Everyone (icedcoffee & Nordlicht)

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    • Everyone (icedcoffee & Nordlicht)

      Everyone

      Vorstellung

      @Nordlicht


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      „Das liebe Hörer, war Everyone von Noah Valentine…“, ertönte im Radio, was Noah leise im Hintergrund laufen ließ, während er vom Highway auf die Landstraße fuhr. Noch etwa 30 Minuten, dann würde er in seinem Heimatort ankommen.
      Die Reise hatte der braunhaarige Musiker schon lang geplant, nun nachdem er seine Kanada Tour endlich beendet hatte, konnte er sie auch antreten.
      Ruhe – vor allem danach sehnte er sich.
      Noahs Gedanken waren schon in seinem Heimatort. Er stellte sich die Frage, ob noch alles so war, wie als er weggezogen war. Ob die Stadt ihren Charme beibehalten hatte, die Wiesen noch so grün und der Wald noch so dicht war. Er freute sich schon auf das Frühstück in dem kleinen Café am Markt und die heiße Schokolade, welche die Besitzerin immer serviert hatte, und hoffte auch irgendwie, dass er dort nicht an jeder Ecke von irgendeinem Fan angesprochen wurde.
      Es war nicht so, als würde er den Kontakt zu seinen Fans nicht mögen, aber Noah wollte einfach mal nicht an seine Karriere denken, nur er selbst sein. Auch deswegen hatte er sein Management dazu überredet, dass er keinen Begleitschutz mitnahm.
      Als er dann seinem Ziel näherkam und das Schild am Ortseingang passierte, breitete sich in seinem Bauch ein angenehmes Kribbeln und auf seinen Lippen ein zufriedenes Lächeln aus.
      Zwar hatten seine Eltern das Haus, in dem er aufgewachsen war, verkauft, aber er hatte noch zwei Tanten hier, die ihm beide angeboten hatten, dass er bei ihnen unterkommen könnte. Dem hatte er zugestimmt, doch da er einen Tag früher angekommen war als geplant, hatte sich Noah ein Zimmer im Hotel gebucht. Er wollte eben niemandem Umstände bereiten, schon gar nicht seiner Familie.
      Nachdem er den Mietwagen dann geparkt hatte, stieg der junge Mann aus, streckte sich und nahm sein Gepäck, zu welchem auch ein Gitarrenkoffer gehörte, ehe er die Hotellobby betrat.
      Schon in so vielen Hotels hatte er mittlerweile übernachtet, dass er dafür gar kein Auge mehr hatte, es war nicht besonders, aber hier sah er sich dennoch genauer um, denn er war zuhause.
      Was ihm direkt auffiel, war aber, dass kaum jemand ihm Beachtung schenke und in dem Moment, war es wahrscheinlich das Beste, was ihm passieren konnte. Ein Gefühl von Wärme und Zufriedenheit breitete sich in Noahs Brust aus. Es war eine gute Entscheidung hier her zurückzukehren, wenn auch nur für begrenzte Zeit.
      Am Tresen der Rezeption blieb er dann Stehen, stellte sein Gepäck neben sich ab und fischte in seinem Rucksack, während er freundlich sagte: „Guten Tag, ich würde gern einchecken.“
      Die Augen des Braunhaarigen funkelten und seine Lippen zeigten ein charismatisches Lächeln, auch wenn er vielleicht ein wenig müde wirkte, was nicht zuletzt an der ereignisreichen Zeit lag, die er hinter sich hatte.
      "They can keep their heaven. When I die, I'd sooner go to middle-earth." - George R. R. Martin

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    • Heute war ein Tag wie jeder andere für die junge Blondine. Nach der Arbeit im Hotel, würde sie ihr spannender Roman erwarten. Eine historische Geschichte über Liebe, falschen Stolz und Krieg. Darauf freute sie sich schon, auch wenn sie somit die Einladung ihrer besten Freundin ablehnen musste, die sie zum Essen und einem anschließenden Kinobesuch eingeladen hatte. Heute hatte Charlize Frühschicht. Bereits um sechs Uhr stand sie an der Rezeption, um die Neuankömmlinge zu empfangen. In den Sommermonaten war wesentlich mehr im kleinen Örtchen East Green los, als zur kalten Jahreszeit. Natürlich. Die weiten, saftig grünen Wiesen, die gute Luft, der nahe gelegene See. Vieles hier - so unscheinbar das Fleckchen Erde auch wirkte - lud zum Verweilen ein. Haufenweise Menschen suchten Ruhe von ihrem stressigen Alltag, fern des Großstadtdschungels. Manche besuchten mit ihren Kindern die vielen Bauernhöfe, die es hier gab, die selber aber keine Bleibe anboten. East Green eignete sich auch perfekt zum Wandern, denn es gab auch höhere Gebirge und unzählig viel zu entdecken, hinter dem Eindruck des Unscheinbaren. Und so führte es überraschend viele Menschen in die verschlafene Kleinstadt, die gar nicht so verschlafen war, wie sie einen ersten Eindruck erwecken ließ. Es gab hier allerlei Freizeitangebote, besonders natürlich für Familien. Man konnte sogar eine Heißluftballon-Tour machen.

