When I met you [Icedcoffee&Chaennie]

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    • When I met you [Icedcoffee&Chaennie]

      WHEN I MET YOU
      vorstellung

      Regen prasselte in regelmässigen Abständen vom Himmel hinab und durchtränkte die Erde mit einer kalten Feuchtigkeit. Das trommelnde Geräusch hallte in seinen Ohren wider wie ein unheilvolles Mantra. Die Tropfen fühlten sich schwer an auf seinem Pullover, aber das war nicht einmal das, was ihn am meisten ärgerte. Dass er seinen Regenschirm in der Eile zuhause hatte liegen lassen, konnte er ja noch irgendwie verkraften, viel schlimmer war, dass er seine Kopfhörer vergessen hatte und nun der Geräuschkulisse des Abendverkehrs ausgesetzt war. Dabei war es schon nach 21 Uhr. Man hätte meinen können, dass es nun etwas ruhiger wäre auf der Strasse, doch diese Hoffnung war schneller zerplatzt als eine Seifenblase, die gen Himmel stieg. Ein Himmel, der dunkel war, wodurch man die grauen, zuckerwatteähnlichen Wolken gar nicht recht zu sehen vermochte. Sie verdeckten die Sterne und das stimmte ihn traurig, aber selbst an einem klaren Tag konnte man sie dank dem Smog nur selten sehen. Ein Auto rauschte an ihm vorbei über die grüne Ampel zu seiner linken und Sun zuckte leicht zusammen. Gerade noch rechtzeitig hob er den Blick, um der Person auszuweichen, die ihm entgegenkam. Sein Herz pochte schnell in seiner Brust und seine Sicht war verklärt. Zeit, sich zu beeilen und von dem Lärm wegzukommen. Schnelle Schritte lenkten ihn in eine schmale Seitenstrasse, die nach oben führte und damit direkt in ein heimeliges Quartier, indem er auch einen kleinen Laden finden würde. Eigentlich brauchte er gar nichts. Alles, was er benötigte, fand er auch zuhause und eigentlich war es ziemlich dumm von ihm, sich mit diesem kleinen Ausflug zu quälen, wohl wissend, was es mit ihm machte. Aber er hatte es nicht länger zuhause angehalten. Wie so oft war die Stimmung angespannt und noch immer brannte seine Wange von der Begegnung mit der Faust seines Vaters. Die Haut glühte rot, würde sich in den nächsten Tagen bestimmt blau verfärben und an seiner Unterlippe prangte ein kleiner Schnitt, der glücklicherweise nicht mehr blutete. Sun zog sich automatisch die Kapuze tiefer ins Gesicht. Er schämte sich dafür, seinem Vater nicht gut genug zu sein und niemand brauchte zu sehen, was für ein Versager er war.

      Der Schwarzhaarige erreichte den kleinen Conveniencestore, dessen neonfarbige Schilder mit den Strassenlampen um die Wette leuchteten. Er trat hastig unter den kleinen Vorsprung beim Eingang, bevor er sich eine Maske über Mund und Nase zog. So verhüllt betrat der Koreaner, die Hände in die seitlichen Taschen seines Hoodies gesteckt, den kleinen Laden. Ein kurzer, viel zu leiser Gruss fand den Verkäufer hinter den Thresen, der den Ankömmling misstrauisch musterte, ihn dann allerdings nicht weiter zu beachten schien. Für einen Moment blieb der Schwarzhaarige ziellos stehen. Es war furchtbar warm im Laden oder es war draussen einfach viel zu kalt gewesen. Seine schmale Statur zitterte leicht unter der schweren Nässe seines Pullovers, der seine Schultern hinabzudrücken schien, doch eigentlich war es das Gewicht seiner Sorgen, die seinen Körper zum reagieren brachten. Sun zwang sich dazu, sich in Bewegung zu setzen. Keine Ahnung, was er hier genau wollte. Etwas Süsses, ein Getränk? Ruhe finden zwischen Milchbeuteln und Ramennudeln? Das war am wahrscheinlichsten. Er liess sich ausgiebig lange Zeit, zog eine Regenspur hinter sich her, wo auch immer er hinging, tropfte seine Kleidung auf den Boden. Seine Schritte waren schlurfend und energielos, während er durch die Regalreihen ging und unter den schwarzen Strähnen seines Haares und der Kapuze hervorlinste, auf der Suche nach etwas, was seine Nerven beruhigte und seinen Kopf für kurze Zeit glücklich genug stimmte, damit er alles vergessen konnte. Dabei machte Sun sich möglichst klein und unauffällig, wollte er auf keinen Fall irgendjemandes Aufmerksamkeit auf sich ziehen. Das war zumindest das Ziel gewesen. Sun hatte gar nicht bemerkt, wie er sich dem jungen Mann genähert hatte, dass er unmittelbar neben ihm stand. Erst als die Stimme des Verkäufers direkt neben ihm stand und er erbost an seiner Kapuze gepackt wurde, schreckte Sun mit hämmerndem Herz aus seiner Zwischenwelt hoch. Seine ungewöhnlichen, grünen Augen weiteten sich vor Angst, seine Hände schossen hoch und griffen nach seiner Kapuze, um sie möglichst auf dem Kopf zu behalten, während er in das wütende Gesicht des Verkäufers sah. «Wusste ich doch, dass ihr hier seid, um zu stehlen! Seid ihr eine Bande, hm?» Sun verstand die Welt nicht mehr. Seine Finger umklammerten den schwarzen Stoff seiner Kapuze so fest, dass seine Knöchel weiss hervortraten. «Yah! Sei nicht so unhöflich und zeig dein Gesicht!», fuhr der Verkäufer ihn an, hielt ihn immer noch im Griff.

      Vollkommen überfordert von der Situation versuchte Sun Worte zu formen, doch über seine Lippen perlte nicht mehr als ein undefinierbares Stammeln, stockender Buchstabensalat, Wortgrütze. Er versuchte sich aus dem Griff des Verkäufers zu befreien, löste eine Hand aus der Kapuze um sie abwehrend vor sich zu heben, stolperte dabei rückwärts. Und direkt gegen einen Oberkörper. Erneut schreckte Sun zusammen und schluckte so schwer, dass sein Adamsapfel nervös auf und ab hüpfte. Er konnte nicht einmal den Kopf drehen, um zu sehen, gegen wen er da gestossen war. «Ich…es tut mir leid.», kam es dann doch von ihm, prasselte aus seinem Mund wie der Regen draussen auf die Dächer der parkierenden Autos. «Ich habe nicht…Bitte lassen Sie mich los.»

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    • „Meine Güte, jetzt mach‘ mal nicht so einen Aufstand und lass den Kleinen los, ich kenn‘ den nich’mal“, grummelte der eigentliche Dieb und umgriff das Handgelenkt des Verkäufers so stark, dass dieser gar keine andere Wahl mehr hatte, als die Kapuze des Typen, welcher mitbeschuldigt wurde, loszulassen.

      Moon war eigentlich schon den ganzen Tag mit seinem Motorrad unterwegs gewesen, auf der Suche nach Abenteuern, aber alles, was er bisher getan hatte, hatte ihn nur gelangweilt. Diese Langeweile, war seit er denken konnte, seine ständige Begleitung und er versuchte vehement, dagegen anzukämpfen, auch wenn es für ihn hieß, Gesetze zu missachten. Was sollte schon groß passieren? Bei kleineren Delikten würde seine Mum einfach die Polizei bestechen, so wie immer und selbst wenn er doch mal hinter Gittern landen würde, hoffte Moon auf die Willkommene Abwechslung.
      Sonst beteiligte er sich um diese Uhrzeit immer an irgendwelchen Straßenrennen, genoss den kurzzeitigen Adrenalinrausch, nach dem er sich immer so sehr sehnte, aber bei diesem Wetter riskierte er wohl, sich nochmal ein Bein zu brechen oder vielleicht das Genick.
      Als er diesen Gedanken auf dem Weg zu einem Convenience Store hatte, begann er zu lachen, denn so langweilig das Leben auch war, sterben wollte er jetzt noch nicht, dafür hatte er, zumindest nach seinem Geschmack, bisher viel zu wenig erlebt.
      Angekommen, am Objekt der Begierde, parkte er sein Motorrad, den Helm lies er jedoch auf, denn er wollte heute zumindest noch einen kleinen Nervenkitzel erleben. Es roch merkwürdig, als er den Laden betreten hatte, irgendwie nach einer Mischung aus Instant-Ramen und WC-Reiniger, weshalb er die Nase rümpfte und sich den Weg durch die Gänge zum Snack-Regal bahnte, an dem er die Taschen seiner Jacke etwas auffüllen wollte.

      Und wie er damit begonnen hatte, war die Situation entstanden, in der sich der Motorradfahrer nun befand, gemeinsam mit irgend einem Typen, der völlig unschuldig war und mehr abbekam, als er selbst.
      Für einen Moment musterte Moon den Verkäufer durch sein verspiegeltes Visier, wand den Blick dann in Richtung der Tür, die den Weg in die Freiheit darstellen würde. „Ja genau, ist klar, dass habt ihr doch so abgesprochen!“, fauchte der Verkäufer mit mittlerweile hochrotem Kopf und zückte sein Handy, weil er wahrscheinlich die Polizei rufen wollte.
      Moons Reaktion darauf war ein Augenrollen, denn wie affig war es bitte, wegen einem kleinen Ladendiebstahl direkt die Gesetzeshüter einschalten zu wollen. Prinzipiell hätte das Ganze vielleicht sogar lustig werden können, aber er hatte ja auch jemand anderen mit in die Situation hineingezogen und der sollte nicht unbegründet Ärger im Nacken haben, zumal er völlig verängstigt wirkte.

      Während der Verkäufer weiter vor sich her schimpfte, umgriff Moon dann schließlich das Handgelenk des Fremden und zog erstmal sacht daran, damit dieser seine Aufmerksamkeit auf ihn lenkte, dann lief er einfach los, den Kleineren mit sich ziehend.
      Damit er Beiden genügend Zeit verschaffen konnte, riss Moon dann direkt vor der Tür noch ein Regal um, welches mit diversen Konservendosen gefüllt war, denn sie müssten so schnell wie möglich von dort wegkommen.
      Ohne wirkliche Rücksicht auf seinen unfreiwilligen Begleiter, dessen Handgelenk er noch umgriffen hatte, lief er durch den mittlerweile strömenden Regen zum Motorrad.
      „Du hast jetzt eigentlich gar keine Wahl mehr, als mir einfach zu vertrauen.“, sagte der größere von Beiden mit seiner festen Stimme und Stieg auf seine schwarze Maschine, die durch den Regen richtig glänzte. Er schmiss sie schon in Gang, ließ den Motor aufheulen, wobei das Geräusch durch den Regen sehr gedämpft war.
      „Komm schon, jetzt steig' endlich auf, oder du bekommst es gleich mit den Bullen zu tun!“, fuhr er den schwarzhaarigen dann lauter an.
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    • Es war eine schrecklich unangenehme Situation zwischen den Beiden zu stehen. Der Unbekannte in seinem Rücken und der Verkäufer vor sich, der mit hochrotem Kopf auf seinem Smartphone herumtippte und offenbar kurz davor war, die Polizei zu rufen. Oh nein, das konnte er gar nicht gebrauchen. Wenn sein Vater ihn aufgrund von versuchtem Diebstahl auf der Polizeiwache abholen musste, dann war es um ihn geschehen. Er konnte den Ärger schon förmlich riechen, der ihn erwarten würde. Wenigstens war er mittlerweile aus dem Griff des Verkäufers befreit worden, doch die Gefahr war deswegen noch lange nicht gebannt. Bevor er aber weiterhin einen sinnlosen Buchstabensalat von sich geben konnte, um sich zu verteidigen verstand sich, fand die plötzlich entstandene Situation einen neuen Twist. Eine Hand umschloss sein Handgelenk, warme Finger gruben sich in sein Fleisch und dann wurde er mit einem kräftigen Ruck, welcher durch seinen Arm ging, auch schon mitgezogen. Der Schwarzhaarige keuchte erschrocken auf, bevor er einen Laut ausstiess, der einem Winseln ähnlich kam. Einen Schritt wurde er mitgeschleift, dann setzte die Sensorik in seinem Gehirn endlich 1 und 1 zusammen und seine Füsse begannen sich zu bewegen. Stolpernd folgte er dem Unbekannten mit dem Motorradhelm auf dem Kopf und konnte sich dabei noch nicht so wirklich entscheiden, was den Jetzt das grössere Übel war. Der hochgewachsene Dieb oder die Polizeiwache. Konserven krachten unmittelbar hinter ihnen zu Boden, als sein unfreiwilliger Entführer mit einem kräftigen Tritt den nächstbesten Verkaufsaufsteller zu Fall brachte. Und ehe er sich versehen konnte, waren sie draussen. Kalte Luft schlug ihm entgegen, der strömende Regen empfing ihn in einer täuschend liebevollen Umarmung, während sein stockender Atem helle Wölkchen in die Luft sandte, die allerdings sofort wieder verpufften. Noch immer war kein weiteres Wort über seine Lippen gerutscht, verdammt, er musste sich doch darauf konzentrieren, dass sein Herz weiterschlug und ihm nicht noch vor Schock stehen blieb.

