Lost Within [Kiimesca & Notizblock]

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    • Sofort schossen die flachen Handflächen abwehrend vor Roans Brust, während er mit einem unschuldigen Blick zur Seite guckte. Das meinte er eben. Gabriel drückte sich so normal aus, wie er es sonst nie im Hause hörte. Natürlich hätte der Pfleger diese Worte nie für seine Arbeitgeber gewählt, doch ein verräterisches Grinsen offenbarte Gabriel, dass er vielleicht auch doch ein wenig Recht hatte.

      Zwei Stunden später betrat Roan einen Pub, in dem es heute einen Live-Gig irgendwelcher talentierte junger Menschen gab. Sie waren wohl ein Name in der Umgebung, aber bis in die Großstädte hatte es sich nicht herumgesprochen, sonst hätte Roan es mitbekommen. Denn er mochte noch nicht in der Öffentlichkeit stehende talentierte Musiker; unter anderem weil er es sich leisten konnte ihre Gigs zu sehen und zu hören. Wegen der Musik war er heute aber nicht her gekommen. Nein, es war ihm auch wirklich schwer gefallen Gabriel alleine im B&B zurück zu lassen, aber schlussendlich hatte er mit der Aufsicht mal wieder ein leckeres Bier trinken zu können, nachgegeben. Und davon bekam er hier mehr als genug. Und während er so an der Bar saß und seine Ruhe hatte, musste er immer wieder an folgende Worte denken: 'Schlepp jemanden ab.' Es war wirklich schon peinlich lange her, dass Roan das letzte Mal Zeit mit einem Anderen verbracht hatte. Daheim kannte er seine Plätzchen, wo Seinesgleichen hingingen und wo er sich unverbindlich mit jemandem für eine Nacht amüsieren konnte. Aber hier konnte er sich kaum vorstellen, dass es solche Lokalitäten gab und dabei wusste er nicht einmal, warum es diese nicht geben sollte. Vermutlich weil die Stadt immer noch zu nah am Anwesen der de Veres war und Roan sich das vor seinem inneren Augen ein wenig vorstellte, wie, als ob sich ihre einschüchternde Aura bis nach hierher ausbreitete. Nein. Mit dem Ziel jemanden abzuschleppen, kam Roan wirklich nicht hierher. Er wollte Gabriel einfach nur ein paar Stündchen Privatsphäre gönnen und derweil ein paar Bierchen und gute Musik gewesen. Hätte er zu dem Zeitpunkt gewusst, dass er in eine Prügelei geraten würde, um einer Dame in Not zu helfen, dann hätte er sich den Ärger alle Mal erspart.

      So aber musste der zwar breite Mann, aber bestimmt nicht der begnadetste Kämpfer unter Schmerzen an verschiedensten Stellen alleine zurück zum B&B abmühen, dessen Betreiber einen leichten Schreck bekamen, als Roan so aufkreuzte. Sie wollten schon die Polizei rufen, doch der Pfleger konnte sie überreden es sein zu lassen. Stattdessen bat er einfach um einen Erste-Hilfe-Kasten und kämpfte sich dann die Treppen rauf in den ersten Stock, wo Gabriels und sein Zimmer war. Bei jeder Bewegung musste sich der Dunkelhaarige ein Ächzen verkneifen. Besonders Mühe dabei gab er sich, als er das Zimmer betrat. Eigentlich hatte er still gehofft, dass Gabriel bereits schlummern würde, doch dem war leider nicht so. Er ertappte seinen Pfleger auf frischer Tat, mit blutender Lippe, einer aufgeschlagenen Augenbraue - woraus morgen sicherlich ein schönes blauen Veilchen entstehen würde - und dreckigen Klamotten und ein mit Bluttröpfchen besudeltes, ehemals weißes T-Shirt.
      "Bevor du was sagst, es geht mir gut.. und du solltest erst die Anderen sehen!", war das einzige, was Roan sagte ehe er die Tür hinter sich schloss und sich der Situation stellte. Er fügte leise murmelnd hinzu: "Drei Mal darfst du raten: ich habe niemanden abschleppen können.." Nun, nachdem das Adrenalin aus der Prügelei wieder nachließ, spürte Roan seine fünf Bierchen sich melden, oder waren es doch sechs gewesen? Er war ein Schnelltrinker und ungefähr drei Stunden unterwegs gewesen, 6 Bierchen waren also durchaus im Rahmen des Möglichen gewesen. Jedenfalls hob der Pfleger seine Hand mit der der Erste-Hilfe-Kasten gehalten wurde, verzog dann aber schmerzverzerrt sein Gesicht und ließ sie schnell wieder sinken. Der Grund dafür war ein stechender unangenehmer Schmerz in der Seite gewesen.
    • Auch wenn Gabriel nur selten allein war, wusste er sich schon zu beschäftigen. Obwohl er ganz gerne Bücher las - was er vorher wohl auch gelegentlich getan hatte - surfte er viel im Internet - das wiederum hatte er früher wohl nicht so oft gemacht. Er hatte nicht mal einen Social Media Account. Wenn er sich selbst googelte, fand er auch nur Informationen zu seiner Familie und den Unfall. Jedenfalls nutzte er das Internet oft um sich einfach mehr Wissen anzueignen. Es war ja nicht alles weg. Zumindest lesen konnte er nach ein paar Tagen wieder ohne die Konzentration zu verlieren. Das war wohl wie Fahrradfahren. Apropos.. konnte er das auch? Im Moment ja wohl eher nicht, klar.
      Irgendwie deprimierte ihn, was in der Welt so vor sich ging, weshalb er dann doch in sein Buch blickte. Harry Potter und der Stein der Weisen. Er war sich nicht sicher, ob er es gut oder schlecht fand. Aber da er nichts besseres zutun hatte, las er solange darin, bis er die Tür hörte und sich zu dieser umdrehte.
      Gabriel wollte tatsächlich fragen, was passiert war, ehe er schweigend eine Augenbraue hob. Auf seine andere Aussage musste er etwas lachen. "Wurdest du deswegen etwa verprügelt? Weil du jemand falsches angebaggert hast?" Ja, Gabriel war Roan's geschlechtsneutrale Formulierung aufgefallen und griff diese nun ebenfalls auf. Er konnte sich zwar an nichts und niemanden erinnern, aber er war nicht auf den Kopf gefallen. Er war klug und im Internet steht eine ganze Menge. Allerdings war er nicht sicher, was er davon halten sollte. Nichts schlechtes, denn jeder sollte sein Leben leben, wie er es für richtig hielt. Aber er konnte nachvollziehen, warum Roan da etwas vorsichtig war. Seine Familie machte auf ihn auch keinen wirklich offenen und toleranten Eindruck. Wie er schon sagte: Sie hatten alle einen Stock im Arsch.
      "Muss ich jetzt den Pfleger spielen?", fragte er schmunzelnd, denn etwas amüsiert war er schon darüber. Roan war ja nicht aus Zucker und würde das schon überleben. Die Prügelei und Gabriel's Sarkasmus.
      ~ ♦ ~ Die Freiheit der Phantasie ist keine Flucht in das Unwirkliche; sie ist Kühnheit und Erfindung. ~ ♦ ~
      - Eugene Ionesco

