The Hero and the Thief [Nao & Stiftchen]

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    • Ezra

      Ezra brauchte eine Sekunde um zu verstehen, worauf genau Andrew anspielte, bis ihm ihre Konversation vom frühen Abend wieder einfiel. Mittlerweile fühlte es sich so an, als wäre es ewig her. Er war trotzdem nicht auf das Bild vorbereitet. Er konnte ein kurzes Auflachen nicht verhindern, bevor er kurz die Augen schloss, tief durchatmete, die Augen wieder öffnete und dann hörbar gezwungen neutral "Das sieht gar nicht so schlimm aus", versicherte. Jetzt wusste er wenigstens, woher Andrews - immer noch furchtbar unkreativer - Spitzname kam. Kinder konnten grausam sein und manche schienen nie aus dieser Phase heraus zu kommen. Nicht ganz grundlos. Er sah erneut zu dem Foto und musste die Lippen zusammenpressen, um nicht zu lachen. "Ehrlich", versicherte er in einer Stimmlage, der man deutlich anhören konnte, dass er sich zurückhielt, "irgendwie steht die Brille dir." Sobald er zuhause war, würde er erstmal sichergehen, dass sämtliche peinliche Fotos seiner eigenen Teenagerzeit gelöscht worden waren. Er musste nur einen Weg finden, Adas Fotoalben in Brand zu setzen, ohne dass sie es mitbekommen würde.
      "Ich meine, gut, der Rahmen ist vielleicht etwas..." Man konnte dem Blonden deutlich ansehen, dass er bemüht war, das richtige Wort zu finden, während er hilflos mit einer Hand gestikulierte, "...unvorteilhaft und ich denke wir hatten alle die furchtbar unangenehme Zahnspanngenzeit, aber der Haarschnitt ist gar nicht so schlecht. Vielleicht solltest du sie wieder ein wenig rauswachsen lassen." Er streckte ein wenig übermütig die Hand aus, um kurz durch Andrews Haare zu streichen, bevor ihm selbst auffiel, was er da gerade tat und er die Hand wieder sinken ließ. Okay. Andrew hatte wohl doch absolut recht damit, dass es nicht zu viele dieser Abende geben durfte. Normalerweise hatte Ezra sich besser im Griff. Normalerweise saß er aber auch nicht mit jemandem zusammen, den er schon so lange kannte, ohne wirklich etwas über ihn zu wissen. Das flirten zwischen ihnen war immer scherzhaft gemeint gewesen, oder? Langsam war sich Ezra selbst nicht mehr ganz sicher.
      Er räusperte sich kurz, bemüht, ein anderes Thema zu finden, irgendetwas, was die Situation wieder zurück auf neutrales Gebiet lenken würde. Leider fiel ihm auf die Schnelle nur eine Sache ein. "Haben wir eigentlich schon ausgemacht, wie wir jetzt mit dem Stein weitermachen? Suchen wir uns den nächsten Kontakt raus, oder...? Mein Terminkalender ist flexibel." Eigentlich hatte er das Thema vermeiden wollen, aber momentan war Ezra alles als Ablenkung recht.
    • Andrew

      Bei Ezras Lachen musste man einfach mitlachen, obwohl die ganze Situation für Andrew mehr als unangenehm war, nachdem er in seinen Zwanzigern eine notwendige, drastische Stiländerung vorgenommen hatte um diese Ära hinter sich zu lassen. Dass er überall im Anzug und mit frisch gestylten Haaren hinging, hatte einen guten Grund. Außerdem waren seine Teenager Jahre furchtbar einsam gewesen. Der ganze Trope rund um den "süßen Nerd", der dann doch seine große Liebe kennenlernte, war bei ihm jedenfalls nicht eingetroffen. Und siehe da: man musste sich nur mal ein bisschen mit Mode auseinandersetzen und schon hatte man einen Vorteil. Gut, bei Andrew ist das irgendwie in eine Obsession ausgeartet. Die Tage, an denen er übermüdet im Büro aufwachte und mit Bett-Frisur und der Kleidung von gestern sofort wieder an die Arbeit ging, waren seine persönliche Hölle, wenn irgendwo ein Spiegel in der Nähe war.
      "Wenn du mir nicht irgendwann ein Foto von dir mit Zahnspange zeigst, bin ich beleidigt", gab er zurück und grinste, doch jeglicher Ausdruck verließ sein Gesicht, als Ezra seine Hand durch Andrews Haare streichen ließ. Verwirrt fror sein Gesicht ein, dann kniff er leicht die Augen zusammen und setzte wieder ein leichtes Grinsen auf, während durch seinen Kopf einige Dinge ratterten, die er versucht hatte zu unterdrücken. Ezra zog seine Hand zurück, als hätte er einen Geist gesehen.
      Dass es plötzlich wieder um die Arbeit ging enttäuschte Andrew fast, was ihn sofort weitaus mehr verwirrte. Was war hier bloß los?
      "Ah… ja…", murmelte Andrew und überlegte. "Ich denke, wir machen einfach alphabetisch weiter und hoffen, dass etwas dabei raus kommt" Ja, alphabetisch, weil sie ohnehin keinen Plan hatten also konnte man ja zumindest auf diese Art und Weise ein wenig Ordnung ins Chaos bringen. "Wer steht denn da als nächster? Oder gibt's jemanden, mit dem du schon lange wieder ein Kaffeekränzchen halten wolltest?", fragte er und stützte wieder ein wenig müde den Kopf in die Hand. Sie hatten wirklich beide hervorragend dazu beigetragen, die Stimmung so merkwürdig wie möglich zu machen.
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    • Ezra