      Hinter ihnen rief der Verkäufer erbost nach ihnen, doch keiner von ihnen blieb stehen. Der Unbekannte, weil er wohl wirklich gestohlen hatte und Sun, weil er das Gefühl hatte, ihm blieb keine andere Wahl. Dennoch begannen nun erste Zweifel an seinem Gewissen zu nagen. Warum fliehen, wenn er nichts getan hatte? Das war der einzige Conveniencestore in seiner unmittelbaren Wohnnähe, für alle anderen musste er viel weiterlaufen. Es war noch Zeit, umzudrehen und sich zu entschuldigen, Demut zu zeigen für den Ärger, den man veranstaltet hatte. Sun wurde langsamer in seinen stolpernden Schritten, warf einen hastigen Blick über seine Schulter, doch sein Begleiter forderte zugleich wieder seine Aufmerksamkeit. Du hast jetzt eigentlich gar keine andere Wahl mehr, als mir zu vertrauen. Mit grossen Augen starrte Sun den Unbekannten unter der Kapuze hervor an, bevor er das Motorrad sah. Nein. Das konnte er nicht von ihm verlangen. Für Diskussionen wollte keine Zeit bleiben. Der Dieb hatte sich bereits auf das Motorrad geschwungen. Seine Hände fanden in gewohnter Manier an die Lenker, als hätte er sein gesamtes Leben lang nie etwas anderes gemacht. Ein weiterer, gezielter Tritt, dieses Mal aber nicht um Konservenstände zu Fall zu bringen, sondern um das Motorrad zu starten. Der jaulende Motor klang in den Ohren des Koreaners wie ein Todesurteil und seine Knie wurden ganz weich. Sein Herz setzte mehrere Schläge aus, ein weiterer, ängstlicher Blick über seine Schulter, bevor er zusammenzuckte, als er von der lauten Stimme des Diebs angefahren wurde. Die Drohung es gleich mit der Polizei zu tun zu haben schien zu wirken, den Sun stolperte einen Schritt vorwärts auf das Motorrad zu, welches im strömenden Regen aussah wie eine Todesmaschine. Aber verdammt, wenn er nicht mitfuhr, musste er sich vor dem Gesetz und seinem Vater erklären, der wohl wenig Verständnis dafür aufbringen würde, egal ob sein Sohn nun die Wahrheit sagte oder nicht. Er fand immer einen Grund, ihn zu bestrafen und ein Besuch auf der Polizeistation wäre am Ende des Tages ein Festmahl für einen der reichsten Männer Koreas.

      Sun schluckte schwer, dann trat er an das Motorrad heran. Er war noch nie auf so etwas gesessen und hatte es eigentlich auch nicht vorgehabt. Unsicher und fragend sah er einen Moment zu dem Gesichtslosen Dieb, bevor seine klammen Finger sich fragend in die Jacke gruben, um Halt zu finden. Als sich nicht darüber beschwert wurde, wurde sein Griff fester, dann schwang er ein Bein über den Sattel und hievte sich in den kalten Sitz. Sofort verzog Sun das Gesicht, als sich die Nässe und Kälte auch durch Teile seiner Kleidung frass, die, bis eben noch trocken gewesen war. Lange Zeit darüber nachzudenken und sich zu genieren, blieb ihm aber nicht, da machte das Motorrad schon einen buchstäblichen Sprung nach vorne. Sun stiess einen spitzen Schrei aus, schlang zeitgleich seine Arme um die Taille des Diebes. Dann rauschten sie los in die Nacht und den Regen, der sich mit steigender Geschwindigkeit anfühlte wie kleine Messerstiche auf der Haut. Die Kapuze wurde ihm vom Kopf geblasen und Sun bereute, die Maske anbehalten zu haben, die nun förmlich in seinem Gesicht klebte und so nach oben gerutscht war, dass ihm die halbe Sicht verdeckt wurde. Aber das spielte auch keine Rolle mehr, schaffte er es eh nicht die Augen offen zu behalten. Sun kniff sie fest zu und klammerte sich an dem Fahrer fest, als hinge sein Leben davon ab. So sausten sie durch den nächtlichen Verkehr, irgendwo ins Unbekannte. Sun öffnete die gesamte Fahrt seine Augen nicht. Er war viel zu konzentriert darauf, nicht zu erfrieren und nicht herunterzufallen. Selbst als das Motorrad langsam ausrollte und schliesslich zum stehen kam, klammerte er sich weiterhin an dem Unbekannten fest, versuchte verzweifelt wieder zu atmen zu kommen und nicht gleich ohnmächtig zu werden.

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    • Gerade als er sich dazu entschied, den Fremden einfach im Regen stehen zu lassen, ihm seinem Schicksal zu überlassen, entschied sich dieser doch endlich dazu, seiner Aufforderung Folge zu leisten.
      Er spürte, wie die dünnen Arme des Mannes sich eng um seine Taille legten und so wie dieser sich dann auch mit dem Rest seines Körpers an ihn gedrückt hatte, heulte der Motor des Gefährts auf und es ging los.
      Für seine Verhältnisse, fuhr Moon sogar relativ sicher, da der hinter ihm keinen Helm trug und einen Tod wollte er dann nun auch nicht verantworten, das wäre zu viel des Guten.
      Der Regen machte dem Regelbrecher überhaupt nichts aus, ganz im Gegenteil, er liebte das Gefühl, wie seine Kleidung an seiner Haut klebte, denn in gewisser Weise, fühlte es sich für ihn an, als würde ihn jemand festhalten. Auch oder vor allem deshalb, war ihm auch die Umarmung, die der andere ihm gerade mehr oder weniger unfreiwillig gab, nicht unangenehm.

      Die beleuchteten Fassaden der Hochhäuser zogen nach und nach, wie ein Lichttunnel an den Beiden vorbei, das Licht der Ampeln spiegelte sich auf dem nassen Asphalt und die Welt war, wenn auch nur für einen Moment, in Ordnung. Moons Bauch kribbelte noch wohlig, durch das Adrenalin, was sich in ihm ausgebreitet hatte und er fühlte sich, als würde die Welt ihm gehören, als könne er den Rhythmus seines Lebens völlig beherrschen. Genau solche Momente waren es, nach denen er sich sehnte. Seine Gedanken waren frei, keine Langeweile, keine Einsamkeit, nur der Moment zählte.
      Bald schon, wechselte die vorher noch durch Bürogebäude und Hotels gezeichnete Landschaft zu einer tristen Wüste aus Stahl und Beton.
      Ganz bewusst, war er hierhergefahren, denn eine Streife würde sich um so eine Uhrzeit wohl kaum hier her verirren um zwei Ladendiebe zu finden.
      Er schob das Visier hoch, auf dem die Tropfen ihm die Sicht versperrten, um Orientierung zu finden, da er die Lagerhalle suchte, die er ziemlich Oft nach solchen Aktionen anpeilte.
      Schon seit Jahren stand sie leer. Wo vorher einmal Material für den Bau von Microchips gelagert wurde, war jetzt nur hier und da noch eine Palette, die an das, was mal war erinnerte.
      Vor der Halle, in der Ladezone, blieb Moon dann schließlich stehen, setzte seinen Helm ab und wartete vergebens darauf, dass das Klammeräffchen hinter ihm seinen Griff lockerte, um abzusteigen.
      „Kumpel, du kannst loslassen, wir stehen.“, sagte der rothaarige ruhig und versuchte sich ein wenig nach hinten zu drehen. Er konnte nur im Augenwinkel erahnen, wie der Mann hinter ihm die Augen ängstlich zusammenkniff, spürte wie dessen Atmung noch immer schnell und angestrengt war, wie stark sein Körper bebte.
      Doch ein wenig mitleidig, zog Moon für einen Moment seine vollen Brauen zusammen und wiederholte noch einmal, diesmal jedoch sanfter, was er soeben schonmal von sich gegeben hatte.
      Der andere wirkte zerbrechlich und verstört, hilflos und verloren. Ob das alles an der Aktion gerade lag?
      Moon selbst hatte keine Angst vor den Konsequenzen oder vor dem schnellen Fahren, er fürchtete nicht was Zuhause auf ihn zukommen könnte, denn was er auch tat, es wäre sowieso egal oder ich schnell verziehen. Die Sorgen die andere kannten, waren ihm oftmals zu fern, damit er Verständnis dafür aufbringen konnte, dabei fehlte es ihm dafür nicht an Empathie, sondern Erfahrung. Es hatte niemals jemanden in seinem Leben wirklich gekümmert, wie er sich verhielt, ob er irgendwelche besonderen Ziele im Leben erreichte. Keinerlei Ansprüche wurden an ihn gestellt und genau so war er auch aufgewachsen, völlig frei von jeglichem Druck oder Interesse.
      Seine Mutter vergötterte ihn, aber schaffte es auch nicht, ihrem Sohn die Einsamkeit zu nehmen.
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    • Es war schon ironisch, wie sehr er sich ans Leben klammerte. Die Arme fest um die Taille des anderen geschlungen, als fürchte er zu fallen und sich das Genick zu brechen. Es war nicht einmal so abwegig. Oh, er hatte schon oft darüber nachgedacht, alles zu beenden. Beängstigende Gedanken, die ihn Tag und Nacht verfolgten, wenn er gerade eine schlechte Phase hatte und die Welt drohte über ihm zusammen zu brechen. Doch im Endeffekt war er immer zu feige dafür. Hatte Angst vor den Schmerzen, wollte nicht leiden. Und Schlafmedikation bekam er leider nicht einfach so, von der er eine Überdosis hatte nehmen können. Denn wenn er starb, dann wollte er es ruhig tun und nicht mit Schmerzen verbunden. Deswegen klammerte er, die Finger fest im nassen Stoff vergraben, seinen Körper fest an den des Diebes gedrückt, wo es ihm unter anderen Umständen bestimmt unangenehm gewesen wäre. Jetzt aber blieb ihm gerade keine andere Wahl. Selbst als das Motorrad stoppte und die erste Aufforderung des Fahrers ihn darauf aufmerksam machte, konnte er nicht loslassen. Sein Atem ging rasselnd und obwohl er die Augen fest zusammengekniffen hatte, drehte sich die Welt wie im Kettenkarusell. Nur machte das gerade keinen Spass und der Himmel war auch nicht Lila, die Situation nicht romantisch, sondern der Ernst der Realität.