      Während sie ihre letzten Kunden in Empfang genommen hatte und die Wanduhr verriet, dass sie bereits seit einer halben Stunde hätte den Feierabend genießen dürfen, gab sie das Zepter an ihre erst kürzlich eingestellte Kollegin Li-Ming Wan. Sie war eine ausgesprochen gutaussehende Asiatin, die allerdings noch etwas mit der englischen Sprache zu kämpfen hatte, und somit noch Unterstützung an allen Enden benötigte. Doch der Chef des Hotels, Mr. Lockwood, war ein schelmischer Lüstling, der Li-Ming sicher nicht wegen ihrer hervorragenden Zeugnisse eingestellt hatte. Unsicher tippte sie also etwas auf der Tastatur herum und blinzelte eindeutig zu oft, was Charlize, die eine absolut geduldige Kollegin war, leise seufzen ließ, denn es bedeutete, dass sie sich den wohlverdienten Feierabend so schnell wohl abschminken konnte. Dennoch ließ sie Li-Ming "einfach mal machen" und führte die neuen Gäste - eine älteres Ehepaar -, die hier in East Green eine ruhige Zeit genießen wollten, und eigentlich aus der Seele New Yorks stammten, auf ihr Zimmer.
      "Und wenn ich noch etwas für Sie tun kann, Mr. und Mrs. Miller, dann lassen Sie es mich wissen, ja?", sagte Charlize freundlich lächelnd, woraufhin die beiden sich herzlich bedankten. Die Treppen führten sie wieder nach unten in das Foyer. Ihre Schritte führten über den Marmorboden, direkt zum hölzernen Tresen, hinter dem sich bereits eine riesige Schlange ansammelte. Es gab offenbar Probleme bei der Handhabung des Programms. Charlize übernahm das Ruder und zeigte Li-Ming zum gefühlt 1000mal, in welche Spalte sie den Namen ihrer Gäste eingeben musste, um sie zu finden. Schnell lichtete sich somit das Feld. Während Li-Ming damit beauftragt wurde, die Gäste auf ihre Zimmer zu führen, herrschte eine Weile Ruhe. Die 22-Jährige checkte die Liste der Gäste, die heute noch einkehren wollten, und stolperte dabei über einen Namen. "Noah Valentine?", murmelte sie leise vor sich her und legte ihre sonst so glatte Stirn in tiefe Falten. Moment... DER Noah Valentine? Nein, sicher ein anderer, dachte sie sich und schüttelte den Kopf. Doch dann, nur ein paar Minuten später, als sie aufschaute von ihrem bunten Monitor, sah sie tatsächlich in SEIN Gesicht. Kurz stutzte sie. Natürlich hatte er sich über die vielen Jahre verändert. Er war älter geworden, doch die Gesichtszüge, die ihn ausmachten und der Klang seiner Stimme - auch wenn diese tiefer und männlicher erschien - war zu erkennen. Ihr alter Sandkastenfreund Noah. Ob er sie auch erkannte? Was hatte ihn in seine alte Heimat geführt?
      "Oh, ehm. Ja. Sie hatten reserviert. Mr. Noah Valentine, richtig?", fragte sie mit unsicherer Stimme. Zum einen, weil sie sein Gesicht genau erkannte. Und zum anderen, nun ja. Er war der Einzige, der noch auf der Liste stand. Eine Reservierung, die sehr kurzfristig eingegangen war, und von der Charlize erst in diesem Moment erfuhr. Sie hakte ihn ab. Somit war die Liste geleert und die Arbeit neigte sich allmählich dem Ende zu. Zumindest für heute. Sie zückte wenig später den Zimmerschlüssel. "Herzlich Willkommen in unserem kleinen Resort. Zimmer Nummer 43. Bitte sehr. Soll ich Ihnen helfen... beim Tragen ihres Gepäcks, meine ich?", fragte sie vorsichtig, so als würde sie eine grobe Antwort erwarten. So als hätte sie Angst davor, dass er sie doch jeden Momet erkennen könnte, wer ihm dort gegenüberstand. Doch aus welchem Grund eigentlich?

