The Hero and the Thief [Nao & Stiftchen]

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    • Ezra

      Der erste Wecker riss ihn aus einem Traum, an den Ezra sich schon nach wenigen Sekunden nicht mehr erinnern konnte. Er wusste nur noch, dass er irgendwie nett gewesen war und definitiv zu früh geendet hatte. Mit einem kleinen Seufzen schaltete er den Wecker aus und ließ sich zurück auf sein Kissen fallen. Einen Moment noch. Kurz durchatmen.
      Der zweite Wecker ließ nicht lange auf sich warten und war genau so schnell weggedrückt, wie der erste. Wenigstens erkaufte sich Ezra ein paar wertvolle Minuten, als Andrew ankündigte, dass er zuerst ins Bad gehen würde. Alles noch wunderbar im Zeitplan. Ezra brauchte meistens morgens eh nicht so lange - und sie fuhren nur zum Flughafen, wo die Hälfte der Anwesenden eh aussehen würde, als wären sie auf dem Weg zu einer Übernachtungsparty falsch abgebogen, da würde er kaum auffallen. Außerdem würde er jede Sekunde aufstehen. Jeden Augenblick. Ganz bestimmt. Auf jeden Fall. Direkt jetzt. In einer Sekunde.

      Ezra wusste nicht ganz, was ihn aufschrecken ließ - die fehlende Bettdecke, oder der Fakt, dass Andrew entschieden zu nah an ihm dran war - aber es war verdammt effektiv. Er blinzelte kurz irritiert, bevor er nach Andrews Handgelenk griff, bevor dieser sich dazu entscheiden könnte, fester zuzuschlagen. "Worte können nicht mal annähernd beschreiben, wie sehr ich dich gerade hasse", zischte er, während er sich aufsetzte, sich durch die Haare fuhr und einmal tief durchatmete. "Sorry. Guten Morgen."
      Ein kleiner Blick auf sein Handy verriet ihm, dass er noch knappe 15 Minuten über hatte, bevor sie los mussten. Sportlich, aber nicht unmöglich. Hoffte er zumindest. "Erinnere mich daran, nie wieder einen frühen Flug zu buchen", seufzte er, während er aufstand und sich an Andrew vorbei schob, um sich ein paar Klamotten aus seinem Kleiderschrank zu suchen und anschließend im Bad zu verschwinden.
      15 Minuten waren tatsächlich schneller rum, als es Ezra lieb war. Vor allem, weil ihm sowieso noch so viel im Kopf herumschwirrte, dass es ihm schwer fiel, sich zu konzentrieren. Als er ziemlich genau 16 Minuten später aus dem Bad kam - gekleidet in Jeans und einem einfachen Pullover - hatte er das ungute Gefühl, dass der Rest des Tages nicht viel besser laufen würde. Ein Gefühl, das sogar noch stärker wurde, als er nach seiner Reisetasche griff und bemerkte, dass es draußen zu regnen begonnen hatte.

      Sie hatten nur fünf Minuten Verspätung, als Ezra Andrew schließlich mit sich hinaus auf den Flur zog, die Reisetasche lässig über eine Schulter hängend, einen Regenschirm in der Hand.
      Adeline war offenbar damit beschäftigt, Liz regensicher zu machen. Mit mäßigem Erfolg. Wenigstens trug das Mädchen bereits Gummistiefel. Ada hielt kurz inne, um auf die Uhr zu schauen, bevor sie zu Ezra hoch sah. "Ihr seid überraschend früh dran. Ich hatte 20 Minuten Verspätung einkalkuliert."
      "Andrew ist ein sehr effektiver Wecker", antwortete Ezra mit einem kleinen Seufzen.
      Ada sah kurz von ihm zu Andrew, bevor sie sich sichtbar dafür entschied, einfach nicht weiter nachzufragen, während Liz fröhlich mit einem "Guten Morgen!" grüßte.
      Ezra zog dem Mädchen im Vorbeigehen spielerisch die Kapuze ihrer Regenjacke über den Kopf, bevor er nach ihrer Tasche griff, um die Hausaufgaben hinein zu stecken, die sie auf seinem Wohnzimmertisch liegen gelassen hatte. "Morgen, Sonnenschein."
      Liz lachte auf, während sie ihre Kapuze zurück schob.
      "Okay, alle bereit?" Ada sah kurz in die Runde, während sie die Autoschlüssel aus ihrer Tasche zog und erneut von Ezra zu Andrew sah. "Und ihr seid euch immer noch sicher, dass ihr wirklich fliegen wollt?"
    • Andrew

      Der feste Griff um sein Handgelenk weckte in Andrew Erinnerungen. Einige von Verfolgungsjagden mit Ezra und… andere. Er riss sich los. "Wenn ich gewusst hätte, dass du wie ein kleines Kind bist, das nicht zur Schule will, hätte ich auch gegen den Flug gestimmt", murmelte er.
      Als Ezra sich einen Regenschirm schnappte, fiel Andrew auf, dass das wohl das einzige Ding war, das er nicht eingepackt hatte. Fast nicht zu glauben, nachdem er sein ganzes Leben in England verbracht hatte. Bevor er daran dachte, den Blonden nach einem zweiten Schirm zu fragen, standen sie bereits im Gang. Andrew würde sein Schicksal also akzeptieren müssen, bis er sich irgendwo selbst einen kaufen konnte.
      Im Endeffekt sahen die beiden nicht aus, als würden sie zusammen gehören, als sie aus der Tür gingen. Andrew schleppte im schwarzen Anzug seinen altmodischen Koffer hinter sich her, als wäre er auf einer Geschäftsreise und Ezra musste nur noch Liz mit sich zum Flughafen zerren, um den "Tired Dad" Look zu perfektionieren. Tatsächlich hätte Andrew gar nichts dagegen die Kleine mitzunehmen, denn ein bisschen gute Laune konnte ihnen allen nicht schaden. Nach der ersten Freude des Ausgeschlafen-seins hatte ihn nämlich doch noch die ernüchternde Realität erwischt: Sie waren auf dem Weg nach Polen, ohne Garantie dort je wieder weg zu kommen. Nicht, dass in London noch irgendetwas war, das ihn hier hielt. Aber das machte es kaum weniger deprimierend.
      Sichtbar weniger motiviert als Gestern erwiderte Andrew auf Adelines Frage im Gehen einfach nur: "Wir haben die Tickets schon…" Das war kein ideales Argument um diese Reise anzutreten, aber es war das beste, das er gerade hervorzaubern konnte. Er stopfte sein Gepäck in den Kofferraum des Autos und setzte sich automatisch auf den Rücksitz.
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    • Ezra

