If We Don't Lie (Kiimesca & Minamimoto)

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    • Mo schien sich zu verspäten, weshalb sich Aaron an die Beifahrerseite seines Autos lehnte und sich mit seinem Handy beschäftigte. Er hatte kein einziges Spiel darauf, aber das brauchte er auch nicht. Hauptsächlich nutzte er es zu Recherchezwecken oder eben dafür, wofür ein Telefon ursprünglich erfunden wurde: Telefonieren. SMS - oder heutzutage Messenger. Sonst nichts. Es klang absurd, aber einen Versuch war es wert und er hatte gerade ja eh nichts besseres zutun. Also durchforstete er das Internet nach Tipps zur Magienutzung. Natürlich wurden ihm da nur Seiten zu Rollenspielen und Games angezeigt. Ein Würfel würde sie hier allerdings wohl nicht weiterbringen. Er hatte auch nicht ernsthaft geglaubt, dass er eine Anleitung für das echte Leben finden würde. Manche Fantasy Seiten waren jedoch gar nicht so uninteressant. Hier und da wurde aus der Sicht der Spielfigur, unter anderem dem Magier selbst, erzählt. Der richtige Zauberspruch und die richtige Bewegung des Zauberstabs konnte er wohl aussortieren. Allerdings hatte er etwas gefunden, in dem wirklich beschrieben wurde, dass man seine Gefühle im Griff haben müsste, da Magie auf sie reagiert. Das man sie verarbeiten müsste, sollten sie im Weg stehen. Nichts davon, dass man sich mit geschlossenen Augen an schmerzhafte Dinge in seinem Leben erinnern sollte. Ihm war natürlich bewusst, dass das alles nur fiktiv war und man es nicht so ernst nehmen konnte. Aber besser als nichts, oder?

      "Hi", erwiderte der Braunhaarige und löste sich von seinem Auto, um sich ihm zu nähern und das Medaillon zu fangen. Etwas verwundert sah er ihm nach und folgte ihm dann.
      "Wechseln wir uns ab oder soll ich zuerst versuchen, bis es klappt?"
      Wer weiß, wie lange das dauernd würde. Mo sollte sich ja nicht langweilen müssen, nur weil Aaron stundenlang nichts zustande bekäme. Sie müssten es ja irgendwie auch mal ohne traurige oder zornige Gedanken schaffen.
      Am Fluss angekommen, setzte er sich wieder auf den Boden und beugte sich nach vorn, um einen kleinen Becher aus seiner Jackentasche mit Wasser zu füllen. Er wollte versuchen, das Wasser darin einzufrieren, anstelle des Bodens unter ihm. Dazu müsste er das Eis ja nur irgendwie aus seiner Hand kommen lassen, so wie bei Mo das Feuer gestern. Seine Versuche sahen sehr viel erfolgreicher aus, auch wenn seine Versehen üblere Folgen hatten, als seine. Aaron hatte aber keine Ahnung, wie man richtig in sich hineinhorchte. Wie man diesen Funken ergreifen konnte, ohne das er quasi explodierte. Seine Recherche half ihm dabei auch nicht so wirklich.
      Das Wasser im Becher war zwar irgendwann tatsächlich eingefroren, aber bewusst hatte es sich nicht angefühlt. Eher wie ein Nebenprodukt der Kälte, die er um sich herum erzeugte. Neugierig legte er zwei Finger an seine Halsschlagader. Sein Puls war ganz langsam. Er fühlte sich aber nicht komisch oder so.
      Eis war ruhig und still. Aber es klappte auch nicht, wenn Aaron versuchte ganz ruhig zu sein. Wie lockte er das Eis also jetzt bewusst heraus? Ganz bewusst und nicht bewusst aus Versehen, wie die letzten Male.
      Wenn Mo es nun mal versuchen wollte, würde er ihm das Medaillon übergeben. Vielleicht zog er dieses Mal lieber seine Jacke aus, um sie nicht wieder zu versengen. Vielleicht auch gleich alles. Jedenfalls oben rum.
      ~ ♦ ~ Die Freiheit der Phantasie ist keine Flucht in das Unwirkliche; sie ist Kühnheit und Erfindung. ~ ♦ ~
      - Eugene Ionesco
    • Mo zuckte lediglich mit den Schultern. Er wusste nur, dass er im Augenblick das Medallion nicht halten sollte; nicht auf dem Weg zum Strand und am besten auch nicht direkt am Fluss, wenn er nicht riskieren wollte, dass ihm seine Kleidung innerhalb Sekunden komplett abbrannte oder die Funken doch zum bewilderten Gras übersprangen und sich zu einem gefährlichen Brand ausweiteten. Er musste sich vorher erst mal abkühlen.
      Dafür hätte er womöglich einfach bei Aaron bleiben können, aber das dauerte ihm zu lange. Stattdessen zog er sich bis zur Shorts aus und begab sich dann ins Wasser.
      Die Abkühlung gelang ihm auf alle Fälle, denn das Wasser war arschkalt! Es kostete ihn starke Überwindung mit dem Kopf unterzutauchen und ein wenig zu schwimmen. Während er tauchte trieb er doch etwas weiter von Aaron weg, denn als er wieder auftauchte, musste er diesen erst wieder suchen und er sah, dass er beinahe in eine gefährlichere Strömung geraten wäre. Das Wasser war etwas weiter von dem Ort, an dem Aaron und er sich niedergelassen hatten, sehr aufgewühlt und trieb sehr schnell flussabwärts. Nochmal Glück gehabt.
      Und natürlich hatte er kein Handtuch dabei. Hatte schließlich nicht geplant, ins Wasser zu springen, aber das war nicht so schlimm. Mit dem Medallion würde ihm wahrscheinlich schnell wieder warm werden.
      Als er wieder aus dem Wasser kam, näherte er sich Aaron nur ganz vorsichtig, damit dieser ihn nicht gleich einfror, denn Mo war nun immerhin klatschnass. Passierte allerdings nicht und er konnte die Münze entgegen nehmen, warf einen Blick in seinen Becher. Dieser war zwar nun mit Eis gefüllt, aber Aaron sah weder zufrieden aus noch erschien es Mo als wäre das Eis wirklich fest. Nicht so wie die Male davor. Eher nur so... angefroren.
      Er drehte die Münze in seiner Hand. Ihm war echt kalt; an der Luft nun noch mehr als als er noch geschwommen war, aber das Artefakt strahlte bereits seine Wärme innerhalb seines Körpers aus. Bestimmt würde er bald wieder trocken sein.
      "Das bringt mit dir so nix.", stellte er nüchtern fest. "Vielleicht brauchst du eine richtige Gefahrensituation, damit du es begreifst." Mo öffnete seine Handfläche, mit dem er das Medallion nicht hielt und konzentrierte sich erneut auf eine Flamme in seiner Handfläche. Es fiel ihm auch nicht schwer, genau das zu schaffen. Schwerer war es, die Flamme sowohl zu halten als auch sie weder zu klein noch zu groß werden zu lassen. Ab und zu flackerte sie größer auf und Mo musste sich anstrengen, dass sie wieder kleiner wurde; dann wurde sie zu klein und so weiter. Aber im Groben und Ganzen bekam er fast durchgängig ein in etwa handflächengroßes Flämmchen hin.
      Er klemmte die Münze sich zwischen die Lippen, ging ein paar Schritte von Aaron zurück und hielt auch die zweite Hand geöffnet nach oben. Dann versuchte er, das Feuer von der einen Hand zur anderen zu werfen, als wollte er damit jonglieren. Das erste Mal scheiterte komplett und das Feuer blieb einfach in der Hand, in der er es herbeigeschworen hatte; beim zweiten Mal erhob sich das Feuer zwar in die Luft, ging dann jedoch direkt aus. Na ja. Aber war doch schon mal ein Anfang. Und glücklich machte es ihn trotzdem. Er hatte gerade mittels Magie Feuer in die Luft geworfen!
      Mo nahm die Münze wieder aus seinem Mund und lächelte zufrieden. Er machte nun nicht die krassesten Fortschritte, aber es machte Spaß. Und so langsam war sein Körper auch tatsächlich wieder getrocknet; kalt war ihm schon lange nicht mehr.
      "Siehst du? Wenn dir eine Wette nicht genügend Anreiz gibt... Wie war das? Du wolltest mich beschützen?" Sonderlich scharf drauf, wieder zurück ins kalte Wasser zu springen, war er nicht, aber vielleicht war das die Lösung? Er hatte den Funken auch nur unter Druck gefunden und wenigstens wusste er seitdem, welchen Teil seines Hirns er zu kitzeln hatte.