      Muttersein ist eine Liebesgeschichte, die niemals endet.
    • Verdammt, wo hatte er denn bloß seinen Personalausweis? Noah war ein wenig schusselig was Dinge wie Schlüssel, sein Portemonnaie oder andere alltägliche Nutzgegenstände betraf. Ganz schlimm war es jedoch jedes Mal mit seinem Handy.
      So in Gedanken und auf die Suche konzentriert, bemerkte er auch zunächst gar nicht, wer ihn da gerade am Tresen bediente oder dass er seinen Personalausweis gar nicht brauchte.
      Erst als der junge Mann willkommen geheißen wurde, bemerkte er, dass die blonde Frau, die ihm gegenüberstand, ihm irgendwie bekannt vorkam.
      Es dauerte einen Moment, man konnte richtig erkennen, dass es in seinem Kopf ratterte und sich ein paar Zahnräder in den Gang setzen mussten, ehe es ihm wie Schuppen aus den Augen fiel.
      Vor ihm stand seine Sandkastenfreundin und er begann mehr als freudig über beide Ohren zu grinsen, ehe er etwas ungehobelt um den Tresen herumgelaufen kam und Charlize mir-nichts-dir-nichts hochhob und sich mit ihr eine Runde im Kreis drehte.
      Er nahm ihren Duft und ihre Wärme wahr und blendete für einen kurzen Moment alles um sich herum aus.
      Die Freundschaft zu Charlize hatte ihm immer viel bedeutet. Beide hatten früher jede freie Minute miteinander verbracht, waren immer draußen unterwegs und konnten sich alles erzählen. Die gemeinsame Zeit hatte Noah immer in bester Erinnerung behalten und sogar seine Tanten ab und an gefragt, wie es der Blondine ging, ob alles gut war.
      Erst als ein paar Sekunden vergangen waren, merkte er wie unüberlegt es gewesen war, dass er sie einfach so überrumpelt hatte. Vielleicht wollte Charlize das ja gar nicht oder erkannte ihn nicht, dachte jetzt, ein fremder Typ würde sie einfach so herumwirbeln. Vorsichtig setzte er sie dann also wieder ab und spürte die Wärme in seinem Gesicht.
      Er wurde rot, weil ihm seine Reaktion peinlich war und er so überschwänglich reagierte, aber es war ehrlich.
      Nähe und Distanz waren für den 23-jährigen im Grunde nie ein Problem, aber in die Art wie er Charlize begrüßt hatte, spielte wahrscheinlich einfach seine ganze Freude hinein, wieder Zuhause zu sein, an dem Ort, an dem er sich wohl fühlte.
      Während sich die röte langsam bis zu seinen Ohren zog, machte er zwei Schritte zurück und nuschelte verlegen: „Sorry… ich ehm… also… freue mich nur, dich zu sehen.“
      Noah kratzte sich am Kopf, wollte sich aber lieber selbst eine klatschen. Schon früher war er so gewesen, freute sich jedes Mal aufs Neue, das Mädchen zu sehen, welches ihm ihre Geheimnisse anvertraute und der er alles sagen konnte, was ihm auf dem Herzen lag.
      Er nahm sich ein wenig Zeit, um sie zu mustern.
      Charlize war immer noch so hübsch, hatte diese erfrischende Ausstrahlung und das warme Lächeln und das aller Beste – es ging ihr augenscheinlich gut.
      Seine Gedanken sprudelten nur so vor Fragen, die er ihr stellen wollte, aber nachdem er ja schon in seiner Reaktion, zumindest seiner Ansicht nach, übertrieben hatte, wollte er nicht gleich den nächsten „Angriff“ starten und sie ins Kreuzverhör nehmen.
      „Eh… wegen dem Gepäck, ich hab‘ nicht viel dabei, ich brauche also keine Hilfe.“, sagte er, immer noch ein wenig peinlich berührt und ging langsam wieder vor den Tresen, da wo er hin gehörte.
      "They can keep their heaven. When I die, I'd sooner go to middle-earth." - George R. R. Martin
    • Dann, wie ein Feuer, das frisch entfachte, stürmte er um den Tresen, um Charlize ungefragt zu berühren, in die Lüfte zu heben und herumzuwirbeln, als sei sie eine Feder im Wind. Ganz so wie früher, als die beiden noch wie Pech und Schwefel waren. Dabei lag diese Zeit weit in der Vergangenheit. Überrumpelt von dieser überschwänglichen Begrüßung, mit der die Blondine nun wirklich nicht gerechnet hatte, weiteten sich ihre Augen und ihr Körper erstarrte in der Luft. Etwas verkrampft hob sie die Hände, und war froh, als sie wieder auf ihre Füße abgesetzt wurde. Mit denselben großen blauen Augen, mit denen sie ihn schon vor über einem Jahrzehnt angestarrt hatte, hatte er wieder irgendetwas angestellt, wandte sie auch jetzt ihren Blick für eine ganze Weile nicht von seinem hübschen Gesicht ab. Sie schien verdattert, nicht fähig, irgendetwas angemessenes zu sagen. Und sogleich kam auch die Entschuldigung. Doch war diese wirklich nötig? Es war immerhin nur eine etwas überschwängliche, aber sehr herzliche Geste unter alten Freunden.
      "Ehm... kein Problem. Freut mich auch, dich wiederzusehen", entgegnete sie ihm, immer noch etwas neben sich stehend. Ein kurzer Blick auf die Wanduhr, deren Zeiger sich langsam, aber unaufhörlich im Kreis bewegten, verriet, dass sie sich schon seit geraumer Zeit in den Feierabend hätte verabschieden können. Da sie aber noch mit einer guten halben Stunde rechnete, bis ihr Kollege und der Retter in der Not eintraf, wandte sie sich mit einem zurückhaltenden Lächeln nochmal an Noah, bevor dieser sich mit seinem Gepäck von ihr abwenden konnte. "Ich denke, es gibt einiges zu erzählen. Mehr von dir als von mir wahrscheinlich, aber... ich denke, in einer halben Stunde kann ich Schluss machen. Falls du auf einen Kaffee, Tee, was auch immer, mit zu mir kommen möchtest. Es gibt auch das nette kleine Resteraunt an der Ecke noch. Erinnerst du dich?"
      Hier waren die Familien öfters zusammen Essen und hatten schöne Abende gemeinsam verbracht. Es gab so viele Tage und auch Nächte, die die beiden miteinander geteilt hatten. Nichts intimes natürlich. Nein, sie waren ja noch Kinder! Aber die Gruselgeschichten im Baumhaus, die Pyjama-Partys, die gemeinsamen Jahrmärkte. So viele schöner Erinnerungen. Und dann? Dann verschwand die Familie einfach. Ihr bester Freund aus ihrem Leben gerissen. Später erfuhr man, dass es wegen eines Job-Angebots war. Der Vorsatz, dass sich die Familien regelmäßig sahen, war natürlich nur ein Buch aus leeren Floskeln. Und irgendwann starb das Bedürfnis der beiden, zueinander Kontakt aufzunehmen. Der Name Noah Valentine war nach einigen Jahren nur noch ein Name unter vielen. Sicher kommt nun die Frage auf, warum sie die Neugierde nicht gepackt hatte, und im Zeitalter der Sozialen Netzwerke nach ihm gesucht hatte. Zum einen war Charlize kein besonders neugieriger Mensch, zum anderen war sie nicht in einem einzigen sozialen Netzwerk angemeldet und lebte ihr Leben eher untypisch "oldschool". Zum anderen, und wie schon gesagt, verloren sie sich aus den Augen. Für sie gab es keinen Grund nach ihm zu suchen. Somit hatte sie keine Ahnung, wie viel Gewicht sein Name heutzutage hatte - vorallem in der Welt der pupertierenden Ladys. Dass ihr alter und bester Freund aus Kindertagen ein berühmter Star war, dem die Frauen- und Männerwelt reihenweise zu Füßen lag, das ahnte sie nicht. Doch die Welt in East Green war eine eigene. Eine, die sich in ihrem ganz eigenen Tempo drehte, ohne zu viele Fragen zu stellen.