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    • Darauf verzog Roan nur sein Gesicht, während er sich kläglich versuchte aus seiner Jacke zu befreien. Es halft nichts, er musste sich Schmerzen zufügen, sonst wurde daraus nichts. Also biss er seine Zähne zusammen und entledigte sich schließlich seiner Jacke, die achtsam auf dem Boden landete. Danach trat er an Gabriels Bett - zumindest einen Schuh hatte er bis dorthin irgendwie abstreifen können - doch anstatt er sich auf die Bettkante setzte, ließ er sich in den danebenstehenden Rollstuhl fallen. Ziemlich makaber, aber der Pfleger war fix uns alle und dachte sich insgeheim, Ich bin zu alt für diesen Scheiß..
      "Ich fürchte ja, denn angesichts meines nicht mehr ganz so zu 100% zurechnungsfähigen Zustands müsste ich wohl beim Desinfizieren um meine Sehkraft oder Nasenschleimhäute fürchten." Es brauchte nur ein wenig Tupfer und Jod, mehr wollte Roan nicht. Aber wenn seine kleinen Schandtaten im Gesicht nicht behandelt werden würden, dann war es durchaus möglich, dass sie nicht heilten, bis die beiden Männer wieder abreisen mussten. Und Roan wollte unbedingt das Gespräch vermeiden, darüber, dass er so aussah, wie er aussah. "Oder hast du Angst vor der Nähe, jetzt wo du mich durchschaut hast?", dachte er sich auf Gabriels erste Stichelei und bemerkte gar nicht, dass er es laut ausgesprochen hatte. Glücklicherweise war sein Pegel gerade so hoch, dass ihm die Peinlichkeit erspart blieb und er stattdessen frech grinste, bevor der Schmerz an der aufgeplatzten Lippe sich wieder zurück meldete.
    • Bei dem Anblick, wie sich der Dunkelhaarige bemühte zu entkleiden, war Gabriel sich nicht sicher, ob er es amüsant finden oder Mitleid haben sollte. Ein wenig von beidem, wobei es mehr zu Mitleid tendierte, er war ja kein Unmensch. Zumindest jetzt nicht, was vorher war, wusste er ja nicht. Den Erzählungen nach, war er es nicht.
      Nicht weniger abgemüht wie Roan - allerdings ohne Schmerzen - begab sich Gabriel zur Bettkante, um sich aufzusetzen. Während der Pfleger offenbar gestand, dass Gabriel ihn durchschaut hätte, öffnete er den Erste-Hilfe-Kasten. "Warum sollte ich Angst haben? Weil du mich hier raus entführt hast, um über mich herzufallen?", fragte er, ohne zu grinsen oder sonst eine Gefühlsregung zu zeigen, da er gerade dabei war seine Hände zu desinfizieren. Natürlich war er nicht der Meinung, dass das Roan's Absichten waren, aber wer so eine Frage stellte, musste auch mit einer entsprechenden Antwort rechnen. Ob Gabriel schon immer so cool war oder einfach nur aufgrund fehlender Erinnerungen so locker damit umging, konnte er nicht sagen.
      "Aber hast du keine Angst, dass ich nicht weiß, was ich hier tue?" Bestimmt hatte er mal einen Erste-Hilfe Kurs, aber zum Glück brauchte Roan ja keine Wiederbelebung. Dennoch war er sehr konzentriert dabei und tupfte zuerst vorsichtig seine Augenbraue ab. Wenn seine Mutter ihn so sieht, wäre sie bestimmt wenig begeistert. "So..." Die Augenbraue war abgeharkt, also war die Lippe an der Reihe, welche er zwischenzeitlich schon betrachtet hatte. Ein sanftes Lächeln erschien auf seinen Lippen, als er den Tupfer zum desinfizieren auf seine Unterlippe drückte und in seine bernsteinfarbenen Augen blickte. "Und, ist der Pfleger mit seinem Pfleger zufrieden?"
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      - Eugene Ionesco
    • Natürlich war es ein Scherz gewesen, aber einer der den Pfleger nicht drumherum kommen ließ sich zu fragen, ob Gabriel es dem Älteren wirklich zutrauen würde. In seiner Welt zumindest hätte ihn niemals jemand als gefährlich oder bösartig einstufen können. Aber in der Welt der de Veres gab es mit Sicherheit Vorsichtsmaßnahmen jedem gegenüber. Nun musste Roan darüber nachdenken, wie er an diesen Job überhaupt gekommen war. Was hatte ihn qualifiziert dafür, den Sohn einer unfassbar namenhaften Familie zu pflegen. Durch welchen Informations-Fleischwolf mussten seine Personalien wohl gelaufen sein, damit die Hausherrin sich sicher sein konnte, dass Roan ihnen und vor allem Gabriel nichts Böses wollte. Das waren für seinen angeheiterten Zustand eindeutig zu viele Fragen. Auch das Reden viel ihm nicht so einfach wie sonst, nur deshalb ließ er diesen Kommentar unbeantwortet. Auch auf Zweiteres schüttelte er lediglich den Kopf und schloss seine Augen, während Gabriel ihn verarztete. Das Jod an der Wunde brannte zwar ein wenig, doch das vorsichtige Tupfen fühlte sich angenehm an. Roan entspannte sich. Doch in seinem Zustand führte dies nur zu Müdigkeit, was zur Folge hatte, dass der Dunkelhaarige kurz davor war einzunicken und glücklicherweise die Augen wieder aufschlug, bevor es zu spät war. Da traf Gabriels Blick ihn direkt. Schon seit seinem Erwachen aus dem Koma hatte dieses blaue Augenpaar etwas, dass den Pfleger jedes Mal zumindest für einen Moment fesselte. Sonst war Roan aber auch voll zurechnungsfähig, nicht so wie jetzt, wo er wie hypnotisiert auf in Gabriels Gesicht starrte. Und erneut bewegte sich lediglich Roans Kopf, diesmal jedoch zu einem Nicken, nicht gerade auch deswegen, weil er gerade verarztet wurde. Doch sobald der Tupfer fertig war mit seiner Arbeit und Gabriels Hand sich zurück zog, fand Roan seine Stimme wieder.
      "Du bist ein Naturtalent! Solltest du jemals den Berufswunsch 'Pfleger' hegen, dann werde ich dir meine besten Empfehlungen aussprechen!" Roan stützte sich mit mit den Händen auf den Armlehnen der Rollstuhls ab und erhob sich wieder raus. Sein Körper fühlte sich um einige Kilos schwerer an und alles was er wollte, war nur noch ins Bett zu fallen und zu schlafen. Aber das musste noch ein wenig warten. Er drehte seinen kribbelnden Körper um und blickte sich im Zimmer um. Ein zweiter Blick war notwendig, aber dann entdeckte der Pfleger seine Sporttasche. Daraus wühlte er sich viel zu lange seinen Schlafanzug und seine Zahnbürste raus, verschwand dann für einige Minuten im Bad und kam barfuß, geduscht und in Boxershorts und T-Shirt eingekleidet - was sein Schlafanzug war - wieder heraus. Roans Bett befand sich neben dem von Gabriel, dieses trennte lediglich ein kleiner viereckiger Nachttisch, der einer Nachtleuchte eine Oberfläche bot.

      Normalerweise passierte alles in der umgekehrten Reihenfolge, Roan machte Gabriel bettfertig und dann sich. Heute hatte er sich aus Reflex dafür entschieden, erst einmal sich frisch zu machen und tatsächlich fühlte er sich jetzt auch etwas besser. Er trat an Gabriels Bett heran mit dem Pyjama des 26-Jährigen in seinen Händen.
      "Ich schlage vor, wir waschen dich erst morgen Früh. Ist besser so, für uns beide." Gabriel war schließlich ein erwachsener Mann und auch wenn er nach einem Jahr Koma viel an Gewicht verloren hatte, so brauchte Roan seine ganze Kraft, um ihn zu halten und zu stützen, damit dieser sich nicht bei einem Sturz und Fall verletzte. "Hast du schon Pläne für morgen?" Mit einem schiefen Grinsen auf den Lippen fügte er leise an: "Außer Fast-Food essen?"
    • Bei Roan's Lob musste Gabriel herzhaft lachen. Ein Naturtalent? Also hatte er seine Augen geschlossen, weil er so entspannt war oder weil er Gabriel nicht anstarren wollte? Würde es jetzt eigenartig zwischen den beiden werden, jetzt wo sich irgendwie herausstellte, dass Roan vom anderen Ufer war? Sicher könnte das den ein oder anderen Patienten stören, aber Gabriel nicht. Er hatte sich bisher nie unwohl in seiner Nähe gefühlt, warum sollte sich daran jetzt etwas ändern?
      "Gut zu wissen", erwiderte er daraufhin und beobachtete einen Moment, wie der Pfleger sich seine Schlafkleidung suchte und im Bad verschwand. Es machte dem blonden Mann nichts aus zu warten - gut, eigentlich schon, aber mehr die Tatsache, dass er sich noch immer nicht allein umziehen konnte - und so blieb er auf der Bettkante sitzen und dachte ein wenig nach. Seine Gedanken waren das erste, was er so wirklich kontrollieren konnte seit seinem Erwachen, auch wenn ihm die Erinnerungen fehlten.

