Lost Within [Kiimesca & Notizblock]

    Diese Seite verwendet Cookies. Durch die Nutzung unserer Seite erklären Sie sich damit einverstanden, dass wir Cookies setzen. Weitere Informationen

    • Roans Hände hatten sich in die Taschen seiner Hose gezwängt und seine Schultern waren bis zu den Ohren hoch gezogen, denn an diesem Tag war es doch ziemlich frostig draußen. Er wartete auf Madeline, die mit Gabriel telefonierte, doch sie stieß schnell wieder zu ihm, sodass er nicht lange einsam in der Gegend herum stand.
      "Gabe ist fertig. Wir sollten uns dann jetzt auf dem Weg zu ihm machen." Zustimmend nickte Roan mit seinem Kopf und setzte sich an Madelines Seite in Bewegung. Sie befanden sich am Park angrenzend in einer kleinen Einkaufspassage und brauchten zu Gabriel zu Fuß nur einige wenige Minuten. Roan hatte es befürwortet, dass Gabriel selbstständig zu dem Treffen geht, immerhin musste er sich langsam wieder daran gewöhnen, auch wenn Roan ihm stets gerne unter die Arme griff.
      "Gabriel schlägt vor, dass wir heute Abend ein Restaurant besuchen, wir drei. Hättest du Lust?" Dem Pfleger schoss sofort sein Hemd durch den Kopf, das er extra wegen solchen Ereignissen mitgenommen hatte. Zum Glück. Erneut wippte der schwarzhaarige Kopf auf und ab und schenkte Madeline ein schiefes Lächeln, während sich kleine Fältchen um seine Augenwinkel legten. "Toll! Aber dann müssen wir gleich erstmal shoppen, denn ich habe nichts passendes zum Anziehen mitgenommen zum Ausgehen!" Dem Pfleger entlockte diese Aussage ein amüsiertes Lachen, das er gerne ausführte:
      "Madeline, du könntest einen Sack über dem Kopf tragen und wärst immer noch die schönste Frau weit und breit. Ist es nicht eher so, dass du findest, dass ich vielleicht nicht wirklich passend gekleidet wäre?" Empört öffneten sich ihre Lippen, doch Roan fing an zu lachen und schüttelte schnell mit dem Kopf, wie auch mit seinen Händen. "Ich mache doch nur Spaß!"

      Roan freute sich über die gemeinsame Zeit mit Madeline, das hatte er sich schon lange gewünscht und endlich hatten sie die Gelegenheit gehabt. Vor allem war es gerade deshalb so schön, weil sie sich nicht mehr verstellen musste. Nun war sie nicht mehr die perfekte Ehefrau, die eine perfekte Beziehung anpreisen musste. Nein. Sie erzählte von ihrer unerwiderten Liebe zu Gabriel und wie sie sich damit abgefunden hatte, als Freundin an seiner Seite zu sein. Doch auch wenn Roan sich durchaus vorstellen konnte, wie schwer es für die junge Madeline damals gewesen sein musste, während sie von der gemeinsamen Zeit mit Gabriel erzählte, hörte sie sich einfach immer nur glücklich an. Es musste schön sein so einen Menschen in seinem Lebe zu haben. Einen Seelenverwandten. Ja, anders konnte man die beiden nicht beschreiben. Außerdem erzählte Madeline ein wenig über David. Auch da musste sich Roan das ein oder andere bildlich vorstellen, doch im Gegensatz zu der Vorstellung von einem kleinen Gabriel und einer Madeline die Händchen haltend über eine grüne Wiese liefen, weigerte sich ein Teil von ihm sich einen glücklichen Gabriel mit einem andere Mann an seiner Seite vorzustellen.
      Roan seufzte schwer. Was war denn nur das Problem? Er fragte sich das wirklich inständig und konnte es immer nur damit erklären, dass sein Beschützerinstinkt Gabriel gegenüber mittlerweile einfach so stark geworden war, dass ihn diese Beziehung, war sie auch auf tragische Art bereits beendet worden, einfach störte. Doch dann war da noch ein Teil in ihm, der ehrliche Teil, der sich inständig darüber freute, dass Gabriel eine solche Liebe erfahren durfte.

      Nachdem die beiden Gabriel aufgesammelt hatten, setzte Madeline ihre Worte in Taten um. Erneut kamen sie also dazu das Stadtfest zu bestaunen, wenn auch diesmal zu dritt und immer wieder in Klamottenläden verschwindend.
      "Das also? Ja, ich finde es auch toll! Es ist einfach wunderschön und außerdem passt dein Anhänger dazu einfach perfekt!", drehte sich Madeline in ihrem neuen Kleid im Spiegel und warf Gabriel ein glückliches Strahlen zu. Es war ein grünes Kleid, das selbe Grün, wie das ihrer Augen. Und es stand ihr wirklich unausgesprochen gut. Sie bestand darauf, dass sie nicht die einzige war, die sich etwas kaufte, als sie wieder in die Kabine verschwand um sich umzuziehen.
      "Na dann sollten wir uns umgucken, solange wir noch selbst entscheiden können, was?", lachte der Pfleger leise in Gabriels Richtung und erhob sich, um an einen Kleiderständen mit Anzügen zu treten. "Wie geht es eigentlich deinen Beinen? Hast du starke Schmerzen oder können wir heute das Training im Pool fortsetzen? Es ist besser man bleibt möglichst dran und wer weiß, vielleicht kannst du ja nach unserem Trip einen Rollstuhl endlich gegen Krücken oder sogar einen Gehstock eintauschen."
    • Gabriel hatte nichts dagegen, dass Madeline shoppen gehen wollte. So etwas taten Frauen nun mal gerne, oder nicht? Er hatte ja nicht vor in einen Nobelschuppen zu gehen. Ein ganz gewöhnlicher Italiener oder der Grieche um die Ecke hätten's auch getan. Aber als er ihr Lächeln sah, als sie ein Kleid gefunden hatte, war er froh, dass sie hier waren. Madeline sollte sich freuen und nicht seinetwegen - oder eher wegen seiner Mutter - Vorwürfe machen.
      Selbst entscheiden? Bei diesen Worten schmunzelte Gabriel ein wenig. Er glaubte zwar nicht, dass Madeline keine gute Entscheidung treffen würde, aber wenn es Roan so lieber war.