      Muttersein ist eine Liebesgeschichte, die niemals endet.
    • Noah griff direkt nach seinem Gepäck, die Röte, welche sich auf seine Wangen gelegt hatte, war noch nicht wieder verschwunden, aber er suchte dennoch den Blickkontakt zu seiner blonden Sandkastenfreundin, als diese zu ihm sprach.
      Natürlich erinnerte sich der junge Mann noch an das kleine Restaurant an der Ecke. Die Freunde hatten damals viel Zeit mit ihren Familien dort verbracht, Geschichten von Früher gelauscht, über die sich ihre Eltern ausgetauscht hatten und nebenbei mit besten Essen der Stadt ihre Mägen gefühlt.
      Wenn er sich so an die alten Zeiten erinnerte, dann merkte er, wie heil damals die Welt doch noch war, wie sorglos er das Leben bestritten hatte und auch, dass er in Los Angeles nie wieder hatte, eine so innige freundschaftliche Beziehung aufbauen können, wie zu Charlize.
      „Ich glaube ich könnte definitiv etwas zu Futtern vertragen, als würde ich erstmal einen Restaurantbesuch vorziehen. Geht natürlich auf mich“, entgegnete Noah ruhig und schaute auf die Uhr an seinem Handgelenk.
      „In einer halben Stunde klingt gut, dann kann ich noch schnell unter die Dusche hüpfen und mich umziehen.“
      Auf seinen Lippen zeichnete sich ein fröhliches Lächeln ab. Eigentlich hatte er sich nicht verändert, war nur älter geworden, im Herzen schien der Braunhaarige aber noch genau derselbe Junge zu sein wie noch vor vielen Jahren, als sich die Beiden zuletzt gesehen hatten.
      „Also, dann bin ich in einer halben Stunde hier. Ich freu‘ mich drauf!“
      Mit diesen Worten nahm er seinen Gitarrenkoffer in die freie Hand und machte sich auf, um sein Zimmer zu beziehen. Er erinnerte sich noch genau an das Gebäude, welches Noah früher mit seiner Freundin immer von außen bewundert hatte. In der kindlichen Fantasie beider, stellte das Gebäude ein Schloss dar, in dem ein edler König lebte, deren Ritter beide waren. Ja, auch Charlize spielte Ritter, denn ihr Kindheitsfreund hatte sie dazu ernannt. Mit einem morschen Stock bewaffnet, bekämpften beide vielerlei Monster, oder auch Strohballen und Baumstümpfe, die für das Königreich eine Bedrohung darstellten und feierten sich als Helden.
      Während diese Gedanken bei ihm aufkamen, machte sich ein ganz merkwürdiges, beengendes Gefühl in seinem Brustkorb breit, hätte man ihn gebeten es zu beschreiben, wäre Noah daran wohl gescheitert. War es vielleicht Heimweh? Oder die Sehnsucht nach vergangenen Zeiten? Die Zeit, die beide Freunde miteinander verloren hatten, konnte nicht nachgeholt werden, aber ein kleiner Hoffnungsschimmer war bei dem Musiker entfacht worden, der ihm sagte, dass zwar die Zeit, aber nicht ihre Freundschaft verloren war.
      Zwei Mal musste er den Schlüssel dann im Schloss herumdrehen, ehe die massive Tür aus edlem Holz vor ihm aufging und ihm den Weg in sein Zimmer für die kommende Nacht eröffnete. Es war elegant eingerichtet, das Bett sah schon von Weitem komfortabel aus und auch der Ausblick aus dem Fenster, direkt auf die schöne Altstadt bewirkte, dass Noah sich direkt willkommen fühlte.
      Nachdem das Gepäck so verräumt war, dass nichts davon im Weg stand, nahm der Urlauber eine ausgiebige Dusche, föhnte sich danach das nasse Haar und wechselte die Kleidung. Für viel mehr hatte er auch gar nicht Zeit, da die Uhr ihm anzeigte, dass Charlize in wenigen Minuten ihren Feierabend antreten wollte. Um sich nicht zu verspäten griff Noah also noch Geldbörse und Handy und machte sich, nachdem das Hotelzimmer hinter ihm abgeschlossen war, wieder auf den Rückweg in die Hotellobby.
      "They can keep their heaven. When I die, I'd sooner go to middle-earth." - George R. R. Martin
    • Eine halbe Stunde. Gut. Charlize nickte zustimmend und blickte Noah hinterher, der sich auf den Weg zur besagten Zimmernummer 43 begab. Es gab gar nicht so viele Zimmer in dem gemütlich wirkenden Hotel, welches ein beliebtes Ziel für diverse Urlauber war. Genau genommen waren es genau 101 Zimmer. Viele Hotels in West Virginia boten das doppelte oder dreifache an Zimmern. Aber so viel Charme wie dieses hier, strahlten nur die wenigsten aus.
      Die halbe Stunde verging wie im Flug. Das war bei Charlize Arbeit immer so. Und das war das schöne daran, denn sie langweilte sich nie und hatte immer was zu tun. Ob es die Telefonate waren, die sie annahm, die netten Gespräche, die sie mit den Hotelgästen führte, der Service, bei dem sie an manchen Tagen aushalf, oder auch die Zimmer, die sie manchmal auf Vordermann brachte. Eigentlich war die hübsche junge Frau lediglich für den Empfang eingestellt worden. Sie war dafür da, die Gäste mit einem freundlichen Lächeln zu begrüßen, in ihrem engen schwarzen Rock und der dazu kontrastreichen weißen Bluse mit zurückgekrempelten Ärmeln. Dazu eine schicke silberne Halskette mit kleinem Swarovski-Steinchen und Stöckelschuhen, immer einen blumigen Duft versprühend. Eine Mischung aus Jasmin und Zedernholz. Dezent, keinesfalls aufdringlich. Im Großen und Ganzen mochte es Charlize hier zu arbeiten. lediglich die teils langen Überstunden, die sie leisten musste, und dafür nur selten angemessen entlohnt wurde, sowie die lüsternen Blicke vom schmierigen Mr. Lockwood, ihrem Chef, waren das einzige, was sie hier störte.
      Die Zeiger der Wanduhr verrieten, dass die halbe Stunde endete. Pünktlich wie die Maurer kam Noah zur Rezeption und wurde von Charlize mit einem flüchtigen Lächeln begrüßt, die ihrer asiatischen Kollegin nochmal alle Einzelheiten erläutert hatte. Ihr Kollege würde auch bald da sein. Er hatte sie in einer kurzen Nachricht informiert, dass er sich ein paar Minuten verspäten würde.
      "Okay, wir können los", sagte sie lächelnd zu ihrem alten Sandkastenfreund und die beiden verließen kurz darauf das Hotel. Sie schlenderten die Straße entlang, denn es war nur etwa zehn Minuten Fußweg bis zu dem alteingesessenen Italiener. "Ich habe gesehen, dass du nur einen Tag bleibst? Reist du morgen schon wieder ab?", fragte sie, und eine gewisse Brise der Enttäuschung war aus ihren Worten herauszuhören. "Und was hat dich eigentlich in deine alte Heimat verschlagen, hm?", fügte sie ihrer Frage hinzu und schaute zu ihm auf. Schon immer war Noah recht groß gewesen und überragte die kleine, zierliche Person um einige Zentimeter. Es wehte eine kühle Brise. Es war Herbst, verständlich also. Darum hatte sich Charlize ihren schwarzen Mantel überlegt und ließ diesen offen mit dem Wind tanzen. Lächelnd strich sich die Blondine eine Haarsträhne hinter ihr Ohr. Dabei wandte sie nur kurz den Blick von Noah ab, gespannt darauf, was er zu erzählen hatte. Der Himmel färbte sich allmählich in den wärmsten Farben, und um sie herum erstreckte sich bereits ein Meer aus Laub.