      Gabriel stimmte dem Vorschlag des Dunkelhaarigen zu, als er mit seinem Pyjama - der bei Gabriel wirklich ein Pyjama war - vor ihm stand. Dann überlegte er, was sie morgen machen könnten, während er sich sein Shirt auszog. Zumindest obenrum konnte er sich selbst an und ausziehen. Seine Beine mussten sich jedoch erstmal wieder daran gewöhnen, sein ganzes Gewicht zu tragen. Etwas schwerer heben könnte er natürlich nicht, aber ein Oberteil wechseln war kein Problem. "Schon wieder Fast-Food? Ich könnte dich auch mal nett ausführen", meinte Gabe und zog seinen Pyjama über den Kopf. Sein Lachen verriet jedoch, dass er es nicht so ernst meinte und nichts gegen ein weiteres Mal Fast-Food hatte. "Und ich weiß nicht, was wir sonst noch so machen können.." Immerhin war ihm die Stadt fremd und quasi alles war neu für ihn. "Wir könnten ins Kino gehen. Oder ins Theater. Und wir können zusammen in eine Bar gehen, vielleicht brauchst du ja einen Wingman", schmunzelte er. Als ob ein Kerl im Rollstuhl da wirklich helfen könnte. Bei Frauen vielleicht, weil Roan sich dann als liebevoller Pfleger präsentieren kann, aber ob das die Männer auch so ansprach? "Wir dürfen auch nicht vergessen ein Geschenk für Maddy zu kaufen." Wobei er keinen Schimmer hatte, was er ihr schenken sollte, weil er sie im Grunde nicht kannte.
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    • "Hey du musst mich schon erst richtig fragen, wenn du vorhast mich auszuführen. Hört sich nämlich alles nach einem Date an!", gluckste der Ältere und legte seine Hände an den Bund von Gabriels Hose an, um sie daraufhin langsam von seinen Hüften und schließlich den Beinen zu ziehen. Dann bekam zuerst das eine Fußgelenk einen Vorgeschmack auf das Pyjama-Hosenbein und dann das andere. Für das Anziehen der Hose musste der Blonde sich mit den Unterarmen hinten abstützen, erst dann konnte Roan ihn an seiner Hüfte anheben und die Hose endgültig hoch ziehen. "So!" Er half Gabriel noch richtig herum ins Bett zu kommen, zog die Decke anständig, damit der Blonde sich zudecken konnte und faltete seine Sachen ordentlich zusammen, um sie zurück in den Koffer zu legen. Nun war endlich der Moment gekommen, in dem Roan sich sehnsüchtig stöhnend auf seine eigene Matratze fallen lassen konnte. Er war noch gar nicht sooo alt und dennoch sangen seine Muskeln und Knochen Dankeslieder. Wie würde das dann erst werden, wenn er weitere fünf Jahre auf dem Buckel hatte? Roan wollte nicht darüber nachdenken, warf die Decke über sich und drehte sich auf die Seite, zu Gabriel.
      "Wir fangen erst einmal damit an uns eine neue Unterkunft für die nächsten paar Nächste zu suchen und wer weiß? Vielleicht können wir dann einige Sachen damit kombinieren?" Roan steckte seinen angewinkelten rechten Arm unter das Kissen und somit unter seinen Kopf und gähnte kurz. "Außerdem bin ich der Meinung, dass wir deine erste Gehversuche bereits starten können. Die Voraussetzungen sind sogar optimal, weil du nicht zu Hause bist und somit nicht unter Beobachtung vieler Augenpaar, die dich unter Druck setzten könnten. Hier ist dein Unterbewusstsein freier. Aber dafür solltest du viel Energie tanken, denn das wird kräfteraubend sein. Also sollten wir jetzt schlafen." Roan streckte seinen Arm aus und griff nach der Nachttischleuchte, um ihr das Licht auszuknipsen.
    • Date? Roan war offenbar ein genau so großer Scherzkeks wie Gabriel. Deswegen mochte er den Pfleger auch so. Wie schrecklich es wäre von einem Kerl, der einem Roboter gleicht, umsorgt zu werden. Der Blonde quittierte seinen Spruch mit hochgezogener Augenbraue und Schmunzeln.
      Nachdem Roan ihm in die Hose und ins Bett geholfen hatte, drehte auch er sich mit seinem Blick zum Älteren. "Klingt gut," sagte er zu seinem ersten Plan. Der zweite klang aber noch besser! "Aye, aye, Sir." Gabriel schmunzelte vor sich hin. Mit seiner Mutter, den Großeltern und Madeline im Nacken hätte Gabriel sich bestimmt überanstrengt, um gut dazustehen. Aber wenn nur Roan bei ihm wäre, wäre das alles wesentlich entspannter.
      "Gute Nacht, Roan. Und Danke." Klar, es war sein Job und er wurde dafür bezahlt, aber Gabriel mocht ihn und vor allem war er für diesen Ausflug dankbar. Auch das Roan sich ihm mehr oder weniger geoutet hatte, freute ihn. Das bedeutete immerhin, dass er ihm vertraute und sie Freunde werden könnten.