      Entschieden gab er Aaron das Artefakt zurück und begab sich dann entschlossen wieder ins Wasser, das nun nach der besonderen Wärme der Magie noch kälter vorkam als zuvor. Wie Nadeln fühlte sich die Kälte an, die sich in seine Haut und seine Muskeln bohrten; ein richtiger Kälteschock. Aber davon ließ er sich nicht abhalten und begab sich dennoch an die Stelle, an die die Strömung an Fahrt gewann, wurde auch prompt von ihr gefasst. Mo wehrte sich nicht, von ihr mitgenommen zu werden, trieb unter die Oberfläche und schluckte ungewollt das eiskalte Wasser, das ihn nochmal mehr in einen Schockzustand versetzte.
      Aber Aaron würde ihm schon wieder da raushelfen. Darauf musste er eben vertrauen.
    • Nachdem Mo das Medaillon nahm, betrachtete er den Inhalt des Bechers. Das Wasser ließ sich problemlos ausschütten, da nur die Oberfläche gefroren war, die im Wasser versank und für immer verschwand. Warum sah das bei Mo so viel leichter aus? Er beobachtete ihn einen Moment, doch die Betrachtung von außen brachte rein gar nichts. Nicht besonders überzeugt von seinen Worten blinzelte Aaron kurz, ehe er ihn etwas beunruhigt ansah. Beschützen? Was hatte Mo vor? Er wollte sich doch nicht in Gefahr begeben, oder?!
      Verdutzt sah er kurz auf das Medaillon und folgte Mo. Was erwartete er von ihm? Wenn er das ganze Wasser einfror, könnte Mo doch zu Schaden kommen. Was dachte er sich dabei? Unruhig umklammerte er das Medaillon und behielt Mo im Blick, der plötzlich unterging. Es sah auch nicht danach aus, dass er es freiwillig tat. War der Fluss so tief? War Mo wirklich auf seine Hilfe angewiesen? Einige Sekunden vergingen.
      "Mo!" Was, wenn er ihn aus Versehen in einen Eisblock einschloss? Er wusste doch gar nicht, wie er das Eis wieder schmelzen ließ. Von allein würde das ewig dauern und dann wäre er schon erstickt. Was für ein Vollidiot. Er sah ja nicht mal was! Ungeduldig sprang er ihm nach, klemmte die Münze wie Mo zwischen seine Lippen, um die Hände frei zu haben. Das Wasser erschien ihm zwar kalt, aber nicht eiskalt. Wie Mo, wurde er von der Strömung gefasst. Wenn er etwas bewusst einfrieren könnte, dann würde er einfach von unten nach oben arbeiten. Vorsichtshalber, sollte er Mo jedoch nah genug sein. Deshalb schlang er seine Arme um ihn und betete, hoffte, dass sie es rausschaffen würden. Dass Mo nicht ertrinken würde. Wäre er ertrunken, wenn Aaron ihm nicht helfen würde? Diese Frage verursachte eine Zögerung, aber egal, wie gefährlich es letztendlich wirklich war, er musste Mo rausholen.
      Er kniff die Augen zusammen und fühlte, wie es kälter wurde. Irgendetwas passierte, aber er machte sich Sorgen, ob es aufhörte, wenn er seine Augen öffnete. Deshalb hielt er sie geschlossen, bis er plötzlich mit Mo auf seinem Körper an der Oberfläche zu sein schien, denn der Wind zog ihm einen unangenehmen Schauer durch die Knochen. Er hatte tatsächlich das Wasser von unten beginnend eingefroren, sodass sie jetzt auf einer stabilen, dicken Eisschicht lagen.
      "Bist du bescheuert?", zischte er, nachdem er das Medaillon in die Hand genommen hatte und drückte Mo von sich weg, um ans Ufer zu krabbeln.
      "Was, wenn ich es nicht geschafft hätte?" Und ob das als geschafft galt, bezweifelte er gerade auch. Es fühlte sich mehr wie ein Flehen an, dass er Mo da unbeschadet rausbekäme.
      Aber ging es Mo jetzt gut? Atmete er? Hastig warf er einen Blick zurück, um nach ihm zu sehen.
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      - Eugene Ionesco
    • Das waren nicht die schönsten Momente in seinem Leben, dafür gingen sie erstaunlich schnell vorbei. Die Kälte vernebelte seinen Verstand so stark, dass er fast nur noch Schmerzen spürte, aber auch nicht viel Bewusstsein behielt, wie lange er nun unter Wasser trieb. Ab und zu musste er wohl an die Oberfläche gelangt sein, um nach Luft japsen zu können, was zusammen mit dem Wasser in seiner Lunge nur für weiteren Schmerz sorgte.
      Mit einem Mal war das jedoch vorbei. Mo hustete auf allen Vieren bereits das Wasser aus, das er geschluckt hatte, ehe er Momente später erst realisierte, dass er sich auf einer stabilen Oberfläche befand.
      Und kaum dass er das realisiert hatte, überkam ihm ein Lachen. Kaum war das Wasser aus seiner Lunge gewichen und er konnte wieder einigermaßen gut atmen, drehte Mo sich auf den Rücken, bleib auf dem Eis und hielt sich vor Lachen den Bauch. Sein Hirn wurde zwar langsam wieder mit Sauerstoff gefüllt, aber noch erschien ihm die Situation alles andere als bescheuert. Im Gegenteil: sie war fantastisch!
      "Ich wusste, dass du das hinkriegst!" Fröhlich drehte er sich zu Aaron um und kraxelte dann zu ihm. Das Lachen verging ihm nur, weil er weiterhin am ganzen Leib zitterte, aber aufhören mit seinen leicht bläulichen Lippen zu lächeln tat er nicht. "Du hast es geschafft, Zombie. Freu dich mal!"
      Bittend streckte er seine Hand nach dem Medallion aus. Vielleicht könnte er ihnen beide Wärme spenden; denn Aaron war nun auch von Kopf bis Fuß klatschnass und der trug sogar noch seine Kleidung.
      Mo hustete noch einmal, setzte sich in den Schneidersitz und sah auf die Eisschicht, die Aaron herbeigezaubert hatte. Die war jedenfalls um einiges dicker als die im Becher, wenn nicht gar dicker als alles, was Aaron bisher herbeigezaubert hatte. Außerdem fiel ihm auf, dass sie sich nun auf der anderen Seite des Ufers befanden. Hm.
      "Ich hoffe, das hat geholfen, weil du uns noch wieder zurück bringen musst." Mit den Zähnen weiterhin klappernd deutete Mo mit einem Finger auf die andere Seite.
    • Mo's Lachen erleichterte ihn zwar, aber witzig fand er es überhaupt nicht.
      "W.. Und wenn nicht?!" Wie konnte Mo sich da so sicher sein? Das war viel zu riskant!
      "Ja..", murmelte er nur, aber nicht so fröhlich, wie Mo es sich wohl wünschte. Er legte das Medaillon in die Hand des anderen und setzte sich, schlang seine Arme um seine Beine und blickte auf die große Eisfläche, die allerdings nicht zum anderen Ufer reichte.
      "Später..", seufzte er erschöpft und kauerte sich zusammen. Hatte Mo überhaupt eine Ahnung, wieviel Angst er ihm damit eingejagt hatte? Das war dumm von ihm. Leichtsinnig. Scheinbar hatte er noch immer nicht viel in der Birne.
      In der Zwischenzeit versuchte Aaron sich zu erinnern, wie er das bewirkt hatte und ob es sich kontrollieren ließe. Noch hatte er den Bogen nicht raus. Aber zuerst sollten sie sich ein wenig aufwärmen. Danach würde er weiter mit dem Medaillon forschen. Er müsste nur den Unterschied bemerken, wenn er das Medaillon hielt und nicht hielt. Es immer wieder in die Hand nehmen und ablegen, bis er herausgefunden hatte, wie dieser Funken oder was auch immer aussah. Und hoffentlich würde Mo sich nicht wieder dafür in Gefahr begeben.
      "Hast du keine Angst draufzugehen?" Er konnte ihm doch nicht wirklich so sehr vertrauen.