      "Es geht." Schließlich hatte Roan darauf geachtet, dass er sich vorher ausreichend aufwärmte. Die Aussicht auf Krücken oder einem Gehstock waren zwar nicht besonders rosig, aber zum Rollstuhl leider doch eine Verbesserung. Deshalb stimmte Gabriel zu, das Training fortzusetzen.
      "Du willst dir nicht ernsthaft einen Anzug kaufen, oder?", fragte er skeptisch und beobachtete den Pfleger.
      "Mit Shirt und Lederjacke gefällst du mir viel besser."
      Irgendwie konnte er diesem Schickimicki Look nichts abgewinnen. Was wohl daran lag, dass er sie vor seinem Unfall auch nicht ausstehen konnte. Ein Anzug fühlte sich immer so einengend an, auch wenn seine Familie ihn gern daran sah. Einen gemütlichen Hoodie fand Gabriel aber besser. Deshalb würde er sich jetzt auch allenfalls zu einem gewöhnlichen Hemd überreden lassen, anstatt sich einen Anzug zu kaufen.
      "Aber nichts blaues. Das erinnert mich zu sehr an deine Arbeitskleidung", lachte Gabriel und sah sich ein wenig um.
      ~ ♦ ~ Die Freiheit der Phantasie ist keine Flucht in das Unwirkliche; sie ist Kühnheit und Erfindung. ~ ♦ ~
      - Eugene Ionesco
    • Ertappt und auch ein wenig peinlich berührt zog Roan seine Hand von dem Anzug weg, den sie eben berührt hatte und blickte unser über die Schulter zu Gabriel. Die Aussage erleichterte ihn, machte die Entscheidung aber nicht weniger schwer, denn auch wenn es wirklich so war und er Gabriel in Shirt und Lederjacke besser gefiel, würde er so definitiv nicht in ein Etablissement hineinpassen, wo Leute wir Madeline und Gabriel normalerweise essen gingen. Auch wenn sie seine Freunde waren und sich ganz eindeutig von zum Beispiel den de Veres unterschieden, so waren sie solche Dinge dennoch mehr gewohnt, als der Pfleger, der mit Convenience-Food und Energy-Drinks seine gesamten 20er verbracht hatte. Aber wenigsten nahm Gabriel ihm ein weiters Problem ab, das Roan zunächst theatralisch an sein Herz fassen ließ und ein schmerzhaftes Gesicht ziehen.
      "Ich wusste es! Du hasst mich als deinen Pfleger einfach satt!" Es fehlte nur noch der Handrücken auf der Stirn und ein in Ohnmacht fallender Körper, dann wäre das Stück perfekt gewesen, aber stattdessen blitzten die Zähnchen zwischen Roans Grinsen auf, während er zu Gabriel schielte. "Du hast ja keine Ahnung, wie groß die Schlange ist für Männer in Uniformen, auch Pflegeruniformen! Aber zu deinem Glück habe ich mich daran auch langsam satt gesehen, also kein Blau!" Ein paar Schritte weiter ließ er die Anzüge hinter sich und durchstöberte ein paar Hemden. Alle fühlte sich unbeschreiblich gut auf der Haut an, das musste er schon sagen. Das Problem mit der Farbe hatte sich auch erübrigt, denn so groß war die Auswahl gar nicht. Die Entscheidung würde also zwischen, schwarz, weiß, grau - blau war gestrichen - und beige ausfallen. Letzteres nahm Roan mit dem Kleiderbügel von der Stange und hielt es an sich, als in dem Moment Madeline wieder aus ihrer Kabine kam und mit ihrem Handy in der Hand zu Gabriel eilte.
      "Hier, da möchte dich jemand unbedingt sprechen!", sagte sie strahlend und hielt das Handy vor Gabriels Gesicht. Roan konnte von seinen Gesichtszügen sofort ablesen, wen er da mit Sicherheit sah, nämlich seine Tochter; Hope. Während die beiden kurz damit beschäftigt waren, legte sich der Pfleger das beige Hemd um den Unterarm und verschwand in die Umkleide, um es anzuprobieren, denn er hatte recht breite Schultern und nicht jedes Hemd stand ihm daher gleich gut. Dieses war von der Passform jedoch absolut kein Problem. Auch an den Armen nicht, denn es war ein kurzer Ärmel. Roan gefiel auch das beige, es passte in seine übliche Garderobe auf natürlich Farbtönen, die sich dezent im Hintergrund hielten. Aber die Jeans passte nicht wirklich dazu, zumindest nicht in seinen Augen. Oder vielleicht hätte sie das ja auch, mit anderen Schuhen. Doch mit den Sneakers, die er ihre besten Zeiten schon definitiv hinter sich hatten, sah das hochwertige Hemd einfach deplatziert aus. Der wellige, dunkle Schopf schüttelte die lästigen Gedanken ab und Roan fing an das Hemd wieder aufzuknöpfen. Es war nur ein Essen, warum machte er sich überhaupt so viele Gedanken? Ist ja nicht so, als wöllte er jemanden beeindrucken. Vermutlich wollte er wohl eher niemanden in Verlegenheit bringen, ja das musste es sein.
    • Als Madeline seine Aufmerksamkeit erhaschte, sah er sie kurz etwas überrascht an. Dann lächelte er und winkte in die Kamera. "Hallo, mein kleiner Engel." Hope war wirklich ein Engel. So unschuldig. Das aktuell beste in seinem Leben, neben Madeline und Roan. Sie war vermutlich auch das größte Opfer dieser fragwürdigen Lügengeschichte. Er würde allerdings nicht zulassen, dass ihr jemand schadete. Ganz egal, wie das mit seiner Familie ausgehen würde, er würde zu Maddy und Hope stehen. Irgendwie würden sie ihr Leben schon auf die Reihe kriegen, auch wenn sie nicht das verliebte Ehepaar waren, dass man ihnen aufzwang.
      Wie sahen das eigentlich ihre Eltern? Waren sie auch eingeweiht oder vollkommen ahnungslos? Müsste ihnen doch komisch vorkommen, dass ihre Tochter so plötzlich verheiratet war. Das könnte ihm nur Madeline erklären, aber für heute hatte er genug ernste Gespräche. Viel lieber wollte er ein wenig abschalten. Etwas essen und dann noch mit Roan trainieren.