      Muttersein ist eine Liebesgeschichte, die niemals endet.
    • Das warme Lächeln, mit dem Charlize dem Braunhaarigen signalisierte, dass sie nun zusammen aufbrechen könnten, lud ihn dazu ein, ihr gleich zu tun.
      Die kühle Herbstluft ummantelte die beiden Freunde wie eine zärtliche Umarmung und Noah verspürte, dass er begann, etwas zu frösteln. Früher hatte Wind und Wetter ausgehalten, doch scheinbar war er durch das kalifornische Klima, welches stets wärmer war als in West Virginia.
      Seinen Blick ließ der junge Mann ein wenig schweifen, als müsse er prüfen, ob East Green noch das East Green war, in dem er seine Kindheit verbracht hatte.
      Tatsächlich hatte sich augenscheinlich kaum etwas geändert, der Ort wirkte immer noch verschlafen, ohne großen Trubel und einladend für Menschen, die sich entspannen wollten – wie Noah beispielsweise.
      Ein wenig, wie als er noch ein Kind war, schlürfte er mit den Schuhsolen so über den Boden, dass er das schon abgelegte bunte Blätterkleid der Bäume etwas aufwirbelte und das Farbenspiel beobachten konnte. Er vernahm aber neben dem Rascheln auch die Fragen, die Charlize an ihn herantrug.
      Ein Schmunzeln umspielte seine Lippen, ehe er begann zu sprechen: „Nur einen Tag hierbleiben und dann wieder abreisen? Also so doof bin ich nun auch nicht. Oder willst du mich unbedingt schnell wieder loswerden?“
      Er grinste schelmisch und beobachtete, wie sich die junge Frau neben ihm eine Strähne hinter ihr Ohr streifte. Noah empfand seine Kindheitsfreundin als eine natürliche Schönheit. Sie musste kein dickes Makeup auflegen oder sich die Haare zu aufwendigen Frisuren frisieren – wahrscheinlich was Charlize das perfekte Beispiel für die Art von Frau, die wahrscheinlich auch in einem Kartoffelsack etwas hermachte. Bevor sich der Musiker jedoch in ihrem Anblick verlor und begann, sie anzustarren, fuhr er mit seinen Ausführungen fort.
      „Ich hatte eigentlich erst geplant Morgen hier anzureisen und da ich bei meiner Tante unterkommen werde, aber nicht einfach vor ihrer Tür stehen will und ihr noch mehr Umstände bereiten, durch meine Spontanität, habe ich mir für eine Nacht ein Zimmer genommen. Außerdem kann ich damit die Gelegenheit direkt nutzen, unser Schloss, endlich mal von innen zu sehen und zu beurteilen, ob es wirklich sicher ist vor bösen Drachen und anderen Ungeheuern. Natürlich bin ich aber nicht nur hier, um Fabelwesen zu bändigen, sondern vor allem, weil ich eine Auszeit brauche, Kraft tanken möchte und schlichtweg… Heimweh hatte.“
      Gerade als der Größere das Sprechen einstellte, waren sie auch schon angekommen, bei dem kleinen italienischen Restaurant „Nonna Maria". Wie er es in Erinnerung hatte, war es zu jeder Uhrzeit gut besucht und auch jetzt, waren einige der Tische mit Gästen versehen, welche angeregte Unterhaltungen führten.
      Ehe Noah aber rein ging, hielt er seiner Begleiterin die Tür auf und suchte mit ihr den Platz auf, an dem sie immer gesessen hatten.
      „Das erinnert an die schönen Zeiten früher.“
      "They can keep their heaven. When I die, I'd sooner go to middle-earth." - George R. R. Martin
    • Tante Bernadette. Sicher war es Tante Bernadette, bei der er unterkommen wollte. Sie war eine sehr liebe und gütige Frau. Charlize erinnerte sich noch gut an die selbstgebackten Plätzchen zu Weihnachten, von denen auch das hübsche blonde Mädchen von Einst vor der Weihnachtszeit probieren durfte. Sie lebte ihr ganzes Leben in East Green und auch nachdem Noah - so kann man es leider sagen - bei einer Nacht und Nebel Aktion verschwunden war, blieb Bernadette hier in der kleinen und gemütlichen Kleinstadt. Hin und wieder sah Charlize sie heute noch. Sie war eine sehr mitteilsame Person, die gerne über ihr altes Leben sprach. Sie war bereits früh Witwe geworden, hatte keine Kinder und war seit dem Tod ihres Gatten, den Charlize aber nie kennengelernt hatte, nicht mehr verheiratet gewesen. So lebte sie alleine in dem großen Haus. Nach außen hin wirkte die Geschichte vielleicht traurig, doch die stämmige Frau war alles andere als das! Es wunderte Charlize, dass sie nichts über Noah und seinen Besuch erzählt hatte, da sich die beiden erst vor zwei Tagen in einer Bäckerei getroffen hatten. Es war nicht irgendeine Bäckerei! Es war die Anlaufstelle für die besten und leckersten Brötchen in ganz East Green! Manche gingen sogar so weit zu sagen, dass sie die besten in ganz West Virginia waren, was natürlich eine Aussage war, die man nicht mit Sicherheit sagen konnte, denn dazu müsste man jede Bäckerei in West Virginia ausgetestet haben, was schlichtweg unmöglich war.
      "Das liebe Heimweh... ich verstehe dich. Irgendwann kommen alle wieder nach East Green zurück, nicht wahr?", entgegnete Charlize lächelnd, bedankte sich kopfnickend, als sie das gemütlich aussehende Resteraunt "Nonna Maria" erreichten, welches die beiden schon in Kindertagen regelmäßig besucht hatten. Im Inneren wirkte es mit seinen runden Holztischen, den weißen Tischdecken und dem dezenten Blumenschmuck rustikal. Besonders die Holzbalken an der Decke und der Kaminofen, vor dem ein Wildschweinfell lag und die Ecke unwiderstehlich kuschelig erscheinen ließen, luden zum Verweilen ein. Der köstliche Duft von frisch zubereiteter Pizza und allerlei anderen italienischen Spezialitäten stieg ihnen in die Nase und ließ förmlich Mägen zum Knurren bringen. Der letzte Besuch im "Nonna Maria" lag noch nicht sehr lange zurück. Sie besuchte das alteingesessene Resteraunt heute noch regelmäßig und kannte den Besitzer namens Roberto Moretti sehr gut. Er war ein Italiener mit Leib und Seele und dazu ein ausgesprochen talentierter Koch, der die Gerichte mit so viel Liebe und Hingabe auf die Teller zauberte, dass man keine andere Wahl hatte, außer dahinzuschmelzen. Vorallem das Tiramisu... Göttlich! Mit offenen Armen und einem italienischen Akzent wurden die beiden von dem Besitzer begrüßt.
      "Hallo! Charlize... wunderschön wie immer", begann er, wie es sich gehörte, die Frau zuerst zu begrüßen und sie in eine herzliche Umarmung zu verwickeln, die die Blondhaarige nur zu gerne erwiderte.
      "Hallo Roberto. Schön dich zu sehen", antwortete sie auf seine freundliche Begrüßung, bevor er sich an Noah wandte.
      "Hast du deinen Freund mitgebracht, hm?", scherzte der kleine, halbglatzköpfige Italiener und zeigte sein strahlenstes Grinsen.
      "Wie oft noch, Roberto?", entgegnete sie mit einem gespielt genervten Augenrollen, doch das Lächeln auf ihrem Gesicht verriet, dass die ständigen Nachfragen nach ihrem Liebesleben, sie immer noch amüsierten. Aber besonders amüsierte sie daran, dass sie Roberto immer wieder dasselbe sagen musste und es das gleiche Mitgefühl war, das aus seinen Augen sprach.
      "Ja ja, schon gut. Ein hoffnungsloser Fall!", winkte er lachend ab, bevor er seinen Blick abermals zu dem gutaussehenden jungen Mann wandte. "Ich kenne dein Gesicht... bist du nicht der Junge von den Valentines?", fragte er prüfend mit zusammengekniffenen Augen. Doch als der Ruf der Küche folgte, seufzte der bauchige Roberto in schwarzer Koch-Robe und führte die beiden zu einem der freien Tische, an denen ein kleines Schild stand, auf dem das Wort "Reserviert" zu lesen war. "Wir reden später noch", versprach er, winkte den beiden zu, während er sich zur Küche begab.
      "Noch etwas oder besser jemand, der sich nicht verändert hat...", schmunzelte Charlize, während sie sich ihres Mantels entledigte und diesen locker über den Stuhl hing, bevor sie sich auf die rot-weiß karierten und kaum gepolsterten Sitzkissen niederließ.