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      - Eugene Ionesco
    • Mo rieb seine Hände, das Medallion dazwischen, als würde er ein Stöckchen zum Feuermachen reiben, nur ohne Stöckchen und auch ohne Feuer. Er wusste auch nicht, ob das irgendetwas brachte; als wäre das Medallion die Wunderlampe und er würde sich etwas mehr Wärme wünschen. War aber nicht wichtig, weil je länger er es hielt, desto mehr breitete sich die Wärme wieder in ihm aus. Wie sich das wohl für Aaron anfühlen musste mit dem Eis?
      "Wir hätten das Schwert mitnehmen sollen.", murmelte Mo, weiterhin das Medallion rubbelnd. Dann müsste er nur den Griff halten und hätte sofort ein schönes Feuerchen. Vielleicht könnte er auch ein paar Äste sammeln und damit ein Lagerfeuer machen, nur lag auf dieser Seite des Ufers erst mal nichts hier. Und er wollte Aaron nicht alleine lassen (und sich ebenso wenig selbst bewegen).
      "Nö." Er ließ die Schultern zucken. "Ich hab einfach nicht an dir gezweifelt. Im Spalt gabs auch nur die Option Magie oder Tod, und wenn mich das anspornt, wieso dich nicht?" Klang in seinen Ohren völlig logisch und am Ende hatte es doch funktioniert. Aaron hatte ihn beschützen wollen und ihn am Ende tatsächlich beschützt. Happy End. Er verstand nicht, wieso Aaron nicht so niedergeschlagen schien.
      Er hörte auf, die Münze zu reiben und drehte sich zu ihm, der wie ein nasser Pudel aussah, vor allem so zusammengekauert, grinste ihn an. "Du bist wahrscheinlich der einzige Mensch auf der Welt, der Magie wirken kann und sich nicht darüber freut. Guck doch mal, was du getan hast!" Nochmal deutete er zum Eisblock, der zum Ufer hin bereits schmolz; aber das musste an Mos Nähe liegen. Der Rest sah nämlich immer noch ziemlich stabil aus und spaltete das Wasser. Die Strömung wurde komplett unterbrochen und musste sich ihren Weg drum herum bahnen.
      Er sah nochmal zu der Münze in seiner Hand, sah sich die schön leuchtenden Linien an. Was die bedeuteten, wussten sie wohl immer noch nicht. "Meinst du, man kann da ein Loch reinbohren oder gehts dann kaputt?" Das Ding immer in der Hand zu halten war ganz schön behindernd und sich in den Mund stecken wollte er auch nicht immerzu. Sie mussten sich irgendwie überlegen, wie sie es sonst transportieren könnten.
    • Er hatte einfach nicht an ihm gezweifelt? Obwohl sie sich nicht besonders gut kannten, stand wohl außer Frage, dass Aaron anderen unter allen Umständen helfen würde. Mo war also nicht zwangsläufig naiv, sondern erkannte Aaron's Absichten. Sollte ihm vielleicht ein tolles Gefühl geben, tat es aber nicht. Es könnte allerdings genauso unglücklich ausgehen, wenn sie sich auf den Zufall der Gefahr verlassen.
      "Es.. was auch immer.. Mach das einfach nicht nochmal, ok?" Mit Mo zu diskutieren brachte wohl nichts. Warum sollte er sich denn darüber freuen? Das bedeutete nur, dass sich noch mehr Menschen auf ihn verlassen würden. Das er noch mehr Verantwortung tragen müsste. Hatte Mo überhaupt eine Ahnung, wie anstrengend es war, immer das richtige tun zu müssen? Nein, wahrscheinlich nicht. Grundlos andere Kinder zu verprügeln war nämlich definitiv nicht richtig. Aaron hatte dahingegen eine furchtbar schwere Last zu tragen.
      "Weiß nicht. Wir können ja einen Juwelier fragen.." Mit sowas kannte Aaron sich nicht aus. Und es wäre überhaupt nicht gut, wenn sie es versehentlich kaputt machten. Was dann? Dieses Ding war ein Hoffnungsschimmer. Möglicherweise ihre Rettung. Was wussten sie schon.

      Nachdem sie sich aufgewärmt hatten, bestand Aaron darauf, es auf seine Art zu machen. Er blieb auf dem Boden sitzen, nahm das Medaillon in die Hand und schloss seine Augen. Dann legte er es vor sich auf den Boden. Das wiederholte er ein paar Mal. Er konnte diese Kälte in ihm deutlich spüren. Aber konnte er sie auch lenken? So wie sein Gehirn das Signal an seinen kleinen Finger lenkte, um diesen zu bewegen. Mo bekam das doch auch hin; dabei war er nicht der hellste. Oder vielleicht genau deswegen? Ging Aaron zu logisch, zu verkrampft an die Sache ran? Wenn Magie auf Gefühle reagierte, war sie vielleicht generell intuitiver. Möglicherweise ist er immer falsch an die Sache rangegangen. Vielleicht müsste er einfach mehr daran glauben, so wie Mo. Vielleicht brauchte er mehr Fantasie? So wir Mo mit dem Feuer gespielt hatte. Okay, nicht gerade vorbildlich, wenn man sich dauernd ankokelt, aber vielleicht ist das dennoch der richtige Weg.
      "Okay.."
      Aaron stand auf und näherte sich dem Ufer. Mehr Vertrauen, weniger Kontrolle. Was sollte schon passieren? Er stellte sich einfach vor, wie diese Kälte sich in seinen Füßen sammeln und das Wasser einfrieren würden. Dann setzte er seinen Fuß an die Wasseroberfläche und siehe da: Das Wasser gefror tatsächlich unter seinen Füßen.
      "Es funktioniert!" Dieses Mal mit etwas mehr Freude, setzte er den nächsten Fuß, doch versank dieser im Wasser. Gut. Nicht zu intuitiv. Etwas mehr Konzentration erforderte das scheinbar schon. Nachdem er seinen Fuß aus dem Wasser gezogen hatte, versuchte er es erneut, indem er seine Fußspitze vorsichtig auf das Wasser setzte. Dann den nächsten. Ja, so langsam bekam er ein Gefühl dafür. Seine Magie war auch irgendwie anders, als die von Mo. Er konnte keinen Schneeball in der Hand erzeugen, wie Mo sein Feuer. Er konnte lediglich Flächen, die er berührte, zu Eis erstarren lassen. Dabei schien es egal zu sein, ob es seine Hand, sein Fuß oder sogar sein Hintern war. Und er konnte nichts aus dem Nichts erschaffen. Keinen fliegenden Eiswürfel oder so. Aber das müsste er auch nicht. Hauptsache es gelang ihm, die beiden sicher über das Wasser zu bringen.
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      - Eugene Ionesco
    • Mo ließ die Augen rollen und beschäftigte sich wieder damit, dass ihm warm wurde. Immer wenn er dachte, Aaron sei gar nicht so schlimm, bewies dieser doch wieder das Gegenteil. Er war ganz schön stur und eigensinnig und das machte ihn so arrogant. Mo hatte ihm nur helfen wollen und seiner Meinung nach hatte das doch ganz gut geklappt. Aber wie Aaron gestern schon gesagt hatte: Er sei ihm keine Hilfe. Dann halt nicht.
      Im Gegensatz zu ihm hatte Mo keine Probleme, sich über die Magie zu erfreuen. Im Schneidersitz sitzend versuchte er sich wieder daran, eine Flamme von einer in die andere Hand zu werfen. Das klappte weiterhin nicht; auch wenn er sie nun wenigstens geübt in die Luft werfen konnte; er konnte sie in der Luft nur nicht halten. Vielleicht sollte er es probieren zu lernen, wie er das Feuer außerhalb seines Körpers lenkte; denn immerzu in seiner Hand brachte ihm nicht viel. Aber wie? Sollte er einen Stein zum brennen bringen, oder was? Er hatte hier doch nichts, was brennen konnte.
      Und dann war auch noch der Zeitpunkt gekommen, an dem Mo das Medallion wieder abgeben musste und an Mr. 'Ich-mach's-auf-meine-Art'. In der Zeit, in der Aaron das Artefakt aufnahm. Und hinlegte. Und wieder aufnahm, war Mo sogar fast bereit, sich lieber wieder in die Strömung zu begeben, als darauf zu warten, dass mal endlich etwas passierte. Es war unglaublich langweilig! Und kalt noch dazu; Mos Kleidung lag ja auch noch am anderen Ufer. Genauso wie sein Handy, mit dem er sich etwas hätte ablenken können. Aber still sitzen und warten? Nicht Mos Stärke.