      Das hatte wunderbar funktioniert. Die Stimmung war absolut nicht ruiniert. Am liebsten würde Ezra sich selbst treten, aber zum einen würde das sehr seltsam aussehen, zum anderen war er sich nicht sicher, ob sein Alkoholspiegel nicht vielleicht hoch genug war, dass er sich selbst nicht treffen würde. Er hätte wirklich früher gehen sollen. Das war eine furchtbare Entscheidung gewesen. Er wusste immer noch nicht genau, was über ihn gekommen war. Jahrelang verbrachten sie jeden Mittwoch Abend miteinander - ein einziges mal gingen sie zusammen einen Trinken und schon war alles irgendwie chaotisch.
      "Nein, ich hab ehrlich gesagt auch keine Idee, wo wir am Besten ansetzen könnten." Was vielleicht daran lag, dass Ezra absolut nicht darüber nachdachte, wen sie am besten als nächstes ansprechen sollten. Er wusste, dass ihm eine Idee kommen könnte, wenn er nicht angetrunken wäre und gerade keine größeren Probleme hätte, aber im Moment war sein Kopf einfach...leer. Er wusste nicht mal mehr genau, wer auf seiner Liste stand. Irgendwie kreisten gerade alle seine Gedanken über die Person auf dem Stuhl neben ihm. "Alphabetisch klingt eigentlich gar nicht so schlecht. Wir haben jetzt bei jedem Kontakt die selbe Wahrscheinlichkeit, dass er oder sie etwas Neues weiß. Henry war der einzige wirkliche Experte in meinem Bekanntenkreis." Ezra zog kurz nachdenklich die Augenbrauen zusammen. "Er könnte sogar noch ein Zahnspangenbild von mir haben, wo ich so drüber nachdenke." Vorausgesetzt, Henry hatte eine sentimentale Seite, wovon er nicht unbedingt ausging. Vielleicht sollte er ihn trotzdem besser nochmal anrufen.
      "Ich schau morgen mal, ob ich irgendwie Struktur in die Liste reinbekomme. Wir können uns ja dann übermorgen noch mal treffen und das Ergebnis zusammen durchgehen?" Warum fühlte er sich gerade wie ein Schüler, der versuchte, unauffällig ein Date klar zu machen? Sie hatten sich heute genauso einfach verabredet, nicht? Er konnte nur hoffen, dass er genug Alkohol im Blut hatte, um sich morgen nicht mehr an diese seltsame Stimmung zu erinnern. Oder verkatert genug war, um sich nicht mehr um diese Stimmung zu kümmern.
      "Du kannst dich bis dahin ja auch nochmal umhören, was ihr von der offiziellen Seite aus für Infos bekommt. Vielleicht hat der Dieb ja doch irgendetwas zurückgelassen, was uns weiterhelfen könnte, oder so." Andrew war smart. Er würde schon irgendeinen Weg finden, sich zu beschäftigen.
    • Andrew

      Andrew nickte langsam während er ein Loch in den Boden seines Glases starrte. Er riss sich zusammen und sagte: "Ich hab noch immer die Akten von heute Abend. Vielleicht finde ich noch etwas interessantes… Oder ich krieg was aus dem Sergeant heraus" Er seufzte laut und fuhr sich durch die Haare. "Ich hab total verdrängt, dass ich morgen früh wieder ins Büro muss", murmelte er und warf einen schnellen Blick auf die Uhr an seinem Handgelenk, der daran aber gleich starr hängen blieb. Es war kurz nach 2 Uhr. Andrew nahm ganz ohne nachzudenken sein Handy wieder in die Hand und steckte es zurück in die Tasche. "Ich muss nachhause. Irgendwann dankt mein Körper es mir nicht mehr, wenn ich so weiter mache", lachte er leicht. Insgeheim wusste er aber auch, dass dieser Abend endlich zu einem Ende kommen musste bevor einer von ihnen etwas tat oder sagte, dass er bereuen würde und derzeit schien das Risiko dafür garnicht so kein zu sein.
      Andrew stand auf. "Dann sehen wir uns am Samstag? Ich glaube, im Café sind wir besser aufgehoben. Mehr Koffein, weniger Alkohol. Danke nochmal… für die letzte Runde", schmunzelte er und auf einmal musste er darüber nachdenken, wie er sich von Ezra verabschieden sollte. Es kam ihm zwar ein wenig gemein vor, aber er entschied sich für die Methode, vor dem Pubausgang einfach knapp die Hand zu heben und sich dann auf den Weg zu seinem Auto zu machen, bevor er merkte, dass er damit auf keinen Fall nachhause fahren konnte. Demotiviert stand er vor seinem Auto und wählte eine Taxi-Nummer. Es wäre wohl schlau gewesen, sich ein Taxi zu teilen, aber nachdem Andrew mehr oder weniger weggelaufen war, war es wohl zu spät.