      Ein zweites Mal wurde Sun darauf aufmerksam gemacht, dass er loslassen konnte und endlich gehorchten seine Arme ihrem Dienst. Vorsichtig schob er sich von der Höllenmaschine, landete auf unsicheren Beinen und ging sofort in die Hocke, schlang die Arme um sich, nicht ohne vorher die Kapuze hastig wieder an Ort und Stelle zu ziehen. Sein Herz hämmerte ihm wild in der Brust wie die Hufschläge eines galoppierenden Pferdes und er wusste, dass ihm die Beine den Dienst versagten, wenn er jetzt versuchen würde zu stehen. Den Fremden getraute er keine Frage zu stellen, weswegen er nun sein Smartphone hervorsuchte, welches ebenfalls ziemlich nass war. Überhaupt war er von Kopf bis Fuss nass. Seine Kleidung klebte unangenehm an ihm und er bibberte vor Kälte. Also alles andere als angenehm. Seine Finger flogen schnell über das aufleuchtende Display, entsperrten es, bevor Google Maps geöffnet wurde. Sie waren irgendwo in einem Industriegebiet, weit weg von seinem Quartier. Wahrscheinlich hatte der Dieb so eine Aktion nicht das erste Mal gebracht, er hatte zielsicher seinen Weg zu dieser Halle gefunden, die Sun jetzt genauer in Anschein nahm. Er richtete sich die Maske im Gesicht, zog die Kapuze wieder tiefer in die Stirn und liess seinen Blick dann durch die leere Halle schweifen, die nur hie und da von einigen Paletten geziert wurde. Zitternd drückte er nun seine Knie durch, begab sich endlich in eine aufrechte Person und linste schnell unter seiner Kapuze zu dem hochgewachsenen Fahrer hinüber, der mittlerweile seinen Helm ausgezogen hatte.

      Er musste ungefähr in seinem Alter sein. Sein Haar war ungewöhnlich rot, offenbar gefärbt. Suns Blick blieb für einen Moment an den markanten Gesichtszügen hängen, bevor er hastig wieder zu Boden sah, seine Fussspitzen musterte, wie sie vom Staub der Halle bereits benetzt wurden. «D-danke fürs Mitnehmen.», stotterte er nun doch, nicht nur aus Schüchternheit, aber auch weil die Kälte seine Zähne klappern liess. Dabei war es schon ganz schön doof, sich bei dem anderen zu bedanken! Jeder normale Mensch hätte das auch gewusst. Schliesslich hatte der Motorradfahrer in tief in die Scheisse geritten und das letzte, was angebracht war, war ein Dank. Aber Sun wäre eben nicht Sun, wenn er nicht versuchen würde mit seiner verschüchterten Art einer möglichen Konfrontation zu entkommen. Immer freundlich bleiben, sich nicht ärgern, den Kürzeren ziehen. Langsam regulierte sich sein Atem auf ein normales, regelmässiges Tempo und auch sein Herzschlag fand wieder in einen Rhythmus zurück, der nicht jeden Arzt unschöne Konsequenzen fürchten liess. Ohne Umschweife verbeugte Sun sich vor dem Fahrer. «Danke. Entschuldige die Umstände.» Fest davon überzeugt, dass es irgendwie seine Schuld sein musste, folgte noch eine ernst gemeinte Entschuldigung, während er sich viel zu tief nach unten beugte. Bevor ihm wieder schwindlig werden konnte, drückte Sun seinen Oberkörper hoch und wich dem Blick des Rothaarigen aus. «Ich gehe dann mal.», verabschiedete er sich mit seiner weichen, viel zu leisen Stimme, die wie Honig an den Lippen klebte. Süsslich, schwer, als wäre es mitten im Frühling und die Sonne stand am Himmel.

      Ohne auf eine Antwort abzuwarten, drehte Sun sich nun ab und schlurfte Richtung Ausgang der Halle, währenddessen nervös auf seinem Handy herumtippend. Ob er es wagen konnte, einen der Fahrer der Familie zu bitten, ihn abzuholen? Aber bestimmt würde man ihn verpetzen. Der Fahrer war ja quasi dazu verpflichtet, seinen Eltern zu erzählen, wo er Sun aufgelesen hatte. Für ein Taxi hatte er zu wenig Geld dabei, seine Bankkarte war zu Hause geblieben. Ach Mist. Das war so ein doofer Tag. Sun schüttelte leicht für sich den Kopf. Es blieb ihm wohl nichts anderes übrig, als nach Hause zu laufen und seufzend tippte er seine Adresse als Zielort in die Google Maps App.

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    • Völlig irritiert, anders konnte man Moons Zustand in diesem Moment nicht beschreiben, denn er hatte eine absolut andere Reaktion erwartet. Zuerst einmal kam in ihm ein wenig Angst auf, dass der schwarzhaarige ihm hier gleich zusammenklappen würde, denn er hatte keine Ahnung wie er damit umgehen sollte, geschweige denn, wie man Erste Hilfe leistete, doch der jüngere schien sich von selbst wieder zu fangen, richtete seinen Körper schließlich auf.
      Er war davon ausgegangen, dass der junge Mann ihn anschreien würde, ihn fragen würde, ob bei ihm im Kopf alles richtig lief, als er dann endlich in Moons Richtung schaute, aber er bedankte sich und setzte im nächsten Moment auch noch eine Entschuldigung nach?
      Moon blinzelte ein paar Mal, versuchte diese merkwürdige Situation irgendwie zu verstehen.
      Wieso verdammt nochmal entschuldigte sich der Kerl? Die Verwunderung schlug schnell um in Wut. Er war wütend, weil er es hasste, wenn Leute so wenig Ego hatten, dass sie dachten, jeder Umstand wäre basierend auf einer Handlung, die sie ausgeführt hatten. Wie konnte jemand denn so wenig von sich selbst halten, so ein kleines Selbstbewusstsein haben?
      Nun ließ er die Finger seiner rechten Hand leicht verzweifelt durch sein Haar gleiten, während er den anderen noch immer ansah. Was sollte er sagen? Ja wie reagierte man denn adäquat auf seinen Gegenüber, wenn dieser so gepolt war, wie der junge Mann, der einfach den Heimweg antrat.
      Nachdem er zu sich selbst gesagt hatte: „Der kommt doch niemals heil Zuhause an.“, setzte sich der ältere von Beiden auch schon in Bewegung, lief in großen Schritten hinter dem verstörten jungen Mann her und griff ein weiteres Mal nach dessen Handgelenk.
      „Jetzt warte doch mal!“, forderte Moon ihn bestimmt auf.
      „Hast du vor von hier aus nach Hause zu laufen, oder was? Wir waren knapp 20 Minuten hier her unterwegs. Bis du ankommst, ist es Morgen Mittag und ob du ankommst, ist eine ganz andere Frage, du bist nämlich klitschnass und draußen ist es arschkalt. Irgendjemand würde dich nach Sonnenaufgang erfroren am Straßenrand liegend finden... sorry, aber das will ich jetzt echt nich‘ verantworten. Ich kann dir jemanden rufen, der dich heimfährt.“
      Widerworte würde er gar nicht zulassen und da er davon ausging, dass sich der andere eh nicht wehrte, zog er ihn wieder nach drinnen in die Lagerhalle und holte dann aus dem Fach unter dem Sitz vom Motorrad ein Handtuch.
      „Mach wenigstens deine Haare trocken.“, wies er an und zückte im nächsten Moment sein Smartphone. Er wählte einen Kontakt, rief diesen dann an und bestellte einen Fahrer.
      „In 30 Minuten ist ein Fahrer für dich hier, bis dahin wirst du es ja wohl aushalten, huh?“
      Monologe war Moon ja sowieso gewohnt, deshalb sprach er einfach weiter, da er das Gefühl hatte, dass der andere so nicht wieder auf den Gedanken kam, sich aus dem Staub zu machen.
      „Sorry nochmal, wollte echt nicht, dass irgendjemand da mit reingezogen wird.“
      Er lachte ein wenig und griff in seine Taschen, schaute auf seine Beute, welche aus 3 Schokoriegeln, einer Tüte Erdnüsse und einer Packung Kaugummis bestand.
      „Appetit?“, wollte er wissen, nahm die Hand des anderen Koreaners und legte einen der Schokoriegel hinein, ehe er sich selbst auch einen auspackte.
      „Man oh man, das war echt cool irgendwie. Das ging so schnell und das mit dem Umstoßen des Aufstellers hat richtig gut funktioniert, sollte ich vielleicht öfter so machen.“
      Ohne Punkt und Komma sprechen, das hatte er wirklich drauf, auch wenn die einseitige Unterhaltung sicher sinnlos auf andere wirkte.
      Es verging dann jedoch ein wenig Zeit, ohne dass er sprach und langsam machte sich die Kälte auch bei ihm bemerkbar. Seine Knie schlotterten leicht und eine gewaltige Gänsehaut hatte sich auf seiner Körperoberfläche ausgebreitet, sogar seine Hände zitterten ein wenig.
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    • Allein der bestimmende Klang in der Stimme des anderen liess den Schwarzhaarigen in seinem Schritt innehalten. Leer schluckend stand er da, die nasse Maske klebte ihm unangenehm juckend im Gesicht, starrte zu Boden und versuchte, nicht zu sehr wie die typische Beute zu wirken, das Reh im Scheinwerferlicht. Aber so wie er sich kannte, stellte er genau das dar, und das schien auch der Dieb zu merken, der ihn nicht einfach gehen lassen wollte. Finger umschlangen ein weiteres Mal an diesem Abend sein Handgelenk und Worte prasselten auf ihn ein, was dazu führte, dass er sachte seine Schultern hochzog und versuchte, sich kleiner zu machen. 20 Minuten? Das war viel länger, als es sich angefühlt hatte, aber die Welt war in der letzten Stunde auch kaum mehr greifbar für ihn gewesen. Da verwunderte es Sun nicht, dass er Probleme hatte, die Zeit einzuschätzen. Ein Ruck ging durch seinen Armen und wieder wurde er vom Dieb hinterhergeschleift. Wortlos und ohne sich zu wehren folgte der Kim an das Motorrad heran, welches dank der vorherigen Fahrt zumindest etwas Wärme absonderte. Automatisch schob er sich näher heran und legte seine Hände vorsichtig an die Stelle, die am wärmsten zu sein schien. Zumindest bis ihm ein Handtuch in die Hand gedrückt wurde mit einer klaren Aufforderung. Sun linste unsicher zu dem Typen hoch, der keinen Widerspruch dulden wollte. Nicht mit dem Nachhause laufen und wohl auch nicht damit, dass er sich weigern wollte, seine Kapuze hinabzuziehen, um sein zerschundenes Gesicht zu verbergen. Wenigstens die Maske würde er aufbehalten, die konnte einen guten Teil verbergen. Vorsichtig schob er sich also die Kapuze vom Kopf und rubbelte sich mit vorsichtigen Bewegungen mit dem Handtuch durch das Haar. Noch immer waren keine brauchbaren Worte über seine Lippen geperlt. Sun war nicht unhöflich, es war einfach sein Naturell, nicht viel zu sprechen. Stattdessen beobachtete er so unauffällig wie möglich den Rothaarigen dabei, wie er jemanden anrief und tatsächlich einen Fahrer für ihn herbestellte. Sun fragte sich automatisch, ob der andere aus einem ähnlichen Haushalt stammte wie er. Schliesslich war es nicht üblich, einfach so Fahrer zur Verfügung zu haben. Als der Motorradfahrer das Gespräch beendete, wandte Sun hastig den Blick ab und rubbelte weiterhin seine Haare. Auf die Aussage hin nickte er knapp. «Ja.», kam es über seine Lippen, ein Wort, welches mehr einem Lufthauch glich als einer anständigen Beantwortung der Frage, die wohl sowieso eher rhetorisch gemeint war.