      Gabriel hatte keine Ahnung, was er sich kaufen sollte. Er hatte daheim mehr als genug Kleidung und wenn er ehrlich war, hatte er von Hemden auch eher die Nase voll. Da er sich darüber nicht auch noch den Kopf zerbrechen wollte, ließ er Maddy aussuchen, was er anziehen sollte. Eigentlich sollte dieses Abendessen auch gar keine so große Sache werden. Seinetwegen hätten sie auch einfach in eine Burgerbude gehen können oder so. Aber so schick, wie sich alle machen wollten, musste da wohl doch etwas nobleres her. Eine weitere Entscheidung, die er versuchte Madeline treffen zu lassen, indem er sie fragte, worauf sie denn Lust hätte. Er wollte sie aufmuntern, nach diesem Abend, an dem sie ihre Schuld offenlegte. Eher ihre Mitschuld. Aber Gabriel war ihr nicht böse und hoffte, dass sie das auch nicht annahm.
      ~ ♦ ~ Die Freiheit der Phantasie ist keine Flucht in das Unwirkliche; sie ist Kühnheit und Erfindung. ~ ♦ ~
      - Eugene Ionesco
    • "..heißt Lima, eine orientalisch-englische Küche, ich dachte mir, dass da für uns alle etwas dabei sein könnte!" Roan unterbrach Madelines Aufmerksamkeit, als er aus der Kabine kam. Ihre Gesichtszüge wurden ein wenig trüber und sie legte ihren Kopf schief, während ihr Blick Roan scannte. "Was ist Shoppen ohne Präsentation! Ich hätte doch so gerne in dem Hemd gesehen..." Der Dunkelhaarige hob die Augenbrauen, blickte daraufhin auf das Hemd, dass wieder über seinem Arm hing und dann wieder zurück zu Madeline.
      "Ihr wollt alle nur meinen Körper!", brummte er verlegen, während seine Hände versuchten seinen Körper zu verstecken. Das brachte Madeline wieder zum Lachen und offenbar auch dazu ihr Gespräch mit Gabriel wieder aufzugreifen, wobei sie Roan nun mit einschloss.
      "Wir waren gerade dabei zu entscheiden, wo wir essen gehen und ich habe das Lima vorgeschlagen. Es befindet sich an der Stadtgrenze, weshalb wir mit dem Auto 20 Minütchen fahren müssen, aber es soll sehr lecker sein mit einer herzlichen Atmosphäre!"
      "Klingt gut für mich, du weißt, ich esse alles, was lecker ist."
      "Na dann ist es beschlossen! Und nun bist du an der Reihe Gabe und denk nicht, dass auch du ohne Präsentation davon kommst! Hier, dieses weiß wird deinem ganzen Selbst schmeicheln, deinem Teint, deinen Augen und deinem Blond. Vertraue mir!" Roan lächelte sanft und versuchte einen Blick auf das besagte Weiß zu erhaschen, als ihm die Umkleide einfiel.
      "Ich bezweifle, dass Gabriel mit dem Rollstuhl in die Umkleide passt, zumindest nicht mit dem schicken, aber doch wuchtigem Sessel drinnen und dem Beistelltischlein mit Getränken.." Auch ein neues Erlebnis im Leben des Pflegers. Sein Blick wanderte in das Blau von Gabriels Augen, während er auf ihn zutrat und ihm die Hände hin hielt. "Komm, ich traue es dir zu, dass du die zwei Schritte zur Kabine mit meiner Hilfe schaffst und eigenständig stehen bleibst. Sieh es als den ersten Teil unseres heutigen Trainings an. Was sagst du?"
    • "Klingt gut", antwortete er nickend. Damit stünde ihr Ziel also beinahe fest,wenn Roan auch zustimmte. Dieser kam auch gerade wieder, als Madeline ihn dafür tadelte, uns seine Auswahl nicht gezeigt zu haben. Sie schien Spaß zu haben, auch wenn ich nicht ganz nachempfinden konnte, was an Shoppen Spaß machte. Sie hätte es später doch auch gesehen. Aber vielleicht wollte sie auch nur verhindern, dass er etwas falsches kaufte.
      Gabriel schmunzelte bei seinem Schauspiel, das Madeline zum Lachen brachte und somit 10 von 10 Punkten verdiente. Doch dann rückte er selbst wieder ziemlich schnell in den Mittelpunkt. Er sollte aufstehen? Könnte er sich nicht einfach hier umziehen? Es war doch nur ein Oberteil und er immerhin ein Mann. Wäre also nichts dabei, oder? Aber wollte er sich ewig davor drücken?
      "Okay...", meinte er etwas unsicher und legte seine Hände in Roan's, um aufzustehen. Langsam und nichts überstürzend. Irgendwie schaffte er es und es war leichter, als gedacht. Nicht spielend leicht, aber auch nicht unmöglich. Möglicherweise war Gabriel bisher zu bequem oder zu zögerlich gewesen. In der Kabine angekommen, zog er es allerdings doch vor, sich auf den Hocker zu setzen. So konnte er dennoch sein Shirt ausziehen und das weiße Hemd an. Er betrachtete sich nur kurz im Spiegel, da ihm eigentlich egal war, wie er aussah.
      "Bin fertig", teilte er mit, damit Roan ihm wieder helfen und Madeline sich den jungen Mann ansehen könnte.
      ~ ♦ ~ Die Freiheit der Phantasie ist keine Flucht in das Unwirkliche; sie ist Kühnheit und Erfindung. ~ ♦ ~
      - Eugene Ionesco
    • Roan zog den schweren Vorhang ein kleines Stück zur Seite, um einzutreten und sah zunächst überrascht ins leere, denn sein Blick musste erst ein Stück weit runter gehen, um auf Gabriel zu treffen.
      "Das ist Schummeln, weißt du?", sagte der Pfleger mit einem strengen Unterton, doch das schiefe Lächeln auf seinen Lippen, nahmen dem die Schärfe raus. Erneut öffneten sich die zwei große Handflächen, um Gabriels Hände zu umfassen und wieder auf die Beine zu ziehen, sodass er nun direkt vor dem Älteren stand. Und irgendwie war diese Nähe anders als sonst. Es war ja nicht so, dass Roan und Gabriel sich nicht durch die Arbeit bedingt ohnehin schon oft nahe sein mussten, aber so auf eigenen Beinen Angesicht zu Angesicht hatten sie sich noch nie. Das Lächeln des Dunkelhaarigen wurde breiter und sanfter, denn das Gefühl fühlte sich auch ohne einen plausiblen Grund einfach wohlig - richtig - an. Roan ließ Gabriels Hände los und seine eigene auf dem Körper des Jüngeren nieder, um sich hinter ihn zu stellen und ihm dennoch genug Halt zu geben, dass er sich sicher auf seinen Beinen fühlte. Am besten garantierte es das mit seinen Händen auf Gabriels Taille, die er jeweils rechts und links hielt und über Gabriels Schulter auf deren beider Spiegelbild blickte.