      Muttersein ist eine Liebesgeschichte, die niemals endet.
    • „Ja, es war die spontane Sehnsucht nach meinem Zuhause und vor allem nach etwas Ruhe.“, schaffte es Noah noch zu sagen, ehe er durch die Stimme von Roberto, dem Vollblutitaliener, unterbrochen wurde, welcher Charlize so herzlich begrüßte, als gehörte sie zur Familie.
      Dieser führte die Beiden dann, nach seiner kurzen Anspielung auf das Verhältnis seiner beiden Gäste zueinander an einen Tisch und schien Noah dann aber tatsächlich zu erkennen.
      „Robertos Reaktion zufolge, bis du hier ein gern gesehener Gast.“, hauchte der Braunhaarige und lächelte sanft. „Wenn es noch genauso gut ist, wie früher, dann werde ich in der Zeit, in der ich hier bin, wahrscheinlich die Kasse klingeln lassen.“ Er lächelte und als er schließlich gegenüber seiner Sandkastenfreundin Platz nahm, spürte er einerseits eine wohlige Wärme, welche sich in seinem Körper ausbreite, und andererseits hatte er aber auch ein komisches Magengefühl.

      Die Wärme war einfach zu erklären, es war einfach die Atmosphäre hier in East Green, gepaart mit der Mentalität des Restaurantbesitzers und den Erinnerungen, die das Ambiente des Lokals in Noah hervorrief. Aber diese Schwere, es fühlte sich für den Braunhaarigen an, als würde von außen jemand Druck auf seine Magengegend ausüben, war nicht so einfach nachzuvollziehen.
      Noah fühlte sich so wohl hier, aber andererseits auch, als gehöre er nicht mehr hier her. So viele Jahre war er nicht nur diesem Ort ferngeblieben, sondern auch seiner hier ansässigen Familie, seinen Bekannten und vor allem seiner engsten Vertrauten. Er fühlte sich, als hätte er alle im Stich gelassen. Noah hatte damals zwar überhaupt keine Chance, sich gegen den Umzug zu wehren, aber er hätte sich doch wenigstens mal melden oder blicken lassen können – das würde bestimmt auch die Blondine ihm gegenüber denken.