      Zuhause gab es eine lange, warme Dusche voller leise geflüsterter Beschimpfungen an sich selbst, nachdem er die Erinnerungen an das Ende dieses Abends wohl nie wieder loswerden würde. Wie konnte er auch so dämlich sein und so viel trinken? Und was zum Teufel war in Ezra gefahren? Und wieso wollte Andrew unbedingt nochmal mit ihm fortgehen?
      Nachdem er den ganzen Tag kaum etwas gegessen hatte, zog er sich um 3 Uhr nachts noch ein Packung reinen Mikrowellen-Reis hinein, denn etwas anderes fand er in seiner Küche leider nicht. Mit der Schüssel in einer Hand auf dem Weg ins Bett, sah er auf sein Handy, weil er irgendwie erwartete, vielleicht noch eine Nachricht von Ezra zu bekommen, dabei hatten sie nicht einmal die Nummern des anderen, aus logischem Grund. Am liebsten wollte er mit dem Kopf voraus in die Wand rennen. Aber dann sah er, dass er doch eine SMS bekommen hatte, von einer unbekannten Nummer. Seine Kinnlade fiel beinahe zu Boden. Er musste sich setzen.

      >>This is a warning. Stop the investigation. We see you.<<

      Was zum Teufel? War er im falschen Film? Zehn Jahre im Dienst und er hatte noch nie eine Droh-Nachricht erhalten, aber es war noch bizarrer, als so etwas im Film zu sehen. Das sah aus, wie der Beginn eines Kettenbriefs, nur dass Andrew leider wusste, dass er die Nachricht ernst nehmen musste. Denn anders als die meisten 13-jährigen Kinder war er tatsächlich in illegale Aktivitäten eingebunden. Aber… er hatte nicht gedacht, dass Menschen im realen Leben tatsächlich solche Dinge schrieben. Er war zu betrunken für diesen Scheiß. Ein wenig durch den Wind stellte er die Reisschüssel auf seinem Nachttisch ab und brauchte einen Moment, in dem er verwirrt durch seine Wohnung starrte, um sich den nächsten Schritt zu überlegen. Jetzt wäre es irgendwie vorteilhaft Ezras Nummer zu haben. Er konnte auch kaum Hilfe rufen indem er die Nummer der Helden wählte, denn er war verdammt nochmal selbst das Problem. Wenn sein Gehirn gerade nur etwas schneller funktionieren würde… Vielleicht bildete er sich ja auch alles ein. Erstmal drüber schlafen? Ihn würde schon niemand im Schlaf erstechen, nachdem er gerade eine "Warnung" bekommen hatte und in den nächsten 4 Stunden definitiv keine weiteren Ermittlungen anstellen würde.
      Er beschloss tatsächlich einfach mal ein wenig Schlaf zu bekommen. Na schön, es war weniger ein Beschluss als eine Notwendigkeit. Wenn er halbwegs bei Sinnen wäre könnte er ohnehin kein Auge zu bekommen.

      Am Weg ins Dezernat begann Andrews Herz zu rasen. Den ganzen Morgen hatte er fast den Verstand verloren und nun fühlte er sich beobachtet, seit er aus der Tür gegangen war. "We see you", das ging ihm konstant durch den Kopf. Ob man sein Handy irgendwie verwanzt hatte? Oder wurde er tatsächlich direkt verfolgt und beobachtet? Keine Sequenz seiner Ausbildung hatte ihn darauf vorbereitet, was er tun sollte, wenn er unabsichtlich selbst auf die falsche Schiene geriet. Der offensichtliche erste Schritt wäre es, das Dezernat zu informieren und Schutz anzufordern. Naja, das kam kaum infrage.
      Bei seiner Ankunft wurde er direkt ins Büro von Sergeant Callaghan gerufen. Niemals ein gutes Zeichen, denn normalerweise kam sie einfach heraus und machte die Mitarbeiter vor allen anderen zur Schnecke. Aber… Andrew konnte nicht damit rechnen, worauf das hinauslief. "Kommen Sie herein", kam es von Lois, die an ihrem Tisch saß und gerade das Telefon ablegte. Mit wem sie wohl telefoniert hatte.
      "Gute Morgen", grüßte er sie und nahm einfach gegenüber von ihr Platz. "Gibt es etwas Neues? Zu den Ermittlungen?" Bei seiner eigenen Frage begann er bereits zu schwitzen, weil es ihm schrecklich schwer fiel, dieser Frau irgendetwas zu enthalten. Doch ihm wurde nur ein unglücklicher Blick entgegnet.
      "Hören Sie. Ich weiß nicht, was Sie angestellt haben, aber diesmal ist es wohl zu weit gegangen"
      Oh Nein.
      "Das liegt alles nicht mehr in meiner Hand. Sie wissen ja, dass ich gerne mit Ihnen arbeite. Ich denke sogar, Sie hätten das Zeug zum Captain"
      Nein, nein, nein.
      "Ich frage gar nicht, was passiert ist. Ich hoffe, Sie können die Angelegenheit regeln. Bis dahin darf ich Sie leider nicht mehr im Dezernat anstellen. Ich brauche Ihre Dienstmarke… und die Edelsteine, bitte"
      Andrews Blick war eingefroren. Das ging alles viel zu schnell. Roboterhaft nahm er stumm die gefragten Gegenstände ab und legte sie vor sich auf den Tisch. Ihm fehlten die Worte. "Darf… ich fragen, wer dafür zuständig ist, wenn nicht sie?", fragte er leise, kannte die Antwort jedoch bereits.
      "Ich habe heute Morgen einen Anruf vom Innenministerium bekommen. Wissen Sie, irgendwann müssen Sie Ihre Neugierde in den Griff bekommen. Manche Informationen sind eben nicht für uns Helden gedacht"
      "Sind die Ermittlungen eingestellt worden?"
      "Ja"
      Natürlich. Dieser verdammte, korrupte Haufen. Andrew stand auf. "Also… dann werde ich mich melden, falls sich noch etwas richten lässt", meinte er, wobei ihm beinahe die Stimme versagte. Am Heimweg fühlte er sich nicht mehr beobachtete. Das war die Warnung gewesen, nicht die SMS. Man hatte ihm einfach jeden Zugang genommen, den er haben konnte. Außer einen. Und mit dem würde er Morgen ein ernstes Wörtchen sprechen müssen.
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    • Ezra