      Stumm starrte Sun nun auf seine Handfläche, in der sich ein Schokoriegel befand. Der bestimmt sehr lecker war, aber jetzt gerade konnte er ihn unmöglich essen. Ausserdem…das war Diebesgut! Wie könnte er den ohne schlechtes Gewissen verdrücken? «D-danke, aber ich habe keinen Hunger.», stammelte Sun leise, die Stimme durch das Stück Stoff vor seinem Mund gedämpft und streckte dem Rothaarigen den Schokoriegel sowie Handtuch entgegen. Letzteres hatte gute Dienste geleistet. Seine Haare waren fast trocken, doch bitterkalt war ihm immer noch. Bestimmt holte er sich in den nächsten Tagen eine fette Erkältung. Seine Hände fanden wieder auf die warme Stelle des Motorrads zurück, welches im ruhigen Zustand gar nicht mehr so unheimlich wirkte. Die Dunkelheit in der Halle verdichtete sich von Minute zu Minute und nur das helle Licht der Strassenlaternen draussen vermochte das Gebäude mit silberbleichem Licht zu füllen, wo auch immer ein Fenster in den schweren Umriss eingelassen war. War das das Versteck des Diebs? Fuhr er immer hierher, wenn er etwas gestohlen hatte und dabei erwischt wurde? Sun ertappte sich dabei, wieder zu dem Rothaarigen hinüberzulinsen. Er zögerte erst, sein Mund klappte einige Male sachte auf und wieder zu, bevor er sich dann doch getraute, ihn ein weiteres Mal anzusprechen. «Hattest du keine Angst?» Seine Stimme zitterte leicht aufgrund der Kälte, die ihm in den Knochen sass und ihn langsam ganz kirre machte. Doch ständig auf die Uhr schauen, um zu kontrollieren, wie viel Zeit noch verstreichen musste, bevor er sich in ein warmes Auto setzen konnte, wollte er auch nicht. Das war unhöflich. «Hat dir das Spass gemacht?», fragte Sun dann noch leiser nach, senkte dabei hastig wieder den Blick auf den Boden zu seinen Füssen. Seine Schuhspitzen versanken langsam in der dichter werdenden Dunkelheit der Halle, die mit jeder verstrichenen Sekunde etwas mehr nach ihm zu greifen schien. Es störte ihn nicht. Sun war es sich gewohnt, in der Dunkelheit zu leben und auch wenn er sich fürchtete und jedes kleine Geräusch Anlass gab, zusammen zu zucken, hatte er sich längst daran gewöhnt, dass jede Ecke seines Bewusstseins in tintenschwarze Farbe getaucht war.

      Die Seele des Rothaarigen war bestimmt nicht schwarz. Bestimmt war sie in alle möglichen, aufregenden und bunten Farben gekleidet, die es nur gab. Aber er konnte sich auch täuschen. Denn was wusste er schon? Sun schlotterte leicht. Es wurde immer, wie später und sein Vater würde ihm die Hölle heiss machen. Hoffentlich hatte der Verkäufer ihn nicht erkannt! Was, wenn zuhause die Polizei auf ihn wartete? Wie immer überlegte sein Geist sich die wildesten Dinge, um ihn zur Verzweiflung zu treiben, noch mehr, an den Wahnsinn heran. Es war okay. Er war es sich gewohnt, da konnte er nicht schon wieder damit beginnen, sich selbst verrückt zu machen. Stattdessen glitt sein scheuer Rehblick ein weiteres Mal zu dem Rothaarigen, der genüsslich «seinen» Schokoriegel verdrückte. «W-wie heisst du?»

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    • Es war fast schon ein erleichtertes Seufzen, was letztlich Moons Lippen verließ und kurz darauf erschien ein Lächelnd auf genau diesen, als der jüngere sich, wenn auch kaum hörbar, zu Wort meldete.
      Er lehnte nun neben seinem Motorrad an der kalten Betonwand und verspeiste, nachdem er den abgelehnten Schokoriegel wieder weggesteckt hatte, seinen genüsslich, beobachtete wie der andere seine Haare trocknete.
      Die Halle hier empfand auch er nicht als gemütlich, wer würde das schon tun, doch gerade in solchen Situationen, war es doch gar nicht so schlecht eine Unterkunft für eine kurze Rast zu haben, in der man nicht gefunden werden würde, es sei denn man war unklug.
      Als dann die erste Frage des Schwarzhaarigen an Moon herandrang, schaute er wieder in dessen Richtung, vernahm auch die zweite und dritte der Fragen. Es schien ihm, als wäre sein gegenüber trotz seiner Angst auch neugierig, da ihm nicht entging, wie er ab und an gemustert wurde. Störend war es auf keinen Fall, man sah ja normalerweise seine Gesprächspartner an.
      Ehe er dann seine Antworten gab, faltete er die leere Verpackung des Riegels penibel und ließ es in seiner Tasche verschwinden, würde es dann zuhause in seinem Loft entsorgen. Mülltrennung, Putzen, Ordnung, das liebte der kleine Prinz, so wie seine Mutter Moon immer nannte. Vielleicht war es in gewissem Maß auch irgendwie ein kleiner Zwang, der jedoch zum Glück nicht ausartete oder ihn in seinem Leben einschränkte.
      „Ich hatte keine Angst, nein. Weißt du, ich habe den Diebstahl nicht begangen, weil ich mir die Sachen nicht leisten kann, sondern weil ich den Nervenkitzel wollte. Merkwürdig oder? Na ja, ich hab‘ das schon so oft gemacht, beim ersten Mal, da hatt‘ ich vielleicht ein wenig Angst, aber mittlerweile ist es kein riesiger Adrenalinkick mehr sondern eher ein leichtes Prickeln.“, erklärte sich Moon ganz offen und ehrlich, ehe er in seinen Ausführungen fortfuhr: „Ob es mir Spaß gemacht hat, diese Frage ist schwer zu beantworten, weil wenn man Spaß hat, sollte man dabei doch so etwas wie Heiterkeit empfinden, nich‘? Ich denke nicht, dass ich Spaß hatte. Aber es hat auch kein schlechtes Gefühl in mir ausgelöst oder Reue. Mir tat’s nur etwas leid, dass ich dich in die ganze Geschichte mit hineingezogen habe. Das wollte ich wirklich nicht und ehrlich gesagt, der war ja schon ein bisschen dumm zu denken, wir würden zusammengehören. Ich hab‘ mich im Gegensatz zu dir ja echt auffällig verhalten, nicht einmal den Helm abgesetzt oder mein Visier hochgeschoben. Ich glaub du hast dich einfach zu klein gemacht, der dachte sicher, du hast das extra getan, um unschuldig zu wirken.“
      Nachdenklich lies Moon, während er sprach, den Blick so in seine Richtung gerichtet, dass er den Jüngeren nicht direkt ansah, weil er ihm nicht das Gefühl geben wollte, zu starren. Trotz der Rücksicht, bemerkte er aber, dass seinen Gegenüber wohl sehr viel auf den Schultern lasten musste und er sich quasi die gesamte Zeit Gedanken zu machen schien, wahrscheinlich Angst hatte vor etwas oder jemandem beziehungsweise dessen Reaktion. Auch entfiel ihm, trotz der Maske, welche der Kleinere trug nicht, dass er Verletzungen zu haben schien.
      War er vielleicht noch in der Schule und wurde da geprügelt? Nein, wahrscheinlich waren beide in einem ähnlichen Alter. Vielleicht waren es auch Freunde oder häusliche Gewalt?
      Egal was es war, Moon hasste es wie die Pest, wenn andere wehrlose Menschen verletzten, um sie sich gefügig zu machen oder ihre Macht zu demonstrieren. Gewalt war für ihn nur eine Lösung, wenn man sich wehren musste, weil man selbst angegriffen wurde. Natürlich hatte er sich hier und da auch schon einmal geprügelt, aber auch er wurde in seinem Denken mit der Zeit ein wenig erwachsener.
      Nachdem er diesen Gedanken für einen Moment abgeschlossen hatte, antwortete er auch auf Frage Nummer drei.
      „Ich bin Moon. Hast du auch einen Namen?“
      "They can keep their heaven. When I die, I'd sooner go to middle-earth." - George R. R. Martin

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    • Angst.
      Es war ein Gefühl, das Sun kannte wie kein zweites. Täglich begleitete es ihn und zeigte sich dabei in verschiedenen Facetten wie die verschiedenen Farben eines Regenbogens. Nur nicht so schön, nicht so schillernd, nicht berauschend und am Ende wartete auch nicht das Glück. Seine Angst konnte panisch sein, überwältigend oder sich auch einfach nur als Furcht äussern. Nüchtern betrachtet war es ihm sogar ganz gut möglich, die verschiedenen Empfindungen auseinander zu halten, doch wenn er einen dieser Zustände erlebte, regierte oft das Vergessen der Nüchternheit. Niemals konnte er dann innehalten und in sich hineinhorchen, um festzustellen, welche Art Angst er gerade fühlte. Es war auch dumm. Darüber nachzudenken und zu sinnieren, als würde es dies alles irgendwie besser machen.
      Jedenfalls verspürte Sun ein wenig Neid. Keine Angst zu verspüren, musste wunderbar schön sein, auch wenn es einen wohl dazu verleitete, dumme Sachen zu machen.

      Wieder glitt sein Blick unauffällig zu dem Rothaarigen, der ihm so problemlos eine Fahrt nach Hause hatte organisieren können, als wäre es nichts. Ein Anruf, einige knappe Worte und schon war das Ganze erledigt. Er war komisch. Von der Art wie er sich verhielt bis zu seinen Worten, die Sun nicht so ganz einleuchten wollten. Nervenkitzel. Spass. «Ka-kannst du dir Nervenkitzel nicht woanders holen? Bei Dingen, die nicht illegal sind?», fragte Sun dann stotternd nach und vermied es, Blickkontakt mit dem Fremden aufrecht zu erhalten, den er um keinen Preis verärgern wollte. Schliesslich waren sie hier immer noch in einer abgelegenen, leeren Lagerhalle und der Rothaarige würde es bestimmt auch als spassigen Nervenkitzel verstehen, ihn zu verprügeln. Der Gedanke kroch wie ein unheilvoller Botschafter durch seine Gehirnwindungen, die sich immer gerne die verrücktesten Geschichten ausdachten und er schluckte leer, bevor er hastig den Blick zu Boden wandte und sich etwas näher an das wärmende Motorrad herandrückte. Seine Klamotten klebten immer noch schwer an seinem Körper, die Maske kitzelte ihn an der Nase und Sun wurde mit jeder Sekunde unruhiger. Er hätte wohl die ganze Zeit steif dagestanden und auf den Boden vor seinen Füssen gestarrt, wenn nicht der Name des Rothaarigen an seine Ohren gedrungen wäre.

      Überrascht hob er den Blick und sah den Rothaarigen zum ersten Mal an diesem Abend richtig an. «Huh?», kam es ein wenig überfordert über seine Lippen, an denen das schwächste Lächeln zupfte, welches man sich vorstellen konnte. «Moon.», wiederholte er dann, den Blick abwendend, den Namen. Das Schicksal hatte manchmal schon einen ganz speziellen Sinn für Humor. Man musste es wohl nicht immer verstehen. «Ich werde Sun genannt.», sagte er dann leise, als wäre es ein schlechter Scherz. Sun. Wie die Sonne. Doch strahlen, wie sie tat der junge Mann nicht. Seine Worte waren nicht warm wie Sonnenstrahlen auf gebräunter Haut, sein Lachen nicht so schön wie aufgehende Sonne und sein Herz nicht begeistert von der Hitze des Sommers. Er hatte mit seinem Namen so viel gemeinsam wie ein Schmetterling mit einem Walross. Diese Welle Selbstmitleid war eine bekannte. Er hatte sie schon so oft gefühlt, dass sie ihm kaum mehr etwas konnte. Kurz brandete die Emotion an ihm hoch wie an einer Klippe, dann zog sich die Welle wieder zurück in das Meer der Traurigkeit, die auf seiner Seele lastete und jeden glücklichen Gedanken gleich im Keim erstickte und ertrinken liess. «Moon ist ein schöner Name.», murmelte Sun ein ernst gemeintes Kompliment hinterher, wurde dann aber vom Surren seines Smartphones unterbrochen. Sofort zog er es aus der Hosentasche. Sein Herz setzte einen Schlag aus, als er den Namen auf dem Display las. Sofort wischte er den Anruf weg und steckte das Handy zurück. Leise schniefend, es war halt wirklich verdammt kalt und er zitterte wie Espenlaub, wandte Sun sich an Moon.