      "Jetzt hast du dich auch mal komplett im Spiegel gesehen. Gefällt es dir? Also ich finde, dass Madeline völlig recht hat und das Weiß dir sehr schmeichelt", gab Roan ehrlich zu. "Auch wenn ich bis jetzt zumindest nicht gewusst habe, dass es mehrere Weiß gab. So lernt man also nie aus, was?" Etwas störte Roan im Augenwinkel, sodass er seinen Blick darauf senken musste. Dabei handelte es sich um den Kragen hinten an Gabriels Nacken, der nicht richtig lag. Doch er wollte seinen Schützling nicht los lassen, was er aber musste, um den Kragen zu richten. Darum beschloss er seinen linken Arm von hinten um Gabriel zu schlingen, damit seine rechte Hand frei wurde. "So, das hätten wir dann wieder hingebogen. Jetzt sitzt es definitiv perfekt! Sollen wir es dann Madeline zeigen? Oder willst du es alleine versuchen?"
    • Gabriel lächelte ertappt, aber wusste auch ohne Roan's Mimik, dass er es nicht so kritisch meinte. Wieder ließ der Blonde sich aufhelfen und blickte einen Moment in wunderschönes Bernstein. Eine unglaublich warme Farbe. Je nach Lichteinfall, wirkten sie manchmal fast schon orange. Er mochte Bernstein, auch den echten, aber ob das schon immer so war oder nur, weil sie ihn an Roan's Augen erinnerten, konnte er nicht sagen. Allgemein konnte er nicht mehr so genau sagen, wie er zu Roan stand. Er wollte auf keinen Fall einen anderen Pfleger, das war klar. Aber er hätte nicht gedacht, dass eine Kleinigkeit so viel verändern könnte. Roan's Neigung hatte eigentlich kaum was verändert, außer das Gabriel ihn besser necken konnte. Aber jetzt? Nur weil sie beide potentiell Interesse aneinander haben könnten, musste es ja nicht auch zwangsläufig dazu kommen.
      Doch in diesem Moment, in dem er Roan so nah war, fühlte Gabriel sich schon etwas.. eigenartig. Vorher hatte er seine Nähe schon sehr genossen, aber jetzt war es irgendwie.. aufregender. Es kribbelte und er bekam eine leichte Gänsehaut, als Roan hinter ihm stand, damit er sich im Spiegel ansehen konnte. Dieses Bild von ihnen beiden war ungewohnt und gleichzeitig doch vertraut. Sein Unterbewusstsein erinnerte sich wohl besser, als er. Für sich selbst hatte er nur wenig Aufmerksamkeit. Für ihn war dieses weiße Hemd nichts besonderes.
      "Wirklich?" Gabriel waren unterschiedliche Weißtöne schon bekannt, aber irgendwie interessierte es ihn nicht so wirklich. Als Roan seinen Arm um ihn legte, um seinen Kragen zu richten, sah er im Spiegel auf diesen. Dieses Gefühl der Geborgenheit, dass er schon von Anfang an hatte, fühlte sich jetzt noch viel stärker an. Der Wunsch, das Roan ihn noch eine Weile so halten würde, ließ sich nicht abstreiten. Sie kannten sich schon seit ein paar Wochen, aber er hatte nie daran gezweifelt, dass er Madeline lieben müsste. Jetzt, wo dieser Druck weg war, fühlte er sich mehr und mehr zu Roan hingezogen.
      Sekunden verstrichen, ehe Gabriel sich Roan's Frage bewusst wurde und wieder aus seiner geistigen Abwesenheit erwachte.
      "Nein." Alleine würde er es nicht schaffen. Nicht jetzt. Dafür fühlten sich seine Beine einfach zu schwach an, woran der Braunhaarige nicht ganz unschuldig war.

      Erleichtert darüber, dass ihm weitere Strapazen erspart blieben, indem sie mit dem Gang zur Kasse diese spontane Shoppingtour beendeten, konnte Gabriel sich auch ein wenig darüber freuen, dass er - wenn auch nur kurz und mit Hilfe - auf eigenen Beinen gestanden hatte. Allerdings schwirrten ihm in jeder freien Sekunde, in der er nicht in ein Gespräch involviert war, diese Gedanken im Kopf herum.
      Ein Seufzen entfuhr ihm, als Roan die Örtlichkeiten aufsuchte und Gabriel mit Madeline allein war, das verriet, dass ihn etwas beschäftigte. Vor Madeline hätte er es ohnehin nicht mehr lange verbergen können. Wenn sie nicht sowieso schon Verdacht schöpfte.
      "Denkst du es wäre komisch.." Er überlegte einen Moment und spielte mit der Gabel herum.
      "Vielleicht ist es zu früh.." Erneut seufzte er und legte die Gabel wieder auf den Tisch.
      "Vielleicht bilde ich mir das auch nur ein.." Immerhin wusste er nicht so genau, wie es sich anfühlte, verliebt zu sein. Allerdings wurde ihm leider bewusst, dass sein Interesse an Roan mit jedem Lächeln, das er sah, wuchs. Das sein Körper auf jede seiner Berührungen reagierte. Anders als noch vor ein paar Tagen.
      "Ich bin nur sein Patient..." Er konnte sich vorstellen, dass Roan zu jedem seiner Patienten so wundervoll war und es rein gar nichts zu bedeuten hatte. Die Frage war allerdings nicht, ob Roan ihn mochte, sondern eher, ob es in Ordnung war, wenn Gabriel ihn mochte. Ob es in Ordnung war, etwas neues anzufangen, wenn er sich dem Ende des alten noch gar nicht richtig bewusst war.
      "War ich schon immer so ein Idiot?", fragte er schmunzelnd und raufte sich kurz die Haare. Bei Joel klang es jedenfalls nicht so, als hätte Gabriel jemals so wirklich den ersten Schritt gemacht. Davon abgesehen, würde er aus mehreren Gründen sowieso nie den ersten Schritt bei Roan machen. Allein schon, weil er ihn als Pfleger verlieren könnte.