      Ezra erwiderte die Verabschiedung indem er ebenfalls kurz die Hand hob. Was sich seltsam unpersönlich anfühlte. Er wartete, bis Andrew die Tür hinter sich geschlossen hatte, bevor er den Kopf auf den Tresen sinken ließ. Fuck. Wie konnte ein Abend zeitgleich so erfolgreich und so unangenehm sein? Er verharrte ein paar Sekunden, bevor er den Kopf wieder hob und die Rechnung zahlte, dann wartete er, um Andrew einen Vorsprung zu geben. Der Abend war eh schon seltsam genug, er musste jetzt nicht auch noch wieder auf Andrew treffen, während dieser auf ein Taxi wartete. Kurz spielte er mit dem Gedanken, doch noch etwas zu trinken und sich komplett abzuschießen, oder sich einfach einen der anderen Barbesucher anzulachen, dann beschloss er, dass es besser wäre, wenn er einfach nach Hause gehen würde. Er warf einen kurzen Blick auf seine Uhr, entschied, dass definitiv genug Zeit vergangen war und verließ die Bar.

      Der nächste Morgen war ungefähr so furchtbar, wie Ezra erwartet hatte. Die Kopfschmerzen setzten ein, bevor er überhaupt richtig wach geworden war und als er es schaffte, sich aufzuraffen, hätte er sich am liebsten direkt wieder hingelegt. Zwischen Bad und Kleiderschrank warf er sich eine Kopfschmerztablette ein und hoffte schlicht auf das Beste. Vielleicht wurde er langsam wirklich zu alt für derart lange Nächte. Vor allem, wenn sie so extrem aufgeladen waren. Ezra tat sein bestes, um sich selbst einzureden, dass er sich die ganze merkwürdige Stimmung gestern nur eingebildet hatte, währen der kurz seine Taschen checkte um sicher zu gehen, dass er noch alles bei sich hatte. Eine unliebsame Angewohnheit, aus einer Zeit, in der er Jacken und Taschen nicht einfach irgendwo hatte liegenlassen können, ohne, dass am nächsten Tag etwas aus ihnen fehlte. Vor allem, wenn er am Abend davor unterwegs gewesen war.
      Aber alles war noch da. Schlüssel, Portmonee, Handy. Letzteres knipste er kurz an, und schob es sofort in seine Hosentasche, ohne eine der vielen Nachrichten richtig gelesen zu haben. Es war definitiv zu früh, um sich mit sowas zu befassen. Ada war sowieso die einzige, die ihm schrieb und sie konnte ihm gleich live und in Farbe sagen, was sie gestern von ihm gewollt hatte.
      Ezra wischte sich über die Augen, während seine Kopfschmerzen langsam nachließen. Er seufzte, bevor er die Tür zum Treppenhaus öffnete und an Adas Wohnungstür klopfte.
      Der Rotschopf öffnete sofort, der Blick bereits genervt, bevor Ezra ihr auch nur einen "Guten Morgen" wünschen konnte.
      "Warum hast du ein Handy, wenn du es eh nicht nutzt? Ich hab gestern drei mal versucht, dich zu erreichen."
      "Sorry, Mom." Ezra verdrehte die Augen, während Ada ihn mit etwas mehr Kraft, als man ihr zutrauen würde, gegen den Oberarm schlug.
      "Ich hab mir die Überwachungskameras rund um den Bankeinbruch angeschaut", erklärte sie.
      "Und? Was gefunden?", fragte Ezra, während er sich über den Arm strich.
      "Natürlich hab ich was gefunden! Anders, als andere Leute, verbringe ich meine Abende ja nicht damit, mich zu betrinken und nit irgendwelchen dahergelaufenen Helden zu flirten."
      "Es ist fast, als wärst du gestern abend dabei gewesen", merkte Ezra sarkastisch an, in der Hoffnung, dass Ada nicht ahnen würde, wie nah sie an der Wahrheit war.
      "Ich hab einen Wagen gefunden, der von der Bank wegfährt. Von der Zeit her passt es und er hat kein Nummernschild." Sie zückte ihr eigenes Handy und zeigte Ezra einen kurzen Ausschnitt. Ein schwarzer Kastenwagen. Nichts, was sie irgendwie auf eine neue Spur bringen würde, aber immerhin...etwas.
      "Kannst du mir das Bild schicken?"
      "Hab ich gestern schon. Aber du schaust ja nie auf dein verdammtes Handy."
      "Langsam habe ich fast das Gefühl, dass du sauer auf mich bist", merkte Ezra spitz an, während er sein Handy aus der Hosentasche zog. Tatsächlich hatte er mehrere Nachrichten von Ada, unter anderem das Bild, dann einen verpassten Anruf von Henry und schlussendlich eine Nachricht von einer Nummer, die er nicht kannte. Er tippte sie zuerst an und erstarrte, als er die Drohung sah. "Ada?"
      "Ich kann nichts für die schlechte Qualität. Das Bild kommt von einer billig Kamera aus einem Sportladen, ich-"
      "Ich glaube, wir haben ein ganz anderes Problem." Ezra reichte sein Handy an Ada weiter, welche kurz irritiert blinzelte und dann leicht blass um die Nase herum wurde.
      "Scheiße."

