobald sie hier rauskämen. Beinahe hätte er das laut ausgesprochen, hielt sich jedoch zurück. Zwar interessierte es ihn, was an ihm bitteschön so beneidenswert war, aber er wollte Aaron nicht gleich wiedersprechen. Ihm eröffnen, was für ein klägliche Leben er führte -- musste nicht sein.