      Er stand auf und ging hin und her. Die Minuten, in denen er wartete, kamen ihm wie eine Ewigkeit vor; er hatte das Gefühl, der Himmel fiele ihm auf dem Kopf. Anfangs ließ er noch Steine übers Wasser hüpfen. Nach ein paar Malen wurde das zu langweilig, also warf er die Steine nur noch so ins Wasser, was noch langweiliger war. Und gerade als er sich wirklich dazu entschloss, einfach wieder zurück zu schwimmen, Strömung hin oder her, bewegte Aaron sich endlich mal und lief -- wortwörtlich übers Wasser.
      Mo klappte die Kinnlade herunter und er stand wie angewurzelt da, starrte ungläubig auf dieses... Phänomen. War das Blasphemie oder ein Wunder? Er konnte sich seinen Vater vorstellen, der wi-- Nein, stopp.
      Schnell schüttelte Mo den Kopf, um seine Gedanken loszuwerden und sah stattdessen zu den Stellen eingefrorenen Wassers, auf denen Aaron stand.

      Ebenfalls ein Wunder war es, dass Mo Aaron auf dem Weg, den dieser ihnen bahnte, nicht ausrutschte, obwohl er mehrmals kurz davor stand, doch wieder ins Wasser zu fallen. Für dieses Mal hatte es jedoch funktioniert, die beiden sicher ans andere Ufer zu befördern; das nächste Mal würde Mo aber eine anständige, breitere Brücke einfordern. Vorerst war er aber einfach nur glücklich darüber, wieder an Land zu sein; und zwar am richtigen. Er lief zurück zu ihrer Stelle und sprang in seine Kleidung. Auch wieder bei seinem Handy zu sein, war ein angenehmes Gefühl. Er war nicht süchtig danach, aber er war allergisch gegen Langeweile. War einfach gut zu wissen, dass diese nun vorbei war. Er brauchte ein paar mehr Sinneseindrücke, also entsperrte er es und las die paar Artikel über den Spalt und der kleinen Anomalie, die in der Stadt erschienen waren und die ihm auf dem Sperrbildschirm als News angezeigt wurden. Scheinbar war das Tor wieder geschlossen worden; bis auf die eine Anomalie war nix entwischt und das Chaos auf den Straßen legte sich ganz allmählich. Die einzigen Verletzten waren Trottel, die in dem Stau einen Unfall gebaut hatten.
      "Mir reichts für heute." Mo steckte das Handy wieder weg. Wenn sich das Straßengetümmel auflöste, würde er auch wieder nach Hause fahren können. Der Ort hier war zwar schön, aber das ewig lange Warten und die kurze Erinnerung an seinen Vater hatten seine Stimmung getrübt und so hatte er keine Lust mehr, hier zu sein, also würde er gehen. Dass eventuell im Raum stand, dass Aaron und er sich den nächsten Herr der Ringe Teil ansahen, hatte er gerade nicht auf dem Schirm und das war auch nicht böse gemeint. Er war lediglich derzeit zu unruhig, um einen vernünftigen und klaren Gedanken zu fassen und weiter nach vorne zu schauen, als dass er nunmal keinen Bock mehr hatte, sich weiterhin hier aufzuhalten.
    • Er warf einen Blick zurück, während Mo sich anzog und betrachtete die Eisfläche. Dann betrachtete er das Medaillon, auf dem die silbernen Linien noch kein ganzes Symbol zeigten, doch man konnte erkennen, dass es wohl eine Schneeflocke sein sollte. Irgendwie überraschte ihn das nicht einmal. Also bildete sich auf der einen Seite die Schneeflocke und auf der anderen die Flamme. Bedeutete das, dass es nur diese beiden Arten von Magie wirken konnte? Wie entschied es, wer welche nutzen konnte? Und könnte jemand anderes es auch nutzen? Wenn er es sich mit seiner Schwester oder seinem Vater teilen würde - würden die beiden dann ebenfalls die Eismagie wirken? Mo riss ihn mit seinen Worten aus den Gedanken, weshalb er zu ihm aufsah. War er irgendwie verärgert?
      "Okay.. Heute möchte ich es mitnehmen..", meinte er und sah wieder auf das Medaillon. Er wollte noch ein wenig ausprobieren und darüber lernen. Ob es ein Relikt aus der Vergangenheit war, hatte er schon überprüft. Es hätte ja auch in irgendeiner Mythologie erwähnt sein können. Doch darüber fand er nichts. Es stand also nicht einmal mit irgendwelchen Göttern in Verbindung. Stammte es doch aus der Welt der Anomalien?
      Zuerst einmal musste er die noch immer nasse Kleidung loswerden. Also ging er an den Kofferraum seines Wagens und holte seine Uniform aus der Tasche, die er gegen seine private Kleidung tauschen könnte. Er hatte immer was dabei, falls er spontan zu einem Einsatz gerufen werden würde. Also zog er seine nassen Klamotten aus und legte sie in den Kofferraum, der mit einer Kunststoffmatte ausgelegt war. Niemand wollte Matsch im Stoff haben oder sonst etwas. Nachdem er sich also ausgezogen hatte, schlüpfte er in die Uniform und die trockenen Stiefel. Das war ein ziemlich nervenaufreibender Tag, obwohl er noch gar nicht so alt war. Für heute hatte Mo allerdings wohl genug vom Training, was Aaron hinnehmen musste.
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      - Eugene Ionesco
    • Mo zuckte lediglich mit den Schultern. Sollte Aaron es doch mitnehmen. Solange er es nicht kaputt machte oder verschenkte, sollte es ihm recht sein. "Verlier es nicht.", fügte er noch an, ging dann zu der Fahrerseite seines Autos und stieg ein. Stellte den Motor an und fuhr dann auch schon los.
      Er musste nicht mit ihm absprechen, wann sie sich das nächste Mal sehen würden. Das würde sich schon ergeben. Irgendwie. Mo hatte sowieso nicht viel besseres zu tun als sich eben mit ihm abzugeben und so langsam bezweifelte er, dass Aaron etwas besseres zu tun hätte. Da er nicht vorhatte, ihm einfach so das Medallion zu überlassen, würde Mo sich früher oder später schon melden, sofern der andere ihm nicht zuvorkommen würde. Abgesehen davon war da noch diese Sache mit dem Vater... der ihm nur einen weiteren Grund lieferte, Aaron nicht allzu lange allein zu lassen.
      Aber eben nicht jetzt. Mo müsste bis zum nächsten Mal sichergehen, dass er etwas zu tun hatte, wenn Aaron sich entschied, nichts anderes als Fotosynthese zu betreiben. Er war genervt. Und ehrlich gesagt von dieser ganzen Auf-dem-Wasser-gehen-Angelegenheit auch ein kleinwenig neben der Spur.

      Der Rest des Tages verlief dann relativ ruhig ab. Mo hatte sich dank des Internets und seiner Konsole abgelenkt. Gegen Abend wollte er dann etwas im Fernsehprogramm schauen, aber es liefen überall nur die Lokalnachrichten über den Spalt, der bei ihnen in der Stadt erschienen war. Wovon er absolut nichts wissen wollte; schlimm genug, dass das Geschehen seinen ganzen Vormittag eingenommen hatte; die bereits gelöste Angelegenheit musste nun nicht auch noch seinen Abend einnehmen. Und da er sonst nichts weiter geplant hatte, begab Mo sich eben in seine Stammkneipe.
      Das war nun erst das erste Mal in der Woche. Dementsprechend wurde er von den Stammkunden auch begrüßt: "Mo, du altes Haus, wo hast du nur gesteckt!" und solche Zurufe, die Mo mit einem Abwinken ignorierte. Stattdessen lief er nach weiter hinten in die Bar, hob beim Vorbeigehen am Thresen seine Hand -- eine Geste, die mit einem Kopfnicken vom Barkeeper erwidert wurde -- und stellte sich zu Dennis an den Tischkicker.