      Ada nuschelte eine leise Antwort, von der Ezra nur 'Reiserücktrittsversicherung' und 'Idioten' aufschnappen konnte, was genug war, um sich den vollen Kommentar zusammen zu reimen und zu beschließen, das Thema einfach fallen zu lassen. Er verstaute seine Tasche im Kofferraum, bevor er sich neben Ada auf den Beifahrersitz fallen ließ. Liz setzte sich hinten neben Andrew auf ihren Kindersitz und begann fröhlich mit dem Fragenfeuer - was war seine Lieblingsfarbe, Lieblingszahl, Lieblingstier, Lieblingsfach in der Schule.
      Ezra musste sich zusammenreißen, um nicht zu lachen, während Ada neben ihm das Auto startete und sich in den trägfließenden Verkehr einfädelte. "Liz", stoppte sie ihre Tochter, als sie die erste Ampel erreichten. "Du musst den Leuten auch Zeit geben, auf deine Fragen zu antworten. So funktionieren Unterhaltungen nicht."
      "Aber ich hab so viele Fragen!", beschwerte sich Liz verzweifelt. "Und ich hab Angst, eine zu vergessen!"
      "Wenn du zwischendurch nicht Luft holst, wirst du ohnmächtig sein, bevor du die Antworten hörst", merkte Ezra an, während er sich in seinem Sitz zurücklehnte, bemüht, nicht wieder einzuschlafen. Was vielleicht gar keine so schlechte Idee wäre. Immerhin musste er sich im Schlaf nicht den Kopf darüber zerbrechen, wie absolut bescheuert ihr Vorhaben war.
      "Das stimmt nicht", antwortete Liz, bevor sie einen Moment später hörbar einatmete, um offenbar auf Nummer sicher zu gehen.
      "Sie ist nicht immer so energetisch", erklärte Ezra mit einem kleinen Grinsen auf den Lippen, während er Andrew über den Rückspiegel einen Blick zuwarf.
      "Mom sagt, ich rede sogar im Schlaf", merkte Liz fröhlich an, während sie mit ihren Beinen wippte.
      "So oft, dass es mir fast Sorgen macht", murmelte Ada, bevor sie an Andrew gewandt hinzufügte "Du musst ihre Fragen nicht beantworten, wenn du nicht möchtest. Sie fragt einfach gerne Leute aus, fürchte ich."
      "Moms Lieblingsfarbe ist blau, Ezra mag gelb. So weiß ich, worauf ich in meinen Bildern achten muss", erklärte Liz, als wäre es das Selbstverständlichste der Welt. Es war niedlich, irgendwie. Sollte Ezra je den Drang verspüren, seine Lebensgeschichte zu Papier zu bringen, wusste er zumindest, an wen er sich wenden konnte, um Fakten gegenzuprüfen. Er musste nur hoffen, dass Andrew sie ihm als Co-Autorin nicht streitig machte. Liz schien den Helden momentan zumindest klar zu bevorzugen. Sie sah wieder zu Andrew. "Also?"
    • Andrew

      Der Fragensturm überkam Andrew aus dem Nichts. So waren also normale Kinder, die kein merkwürdiges Interesse an Verbrechensaufklärung hegten? Tja, offenbar half ihm die Erfahrung im Umgang mit Serenas Tochter Sarah hier in keiner Weise. Ezras Kommentar sie solle nicht vergessen zu atmen, ließ ihn schmunzeln, aber als die Kleine tatsächlich nach Luft schnappte musste er lachen. Als stünde sie unter Strom!
      Dass Adeline meinte er müsste die Fragen nicht beantworten, kam ihm bis zu dem Moment nicht in den Sinn. Als würde Liz sonst jemals aufhören zu reden? Es wäre doch gemein, ihr Informationen über seine Lieblingsfarbe zu verweigern.
      "Mal sehen", sagte er und musste kurz überlegen, denn über die meisten ihrer Fragen hatte er seit bestimmt zwanzig Jahren nicht nachgedacht. "Meine Lieblingsfarbe ist Grün, glaube ich" Dabei orientierte er sich an den wenigen Pflanzen, die in seiner Wohnung standen. Ansonsten hatte er kaum Farbe in seinem Leben. Wortwörtlich. Und zu antworten, dass er Schwarz am liebsten hatte, konnte er ihr nicht antun. "Ich hab keine Lieblingszahl, aber bis jetzt hat mir Zahl 30 nicht gut getan", sagte er ehrlich. "Und ich bin ein Katzenmensch. Wenn ich ein Haustier haben könnte, dann wäre es eine Katze. Ezra hat mir von eurem Kater erzählt. Wenn ich zurück bin, will ich den definitiv mal sehen" Er grinste das Mädchen an. Dass es eine große Chance gab, dass er Meowgan nie treffen würde, blendete er komplett aus. "In der Schule hatte ich Englisch am liebsten. Und du?"
      Zumindest würde diese Autofahrt nicht langweilig werden und lenkte ihn schön von dem bevorstehenden Unheil ab. Ganz zu schweigen von der Frage, ob sie es überhaupt durch die Kontrolle am Flughafen schaffen würden mit den gefälschten Papieren.
      "Sag mal, kennst du ein Mädchen namens Sarah?", fragte er Liz irgendwann aus reiner Neugierde. Die beiden waren schließlich gleich alt und viele Grundschulen hatten sie hier nicht, also war es gut möglich, das die beiden miteinander zu tun hatten. Nachdem Sarah das einzige Kind war, das er kannte, war es nur eine Frage der Zeit gewesen, bis Andrew das ansprach.
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    • Ezra

      Für einen kurzen Moment sah Liz so aus, als hätte Andrew ihr soeben das größte Geheimnis der Welt verraten, statt nur seine Lieblingsfarbe und Unglückzahl. Der ernste Gesichtsausdruck wich zum Glück wieder einem breiten Lächeln, als Andrew über den Kater und sein Lieblingsschulfach redete. "Mom sagt immer, dass Meow der einzige im Haus ist, der einen schlimmeren Schlafrhythmus als Ezra hat", erklärte das Mädchen. "Ich mag Kunst am meisten."
      Der Themenwechsel kam derart schnell, dass Ezra nicht mal Zeit hatte, seinen eigenen Schlafrhythmus zu verteidigen. Aber es war süß, wie geduldig Andrew mit Liz umging. Niedlich auf eine Art und Weise, über die Ezra eigentlich gar nicht genauer nachdenken wollte. Nicht, wenn er die nächsten Tage und Wochen überleben wollte, ohne sich ständig selbst daran erinnern zu müssen, Andrew nicht in die Arme zu fallen. Er hatte schon genug damit zu tun nicht darüber nachzudenken, wie gut ein dunkles Grün zu Andrews Haaren passen würde.
      "Adams?", fragte Ada, an Stelle ihrer Tochter. "Ihre Mutter ist auch Heldin, richtig? Ich sehe sie ab und an morgens. Sie scheint nett zu sein?" Ihre Stimme hob sich am Ende des Satzes ein wenig, gerade so, als wäre sie sich selbst nicht sicher, ob sie ihre Aussage so stehen lassen wollte. Sie bog auf den Parkplatz der Grundschule ein und parkte.
      "Sarah mag rot, wie meine Haare", unterstützte Liz, während sie leicht an einer ihrer roten Locken zupfte. "Sie ist cool. Wir spielen manchmal zusammen. Ich hab sie noch gar nicht nach ihrer Lieblingszahl gefragt."
      "Kannst du ja heute nachholen", merkte Ezra an, während Ada kurz in den Regen hinaus sah, als müsste sie sich metal darauf vorbereiten auszusteigen.
      "Mach ich!", beteuerte Liz, während sie sich ihre Kapuze überzog und die Tür öffnete, als könnte sie kaum darauf warten, die Frage los zu werden, bevor sie sie wieder vergessen würde. "Viel Spaß im Urlaub!", wünschte sie.
      "Viel Spaß in der Schule", antwortete Ezra, während sich Ada einen Ruck gab und ebenfalls ausstieg, um ihre Tochter noch sicher bis zur Tür zu bringen.
      "Ich könnte schwören, dass Liz pures Koffein im Blut hat", seufzte Ezra, während er den beiden nachsah. Gott, würde er das in den nächsten Tagen vermissen. "Also. Keine Lieblingszahl? Ich bin fast ein bisschen enttäuscht, Andrew." Er grinste, während er sich im Sitz umdrehte, um Andrew einen gespielt entrüsteten Blick zuzuwerfen. Wenigstens fühlte er sich mittlerweile etwas wacher.
    • Andrew

      „Wir arbeiten… zusammen“, bestätigte Andrew, war jedoch unsicher ob er Ada auch noch die Information über seine Kündigung zumuten wollte. Er beließ es bei der Antwort. Serena war nett, ja, wenn man ihr ihren Willen ließ. Auch wenn sie sich immerzu durchsetzen wollte, war sie aber eine sehr zuvorkommende, fürsorgliche Person. Man musste es sich eben verdienen, diese Seite an ihr kennenzulernen.
      „Bis bald“, verabschiedete er sich mit einem Lächeln von Liz und hoffte wirklich, dass er sie nicht zum ersten und letzten Mal gesehen hatte.
      „Ich frage mich, warum ich nicht so drauf bin nach der vierten Tasse Kaffee“, murmelte er Ezra entgegen. Mittlerweile war Koffein eher das, was ihn davor bewahrte, an Narkolepsie zu leiden. Es machte ihn zu einem halbwegs intakten Menschen, aber definitiv nicht so aufgeputscht wie Liz.
      „Hast du eine Lieblingszahl?“, schmunzelte er als der Blonde sich zu ihm drehte.

