Maledictio Draconis [CodAsuWin]

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    • Mit hinter dem Rücken verschränkten Armen starrte Malleus auf die belebte Marktgasse hinunter. In den frühen Morgenstunden trafen Händler und Kaufleute die notwendigen Vorbereitungen für einen hoffentlich erfolgreichen Tag, der ihnen den gewünschten Profit einbrachte. Arbora strahlte um diese Tageszeit eine die malerische Ruhe eines verschlafenen Nestes aus. Zumindest bis sich die kauffreudige Kundschaft auf die Straßen wagte. Unter dem Fenster des Zimmers, das Malleus für die vergangenen Tage als Heim bezogen hatte, näherte sich ein leerer Karren und ein Gefolge von Fremden in auffälligen, farbenfrohen Roben. Durch den kleinen Spalt des geöffneten Fensters drang ein verspieltes Klimpern und Klirren herauf, dass von den sanften, noch zögerlichen Klängen einer Laute begleitet wurde. Das rhythmische Klimpern stammte zweifellos von den winzigen Münzen, die an kleinen Kettchen die zierlichen Fußgelenke der Tänzerinnen und Tänzer schmückten. Ein Tross wandernder Spielleute musste sich Unweit von Arbora niedergelassen haben, um Vorräte zu kaufen und sich ein wenig Kleingeld dazu zu verdienen. Fahrendes Volk. Malleus' Blick schmälerte sich, als er dem kunterbunten Zug folgte bis er an der nächsten Ecke abbog und verschwand. Arbora lag weit genug weg von größeren Siedlungen und Städten, die derlei Verlockungen nicht duldeten, die das Fahrende Volk zu bieten hatte. Abergläubische Nomaden, zweifelhafte Wahrsager- und Hexenkunst, verführerische Musik und Tanz...Hier in Arbora war noch jeder willkommen.
      Eine Tatsache, die ihnen zum Vorteil gereichte, denn weder Devon noch Tava stießen während ihres Aufenthalts auf Feindseligkeiten. Überall, wohin sie gingen, wurden sie von einem freundlichen Gesicht begrüßt. Die Menschen lachten, tratschten und feierten. Sorglos, beinahe unbedarft und dabei ohne Berührungsängste zu Neuankömmlingen. Es war so friedlich und einladend, dass es Malleus auf Dauer fast zuwider war. Der Freundlichkeit war es allerdings zu verdanken gewesen, dass sie binnen weniger Stunden gleich drei freie Zimmer bekommen hatten. Die Einrichtung war schlicht und zweckmäßig, das Bett sichtlich bequemer als der felsige Boden der Gebirgsebenen und das Wasser sauber.
      Malleus schlüpfte in seine Stiefel und verließ auf lautlosen Sohlen das Dachgeschoss des Wirtshauses. Dabei passierte er die Zimmer seiner Gefährten aus denen ihn lediglich Stille begrüßte. Er erwartete nicht den Jäger oder die Alchimistin im Gastraum anzutreffen. Tava hatte von Falk in naiver Gutmütigkeit einen Schlüssel für sein Lavor erhalten. Wenn Malleus die Blicke des Scharlatans richtig deutete, und er irrte sich dahingehend fast nie, hatte Falk ein wenig zu sehr Gefallen an der weiblichen Gesellschaft gefunden. Seine plumpen Versuche, die Aufmerksamkeit der Frau zu erregen, verliefen zu Malleus ungemeinem Vergnügen ergebnislos im Sande. Es hatte ihm nicht Gefallen, wie der zweitklassige Giftmischer Tava mit glasigen, durchdringenden Augen angestarrt hatte. Falk hatte förmlich darum gebettelt, dass Malleus im sein eigenes, gepanschtes Zeug in den Rachen kippte um zu sehen, wie wirkungsvoll sein Gebräu überhaupt war.
      Und diese Gedanken gefielen Malleus noch viel weniger.
      Was seine Laune etwas besserte, war die Tatsache, dass Tava sich ihm gegenüber ein wenig milder gestimmt zeigte. Das wertvolle Geschenk hatte seinen Zweck mehr als zufriedenstellend erfüllt. Die Wirkung hatte sogar hin und wieder für einen kurzen Plausch gereicht. Das Risiko, das Tava ihn tatsächlich mit dem Geschenk vergiftete, war erheblich gesunken.
      Während Tava und Malleus im dämmrigen Licht des Labors kleine Unterhaltungen führten, war die Gesellschaft von Devon etwas gänzlich anderes. Der Lacerta strahlte eine Ruhe aus, die Tava fehlte. Malleus erwischte sich dabei, dass er die stille Gesellschaft des Jägers genoss. Sie streiften durch die Straßen von Arbora, organisierten Vorräte, Material für die Schutzkleidung und einen geeigneten sowie diskreten Schneider. Während Tava bis in die späten Abendstunden das Lavor hütete, verbrachten sie die Abende im Gastraum der Taverne und tauschten sich über die bevorstehende Rückkehr nach Lacuna aus. Malleus hielt sich mit spitzen Bemerkungen zurück. Er hatte nur einmal versucht Devon auf die schnelle Heilung anzusprechen und sich nach einem finsteren Blick wieder seinem Weinglas gewidmet.
      Er vertrieb die grimmige Miene aus seinem Gesicht und betrat mit einem perfektionierten Ausdruck von Zugänglichkeit des Gastraum. Höflich begrüßte er ihre großzügigen Gastgeber und ließ sich von der entzückten Magd lächelnd ein kleines Frühstück reichen.
      "Eure Reisegefährten sind bereits aufgebrochen. Der unheimliche Kerl mit den merkwürdigen Augen lässt Euch ausrichten, dass Ihr euch am Stadttor in Richtung Lacuna trefft.", ließ sie ihn wissen und pustete sich eine der goldblonden Löckchen aus dem Gesicht. "Müsst ihr wirklich schon gehen, mein Herr?"
      Rosa war ein reizendes, aber naives Kind. Ein freundliches Lächeln und ein wenig Aufmerksamkeit hatten sie in ein zwitscherndes Vögelein verwandelt, dass mit Gerüchten und Neuigkeiten nicht sparsam war.
      "Bedauerlicherweise ruft die Pflicht. Du wirst gut auf dich aufpassen, Rosa."
      Malleus bedankte sich mit dem warmherzigsten Ton, den er aufbringen konnte und mit einem Kichern verschwand das Mädchen wieder in der Küche. Zuvor hatte sie noch dezent einen Zettel unter seinen Teller geschoben. Malleus entfaltete das Papier, ehe er es zufrieden in seine Tasche gleiten ließ. Nachdem er die Zimmer großzügig aus eigener Tasche bezahlt hatte, verließ er das Gasthaus.