      Dennis war so etwas wie Mos bester Freund, nur dass sie keine Freunde waren. Aber wären sie welche, wäre Dennis sein bester. Ihr Beziehung war oberflächlicher Natur und häufig wechselten sie nicht einmal ein Wort miteinander. Aber das Gute an Dennis war, dass sie stets einer Meinung waren. Mo konnte anfangen aus dem Nichts irgendetwas zu erzählen, weil ihm danach war und Dennis tat so, als würde er bereits bestens darüber bescheid wissen sowie vice versa. Dennis regte sich gerne über die Frauen auf, meckerte über fehlgeschlagene Dates und Mo beklagte sich über Jobs. Und manchmal, wenn einem von ihnen danach war, meistens eher nach ein paar Gläsern zu viel, tauschten sie sich auch mal über Themen aus, die ihnen wirklich wichtig waren. So wusste Mo zum Beispiel, dass Dennis ein Vater von einem Sohn war, den er seit drei Jahren nicht mehr gesehen hatte und der auch kaum älter war und Dennis wusste von Mo, dass dieser seine Familie im Stich gelassen hatte und einfach abgehauen war und seinen Schulabschluss von Wohnungen verschiedener Männer aus gemacht hatte, bei denen er sich eingenistet hatte. Und das war okay. Weder verurteilten sie einander noch verloren sie am nächsten Tag nochmal ein Wort darüber.
      Dennis begrüßte ihn, indem er den weißen Ball in den Kicker fallen ließ und mit seinen Mittelspielfiguren auf den Weg ins gegnerische Tor beförderte, noch bevor Mo überhaupt die Griffe fassen konnte. Schnell hastete er danach, konnte den Treffer aber nicht mehr verhindern. Unzufrieden gab er einen knurrenden Laut von sich; der Barkeeper stellte zwei Gläser mit trüber Flüssigkeit an den Rand; Dennis markierte sich einen Punkt und sie stießen an.

      Er sah nicht auf die Uhr, als er sein Handy in die Hand nahm und den Nachrichtenverlauf mit Aaron öffnete. Er wusste sowieso seit geraumer Zeit nicht mehr, was genau er da eigentlich von sich gab. Aber er hatte wohl von dem Spalt erzählt und von den Anomalien. Elly glaubte ihm kein Wort. Egal, was er sagte, es musste gelogen sein. Mo ein Soldat? Nee. Sollte Anomalien bekämpft haben? Nee. Mit einem Schwert? Sowas von Nee! Sie hatte Glück, dass sie eine Frau war, denn sie ging Mo ganz schön auf den Zeiger; allerdings war ihr Freund für diesen Monat, Nelson, selbstredend auf ihrer Seite und wenn der nicht bald aufhörte, jedes Wort von ihr zu wiederholen, würde Mo vielleicht doch noch die Beherrschung verlieren.
      Ohne eine Erklärung, ohne eine weitere Textnachricht schickte Mo seinen Standort an Aaron. War zu abgelenkt von dem Gebrabbel um sich herum, davon sich rechtfertigen zu müssen und vom Barmann, der ihm nochmal nachschenkte, um dazu zu schreiben, dass er doch vorbei kommen sollte, weil er einen Beweis bräuchte, dass er keinen Schwachsinn erzählte. Er war aber auch schon zu angetrunken, um sich zu fragen, ob das überhaupt nötig war; ein Standort sagte doch genug aus, oder nicht? Außerdem schuldete Aaron ihm sowieso noch ein Bier (glaubte Elly ihm auch nicht).
    • Aaron nutzte den Tag für sein Selbststudium. In seinem Zimmer warteten noch ein paar Bücher, die gelesen werden wollten. Momentan war er wieder bei einem Buch über Quantenphysik, das er schon zur Hälfte gelesen hatte. In einem Heft fasste er die wichtigsten Sachen zusammen, um sie jederzeit nachschlagen zu können. Am Nachmittag rief Ms. Anderson, die Haushälterin, ihn zum Essen, welches er gemeinsam mit seiner Schwester einnahm. Die beiden sprachen so gut wie nie miteinander, es sei denn, Alice hatte eine Frage zu ihrem Lernstoff. Doch das kam selten vor. Ihr Vater war um diese Uhrzeit nie zuhause und aß meistens später oder außerhalb. Ms. Anderson war ebenfalls eine eher stille Person. Immerhin wurde sie vom Colonel eingestellt, der bestimmt keine sentimentale Quasselstrippe im Haus haben wollte. Sie wusste, worauf er Wert legte und arbeitete auch so. Was bedeutete, dass sie ebenfalls streng und kühl war. Sie hatte viel mit der Erziehung der beiden zutun, wenn der Vater nicht im Haus war. Wobei meistens immer ein Lehrer da war, der sich um sie kümmerte. Alister war seit seinem Schulabschluss auf sich selbst gestellt und sie brauchten auch beide keinen Babysitter mehr, weshalb Ms. Anderson mit dieser Mahlzeit ihre letzte Pflicht erfüllt hatte und nach Hause gehen konnte.
      Danach ging es mit Aaron's Studium weiter. Zwischendurch hatte er auch das Medaillon mit einer Lupe angeschaut, doch da war nichts auffälliges zu sehen. Die Symbole waren nicht eingraviert, sondern wirklich nur dann zu sehen, wenn sie es benutzt hatten. Was das allerdings zu bedeuten hatte, wussten sie nicht. Wenn das, wie Mo vermutete, wirklich eine Mana-Anzeige war, hieß ein volles Symbol wohl, dass das Mana oder was auch immer aufgebraucht war? Mehr als Mutmaßungen konnte er nicht darüber anstellen.
      Den Rest des Tages verbrachte Aaron wieder mit dem Buch zur Quantenphysik. Meistens bemerkte er gar nicht, wie spät es schon war. Sein Vater war vor einer Weile nach Hause gekommen, doch er war weiterhin so sehr in das Buch vertieft, dass er wieder einmal nicht merkte, dass es schon nach 10 war.
      Sein Handy teilte ihm mit einem kurzen Ton mit, dass er eine Nachricht bekommen hatte, weshalb er den Stift beiseite legte und die Nachricht öffnete. Die Nachricht enthielt keinen Text, sondern lediglich einen Standort. Allerdings genügte das auch, denn Aaron dachte nicht groß darüber nach, was das bedeuten sollte. Er schnappte sich seine Jacke, in der sich auch das Medaillon befand und machte sich auf den Weg. Mit dem Auto brauchte er nur knapp 20 Minuten. Es war also 22:32 als er vor der Kneipe hielt und hineinging, um nach Mo Ausschau zu halten.
      ~ ♦ ~ Die Freiheit der Phantasie ist keine Flucht in das Unwirkliche; sie ist Kühnheit und Erfindung. ~ ♦ ~
      - Eugene Ionesco
    • Nelson hatte Glück und das Thema wechselte sich bald. Mo blieb weiterhin höchst genervt von diesem Kerl, aber die restliche Aufmerksamkeit gefiel ihm, wenn er ehrlich war, recht gut. Er mochte es, dass die Menschen nachfragten und nachhakten. Genoss ihre Ausrufe, die ihren Respekt und ihre Ehrfurcht kundtaten. Es waren vielleicht nur die Ausgestoßenen, betrunkene Leute, die sonst an diesem Abend und wohl auch an sonst keinem anderen nirgends hingehörten, und Mo hätte selbst nicht gedacht, dass ihre Wertschätzung ihm gefallen würde, wenn schon das Militär ihm keine entgegen brachte oder die Medien, von welchen, wie ihm gerade auffiel, keiner der Artikel oder der Nachrichtensendungen je die Soldaten und andere Freiwilligen erwähnten, die die Tore schlossen. Die ihr Leben gaben oder gegeben hatten.
      Möglicherweise lag es gerade daran, dass Mo noch nicht längst Nelson einen Hieb verpasst hatte, denn er war verdammt gut drauf. Ob er dieses Gefühl der Anerkennung häufiger bekäme, wenn er die Feuermagie meisterte und mehr Tore schloss?

      Sie befanden sich nun wieder am Tischkicker; dieses Mal Zwei gegen Eins: Elly und Dennis gegen Mo und es stand 6:5, als Aaron in die Kneipe kam und sich dem Kicker genähert hatte.
      "Einstein!" Mo ließ die Griffe los, kassierte dafür einen Gegentreffer, den er nicht mitbekam. Fröhlich stieß er Aaron stattdessen gegen den Oberarm. "Seht ihr? Das ist Einsteins Zombie und er war meine Rückendeckung. Los sag's ihnen."
      Elly stieß den Qualm der Zigarette, die zwischen ihren Zähnen klemmte, aus ihrer Lunge und tat unbeeindruckt, sah Aaron jedoch interessiert und neugierig an. "Kann deine Rückendeckung auch kickern? Du spielst scheiße alleine."