      Am Flughafen angekommen fiel es Andrew schwer, aus dem Auto zu steigen. Als hätte man Steine an seine Füße gebunden. Und ebenso war der Weg zum Check-In eine Qual. Ihm gingen die Sorgen nicht aus dem Kopf, dass sie eher im Gefängnis landen würden als in Polen. Wobei Ezra und er recht gute Chancen hatten, zu fliehen, wenn es doch dazu kommen sollte, dass sie erwischt wurden… Wenn sie etwas konnten, dann laufen.
      „Du hast die Pässe, ja?“, fragte er nun zum dritten Mal, immer noch mit nervöser Stimme. „Ich brauch einen Kaffee bevor wir zum Gate gehen. Und was zu essen. Gott, mir ist schlecht“ Es war offiziell, Andrew war für das kriminelle Leben nicht geeignet.
      „Hast du Kaugummi? Ich hab vergessen, Kaugummi einzupacken“, jammerte er, als wäre es der Weltuntergang. „Denkst du, man kann hier Kaugummi kaufen?“ Aus dem Nichts kam noch eine weitere Sorge auf: „Gibt es sowas wie Seekrankheit auf Flügen?“ Dass er bisher nie in einem Flugzeug gesessen war, machte die Situation nicht besser.
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    • Ezra

      "Elf", antwortete Ezra mit einem kleinen Grinsen. Die Zahl schien sich durch sein Leben zu ziehen - die Uhrzeit, um die er Mittwochs in Häuser einstieg, Liz' Geburtstag, sein bisher größter Einbruch und wenn er sich richtig erinnerte, hatte er Andrew im November kennen gelernt. Alles drehte sich immer um die Elf. Obwohl er sich selbst nicht sicher war, ob sich das wirklich als 'Lieblingszahl' klassifizieren ließ, oder einfach nur als 'Akzeptanz des Schicksals'. Vielleicht wäre letzteres besser. Zumindest hätte er dann schon mal Übung darin, sich mit seinem drohenden Schicksal in Polen abzufinden.

      Die restliche Fahrt verlief überraschen ruhig. Ada summte ab und an nervös die Lieder im Radio mit, während Ezra sich auf die Unterlippe biss und versuchte, nicht an die nächsten Stunden zu denken. Die Verabschiedung fiel überraschend kurz aus, eine kleine Umarmung, eine Erinnerung daran, sich mal zu melden und schon saß Ada wieder im Auto, während Ezra sich zurückhalten musste, um nicht doch wieder mit einzusteigen. Zum Glück schaffte es Andrew sehr effektiv, ihn auf andere Gedanken zu bringen.
      "Andrew." Ezra stoppte und legte seine Hände auf Andrews Schultern. So nah konnte er sein Aftershave bei ihm riechen. Was überraschend interessante Dinge mit seinem Kopf anstellte. Er ließ Andrew wieder los, bevor die Gedanken in eine zu...ungewollte Richtung driften konnten. "Alles wird gut. Chill. Man könnte ja fast meinen, dass du sowas zum ersten Mal machst." Er zwinkerte ihm grinsend zu, bevor er Andrews Pass aus seiner Jackentasche zog und ihm entgegen hielt. "Alles, was du tun musst, ist nett lächeln." Hoffte er zumindest. Bisher hatten seine gefälschten Papiere zumindest immer wunderbar funktioniert, aber er war noch nie geflogen. Würde schon gut gehen. Das war zumindest nicht der Part, über den er sich die größten Sorgen machte.
      "Wir sind noch im Zeitplan. Es gibt hier sicher irgendwo eine Apotheke mit etwas gegen Reiseübelkeit und genug Bäckereien, dass du deinen Kaffee bekommst. Aber lass uns erst die Koffer loswerden." Der Teil sollte zumindest einfach genug sein. Vielleicht sollten sie die Bäckerein auch überspringen und Andrew direkt eine Flasche Vodka besorgen. Zugegeben, ganz wohl war Ezra auch nicht bei dem Gedanken zu fliegen, aber - hey, das Flugzeug war das sicherste Transportmittel der Welt, nicht? Es würde schon alles irgendwie gut gehen. Vorausgesetzt, Andrew würde nicht in Tränen ausbrechen, sobald ihn jemand ansprechen würde.
    • Andrew

      Ezras Hände auf seinen Schultern und die Nähe seines Gesichts brachten seinen Panikschub zu einem abrupten Stopp. Er atmete tief durch und richtete nervös sein Jackett als der Blonde von ihm abließ. "Gut", seufzte er. "Lächeln"

      Andrew hielt sich mit nur einem Kaffee wirklich zurück, er hatte eben keine Lust eine Flugzeugtoilette zu benutzen. Er bekam schon Platzangst, wenn er nur an die Bilder aus Filmen dachte. Den Teil mit dem Lächeln hatte er aber wieder vergessen sobald es tatsächlich zur Kontrolle kam. Die Pässe wurden mit einem stumpfen Nicken akzeptiert. Damit fiel Andrew ein riesiger Stein vom Herzen und er hatte plötzlich wieder das Gefühl, vollständig einatmen zu können. Der Mann der ihn daraufhin beim Security Check abtastete, war äußerst gründlich und Andrew befürchtete schon, dass er Hintergedanken hatte, aber was wusste er schon. Schließlich war er zum ersten Mal in der Flughafenkontrolle. Im Endeffekt war ihm nach der Passkontrolle auch schon alles egal. Er musste die Nacht mit größerer Wahrscheinlichkeit nicht im Gefängnis verbringen, als vorher. Naja, es gab noch genug Chancen, dort zu landen, aber er war ein bisschen positiver gestimmt.

      Das Flugzeug war kleiner als gedacht, scheinbar war die Verbindung von London zu Warschau nicht unbedingt die beliebteste. Es gab zwei Reihen, links und rechts, mit jeweils zwei Sitzplätzen, also waren Ezra und Andrew ungestört. Gut, denn so konnten sie im Flüsterton ihre Panikgedanken austauschen. Wenn Andrew vor Erschöpfung von dem Stress nicht einfach einschlief, denn langsam merkte er, wie er mitsamt Erleichterung nach der Passkontrolle auch müder wurde.
      Er quetschte seine schwarze Reisetasche in das Gepäckfach und ließ sich dann neben dem Fenster auf dem Sitz fallen. Er sah zu Ezra hoch, bevor dieser sich setzte. "Sorry, willst du ans Fenster?", fragte er. Diese gewöhnliche Frage warf ihn auf einmal komplett aus dem Konzept. Es war beängstigend, wie normal es auf ihn zu wirken begann, dass sie beide so viel Zeit miteinander verbrachten.
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    • Ezra