      Samstag. Ezra stand vor dem Café und fühlte sich wieder wie 15. Nervös, darauf vorbereitet, jede Sekunde von hinten KO geschlagen zu werden. Er merkte nicht mal, dass er auf seine Unterlippe gebissen hatte, bis er Blut schmeckte. Warum hatte er je gedacht, dass die Zusammenarbeit mit Andrew schlau war? Er hätte absehen müssen, dass es nur Unglück bringen würde. Nervös tippte er auf sein Handy, ohne wirklich wahr zu nehmen, was auf seinem Sperrbildschirm stand. Es war noch nicht zu spät. Noch könnte er sich umdrehen, gehen, seine Identität ändern, bevor Andrew ihn noch tiefer in diese Sache reinziehen konnte. Aber das wäre nicht fair, oder?
    • Andrew

      Der ganze Freitag war die reinste Hölle gewesen. Andrew hatte sich in einer Mischung aus Panik und Kater in den nächsten Supermarkt begeben und begonnen Dosenfutter einzukaufen, dann hatte er sich an seinem ersten Tag als Arbeitsloser erst einmal einen Linseneintopf gekocht und sich damit auf dem winzigen, Ein-Personen-Balkon niedergelassen. Fast wünschte er sich, irgendein Scharfschütze würde ihm eine Kugel durch den Kopf jagen. Die Zeit verging elendig langsam und es ging ihm körperlich definitiv nicht gut genug, um rauszugehen und sich abzulenken. Außerdem setzte da doch irgendwie der Überlebenswille ein. Er wusste schließlich nicht, wer da ein Auge auf ihn geworfen hatte. Insgeheim hoffte er, Ezra würde an seiner Wohnungstür auftauchen, aber der wusste ja nicht einmal, wo er wohnte.
      Im Laufe des Abends kam allerdings Serena auf einen Sprung vorbei. Die beiden hatten sich kaum jemals außerhalb der Arbeit verabredet, doch scheinbar kannten sie sich mittlerweile gut genug, dass es ihr sinnvoll erschien, ihr Mitleid in Person auszudrücken. Daher hatte sie ihre Tochter mitgebracht und sich quasi selbst eingeladen und Andrew gezwungen, mit Sarah ein Puzzle zu machen, da er aussah wie eine wandelnde Leiche und "ein bisschen Spaß brauchte". Dass er verkatert war und in der größten Scheiße seines Lebens steckte konnte sie ja nicht wissen.

      Nachdem der Fiebertraum-Tag vorbei war und er die ganze Nacht kein Auge zu bekommen hatte, ging es auf zur Location, die mit Ezra vereinbart war. Tatsächlich sah Andrew beinahe schlimmer aus als gestern und jeden Tag davor. Der Lebenswille war auch nicht mehr ganz der selbe und sein Gehirn war Matsch. Bessere Voraussetzungen konnte es für das kommende Gespräch kaum geben. Aber so war das eben, wenn man seine Arbeit als Lebensinhalt gesehen hatte und dieser auf einmal einfach wegfiel. Man wurde leer. Wie ein Zombie. In Andrews Fall begrenzte sich das nicht nur auf sein Inneres.
      Er sah Ezra und noch bevor sie ins Café hineingingen, schoss Andrew mit der Nachricht des Tages heraus. "Ich bin meinen Job los", sagte er und rieb sich mit einer Hand übers Gesicht, als könne er es mittlerweile noch immer nicht fassen.
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    • Ezra

      Tja, da ging seine Chance, zu gehen, bevor ihm alles zu viel werden würde. Er hätte eh keine Lust gehabt, sich wieder einen neuen Namen ausdenken zu müssen. Lediglich Andrews Begrüßung überraschte ihn.
      War es mittlerweile out, einander einfach einen 'Guten Morgen' oder 'Guten Tag' zu wünschen und es kurz dabei zu belassen? War es nicht mehr Standard, das Gegenüber vorsichtig auf eine Hiobsbotschaft vorzubereiten? Ezra hatte das Gefühl, als hätte ihm jemand den Boden unter den Füßen weggezogen. Er öffnete den Mund, schloss ihn wieder, räusperte sich und entschied sich für ein schlichtes "Das tut mir furchtbar leid für dich. Du siehst furchtbar aus, wenn ich das anmerken darf." In seiner Stimme schwang ernsthafte Sorge für den ehemaligen Helden mit.
      Gut, Ezra selbst sah wahrscheinlich auch nicht viel besser aus. Er hatte die vergangene Nacht kaum geschlafen, dafür aber eine neue Mütze gehäkelt, sein Schlafzimmer aufgeräumt, Henry angerufen, seinen Kleiderschrank sortiert und sonst alles getan, was ihn auch nur irgendwie ablenken konnte. Zwischendurch hatte er sich sogar zurechtgelegt, wie er das Gespräch mit Andrew anfangen wollte. Vollkommen umsonst, offenbar. Was sollte er auch groß sagen? 'Sorry, dass du deinen Job los bist, aber ich hab eh eine Drohung bekommen' oder 'Hey, Ada hat einen neuen Hinweis gefunden, aber das ist jetzt eh irrelevant, weil du nicht mehr an dem Fall arbeitest'? Andrew sah aus, als hätte man ihm mit dem Job auch jeglichen Lebenswillen genommen, da musste er nicht nochmal nachtreten.
      "Wie- Haben sie dir gesagt, warum du deinen Job los bist?", fragte er, während er die Tür für Andrew aufhielt. Das Café war um die Uhrzeit gut gefüllt, er wischten gerade noch den letzten Tisch. Gott, sie mussten aussehen, als hätten sie die letzte Nacht durchgefeiert und wären jetzt hier, um gemeinsam ihren Kater zu bekämpfen. Womit sie in der Masse wahrscheinlich gar nicht so auffallen würden.
      "Sie können dich doch nicht einfach von den einen auf den anderen Tag rausschmeißen! Ohne Vorwarnung!" Ihm schossen sofort tausende Fragen in den Kopf. "Und was wird aus unseren Ermittlungen?" Obwohl es vielleicht gar nicht so schlecht wäre, wenn sie aufhören würden. Vielleicht war das ein Zeichen. Eine höhere Macht, die ihnen eine letzte Warnung gab, bevor sie sich zu sehr in dem Fall verrennen würden.
    • Andrew