      «Meinst du, der Fahrer braucht noch lange?», fragte er nach, wollte nicht ungeduldig wirken, konnte es aber doch nicht verhindern. «Ich habe kein Geld dabei, aber ich kann dir meine Nummer geben, dann kannst du dich morgen melden und wir treffen uns.» Noch immer war Sun der festen Überzeugung, dass der missglückte Diebstahl irgendwie seine Schuld war, auch wenn der Hochgewachsene deutlich gemacht hatte, dass er hatte erwischt werden wollen. Trotzdem war das alles für den Schwarzhaarigen nicht so einfach, der gerne in jeder Situation die Mängel bei sich suchte. Schlotternd zog er sich die Kapuze über den Kopf. Wenigstens würde er nach all der Aufregung heute Nacht gut schlafen können.

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    • Die Reaktionen, die sein Gegenüber ihm zeigte, ließen den Rothaarigen ein wenig nachdenklich werden. Hatte er wirklich eine so dunkle, angsteinflößende Aura, dass sich der junge Mann, der ihm völlig durchnässt, beinahe ans Motorrad geklammert gegenüberstand, verhielt wie ein Reh im Scheinwerferlicht oder gab es andere Gründe?
      Wenn er sich zurückerinnerte, dann hatte er so eine Situation bisher nur mit scheuen Kätzchen erlebt, zu denen er nach und nach hatte Vertrauen aufbauen müssen, sich ihnen im Schneckentempo annähern, bis er die Finger in ihrem weichen Fell vergraben konnte, um sie zu kraulen.
      Ein wenig besorgt, ohne es selbst zu bemerken, zog Moon die Augenbrauen zusammen, als der andere nun offenbarte, wie er genannt wurde.
      Dass er die vorherige Frage, ob er nicht auch seinen Nervenkitzel durch legale Dinge bekommen könnte, völlig vergessen hatte, fiel ihm auch nicht auf, stattdessen meinte er, Schmerz in der Stimme von Sun herausfiltern zu können.
      Sun. Moon. Wie Sonne und Mond, so waren die beiden wirklich, hätten unterschiedlicher nicht sein können, dachte der größere von beiden. Dabei sah der andere, sein Gegenüber, gerade wohl eher zu Tode betrübt aus, überwältigt von negativen Emotionen, die sich anscheinend nur noch zu verstärken schienen, als er einen Anruf erhielt, kurz nachdem er Moon gegenüber seinem Kompliment ausgesprochen hatte. Überrascht wurden seine Augen größer und ein wenig Verlegenheit machte sich in ihm breit, so mochte er seinen Namen schließlich auch ganz gern, hatte nicht unbegründet einen Halbmond am Motorradhelm aufbringen lassen.
      Den Anruf schien der Kleinere nicht annehmen zu wollen, wischte einmal über das Display und lies sein Handy dann recht schnell wieder in der Tasche verschwinden.
      Anscheinend hatte Sun Probleme mit irgendjemandem, denn auch die darauffolgende Frage, ob der Fahrer noch lang brauchen würde, erschien dem Älteren ein wenig von Angst begründet.
      Ruhig baute er wieder Blickkontakt auf und versicherte dann, dass der Fahrer bald hier sein würde, nie lang bräuchte und dass auf diesen Verlass war.
      Auch die nächste Äußerung, war wieder völlig unbegreiflich.
      „Kang Moon Jae, das ist mein voller Name“, sagte Moon aber erstmal, während er sein Handy aus der Jackentasche zog, dem Bildschirm durch das Darüberwischen mit seiner flachen Hand von der Nässe befreite. Er entsperrte es dann, öffnete seine Kontakte und drückte das rechteckige Gerät mit Touchscreen dann in die Hand von Sun.
      „Hör mal, ich will kein Geld oder so von dir, ich wüsste nicht mal wofür. Ich hab‘ auch keinerlei Intention dir irgendetwas zu tun, Gewalt kann ich echt nich‘ ausstehen. Leute die anderen weh tun, das sind diejenigen, denen ich am liebsten meine Faust ins Gesicht schleudert will, aber nich’ mal das mache ich, denn die sind es nicht Wert.“, brummte der Rothaarige dann, den anderen musternd.
      „Ich hab‘ keine Ahnung, was dir so wiederfahren ist, dass du denkst die ganze Geschichte wäre deine Schuld, aber das ist nicht so. Ich bin daran schuld, dass du in diese missliche Lage mit hineingezogen wurdest und nicht anders. Und es tut mir irgendwie voll leid, vor allem, weil du jetzt hier vor mir stehst, wie ein begossener Pudel. Leg‘ dir mal ein bisschen Selbstbewusstsein zu, das würde dir stehen. Dann würdest du deinem Namen auch gerechter werden, Sun.“
      Der andere fror augenscheinlich immer noch, fiel Moon nach der Beendigung seiner Ansprache auf und er wollte ihm gerade noch etwas sagen, als er draußen Motorengeräusche vernehmen konnte, die ihm bekannt waren.
      Grinsend wand sich der Motorradfahrer nun wieder an den jungen Mann und sprach: „Da wäre auch schon der Fahrer, der dich heil zuhause abliefert.“
      Wenn er selbst zuhause war, würde er eine warme Dusche nehmen und sich hinlegen, vielleicht noch irgendwo etwas zu Essen bestellen oder sich au dem Weg mitnehmen, wobei er wohl einen größeren Bogen um das Viertel machen sollte, in dem er geklaut hatte.
      „Achja..“, fiel ihm dann ein und er holte die Packung mit Nüssen raus und tauschte sie gegen sein Handy, welches er wieder an sich nahm, nachdem er den Kontakt von Sun gespeichert hatte. „Die kannst du haben. Wenn ich die essen würde, sterb‘ ich.“
      "They can keep their heaven. When I die, I'd sooner go to middle-earth." - George R. R. Martin
    • Es war nur eine Phase, nur ein paar Tage. Dann war es wieder vorbei. Dann ging sein Vater wieder auf Geschäftsreise und er musste nicht mehr weinen und vor jedem Geräusch zusammenzucken, als würde er mit nackten Füssen auf kalten Scherben gehen. Heute weinte er, morgen auch, aber überübermorgen war er vielleicht wieder normal. Überübermorgen war er wieder in Farbe und nicht ein alter Schwarzweissfilm, der nur mit Mühe auf flackerndem Band lief und von kurzen Aussetzern unterbrochen wurde. Mit fahrigen Händen wurde das Smartphone angenommen, dessen heller Bildschirm sein blasses Gesicht zum Vorschein brachte. Zumindest den Part von ihm, der nicht überdeckt war. Konzentriert und mit zittrigen Fingern tippte Sun vorsichtig die Zahlen ein und lauschte dabei den Worten der unbekannten Begegnung, die durch den Namen gar nicht mehr so fremd sein wollte. War es nicht witzig, wie ein einzelner, kurzer Name so sehr Vertrautheit in ein Gespräch bringen konnte, dass Blickkontakt plötzlich nicht mehr ganz so unheimlich war? Vorsichtig linste Sun zu dem Rothaarigen hoch, dessen Ausstrahlung so cool war, dass er nur davon träumen konnte, auch nur annähernd so beeindruckend sein zu können. Unter der Maske sog er unsicher die Unterlippe zwischen die Zähne, bevor er den Blick dann doch wieder senkte. Für Moon mochte es einfach sein, selbstbewusst zu sein, aber für ihn? Menschen wie er waren nicht selbstbewusst, sie waren froh, wenn sie nicht im Weg standen und ihn Ruhe gelassen wurden. Wilde Motorradfahrten mit vorwitzigen Dieben gehörte dabei nicht dazu, aber was geschehen war, liess sich nun nicht mehr ändern.

      Sun war froh, dass zumindest das Geld kein Thema zu sein schien und er auch nicht zu fürchten brauchte, in eine körperliche Auseinandersetzung zu geraten, weil er nicht in der Lage gewesen war, die entstandene Situation zu entschärfen und wahrscheinlich sogar noch Aufmerksamkeit auf den Dieb gezogen hatte, weil er sich geweigert hatte, die Kapuze vom Kopf zu ziehen und beim Betreten des Ladens Anstand zu Beweisen. Trotzdem hinterliessen die Worte Moons Eindruck. Er wollte keinesfalls dabei sein, wenn der Rothaarige je in eine Prügelei geriet. Das Abenteuer heute hatte ihm schon vollkommen gereicht und würde ihm wohl noch eine ganze Weile zu denken geben. Sachte nickte er um die Worte nicht ignorierend an sich vorbeiziehen zu lassen, auch wenn er nicht viel dazu zu sagen hatte. Nicht, weil er unhöflich war oder es ihm an Gesprächsstoff fehlte, aber er war eben eher unsicher und hatte Schwierigkeiten Gespräche zu führen und am Leben zu halten. Bevor er etwas Falsches sagte und möglicherweise eine negative Reaktion in seinem Gegenüber triggerte, sagte er lieber gar nichts. «K-kein P-problem.», sagte er also nur mit klappernden Zähnen und zittriger Stimme, nahm dabei die sicherste Option von allen, denn wer wollte nach so einem Tag noch etwas riskieren?

      Als das Geräusch eines näherkommenden Motors erklang, zuckte Sun erschrocken zusammen. Seine Hände lösten sich von dem warmen Körper des Motorrads und er war schon drauf und dran, hinter dem Rothaarigen verschwinden zu wollen, setzte bereits zum vorwärts gehen an, als jener verkündete, dass dies der Fahrer wäre. Sun fiel ein Stein vom Herzen und geräuschvoll atmete er aus. «Danke.», murmelte er leise und deutete eine weitere Verbeugung an, während das Motorengeräusch vor der Halle abstarb und schliesslich komplett verstummte. Die Nüsse fanden den Weg in seine Hände und Sun wollte sie schon zurückgeben, fühlte er sich wahnsinnig unwohl mit dem Diebesgut, behielt sie dann aber doch bei sich. Er stellte nicht die Frage, warum der andere etwas stahl, was ihn theoretisch ins Grab bringen konnte, hinterfragte aber auch nicht einen Selbstmordversuch oder ähnliches. Sun wollte sich nicht anmassen zu wissen, was in dem hübschen Kopf des Rothaarigen vor sich ging, aber er vermutete ziemlich stark, dass er sich einen aufregenderen Tod aussuchen würde als an einer allergischen Reaktion zu ersticken. «D-danke.» Er zögerte kurz. «Vielleicht wird alles viel leichter irgendwann. Die Langeweile und so.» Vorsichtig lächelte er, dann machte er auf dem Absatz kehrt und eilte mit, vor Nässe quietschenden Schuhen, aus der Lagerhalle, um sich dem nächsten Problem für heute zu stellen.

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      Das vibrierende Summen seines Smartphones holte Sun aus verlorenen Träumen, die sich in der Sekunde in die Vergessenheit seiner Gedankenwelt schoben, als er die mandelförmigen, schokoladenbraunen Augen aufschlug. Es war noch dunkel im Zimmer. Durch die dichten, schweren Vorhänge fiel blass und kaum nennenswert das Licht der Stadt, die nie wirklich Schlaf zu finden schien. Sun stöhnte leise auf, bevor er sich auf die Seite drehte und mit der Hand nach seinem Handy suchte, welches sich aufgrund einer ungeschickten Bewegung allerdings gleich vom Nachttischchen verabschiedete und mit einem dumpfen Geräusch unter dem Bett landete. Erneut stöhnte der Schwarzhaarige auf, während das elektronische Ding unbeschwert weiter vor sich hin surrte und ihn damit ihn den Wahnsinn trieb. Er angelte sich auf der Bettseite hinab, tastete unter dem Bett danach und bekam das kühle Aluminium endlich in die Finger zu fassen. Mit tränenden Augen aufgrund der berstenden Helligkeit des Displays wurde nach links gewischt und der Alarm ausgestellt. Es war 4 Uhr morgens. Eine Stunde, bevor sein Vater aufstand, um sich für die Fahrt an den Flughafen vorzubereiten. Der Gedanke daran motivierte Sun genug, um die Beine aus dem Bett zu schwingen. Ohne hinzuschauen, griff er sich die Kleider von gestern und schlüpfte in die Baggy Jeans und die viel zu grossen Oberteile, die er mit einem Oversized Hoodie abrundete. Auf leisen Füssen tapste er in das angrenzende Badezimmer und erledigte die Morgenpflege. Ein Vorteil, wenn man reich war: man hatte meiste Zeit seine Privatsphäre und musste Räume wie das Badzimmer nicht mit anderen teilen. Nachdem er also das Gesicht gewaschen, die Zähne geputzt und die länglichen Haare einigermassen gekämmt hatte, schlüpfte Sun in eine Jacke, zog sich eine Fischermütze auf den Kopf und in die Stirn. Mit fahrigen Fingern steckte er sich die Kopfhörer in die Ohren, haute den Anschluss davon in sein Smartphone und schlich sich dann aus dem Haus, während er von Nirvana gut versorgt wurde.