      Ezra war fast ein wenig stolz darauf, dass Andrew nicht in Tränen ausgebrochen war. Zumindest bis jetzt noch nicht. Aber der kriminelle Part dieser Reise war so gut wie durch und danach würden sie zurück in ihre Ermittlungen fallen, wo sich Andrew hoffentlich wohler fühlen würde. Obwohl Ezra sich nicht sonderlich sicher war, auf welchem legalen Grad sie sich damit befanden. Immerhin handelten sie aus freien Stücken heraus, offensichtlich gegen den Willen des Ministeriums, aber es war generell nicht verboten, sich nach außergewöhnlichen Steinen zu erkundigen, nicht? Sie mussten nur hoffen, keine weitere Drohung zu erhalten.
      "Oh, nein, Gang ist super. Wir können ja auf dem Rückflug die Sitze tauschen. Vorausgesetzt, wir zerstreiten uns bis dahin nicht." Alle anderen Möglichkeiten, weshalb es nicht zu einem gemeinsamen Rückflug kommen könnte, blendete Ezra geschickt aus, während er sich auf seinen Sitz setzte und den Blick über die anderen Passagiere schweifen ließ, die einstiegen und ihre jeweiligen Sitze suchten. Die Sitzreihen waren schmal, er saß fast Schulter an Schulter mit Andrew. Vielleicht wäre es schlauer gewesen, zwei unabhängige Sitze zu buchen.
      "Wie sieht eigentlich unser Plan aus?", fragte er schließlich, während die Stewardess auf die Notausgänge deutete, einfach, um sich selbst irgendwie abzulenken. Alles hier widersprach im Grunde seiner üblichen Vorgehensweise - normalerweise erkundigte er sich eingehend über sein Ziel, bevor er einen Plan schmiedete, einzubrechen und diesen dann mit mehreren Notfallplänen unterfütterte. Sich spontan in einen Flieger zu setzen und loszuziehen, ohne wirklichen Plan, wie man vom Startpunkt an das Ziel kam, machte ihn nervöser, als er zugeben wollte. "Stellen wir unsere Koffer im Hotel ab und machen uns dann auf die Suche nach dem Stein? Oder sehen wir uns erst mal Warschau an und entwickeln einen tatsächlichen Plan?", fragte er leise. Vielleicht etwas zu leise, gemessen daran, dass die Maschinengeräusche aktuell alles übertönten, während das Flugzeug ein paar Meter über den Asphalt rollte und schließlich zum Abflug ansetzte.
      Fliegen war ein seltsames Gefühl und Ezra war sich nicht sonderlich sicher, ob er es mochte. Flugzeuge sind sicher, erinnerte er sich selbst, während er versuchte, sich die Anspannung nicht anmerken zu lassen. Gewohnheitsgemäß wollte er mit seinem Ring spielen, nur, dass selbiger in seiner Reisetasche war - Steine waren in Flugzeugen nicht zugelassen. Wundervoll. Er zupfte stattdessen am Ärmel seines Pullovers. Es waren nur zweieinhalb Stunden. Im Regen. Würde schon alles glatt gehen.
    • Andrew

      "Hotel. Und danach suchen wir uns ein Restaurant. Mit Hunger kann ich nicht arbeiten. Dann überlegen wir uns, wie wir… Kenneth Brown erklären, dass wir seinen Stein brauchen. Es sei denn, du traust dir zu das Ding zu stehlen" Während er sprach wanderte sein Blick zu Ezras Fingern, die an seinem Pullover herum zupften. Eine Geste, die Andrew von ihm nicht kannte. "Alles in Ordnung?", fragte er ihn in leichter Besorgnis. Wenn Ezra jetzt auch noch ausflippte, waren sie beide zu nichts mehr zu gebrauchen. Immerhin war er gerade Andrews Anker, um nicht den Verstand zu verlieren.

      Der Gedanke, Kenneth Brown den Stein abnehmen zu müssen, stresste Andrew ungemein. Ersten… wie zum Teufel sollten sie es anstellen, jemanden zu bestehlen, der eine Superwaffe hatte? Freiwillig würde er sie kaum heraus rücken, wenn er sogar das Land verlassen hatte um das Ding zu behalten. Also… Erpressung? Und mit was erpresste man jemanden, den man nicht kannte? Vielleicht mussten sie ihn erst einmal beschatten.
      Aber, viel wichtiger, was tun, wenn sie den Stein erst einmal hatten? Sie würden ihn kaum unbemerkt zurück nach London schaffen können und Andrew hatte keine Lust sein Leben der Aufgabe zu widmen, in Polen einen Stein zu behüten. Also… ihnen blieb eigentlich bloß die Möglichkeit, herauszufinden, von wo Kenneth den Stein gestohlen hatte und mit diesen Leuten Kontakt aufzunehmen. Dann hieß es hoffen, dass sie dankbar genug waren um Ezra und ihn nicht anzuzeigen oder direkt einsperren zu lassen. Genau aus dem Grund wäre es keine gute Idee, sich beim Dezernat zu melden. Außer… Andrew arbeitete nochmal ordentlich an seinem Charme.

      Da es regnete und das Wetter auch weiter zuzog, verspätete der Flug sich ein wenig. Irgendwo in der Luft gab es eine holprige Stelle, die Lichter flackerten, aber nichts passierte. Sie flogen bloß einen kleinen Umweg und würden später landen als gedacht. So wenig Andrew das störte, schien Ezra nicht glücklich über die Schwierigkeiten.
      Im Flugzeug war es still, mittlerweile schliefen einige Passagiere und auch Andrew war müde, doch irgendwie machte er sich Sorgen. Er neigte den angelehnten Kopf zur Seite und murmelte zu Ezra: "Hey, die Chance abzustürzen liegt etwa bei Eins zu Hundertachtzigtausend" Er schmunzelte. "Ja, ich hab das gegoogelt, bevor wir eingestiegen sind. Jedenfalls sind wir vielleicht Pechvögel, aber es gab riskantere Punkte in unseren Leben, an denen wir draufgehen hätten können" Irgendwie hoffe er, dass er Ezras Körpersprache nicht komplett falsch deutete und sich gerade zum Affen machte, indem er ziemlich offen zugab, dass er sich um ihn sorgte.
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    • Ezra

      Interessanterweise konnte Ezra nicht geradeheraus sagen, ob er es sich zutrauen würde, den Stein zu stehlen. Nicht, wenn es so viele unbekannte Variablen gab. Wenn es nur um sein Können ging, würde er es sich tatsächlich fast zutrauen - aber hier steckte weitaus mehr dahinter. Sie wussten nicht mal genau, was der Stein konnte, wie er bewacht wurde und ob Kenneth Brown am Ende nicht vielleicht ein super netter und einsichtiger Typ war, der ihnen problemlos helfen würde. Außerdem müsste er mit seinem bisherigen Trend brechen und wieder einen Stein stehlen und alles in ihm sträubte sich dagegen. Wenn es keine 'Leben oder Apokalypse' Situation wäre, wäre er sogar ziemlich froh darum gewesen, nie in die Nähe des Steins zu müssen. Außerdem war er sich nicht ganz sicher, ob Andrew einen Diebstahl tatsächlich gutheißen würde. Was ihm egal sein könnte, weil seine Meinung eh nicht wichtig war, oder?

      Glücklicherweise konnte Ezra sich in den nächsten Minuten mit einem vollkommen anderen, viel netteren Problem beschäftigen - es wäre vollkommen irrelevant, ob sie den Stein stehlen würden, oder nicht, wenn er vorher an einem Herzinfarkt sterben würde.
      Offensichtlich vertrug er Fliegen noch weniger, als Achterbahn fahren. Jedes kleine Luftloch ließ ihn kurz erstarren und er war sich ziemlich sicher, dass er nur wenige Sekunden davon entfernt war, den Saum seines Pullovers aufzureißen. Er wusste nicht, ob die Tatsache, dass Andrew seine Anspannung auffiel, es besser oder schlechter machte.
      "Kannst du mir einen Gefallen tun und den Satz auf meinen Grabstein schreiben lassen?", fragte Ezra, während er sich zwang, seinen Ärmel loszulassen, bevor er tatsächlich die Naht aufreißen würde. Es war seltsam niedlich, dass Andrew offenbar versuchte, ihn irgendwie zu beruhigen und verdammt seltsam, dass es irgendwie funktionierte. Wahrscheinlich half es einfach, zu reden, statt nachzudenken.
      Ezra öffnete gerade den Mund, um das Gespräch nicht abreißen zu lassen, als die nächste kleine Turbulenz das Flugzeug ein wenig absacken ließ und er reflexartig nach Andrews Handgelenk griff. Es dauerte ein paar Sekunden, bevor Ezra realisierte, was er tat und er Andrews Handgelenk wieder los ließ. "Oh. Sorry." Getrennte Sitze. Beim nächsten Flug würde es getrennte Sitze geben. Oder er ließ Andrew fliegen und nahm die Bahn.
      Ezra überspielte die Situation mit einem kleinen Räuspern. "Gibt es noch irgendwelche anderen Flug-FunFacts, die dir beim Googeln ins Auge gesprungen sind?"
    • Andrew