      Ein Umweg führte Malleus zielstrebig in Richtung von Falks kleinem Geschäft.
      Das Glöckchen über der Tür kündigte sein Eintreten an, doch nichts regte sich in den vier Wänden. Eine drückende, unheimliche Stille lag über dem Geschäft. Gemütlich, als schlenderte er auf der Suche nach etwas Bestimmten durch die Auslagen, durchquerte Malleus den Raum und blieb vor der Vitrine mit dem Alcidorum stehen. Er zog das sorgfältig gefaltete Papier aus seiner Tasche, dass Rosa ihm übergeben hatte. Kaum geöffnet plumpste ein filigraner Messingschlüssel in seiner Hand. An dem dünnen Lederband, an dem der Schlüssel befestigt war, klebte getrocknetes Blut. Mit einem leisen 'Klick' öffnete Malleus das Schloss der Vitrine und ließ drei Phiolen des kostbaren, grausigen Giftes in einem Lederetui in seinem Gepäck verschwinden. Er konnte nicht alles davon mitnehmen, aber in ein paar Tagen würde ein Vertrauter seinen Fuß nach Arbora setzen und den Rest nach Celestia bringen. Es wäre pure Verschwendung gewesen die wertvolle Substanz einem Dummkopf wie Falk zu überlassen. Dank der liebenswerten Rosa war seine Anweisung zügig mit einer geeigneten Brieftaube auf dem Weg zur großen Gebirgsfeste gewesen. Die sanfte, naive Rosa, die am Ende auch nicht mehr als ein höriges Täublein gewesen war. Niemand achtete auf die leicht ungeschickte und einfältige Magd, die mit gesenktem Haupt wie ein Schatten durch den Gastraum huschte.
      Malleus legte den Schlüssel auf den Tresen und warf im Vorbeigehen einen Blick durch den Türspalt in Falks persönliche Räumlichkeiten. Der unfähige Alchemist saß an seinem Schreibtisch, den Kopf weit in den Nacken gefallen und starrte mit leeren, toten Augen an die vertäfelte Holzdecke. Getrockneter Speichel und Blut klebte an Kinn und Mundwinkel, die Arme hingen schlaff an seinen Seiten hinab und nur seine Finger waren in verkrampfter, gekrümmter Haltung erstarrt. Vor ihm lagen verschüttete Phiolen und es roch nach Fäulnis im ganzen Raum. Offenbar hatte es der Tölpel geschafft sich mit seinen fragwürdigen Künsten letztendlich selbst zu vergiften. Malleus starrte kurz auf den feinen, für das bloße Auge kaum erkennbaren Schnitt hinterm Ohr des Alchimisten. Ein Kratzer, vielleicht. Ein Schnitt von der letzten Rasur, nicht mehr. Nichts, dass Beachtung verdient hätte. Ein feiner, sauberer Schnitt.
      Falk, der Tava geifernd angesehen hatte. Falk, der Devon abfällig als beschränkten Wilden bezeichnet hatte. Falk, der süffisant mit Andeutungen um sich geworfen hatte, dass er aus zuverlässiger Quelle ganz genau wüsste, was die Signa Ignius vor Stadtwachen und Offiziellen verbargen. Für eine entsprechende Geschäftsbeziehung, wäre Falks Treue der Gemeinschaft natürlich gewiss. Malleus verzog keine Miene, als er die Tür schloss. Niemand erpresste ihn. Niemand gefährdete, was er aufgebaut hatte. Nur hatte er aus dem Mann nicht herausbekommen, wer seine Quelle war. Es wurde langsam unausweichlich nach Lacuna einen Sitz der Signa Ignius aufzusuchen.
      Beim Verlassen des Ladens drehte Malleus das Schild von 'Geöffnet' auf 'Geschlossen'.

      Beim Stadttor angekommen, wartete Malleus geduldig auf seine Gefährten.
      Mit geschultertem Gepäck lehnte der hochgewachsene Mann, der dennoch nicht an Devon heranreichte, an einem morschen, knarzigen Zaun. Er erwartete, dass der Jäger die benötigte Schutzkleidung abholte. Der Schneider hatte mit großen Augen den Anweisungen gelauscht und hatte mit jedem Wort verwirrte ausgesehen. Malleus hatte darauf bestanden, dass alles fachmännisch und mit der entsprechenden Kunstfertigkeit zusammengenäht wurde. Er wollte das Risiko möglicher Löcher oder schwacher Nähte vermeiden. Immerhin würde er sich dieses Mal selbst mit in die Gefahrenzone begeben.
      Malleus richtete den Blick auf die entfernte Berge, deren Gipfel von dunklen Wolken umgeben waren. Der Wind hatte merklich aufgefrischt trotz der Jahreszeit und der Anführer der Signa Ignius runzelte die Stirn. Ein Gewitter, gar ein Sturm, könnte das Vorhaben vielleicht durchkreuzen. Solange die Sturmwolken aber hinter den Berggipfeln festhingen, gab es keinerlei Grund zur Sorge.
      Über die staubige Straßen reckten sich im Augenwinkel zwei Schatten. Einer davon war groß und langezogen, der andere kleiner mit zwei unförmigen auswüchsen an der Spitzen. Malleus' Mundwinkel zuckten ein wenig nach oben.
      Es war Zeit zum Aufbruch.
      “We all change, when you think about it.
      We’re all different people all through our lives.
      And that’s OK, that’s good, you gotta keep moving,
      so long as you remember all the people that you used to be.”

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    • Tavas neues Gift Cidra entpuppte sich als Herzensprojekt. Sie hatte es damals lediglich als kleines Experiment angesetzt, als Herumgespiele, das ja vielleicht Wurzeln schlagen könnte, wenn sie sich nur lange genug damit beschäftigte (und bei Erfolg einen Namen in der Welt der Alchemie und womöglich der Naturwissenschaft beschaffen könnte, der ihr Gold und Anerkennung und vielleicht auch endlich ein verdammtes Siegel einbringen würde). Sie hatte es nie beendet, weil Experimente kostspielig waren und weil ein Labor zu mieten noch viel kostspieliger war und für Tava, die gerne mal etwas ganz bewusst in die Luft fliegen ließ, in einer festen Stadt quasi unmöglich war. Aber jetzt, mit einem Labor und auch noch an der Quelle aller Ressourcen, konnte sie sich ganz austoben.