      "Klar kann er. Der kann alles." Mo wandte sich wieder dem Tisch zu, zog Aaron an dessen Ärmel zu sich, damit der an den Torwart kam. Aber sobald sie direkt davor standen und er die Figuren in ihre Position brachte, bekam er doch ein paar Zweifel. Gut möglich, dass Aaron noch nicht einmal die Regeln kannte, so abwegig das für ihn auch klang. Also erklärte er sie ihm: "Alles was du zu tun hast, ist zu verhindern, dass der Ball ins Tor rollt, okay? Falls du versagst, müssen wir trinken. Und ich sorg dafür, dass diese beiden trinken müssen. Kapiert?"
    • Mo war schnell ausfindig gemacht, sodass er sich diesem näherte und ungewöhnlich fröhlich begrüßt wurde. Wobei es schöner wäre, wenn er seinen richtigen Namen dabei benutzen würde.
      "Ja. Wir sind ein gutes Team..", meinte er etwas überfordert. Er hatte mit vielem gerechnet, aber nicht damit, dass das eine Einladung zum Kickern werden würde. Mit fremden Leuten an einem fremden Ort. Aaron lebte ja nicht auf dem Mond, aber seine Kenntnisse über Orte wie diese waren alle nur theoretischer Natur. Dennoch hätte er eher gedacht, dass Mo seine Hilfe gebrauchen könnte. Andere Hilfe.
      Schweigend folgte er Mo - wobei er auch keine andere Wahl hatte - und sah sich den Tischkicker an. Sah nicht kompliziert aus.
      "Okay."
      Das erste Tor ging auf ihr Konto, weshalb die beiden, dessen Namen er nicht mal kannte, trinken musste, wie Mo ihm erklärt hatte. Namen waren hier wohl nicht wichtig. Außerdem würde Aaron diese Menschen wohl nicht öfter sehen. Das war allerdings hauptsächlich Mo zu verdanken. Der Braunhaarige hatte zwar zwei Treffer verhindert, aber das schien mehr Glück als Können gewesen zu sein, denn das Gegentor kam schnell. Nun mussten wohl sie etwas trinken. Allerdings bereute Aaron das sofort. Es schmeckte furchtbar und brannte im Rachen. Kein Wunder, dass das die Strafe für's Versagen war. Wobei die anderen gar nicht so aussahen, als würden sie wirklich darunter leiden. Aaron hingegen verzog das Gesicht und hustete kurz. Gut, dass er gelernt hatte, Schmerzen und dergleichen zu ignorieren und sich auf die Arbeit zu konzentrieren. In diesem Fall also auf das Spiel. Nun, wo er die Strafe kannte, gab er sich auch die größte Mühe, um nicht noch einmal zu versagen. Irgendwann traf es jedoch ein.

      Es stand nun 9:9, da das Spiel fortgesetzt wurde. Das bedeutete, dass Aaron gerade zum dritten Mal dieses Höllenzeug hinunterkippen musste. Im Gegensatz zu den anderen, war er jedoch nicht so heiter. Allerdings zeigte es schon Wirkung, weshalb er das letzte Tor schon kaum verhindern konnte, aber zum Glück fiel der Bald als nächstes in das gegnerische Tor, weshalb Aaron erleichtert aufatmete. Das war ganz schön kritisch zum Teil und er beteiligte sich inzwischen sehr energisch daran, dass Mo und er kein Tor kassierten. Allerdings wurde ihm schon ein wenig schwindelig.
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    • Aaron schlug sich tatsächlich nicht schlecht, aber Mo hätte auch nichts anderes vermutet. Leider war Aaron aber auch kein Wunderkind, zumindest nicht im Tor, denn er ließ ebenso viele Tore rein wie Mo selbst erzielte. So blieb das Match spannend, ein Tor nach dem anderen wurde geschossen, ein Shot nach dem anderen runtergekippt. Bei jedem Tor wurde gejubelt oder schwer geseufzt; auch die anderen in der Bar, zumindest ein paar von ihnen, sahen dem Spiel zu und feuerten ihren Favoriten an.
      Dass Aaron nicht so heiter mitjubelte, sondern eher ernst und konzentriert war, fiel Mo erst auf, als sie den Siegestreffer landeten und er vor Begeisterung einen kleinen Satz in die Luft machte. Davon ließ er sich nur nicht beirren und fröhlich stieß er Aaron mit seinem eigenen Körper an, während Elly genervt ihren Zigarettenstümmel zerkaute. Und auch wenn sie gewonnen hatten, gönnte Mo sich liebendgern trotzdem noch ein Gläschen, genoss anders als sein Partner das Brennen in seiner Kehle.
      Nelson, der logischerweise auf der Seite seiner Freundin stand, schien die Niederlage persönlicher zu nehmen Elly selbst. Der sah Aaron an als wäre dieser ein Parasit, den es zu Zerquetschen galt, während Elly und Dennis ein paar Scheinchen zählten, die sie danach Mo rüberreichten.
      "Wenn du immer so spielst, nehme ich dich vielleicht öfter mit." Mit einem Schmunzeln steckte Mo das Geld ein und bemerkte erst dann Nelsons wütenden Blick.
      "Anfängerglück. Wenn der so kämpft wie er spielt, seh ich für unser Land doch keine Hoffnung mehr." Nelsons Stimme war nicht viel mehr als ein Knurren eines Straßenköters. Auch wenn sich sein gehässiger Spruch gegen Aaron gerichtet hatte, schlug Mos Stimmung augenblicklich um. Seine Geduld mit diesem Kerl war ohnehin schon lange überstrapaziert worden und so schob er sich an Aaron vorbei, um angriffslustig nun auf den Streithahn zuzugehen.
      "Was hast du gesagt?"
      "Dass dein Teammate 'ne Lusche is-"
      Noch bevor Nelson das letzte Wort ganz aussprechen konnte, landete Mos Faust auch schon in seinem Gesicht. Nelson taumelte nach hinten und stieß gegen einen der Tische, warf Gläser um und die Leute, die dort saßen sprangen entrüstet von ihren Stühlen auf. Seine Lippe war aufgeplatzt und Blut quoll heraus, welches er sich mit dem Handrücken vom Gesicht wischte.
      Mo sah zu Aaron zurück und plötzlich fühlte er sich mies. Er hatte sich noch nie vor einer Schlägerei gedrückt, aber sich zu prügeln, während er zusah, fühlte sich falsch an. Er hatte ihn verteidigt; sein Schlag war gerechtfertigt, aber mehr wollte er nicht. Somit wandte er sich ab, auch wenn die Menschen in der Kneipe bereits Platz für eine Prügelei machten, um Aaron zu bedeuten, dass sie gehen würden.
      Nur sah Nelson das natürlich anders. Er packte Mo an seinem Shirt, als dieser nicht aufpasste und schubste ihn dann unsanft gegen den Thresen, hielt ihn weiterhin fest. Nun war es Selbstverteidigung, und um aus seinem Griff zu entkommen, verpasste er ihm eine Kopfnuss, die bei ihm selbst leichten Schwindel auslöste. Nelson ließ ihn los, Mo wand sich von seinem Gegenüber frei und richtete sich das Oberteil.
      "Komm, Zombie. Raus hier." Mo nickte zum Ausgang, schnappte sich noch eine Flasche Vodka, die auf einem der Tische stand und noch halb gefüllt war. Nelson wollte das natürlich nicht auf sich sitzen lassen, aber Mo schaffte es ihm gut genug auszuweichen und flink wie er war, befand er sich ohne weiter aufgehalten zu werden schnell vor dem Lokal, wo er auf Aaron wartete.
    • Er hätte nicht erwartet, dass so ein Spiel für soviel Freude sorgen würde. Zumindest bei den Zuschauern und bei Mo. Andere ärgerte das wohl eher, insbesondere jemanden, der nicht einmal mitgespielt hatte. Aaron lächelte, als er sah, wie Mo sich freute, auch wenn er nicht verstand, warum Mo nun trotzdem etwas trank. Dann begann die Sache jedoch schnell zu eskalieren. Aaron konnte nur schwer folgen. Er sah, das Mo Geld bekam, meinte, dass er ihn vielleicht öfter mitnehmen würde und danach war er nur noch verwirrt. Es war doch nur ein Spiel, aber was wusste Aaron schon, der solche Kleinigkeiten bisher nie erlebt hatte.