      Der kleine Griff nach Andrews Handgelenk stellte sich als kurzer Schock heraus, aber nicht unbedingt im negativen Sinne. Wichtiger war allerdings, dass Ezra aussah, als würde er wirklich gleich alle Nerven verlieren und das konnten sie beide nicht gebrauchen. Außerdem verspürte er einen ganz seltsamen Anflug eines Beschützerinstinkts, den er vorher nie in sich selbst vermutet hätte.
      Er ignorierte die Entschuldigung und atmete einmal durch, bevor er beiläufig nach Ezras Hand griff, sie auf der Sitzlehne platzierte und seine eigene darüber legte. "Uh, ja, man verliert durch die trockene Luft im Flugzeug eine Menge Wasser im Laufe des Flugs, also sollte man viel trinken", meinte er und nahm seinen vollen Becher Wasser mit der freien Hand und drückte ihn Ezra entgegen.
      "Also, Austrocknen… Abstürzen… was gibt es noch", murmelte er gespielt nachdenklich. "Ah! Die Luft draußen hat um die -55 Grad, also hoffen wir einfach, dass die Fenster keine Fehlfunktionen haben. Sonst ist erfrieren auch eine Option" Er schmunzelte, warf Ezra dann aber einen entschuldigenden Blick zu. "Tut mir leid. Aber ich bin sicher, dass wir noch lange genug leben werden um an der Apokalypse zu sterben" Er lachte leise. Zu gemein? Naja, er konnte Ezra gerade kaum tief in die Augen sehen und ihm erklären, dass alles gut werden würde, wenn er bereits seine Hand hielt. Das wäre zu viel des Guten. Ein bisschen Mobbing musste für den Ausgleich sein. Außerdem musste er sich selbst von der Tatsache ablenken, dass er gerade seine Hand hielt. Kam es ihm nur so vor oder driftete ihre Beziehung in eine merkwürdige Richtung ab? Nein, es war bestimmt nur Einbildung und seine einsame Seele, die zu lange eine Beziehung mit seinem Job geführt hatte. In gewisser Weise schloss das Ezra mit ein, also konnte dieser Trip nur eigenartige Gefühle auslösen. Trotzdem… jeder kleine Windstoß, der ihm den speziellen Geruch seines Aftershaves in die Nase blies, löste sehr eigenartige Gefühle aus. Ob der Blonde es mittlerweile auch bemerkt hatte? Dass er es nicht angesprochen hatte würde jedenfalls nicht zur Besserung der Situation beitragen. Immerhin hatte Andrew gehofft, daraus einen Witz machen zu können. Das war der einzige Grund, weshalb er die Schränke heute Früh danach durchsucht hatte! Denn wenn es kein Witz war… was war es dann?
      Er knirschte leicht mit den Zähnen. Als eine Stewardess vorbei kam und Snacks anbot, nahm er sofort dankbar eine Packung Nüsse an. Mit der Hand, die auf der Lehne platziert gewesen war. Was für ein geschmeidiger Ausweg.
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    • Ezra

      Andrew hatte sich sicher viel Mühe damit gegeben, die ganzen Fakten rauszusuchen, leider hätte er sich das ganze nur sparen können. Ezras Hirn schaltete in dem Moment ab, in dem Andrews Hand über seiner lag. Immerhin war damit schlagartig die Flugangst aus seinem Kopf raus - nur halt auch so ziemlich jeder andere Gedanke, den er je hatte. Fast mit Andrew in einem Flugzeug Händchen zu halten hatte definitiv nicht auf seiner Bingo-Karte gestanden. Er wusste nicht ganz, ob er das Wasser, das Andrew ihm in seine freie Hand drückte, trinken, oder sich selbst über den Kopf schütten sollte, nur um zu testen, ob das hier wirklich gerade real war.
      Er entschied sich dazu, beinahe mechanisch an dem Wasser zu nippen, während er sich Mühe gab, Andrew irgendwie zuzuhören. Er wusste nicht ganz, was er fühlen sollte, als Andrew seine Hand wieder wegzog, um nach den Snacks zu greifen, die die Stewardess verteilte. Einerseits war Ezra froh, dass sie wieder ein bisschen Abstand zueinander hatten, andererseits hatte er das dringende Bedürfnis, wieder nach Andrews Hand zu greifen, unabhängig von seiner Flugangst - was das ganze noch sehr viel schlimmer machte.

      Zum Glück kam niemand auf dem Flug ums Leben. Das Flugzeug landete, ohne Absturz und ohne, dass ein Fenster ausfiel, oder jemand spontan dehydrierte. Ezra war dermaßen froh, aus dem Flugzeug raus zu sein, dass er sich nicht mal an der Zeit störte, die sie damit verbrachten, auf ihre Koffer zu warten, oder über die ausgesprochen langsamen Menschenmassen, die sich ihren Weg nach draußen bahnten. E war ihm auch vollkommen egal, dass sie den Regen offenbar direkt von London nach Warschau mitgenommen hatten.
      "Wenigstens fühlt man sich bei dem ganzen Regen direkt wieder, wie zuhause. Hast du die Adresse vom Hotel im Kopf?", fragte er, Andrew, während er seinen Regenschirm aufspannte und über sie beide hielt. Wieder viel zu nah, aber selbst daran störte er sich nicht. Alles war besser, solange er festen Boden unter den Füßen hatte. "Ich glaube, ich habe da drüben eben das Zeichen für Taxis gesehen." Er nickte kurz in die entsprechende Richtung, in der Hoffnung, dass die Taxifahrer genug Englisch verstehen würden, um sie an ihr Ziel zu bringen. Obwohl das an einem Flughafen gar nicht so unwahrscheinlich wäre, oder? Immerhin waren sie sicher nicht die einzigen Reisenden, die kein Polnisch sprachen.
    • Andrew/Jack

      Das Doppelbett.

      Andrew nickte auf die Frage nach der Hoteladresse. Er hatte sich die dämliche Adresse auswendig gemerkt, aus purer Angst er könnte sein Handy verlieren oder sonst irgendwie darauf angewiesen sein, eine Stadtkarte auf Polnisch lesen zu müssen. Außerdem hatte er vorbildlich im Laufe des Tages versucht, einige Worte zu lernen oder hier am Warschauer Flughafen aufzuschnappen. Leider war Polnisch die letzte Sprache, die er sich aussuchen würde, wenn er eine neue lernen wollte. Mal ehrlich, konnte man die Aussprache von Worten noch komplizierter machen?
      Sie gingen zu einem Taxi, Andrew versuchte sofort über das Fenster zu kommunizieren, das der Fahrer langsam herunter ließ. "Hallo, entschuldigen Sie bitte, äh- Adres… Krakowskie Przedmieście 15/a, proszę?" Andrew betete, dass seine Aussprache zumindest zuließ, dass der Mann im Auto den Straßennamen entziffern konnte, den er ihm gerade gegeben hatte. Zum Glück nickte der Typ, stieg aus und half ihnen die Koffer zu vertrauen, bevor sie einstiegen. Im Auto erklärte er Ezra stolz: "Ich sichere unser Überleben, mach dir keine Sorgen"

      Warschau war eine interessante Stadt. Zum Teil sahen europäische Hauptstädte alle irgendwo… gleich aus. Es gab eine Altstadt mit haufenweise Gebäuden, die mehr oder weniger aus dem Mittelalter teleportiert worden waren, einige Einkaufsmeilen und Wohngebiete… So viel wusste er zumindest dank des Internets. Er hatte es sich jedenfalls spektakulärer vorgestellt.
      Online hatte Andrew nicht wirklich Vielversprechendes finden können, als er sich über Hotels informiert hatte. Alle Rezensionen waren auf polnisch gewesen und naja… er hatte nicht alle Zeit der Welt gehabt. Also hatte er sich auf einen englische Reiseführer einer merkwürdigen Internetseite verlassen, der ein billiges kleines Hotel auf der großen Einkaufsmeile "Krakowskie Przedmieście" empfohlen hatte. Zumindest hätten sie es nicht weit zu Kenneth's Adresse und sie hatten eine Menge Restaurants und Touristenattraktionen vor der Haustüre. Wie schlimm konnte es sein?