      ~ ♦ ~ Die Freiheit der Phantasie ist keine Flucht in das Unwirkliche; sie ist Kühnheit und Erfindung. ~ ♦ ~
      - Eugene Ionesco
    • Ein Jahr, nein, nun schon seit über einem Jahr hatte Madeline ihren besten Freund nicht mehr so erlebt. Natürlich versuchte ihr Verstand auf etwas in der Vergangenheit zuzugreifen, zum Beispiel wenn Gabriel über David sprach, aber ihr war bewusst, dass das nicht das selbe war und daher erfreute sie sich einfach nur dessen, dass Gabriel es überhaupt in Erwägung zog sich wieder auf Gefühle einzulassen. Insgeheim war feuerte sie die Richtung in die es ging feurig, nämlich in Richtung Roan, feurig an.
      "Gabe, wieso lässt du es nicht ihn entscheiden, ob du nur ein Patient für ihn bist? Immerhin scheint er ja auch nicht nur dein Pfleger für dich zu sein?" Die Brünette streckte ihren Arm über den Tisch und ergriff Gabriels Hand, die permanent nach etwas für die Finger zum Spielen suchte. Sanft verzweigte sie ihre Finger miteinander und lächelte aus tiefstem Herzen. "Außerdem dauert es nicht mehr lange und ein Blinder kann die Funken zwischen euch sehen." Sie zumindest spürte diese und wenn sie ehrlich darüber nachdachte, dann war das schon ziemlich früh ihr größter Wunsch geworden. Vielleicht nicht unbedingt von Beginn an, dass Roan und Gabriel ein Paar werden, aber immerhin Freunde. Denn Madeline spürte, dass er eine gute Seele war und nachdem sie ihn ein ganzen Jahr hatte kennen lernen dürfen und selbst erfahren, dass sie richtig lag, wusste sie, dass Gabriel nicht weniger als Roan verdiente, dass er ihm gut tun würde, so wie er ihr gut getan hatte.
      "Wenn du also mich fragst, ob du mit ihm reden solltest, dann ist meine Antwort: ja. Aber die Entscheidung musst du trotzdem alleine fällen. So oder so, werde ich an deiner Seite sein, um dir beizustehen und mich mit dir gemeinsam und für dich zu freuen!"

      Bei den de Veres zu Hause war der Pfleger schon einige Male nervös gewesen, zum Beispiel vor dem ersten Gespräch mit der Hausdame oder auch etwa bei der Aufklärung über Gabriels Zustand mit dem Arzt vor der ganzen Familie. Aber noch nie hatte er so schwitzige Hände gehabt, wie heute - er hoffte inständig, dass diese die einzigen waren, die so viel Schweiß ausstießen. Darum verschwand er kurz. Nur er wollte kurz verschwinden, aber der Weg zu den Toiletten hatten sich doch etwas schwieriger gestaltet als gedacht und er musste tatsächlich noch einmal nach der Richtung fragen, ehe er endlich ankam. Nur einmal schnell die Blase erleichtern, die Hände waschen und das Gesicht etwas mit kalten Wasser abkühlen, mehr wollte Roan auch gar nicht, sodass er daraufhin endlich wieder bei den anderen Beiden zu Tisch stieß. Von da an dauerte es auch nicht lange bis die Bedienung zu ihnen kam und wiederum kurz daraufhin waren sie alle schon ihre Gerichte am verspeisen. Glücklicherweise sank Roans Aufregung von Minute zu Minute, denn Madeline hatte nicht gelogen, die Atmosphäre im Restaurant war wirklich sehr herzlich und das Essen köstlich. Wie konnte man da also nicht entspannen, zumal wenn zwei so tolle Menschen wie Madeline und Gabriel einem Gesellschaft leisteten? Sie unterhielten sich zum ersten Mal über normale Dinge, Banalitäten wenn man es so wollte und vielleicht war es auch genau das, was sie gebraucht hatten. Keine Familiendramen, keine Vergangenheiten, keine Sorgen. Und dabei schien es auch völlig in Ordnung zu sein, dass hauptsächlich Madeline und Roan erzählen und Gabriel mehr zuhörte. Es war einfach ungezwungen und locker. Dass der Wein, den sie tranken dabei eine Rolle spielte, wollte Roan nicht in Erwägung ziehen, zumal es jeweils nur ein Gläschen war, da sie nachher noch vorhatten im Pool Übungen zu machen. Der Pfleger musste seine Arbeit immer ein wenig im Hinterkopf behalten, egal ob er Freizeit oder Spaß hatte.

      Madeline hatte darauf bestehen wollen, ihre beiden Freunde einzuladen, doch Gabriel setzte immer noch auf die Kreditkarte seiner Familie und deshalb hatte es die junge Frau nicht viel Überredung gekostet, ehe sie einknickte. Sie setzte sogar einen drauf und bestellte sich noch ein Dessert zum Mitnehmen, bevor sie für kleine Mädchen verschwand und Gabriel schon einmal zahlte. Die Bedienung war ausgesprochen aufmerksam und freundlich gewesen, den ganzen Abend über und nachdem sie die Bezahlung entgegen genommen hatte und mit der Kreditkarte wiederkehrte, erklärte sich von alleine, wieso sie so aufmerksam gewesen war.
      "Mr. de Vere es freut uns wirklich sehr, dass Sie uns mal wieder beehrt haben, nachdem sie so lange nicht mehr bei uns gewesen waren. Sie sollen wissen, dass Sie und ihre Begleitung, oh und selbstverständlich auch ihre neuen Freunde, stets einen Stammtisch bei uns haben werden!" Und plötzlich war die Heiterkeit beim Pfleger ein wenig verpufft. Gabriel war also mit einer Begleitung ein Stammgast hier gewesen. Es war nicht schwer zu erraten, um wen es sich dabei wohl gehandelt haben musste. David. Doch Roan ließ sich seine Gedanken nicht anmerken und er wollte auch nicht, dass sie diesen Abend ruinierten, darum verdrängte er diese. Dennoch wusste der Ältere nichts darauf zu sagen, weshalb er erleichtert aufatmete, als die Brünette wieder zu ihnen anstolziert kam, woraufhin sie den Heimweg antreten konnten. Da alle etwas getrunken hatten, auch wenn nicht viel, nahmen sie ein Taxi. Roan setzte sich nach vorne, einfach aus Platzgründen, denn Madeline und Gabriel würden auf der Rückbank mehr Platz haben, als wie wenn Roan mit einen von beiden dort saß.