      "Danke. Kann ich nur zurückgeben", meinte er und obwohl das ein Scherz werden sollte, fehlte ihm die Kraft für das Lächeln, das den Satz als einen solchen markierte. Sie gingen also einfach hinein, in einen viel zu gefüllten Raum, in dem dieses Gesprächsthema kaum etwas verloren hatte, aber das hatte Andrew vor zwei Tagen noch nicht wissen können.
      "Ich bin gestern ins Büro gekommen und durfte fünf Minuten später auch wieder gehen. Wie's aussieht, eine politische Angelegenheit und ich rate mal, dass es was mit der SMS zu tun hat, die ich vorgestern Nacht bekommen habe", begann er zu erklären, dann bestellte er einen doppelten Espresso und ein überteuertes Stück Zitronenkuchen, vermutlich zum letzten Mal für eine lange Zeit, denn ohne Job kam er schwer an Geld. Bei dem Gedanken kam ihm die gigantische Summe seiner Miete in den Sinn und er hätte am liebsten den Kopf auf den Tisch geknallt. Er musste sich einen neuen Job suchen. Irgendeinen, den er nicht komplett hassen würde, und das konnte schwer werden. Aber bis diese ganze Geschichte mit dem Bankraub vorbei war und man ihn wieder sein Leben leben ließ, musste er wohl durchkommen und hoffen, dass er nachher wieder im Dezernat anfangen konnte. So schnell konnte die Welt zusammenbrechen…
      "Hör zu, ich hab keinen Zugang mehr. Die Ermittlungen wurden abgebrochen und ich hab keine Lust, von irgendwelchen… Militärsleuten entführt oder… erschossen zu werden. Die sollen diese ganze Sache unter sich regeln, ich will nichts mehr damit zu tun haben", murmelte er. Das auszusprechen ließ in die Schwere der Situation sogar noch stärker fühlen. Nicht nur war er gefeuert worden, er durfte auch noch darauf hoffen, dass irgendwelche kranken Politiker mit Stock im Arsch das Apokalypsen-Problem lösten, weil sie so tief in korrupter Scheiße steckten, dass sie sich keine Hilfe von den Leuten holen konnten, die Tag ein Tag aus mit Diebstählen zu tun hatten. Das laut auszusprechen, hätte wiederum gut getan, aber ihm fehlte momentan die Energie und Ezra ging bestimmt auch genug durch den Kopf, denn er steckte da genauso mit drin. Andrew musste ihn jetzt nicht unbedingt noch damit zu heulen, wie furchtbar er sein Leben gerade zu hassen begann.
      "Ich denke… das war's", sagte er vorsichtig.
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    • Ezra

      Das klang nicht gut. Das klang überhaupt nicht gut. Ezra setzet zur Antwort an, wurde aber von der jungen Bedienung unterbrochen, die an ihren Tisch getreten war. Er stoppte sich selbst, bestellte und sah dann wieder zu Andrew. "Ich habe auch eine interessante SMS bekommen. Ich denke, die selbe wie du?" Er zückte sein Handy und hielt Andrew die Nachricht kurz entgegen.
      "Andrew, ich werde das wahrscheinlich bereuen, aber meld dich, wenn du Hilfe brauchst." Ezra tippte erneut auf sein Handy, diesmal, um sich seine eigene Nummer anzeigen zu lassen, bevor er es Andrew über den kleinen Tisch hinweg zuschob, damit er die Nummer abtippen konnte. Er könnte jetzt eh nicht mehr viel damit anstellen und gestern hätte ein kurzes Telefonat doch recht hilfreich sein können.
      "Das alles ergibt keinen Sinn", seufzte er schließlich, während er sich in seinem Sitz zurücklehnte. "Wer auch immer eingebrochen ist, muss ein Genie sein. Die einzige Aufnahme, die Ada finden konnte, was eine Sicherheitskamera in einem Sportgeschäft ein paar Straßen weiter, alle anderen Aufnahmen dieser Nacht wurden gelöscht. Jemand hat unsere Telefonnummern rausgefunden. Diese Person, die das alles geschafft hat, hat einen Stein in ihrer Gewalt, der richtig gefährlich werden könnte und dann schmeißen wird die Ermittlung einfach geschlossen? Der Einbruch stand in der Zeitung. Sie können doch nicht ernsthaft davon ausgehen, dass die ganze Sache einfach so in Vergessenheit gerät, oder so." Aber es war sinnlos, sich darüber jetzt den Kopf zu zerbrechen. Andrew hatte es gesagt - ihre Ermittlungen waren vorbei und wie befürchtet hatten sie damit auch ihre Routine verloren. Wer weiß - sofern Andrew sich nicht bei ihm melden würde, wäre das hier vielleicht sogar das letzte mal, dass sie sich sehen würden. Was absolut furchtbar klang.
      "Hast du dir schon überlegt, was du jetzt machst?", wechselte er das Thema. "Vielleicht kann Henry eine Aushilfe brauchen. Sonst könntest du deine Fähigkeiten auch für die Gegenseite nutzen. Einbrechen ist eigentlich gar nicht so schwer, wenn man sich ein mal dran gewöhnt hat." Er zuckte mit den Schultern und warf Andrew ein liebloses Lächeln zu. Keines der beiden Angebote könnte er sich für ihn vorstellen. "Oh, oder du widmest dich deiner Liebe für Kaffee. Damit kann man bestimmt auch was nettes anstellen."
    • Andrew