      Der Musiker legte seine flache Hand kurz auf seinen Magen und erschreckte sich, als die nette Bedienung, Doris, die Ehefrau des Besitzers, an den Tisch trat, um die Getränkebestellung der beiden Freunde aufzunehmen. Zuerst tat sie das bei Charlize, dann wand sie sich mit musterndem Blick an den von plötzlichen Magenschmerzen geplagten, verkannte aber dessen Körperhaltung und lachte herzlich.
      „Na junger Mann, du scheinst aber dringend etwas zwischen den Zähnen zu brauchen, wenn der Magen schon so danach schreit.“, äußerte sie mit ihrer rauchigen Stimme und grinste. Sie war eine kleine, grauhaarige Frau, mit so viel Temperament, dass Noah sich früher immer wieder fragte, ob die gebürtige Amerikanerin nicht vielleicht doch aus Italien stammte, wie ihr Ehegatte.
      „Also, was möchtest du gern trinken?“
      „Tee.“, war Noahs Antwort darauf und Doris zog eine ihrer dünn gezupften Augenbrauen nach oben.
      „Tee?“, fragte sie, als hätte sie den Eindruck, es akustisch nicht richtig verstanden zu haben. „Bist du dir sicher, dass du Tee trinken willst? Wir haben so viele gute selbstgemachte Limonaden.“
      „Nein, danke, ich möchte wirklich gern Tee trinken. Kräutertee, wenn Sie einen haben.“
      Die temperamentvolle Dame schüttelte mit dem Kopf und entschied schlichtweg, dass sich ihr Gast mit ihrer Entscheidung, dass sie ihm keinen Tee servieren würde, sondern eine ihrer Limonaden.
      Die Aufmerksamkeit des jungen Mannes wanderte dann wieder zu Charlize, er kratzte sich leicht am Kopf und fragte ein wenig perplex: „Sie wird mir keinen Tee bringen, oder?“
      Nur mit einem kurzen Blick zur Karte stellte er fest, dass sich bis auf die Preise, nichts daran geändert hatte und er lächelte, da er daher auch wusste, dass seine Lieblingsgerichte alle noch da waren.
      Es gab in Los Angeles hunderte italienische Restaurants, aber nirgends schmeckte es so gut, wie bei „Nonna Maria“, was wahrscheinlich daran lag, dass Roberto immer noch die Rezepte seiner Nonna nutzte und diese nicht änderte.
      Musste er auch nicht, denn wahrscheinlich würden alle in East Green sein Restaurant als Empfehlung aussprechen.
      Da er irgendwie Angst hatte, dass Charlize ihm sein Verschwinden damals irgendwie übelnahm, wollte Noah erstmal mit Fragen zu seinem Heimatort ein ordentliches Gespräch beginnen und sah die Blondhaarige deshalb sanft lächelnd an. „Gibt es irgendwelche nennenswerten Veränderungen in den letzten Jahren? Ist Mr. Graham immer noch Bürgermeister?“
      "They can keep their heaven. When I die, I'd sooner go to middle-earth." - George R. R. Martin
    • "Eine Orangenlimonade, bitte", gab Charlize der freundlichen Doris als Bestellung auf und griff lächelnd nach der Speisekarte, die sich in den vielen Jahren nicht verändert hatte. Die Spezialitäten waren geblieben, genauso wie die vergleichsweise bezahlbaren Preise. "Danke", fügte die Blondine noch hinzu, bevor sie ihre blauen Augen Zeile für Zeile wandern ließ. Nur am Rande bekam sie, vertieft in die Köstlichkeiten versunken, die Diskussion zwischen Noah und Doris mit, bei der es sich wohl um das Getränk seiner Wahl handelte. Erst als Charlize direkt angesprochen wurde, schaute sie auf und schmunzelte. "Dass du das noch in Frage stellst", gab sie dem gutaussehenden Braunhaarigen vor sich zur Antwort, schlug die Speisekarte zu, als sei es einer ihrer dicken Wälzer und legte sie beiseite. Im Stillen hatte sie sich bereits für die Tortellini mit der feinen Sahnesauce entschieden, die gefüllt mit Spinat neben einem vollen Magen auch ein Beleben der Sinne versprachen. Darüber der Parmesan-Käse... dampfend, und bereits ein Erlebnis für die feinsten Geruchsknopsen. Voller Vorfreude sah Charlize der Mahlzeit entgegen, gespannnt für welches Gericht sich Naoh entscheiden würde. Ob es immer noch die Pizza "Nonna Maria" war, mit den kleinen Champignons und den verschiedenen Käsevariationen, den runden Samalischeiben und der eigen hergestellten Tomatensauce, verfeinert mit diversen Gewürzen? Charlize beschloss nicht danach zu fragen. Das Geheimnis würde sich schließlich von ganz alleine lüften, nicht wahr?
      "Es freut mich, dich nach so langer Zeit wieder zu sehen... es ist ja wirklich eine gefühlte Ewigkeit her", sagte sie, und in gewisser Weise schwang der Hauch des Vorwurfs mit. Schließlich war er es, der einfach verschwunden war. Ob er jemals gegen das Wort seines Vaters rebelliert hatte? Schließlich war er der Grund, warum die Familie fortgezogen war. Doch die "Flucht" aus East Green, wie die bald 23-Jährige das "Verschwinden" ihres damals besten Freundes gerne beschrieb, hatte sie entzweit. Und es lag lange zurück. Beide hatten sich verändert. Beide hatten es nicht für nötig befunden, den anderen zu kontaktieren, in all den Jahren. Also traf niemanden eine wirklich Schuld, oder doch? Der Ausdruck in Charlizes Augen sprach eine andere Sprache. "Und, was machst du beruflich so? Bist du Astronaut geworden, wie du es dir immer gewünscht hast?", scherzte sie, und sogleich wirkte ihr Ausdruck weicher. Dankend nickte sie Doris kurz darauf entgegen, die die bestellten Getränke brachte. Und natürlich war es nicht der gewünschte Tee, den Noah bestellt hatte...