      Sich von seinem Vater zu verabschieden, war immer eine unangenehme Sache, auf die Sun getrost verzichten konnte. Meistens artete es aus, sein Vater schlug ihn und machte ihn nieder. Von dem Abend, als er völlig durchnässt nach Hause gekommen war, prangten noch immer blaugrüne Flecken an seinem Kiefer und seiner Schläfe. Sun wusste, dass er dem Ganzen nicht entkommen konnte. Spätestens wenn sein Dad zurückkam, würde er das Doppelte für seinen frechen Abgang zurückbekommen. Aber lieber einmal als zweimal, nicht wahr? Nachdem er die steilen Nebenstrassen des Quartiers hinabgeeilt und an die Hauptstrasse gelangt war, zog er sich eine Gesichtsmaske auf und stieg in den nächstbesten Bus. Und dann fuhr er einfach. Stundenlang. Schlief dabei hin und wieder ein, das Gesicht gegen die kühle Scheibe des Busses gelehnt, während die Welt um ihn herum sich zwar drehte, seine eigene aber einmal mehr stehen geblieben war. Sein Handy surrte einige Male, sowohl sein Vater als auch seine Mutter versuchten ihn immer wieder zu erreichen, aber Sun ignorierte die Anrufe aber auch die wütenden Nachrichten. Es war also mehr Zufall, dass er die Nachricht eines gewissen Rothaarigen las, die gerade aufploppte, als er das Handy zurück in seine Jacke stecken wollte. Ob sie sich in Busan treffen konnten, war zu lesen. Es war mittlerweile nach 12:00 mittags und die Müdigkeit war von Sun vollends vertrieben worden.

      Da er eh nichts Besseres zu tun hatte, verliess er endlich den Bus, mit dem er nun bereits unzählige Runden gedreht hatte und stieg in einen, der ihn in gewünschtes Viertel brachte. Als er dann da am verabredeten Ort wartete, klopfte sein Herz so wild wie die herabtanzenden Schneeflocken. Der erste Schnee dieses Jahr. Es war zu warm, als dass er tatsächlich ansetzen konnte, aber schön war es allemal. Sun zog sich die Mütze vom Kopf und sah in den Himmel hoch, dem weissen Wunder entgegen, welches zu ihm hinabwirbelte. Wunderschön.

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    • So abrupt, wie die Begegnung von Sonne und Mond begonnen hatte, wie bei einer Sonnenfinsternis, so war sie auch geendet und dem Rotschopf blieb nichts anderes übrig, als dem anderen zuzusehen, wie er in den Wagen stieg und letztlich nur noch die Rücklichter in der Ferne erkennbar waren, die an das Dasein des verschreckten jungen Mannes erinnerten.

      Ein leises Seufzen, danach kehrte in der alten Lagerhalle absolute Stille ein, welche Moon nutzte, um kurz durchzuatmen und einen Moment au sich wirken zu lassen, was eben passiert war. Irgendwie empfand er das Geschehene als erfrischend, zum einen, weil es ein wenig Action gegeben hatte und zum anderen, weil die neue Bekanntschaft für ihn durchaus interessant wirkte, sich zurückhielt und nicht sofort alles von sich Preis gab. Zudem hätte Sun den Mann, der ihn mit in die ganze Sache gezogen hatte, auch bei der Polizei melden können, über die nächsten Tage würde sich jedoch herausstellen, dass das nicht der Fall war, auch wenn es Moon wohl kaum gekümmert hätte, wie fast alles, wenn es sich um Gesetzesbrüche handelte.

      Irgendwann hatte sich der durchnässte Mann dazu entschlossen, auch den Heimweg anzutreten, wobei er die vielen PS seines schnellen Gefährts, auf dessen Sattel er saß nutzte, um sich noch einen weiteren kleinen Adrenalinkick zu geben. Es war sozusagen sein Mitternachtssnack.
      Zuhause angekommen erwartete ihn niemand und nach einer ausgiebigen Dusche, konnte sich der Sorglose einfach in sein Bett fallen lassen und so lang schlafen, wie es ihm lieb war.
      Obwohl er eigentlich kein Mensch war, der sich zu den Langschläfern zählte, nutzte er den nächsten Tag um einfach mehr oder weniger faul im Bett liegen zu bleiben, lies die Zeit verstreichen und bestellte sich irgendwann Essen in sein nobles Loft.
      In den darauf folgenden Tagen traf sich Moon hier und da mit ein paar zwielichtigen Gestalten, für illegale Straßenrennen, wobei ihn der Gewinn überhaupt nicht kümmerte, eher der Weg dahin und so kam es auch, dass er gerade ein Rennen hinter sich gebracht hatte, als ihn eine riesige Welle an Langeweile wie ein Tsunami überrollte.

      Nachdenklich hatte er eine Weile an einer Hauswand, in einer Gasse gelehnt und gegrübelt, was er tun könnte, da erinnerte er sich an das Gesicht von Sun, oder zumindest das was er davon erspähen konnte.
      Schmunzelnd zog er das Handy aus der Innentasche seiner Lederjacke und öffnete den Kontakt, brummte vor sich her: „Na ich bin ja mal gespannt, ob der sich traut, mich ein weiteres Mal zu treffen. Interessant wär‘s aber schon irgendwie.“
      Seine Finger tippten flink auf dem flimmernden Bildschirm und die Nachricht war abgeschickt.
      Um sich die Wartezeit ein wenig angenehmer zu gestalten, spielte er ein paar Spiele am Handy, bei denen Mann für einen Gewinn doch gut Grips brauchte. An dem fehlte es dem Kang-Sprössling ja auch nicht, nur setzte er ihn eben auch nicht oft ein.
      Sein Vater sah es als Verschwendung an, seine Mutter kümmerte es nicht und Moon selbst empfand nichts als spannend genug, um sich lang dafür zu interessieren. Vielleicht lag es daran, dass er in einer so schnell lebigen Gesellschaft aufgewachsen war, vielleicht auch daran, dass er sich nie hatte für irgendetwas großartig bemühen müssen. Auch seinen Schulabschluss hatte er damals geschafft, ohne jemals ein Buch in die Hand zu nehmen oder wie andere in Study-Cafés zu sitzen und bis spät in die Nacht für irgendwelche Prüfungen zu pauken.
      In den Erinnerungen an die Schulzeit schwelgend fiel dem rothaarigen zuerst gar nicht auf, dass dicke, weiße, zu Schneeflocken fusionierte Eiskristalle sich den Weg vom Himmel in Richtung Asphalt bahnten und diesen bedeckten, wie eine dünne Puderzuckerschicht ein leckeres Süßgebäck.

      Der Schnee erfüllte Moon mit einem merkwürdigen Gefühl. Zum einen war da eine gewisse Vorfreude auf den Winter und all die Vorzüge, die dieser für den von Langeweile Geplagten hatten, wie beispielsweise zahlreiche, waghalsige Touren auf seinem Snowboard andererseits würde der Winter aber auch bedeuten, dass er sein Motorrad bald in der Garage abstellen musste und ihm die Möglichkeit des Instant-Kicks an Adrenalin genommen wurde.
      Er verfolgte die Schneeflocken mit seinem Blick und erspähte irgendwann im Augenwinkel eine ihm bekannte Gestalt.
      „Hey, lang nich‘ gesehen.“, entkam Moon grinsend, als er seinen Blick auf Sun richtete.
      Die nächste Sonnenfinsternis war eingeläutet.
      "They can keep their heaven. When I die, I'd sooner go to middle-earth." - George R. R. Martin
    • Minutenlang starrte der Schwarzhaarige hoch in den grauen Himmel, aus dessen verhangenen Wolken sich weiche Schneeflocken lösten, die gemächlich zu ihm hinabtanzten, seine Haut mit weichen Küssen benetzte und sich in den dunklen Strähnen seines weichen Haares verfingen, wo sie sich leider binnen Sekunden aufzulösen begannen. Um ihn herum nahm die Welt ihren weiteren Lauf, doch gerade konnte Sun sich auf kaum etwas anderes konzentrieren. Die vollen Lippen leicht getrennt, die runden Wangen etwas aufgeplustert, starrte er vollkommen fasziniert hinauf, um möglichst viel dieses Schauspiels begutachten zu können. Er hatte Schnee schon immer geliebt und es erinnerte ihn etwas an die Zeit, in der noch alles in Ordnung gewesen war und er als Kind mit seinem Förmchen Enten aus Schnee gebaut hatte. Jemand rempelte ihn aus Versehen an, sprach eine knappe Entschuldigung, aber Sun ließ sich gar nicht aus seiner Starre lösen. Ein kaum bemerkbares Lächeln formte sich auf seinen Lippen, stahl etwas von der Anspannung und Unsicherheit, die sich sonst immer auf seinen Zügen festsetzte, als wären die beiden Eigenschaften dazu verdonnert, ständig in Erscheinung zu treten. „Huh.“ Eine Schneeflocke landete unmittelbar in seinem Auge und endlich wandte Sun den Blick nach unten, kniff die Augen zusammen und wischte sich mit dem Unterarm mehrere Male über das feuchte Gesicht. „Nicht nett.“, nuschelte er dabei leise, als würde das Wetter Rücksicht darauf nehmen, wo er stand. Gerade wollte sein Blick sich wieder am Himmel festsetzen, da riss ihn eine Stimme aus seinem kleinen Wintertraum. Moon.

      „H-Hallo!“ Sun wandte sich ihm zu und deutete sofort eine Verbeugung an, zog sich im gleichen Atemzug die Fischermütze wieder auf das Haupt. Sein schwarzes Haar quoll unter dessen Enden hervor und fiel ihm unordentlich in die Stirn. Sun hob die Hand und strich es hastig ein wenig zur Seite, doch unordentlich sah es allemal aus. Er hatte in den letzten Tagen vermehrt an die unfreiwillige Bekanntschaft zurückgedacht und noch immer klopfte ihm das Herz bei dem Gedanken daran, wie sie beide sich kennengelernt hatten. Die Packung Nüsse lag unberührt zuhause auf seinem Schreibtisch. Stundenlang hatte Sun sie bereits angestarrt und die Optionen abgewägt. Zur Polizei gehen und alles zu gestehen war dabei weit oben auf der Liste gestanden, aber Moon zu verraten hatte Sun dann doch nicht übers Herz gebracht. Auch wenn es bedeutete, dass er nun zum nächstbesten Convenience Store gehen musste, wann immer ihn ein Mitternachtssnack aus seinem Zimmer lockte. Das war ein bisschen doof, er mochte es nicht, zu spazieren und außerdem verließ er sowieso nicht gerne den Schutz seines Zimmers. Jetzt eine längere Strecke auf sich nehmen zu müssen, war also durchaus anstrengend, aber irgendwie konnte er dann doch damit leben. Unsicher richtete Sun sich wieder auf und fixierte einen Punkt neben Moon, um ihn nicht direkt ansehen zu müssen. Nicht, dass es eine Rolle gespielt hätte, wie immer war sein Gesicht von Mütze und Maske so verhüllt, dass man seinen Blick eh kaum sah. „G-gibt es einen bestimmten Grund, warum du mich treffen wolltest?“, frage Sun unsicher nach und übersprang damit gleich mal die erste Stufe des Smalltalks und damit das gängige Wie geht es dir? Dazu war er einfach viel zu aufgeregt und bereits binnen Sekunden hatten sich in seinem Gedankenpalast einige Möglichkeiten gebildet, weswegen Moon sich mit ihm hatte treffen wollen. Ohne eine Antwort abzuwarten, brabbelte Sun weiter. „Ich habe dich nicht verraten, falls du das fragen willst.“, erklärte Sun also hastig, ohne überhaupt auf das Thema angesprochen zu werden und hob abwehrend die nervös zitternden Hände. Innerlich hätte er sich am liebsten gegen die Stirn geschlagen. Moon könnte ja gar nicht hier sein, wenn er ihn verraten hätte, das war also schon mal ein dummer Punkt. Argh. Sun fühlte sich wie ein Depp. Oder ein Kleinkind, welches gerade erst laufen lernte. Unsicher kratzte er sich am Hinterkopf und wagte es dann, zu dem gutaussehenden Rothaarigen hinaufzulinsen.