      Mit der Dunkelheit wurden auch die blauen Äuglein geschlossen, um ihn schon bald ins Traumland zu führen. Wobei er bisher nur selten geträumt hatte und leider bisher nie etwas aufschlussreiches. Außerdem bedeutete das nicht zwangsläufig, dass es Erinnerungen waren. Sprechende Katzen gab es ganz sicher nicht.
      "Gabe... Gabe... Gabriel? Hey du Schafmütze, wach auf!" Schlaftrunken rieb er sich die Augen und gähnte. Eigenartig. Es war noch dunkel und er hätte schwören können, dass ihn jemand an den Füßen gekitzelt hätte. Es war eine männliche Stimme und ein leises Kichern. Aber es war nicht die Stimme von Roan. Warum sollte er ihn mitten in der Nacht wecken? Er lauschte einen Moment und schloss wieder seine Augen, um weiterzuschlafen.
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    • Der Schlaf erstickte Roans Gedanken und sein Bewusstsein sofort nachdem das Licht aus war, sodass der Dunkelhaariger Gabriels Worte nur noch im Halbschlaf wahrgenommen hatte. Doch er hätte noch so tief und fest schlafen können, die Routine aufgrund er Arbeit und vor allem ihren Arbeitszeiten ließ die bernsteinfarbigen Augen gegen 6Uhr morgens wieder aufschlagen, ganz ohne Wecker. Glücklicherweise hatten die paar Bier keinen Kater bei dem Pfleger hinterlassen - wäre ja auch zu traurig gewesen. Dennoch erhob sich der Ältere schwerfällig aus dem Bett. Der Grund dafür war wohl die gestrige Prügelei gewesen, denn beim Bewegen schmerzte Roan immer noch seine linke Seite, die gestern einen fiesen Faustschlag wegstecken musste. Seinem Gesicht ging es auch nicht anders, doch wenigstens blieb er vom Veilchen verschont, als er sich im Spiegel im Badezimmer betrachtete. Lediglich ein feiner, kaum zu erkennbarer Umriss eines blauen Flecks waren leicht angedeutet. Kurz wurde sich das Gesicht gewaschen, die Zähnchen geputzt und im Koffer nach einem T-Shirt gesucht, dass nicht mit Blutflecken übersäht war. Allerdings erinnerte der Inhalt den Pfleger sehr schnell daran, dass unter dem T-Shirt an Oberteilen nur noch ein Hemd und ein Pullover sich in seinem Gepäck befanden. Er war also gezwungen den Pullover anzuziehen, wartete damit aber erst, bis Gabriel ebenfalls zurecht gemacht worden war und behielt deshalb sein Schlafshirt an.
      "Hey, Schlafmütze!", flüsterte Roan und legte eine Hand auf Gabriels Oberschenkel, um ihn sanft daran wachzurütteln. "Wird langsam Zeit, wir müssen dich ja auch noch waschen, hm?" Sobald der schlafende Körper sich anfing hochzufahren, ließ Roan von Gabe wieder ab und trat an das Fenster, um die Vorhänge beiseite zu schieben und frische Luft reinzulassen. Im Hintergrund hörte man Wasser im Bad laufen, genau genommen in die Badewanne. Roan hatte entschieden, dass es ungefährlicher so war, als wie wenn Gabriel in der Badewanne duschte. Hier hatten sie eben nicht den Luxus einer barrierefreien Dusche und darum mussten sie umdenken. Und während er dem Plätschern zuhörte, kam ihn eine Idee. Er würde Gabriel damit überraschen, wenn alles klappen würde. Eins nach dem anderen, denn erst einmal hatten sie bis spätestens 8Uhr Zeit um aus zu checken und dann wollte Roan als erstes irgendwohin wo er seiner Schwester eine Postkarte schreiben und abschicken konnte, je früher desto besser.
      Roan drehte sich wieder Gabriel zu, der immerhin schon seine Augen geöffnet und die Decke aufgeschlagen hatte und trat ans Bett, um ihm den Rollstuhl heran zu schieben.
    • Es war nicht unbedingt das erste Mal gewesen, dass Roan ihn weckte. Er war eher ein Langschläfer und wenn man einfach nicht viel zutun hatte, müsste man auch nicht früh aufstehen. Aber sie müssten schließlich früh aufstehen, weshalb Gabriel seine Augen langsam öffnete. Ein etwas unangenehmes Erwachen für den jungen Mann, da er in der Nacht schon von ähnlichen Worten geweckt worden war.
      Er atmete tief durch und befreite sich aus dem Griff der Decke, um sich aufzusetzen, während Roan den Rollstuhl bereitstellte. Hoffentlich könnte er solche lachhaften Strecken auch bald selbst gehen. Die Übungen im Liegen, um seine Muskeln zu bewegen mussten doch irgendwann Fortschritte zeigen. Aber womöglich war der Blonde einfach nur zu ungeduldig, da es ihm nicht gefiel so abhängig zu sein.
      Nachdem er also mit Hilfe im Rohlstull landete, kam auch schon die nächste Hürde. Eine Badewanne. Ihre nächste Unterkunft sollten sie weiser wählen. Es ging doch alles auf die Kosten seiner Familie, da müssten sie ja nicht bescheiden sein, wobei Gabriel dieses einfache Zimmer ja schon gefiel.
      Das Oberteil war schnell ausgezogen, für den Rest beugte er sich nach vorn, um den Badewannenrand zu greifen und sich daran hochzuziehen und abzustützen, damit Roan ihm auch den Rest ausziehen konnte, da er dafür beide Hände brauchte. Erniedrigend war das ja schon irgendwie und tatsächlich auch ein wenig eigenartig, nachdem Gabriel jetzt von Roan's Vorlieben wusste. Es war allerdings nicht das erste Mal, dass der Pfleger ihn nackt sah. "Bin wohl nicht dein Typ, was?", fragte er mit einem frechen Schmunzeln, als er in der Badewanne saß. Roan konnte auch einfach nur sehr professionell sein, als das ihn ein nackter Mann gleich aus der Fassung bringen könnte.
      Wenigstens das Waschen konnte er seit einer Weile selbst übernehmen, so hatte Roan Zeit, sich um ihr Gepäck zu kümmern.
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      - Eugene Ionesco
    • Beinahe, ja tatsächlich, hätte er zumindest dieses Gespräch von gestern völlig vergessen, doch Gabriel war so nett ihn mit seiner völlig überraschenden Bemerkung daran zu erinnern. Roans Augen wurden ganz groß und sein Gesicht verriet seine Fassungslosigkeit. Doch fast zeitgleich breitete sich ein Grinsen auf seinem Gesicht aus, die Zunge fuhr über seine Zähne und der Kopf schüttelte sich.
      "Dir tut der Tapetenwechsel schon ganz schön gut, huh? Du kommst ja richtig aus dir heraus!" Dieses freche Etwas gefiel Roan. Es fühlte sich echt an. Nicht dass Gabriel sonst aufgesetzt wirkte, aber Roan merkte dem Jüngeren ziemlich oft seinen Gedankenkreisel an und wie er versuchte den Erwartungen aller gerecht zu werden. Das musste sicher nicht leicht sein und deswegen freute er sich, wenn er selbst Gabriel offensichtlich so viel Geborgenheit bieten konnte, dass sich dieser vor ihm öffnen konnte und einfach los lassen. Und wenn seine Sexualität dafür Mittel zum Zweck war, dann konnte Roan damit leben. Nein, mehr noch, er konnte einfach das neckende Spielchen mitspielen. "Ist das so? Oder halte ich mich vielleicht nur zurück, wegen Madeline und der kleinen Hope?" Frech schossen die Augenbrauen kurz in die Höhe, bevor Roan sich erhob und verschwand um sich um das Gepäck zu kümmern. Sie lagen zeitlich richtig gut im Rahmen, denn nachdem alles fertig gepackt war und Gabriel angezogen, ging es mit dem Fahrstuhl auch schon nach unten, wo ein herzhaftes Frühstück auf die beiden Männer wartete. Auf Roan wartete es noch ein paar Minütchen länger, weil er das Gepäck vorher im Auto verstaute, ehe er sich zu Gabriel gesellte. Die Betreiber des B&B waren wirklich herzliche Leute, darum war es eigentlich zu schade, dass sie nicht länger bleiben konnten. Doch die nächste Unterkunft, die sie vor Ort suchen würden, sollte ein wenig besser für einen Rollstuhlfahrer geeignet sein und nicht bloß mit einen Fahrstuhl punkten.

      Wie bereits für sich selbst beschlossen, ging es als nächsten mit dem Auto auf die Suche nach einer Post, die hübsche Postkarten verkaufte. Roan nahm sich drinnen 5 Minütchen Zeit, in der Gabriel alleine im Auto warten musste. Er schrieb seiner Schwester ein paar nette Worte und erzählte, dass es ihm an nichts fehlte. Dann bezahlte er die Briefmarke und eilte wieder zurück ins Auto - mit dem er mittlerweile seinen Frieden geschlossen hatte.
      "Also ich habe vorhin im Tagesblatt gelesen, dass die Stadt heute Geburtstag feiert. 100-Jähriges! Das sollten wir uns näher angucken oder? Dort werden wir bestimmt ein Geschenk, etwas zu Trinken finden können und mit Sicherheit auch Fast-Food bekommen", fügte der Ältere mit einem amüsierten Glucksen hinzu. Außerdem holte er ebenfalls aus der Zeitung vom B&B mitgenommen eine Liste mit Unterkünften aus. "Vorher aber die Unterkunft. Fahren wir einfach eine nach der anderen ab, was meinst du?"
    • Dieser Tapetenwechsel tat ihm wirklich sehr gut, denn genau wie Roan es sich dachte, musste er hier nicht so sehr aufpassen, was er sagte. Einfach sagen, was man denkt? Nicht, wenn man anderer Meinung der restlichen de Veres war. Eins stand mit Sicherheit fest: Er würde diese Neckereien zwischen ihnen vermissen, sobald sie wieder im Anwesen wären. "Hmm..", war alles, was Gabriel dazu sagte, ehe Roan sich ums Gepäck und Gabriel sich um seinen Körper kümmerte. Getrocknet, gekleidet und gestriegelt füllten sie noch ihre Mägen, bevor sie noch weiter in den Ort hineinfuhren.