      Und sie liebte es. Sie warf sich mit einem Eifer in die Arbeit, der sie selbst manchmal erschreckte, wenn sie abends ins Bett ging und merkte, dass sie gerade gar keine Lust darauf hatte, noch die Bettdecke anzuzünden oder vielleicht die Vorhänge am Fenster. Dabei war ihr gar nicht klar, warum das so sein sollte, immerhin tat sie nichts anderes als sonst auch: Sie besorgte sich die Zutaten, stellte eine Formel für den Anteil jeder Zutat auf, probierte die Mischung aus, notierte sich die Ergebnisse und fing wieder von vorne an. Dass das so einfach vonstatten ging, war Tavas Neugier verschuldet und ihrem ganz natürlichen Verständnis von Naturgesetzen und chemischen Reaktionen. Sie sah das Blubbern im Gefäß, das Rauchen, den Dunst oder die Ablagerungen und schloss sofort ihre Rückschlüsse darüber, was diese Reaktionen verursacht hatte und was sie eigentlich gebraucht hätte. Ihr Lehrer hatte ihr einmal gesagt - das einzige Mal, dass er ihr ein ernsthaftes Kompliment geschenkt hatte - dass das nicht üblich wäre und viele Alchemisten sich solche Fähigkeiten über Jahre hinweg antrainieren mussten, bis sie ohne Bücher und Schriften ihre Mixturen erforschen konnten. Aber für Tava war das ganz einfach. Sie musste einfach nur mit ein paar Zahlen jonglieren, genau darauf hören, was die Mischungen in ihren Gläsern ihr mitzuteilen versuchten und dann die richtigen Zutaten finden, um es auszugleichen. Fast wie Kinderspiel.
      Natürlich konnte sie aber selbst mit ihrer Begabung nicht einfach so alle Träume Wahrheit werden lassen und so brauchte selbst Tava Stunden, die sich in Tage ausweiteten, bis sie erste, bescheidene Erfolge erzielen konnte. Die teilte sie stets gleich begeistert Malleus mit, der mindestens einmal am Tag aufkreuzte, den Kopf durch die Tür reinsteckte und sich nach dem Stand der Dinge erkundigte oder auch ob sie etwas vermisste. Mittlerweile begegnete sie ihm nicht mehr mit den Hörnern, wenn er sie mit seinem Auftauchen erschreckte, und erzählte ihm alles, was er wissen wollte. Sie ließ sich sogar Fragen stellen und beantwortete sie mit gleicher Euphorie, führte ganze Unterhaltungen mit ihm und beschimpfte ihn nicht ein einziges Mal. Oder bedrohte ihn. Oder schmiss Dinge nach ihm. Ganz anders war es da nämlich bei Falk, der unheimlich stark auf ihren Nerven trampelte und dessen Zuhause nur deshalb noch nicht abgebrannt war, weil es noch einen Nutzen für sie hatte. Außerdem hatte sie zu viel Respekt vor all den Tränken und Zutaten im Laden oben, alsdass sie es wirklich ganz niedergebrannt hätte.
      Aber vielleicht nur den Wohnbereich ein bisschen anfackeln...?
      Immerhin lernte der Mann schnell, kündigte sich laut an, wenn er nach unten kam, und blieb vorsichtshalber außerhalb ihrer Werf-Reichweite. Malleus musste das nicht. Malleus empfing sie gerne unten.
      Unter diesen Umständen verzeichnete Tava einen ersten Erfolg, als sie eine Ratte in ein kleines Aquarium einließ und Cidra hinzukippte. Das Wasser stand niedrig genug, damit das Tier an der Oberfläche schwimmen konnte, das tat es aber nicht mehr lange, als Tava genügend von ihrem Zeug hinein goss. Irgendwann schüttelte die Ratte sich, wurde träge in ihren Schwimmbewegungen und ihr Kopf sank ein wenig nach unten. Winzige Wasserblasen blubberten noch ein paar Sekunden lang aus ihrer Schnauze, dann war sie tot und dümpelte nur an der Oberfläche herum.
      Tava kicherte begeistert und schrieb sich das Wasser-Cidra-Verhältnis auf. Dann ging sie in die Stadt hinauf, um das Experiment an einem lebenden Fisch und realitätsnahen Umständen durchzuführen. Es war ein Riesenerfolg.
      Am Tag ihres Durchbruchs dann stürmte sie abends den Schankraum des Gasthauses und präsentierte voller Freude das weltweit einzige und einzigartige Cidra, eine Eigenkreation von Tava. Es konnte mit dem Vorbild Alcidorum nicht mithalten und war wohl zu nichts weiter gut als einen riesigen Drachen aus einem See zu locken, in dem die Fische von dem Zeug starben, aber es war etwas, das seinen Zweck erfüllte, und daher verdiente es auch seinen Platz in Tavas persönlichem Rezeptbuch. An diesem Abend blieb sie mit den beiden Männern in der Taverne und gönnte sich selbst zwei Bier. Immerhin musste man bei einem Erfolg auch gebührend feiern.
      Ein bisschen zündelte sie später auf ihrem Zimmer doch noch herum. Immerhin würden sie am morgigen Tag abreisen und sie wollte ja ihren Erfolg feiern und so.

      Am Tag darauf beschaffte sie sich ein leeres Fass vom Gasthaus - sie klaute es vielleicht ein bisschen, aber wirklich, leere Fässer hatten ja wohl kaum einen Besitzer -, füllte es mit Wasser auf, kippte die ganze abgefüllte Flasche Cidra hinein und rührte mit einem Stock um wie eine Suppe. Nach und nach erhob sich ein mürrischer, beißender Gestank, der an einen Abflusskanal erinnerte, oder eher an eine von Pest erkrankte Ratte in besagtem Kanal. Das war das Zeichen, dass es noch hochpotent war. Tava hämmerte den Deckel obendrauf und ging dann zurück zum Stümper-Alchemisten, um ihn um einen Wagen zu bitten. Sie vermutete jedenfalls, dass er einen solchen Transportwagen besaß.
      Sie fand ihn auf seinem Stuhl sitzend. Sein Kopf lag zurück, als fände er die Decke so interessant, dass er am liebsten gleich hochkriechen würde, und die dicken Arme hingen schlaff zu den Seiten herab. Seine Haut war schon ganz grau und eine einsame Fliege hatte es sich zur Aufgabe gemacht, seinen offenstehenden Mund zu erkunden.
      Tava konnte die Anzeichen für Gift durchaus erkennen.
      "Hm."
      Sie ging wieder nach draußen - dann kam sie doch noch einmal wieder, kramte sich durch die Taschen des Toten und fand tatsächlich noch zwei weitere kleine Phiolen, deren Etiketten auch noch beschriftet waren. Die steckte sie ein. In einer Schreibtisch-Schublade fand sie ein paar einzelne Münzen, die so herrenlos sicher auch nicht besser würden und im Laden selbst machte sie sich die Taschen voll mit Zeugs, für das sie normalerweise auf den Markt gehen müsste. Da war das ganze auch schon wieder besser.