      Mo begann sich mit diesem Jemand zu streiten, allerdings hatte Mo diesen Streit nicht angefangen. Er war aber der erste, der zugeschlagen hatte. Durch den Alkohol stand Aaron nur überfordert herum und wusste gar nicht, warum sie sich jetzt prügeln mussten. Andererseits.. Er kannte Mo ja noch aus der Schulzeit so. Obwohl ihn dieses Mal etwas gereizt hatte, dass nicht einmal ihn selbst betroffen hatte. Außer Aaron hatte irgendwas falsch verstanden. Er würde sich im Moment selbst nicht als zurechnungsfähig bezeichnen, was eher an der Kombination aus Unerfahrenheit und Alkohol lag. Hauptsächlich an ersterem.
      Es sah allerdings so aus, als wäre für Mo nach einem Schlag alles vorbei. Der andere war es, der dann auf ihn los ging. Aaron überlegte kurz, ob er eingreifen sollte, dachte dann aber wieder an seinen Vater und das es ihm nicht gefallen würde. Es würde auch kein gutes Licht auf ihn werfen und auch Aaron käme möglicherweise zu einem schlechten Ruf. Bevor er sich jedoch zu einer Entscheidung durchringen konnte, sagte Mo ihm schon, dass sie gehen würden. Diesen Spitznamen würde er scheinbar ewig tragen. Also folgte er ihm, Nelson tat dies aber ebenfalls.
      "Ich wollte keinen Ärger machen..", entschuldigte er sich. Vielleicht überlegte Nelson, ob er statt Mo nun Aaron schlagen sollte. Dachte Aaron jedenfalls, doch er schnalzte nur laut mit der Zunge. Ob er sich beruhigt hatte oder Aaron nur einfach als zu leichtes Opfer betrachtete, war ihm im diesen Moment egal. Er wollte nur so schnell wie möglich raus, lief aber noch gegen einen Stuhl und trat dann rückwärts aus der Tür. Als er sich umdrehte, lief er schon in Mo hinein.
      "Tut mir leid. Ich dachte nur, du brauchst vielleicht Hilfe oder so. Deswegen bin ich schnell hergekommen. Aber ich bin froh, dass du nicht in der Klemme steckst. Naja. Nur kurz jedenfalls. Passiert dir sowas öfter?"
      Er wich einen Schritt zurück und musterte ihn kurz.
      "Geht es dir gut?" Verletzt schien er nicht zu sein, das beruhigte ihn schonmal.
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      - Eugene Ionesco
    • Genervt spuckte Mo aus. Er war sowieso zu betrunken, um nun anständig über seine Gedanken und sein Handeln reflektieren zu können, selbst wenn er das gewollt hätte. So jedenfalls konnte er sich unmöglich beantworten, wieso er in erster Linie überhaupt Nelson eine verpasst hatte. Ja, der Kerl nervte ihn ohne Ende, aber er hatte nicht Mo beleidigt, sondern Aaron. Hätte ihm doch egal sein können.
      Und irgendwie nervte ihn das enorm. Eigentlich machte er so schnell auch keinen Rückzieher. Wahrscheinlich könnte er sich beim nächsten Mal ganz schön was anhören; dass er weggelaufen war wie ein Feigling, obgleich das nicht stimmte. ... Zumindest war er nicht weggelaufen, weil er feige wäre.
      Als Aaron gegen ihn stieß, sah er ihn grimmig an. Er war verdammt wütend und dann faselte Aaron auch noch wirres Zeug. "Klem-- was?" Wieso hätte er in der Klemme stecken sollen? "Natürlich gehts mir gut! Was für 'ne blöde Frage."
      Er nahm einen Schluck aus der Flasche, wandte sich ab, um den Bürgersteig entlang zu gehen, entschied sich gleich darauf doch wieder dagegen und drehte sich abermals zurück zu Aaron. "Und wenn ich in der Klemme gesteckt hätt, dann eh nur deinetwegen. Als ob du dich selbst verteidigt hättest!"
      Streitlustig ging er einen Schritt auf ihn zu, legte seine Hand an Aarons Schulter, um ihn zu schubsen. "Mann, du kotzt mich an. Nelson hatte vielleicht doch recht und du bist eine Lusche." Es machte ihn nur wütender. Dabei war ihm selbst betrunken klar, dass Aaron sich wehren konnte; er war Soldat! Trotzdem glaubte Mo nicht, dass er es getan hätte. Hatte er ja eh noch nie. Aber wozu hatte er das ganze Training denn? Damit Schwachköpfe wie Nelson auf ihm rumhackten als wäre Aaron immer noch ein Teenager? Das war doch nicht richtig. Genauso wie es nicht richtig war, dass Mo ihn verteidigen wollte und sich dann auch noch schlecht dafür fühlte, ohne so wirklich zu begreifen, warum eigentlich.
      Und am liebsten hätte er seiner Wut mehr Ausdruck verliehen. Sein Puls schlug aufgeregt schnell, Unruhe trieb in seinem Blut und er musste sich zusammenreißen, Aaron nicht gleich noch einmal zu schubsen, obwohl ihm danach war. Es kostete ihm viel Anstrengung es nicht zu tun. Aber was hätte das schon für einen Zweck?
    • Aaron war still, was nicht besonders ungewöhnlich für ihn war. Doch Mo schien ziemlich wütend zu sein. Weil er sich nicht selbst verteidigte? Also hätte Mo es besser gefunden, wenn er Nelson geschlagen hätte, um zu beweisen, dass er keine Lusche war? Auch nachdem Mo ihn geschubst hatte, regte Aaron sich nicht wirklich. Was sollte er auch tun?
      "Denkst du wirklich, dass es mir nichts ausgemacht hat, von dir verprügelt zu werden?", meinte er und schubste ihn nun etwas von sich weg.
      "Es spielt keine Rolle, ob mich andere mögen oder nicht. Ich hätte eh keine Zeit für Freunde gehabt. Warum hätte ich mir also die Mühe machen sollen, mich mit jemandem anzufreunden..." Eigentlich wollte er sagen, dass es ihm egal war, doch das war es nicht. Dennoch wusste er nicht wirklich, warum er Mo das überhaupt erzählte. So betrunken war er nun auch wieder nicht, oder doch? Es war das erste Mal, dass er etwas getrunken hatte.
      "Es hätte nur umso mehr wehgetan, keine Zeit mit ihnen verbringen zu dürfen. Vielleicht nicht nur mir. Aber das ist meine Bürde", fügte er hinzu und ging zu seinem Auto, das nur ein paar Schritte weit weg stand, um seine Arme darauf und seinen Kopf auf diese abzulegen. Er wollte nicht fahren, aber es war spät und er sollte lieber schlafen. Die Rücksitzbank sollte dafür genügen. Oder gab es ein Hotel hier in der Nähe? Er hatte keine Lust, danach zu suchen.
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    • Er bemerkte, dass er Kopfschmerzen bekam. Kamen die von diesem Gespräch oder vom Alkohol? Nein, er hatte das Gefühl, noch nicht genug Alkohol für das hier getrunken zu haben.
      Während Aaron an ihm vorbei zu seinem Auto ging, rieb Mo sich die Schläfe, sorgfältig am Abschätzen, ob er die Vodkaflasche in seiner Hand direkt jetzt oder erst später mit einem großen Schluck austrinken wollte.
      "Wie kann man nur so egozentrisch sein...", murmelte er, hatte dabei größere Probleme, das Wort egozentrisch anständig auszusprechen. "Dabei hast du so recht; es spielt keine Rolle. Du bisses einfach nich' wert. Wie schaffst dus eigentlich dich für so wichtig zu nehmen und nich' zu checken, dass es noch nich' mal 'ne Rolle spielt, obs dich gibt oder nich'? Dann rettet halt wer anders die Welt. Dann hätt ich halt wen anderes verprügelt. Spielt keine Rolle. Du bist nichts, Aaron. Nelson wird dich morgen schon vergessen haben und weißt du was? Ich dich in ein paar Jahren auch."
      Bei seinen eigenen Worten merkte er, dass sein Herz unangenehm zog. Dieselben Worte konnte er auf sich selbst anwenden. Mo umklammerte den Flaschenhals so fest, dass sein Arm anfing zu zittern. Aber er versuchte es, irgendwie, seinen fehlenden Fußabdruck zu ersetzen. Er wollte nicht so unwichtig sein. Und es machte ihn so enorm wütend, dass Aaron seine Chancen nicht nutzte, die schon immer viel größer gewesen waren als Mos.