    • Roan entscheiden lassen? Und wenn er nicht so dachte wie Gabriel? Allerdings zerschlug Madeline diesen Zweifel auch sofort. Man konnte Funken zwischen den beiden sehen? Wirklich? "Okay." Er würde nur nicht mit der Tür ins Haus fallen, sondern sich gründlich überlegen, wann und wie er mit Roan darüber sprechen würde. Einerseits hatten sie ja Zeit, denn ihre Gefühle - sollte es welche geben - würden ja nicht einfach verschwinden. Anderseits wusste Gabriel leider nur zu gut, wie schnell eine Chance auch verstreichen konnte und jemand nicht mehr da wäre, um noch mit ihm zu reden. Deswegen etwas überstürzen, wollte er trotzdem nicht.

      Die Drei genossen noch einen wirklich schönen, entspannten Abend, ehe die Bedienung erneut Fragen aufwarf. "Vielen Dank..", antwortete er mit einem erzwungenen Lächeln und verkniff sich ein Seufzen. Manche Leute sollten sich lieber um ihren eigenen Kram kümmern, oder? Es war ja nett gemeint, aber Gabriel hätte ehrlich gesagt darauf verzichten können.
      Im Taxi sah er kurz zu Madeline und dann den Rest der Fahrt aus dem Fenster. Diese Fragen nervten ihn, aber sich ihnen nicht zu stellen, würde sie ja auch nicht beantworten. Gabriel machte sich einen Plan. Wobei es gar kein so genauer Plan war. Irgendwie. Er dachte darüber nach, Roan ein wenig zu kitzeln, um irgendetwas aus ihm herauszulocken. Irgendwann bevor sie schlafen gingen. Aber nach dem Training, wenn Ruhe eingekehrt war.
      Dieser Plan war an sich gar nicht so schlecht, aber je mehr Zeit verstrich, desto aufgeregter wurde er. Die Zeit mit Roan im Schwimmbad. Wurde er eigentlich von Tag zu Tag attraktiver? Diese Gedanken waren eindeutig. Allerdings musste er sich gedulden. Hier war eindeutig nicht der richtige Ort dafür. Aber ob er sich später eine andere Ausrede einfallen lassen würde, um es hinauszuzögern?
      ~ ♦ ~ Die Freiheit der Phantasie ist keine Flucht in das Unwirkliche; sie ist Kühnheit und Erfindung. ~ ♦ ~
      - Eugene Ionesco
    • "Wow, ihr nehmt das Wort Training ja ganz schön ernst... Wie viele Bahnen wollt ihr denn noch laufen? Für mich war es das jedenfalls, ich bin erledigt." Roan musste bei den Worten, die wie Musik in seinen Ohren war, grinsen, blickte allerdings überrascht auf, als Madeline sich am Beckenrand hoch zog, das Wasser verließ und ein dickes Badetuch um sich wickelte.
      "Du willst schon gehen? Wir haben nur noch-"
      "Wenn du noch eine einzige Übung aussprichst, dann fang ich an zu weinen! Du wärst ein verdammt harter Trainer geworden, wenn du nicht so großartig in deinem Job wärst, weißt du das? Und ja, ich verschwinde jetzt, solange ich noch kann! Bis Morgen! Gute Nacht!" Madelines kleine Füße tapsten über die feuchten, beheizten Fließen und verstummten, als sie hinter einer dicken Tür zu den Umkleiden verschwand. Bis vor einer Stunde waren die Freunde nicht die Einzigen am Pool gewesen, doch nun waren Gabriel und sein Pfleger die Letzten hier. Nachdenklich legte Roan seine Stirn in Falten und suchte Gabriels blaue Augen mit seinem Blick auf.
      "Madeline hat nicht ganz Unrecht, ich weiß, dass es heute hart ist. Deswegen werden wir heute nachholen, was wir gestern schon hätten tun sollen, nämlich den Whirlpool auf dem Zimmer zur Muskelentspannung nutzen. Aber davon trennen uns noch zwei Übungen. Eine davon machen wir gerade und die letzte wird es sein selbstständig aus dem Becken zu steigen, um den Unterschied zwischen Schwerelosigkeit und Gravitation zu spüren." Roan genoss die Zeit außerhalb des de Veres Anwesens, ja wirklich das tat er, doch er wollte Gabriels Fortschritt auf gar keinen Fall schleifen lassen. Daher war das Training im Wasser für den Pfleger selbst ein riesiger Erfolg gewesen und bescherte ihm ein gutes Gefühl. Aber wie auch nicht? Gabriel schlug sich so gut! Gabriel dem er immer noch lächelnd in die Augen blickten, die von einer störenden feuchten, blonden Haarsträhne behindert wurden. Daher geschah es fast wie ein Reflex, dass Roan seine Hand hob und mit dem Zeigefinger das unwillkommene Haar nach hinten strich. Sobald ihm jedoch bewusst wurde, wie persönlich diese Geste hatte wirken müssen, erfasste ihn kurzerhand eine gewisse Panik. Klar, beide Männer hatten bereits etwas zu ihrer sexuellen Orientierung gesagt und zugestimmt, dass es ihre Arbeit nicht behindern würde. Aber worüber sie nicht sprachen, war, die andere Seite der Medaille, nämlich die die nichts mit der Arbeit zu tun hatte. Der Pfleger konnte sich vorstellen, dass Gabriel diese Art von Nähe unangenehm war, weil er immer noch dabei war mehr über sich selbst herauszufinden und aber auch über seine verstorbene Liebe.. Und selbst wenn doch, wenn er schon bereit war, war Roan es auch? Konnte er die 'Übungspuppe' für Gabriel spielen? Wollte er das? Die Aussicht auf die baldige Abfahrt nach Hause - eine Rehabilitation in der Geschwindigkeit, die Gabriel gerade vor gab, war in 6 Wochen durchaus realistisch - sprach eigentlich dafür. Einfach ein wenig Spaß haben und dabei den netten Nebeneffekt haben, helfen zu können; wenn auch auf eine unkommerzielle Art und Weise. Sonst war das doch auch eher Roans Ding. Aber bei Gabriel... es war anders, der Pfleger war sich nicht sicher.
      "Dann los, zeig mir was du drauf hast!" Er ließ von Gabriel ab und brachte einen kurzen Abstand zwischen sie, damit dieser nun wieder selbstständig auf Roan zuschwimmen konnte. "Außerdem", um Madelines Worte noch ein letztes Mal aufzugreifen, "so grausam, wie Madeline es darstellt bin ich gar nicht. Ich meine wer kann schon von sich behaupten, so einen Leckerbissen wie mich vor Augen zu haben beim Trainieren?", gluckste Roan spaßig und wackelte auffordernd mit seinen Fingern, die Gabriel anwiesen sich in Bewegung zu setzen.