      Gabriel nutzte die Zeit, die Roan in der Post verbrachte, um Madeline eine Nachricht zu schreiben und zu fragen, wie es ihr und der kleinen bei ihren Eltern erging und das sie sie von ihm grüßen sollte. Sie hatten gestern Abend noch kurz telefoniert, während der Pfleger in der Bar war.
      "Oh, wirklich?" Was für ein Timing. Ob das gut oder schlecht war, würden sie noch herausfinden. Wenn dieses Spektakel zu beliebt wäre, dann könnte es schwierig werden noch ein Zimmer zu bekommen. "Klingt gut." Und so fuhren sie von einer zur anderen Unterkunft. Die ersten Zwei hätten noch ein Einzelzimmer gehabt, aber es wäre schwierig, wenn Roan in einem anderen Hotel unterkäme, als er. Sämtliche Hotels in der Stadt machten an diesem Wochenende einen ordentlichen Gewinn und hatten trotz angepasster höherer Preise eine Menge Besucher. In dem teuersten Hotel der Stadt sollten sie doch wohl fündig werden. Eine Suite für eine Woche kostete fast die Hälfte von Roan's Gehalt, wer sollte sich das leisten können? Das Hotel hatte alles, wirklich alles, was das Herz begehrte. Einen Pool, eine Sauna, eine Kegelbahn, eine ordentliche Bar, sogar ein Wellness-Programm und vieles mehr. Außerdem 3 Fahrstühle und in den teuren Suiten auch prachtvolle Duschen. "Sieht doch vielversprechend aus, oder?", meinte Gabriel und sah zu seinem Begleiter auf. "Nur das beste für den beinahe totgeglaubten Sohn." Hoffentlich würde Roan sich wegen der Kosten keine Gedanken machen. Den Blonden schreckte das jedenfalls nicht ab. Es war keine Hochnäsigkeit oder dergleichen, die Gabriel so denken ließ, sondern eher die Eitelkeit seiner Mutter. Würde sie wollen, dass er in einer billigen Absteige nächtigte? Wohl kaum. Also reichte Gabriel der netten Dame an der Rezeption seine Kreditkarte, um einzuchecken.
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      - Eugene Ionesco
    • Etwas unwohl war dem Älteren schon dabei, dass er jetzt wieder auf Kosten der de Veres in einem Hotel nächtigen musste, das er sich eindeutig nicht hätte selbst leisen können. Doch was hätte er schon einwenden können? Immerhin bezahlte Gabriel mit seiner eigenen Kreditkarte. Roan lernte an diesem Tag, dass sobald Angestellte 'Schwarz' sahen - eine solche Kreditkarte hatte er mit seinen eigenen Augen noch nie gesehen - einem alle Wünsche von den Augen abgelesen wurden. Insgeheim fürchtete Roan sich an diesen Luxus zu gewöhnen. Das war suboptimal, denn am Ende des Tages würde er wieder in seine eigenen vier Wände zurück kehren, die er zu diesem Zeitpunkt noch überhaupt nicht besaß und dann würde sein alter Alltag wieder beginnen.
      "Es gibt hier einen Safe in einem Safe..", bemerkte Roan, nachdem sie sich auf die Schnelle in der Suite eingerichtet hatten und er wieder bei Gabe ankam. Irgendwie ließ ihn das verpflichtet dazu fühlen, im Safe etwas einzuschließen. Aber was? Die Autoschlüssel wurden einem vor dem Hotel bereits ab- und sicher in Gewahrsam genommen, ebenso wie das Auto selbst. Im Gepäck befand sich nichts Wertvolles, zumindest ganz sicher nicht in Roans Sachen und den Geldbeutel wollte er mit auf das Stadtfest nehmen - auch wenn dort ebenfalls nichts Sehenswertes drinnen gewesen wäre. Fasziniert blickte sich der Dunkelhaarige immer noch um. Hier war definitiv Platz für Zwei - in Roans Welt wäre das sogar ausreichend Platz für zwei Familien gewesen. Der Rollstuhl war hier absolut kein Problem. Hier hätte Gabe sogar völlig alleine hausen können, auch ohne die Hilfe eines Pflegers. "Nun gut, wollen wir dann?"

      Die beiden Männer beschlossen zu Fuß die paar Meter zu laufen, denn das Hotel lag quasi mitten im Stadtfest. Obwohl es gerade einmal Vormittag war, hatten sich schon einige Menschen angesammelt. Dennoch war noch genug Platz, sodass der Pfleger Gabe gemütlich vor sich her schieben konnte. Schnell wurde ersichtlich, wo das Fest was hergab. Am Rathaus war ein Riesenrad aufgebaut worden, ebenso wie ein paar Stände, die Essen und Naschereien verkauften. Das Kinderkarussell durfte ebenfalls nicht fehlen. Die Geschäfte hatten alle Tafeln ausgestellt oder Schilder rausgehangen, dass heute ohne Termin Kunden empfangen wurden und die, die keine Dienstleistung anboten, warben mit Rabattaktionen und Mengenvorteilen. Letzteres interessierte den Älteren sogar. Immerhin hatte er gestern sein einziges T-Shirt für diesen Trip besudelt und würde sich dann nach einem neuen umgucken. Aber noch mehr Interesse hatte der mittlerweile Zottelige an einem Friseur. Er hatte den ein oder anderen auch bereits gesichtet, doch diese waren - verständlicherweise - ziemlich voll gewesen, weshalb der Pfleger wartete und erst anhielt und Gabe einweihte, als er einen sah, der mehr Kapazitäten hatte.
      "Hättest du was dagegen, wenn wir da eben kurz einen Abstecher rein machen?" Doch noch während Roan fragte, blieb sein Blick skeptisch an der Treppe hängen, die zum unterirdischen Friseursalon führte. "Also du kannst auch alleine weiter bummeln, vielleicht findest du ja etwas, das dir für Madeline gefallen könnte. Aber geh mir nicht verloren! Ich lass mich schließlich nur für dich wieder schick machen~"
    • Gabriel war viel faszinierter von Roan's Reaktion auf das Zimmer, als von dem Zimmer selbst. Für ihn war das nicht so besonders. Nicht, weil er es sich scheinbar problemlos leisten konnte, sondern weil es ihm nicht viel bedeutete. Er war auch mit dem kleinen Zimmer im B&B zufrieden gewesen. Allerdings hatte auch Gabriel nichts dabei, was man in einem Safe verwahren müsste. Immerhin eignete sich dieses Zimmer für seinen Rollstuhl und in der Dusche hätten locker 3, wenn nicht sogar 4 Leute Platz! Dagegen war seine private Dusche fast ein Witz.