      Sehr schlimm.
      Wovor die Internetseite nicht gewarnt hatte, war, dass Hausfassaden in Warschau das Auge täuschten. So hübsch die kleine Boutique unter dem Wohnhaus auch sein mochte, so erschreckend war das Gebäude von innen, sobald man die ächzenden, hundert Jahre alten Treppen hinauf ging. Und verdammt… das waren viele Treppen. Kein Aufzug, nur Treppen. Wobei ein Aufzug hier drin wohl ihr Tod gewesen wäre.
      Andrew verlor irgendwann die Stockwerkzahl aus den Augen, aber es mussten etwa sechs gewesen sein. Eine alte Frau stand oben am Empfang – oder besser gesagt hinter einem uralten Holztisch, auf dem eine merkwürdige silberne Klingel platziert war und daneben ein Sparschwein mit dem Wort "wskazówka" aufgeklebt. Andrew zog sich zuerst den Mantel aus und versuchte nicht an einer Hitzeattacke zu sterben, bevor er sich an die Dame wandte. Er kam nicht umhin die gruseligen altmodischen Bilder von Soldaten an den Wänden zu bemerken.
      "Äh… Przepraszam… Wir haben reserviert unter "Swan"? Rezerwacja?", fragte er unsicher und sah sich kurz um. Sie standen in einer Art Flur, links und rechts gingen 3 bis 4 Zimmer ab, wie in einer zu groß geratenen Wohnung. Die Wände waren mit löchrigen, beige gemusterten Tapeten beklebt. Ihm schauderte es beinahe.
      "Ahh, tak, tak. Chodź. Tutaj. Pokój numer trzy.", krächzte die Frau ihm entgegen und hielt einen kleinen Schlüssel hoch. "Drei. Nummer drei", wiederholte sie mit schwer verständlichem Akzent und deutete von ihr aus nach rechts. Andrew folgte mit dem Blick. Dann lächelte er leicht und sagte: "Dziękuję", bevor er den Schlüssel nahm, Ezra kurz einen verzweifelten Blick zuwarf und sich zum Zimmer schleppte. Er sperrte auf. Siehe da… ein Doppelbett.
      "Wunderbar", sagte Andrew. Er hatte bereits mit allem gerechnet. Er ließ Koffer und Tasche leicht genervt fallen und zückte sein Handy um mit Übersetzer zu arbeiten. Die Lady hatte entweder ein anderes Zimmer frei oder ein Klappbett übrig, sonst flogen hier gleich die Fetzen.
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    • Ezra

      Er konnte nicht anders, als kurz zu lächeln, als Andrew das Kommando übernahm und ihnen ein Taxi sicherte. Irgendwie war es schön, ihn wieder voller Tatendrang zu sehen, im Gegensatz zu dem angespannten Drama der letzten Tage und vielleicht war es der langsam absackende Adrenalinpegel aus dem Flugzeug, der seinen Kopf ein wenig durcheinander brachte, aber - Ezra merkte, wie er selbst ebenfalls ein wenig Anspannung verlor.
      Warschau war eine nette Stadt - optisch nicht viel anders, als London, aber es gab subtile Unterschiede, die es in etwas vollkommen eigenständiges verwandelten. Obwohl Großstädte am Ende des Tages einander immer irgendwie ähnlich sahen. Wahrscheinlich wären die Unterschiede größer, wenn sie ins ländliche Umland gefahren wären, aber…das hier war kein Urlaub. Sie waren nicht zum Sightseeing hier. Sie hatten eine Aufgabe und würden danach direkt nach Hause fahren. Außer, sie würden noch ein paar Tage dranhängen. Um Spuren zu verwischen, oder…sowas.


      Ezras Träumereien nahmen ein jähes Ende, als sie das Hotel erreichten. Es gab Dinge, die durch ihr Alter irgendwie charmant wurden, wie Burgen, oder Fachwerkhäusern. Und dann gab es Gebäude, die mit dem Alter aussahen, als wären sie als Filmset für einen Psycho-Horror Streifen gedacht gewesen. Gott sei Dank waren sie keine weiße heteronormative Kleinfamilie.
      Ezra hielt zwei knarzende Treppenabsätze aus, ehe seine anerzogene Paranoia die Oberhand gewann und er seinen Stein nutzte, um sich selbst stumm zu stellen. Was den netten Nebeneffekt hatte, dass Andrew es nicht hören konnte, als sein Atem wegen den vielen Stufen deutlich kürzer wurde. Zwei Wochen keine nächtliche Verfolgungsjagd und schon war er außer Form.
      Aus dem selben Grund war er überaus dankbar, dass Andrew das Reden übernahm. Kurze Trips zurück zum Zimmer schienen sich auf jeden Fall schon mal erledigt zu haben. Ezra schob die Ärmel seines Pullovers hoch, während er die fragwürdige Inneneinrichtung betrachtete. Er hatte nichts gegen Männer in Uniform, aber die Bilder an den Wänden waren definitiv nicht sein Stil. Genau so, wie die Tapete und der Teppich. Vielleicht war er deshalb Dieb und nicht Hotelier geworden.
      Aber hey! Es gab offenbar noch Luft nach unten!
      Ezra blinzelte kurz irritiert, als er das Zimmer sah. Mit nettem Doppelbett, das nicht so aussah, als ob man es einfach in der Mitte auseinanderschieben konnte. War das Andrews Sinn für Humor, oder hatte er ihre Beziehung entschieden falsch eingeschätzt? Er hoffte auf ersteres. "Weißt du, eigentlich warte ich immer mindestens bis zum zweiten Date, bevor-" Ezra stoppte sich selbst mit einem kleinen Lachen, als Andrew entnervt zum Ausdruck brachte, dass er mit der Situation offenbar genauso unzufrieden war. "Und ich war gerade noch so beeindruckt von den paar Fetzen Polnisch, die du kannst", seufzte er theatralisch, während er sich gegen die Tür lehnte. "Hast du was dagegen, wenn ich die Fotos entwende, während du mit der netten Dame am Empfang redest? Ich hab das Gefühl, dass die Typen aus dem Foto Nachts rausklettern und über die Flure wandeln. Ich wusste gar nicht, dass du was für Horror über hast."
    • Andrew