      Mit einem gemurmelten 'Fuck it' schraubte Mo die Flasche auf, nahm einen großen Schluck und warf danach die Flasche samt den Rest ihres Inhalts wütend zu Boden. Sie kam neben dem Hinterreifen von Aarons Auto auf und zersplitterte dort, war Mo jedoch auch egal. Er hatte eher damit zu kämpfen, Aaron nicht nochmal einen Kinnhaken zu verpassen.
      "Pass nur auf, dass du nich' in Selbstmitleid ertrinkst. Du hattest so eine schlimme Kindheit und keine Freunde? Mir kommen die Tränen! Oder erhoffst du dir mit deinen scheiß Selbstopferungen, dass dir mal wer sagt, dass du doch wichtig bist? Wie blöd, dass das so nicht klappt! Die Welt dreht sich halt nich um dich, der isses nämlich scheißegal ob du im Spalt stirbst und einsam warst und ob es wen gab, der dich vermissen würd! Du bist auch nich der einzige mit scheiß Problemen, aber hörst du mich deswegen jammern?"
      Nun bereute er es doch, den Alkohol weggeworfen zu haben. Mo sah zur Kneipe zurück, wägte ab, ob er wieder dort hinein wollte, um sich Nachschub zu holen.
      "Scheiß auf dich." Er spuckte aus, drehte um. Aaron war es auch nicht wert, dass er sich wegen ihm die Blöße gab, zurück in die Bar zu laufen. Sie hatten die letzten Tage mehr Zeit miteinander verbracht als Mo seit langem überhaupt Zeit mit jemanden verbracht hatte und doch fühlte er sich in diesem Moment so einsam wie schon lange nicht mehr. Fühlte sich an als würde sie ihn von innen auffressen. Und es nervte ihn, dass Aaron sowas in ihn auslösen konnte; Wut, Trauer, und eine große Portion an Einsamkeit.
    • Noch immer mit dem Kopf auf seinen Armen, welchen er jetzt so drehte, dass seine Stirn auf den Armen lag und sein Atem gegen das Dach prallte, hörte er Mo's ziemlich schmerzhaften Worte. Sie waren mehr oder weniger wahr.
      "Ich bin nichts besonderes. Ob jemand meinen Namen kennt, ist vollkommen bedeutungslos. Wenn ich sterbe, wird hoffentlich irgendjemand meinen Platz einnehmen", begann er und hob seinen Kopf, ehe er sich mit den Händen aufstützte.
      "Aber ich bin nicht wertlos. Genauso wenig wie du. Niemand ist wertlos. Einzeln mögen wir nichts sein.. Aber wenn es keine Soldaten gäbe, weil jeder einzelne nichts bewirken könnte, dann wäre die Army am Arsch. Jeder einzelne Soldat trägt dazu bei, dass sie stärker wird. Das Konzept kann man auf jeden Bereich anwenden. Es mag so aussehen, dass einer allein keinen Unterschied macht, doch das tut es. Es macht einen Unterschied, dass du dich als Freiwilliger gemeldet und mir geholfen hast. Mit einem Stein kann man kein Haus bauen. Man braucht tausende Steine und.. anderes Zeug."
      Ohne Alkohol wäre ihm vielleicht ein besserer spontaner Einfall zum Vergleich gekommen, aber es traf dennoch das, was er aussagen wollte.
      "Aber mein Wert wird nicht dadurch erhöht, dass ich mich mit dir oder Nelson prügle", fügte er hinzu und drehte sich zu Mo um, während er durch sein Gesicht wischte.
      "Denkst du, irgendjemand hätte ein besseres Bild von mir, wenn ich das täte? Denkst du, Nelson wäre zufrieden, wenn ich ihn aufmische? Würde er stolz darauf sein, dass er von einem Soldaten verprügelt wurde und sagen, dass ich fähig bin und so Hoffnung für unser Land besteht? Oder wäre er weiterhin einfach nur angepisst und wütend auf mich oder sich selbst oder wer weiß wen. Wenn es keine Rolle spielt, ob es mich gibt oder nicht, dann spielt es auch keine Rolle, ob ich mich wehre oder nicht. Es spielt keine Rolle, was Nelson über mich denkt. Alles was zählt ist, dass ich an das glaube, was ich tue. Das ich daran glaube das wir, Du und ich, etwas bewirken können.
      Nelson spuckt große Töne und macht sich über mich lustig. Aber was macht er? Versucht er die Army zu stärken? Versucht er, die Welt zu retten? Sie zu einem besseren Ort zu machen? Nein. Er lehnt sich zurück und überlässt es anderen. Und erlaubt sich dann noch die Frechheit, sich über die, die ihr bestes geben, lustig zu machen!"
      Aaron's Stimme wurde dabei immer lauter und auch er war durchaus wütend, doch er sah keinen Sinn darin, seine Wut an Nelson oder sonst wem auszulassen. Unbewusst war er einen Schritt auf Mo zugegangen und ballte seine Fäuste.
      "Soll er machen, was er will. Weder Nelson, noch du sind meine Feinde. Diese Dinger, die uns angreifen, sind unsere Feinde! Wenn ich jemanden in Grund und Boden prügeln will, dann die!"
      Seufzend schwankte er nach hinten und lehnte sich gegen sein Auto.
      "Ich habe an dich geglaubt. Ich dachte, du würdest auch an mich glauben.." Was war daraus geworden, dass er sich in Gefahr begab, weil er daran glaubte, dass Aaron ihn retten würde? Warum konnte er dann nicht auch jetzt an ihn glauben? Warum war er jetzt wütend auf ihn, obwohl Nelson falsch lag? Und trotzdem glaubte er immer noch an Mo. Das Mo gemeinsam mit ihm etwas bewirken könnte. Dabei ging es nicht darum, ob es ein großer oder kleiner Beitrag wäre. Jeder Beitrag zählte.
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      - Eugene Ionesco
    • Mo wollte gehen, aber Aarons Worte brachten ihn dazu, nochmal inne zu halten und nicht direkt davon zu stürmen. Obgleich er betrunken war und nicht mehr alles verstand, was sein Gesprächspartner hinter ihm von sich gab; noch weniger in der Lage, auf alles zu antworten. Nüchtern hätte das vielleicht noch funktioniert, denn er war sich ziemlich sicher, ihm nicht zuzustimmen. Aber das auch noch zu artikulieren? Mit Worten, die zusammen einen sinnigen Satz bildeten? Schwierig.
      Ebenfalls fiel es ihm schwer, sich auf Aarons Gerede zu fokussieren. Er sprach so viel. Da war es eine Herausforderung, vollauf konzentriert zu bleiben.
      Allerdings bekam er sehr wohl mit wie er über Nelson sprach und auch wenn Mo den Kerl nicht ausstehen konnte, konnte er das nicht einfach so stehen lassen. "Keine Ahnung, was Nelson macht. Familie gründen, Spaß haben, glücklich sein? Was bringt dir dein beschissenes Haus, wenn keiner darin Fuß fasst? Ich will nich nur ein dummer Stein sein."
      Mit einer Drehung, die leichten Schwindel in ihm auslöste, bis er sich recht schnell wieder fing, wandte er sich zu Aaron zurück und besah diesen prüfend. Ein Stein passte natürlich zu ihm. War genauso grau und ausdruckslos und hatte nur zusammengesetzt einen Sinn; genau wie Aaron es gesagt hatte. Aber Mo gab sich damit nicht zufrieden. Er wollte lieber der Name des Architekten sein, der das Haus zusammengebaut hatte oder der Eigentümer, der im Garten mit seinem Hund spielte. Im besten Fall wäre er beides.
      "Woran soll ich denn glauben? Dass du als blödes Schaf einer Herde dein Bestes geben wirst? Kla', meinetwegen. Wenns dich glücklich macht. Mich machts traurig, dich dabei anzusehen, aber wie auch immer." Mit der Hand wedelte er abschweifend vor seinem Gesicht herum, als würde er eine Fliege verscheuchen wollen. Aber auch diese Bewegung war schon wieder genug, um Schwindel in ihm hervorzurufen und so setzte er sich auf einen der runden, großen Steine, die die Parkflächen von dem Gehweg trennten. Dass er nach Hause gehen wollte, hatte er für diesen Moment schon wieder vergessen; stattdessen brannte ihm eine neue Frage auf der Zunge: "Was bist du überhaupt hier und hilfst mir, beim Kickern zu gewinnen, wenn das persönliche Glück keine Rolle für dich spielt?"