      Das Fest fand großen Anklang bei den Gästen, wohingegen Gabriel sich hier nicht so wirklich wohl fühlte. Er zog die Ruhe vor und war scheinbar nicht so der Draufgänger Typ, der viel Action brauchte. Gemütlich ein Buch zu lesen, hatte mehr Reiz. Dennoch sah er sich aufmerksam um, da er ja eventuell irgendetwas erkennen könnte.
      Als sein Pfleger dann nachfragte, ob er in den Friseursalon gehen könnte, blickte der Blonde zu ihm auf. Die Treppe machte es schwierig ihn zu begleiten. Gerade als Gabriel auf die Geschenksuche antworten wollte, haute Roan etwas raus, das Gabriel's Sarkasmus Konkurrenz machte. Er hob eine Augenbraue, so wie einen Mundwinkel. "Da bin ich ja gespannt", antwortete er und lachte, ehe sich ihre Wege erstmal trennten. Notfalls hatte er ja immer noch sein Handy dabei.
      Die Suche nach einem Geschenk erschien Gabriel jedoch wie die größte Herausforderung seines Lebens. Ein Kleidungsstück? Schmuck? Ein Buch? Vor seinem Unfall hätte er bestimmt zahlreiche Einfälle gehabt, aber jetzt war er damit überfordert. Am liebsten hätte er einfach von allem etwas gekauft, aber er hatte das Gefühl, dass es Maddy unangenehm wäre, wenn er sie gleich mit einem ganzen Haufen von Geschenken überraschen würde.
      Kleidung hatte sie sicher reichlich und außerdem suchte man sich diese besser selbst aus. Schmuck war ihm zu unpersönlich und was Bücher anging, wusste er noch nicht so richtig, was ihr da gefallen könnte. Deshalb wäre es noch immer unmöglich, das richtige zu finden, selbst wenn er von allem etwas besorgte.

      lebensbaum-anhaenger-mit-gruenem-stein-aus-edelstahl.jpgDann blieb sein Blick jedoch tatsächlich auf einem Schmuckstück hängen. Ein Anhänger. Bei der Vielfalt an den unterschiedlichsten Accessoires war es schwierig, etwas passendes zu finden. Aber etwas mit einer Bedeutung hingegen, wäre nicht mehr unpersönlich, dachte sich Gabriel.
      Eine Form des Lebensbaumes in dessen Mitte ein kleiner, grüner Edelstein - passend zu ihren Augen - eingefasst war. Der Lebensbaum soll für die Hoffnung auf eine glückliche Zukunft und auf ein gesundes Wachstum sowie gutes Gedeihen stehen. Das gefiel dem jungen Mann, der sich ganz nebenbei sehr für Mythologie interessierte.

      Also kaufte er den Anhänger zusammen mit einem schwarzen Lederband und verstaute die kleine Schachtel in seiner Brusttasche, ehe er sich wieder auf den Weg zurück zum Friseursalon machte. Er war zwar unerwartet schnell fündig geworden, aber so ein Haarschnitt würde ja auch keine Ewigkeit dauern.
      Der Blonde wartete einen Moment, als sich ihm ein Mann im selben Alter näherte. "Gabriel? Was ist denn mit dir passiert?", fragte der ebenso blonde Mann, der ihn offenbar zu kennen schien. Gabriel starrte ihn einen Moment lang an und wusste nicht, was er sagen sollte. Da kam allerdings schon Roan dazu, der die Aufmerksamkeit des Fremden erregte. "Oh.. ist das dein Neuer? Hast du David etwa auch abserviert?" Ein wenig verwirrt darüber, in welchem Kontext er diesen Namen verwendete, kniff Gabriel seine Augen ein wenig zusammen. "David ist vor einem Jahr gestorben..", antwortete Gabriel ruhig, aber auch sehr betrübt. Die Augen des Mannes weiteten sich ein wenig, so als wäre er peinlich berührt. "Fuck.. Tut mir leid.. Ich wollte nicht.." Verlegen kratzte er sich am Hinterkopf und sah kurz zu Roan, ehe er seinen Blick senkte. Damit wurde ihm auch klar, warum Gabriel in einem Rollstuhl sitzen könnte. "Ich bin dir jedenfalls nicht mehr böse.. Ich habe vor 3 Jahren jemanden gefunden, den ich genau so liebe, wie du David.. Tut mir leid.." Er bedauerte es wirklich, dass er unsensibel gewesen war, allerdings war es nicht dieses peinliche Fettnäpfchen, das Gabriel verwirrte, sondern der Inhalt seiner Aussagen. "Es tut mir leid.. ich kann mich nicht an dich erinnern.. an niemanden.. auch nicht an David.. nicht mal an meine Mutter..", gestand Gabriel und senkte seinen Blick. Der Mann sah ihn mit offenem Mund an, denn an Gabriels Reaktion schien er zu erkennen, dass er die Wahrheit sagte, auch wenn er es zuerst anzweifeln wollte. "Oh... Oh.. Verstehe.. Na gut.. Ich bin Joel.." Er schien sich auf einmal unsicher zu sein, was er in Roan's Gegenwart dazu sagen sollte. Am liebsten wäre er wohl einfach ohne ein weiteres Wort gegangen, aber dafür schien er zu anständig zu sein. "Ich weiß nicht, was ich sagen soll.. Falls du.. Falls du mal reden willst oder so.. Du kannst mich gern anrufen. Oder texten", bot er an und reichte Gabriel eine Visitenkarte. Dieser nach zu urteilen führte er eine Autowerkstatt irgendwo 3 Ortschaften weiter. "Tut mir wirklich leid. Ich.. werde dann mal meinen Verlobten suchen..", entschuldigte er sich ein weiteres Mal, sah die beiden beschämt an und verabschiedete sich dann.
      Gabriel starrte auf die Visitenkarte und wünschte sich in diesem Augenblick mehr denn je, dass wenigstens eine einzige Erinnerung zurückkäme. "Kannst du mich bitte einen Moment allein lassen?", fragte der Blonde, ohne zu dem Dunkelhaarigen aufzusehen. Dann sah er jedoch zu ihm auf - kurz - ehe er sich umdrehte und sich von dem Trubel entfernte. Nun blickte er eine ganze Weile auf sein Handy und überlegte, ob er Madeline anrufen und danach fragen sollte. Aber was sollte er sagen? Er wollte ihr schließlich keine Sorgen bereiten, schon gar nicht, wenn sie gerade bei ihren Eltern war. Also blieb der Bildschirm seines Smartphones schwarz, während er mit Daumen und Zeigefinger der anderen Hand über seinen Nasenrücken fuhr.
      ~ ♦ ~ Die Freiheit der Phantasie ist keine Flucht in das Unwirkliche; sie ist Kühnheit und Erfindung. ~ ♦ ~
      - Eugene Ionesco

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    • Roan hatte einen starken Haarwuchs, einen um den man ihn auch gerne mal beneidete. Und die zahlreichen Haarbüschel, die sich auf dem Boden um ihn herum ausbreiteten, machten es noch einmal deutlich. Der Haarschnitt war wirklich nötig gewesen. Nun konnte der Dunkelhaarige sein Spiegelbild auch wieder deutlich zufriedener begutachten, als noch vor ein paar Stunden, wo er sich bereits ein kleines, wenn auch winzig Zöpfchen machen konnte. Nicht einmal der unverschämte Betrag, für lediglich einen Haarschnitt ohne Haarwäsche oder Ähnlichem konnte da seine Zufriedenheit trüben. Roan gab sogar noch Trinkgeld dazu und das nicht nur aus reiner Höflichkeit, sondern unter Anderem, weil es auch recht flott ging.

      Die Situation in die er nach deinem Friseurbesuch geraten war, haute den Dunkelhaarigen mindesten genauso um, wie den Jüngeren. Es machte ihn sogar sprachlos und er rechnete Gabriel hoch an, dass dieser überhaupt etwas auf den Unbekannten, der offenbar doch kein Fremder war, erwidern konnte. Stumm blickte er diesem hinterher, als er sich wieder entfernte und wusste nicht recht, was er tun oder sagen sollte. Doch Gabriel nahm ihm dies mit einer verständlichen Bitte ab und Roan konnte nicht anders, als mit einem vorsichtigen Nicken einzuwilligen.