    • Warum klang das bei Madeline so, als wäre das etwas schlechtes? Natürlich nahm Gabriel das Training ernst. Je schneller er auf eigenen Beinen stehen könnte, desto besser. Seinetwegen auch auf Krüken, aber alles war besser als ein Rollstuhl. Als sie Roan unterbrach, um sich zu verabschieden, lachte der Blonde kurz auf.
      "Gute Nacht, Maddy."
      Er sah ihr noch kurz nach, ehe er wieder zu dem Pfleger sah. Sie würden heute den Whirlpool nutzen? An sich hatte Gabriel ja kein Problem damit und jetzt eigentlich auch nicht, aber irgendwie war das ein eigenartiges Gefühl, wenn er daran dachte. Er sagte schließlich wir, also käme er mit, oder?
      "Klingt gut", antwortete Gabriel entschlossen.
      Ob sie im Whirlpool darüber reden könnten? Wäre sicher ziemlich eigenartig dort zu sitzen und darüber zu sprechen, ob eine Chance bestünde, dass zwischen den beiden.. mehr sein könnte. Vielleicht lieber nicht.
      Als Roan ihm eine Haarsträhne aus den Gesicht wischte, war Gabriel einen Moment lang erstarrt. Ein unangenehmes Gefühl. Es fühlte sich gut an, aber genau deswegen war es unangenehm. Warum machte ihn das denn so verrückt? Er wurde immer ungeduldiger und wollte auch ungerne noch damit warten. Das meinte Joel wohl ebenfalls damit, dass Gabriel nichts aufschob und immer alles sofort erledigte. Nägel mit Köpfen. Das würde zumindest diesen Drang erklären, die Sache endlich zu klären. Allerdings fühlte es sich auch so an, als wäre er sehr.. bedürftig.. Er wollte nur darüber sprechen und nicht direkt mit ihm rummachen!

      Doch im Moment musste er sich erst einmal auf das Training konzentrieren. Er versuchte es jedenfalls. Es klappte auch ganz gut. Aber nur solange, bis Roan den Mund aufmachte. Gabriel schmunzelte etwas und ging auf ihn zu. "Meinst du nicht, dass gerade das grausam ist?", begann er und hatte die Hälfte des Weges schon geschafft.
      "Ist schließlich eine ziemliche Qual einen Leckerbissen vor sich zu haben und nicht von ihm kosten zu dürfen..", beendete er seinen Satz, als er direkt vor ihm stehen blieb. Nicht zum ersten Mal blickte er in diese bernsteinfarbenen Augen, doch es war das erste Mal, dass er sich ihnen nähern wollte. Allerdings hatte Gabriel genug Beherrschung ihm nicht gleich seine Lippen aufzudrücken. Stattdessen hob er seine Hände und legte sie auf Roan's Schultern.
      "Keine Ahnung, ob es wirklich Momente gibt, die sich dafür eignen, aber.. ich bin nicht der geduldigste, wie du weißt.. Tja. Also sag ich es jetzt einfach frei heraus..", sagte er und sah ihm weiterhin in die Augen.
      "Ich mag dich, Roan. Mehr als mögen. Im Restaurant hab ich Maddy gefragt, was sie davon hält.. Nun, sie sagte, dass du entscheiden musst, ob ich nur ein Patient für dich bin oder.. ob du dir mehr vorstellen könntest.." Er hätte abwarten können, bis Roan etwas sagte oder sie einfach übereinander herfielen oder sonst war. Aber er war ja auch kein Teenager mehr und konnte selbst die Initiative ergreifen. Dieses ständige Warten machte ihn nur wahnsinnig.
      "Gestern.. hatte ich wirklich Angst, dass du gehen würdest. Mir gefällt dein Humor.. Du bist so ein liebevoller Mensch und.. naja.. in der Tat ein Leckerbissen. Maddy meinte übrigens, dass man die Funken zwischen uns kaum übersehen kann", schmunzelte er und wartete mit einem sanften Lächeln auf Roan's Antwort. "Was meinst du..?"
      ~ ♦ ~ Die Freiheit der Phantasie ist keine Flucht in das Unwirkliche; sie ist Kühnheit und Erfindung. ~ ♦ ~
      - Eugene Ionesco
    • Ein neckendes, leichtes Kribbeln. Das war es was Roan bislang auf der Haut spürte, wenn Gabriel ihn berührte. Ein kurzes aufregendes Prickeln, so wie wenn sich die Finger zweier fremden Menschen in der Öffentlichkeit berührten. Doch als Gabriels Worte langsam im Gehirn des Pflegers ankamen, veränderte sich die Wirkung gewaltig und die Stelle unter Gabriels Händen auf Roans Schultern, fühlte sich nicht nur warm an, sondern schickte eine Hitze durch seinen Körper. Obwohl er sich erst heute Morgen eine ähnliche Frage gestellt hatte, traf es ihn unvorbereitet und schürte tausende Gedanken in seinem Kopf, während sich diese wohlige Wärme immer weiter in ihm ausbreitete. Funken zwischen ihnen? War es wirklich so? Oder bildeten sich alle drei das nur ein, seit dem die Wahrheit ans Licht gekommen war? Etwas seltsames war in dem Moment geschehen, als Roan seine Lippen öffnen wollte, um endlich etwas zu entgegnen - er bemerkte ein Lächeln darauf. Er lächelte. Gabriels Worte hatten ihn unterbewusst, wohl instinktiv, zum Lächeln gebracht und das trotz seiner völlig gegensätzlichen Gedanken. Und so schwieg der Ältere noch einen Moment länger, während er zumindest seine Gliedmaßen wieder in Bewegung setzte und seine Hände unter dem Wasser hervorkommen ließ, unschlüssig darüber wohin er sie platzieren sollte - wenn auch er genau wusste, wo er sie haben wollte - entschied er Gabriels Hände auf seinen Schultern damit zu bedecken, ganz sanft.