      "Tschüss Falk! Danke für das Labor!"
      Er antwortete nicht. Vielleicht saß ja die Fliege auf seinen Stimmbändern. Tava kicherte und ging nach draußen.
      Sie fand einen solchen Wagen, einen Ziehwagen, und wollte ihr Fass aufladen, nur dass das schon hundert Kilo schwer war. Da musste sie doch noch einmal losstaksen auf der Suche nach Hilfe. Eigentlich hatte sie Malleus angepeilt, aber Devon lief ihr früher über den Weg und da musste halt der Lacerta ihr Citra auf den Wagen hieven. Er schaffte es ohne Beschwerde und weil er das ja so gut machte, konnte er auch gleich den Wagen ziehen.
      Tava grinste, als sie sich auf den Weg machten. Sie war heute gut aufgelegt.
    • Im Gegensatz zu Tava und Malleus war Devon in Städten wie diesen regelrecht nutzlos. Während seiner Reise verblieb er nur kurzfristig hinter befestigten Mauern und erledigte das Nötigste, um seinen Vorrat und seine Ausrüstung wieder instand zu setzen. Also zog ihn sein einsamer Weg zu den Verkäufern des Allerlei, immer auf der Suche nach Dingen, die sich eventuell als nützlich erweisen können würden. Viel gab sein eigener Geldbeutel nicht her und es grämte ihn bereits, wie er das vermutlich teure Zimmer im Gasthaus bezahlen sollte. Er konnte sich eben nicht wie Tava in einem Labor verschanzen und dort Tinkturen erfinden und mischen. Er konnte auch nicht wie Malleus mit den Menschen sprechen, sie manipulieren und somit Verbündete oder Nützlinge schlagen. Devon war eben ein Jäger, der Mann für’s Grobe, und das hatte er sich wissentlich so ausgesucht. In Kämpfen konnte er glänzen, da war seine Heimat, aber er kam nicht drum herum zu bemerken, wie beschränkt seine Möglichkeiten waren im Vergleich zu seinen Reisegefährten. Manchmal erwischte er sich dabei wie er darüber nachdachte, was genau er überhaupt tat. Es endete jedes Mal mit dem Punkt, dass er irgendetwas tötete. Drachen, Plünderer, Mörder. Er führte seine Waffe mit Präzision und Zielsicherheit und hatte dadurch auch bestimmt den ein oder anderen Bürger vor einem verfrühten Tod gerettet. Doch Dank blieb oftmals dafür aus, sobald er seinen Schal auch nur ansatzweise absetzte. Weil man einfach nicht hinter die Fassade von denen sehen wollte, die der Plage der Erde so ähnlich sahen.
      Also wurde Devon damit beauftragt, sich um die Schutzausrüstung zu kümmern. Wenigstens hatte er hierbei einen Plan und während Malleus von Dannen zog, um die kleine wahnsinnige Ziege zu beaufsichtigen, wies er den Schneider auf all die Besonderheiten hin, die er gerne eingearbeitet haben wollte. Angefangen von gesonderten Handschuhen bis hin zu gläsernen Einsätzen vor den Augen, da Netze allein nicht reichen würden. Geriet er während des Kampfes in eine Wolke voller Flaum, wären seine Augen binnen Sekunden vollkommen nutzlos und das war ein Kampf, den er nicht bestreiten wollte. Ebenso achtete er auf doppelten Webstoff vor den Öffnungen der Masken, damit auch dort möglichst wenig Flaum eintreten konnte. Seine eigene Ausrüstung fiel dabei wesentlich spezifischer aus – immerhin musste er in den direkten Zweikampf und sonst niemand.
      Das wichtigste Stück in Devons Besitz sah jedoch niemals einen Schmied. Die schimmernde Malachitklinge, die ihm bislang sehr gute Dienste geleistet hatte, wurde höchst persönlich von ihm gepflegt. Praktisch kein Schmied wusste mit einer Schneide aus Stein umzugehen, weshalb sich Devon eigenmächtig angeeignet hatte, wie man sie scharf hielt. Sauber verstaut hing sie in ihrer Scheide an seiner Hüfte, der überdimensionierte Sack mit der Schutzkleidung baumelte über seinen Rücken. Mehrfach hatte er beim Schneider betont, dass er sich um die Bezahlung kümmern würde, doch dieser lehnte nur vehement ab. Er habe seine Bezahlung unlängst bekommen. Resigniert war der Jäger von Dannen gezogen, um wenigstens den Preis für sein Zimmer auszuhandeln. Doch auch dort wurde er jäh enttäuscht. Sein Gefährte habe bereits alles abgehandelt. Stirnrunzelnd verließ Devon das Gasthaus. Er würde mit Malleus noch ein paar Worte wechseln müssen. Scheinbar war ihm während der letzten Abende nicht klar geworden, dass der Jäger keine Schulden beim Kultisten anhäufen wollen würde. Dem musste schnell Einhalt geboten werden, sonst verselbstständigte sich das alles noch.
      Schließlich beschloss er, zum Stadttor aufzubrechen und dort auf die anderen Beiden zu warten. Die Vorbereitungen waren abgeschlossen, der Plan umgesetzt. Jetzt kam alles nur noch darauf an, dass ihr Plan auch entsprechend funktionierte und sie sich nirgends verkalkuliert hatten. Beziehungsweise Tava, denn auf ihren Schultern lastete das Ergebnis des Mittels, das sie angemischt hatte. Genau dieser Dame lief er auf offener Straße über den Weg, als sie gerade auf der Suche nach Hilfe war. Wissentlich ignorierte er die Art, wie sie ihn unverblümt dazu veranlasste, das schwere Fass auf einen Wagen zu hieven, den sie wer weiß wo aufgetrieben hatte. Nebst dem Fasse legte er den Sack mit der Ausrüstung und alles andere, was er nicht direkt mittragen wollte und packte den Karren am Querbalken, um ihn anzuheben und auf die Straße zu ziehen. Er verkniff sich weitere Kommentare auf den Gedanken hin, dass Tava ihn vielleicht als Zugochsen gerade betrachtete. Es kam sowieso niemand in den Gedankenraum dieses verwirrten Weibes. Außer vielleicht Malleus, der über die vergangenen Tage irgendeinen Draht zu ihr gefunden hatte. Vermutlich war dies über die Geschenke erfolgt, die er ihr gemacht hatte. Das Gift, die Möglichkeit, ein Labor zu benutzen… Auch Tava war käuflich, wie es schien. Jedoch war diese Entwicklung wesentlich besser, als eine unkontrollierte Brandstifterin in den eigenen Reihen zu wissen. Sollte der Kultist sie an unsichtbare Zügel nehmen – Devon würde davon nur profitieren. Außer natürlich, sie beide verschworen sich gegen ihn.