      Er war noch eine ganze Weile an der Stelle stehen geblieben und hatte alles an sich vorbeiziehen lassen, doch irgendwann erblickte er eine Bank und nahm dort Platz. Unmengen an Gedanken gingen ihm durch den Kopf und 90% davon waren Fragen. Der Rest davon waren Zweifel. Selbstzweifel. Er ging Schritt für Schritt seine Ankunft bei den de Veres durch. Das Vorstellungsgespräch, die Hausherrin, die Familie, Madeline. Dann ging er ein wenig zurück und landete wieder bei der Frage, wie er überhaupt zu diesem Job gekommen war. Aber nein, ihm war nichts komisch vorgekommen. Madeline. Sie war die erste, die Roan ein wenig stutzen ließ, doch damals, sowie heute hatte er es sich damit erklärt, dass sie wohl einfach eine zurückhaltende und sehr anständige Frau war. Eine, die nicht unbedingt vor Gabriels Mutter mit diesem herumschmuste oder anderweitige Liebeleien austauschte. Er hatte sie überhaupt nicht in Frage stellen wollen, nicht können, weil er doch genau wahrgenommen hatte, wie sehr sie Gabriel liebte. Und dann Hope. Sie und Gabe hatten ein Kind miteinander. Wie also passten die neu gewonnenen Informationen damit zusammen? In diesem Augenblick: gar nicht. Nicht für Roan und er vermochte es sich gar nicht auszumalen, wie es erst bei Gabriel aussah. Ein tiefes Seufzen ließ seine Lunge sich aufblähen und wieder abflachen, während das bernsteinfarbige Augenpaar das erste Mal vom Boden wieder auf die Straße blickte und die an ihm vorbeilaufenden Menschen beobachtete. Familie waren unterwegs, Paare, Freunde Grüppchen. Sie alle schienen so unbeschwert zu sein. Und Roan wünschte sich plötzlich aus tiefsten Herzen, diese Unbeschwertheit einer ganz bestimmten Person. Gabriel. Er fühlte sich außerdem immer noch hin und her gerissen. Einerseits wollte er dem Blonden beistehen, andererseits fühlte er sich auf einmal so unwichtig und dadurch absolut nicht in der Position dem Blonden in diese private Angelegenheit einzureden. Denn wer war er schon für Gabriel? Jemand, der dafür bezahlt wurde, um ihn wieder aufzupeppen - oder wie Gabriel es schon einmal formuliert hatte, ihn zu babysitten. Also blieb der Pfleger weiter auf der Bank sitzen, als plötzlich eine Benachrichtigung auf sein Handy einging. Besorgt zog er die Augenbrauen zusammen, als er den Empfänger saß: Madeline. Er malte sich aus, dass Gabriel sie bereits kontaktiert hatte und sie zur Rede gestellt - was ja auch irgendwie gut gewesen wäre. Doch dann krochen die Augenbrauen höher und er blickte sich reflexartig um, auch wenn es völlig unsinnig war. Dann endlich sprang er von der Bank auf und beschloss sich auf die Suche nach Gabriel zu machen und um das zu beschleunigen wählte er seine Nummer und rief ihn an.
      - Hallo Roan! Sag Gabriel bitte noch nichts. Ich möchte ihn überraschen! Bin soeben in Swafield angekommen. Wo seid ihr untergekommen? -
    • Zu viele Gedanken schwirrten in Gabriel's Kopf herum, die er erst einmal ordnen musste, bevor er überhaupt ein erfolgreiches Gespräch führen konnte. Im Moment kämen vermutlich nur zusammenhangslose, zerstückelte Satzfetzen aus seinem Mund. Vielleicht hatte er diesen Joel ja nur falsch verstanden, aber was gab es da falsch zu verstehen?! Also irgendwann mal war er wohl mit ihm zusammen und dann hatte er ihn für David abserviert? Den David, den seine Familie ihm als besten Freund vorgestellt hatte? Warum?
      Diese ganze Grübelei bereitete ihm Kopfschmerzen, weshalb er sich zurücklehnte und seine Augen schloss. Er versuchte einfach an nichts zu denken. Sein Kopf war doch sonst auch immer recht leer ohne seine ganzen Erinnerungen, aber jetzt wollte ihm das nicht mehr gelingen. Seufzend richtete er sein Blick auf sein klingelndes Handy. Ob Roan sich Sorgen machte? Immerhin war er ja für ihn verantwortlich. Er sollte ihm lieber keinen Ärger machen. Dennoch entschied sich Gabriel dafür, nicht ranzugehen und schickte ihm wenig später einfach kommentarlos seinen Standort.
      Er befand sich in irgendeiner ruhigen Gegend, fernab des Festes, außerhalb der Absperrung, weshalb hier eine Menge Autos der Besucher parkten. Eine große Kiesfläche diente hier als größte Parkfläche, aber auch der Straßenrand war vollgestellt. Gabriel rutschte in seinem Rollstuhl ein wenig nach vorn, sodass er fast wie ein nasser Sack darin saß und mit seinem Daumen an der Hülle seines Smartphones spielte, während er auf Roan wartete. Was dachte Roan jetzt eigentlich? Er kannte ihn und seine Familie doch. Er hörte dieselben Geschichten wie er. Ergab das für ihn irgendeinen Sinn?
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    • Es machte dem Älteren ein wenig mehr Mut, dass Gabriel ihn wissen ließ, wo er sich befand. Doch nachdem Roan ihn tatsächlich entdeckte, schwand dieser Mut ein wenig. Er wusste immer noch nicht, was genau seine Rolle hierbei sein sollte. Jedoch wusste er, was er sich wünschte. Und dieser Wunsch war wie ein sanfter Schubs am Rücken, der Roan wieder vorantrieb und erst wieder zum Stillstehen brachte, als dieser vor Gabriel in die Hocke ging. Sein Blick war gesenkt und betrachtete zunächst die zusammengefalteten Hände im Schoß, die ein Handy hielten. Schließlich hüpfte das braune Paar jedoch hoch und traf direkt auf das helle Blau, das sonst immer strahlte, doch in dem Augenblieb von Trübheit heimgesucht wurde.
      "Ich weiß nicht so recht, was ich sagen soll..", gestand der Pfleger ehrlich und sog schwer die Luft durch die Nase ein, um sie dann ganz langsam wieder auszustoßen. "Ich wünschte, ich könnte dir Antworten liefern oder dir zumindest Trost spenden, aber.. ich kann es nicht." Vorsichtig, aber entschlossen legten sich Roans Hände über die von Gabe, während sein Blick weiterhin direkt auf seinen gerichtet war. Er hätte dem Blonden am liebsten angeboten, sich ihm anzubieten, wenn er einfach abhauen wollte. Ja, sein Job wurde gut bezahlt, aber er machte ihn schließlich hauptsächlich wegen Gabriel selbst. Sie beide auf einer Reise einfach ins Ungewisse, das würde sicherlich spaßig werden. Aber abgesehen davon, dass Roan fürchtete, dass sie nicht weit kämen ohne das die de Veres sie aufspürten, wusste er, dass Gabriel sich diesem Schmerz, der in ihm brodelte nicht entziehen durfte. Nicht, wenn er den Knoten endlich zum Platzen bringen wollte. "Wenn du mit irgendjemandem das Gespräch suchen willst oder jemanden zur Rede stellen, dann stehe ich an deiner Seite, wenn du es auch willst." Wie sollte er das nur mit Madeline ansprechen? Oder sollte er sie auf eigene Faust einfach wegschicken? Oder gar zur Rede stellen? Schlussendlich war jeder Ausgang jeglicher Situation wortwörtlich beschissen. Wieso dann überhaupt sich den Kopf zerbrechen? Roan stärkte seinen Griff, so als hätte er tatsächlich Angst Gabe könnte ihm sonst davon laufen und rückte mit der Sprach heraus.
      "Ich denke wir wissen beide, wer die meisten Antworten haben könnte und dazu auch noch gewillt sie dir Preis zu geben. Und ganz zufällig... ist sie gerade in der Stadt angekommen, um dich zu überraschen." Nur um sicher zu gehen, dass er es auch wirklich verstand, betonte Roan mit Nachdruck: "Gabriel, Madeline ist hier."
    • Gabriel bewegte sich nicht wirklich, als Roan sich näherte und vor ihm in die Hocke ging. Erst dann hob er seinen Blick, der den seinen traf. Niemand erwartete, dass der Pfleger in diesem Moment die passenden Worte finden würde, deshalb war es okay, dass er ihm nicht helfen könnte. Aber das er ihm keinen Trost spenden könnte, stimmte nicht. Wenn der Blonde ganz allein in der Stadt wäre, würde er vermutlich wesentlich schlimmer verzweifeln.
      Sein Blick blieb jedoch betrübt und nachdenklich, während er Roan's Hände auf seinen spürte und leise seufzte. Mit wem sollte er denn reden? Entweder war dieser Joel ein Psycho oder seine Familie belügte ihn, aber warum sollten s- Noch während der Dunkelhaarige vorschlug mit Madeline zu reden, die hier sein sollte, legte er seinen Kopf in den Nacken und schmunzelte, was ein bisschen so aussah, als wäre er dem Wahnsinn verfallen. Warum sie das tun sollten? Na weil sie einen Stock im Arsch hatten, wie er selbst zu Roan gesagt hatte! Das ergab Sinn, auch wenn es keinen Sinn ergab. Dennoch: Warum?
      "Gut.. sag ihr, dass wir im Hotelzimmer warten..", sagte Gabriel nach langem Schweigen, während er die Wolken betrachtete. War Hope dann eigentlich überhaupt sein Kind? Das wäre auf jeden Fall eine der Fragen, die er ihr stellen würde.