      „Tut mir leid.“, rollte es über seine Lippen, eine Entschuldigung für sein aufgeregtes Verhalten. „Ich bin nur nervös.“ Seine Stimme wurde mit jedem Wort leiser und schließlich brach sie ganz ab. Gott, wie unangenehm!

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    • Dafür, dass Moon seinen Gegenüber als sehr wortkarg kennen gelernt hatte, sprach er nun doch, wenn auch sehr nervös, recht viele Worte. Nur der Inhalt seiner Aussagen, der lies den Rothaarigen die Augenbrauen ein wenig besorgt zusammenziehen.
      Hatte er Sun etwa so eingeschüchtert in seinem Auftreten, dass dieser jetzt Angst vor ihm hatte? Er reagierte zumindest so, indem er sich ohne Angriff begann zu verteidigen, als hätte er den Eindruck, Moon würde jeden Moment auf ihn los gehen.
      Einige Momente ließ er wortlos verstreichen, nachdem die Worte des anderen verstummt waren und er wand seinen Blick in den Himmel, zu den vielen Schneeflocken, die fröhlich hin und her tanzten.
      Dabei überlegte er, fragte sich, was eine geeignete Antwort war, bevor er einfach hoffte, dass kein Unsinn seinen Mund verlassen würde.
      „Ich hatte Langeweile und dachte vielleicht, dass du mir die Chance gibst, das Geschehene irgendwie widergutzumachen.“, sprudelte also erstmal aus ihm heraus. Entschuldigungen waren nicht sein Steckenpferd, aber was er sagte, meinte er wohl ernst.
      Als er fortfuhr, lächelte Moon wieder, diesmal aber ein schwaches, ehrliches Lächeln. Es stand ihm, ließ ihn direkt sympathischer wirken, als wenn er sein „cooles“ Grinsen aufsetzte.
      „Es ist recht kühl, als Kind gab es, mit dem ersten Schnee immer Tteokbokki bei mir zuhause, das hat von innen gewärmt. Hast du vielleicht Lust darauf? Ich würde dich einladen. Wir kaufen es uns irgendwo und dann gehen wir an einen Ort, von dem aus wir den Schnee über der Stadt beobachten können.“
      Das sein Vorschlag so klang, wie in einem billigen K-Drama, bemerkte er in diesem Moment überhaupt nicht und es war ihm auch egal, da der Vorschlag wohl einfach dem Entsprungen war, dass er wusste, dass ihn das selbst immer aufgemuntert und gewärmt hatte und Sun so wirkte, als könne er es gebrauchen.
      Generell fühlte sich der junge Mann so, als müsse er ein wenig Acht au den Schwarzhaarigen geben und dann hatte er ja immerhin Gesellschaft, oder? Mit Gesellschaft war es nicht mehr so langweilig.
      „Du kannst auch mit zu mir kommen, da ist es wärmer und wir essen dort etwas? Ich bin zwar kein Barista, aber ich finde heiße Schokolade bekomme ich auch ganz gut hin.“
      Urgh, Moon, was sagst du denn hier eigentlich? Und den willst du echt mit nach Hause nehmen? Der spricht doch dann kein Wort mit dir, sagt vielleicht nur aus Höflichkeit zu und dann spielst du den Alleinunterhalter, während Sun hofft, dass die Zeit so schnell wie möglich rum ist., sagte er innerlich zu sich selbst und überlegte, wie er den Vorschlag noch ein wenig ungezwungener machen konnte.
      „Magst du lieber nach Hause gehen und ich lasse dir Tteokbokki dahin liefern? Und eine heiße Schokolade oder irgend etwas anderes, ich weiß ja nicht mal, ob du das magst? Dann musst du dich nicht weiter mit einem kriminellen herumtreiben. Aber allein sein ist doch auch nicht so cool, oder?“
      Ob diese Ergänzung zu seinem Vorschlag das ganze nun besser machte oder nicht, konnte er schwer einschätzen, denn der Kleinere versteckte sich ja quasi hinter Kleidung und Mundschutz.
      Während er nun eine Pause einlegte, um Sun die Möglichkeit zum Überdenken seiner Antwort zu lassen, musterte er ein wenig die Körperhaltung von dem jungen Mann. Er wirkte ein wenig eingefallen, als würde er sich klein machen, um ja kein Aufsehen zu erregen. Wie der die Enden seiner Ärmel umgriff, wirkte wie bei einem Kind, spiegelte Unsicherheit wider, war deckungsgleich dazu, wie er sprach. Ein wenig zitterte er, wobei schwer auszumachen war, ob dies daher rührte, dass es kalt war oder er Angst hatte. Lag es nur daran, dass Moon ihm gegenüberstand oder gab es andere Gründe für Suns verhalten?
      Es interessierte den Rothaarigen durchaus, denn anderen Angst zu machen, löste keinen Kick in ihm aus und war auch nicht seine Art.
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    • // Man möge mir Rechtschreib- und Kommafehler ect. verzeihen, ich habe heute kein Rechtschreibprogramm zur Verfügung. D:

      Er war es schlichtweg gewohnt, sich zu verteidigen, kannte er es nicht anders, als das mögliche Fehler sofort bei ihm gesucht und meistens auch auf verdrehte Art und Weise gefunden wurden. Sofort zu beteuern, dass er Moon nicht verraten hatte, war Sun wichtig, um einer möglichen Beschuldigung sofort den Wind aus den Segeln zu nehmen. Denn wenn er etwas nicht mochte, dann war es, wenn man anklagend mit dem Finger auf ihn deutete und ihm die Schuld in die Schuhe schob. Sun wusste nur zu gut, was auf solche Anschuldigungen hin folgte. Doch schon wie zuletzt wurde er von dem Rothaarigen überrascht, der einen Moment schwieg und dem herabfallenden Schnee Aufmerksamkeit schenkte. Als wäre das Thema gar nicht erst angekommen, übersprang Moon es und kam auf etwas anderes zu sprechen. Geräuschvoll atmete Sun erleichtert aus, der für den Augenblick gar nicht bemerkt hatte, wie er die Luft anhielt. Es war schön zu wissen, dass dem Anderen offenbar keine Konsequenzen gedroht hatten, auch wenn das, was er getan hatte, nicht unbedingt schön gewesen war und sicherlich eine Strafe verdient hätte. Aber was war schon eine Packung Nüsse gegen ein Leben in der Langeweile? Sun wagte den Blick zu heben und lauschte schweigend den Worten, die ihm etwas mehr Einblick in das Leben des Motorradfahrers gaben. Blinzelnd sah er ihn an und nickte dann langsam, verstehend. Das klang nach einer sehr schönen Erinnerung. Und vielleicht konnte er sich ja ebenfalls eine schöne Erinnerung daraus schaffen, wenn er das nonchalante Angebot des Rothaarigen annahm und für einmal seine Sorgen Sorgen sein liess? Etwas, was ihm bestimmt nicht leicht fiel, aber Sun konnte nicht leugnen, das Moon ihn faszinierte. Ansonsten hätte er dem Treffen wohl gar nicht erst zugestimmt und wäre den ganzen Tag weiter mit dem Bus durch Seoul gefahren, bis es spät genug gewesen wäre, um nach Hause zurückzukehren. Vorzugsweise erst dann, wenn seine Mutter schlief, im Schutz des Mondlichtes. Sun gab nicht sofort Antwort, hing an dem Gedanken fest, eine schöne Erinnerung zu schaffen und schürte damit in Moon wohl die Idee, dass er dem Angebot abgeneigt war, denn der Andere sprach hastig weiter und weitete seinen Vorschlag auf weitere Optionen aus, die der Schwarzhaarige kopfschüttelnd ablehnen.

      "N-nein. Schon okay.", sagte er leise und trat an den Grösseren heran, verkürzte den Abstand zwischen ihnen ein wenig. Es war komisch, so auseinanderstehend miteinander zu sprechen, während neben ihnen die Leute über den Gehweg gingen und ihnen beiden ausweichen mussten. So mussten sie nur noch einmal ausweichen. "Ich würde gerne mit dir Tteokbokki essen und irgendwo hingehen.", gestand der Kang mit der Stimme, die nie ihre Lautstärke zu verändern schien und wenn, dann nur nach unten. "W-wir können zu dir gehen oder den Schnee anschauen, du entscheidest." Sun war noch nie ein besonders entscheidungsfreudiger Mensch gewesen. Entscheidungen zu treffen bedeutete für ihn, das Risiko einzugehen, jemanden vor den Kopf zu stossen wenn er das Falsche wählte und das war keineswegs etwas, was er provozieren wollte. Lieber überliess er die Entscheidung Moon, der sowieso die viel klareren Gedanken zu dieser Verabredung zu haben schien. "Kennst du einen Ort hier in der Nähe, wo wir Tteokbokki holen können?", fragte der Schwarzhaarige nun nach, der alles wollte, nur nicht zu sich nach Hause zu gehen. Er konnte jetzt nicht nach Hause und ausserdem war es ein ganz schön lahmes Wiedergutmachen, wenn er sich von Moon das Essen nach Hause liefern liess. Sun zog das Smartphone aus seiner Tasche, schloss die Spotify App auf seinem Bildschirm und startete Google Maps. Er hasste es, wenn mehrere Apps gleichzeitig liefen. Keine Ahnung wieso, es war einfach ein Tick von ihm und er war immer darauf bedacht, eine App zu schliessen, bevor er die nächste öffnete. Unsicher sah er dann zu Moon hoch, sah direkt in das hübsche Gesicht und versuchte, sich das Starren nicht allzu sehr anmerken zu lassen, während er sich die schönen Züge des Anderen das erste Mal richtig ansah. Moon war ein gut aussehender Kerl, das konnte man nicht leugnen. Aber Männer wie er hatten meistens eine Freundin oder waren erst gar nicht am eigenen Geschlecht interessiert. Sun hatte noch nie eine wirkliche Beziehung gehabt. Er war verliebt gewesen, ja, man hatte ihm das Herz gebrochen und darauf herumgetrampelt. Und genau deswegen wollte er es nicht als Beziehung bezeichnen, denn es hatte nichts mit den romantischen Serien zu tun, die er hin und wieder gerne mal heimlich guckte und sich immer wieder wünschte, es könne doch auch in der Realität so einfach sein. Suns Adamsapfel hüpfte auf und ab, als er nervös schluckte und Moon das Smartphone hinschob, damit er möglich ein Take Away Restaurant eintippen konnte, welches er kannte, damit Google sie dahin lotsen konnte. Möglich war aber auch, das Moon sowieso schon wusste, wo eines war, so sicher wie er letzthin mit seinem Motorrad durch die Strassen ins Industriegelände gebraust war, kannte er sich bestimmt gut aus.