      "Wenn du dabei bist, kannst du gleich die Tapeten von den Wänden reißen", murmelte Andrew während er konzentriert ein paar Sätze in sein Handy eintippte, die hoffentlich am anderen Ende richtig auf Polnisch herauskommen würden. Als er fertig war, stampfte er zurück zur Empfangsdame.
      "Przepraszam", sagte er laut das einzige Wort, an dessen Bedeutung er keine Zweifel hatte. Die Frau sah von ihrem Telefonbuch auf und lächelte. Andrew zeigte auf sein Handy, dann hielt er ihr den Bildschirm vor die Augen bevor er auf das kleine Sprachsymbol tippte und eine charmante weibliche Roboterstimme das Reden übernahm.
      "Andere Zimmer hat? Uns braucht zwei Mal Einzelbetten, bitte sehr. Ich reservierte nicht so. Oder haben Sie Klappbett?"
      Andrew setzte sein freundlichstes Lächeln auf, aber er bekam nur ein Stirnrunzeln zur Antwort. Die Frau schien zu überlegen, was sie darauf antworten sollte und der Ex-Held zweifelte langsam an seinem Übersetzer.
      "Nicht verheiratet?", fragte sie mit ihrem irritierenden Akzent. "Anderer Mann… Pierścień… uhm… Ring? Haben Sie keinen?" Sie beugte sich etwas vor, vermutlich um einen Blick auf Andrews Hände zu erhaschen. Zu ihrer Enttäuschung war Ezras Ring ein Einzelexemplar.
      Andrews Augen weiteten sich während er sprachlos ihren Blick zu fangen versuchte. Er schüttelte langsam den Kopf. "Betriebsreise", sagte er langsam. War das ihr Ernst? Hatte sie das dämliche Zimmer spontan ausgesucht, anstatt sich irgendwas von ihrem Telefonat heute Früh vorzumerken? Die Dame lachte. Andrew lachte etwas gezwungen mit.
      "Kein Zimmer", sagte sie, lachte nochmal und gestikulierte ein "X" mit ihren Zeigefingern. "Nic darmowego. Nichts frei. Kein Bett"
      Andrew schluckte den plötzlichen Zornausbruch herunter, der ihn fast überkam. Kein Zimmer? Und wenn er hier mit seinem Opa angekreuzt wäre, hätte sie dann auch darauf gesetzt, dass sie verheiratet waren?!
      Er grinste kurz, dann drehte er sich um und seine Gesichtszüge fielen in sich zusammen wie ein Kartenhaus. Übrig blieben ein Haufen Stirnfalten, die sich beim erneuten Anblick des winzigen Zimmers zu vermehren schienen.
      "Ich hasse Polen", fauchte er und kickte seine Reisetasche in den Raum. Es wäre schön, wenn er von sich behaupten könnte, normalerweise entspannter in solchen Situationen zu reagieren, aber wenn man konstant unter Druck stand, gab es so etwas wie Gefühlskontrolle nicht mehr. Wenn er in den nächsten fünf Minuten nichts zu Essen bekam, würde er sich in einen meckernden Dämon verwandeln, wenn es nicht bereits zu spät war. Der Anblick des Doppelbetts verkürzte diese Zeitspanne eher. Das eigentliche Problem hier war, dass für Andrew seit zwei Wochen wirklich alles schief zu laufen schien. Er hatte anscheinend die Pechsträhne seines Lebens erreicht. Was ihm recht spät auffiel, war das andere Problem, das dieses Zimmer aufwarf. Vor ihm stand nicht nur ein Doppelbett, das er mit Ezra auf unbestimmte Zeit teilen musste. Es war winzig. Es war die kleine Schwester eines Doppelbetts, die sogar von den Einzelbetten verarscht wurde.

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    • Ezra

      Scherz? Kein Scherz? Ezra wartete immer noch auf die Pointe, den Moment, in dem Andrew zugeben würde, dass er ihn nur aufzog und ihm einen zweiten Zimmerschlüssel in die Hand drücken würde. Aber der Moment kam nicht. Stattdessen ging Andrew tatsächlich, um nochmal mit dem Empfang zu reden. Kein Scherz, also. Mhm. Fuck.
      Ezra nutzte den Moment, um sich selbst abzulenken und den Rest des Zimmers zu betrachten. Es war klein, außer dem Bett, einem Schrank und einem schmalen Tisch mit zwei Stühlen gab es keine Einrichtung. Das angrenzende Bad war ebenso spartanisch gehalten, mit einer kleinen Dusche, die aussah, als würde sie einfach so zum Spaß ab und an automatisch auf kaltes Wasser umschalten. Insgesamt konnte man sich das Zimmer bestimmt irgendwie schön quatschen, wenn man wollte. Vielleicht war die Enge ja auch irgendwie genütlich. Wenigstens war der Ausblick aud dem kleinen Fenster nett? Und es gab hier drin keine fragwürdigen Bilder. Aber keiner von den drwi spärlichen Vorteilen, würde wahrscheinlich ausreichen, um Andrew irgendwie zu besänftigen, als dieser zurück ins Zimmer kam.
      "Oh. Das klingt nicht nach einer befriedigenden Antwort", kommentierte Ezra flach, während er nervös begann, mit dem Ring an seinem Finger zu spielen. Bei der Vorstellung, so eng an Andrew zu schlafen, wurde ihm schwindelig. Nicht, weil er es nicht wollte. Was irgendwie das Hauptteil des Problems war. Gott, sie hatten genug Probleme, da musste er sich nicht unbedingt noch mit seinen eigenen komplizierten Gefühlen auseinandersetzen.
      "Okay." Ezra wusste selber nicht ganz, was er sagte. Er wusste nur, dass er reden musste, bevor er vor Nervosität anfangen würde, irgendwas dummes zu tun. "Wie wäre es, wenn wir uns ein wenig in der Umgebung umsehen. Vielleicht finden wir ja noch ein zweites, preiswertes Hotel?" Obwohl es unwahrscheinlich war, dass sie noch ein Zimmer finden würden, das auf unbestimmte Zeit frei wäre und sie nicht vollkommen bankrott machen würde. Aber Wunder geschehen ja bekanntlich immer wieder. "Oder vielleicht findet die gute Dame am Empfang doch noch ein Klappbett, bis wir wieder zurück sind." Ezra sagte es mit sehr viel mehr Selbstbewusstsein, als er tatsächlich hatte. Er konnte nur hoffen, dass dieser leichte Anstieg von Optimismus ihn irgendwie durch den Rest des Tages bringen würde. Er hatte das Flugzeug überlebt. Sie hatten es bis hierhin geschafft, ohne festgenommen oder erschossen zu werden und alles mit einen Plan, der metaphorisch aus nassem Karton und Kaugummi bestand. Also konnte der Rest ja nicht so schlimm sein, oder?
      "Na komm", setzte er hinzu und zog Andrew mit sich aus dem Zimmer, bevor der letzte Gedanke ihn noch nervöser machen konnte. "Dein erster Kaffee geht auf mich."

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    • Andrew

      Wie ein trotziges kleines Kind ließ er sich von Ezra aus dem Zimmer schleppen, behielt die Stimmung noch etwa für ein Stockwerk abwärts bei und dann wurde es ihm zu peinlich. Er seufzte tief. "Gehen wir erstmal was essen", meinte er und versuchte ganz verzweifelt sich an das kleine bisschen unglaubwürdigen Optimismus zu klammern, den Ezra ihm eben vorgegaukelt hatte.

      Eins musste man dieser Straße ja lassen, von außen waren die Häuser der reinste Hammer. Eine richtig hübsche Einkaufsmeile. Wenn Andrew Zeit und Energie dafür hätte, würde er hier direkt entlang flanieren und sich in jedes zweite Geschäft mit Teetassen schmeißen, aber es gab heute wirklich wichtigeres, auch wenn es kaum zu glauben war. Was konnte schon wichtiger sein als die fünfzigste Teetasse, die wohl nie Bekanntschaft mit seinem Küchenschrank machen würde, weil London irgendwo in der unwahrscheinlichen, fernen Zukunft geschrieben stand?
      Nach einer Weile entschied Andrew sich kurzerhand für ein kleines Lokal, das aussah, als würde es Polnische Spezialitäten anbieten, womit er zumindest einen Punkt von der Touristenliste abhaken konnte. Sie bekamen einen kleinen Tisch zugewiesen und Andrew studierte angestrengt die Karte, bevor er "Barszcz" und "Pierogi" bastellte – zwei Gerichte die ihm auf wundersame Weise nicht fremd waren, er hatte sie bloß nie probiert. "Das ist Rote-Beete-Suppe… und Teigtaschen", erklärte er Ezra und fühlte sich nach diesem Satz ein Stückchen besser. Solange er mit Wissen angeben konnte, gab es Hoffnung für den Tag.
      Andrew nippte an seinem Kaffee, den er bestellt hatte, der absolut nicht zu dieser Mahlzeit passte, aber Koffein war Koffein.
      "Also", sagte er. "Wie siehst du unsere Chancen, eine Matratze sechs Stockwerke hinauf zu transportieren?" Er selbst hatte eigentlich bereits jede Hoffnung aufgegeben, aber man musste sich ja bei Laune halten. Und bis es so weit war, dachte er besser nicht darüber nach, wie er nachts in diesem schmalen Doppelbett mit Ezra kuscheln würde.
      Bei dem Gedanken kam ihm noch ein anderer. Was wenn sie tatsächlich unabsichtlich kuscheln würden?! Morgens aufzuwachen war bestimmt noch schlimmer, als Abends einzuschlafen. Und Andrew wusste, dass er sich im Schlaf bewegte wie ein träumender Hund, der einen Marathon lief. Er brauchte Platz, nicht umsonst stand in seiner mickrigen Wohnung ein King-size Bett, das den halben Raum einnahm. Wenn er Ezra nicht mindestens einmal aus dem Bett kickte, wäre es ein Wunder. Auf einmal hatte er das Verlangen sich im Voraus zu entschuldigen.
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    • Ezra