      Sie trafen Malleus am Stadttor, wie er längst auf seine Gefährten wartete und dabei lässig an der Mauer lehnte. Devon deutete wortlos auf den Sack, um ihm mitzuteilen, dass er seinen Teil der Vorbereitung erfüllt hatte. Es gesellte sich ein minimal anklagender Blick dazu als stummen Hinweis, dass es da noch etwas gab, über das sie bei Gelegenheit mal sprechen müssten, aber das hing sowieso von ihrem Vorhaben ab und konnte daher bis später warten.
      So zogen die Drei los Richtung Lacuna, ihre Abreise so getimet, dass sie eine Übernachtung im Freien hatten und gegen frühen Nachmittag den Drachenhort erreichten. Devon hatte sich strikt gegen den Kampf in der Nacht ausgesprochen, weshalb sich ihre Zeit etwas verschoben hatte. Als die ersten weißen Flaumfelder in Sicht kamen, stoppte der Trupp und rüsteten sich mit den Sachen aus dem Sack aus, die sie gegen den Flaum schützen sollten. Danach zogen sie erst weiter, wobei ihnen bereits jetzt das Atmen leichter fiel als bei ihrem Besuch zu vor.
      Lacuna lag ebenso tot wie zuletzt vor ihnen. Kein Tier hatte sie hierher verirrt und auch kein Mensch war hier. Alles war still, genauso wie der Wind, der scheinbar keinen Einfluss mehr auf diesen Ort hatte. Das Wasser des Sees war so spiegelglatt, dass sich der Himmel in dem Dunkel niederschlug und es, bis auf den weißen Flaum und die Zerstörung, beinahe schön hätte sein können.
      Devon wies Malleus und Tava an, in einiger Entfernung zum See zu rasten. Er selbst wolle schauen, wie nah er an das Ufer käme, bevor es Anzeichen des Drachen gab. Vorsichtig näherte er sich dem Ufer, dieses Mal jedoch von einem anderen Punkt aus, und achtete auf jede Änderung in seiner Wahrnehmung und der Atmosphäre. Kleine Wölkchen an Flaum wirbelten auf, als trockenes Zeug unter seinen Füßen brach, doch der Hustenreiz blieb aus. Ohne Zwischenfall erreichte er das Ufer und blieb stehen, ließ seinen Blick schweifen und musterte das Wasser. Er spürte rein gar nichts. Keine Animosität, wie als der Drache sein Haupt aus dem Wasser gehoben hatte. Als wäre er gar nicht mehr hier. Langsam ging Devon in die Hocke und besah sich das Wasser. Es wirkte nicht mehr so sauber wie damals und dutzende Schwebstoffe schienen in ihm zu treiben. Der Geruch war muffig, fast wie in einem Moor, und er war sich absolut sicher, dass das bei seinem ersten Besuch noch nicht gewesen war. Nachdenklich blieb er einen weiteren Moment so sitzen, dann erhob er sich und kehrte zu Tava und Malleus zurück, dabei immer einen Blick über seine Schulter zurückwerfend. Nur für den Fall.
      Er erklärte Malleus und Tava, dass sie das Fass bei einem Zulauf entleeren würden, knapp oberhalb des Ufers des Sees. Im Gegensatz zum letzten Mal war der Drache dieses Mal nicht aktiviert worden und er äußerte den Verdacht, dass es womöglich mit der Art zutun gehabt haben muss, wie Tava einfach ans Ufer stolziert war. Bevor sich die Ziege darüber jedoch aufregen konnte, hatte Devon das Fass bereits geklaubt und war losspaziert zum Zulauf. Er hatte sich im Vorfeld darüber erkundigt, dass er wirklich nur den Deckel abschlagen und den Inhalt auskippen musste, ohne selbst etwas davon abzubekommen. Genau das tat er dann auch und sah dabei zu, wie das unauffällig, aber schrecklich stinkende Zeug sich mit dem Wasser des Sees mischte. Ab jetzt würde es warten bedeuten und hoffen, dass der Plan nicht nach hinten losging. Das Fass ließ Devon einfach an Ort und Stelle zurück, als er sich auf den Weg zurück machte und es sich mit Malleus und Tava auf dem Karren gemütlich machte.
      „Eine Idee, wann die ersten Anzeichen auftreten dürften?“, fragte er Tava bei seiner Rückkehr, der Karren schwankte stark unter seinem Gewicht, als er aufstieg.
    • Mit Ausrüstung und Gift im Gepäck, machte das Trio sich auf den Rückweg zum See. Tava war ganz hibbelig vor Vorfreude darauf, wie ihr Gift wohl wirken würde. Sie betrachtete sich selbst zwar nicht als renommierte Wissenschaftlerin oder Revolutionärin, aber wer könnte schon von sich behaupten, dass seine eigene Mischung einen Drachen aus seinem natürlichen Umfeld scheuchen würde? Richtig - niemand. Nicht einmal die ganz großen Persönlichkeiten unter den Alchemisten wie Vaion Alcidor, der Erfinder des Alcidorum, oder Oara Iryell konnten das von sich behaupten. Nein, in diesem Gebiet war Tava ganz alleine ganz weit vorne.
      Wer weiß, vielleicht würde sie sich noch als Drachenkundige etablieren, als Pionierin in Sachen wissenschaftliche Drachenbekämpfung. Wenn diese Jagd erfolgreich werden würde, könnte sie sich das gleich langfristig aufschreiben. Einen Wasserdrachen bekämpfte man am besten, indem man sein Gewässer vergiftete. Ganz einfache Sache.
      Vor Vorfreude und Anspannung zündete sie auf dem Weg ein paar Sträucher an. Keine ganzen Waldbrände, aber ein bisschen herum Geflackere.
      Sie erreichten den See am frühen Nachmittag, damit noch genug Sonnenlicht blieb, um den Drachen sowohl herauszulocken, als auch den Garaus zu machen. Noch bevor sie den Flaum erreichten, zogen sie sich Devons Schutzkleidung über, die wie ein riesiger Anzug war und nur an einer Stelle geschlossen werden konnte. Er selbst trug etwas ähnliches, aber modifiziertes, damit er sich im Kampf gegen den Drachen besser bewegen konnte. Tava konnte in Erwartung des Bevorstehenden kaum ruhig sitzen.
      Malleus und Tava blieben noch zurück, während Devon das Ufer auskundschaften ging. Beim ersten Mal schien der Drache aktiv gewesen zu sein, aber jetzt war weit und breit keinerlei Anzeichen von ihm. Das Wasser im See war vollkommen bewegungslos und regte sich auch nicht, als Devon so weit vorne war wie Tava zuvor. Ganz anscheinend hatte das Monstrum weniger Interesse am Lacerta, als es an der Cervidia gehabt hatte.