      Muttersein ist eine Liebesgeschichte, die niemals endet.
    • Noahs Frage im Bezug auf die Veränderungen in East Green war noch offen, aber er konzentrierte sich erstmal auf seine Bestellung und überlegte. Sein Magen fühlte sich noch immer ein wenig komisch an, also sagte er, ganz entgegen der Erwartungen seiner weiblichen Begleitung: "Ich hätte gern eine Minestrone und dazu Pizzabrötchen."
      Nachdem die Bestellung aufgegeben und der er an seinem "Tee" der eigentlich eine Limonade war nippte, was ihn nicht sonderlich glücklich machte, wand er sich wieder Charlize zu, die ihm einige Fragen stellte.
      Bei der Bemerkung mit dem Astronauten, musste er letztlich leise Lachen und erwiderte: "Ja, natürlich bin ich Astronaut geworden, hast du nicht von den ganzen Nachrichtenportalen gehört, wie erfolgreich ich bin und dass ich schon mit Aliens Millionen von Lichtjahren entfernt Kontakt aufgenommen haben?"
      Ein verschmitztes Grinsen breitete sich auf seinen Lippen aus.
      "Nein, jetzt mal im ernst, das mit dem Astronauten habe ich mir nochmal überlegt, als ich darüber nachgedacht habe, dass mir schon bei der Fahrt in einem einfachen Karussell flau wird im Magen und ich so eine Weltraumreise niemals überleben würde. Aber ich hatte das Gluck und konnte mein Hobby zum Beruf machen. Ich bin Musiker.. oder wie das die Wichtigtuer nennen Singer & Songwriter. Es erfüllt mich wirklich sehr, aber jetzt brauche ich einfach auch mal eine Auszeit von diesem Leben, und wenn es nur zwei Wochen sind. Und du? Bist du glücklich mit deiner Arbeit im Hotel? Du wolltest doch damals immer einen Hof übernehmen. Weißt du, das könnte ich mir sogar Vorstellen, hier im idyllischen East Green ein kleiner Ferienhof, den du leitest. Also ich würde auf jeden Fall zum Urlaub machen kommen, da kannst du Gift drauf nehmen."
      Langsam begann dem Braunhaarigen die Anspannung von den Schultern zu fallen und er fühlte sich, zumindest im Gespräch weniger unbehaglich. Natürlich lag das wohl daran, dass die Freundschaft, die Beide damals verbunden hatte, eine sehr innige war und man so etwas nicht vergaß, aber dennoch war es merkwürdig nach einer Funkstille wieder Kontakt dieser Art zu haben.
      "Wie geht es deinen Eltern denn? Und deinen Vierbeinigen Freunden?", wollte Noah schließlich noch weiter wissen und erinnerte sich daran, wie schön er es immer bei Charlize Zuhause gefunden hatte. Sobald man dort durch die Eingangstür gekommen war, hatte es immer nach leckerem Gebäck gerochen, es gab meist frische Limonade mit Beeren aus dem Garten und generell, war es einfach eine schöne Zeit mit ihrer Familie, die Noah damals angenommen hatten, als würde er dazugehören, so wie es auch umgekehrt mit seiner Familie war, die seine blondhaarige Freundin behandelt hatten, wie eine Tochter.
      "Lebst du mittlerweile allein oder noch immer in deinem Elternhaus?... Ah entschuldige, ich habe so viele Fragen und dir noch nicht einmal Luft gegeben, um darauf auch zu antworten. Ich bin nur, wie du wahrscheinlich gemerkt hast, ganz schön neugierig."
      "They can keep their heaven. When I die, I'd sooner go to middle-earth." - George R. R. Martin
    • Neugierig. Ja, das war Noah schon immer. Mit dem Gedanken an längst vergangene Tage schmunzelte Charlize so vor sich her, während sie seinen Worten lauschte. Aus den Astronauten-Pläne wurde also nichts. Dafür war er ein Musiker. Heilige Scheiße, dachte sich die Blondhaarige wohl in diesem Moment, als sie ihr amüsiertes Grinsen hinter ihrer zarten Hand versteckte. Singer und Songwriter? Okay, Noah war schon immer musikalisch begabt, das konnte man ihm nicht abstreiten. Aber in Charlize Welt waren derlei "Berufe" eigentlich keine Berufe. Schon, aber auch wieder nicht, denn es war viel mehr ein Hobby. Wenn man nicht aus einer berühmten Familie kam, wa res schwer in einem solchen Business Fuß zu fassen.
      "Echt?", fragte sie darum sichtlich überrascht und zog die Augenbrauen empor. "Und... bist du bekannt oder so etwas?", fragte sie. Wie bereits beschrieben war East Green ein solch verschlafenes Städtchen, dass man oft gar nicht mitbekam, was in der großen weiten Welt so passierte. Da zogen manche neuen Sternchen schon an einem vorüber. Auch wenn sie bis dato nicht annahm, dass Noah wirklich so etwas wie eine Berühmtheit war. East Green brachte herausragende Landwirte oder Köche zum Vorschein. Aber doch keine Stars. Charlize schien dieser Gedanke noch immer zu amüsieren. Ihr Freund aus Kindertagen ein Promi. Ein Stern auf dem Walk of Fame. Kommt schon! Das war wirklich an den Haaren herbei gezogen.
      "Oh, bei meinen Eltern... da ist eigentlich alles wie immer. Bei Dad wurde letztes Jahr Diabetes festgestellt. Nicht schlimm... er muss nur ein wenig mehr auf seine Ernährung achten und auf Mam's Apfelkuchen verzichten", antwortete sie lächelnd. "Und aktuell haben wir nur noch ein paar Hühner. Oh und Barnaby, meinen Hund. Border Collie und ziemlich aktiv, trotz seiner Jahre, die er schon auf dem Buckel hat. Ich glaube, du hast ihn nicht mehr kennengelernt."
      Barnaby kam in die Familie, kurz nachdem Noah bei einer Nacht und Nebel Aktion verschwand. Er war der Trost für Molly, eine weiße Schäferhündin, die Charlize von kleinauf begleitet hatte, und nicht nur ein Hund für sie war, sondern auch ihre beste Freundin. Die Lücke im Herzen der Familie konnte Barnaby zwar nie füllen, aber sie liebte auch dieses Tier abgöttisch. "Und ja... ich lebe noch Zuhause. Das Haus ist groß, wie du weißt... es bietet genug Platz. Aber wenn mich Dad weiter nervt, mit seine Trompetenspiel, dann muss ich früher oder später wohl doch die Flucht ergreifen", schmunzelte sie.
      Als die Getränke kamen, bedankte sich die junge Frau bei der freundlichen, älteren Kellnerin, die die Schwester des Inhabers war, und auch schon viele Jahre im Nonna Maria arbeitete. "Was ist mir dir? Wie lebt man so als Singer und Songwriter? Du kannst dich ja vermutlich vor deinen ganzen Groupies nicht retten", nahm sie schmunzelnd an, doch wie wahr sie mit diesen Worten lag, konnte sie nicht erahnen. Für sie war es ein Scherz unter alten Freunden.

      Muttersein ist eine Liebesgeschichte, die niemals endet.
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