      Wenigstens waren sie in einem wirklich hübschen Teil Warschaus gelandet. Die Häuser hier sahen alt, aber sehr gepflegt aus, anders, als die Neubauten der letzten Jahrzehnte, bei denen das Aussehen zweitrangig war, solange es nur genug Platz für ausschweifende Ladenflächen gab. Wäre das hier tatsächlich ein Urlaub, hätte Ezra durchaus die ein oder andere Stelle im Blick, die er sich gerne genauer ansehen würde. Aber dafür würden sie wohl keine Zeit haben. Nach der Schlafsituation wäre es ihm eindeutig lieber, so schnell wie möglich den Stein zu bekommen und wieder zurück nach London zu gehen. Wenn das überhaupt ihr Ziel wäre. Eigentlich war sich Ezra gar nicht so sicher, was sie machen sollten, sobald sie den Stein hatten. In einen anderen Save schmeißen und auf das Beste hoffen? Ezra wusste doch selbst am Besten, dass das absolut nicht helfen würde.
      Zum Glück lenkte das kleine Lokal ein wenig ab. Ezra bemühte sich, die ersten paar Gerichte auf der Speisekarte zu googeln, bevor er aufgab und stattdessen auf den Random-Number-Generator klickte, um das Glück entscheiden zu lassen, was er essen sollte. Wenn das Universum gnädig mit ihm wäre, würde die Wahl vielleicht einfach auf einer Flasche Vodka fallen - dann könnte er heute Abend zur Not sogar auf dem Stuhl in ihrem Zimmer einschlafen. Aber nein. Die Zahl, die Google ihn ausspuckte, passte zu Gołąbki, was laut einer weiteren kleinen Google Suche wohl irgendwas mit Weißkohl war.
      Ezra sah von seinem zersprungenen Bildschirm auf, als Andrew ihm seine Bestellung erklärte und musste unweigerlich grinsen. "Vielleicht solltest du dich als Tourguide versuchen", schlug er amüsiert vor und konnte sich Andrew dabei tatsächlich fast vorstellen und irgendwie hätte es auch etwas poetisches - Leute durch die Straßen führen, statt sie zu jagen. Leider führte Andrew seine Gedanken zurück zur Schlafsituation, bevor die Tourguide Fantasien die Überhand gewinnen konnten.
      "Oh. Ich glaube vor zehn Jahren hätte ich das durchgezogen. Ich weiß nicht, wie es bei dir aussieht, aber wenn ich diese Matratze hochschleppen müsste, bräuchte ich danach einen Physiotherapeuten." Ganz davon zu schweigen, dass in ihrem Zimmer gar kein Platz für eine zweite Matratze wäre. "Vielleicht wird in den nächsten Tagen ja noch ein zweites Zimmer frei. Oder wir wechseln durch - einer schläft, während der andere die Nacht durchfeiert. Mit ein bisschen Glück würde sich das mit dem zweiten Zimmer dann von selbst erledigen." Ezra grinste knapp. Alles theoretisch, natürlich. Nicht, dass er sich je schonmal hätte abschleppen lassen, nur, um nicht zuhause schlafen zu müssen.
    • Andrew

      "Ich wäre lieber ein Tourguide, als was auch immer mein jetziger Freiberuf darstellen soll", murmelte er mehr zu sich selbst, da er nicht die Stimmung versauen wollte, falls sie überhaupt noch tiefer sinken konnte. Naja, man konnte es auch positiv sehen. Ohne diese Zufälle wäre er wohl sonst nie in seinem Leben in Polen gelandet. Und jetzt konnte er tatsächlich mal Pierogi probieren.
      Das Essen kam während Ezra weiter sprach und der Kommentar zu ihrem Alter verdarb Andrew fast den Hunger. "Sag das nicht so leichtfertig. Solche Aussagen stürzen mich dieses Jahr wahrscheinlich noch in Depressionen", erwiderte er.

      Ezra würde schon sehen, wie traumatisch es war, auf einmal die Zwanziger hinter sich zu haben. Plötzlich ging es nur noch bergab und bevor man sich versah war man alt, fett, faltig und mit einem Bein im Grab. Andrew hatte schon immer Angst vor dem Tag gehabt, an dem sein Körper abbauen würde anstatt aufzubauen und da dieser Punkt theoretisch mit Mitte Zwanzig erreicht war, schwenkte die Dreißig eher schon die Zielfahne. Nochmal so lange und er war… Sechzig. Urgh. Warum nicht gleich aufgeben?

      Andrew probierte die Suppe; sie war gar nicht schlecht und lenkte ein wenig von der Gerontophobie ab.
      "Hmm… da bin ich glaub ich aus der Übung", meinte er nebenbei.
      Mit dem Thema One Night Stand hatte Andrew dann abgeschlossen, als klar war, dass sein Arbeitsweg von überall weiter war als von seiner eigenen Wohnung aus und er warf seine Gäste ungern um 7 Uhr morgens raus. Beziehungen hielten bei ihm auch kaum länger als zwei Monate, wenn das Ganze dann trotz 2 Kilometer Distanz zu einer Fernbeziehung wurde. Eigentlich… war "aus der Übung" noch gar kein Ausdruck. Seine romantischen Interaktionen in den letzten 5 Jahren konnte er wahrscheinlich an einer Hand abzählen. Vereinzelte Fälle hartnäckiger Männer, die dachten, sie würden irgendwann doch noch an erster Stelle in Andrews Leben stehen und etwas an seinem Workaholic-Dasein ändern. Wieviele dieser Kerle ihn wohl zur Hölle schicken wollten…
      Daniel hatte wohl nicht aufgegeben, was Andrew immer noch beschäftigte, nachdem sie sich bloß ein einziges Mal getroffen hatten. Irgendwie kam ihm das weiterhin faul vor.

      "Ich überlass das dir und nehm mir gern das Hotelzimmer. Wir sehen uns dann morgen Früh", meinte Andrew schmunzelnd. "Du wirst sowieso keine Freude haben, mit mir im selben Bett zu schlafen. Hab bislang nur Beschwerden bekommen" Er riss leicht die Augen auf, als er die Teigtaschen probierte, weil Vor- und Hauptspeise in seiner Welt keine Bedeutung hatten. "Probier das", sagte er kurzerhand und streckte Ezra ein Stück auf seiner Gabel entgegen. "Da ist… so eine Mischung aus Kartoffeln und Pilzen drin, richtig lecker"
      Hoteltester mussten wirklich den Joker im Leben gezogen haben… Dauernd neue Städte, Hotels testen, das Essen des Landes probieren. Warum hatte sein Vater ihn nicht gedrängt, DAS zu werden?

      "Sag", meinte Andrew auf einmal, ganz grundlos, während er Ezra noch die Gabel hin hielt. "Gehst du oft aus? Also, in London. Bist du oft ausgegangen, wenn du gerade nicht irgendwo eingebrochen bist?"
      Erst einen Moment zu spät fiel ihm auf, das die Frage vielleicht zu persönlich war. Aber nachdem er selbst ständig mit seinem Job beschäftigt gewesen war und Ezra wohl hauptsächlich nachts "gearbeitet" hatte, müsste er für diese Dinge doch mehr Zeit gehabt haben. Er konnte sich den Blonden irgendwie gut vorstellen, wie er nie ganz aus der Phase herauswuchs, in Bars zu gehen und… Leute? aufzureißen? Wobei sie über dieses Thema in all den Jahren kaum gesprochen hatten, natürlich abgesehen vom Witze reißen. Man könnte ein Buch füllen, mit all den schmutzigen Dingen die aus Ezras Mund kamen. Vermutlich war es auch das, was Andrews Vorstellung von ihm geprägt hatte. Zugeknöpft war er wirklich nicht.
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