      Zurück bei den anderen beiden schnappte er sich das Fass und damit das Vorrecht, den See zu vergiften, und stelzte bereits damit davon, noch ehe Tava es ihm aus den Händen hätte reißen können. Aber sollte er nur, sie hatte schon einen erheblichen Beitrag zu dieser Unternehmung geleistet. Niemand würde auf die Idee kommen, Devon den ganzen Ruhm zuzuschreiben, nur weil er das Fass gelehrt hatte.
      Das Gift floss unscheinbar in den Zulauf und von dort sicherlich in den See hinein. Bei der Rückkehr überprüfte Tava, dass auch wirklich das ganze Fass geleert worden war.
      "Im Labor hat es auf fünf Liter Wasser im begrenzten Raum etwa 10 bis 15 Sekunden gebraucht, abhängig davon, wie schnell die Ratte sich bewegt hat. Dieser See hat keinen Ablauf, deswegen gibt es keine Strömung, die alles beschleunigt hätte, aber dafür muss auch nicht der ganze See ergriffen werden, sondern etwa die Hälfte. Und von der anderen Hälfte dann nochmal nur die Hälfte, bis der Drache rauskommen muss. Ich denke also hier vorne", sie zeigte auf die Stelle, wo der Fluss in den See überging, "dürfte sich in etwa fünf Minuten etwas tun. Soll heißen, da werden keine Fische mehr hinkommen, was wir aber nicht sehen können. Bis die ersten Fische sterben, wird es vermutlich so zwanzig bis dreißig Minuten sein und bis die Hälfte des Sees erreicht ist, etwa eine Stunde. Wenn ich die genaue Größe des Sees hätte und die Strömungszahl, dann könnte ich es berechnen, aber ich habe keine so genaue Karte und keine Messgeräte."
      Sie zuckte mit den Schultern und setzte sich ganz aufmerksam hin.
      "Also mindestens noch eine Stunde. Wie machst du das, Devon? Du lockst ihn heraus und dann schlitzt du ihn einfach auf? Was sollen wir derweil machen?"
    • Eine Erschütterung rüttelte den schäbigen Karren ordentlich durch, als sich Devon wieder zu seinen Begleitern auf die Ladefläche gesellte. Tava, offensichtlich sehr stolz mit dieser Errungenschaft, hatte das klapprige Gefährt dem Taugenichts Falk stibitzt. Kein wirkliches Kunststück, denn am Morgen ihrer Abreise war der unfähige Giftmischer bereits sehr kalt und sehr, sehr tot gewesen. Falls die Cervidia etwas Ungewöhnliches bemerkt hatte, hatte sie sich zumindest nichts davon anmerken lassen, aber die Aussicht auf ein neugieriges Verhör á la Tava beunruhigte Malleus wenig. Falk hatte schlicht und ergreifend eine bedenkliche Menge von den giftigen Dämpfen seiner eigenen Kreationen inhaliert. Die Möglichkeit war bei seinem mangelnden Talent durchaus realistisch. Wenige Tropfen zu viel von einer gefährlichen Substanz, etwas zu weit über die Phiolen und Glasbehälter gebeugt…und die Lichter gingen aus. Malleus hatte keine Spuren hinterlassen, die eindeutig ihm zuzuschreiben waren und sollte doch einer der gutherzigen Bürger von Arbora seine neugierige Nase in Angelegenheiten stecken, die ihn nichts angingen, würde er lediglich ein paar dilettantische Einbruchspuren an einem der Fenster im Hinterhof des Hauses finden. Wer noch genauer hinsah, würde einer falschen Fährte folgen können. Allerdings glaubte Malleus nicht, dass es so weit kam. Falk war kein beliebter Mann in Arbora gewesen, eher ein unliebsames Übel, ein dreister Betrüger und ein schmieriger Widerling. Für die Stadt war es kein Verlust. Das allein sollte reichen, damit die liebliche Rosa und ihr kleiner Verehrer nicht als Bauernopfer enden mussten.
      Malleus holte seine Gedanken zurück ins Hier und Jetzt. Die dunklen Augen fixierten Tava, die sich nicht hatte verkneifen konnte, die Arbeit des Lacerta zu überprüfen. Mit gerümpfter Nase hatte sie das Fass beäugt, um sich davon zu überzeugen, dass Devon auch wirklich keinen Tropfen vergessen hatte. Besser als vielleicht die Meisten, wusste Malleus, dass sich gewisse Dinger nicht über Nacht veränderten. Dennoch war es faszinierend zu beobachten, dass sich die Wogen zwischen Tava und Devon ein wenig geglättet hatten. Zumindest drohte Tava dem Jäger nicht mehr in regelmäßigen Abständen mit ihren Hörnern und Devon… blieb gelassen solange die Frau ihm nicht auf die Pelle rückte.
      Etwas unzufrieden zupfte Malleus an den kratzigen Handschuhen, die zu der Schutzausrüstung gehörten.
      Dafür verzichtete er auf die weichen, geschmeidigen Lederhandschuhe, die nun in den Innentaschen seiner Lederjacke steckten. Trotz des Stoffes fühlten sich seine Hände nackt an. Der ganze Aufzug vermittelte ihm keine Sekunde das Gefühl, geschützt zu sein. Die bevorzugte Rüstung lag penibel und ordentlich zu einem Quadrat gefaltet neben Malleus auf dem Karren. Durch die Masken reichte Tavas Stimme ein wenig gedämpft zu ihm herüber. Mit einem nachdenklichen Seufzer lehnte er sich mit dem Rücken gegen die Seitenwand des Karrens, ein Bein angewinkelt und das andere Bein von sich gestrickt. Ein Arm ruhte locker auf dem aufgestellten Knie.
      „Mir ist bewusst, dass ihr zwei Auseinandersetzungen gerne Kopf an Kopf, pardon, Kopf an Hörner regelt, aber in diesem Fall halte ich eine direkte Konfrontation für zu riskant", mischte Malleussich ein und sah zu Devon.
      Der Lacerta hatte ihn beim Aufbruch aus Arbora mit einem anklagenden Blick bedacht. Malleus hatte das mit einer elegant, hochgezogenen Augenbraue und einem beiläufigen Zucken seiner Achseln quittiert. Eine Vorstellung, um welches Thema es ging, hatte der Mann, der Devon nun mit dunklen, beinahe schwarzen Augen musterte. Es war eine Diskussion, die er nicht anstoßen würde und bisher hatte der Drachenjäger sich dazu in Schweigen gehüllt.