      Eine Schneeflocke verfing sich in einer der roten Strähnen. Die Haarfarbe hob sich so sehr ab, dass einige vorbeigehende Menschen Moon immer wieder Blicke zuwarfen. Das Land war eben noch immer recht konservativ und eine solch auffällige Haarfarbe an einem Mann zog eben die Aufmerksamkeit auf sich. So wie er aussah, hätte er auch locker ein Idol sein können und auf zig Bühnen dieser Welt stehen. Hastig wandte Sun nun den Blick ab und widerstand dem Drang, das Schneeweiss aus dem Rosenrot zu befreien. Seine Finger umklammerten wieder die Ärmel seines Pullovers und er richtete den Blick auf den grauen Asphalt, der zwar von einer sanften Schneeschicht bedeckt wurde, jene wurde allerdings binnen Sekunden gleich wieder von der Wärme oder hastig gehenden Schritten verdrängt. "Magst du den Schnee?", fragte Sun nun leise, versuchte sich an einem Gespräch, auch wenn Smalltalk wahrlich nicht seine Stärke war. Aber er wollte Moon nicht den Eindruck geben, ihn nur als Kriminellen zu sehen, wo er doch eigentlich ein freundlicher, anständiger Kerl zu sein schien.

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    • Mit der Reaktion, sie Sun schließlich äußerte, hatte Moon überhaupt nicht gerechnet, daher freute es ihn umso offensichtlicher, als der Kleinere ihm so eine positive Antwort gab und ein Stück näher an ihn herantrat.
      „Dann lass uns zu mir gehen, wir können von meinem Wohnzimmer aus, den Schnee auch gut beobachten und die Lichter der Stadt, außerdem frieren wir uns da nicht den Hintern ab.“, antwortete der Rothaarige dann grinsend, als ihm die Entscheidung überlassen wurde, wo genau es hingehen sollte. „Auf dem Weg zu mir kommen wir an einem Restaurant vorbei, wo wir uns Tteokbokki mitnehmen können. Dort schmeckt es super und die kennen mich schon und machen meine Portion immer milder.“
      Diese positive Resonanz hatte wirklich ein Feuer in Moon entfacht und er wirkte sehr heiter und fröhlich, steckte seine Hände in die Taschen seiner warmen Designerjacke, nachdem er dennoch die Adresse des Restaurants in der App auf dem Handy von Sun eingegeben hatte, um sich zu versichern, dass es überhaupt geöffnet hatte und lächelte nachdem ihm das bestätigt wurde, seinen Gegenüber an.
      „Ich liebe den Schnee. Die Welt sieht immer aus, wie mit Puderzucker bestreut, die Luft riecht rein und frisch, warmes Essen schmeckt irgendwie gleich doppelt so gut, alles wirkt gemütlicher. Und als Kind hatte ich schon den Schlitten in der Hand, da ist gerade mal die erste Schneeflocke vom Himmel gefallen.“, quasselte er los. „Wie sieht es mir dir aus? Magst du denn Schnee?“
      Während er sprach, hatte er sich schon langsam in Bewegung gesetzt. Weit war der Weg nicht, weder zum Restaurant noch zu seiner Wohnung, also müssten die beiden jungen Männer auch nicht lang in der Kälte ausharren. Snacks und Getränke hatte er zur Genüge bei sich im Vorratsschrank deponiert.

      Wenige Minuten später waren sie dann auch schon am Restaurant angekommen und Moon wurde wirklich freundlich von einer älteren Dame mit einer herzlichen Umarmung begrüßt, als diese um den Tresen herumkam.
      „Kleiner, dich habe ich ja schon ewig nicht mehr hier gesehen. Geht es dir denn gut?“, fragte sie und Sun nickte, fragte ob bei ihr auch alles gut war und der Laden lief. Freudig nickte sie und sah zu der Begleitung des Rothaarigen.
      „Oh und einen Freund hast du auch dabei. Dann mache ich wohl zwei Mal mein Spezial-Tteokbokki, mit Käse und ihr beide habt so wenig auf den Rippen, da tut euch zwei Mal Gimbap auch nicht weh. Kommt sofort.“
      Mit diesen Worten lies sie die beiden Männer dann auch schon wieder stehen und Moon musste ein wenig schmunzeln, sah zu seiner Begleitung und erklärte: „Ich komme hier schon seit vielen Jahren her, schon damals, nach der Schule, war ich immer hier und habe Tteokbokki gegessen, mindesten einmal in der Woche. Frau Chung ist wie eine liebevolle Omi für mich und ablehnen darf ich nichts.“
      Er lachte herzlich, nachdem er das erklärt hatte, weil diese Frau ihm wirklich immer wieder eine Freude bereitete.
      Locker lehnte er sich mit dem Rücken gegen eine Wand und beobachtete ein wenig die anderen Menschen, die hier aßen. Das er von vielen angesehen wurde, war er schon gewohnt, die einen starrten wegen seiner Haarfarben, die er immerzu wechselte, die anderen wegen den teuren Designerklamotten, wiederum gab es Menschen, die sein Gesicht kannten, weil er seinem Vater sehr ähnelte und dieser super einflussreich war und zuletzt traf er hier, leider, auch ab und zu mal auf Leute, die ein großes Problem mit ihm hatten. Oft lag es an den Straßenrennen oder kleinkriminellen Machenschaften, aber die rüstige alte Restaurantbesitzerin nahm ihren „Kleinen“ immer in Schutz.

      Gerade als er sich mit einer Frage an den Kleineren wenden wollte, vibrierte das Handy in seiner Hosentasche und er schaute darauf. Ein Seufzen entkam ihm, als er die Nachricht seiner Mutter las, die ihn daran erinnerte, dass die gesamte Familie in zwei Tagen einen Termin für ein Fotoshooting hatte. Es sollten neue, ach so perfekte Bilder angefertigt werden, um die tolle Illusion der perfekten Familie in einer perfekten Welt aufrecht zu erhalten, dabei waren sie auch nichts Besseres als Leute mit weniger Geld. Aber dafür durfte auch niemand aus der Reihe tanzen. Sprich, eine weniger auffällige semipermanente Haarfarbe musste her.
      „Vielleicht müssen wir noch einmal an einem Geschäft vorbei, ich brauche Haarfarbe.“
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    • "W-wirklich?", fragte Sun nach, der wohl mit vielem gerechnet hätte, aber nicht damit, das Moon ihn tatsächlich zu sich nach Hause einladen würde."Wohnst du noch bei deinen Eltern?", hakte er dann scheu nach und blinzelte zwischen seinen dichten Wimpern zu dem Rothaarigen hoch. "Meinst du es ist in Ordnung?" Schliesslich wollte er niemanden stören oder gar am Ende des Tages ein unerwünschter Gast sein, auch wenn der Vorschlag des Anderen deutlicher nicht hätte sein können. Wie immer fand Sun einen Weg, etwas Schlechtes daraus zu lesen und eine Unsicherheit zu formen, die gar nicht nötig war. Sun nahm sein Smartphone zurück, umgriff es mit beiden Händen und drückte es sich an die Brust, während er aufmerksam lauschte und an den erwünschten Stellen zustimmend nickte. Gerne hätte er gefragt, ob der Andere kein scharfes Essen vertrug, gerade aber hatte er so viel am Stück gesprochen wie schon lange nicht mehr und er wollte nicht noch provozieren, dass der Andere plötzlich genervt von ihm war. Die Worte des Rothaarigen weckte tief vergrabene Kindheitserinnerungen in Sun, der früher auch gerne mit dem Schlitten gefahren war und bei einer rasanten Fahrt eine glatte Strasse hinab die Milchzähne verloren hatte, als er mit rasanter Geschwindigkeit unfreiwillig eine Hausmauer küsste. "Ich mag den Schnee auch.", gestand er leise und setzte sich nun ebenfalls in Bewegung. Dabei achtete er darauf, dem Anderen nicht zu nahe zu kommen, entgegenkommenden Leuten in den Weg zu treten. Er wollte niemanden verärgern. Kurz schwieg er, dann räusperte er sich. "Ich finde es schön, wie die Schneeflocken vom Himmel rieseln und vorzu alles bedecken." Hier, inmitten der geschäftigen Stadt blieb der Schnee kaum liegen und wenn, dann wurde er zu aschfahlem Matsch. Nicht zu vergleichen mit den weiten Schneeflächen ausserhalb der Stadt in den eher ländlichen Orten, wo noch nicht so viel Verkehr herrschte. Sun mochte vor allem, wie der Schnee auf Tannen liegen blieb. Das Grün mit dem Weiss hatte einfach einen besonderen Charme, den er nicht erklären konnte. Die vielen Gedanken blieben unausgesprochen. Sun versuchte noch immer, sich an die ungewohnte Gesellschaft zu gewöhnen und war darauf bedacht, ja keinen Fehler zu machen. Ein falsches Wort und Moon wollte bestimmt nie mehr etwas mit ihm zu tun haben.

      Im Restaurant war es so warm, das Sun erst bemerkte, wie kalt es draussen wirklich war. Der angenehme Duft von Essen lag in der Luft und liess seinen Magen knurren. Es war höchste Zeit, den Bauch zu füllen und sich selbst nicht länger zu quälen.

      Die ältere Dame wurde mit einem zaghaften Lächeln bedacht, welches wie immer hinter der Maske verborgen blieb, während das Gespräch zwischen Moon und ihr wortlos mitverfolgt wurde. Den Hals reckend, warf Sun einen Blick über die Ladentheke, beobachtete, wie eine Küchenhilfe ein Set Spiegeleier auf einer offenen Bratfläche anbriet. Sun lief das Wasser im Mund zusammen. Als die Helferin allerdings aufsah und seinem Blick begegnete, nutzt Sun die Gelegenheit, um sich hinter Moon zu schieben und seinen Körper als Versteck zu nutzen, während sein eigener Blick sich hastig wieder zu Boden richtete. Sein Adamsapfel hüpfte schlagartig auf und ab, als er nervös schluckte und sich über die Lippen leckte. Gott sei Dank wusste Moon wie man ein Gespräch am Laufen hielt und eine Situation nicht unangenehm werden liess. "Man darf Älteren nichts ablehnen.", pflichtete der Dunkelhaarige nickend bei und zupfte schmale Falten aus seiner Kleidung. "Sie haben immer recht." Sein Blick verfolgte die ältere Dame, wie sie begann Tteokbokki in Takeaway Behälter zu füllen, wurde dann aber abgelenkt, als Moon sich gegen die Wand lehnte und er ihm aus dem Weg treten musste. Seine Deckung verfallen, füllte Sun sich gleich wie ein verscheuchtes Reh auf der Jagd. Sofort folgte er Moon in seinem Vorhaben und lehnte sich ebenfalls an seiner Seite gegen die Wand, den Blick gesenkt, während sie auf das Essen warteten. Lange blieb er allerdings nicht in dieser Haltung. Als Moon ihm eröffnete, Haarfarbe zu brauchen, sah Sun zu ihm hoch und zog fragend die Augenbrauen zusammen. "Warum?", fragte er leise nach und widerstand dem wiederholten Drang, die Hand zu heben und sie in das flammende Rot zu legen, um herauszufinden, ob die Strähnen so weich waren, wie sie aussahen. "Möchtest du deine Haare färben?" Vielleicht hatte Moon aber auch eine Schwester, der er die Farbe bringen wollte? Hoffen konnte er ja wohl, auch wenn das in seiner Situation etwas sehr dummes war. War ja nicht so, als würde er den Rothaarigen jetzt regelmässig treffen.

      Einige Minuten später hatten sie das Essen bezahlt und den kleinen Laden verlassen, nicht ohne sich mehrere Male dankend zu verbeugen. Die Behälter schwangen in knisternden Plastiksäcken an ihrer Seite mit, Geräusch die in der Kulisse des Stadttreibens untergingen. "Da gibts bestimmt Haarfarbe!" Leise wurden die Worte gesprochen, während Sun auf ein Geschäft zu ihrer linken deutete. Kurz bevor sie es betraten, fanden seine Finger an den Ellbogen des Grösseren. Sanft krallten sie sich im Stoff fest und Sun wich Blickkontakt aus. "Aber...bitte klau hier nichts.", bat er leise. So ein Abenteuer wie zuletzt würde er wohl kein zweites Mal überleben.

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