      Nachdem sie ins Hotelzimmer zurückgekehrt waren, rollte Gabriel zum Fenster und blickte heraus. Er hatte sonst nichts weiter zu Roan gesagt und wartete jetzt nur noch darauf, dass seine Ehefrau zu ihm kam.
      Als Roan ihr die Tür öffnete, blieb der Blonde am Fenster ohne sich umzudrehen. "Ich habe heute Joel getroffen.." , erzählte er vollkommen ruhig. Ob ihr der Name bekannt war? Wenn sie wirklich so lange befreundet waren, dann bestimmt. Er konnte ihre Reaktion zwar nicht sehen, aber das spielte keine Rolle. Er war nicht wütend, nur.. so verwirrt und unendlich enttäuscht. "Aber wie du weißt, erinnere ich mich nicht an ihn. Oder an David. Alles was ich weiß ist, dass du meine Frau bist und wir eine Tochter haben. Wenn sie denn meine Tochter ist." Am Ende drehte er sich langsam zu ihr um und blickte zu ihr auf. "Eigentlich sind Roan und ich hier hergekommen, um dir ein Geschenk zu besorgen", gab er zu und holte die Schachtel aus seiner Tasche, die er dann vor sich hielt und öffnete, um den Anhänger herauszuholen und ihn zu betrachten. Gabriel war die ganze Zeit ruhig. Zu ruhig. Er war scheinbar nicht der Typ für einen Wutausbruch, aber trotzdem fühlte es sich so an, als würde sich sein Magen drehen. Die Unruhe in ihm spürte er bis in die Fingerspitzen. Er brauchte Antworten.
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    • Es war Roan gewesen, der Madeline die Tür geöffnet hatte. Der in ihre strahlenden Augen geblickt und beobachtet hatte, wie es nach und nach in Verwirrung überging, bis es schließlich ganz verschwand, als Gabriels Stimme ertönte. Dabei hätte der Dunkelhaarige sie am liebsten in seine Arme eingeschlossen und getröstet, doch das ließ weder die Situation zu, noch hätte er sich für einen von den beiden entscheiden können, denn bei Gabriel war der Drang mindestens genauso groß.

      Die junge Frau starrte das Geschenk, das Roan ebenfalls zum ersten Mal gerade sah, lange an. Ihr Gesicht hatte dem Pfleger schon lange verraten, dass ihr der kürzliche Unbekannte nicht fremd war. Sie kannte diesen Joel. Roan hatte sich abermals durch sein frischgeschnittenes Haar gefahren. Aber nicht weil es ihm so gut gefiel - das tat es schon, spielte aber keine Rolle gerade - sondern weil er wortwörtlich nicht wusste, wo ihm der Kopf stand. Eigentlich wollte er sich setzen, so sehr haute ihn das Ganz insgeheim um. Aber er blieb stehen. Irgendwie sagte ihm sein Gefühl, dass das die bessere Wahl war und es sollte recht behalten haben.
      "Gabe ich... Es tut mir so leid.. Ich....i-ich gehe jetzt besser wieder", meldete sich die sonst so sanfte, weiche Stimme, diesmal jedoch bebend zu Worte, als Madeline Gabriel auch schon den Rücken zukehrte. Doch sie erblickte nicht den Ausgang, sondern den kräftigen Körper des Pflegers, der sich vor ihr aufgebaut hatte. Ihre glasigen Augen krochen an ihm hoch und sie blickte ihn hilfesuchend und gleichzeitig traurig an. Es steckte den Älteren an, er fühlte mit ihr, sah ihren Kummer in den Augen. Aber sein Blick, der immer wieder an ihr vorbei zu Gabriel schielte, gab dem Körper weiter Standhaftigkeit, um nicht beiseite zu treten. Madeline verstand allmählich oder vielleicht, war es vielleicht Einsicht? Sie drehte sich jedenfalls Gabriel wieder zur Hälfte zu. Ihre sonst so aufrechte Körperhaltung war völlig in sich zusammengefallen, so als würde sie möglichst nicht auffallen wollen. Und sie konnte dem blauen Blick, der sie mit immer weniger Geduld anstarrte nicht standhalten, weshalb sie sich ihm auch erst gar nicht aussetzten.
      "Hope ist dein Kind. Dein leibliches Kind. Deins und meins und das solltest du von nun an, nie wieder hinterfragen. Sie ist dein, Gabe. Dein Fleisch und Blut und sie ist das einzige unschuldige Wesen bei all dem." Es musste passieren, war absehbar gewesen; Madelines Stimme brach und stattdessen ertönte ein leises Schluchzen. Roan sah ihr Gesicht nicht, weil es vom geneigten Kopf von den Haaren verdeckt wurde, aber er sah ihre Schultern beben und musste sich richtig beherrschen. Zur Hilfe biss er die Zähne ganz fest aufeinander. "Du hast sie dir gewünscht, so sehr, so sehr! Ihr beide.. David und du..." Sprachlos klappte Roans Kinnlade runter. Und wieder einmal peitschten unendlich viele Fragen auf sein Gehirn ein.

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    • Irgendwas war hier falsch, aber daran hatte Gabriel auch keinen Zweifel gehabt. Warum das Ganze? Was, wenn es nicht Joel gewesen wäre, sondern spätestens seine Erinnerungen, wenn sie zurückkehrten? Madeline war sich irgendeiner Schuld bewusst, das sah jeder der Augen im Kopf hatte. Zum Glück konnte Roan sie daran hindern wirklich einfach zu verschwinden, denn der Blonde hätte sie nicht so einfach einholen können. Das hätte er auch nicht gewollt. Er wäre einfach nur mit einem Scherbenhaufen zurückgeblieben.

      Als sie beteuerte, dass Hope wirklich sein Kind wäre, atmete er tief durch und wandte seinen Blick nicht einen Moment von ihr ab. Er hatte sie sich gewünscht? Zusammen mit David? "Maddy.." Auch wenn Gabriel jedes Recht gehabt hätte wütend zu sein, war sein Mitgefühl für die Brünette weitaus stärker. Es war sicher nicht alles falsch, was man ihm und Roan erzählt hatte.
      Sanft ergriff er ihre Hand und zog sie auf seinen Schoß, um seine Arme um ihren Körper zu legen. "Ich.. weiß einfach nicht wo vorn und hinten ist.. Bitte.. hilf mir, Maddy...", bat er sie und legte sein Gesicht gegen ihre Schulter, wobei er seine Augen schloss. Sie war mit Sicherheit die einzige, die das Puzzle zusammenfügen konnte und hoffentlich auch wollte. "Sag mir bitte die Wahrheit, Maddy..", hauchte er leise. Seine Stimme klang sanft, aber auch verzweifelt.
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