      „Eigentlich, wissen wir so gut wie nichts, außer das Tava bei der ersten Begegnung seine Verteidigung getriggert haben muss. Bei dir ist gerade rein gar nichts passiert, Devon. Und ja, ob du es hören willst oder nicht, Tava, ich muss ihm zustimmen. Ich vermute, dass der Drache keine Erschütterungen gespürt hat, die eine Annäherung verraten. Im Gegensatz zu uns bewegt sich Devon nämlich viel bedächtiger."
      Er hob bestimmend die Hand als die Cervidia widersprechen wollte.
      Natürlich war ihm bewusst, dass Tava eine geschickte Kletterin und ihr Gleichgewichtssinn bendeidenswert war. Sie war brillant, sah er über ihr hitziges Temperament hinweg. Er hatte es gesehen, als sie aus Falks mikrigem Labor das Beste herausgeholt hatte, als sie mit einem Glitzern in den Augen über ihre Arbeit philosophiert hatte. Wenn Sie dieses Talente und ihren Verstand nur öfters in Kombination benutzen würde. Jemand musste diese nützlichen Gaben nur in die richtigen Bahnen lenken.
      „Wir wissen weder wie groß der Drache ist, noch welche anderen Verteidigungsmöglichkeiten er hat. Wir wissen auch nicht, wie schnell er sich an Land fortbewegt. Im günstigsten Fall sollten wir auf eine träge Kaulquappe hoffen, aber davon würde ich mein Leben nur äußerst ungerne abhängig machen. Wenn er entgegen der Theorien doch einen Panzer und Zähne besitzt, wäre Devon bei einem Frontalangriff ein gefundenes Fressen und ich glaube nicht, dass einer von uns zwingend eine Gliedmaße opfern möchte. Das heißt, wir üben uns in Geduld. Dieses Mal sind wir die Lauerjäger. Wir ziehen den Karren in eine sichere Deckung und behalten das Ufer im Blick.“
      Suchend sah er über die karge Landschaft, die mit weißlichem Flaum und darunter mit sterblichen Überresten bedeckt war. Sie konnten sich in den Ruinen von Lacuna verbergen, aber da war die Dichte dieses weißen Zeuges leider auch besonders hoch. Die wenigen Bäume boten kaum ausreichend Sichtschutz. Weniger Tageslicht hätte ihnen dabei zum Vorteil gereicht, aber für das Unbekannte war ein Angriff in der Nacht zu gefährlich. Die ganze Ausgangslange gefiel ihm nicht. Es gab zu viele 'Vielleichts'.
      Kurz hielt Malleus inne und zog umständlich eine der versteckten Phiolen mit dem Alcidorum hervor.
      „Für mich ergeben sich zwei Möglichkeiten: Entweder der Drache geht sofort in den Angriff, wenn er aus seiner Zuflucht gezwungen wird oder er versucht zu fliehen, sollte er wirklich schutzlos sein. Beides solltet ihr unterbinden. Das hier…“, umsichtig schwenkte er die Phiole mit der zähnen, blubbernden Flüssigkeit. „…kann ihn weder töten noch die Panzerung eines Drachen durchdringen, dafür ist die Menge zu gering, aber es kann ihn möglicherweise blenden…“
      Ohne die Miene zu verzeihen hielt er Devon die Phiole hin. Eine zweite Phiole bot er Tava an, weil er nicht wusste, wie viel sie für ihre Forschung verbraucht hatte. Die Dritte behielt er für sich.
      „…und sollte es für einen von uns brenzlig werden, verschafft uns das vielleicht einen kleinen Vorsprung.“
      “We all change, when you think about it.
      We’re all different people all through our lives.
      And that’s OK, that’s good, you gotta keep moving,
      so long as you remember all the people that you used to be.”

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    • Devons Blick ging zum See.
      Wie schnell würde ein Drache bemerken, dass mit seinem See getinkert worden war? Wie würde er tatsächlich reagieren, wenn er feststellte, dass das Gift auch ihn betraf? Wobei die hauptsächliche Frage war: BETRAF ihn das Gift überhaupt? Ihre Gruppe war davon ausgegangen, dass ein Drache dieselben biologischen Abläufe besaß wie alles andere Lebendige. Aber lagen sie damit überhaupt richtig?
      „Es wird nichts gelockt, das ist ein Anfängerfehler“, erwiderte Devon nur knapp und beließ es dabei, als sich Malleus dazwischenschaltete und seine Überlegungen dazu preisgab.
      Alles, was er sagte, stimmte. Weder hatten sie irgendeinen Hinweis zur physischen Erscheinung des Drachen, noch was ihn außer der Sporen auszeichnete. Es war ein riskantes Unterfangen, das Monster aus dem See zu locken und sich dann spontan darauf einzustellen, wie sie reagieren sollten. Vermutlich würde Devon erst einmal gar nichts tun und nur zusehen, wie sich der Drache an Land verhielt und was seine potenziellen Schwachstellen sein konnten.
      „Wir ziehen uns an den Waldrand zurück. Ich gehe davon aus, dass der Drache uns orten kann, wenn er das schon mit uns konnte, als wir nur am Rande des Sees standen. Ich will ungern da bleiben, wo dieses Zeug am stärksten vertreten ist und kopflos zu stürmen steht generell nicht auf meinem Plan.“ Er deutete auf den Waldrand. „Wir beobachten vorerst.“
      Dann friemelte Malleus an seinem Outfit herum unter Devons Stirnrunzeln. Er präsentierte zwei Phiolen, die erschreckend nach dem hochpotenten Gift aussahen, die er in einer Schatulle im Gasthaus ihnen präsentiert hatte. Der Kerl hatte mehr als nur eine, die er Tava geschenkt hatte. Und er trug sie einfach am Körper umher. Kalte Bestätigung sickerte in den Jäger als er feststellte, dass seine Annahme vollkommen richtig war. Das unentdeckte Problem hier war nicht der kleine Feuerteufel, sondern der Kultist.
      Folglich musterte Devon die Phiole missmutig und regungslos. Das Ding nah am Körper zu tragen während er sich im Nahkampf befand, war ohne entsprechende Sicherung grob fahrlässig. Er müsste nur einmal fortgeschleudert werden und das Gefäß zerbrach, seinen ganzen Inhalt verschüttet über seinen Leib. Schließlich schüttelte er nur langsam und bedächtig den Kopf. „Gib sie meinetwegen auch Tava. Ich werde sowieso keine freie Hand haben.“
      Selbstverständlich würde sich der Jäger nicht die Blöße geben und seine Vermutung äußern, dass der Kultist womöglich genau dieses Szenario geplant hatte. Ein leichter Weg, um den körperlich überlegenen Lacerta aus dem Weg zu räumen und ein Problem weniger zu haben. Immerhin war er nicht so leicht zu manipulieren wie die Cervidia, die man mit Geschenken leicht um den Finger wickeln konnte.