      Andrew speicherte etwas zögerlich Ezras Nummer ab. Ob er die jetzt noch brauchen würde? Dass der Dieb sich keine Sorgen mehr machte, dass er ihn aufspüren würde, war… interessant. Immerhin konnte er ihn immer noch dem Dezernat melden. Aber so ein Arsch war er auch wieder nicht. Wie er ihm allerdings helfen wollte, wenn man ihn ebenso auf dem Schirm hatte, war fraglich.
      Er zuckte mit den Schultern, als der Blonde von den Sicherheitsvideos anfing. Zwar interessierte es ihn brennend, doch er musste üben, sich von diesem Thema abzuschotten. "Naja, es ist nicht mehr meine… oder eher unsere Aufgabe. Ich hoffe doch, du ziehst nicht in Erwägung, dem Ganzen allein nachzugehen", meinte er und war auf einmal leicht besorgt, denn er wünschte ihm keinen Ärger mit dem Geheimdienst. "Wir können nur hoffen, dass alles bald im Griff ist", meinte er wenig überzeugt.
      Er lächelte heute zum ersten Mal doch ein wenig, als Ezra begann ihm Job-Vorschläge zu machen. "Süß, dass du mich sogar unter die Fittiche nehmen willst, aber ich bleib doch lieber erst einmal im legalen Bereich", meinte er. Ihre Bestellungen kamen an den Tisch und Andrew starrte sofort auf das Stück Kuchen. So ein winzig kleines Stück Kuchen. So ein… teures Stück Kuchen. "Ich denke", begann er, "ich muss mir eine neue Wohnung suchen" Er seufzte. "Vielleicht suchen sie ja in Liverpool in irgendeinem Dezernat noch Leute? Aber wahrscheinlich nehmen die mich erstmal nirgendwo auf der Welt" Es war zum Heulen. Außerdem wollte er London nicht verlassen, er war hier aufgewachsen. Er liebte und hasste diese Stadt zugleich, und besonders die Erinnerungen die an jeder Ecke lauerten, waren nicht etwas, das er einfach zurücklassen konnte. Doch irgendwie mussten alle Möglichkeiten in Erwägung gezogen werden.
      Im Endeffekt würde er sich wohl einen Job irgendwo in der Buchhaltung suchen müssen, denn das entsprach seinen Fähigkeiten noch am ehesten. Und vermutlich war das Gehalt sogar höher als sein letztes. "Ach, vergiss das. Ich finde schon irgendwas. Oder die Welt geht sowieso unter. Eins von beidem" Sein Humor war leider so abartig auf den Punkt getroffen und realitätsnah, das man nicht mehr darüber lachen konnte. Denn die Chance war tatsächlich für beide Optionen etwa gleich hoch. Andrew begann seinen Kuchen zu essen und es fühlte sich an wie der Eintritt in eine Satire Show. Wenn er Ezra tatsächlich nie wieder sehen würde, müsste er doch ernsthaft überlegen, einen Blick in Londons kriminelle Unterwelt zu wagen.
      "Was hast du jetzt vor? Einfach weitermachen wie vorher?", fragte er den Blonden. Der Gedanke, dass sein Leben weiterging und Andrews irgendwie stehen blieb, war fast unerträglich. Auf der anderen Seite merkte er gerade, wie weit entfernt er trotz seines Alters eigentlich davon war, "erwachsen" zu sein, denn die kleinste Veränderung riss ihm den Boden unter den Füßen weg und er wollte sich einfach nur im Bett einrollen und an gar nichts mehr denken. Die ganzen Probleme, die auf ihn zurollten, erschienen viel zu anstrengend, um sich tatsächlich darum zu kümmern, aber wenn er nicht obdachlos sein wollte, blieb ihm nichts übrig, als die Zähe zusammenzubeißen.
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    • Ezra