      "Ich fühle mich mehr als geschmeichelt und bevor du diese Worte als etwas Negatives deutest, sei dir gesagt sein, dass ich sie so meine. Wie könnte ich auch nicht, wenn mir ein junge, attraktiver Mann, der nicht nur den Namen eines Engels trägt, sondern seinem Abbild unverschämt stark ähnelt, solche Schmeicheleien zukommen lässt?" Das Wasser bewegte sich rhythmisch, als Roan die letzte kleine Distanz zwischen ihm und seinem Schützling mit einem kleinen Schritt nach vorne überbrückte und Gabriel nun so nahe stand, dass er seine Stirn an die seine lehnen konnte und ihm nun mehr als direkt in die Augen blicken. "Offengestanden hat mich gestern eine ähnliche Angst heimgesucht. Ich wollte noch nicht weg. Und ja auch wenn das zu einem großen Teil an der Erfüllung meiner Arbeit gelegen hatte, wollte ich von dir nicht weg; von Gabriel." Ein leises Seufzen, dass Gabriels Gesicht aufgrund der Nähe streifte, verriet, dass noch ein Aber folgte und Roan strengte wirklich seine grauen Gehirnzellen an, um den Satz mit irgendeinem anderen Wort beginnen zu können, doch er landete immer wieder dabei. Roan wäre jedoch nicht Roan gewesen, ohne einen Plan B, dessen Bedeutung im Grunde genommen die Selbe war, jedoch mehr verschlüsselt. Und so bekam das gefürchtete Wort doch noch einen andere Anstrich verpasst.
      "Aber sagte ich nicht bereits, dass ich altmodisch bin? Wenn du also ein Stück vom leckeren Bissen willst, dann", seine Mundwinkel verzerrten das Lächeln zu einem neckendem Grinsen, "musst du mich erst erobern." Er wusste noch nicht genau, was er sich von diesen Worten erhoffte. Etwa, dass Gabriel ihn tatsächlich erobern wollte? Ein Teil in ihm wollte das sicherlich irgendwie, ja. Ein anderer, der momentan viel dominanter zu sein schien, wollte mit den Worten aber mehr Zeit schinden, ehe er dem Jüngeren eine endgültige Antwort geben konnte - denn diese wusste Roan zu diesem Zeitpunkt selbst noch nicht, weil permanent zwei Gedanken um seinen Verstand herum kreisten, nämlich David und seine eigene Heimreise. "Ein Date." Roan kannte Gabriel mindestens ein Jahr länger, als dieser den Älteren. Zwar nur aus Madelines Erzählungen, aber jedes Mal, wenn sie von ihm erzählte, fiel es dem Älteren überhaupt nicht schwer sich den jungen Blonden vorzustellen, fast so als wäre er selbst dabei gewesen. Und nachdem Gabriel zu sich gekommen war und Roan tatsächlich die Übereinstimmungen miterleben durfte, war es ein wenig um ihn geschehen. Er war Gabriels Charakter sofort verfallen gewesen und wollte unbedingt mehr erfahren. Mehr davon sehen, wie sich Roans eigene Vorstellung mit der Realität vereinte oder diese sogar übertraf, wie zum Beispiel Gabriels Lachen. "So wie es sich gehört. Aber nur unter zwei Voraussetzungen: 1. Wir trainieren weiter hart daran, dass du wieder laufen kannst und 2. Enthaltsamkeit bis dahin. Bin ich dir das wert, was meinst du?" Roan hatte seine Stimme ein wenig gesenkt, er musste ja auch nicht so laut sprechen, so nahe waren sie sich. Doch dadurch bekam sein Unterton etwas Verführerisches, ganz beiläufig und fast völlig unterbewusst..
    • Die Einleitung hätte wirklich zu etwas negativem führen können, doch das war es zu Gabriel's Erleichterung nicht. Es kam kein Aber. Noch nicht jedenfalls. Das mit dem Engel war auch ziemlich schnulzig, weshalb der Blonde für einen kurzen Moment etwas verlegen wurde. Als Roan ihm jedoch so nahe kam und seine Stirn die seine berührte, wurde das Kribbeln in seinem Bauch stärker. Es freute ihn wirklich sehr, dass Roan auch nicht weg von ihm wollte. Nicht nur, weil er ein pflichtbewusster Pfleger war, der sich von so etwas nicht abschrecken ließ.
      Sein Seufzer war allerdings etwas beunruhigend, weshalb Gabriel doch ein wenig besorgt war. Doch er erinnerte ihn nicht nur daran, dass er erobert werden wollte, sondern gab ihm quasi die Erlaubnis dazu, dass Gabriel sich bemühen dürfte. So klang es jedenfalls für den jungen Mann, weshalb er auf sein neckendes Grinsen mit einem Schmunzeln antwortete. Eroberung. Mit Eroberungen sollte sich ein de Vere doch bestens auskennen! Nur, dass er Roan weder zwingen, noch belügen oder manipulieren würde, um seinen Willen zu kriegen. Ein Date. Genau darauf wollte Gabriel doch hinaus. Allerdings war er wohl etwas zu besorgt, um ihn einfach ohne weiteres zu einem Date einzuladen.
      Seine zwei Voraussetzungen stellten auch kein Problem dar. Ganz im Gegenteil. Gabriel würde nicht aufgeben, bis er wieder normal gehen könnte. Bis er rennen und springen könnte. Bis er tanzen könnte. Mit Roan. Und Enthaltsamkeit? Ein Klacks. Klar, heute Morgen sah das zwar ein wenig anders aus, aber Gabriel hatte sich bei diesem Gespräch auch nicht vorgestellt, dass sie schon so weit gehen würden. Er hatte nicht mal mit einem Kuss gerechnet, selbst wenn er sich den gewünscht hätte. Roan's Antwort übertraf schon seine Vorstellungen.
      "Das bist du.. Und das werde ich dir auch gleich beweisen!", meinte er motiviert, grinste noch einmal und löste sich von Roan, um eigenständig zu der Treppe zu gehen. Ganz allein schaffte er es natürlich nicht, aber das Geländer gab weniger Punktabzüge, als von Roan gestützt zu werden. Seine Beine fühlten sich allerdings wirklich enorm schwer an. Schwerer als in der Umkleidekabine. Aber Gabriel konnte jetzt nicht kneifen. Nicht nur, weil er so große Töne gespuckt hatte, sondern auch, weil er überaus motiviert war. Eine Stufe nach der anderen, erklommen seine geschwächten Beine, während er sich teils am Geländer hochzog und teils abstützte. Oben angekommen, lehnte er mit beiden Armen auf dem Geländer und versuchte einen nicht ganz so gequälten Gesichtsausdruck zu machen.
      "Okay... weiter schaff ich nicht..", gab er zu und hoffte, dass er schnell wieder sitzen könnte.
      ~ ♦ ~ Die Freiheit der Phantasie ist keine Flucht in das Unwirkliche; sie ist Kühnheit und Erfindung. ~ ♦ ~
      - Eugene Ionesco