      „Geht der Drache in den Angriff, werde ich die Vorhut sein. Du wirst das Backup sein, wer auch immer zu Schaden kommt“, wies er Malleus an, der die andere Phiole zu Tava reichte, die selbstverständlich nicht ablehnte. „Und Tava brauche ich gegebenenfalls als Ablenkung oder eben zum Einsatz des Giftes. Versucht der Drache zu fliehen, verwickeln wir ihn in einen Kampf. Mir ist noch kein Drache untergekommen, der vor Menschen geflohen ist. Sie verfolgen meistens ein Ziel, so wie der Felsendrache in Celestia. Was auch immer das gewesen sein soll.“
      Eine Stunde. Eine gute Stunde würden sie warten und dann könnte sich bereits zeigen, was Lacuna dahingerafft hatte.
    • Locken sollte ein Anfängerfehler sein?! Tava hätte ja mindestens ein Dutzend Beispiele aus der Tierwelt parat gehabt, an denen zu sehen war, dass locken alles andere als ein Anfängerfehler, sondern eine sehr gängige Jagdpraxis war, aber da schaltete sich schon Malleus dazwischen. Der hatte zwar etwas wesentlich geistreicheres beizutragen, Tava kommentierte es aber trotzdem mit einem abfälligen Schnauben. Sie mochte es nicht, wenn man etwas schlechtes über sie zu sagen hatte, und sei es noch so gerechtfertigt. Sie verband Zurechtweisung immer mit unangenehmen Gefühlen.
      Aber nachdem es Malleus war, der ihr das Alcidorum geschenkt, ihr das Labor zur Verfügung gestellt und dann auch noch ernsthaftes Interesse an ihrer Arbeit gezeigt hatte, verkniff sie sich das Motzen. Sozusagen hatte er etwas gut bei ihr und das war in diesem Fall, dass sie ihn die Bemerkung durchgehen ließ.
      Nur zu schade, dass sie mit diesem Anzug nicht zündeln konnte. Das würde sie sich in den nächsten Stunden wohl oder übel verkneifen müssen.
      Malleus brachte dann aber auch gleich den Vorschlag, dass sie sich zurückziehen und den Drachen erstmal beobachten würden. Das schien für alle drei die beste Alternative zu sein und stieß nirgends auf Gegenwehr, nicht einmal bei Tava. Selbst sie konnte sehen, dass das die beste Herangehensweise sein würde.
      Zum Schluss reichte Malleus noch in großzügiger Weise mehr von seinem Alcidorum herum. Niemand konnte sehen, wie sehr Tavas Augen funkelten, als sie das teure Gut entgegennahm und ihrer Sammlung hinzufügte. Den Augen des Drachen konnte es durchaus Schaden zufügen, ebenso seinem Mund, sollte man es schaffen, es in seinen Rachen zu werfen. Allerdings war da dieses Werfen ein kleines Problem, das sich erst im letzten Moment klären würde. Warf man richtig, würde man den Drachen sicherlich verzögern können, aber warf man falsch, war die ganze Phiole verloren. Oder man traf sogar Devon, der in der Nähe des Drachen sein würde. Beides nichts, was man provozieren wollte.
      Tava steckte sie trotzdem ein. Und als Devon seinen Anteil ablehnte, übernahm sie auch noch die andere Phiole. Hinter der Maske grinste sie wie blöd über diesen alchemistischen Reichtum und versuchte, sich ein Kichern zu verkneifen.
      Also zogen sie noch einmal um in den Schatten der Bäume. Obwohl der ganze Flaum hier sich schon deutlich seichter verlief, behielten sie ihre Anzüge an. Es blieb zwar die Frage, ob der Stoff bei ständiger Absetzung dieses Zeugs nicht irgendwann nachgeben würde, aber sie mussten einfach darauf vertrauen, dass das nicht in wenigen Stunden geschehen würde. Bis dahin mussten sie sowieso nur abwarten.

      Tava richtete sich ihre Tränke her und Devon bereitete sich auf den Nahkampf vor. Der See lag, wie schon die ganze Zeit, in vollkommener Starre und wurde nicht einmal von Winden bewegt. Sie hatten keine Ahnung, wie weit das Gift schon war und wie schnell es sich fortbewegte. Mit jeder verstreichenden Minute, die sie dort saßen und sich auf die Begegnung vorbereiteten, wurde Tava ein bisschen aufgeregter und ein bisschen unruhiger. Wenn es nun doch aus einem unerfindlichen Grund an ihrem Gift scheitern würde, müssten sie alle wieder die zwei Tage zurück nach Arbora wandern, sich zurück ins Labor setzen, wieder forschen. Dabei war nicht einmal sicher, ob das Labor noch existieren würde, denn Falk war immerhin tot. Es war außerdem ungewiss, ob die beiden Männer Tava dann noch einmal mischen lassen würden, wenn sie jetzt versagte. Vielleicht würden sie es für besser halten, die ganze Sache einfach in ihre Hände zu nehmen. Oder jemanden zu finden, der mit seinem Alchemisten-Siegel mehr Expertise versprach.
      Es wäre nicht das erste Mal, dass Tava aus einer Gruppe verstoßen würde, aber aus irgendeinem Grund würde es sie dieses Mal vermutlich besonders schmerzen. Wahrscheinlich, weil Malleus bisher so viel Freundlichkeit gezeigt hatte, wie schon lange keiner mehr.
      Dann aber, bei Minute 25, kräuselte sich die Wasseroberfläche ein bisschen und ein dunkler Punkt tauchte auf der Oberfläche auf. Und noch einer. Tava sprang eifrig auf und stierte aufs Wasser hinaus.
      Fische. Tote Fische. Der Anblick hätte düster sein müssen, für sie drei war es aber ein erster Erfolg. Tava zeigte begeistert auf den See.
      "Da! Seht ihr? Fische! Es funktioniert!"
      Und nachdem sie sich daran erinnerte, dass sie vor den beiden Männern lieber etwas mehr Zuversicht zeigen sollte, damit sie nicht an ihren Fähigkeiten zweifeln würden, setzte sie hinzu:
      "Wie vorhergesehen."
      Dabei war es wahrlich ungewiss gewesen, ob das Gemisch wirken würde. Immerhin hatte Tava keine Möglichkeit gehabt, es in diesem Maße zu testen.
      Sie versuchte sich einen Überblick über den See zu verschaffen und wo die ersten Fische aufgetaucht waren.
      "Ich schätze, bald wird es bei der Hälfte sein. Etwa eine halbe Stunde noch."
      Das war nichts neues, aber jetzt hatten sie es konkret vor Augen. Und als es soweit war, bildeten sich tatsächlich die ersten Wellen im Wasser.
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