      Ezra schüttelte kurz entschlossen den Kopf. "Keine Sorge. Ich werde die Finger davon lassen." Erstens konnte er alleine sowieso nicht viel ausrichten und zweitens war ihm das Thema ebenfalls deutlich zu heiß. Zumal er immer noch Ada und Liz im Hinterkopf hatte. Er wusste, dass Ada durchaus mehr als fähig war, sich alleine durch zu schlagen, aber er wollte nicht, dass irgendjemand unfreiwillig in irgendeine Schussbahn geraten würde.
      Er seufzte fast ein wenig amüsiert, als Andrew seinen kleinen Monolog fortsetzte. Fast könnte man glauben, dass der drohende Weltuntergang nichts mit einem Stein zu tun hatte und komplett auf Andres Laune basierte. "Andrew. Ich hab ja generell nichts gegen deine Dramatik, aber bitte - melde dich, bevor du unter irgendeiner Brücke landest. Ich hab ne Couch frei, falls es hart auf hart kommen sollte." Oh. Ada würde ihn dafür umbringen. Aber wie Andrew schon sagte - vielleicht würde vorher eh die Welt untergehen. Weshalb es sich auch seltsam surreal anfühlte, jetzt darüber nachzudenken, was er in den nächsten Tagen und Wochen anstellen wollte. Wie lange würden sie Ruhe haben, bevor der Dieb den Stein nutzen würde? Oder hatten sie doch unglaubliches Glück und der Stein würde lediglich in irgendeiner Sammlung eines Exzentrikers landen? Aber welcher Exzentriker hatte genug Geld, um einen Stein in diesem Umfang stehlen zu lassen? Mit genug Einfluss, um selbst offiziellen Stellen die Hände zu binden? Stopp. Nicht drüber nachdenken. Das war nicht mehr Ezras Problem. Damit setzten sich jetzt andere Menschen auseinander. Oder eben nicht. Alles, was er tun musste, war darauf zu achten, nicht selbst in etwas hinein zu geraten. Das würde er schon irgendwie schaffen.
      Ezra zuckte mit den Schultern. "Ich schätze, dass mir nichts anderes übrig bleibt, als so weiter zu machen, wie vorher." Sie hatten ja schon zur genüge darüber diskutiert, dass ihm einfach keine andere Wahl blieb, selbst wenn er wollte. "Obwohl. Ich werde wahrscheinlich das Wohngebiet für die Einbrüche wechseln. Nicht, dass ich die hässlichen Kerzenständer nicht schätzen würde, aber vielleicht ist es ganz gut, irgendwo anzufangen, wo mich noch niemand erwartet." Die Arbeit würde so oder so die selbe bleiben. Eigentlich hätte er sein Einzugsgebiet eh schon vor Jahren wechseln müssen, aber er hatte es nicht riskieren wollen, Andrew doch irgendwie zu verlieren. Tja. Soviel dazu.
    • Andrew

      Es beruhigte ihn zwar, dass Ezra sich nicht mehr mit dem Bankraub auseinander setzen würde, doch dass er tatsächlich in einem anderen Stadtteil mit seinen Einbrüchen wie gehabt weiter machen würde, löste eine durchdringende Melancholie in Andrew aus. Er zwang sich bei dem Kerzenständer Kommentar mit viel Überwindung ein Lächeln auf. Für eine sarkastische Rückmeldung hatte er keine Energie. "Na dann… vielleicht schaff ich es durch einen weniger aufwändigen Job sogar mal zu frühstücken. Dann geb ich dir Bescheid, ob ich zuerst die Cornflakes oder die Milch in die Schüssel leere", meinte er und trank seinen Kaffee aus. Nicht einmal der doppelte Espresso schien ihn gerade wacher zu machen. Er brauchte einfach eine gute Portion Schlaf.
      Andrew kündigte es nicht an, sondern lud Ezra automatisch auf sein Getränk ein. Wenn sie sich nie wieder sahen, konnte er ja zumindest das tun. Ein wenig schuldig fühlte er sich wegen der ganzen Geschichte irgendwie schon. Der Deal war schließlich seine Idee gewesen. Ob es merkwürdig wäre, sich tatsächlich einfach mal so bei ihm zu melden? Ohne, dass es irgendeinen Notfall gab? Nach all den Jahren schien eine riesige Mauer zwischen ihnen zu stehen, was solche normalen freundschaftlichen Gesten anging, bei denen keine beruflichen Hintergedanken im Spiel waren. So richtig überwunden hatten sie diese nicht, auch wenn der letzte Abend sie irgendwie ein Stück näher gebracht hatte. In jedem Fall fühlte Andrew sich mehr so, als würde er sich von einem alten Freund verabschieden, als einem Feind. Und so war es immer schon gewesen.
      "Vielleicht sieht man sich ja mal… auf der Straße. Zufälligerweise", meinte er draußen vor dem Café und stand dem Blonden etwas unbeholfen gegenüber. Nach einer kurzen Pause konnte er sich nicht zurückhalten und nahm Ezra in den Arm. Es war eine merkwürdig lange Umarmung, aber vielleicht war Andrew solche Gesten auch einfach nicht gewohnt. Er wollte sich in dem Moment lieber den Arm abreißen, als diesen Mann loszulassen. Am Ende tat er es aber doch. "Also… viel Glück bei den Einbrüchen. Als Ex-Held kann's mir ja jetzt egal sein, was du treibst", schmunzelte er.
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    • Ezra

      Die Umarmung überraschte ihn. Ezra war dermaßen damit beschäftigt gewesen, sich irgendeinen Vorwand auszudenken, um Andrew doch irgendwie in seinem Leben behalten zu können, dass er nicht damit gerechnet hatte, dass der Ex-Held ihm so nah kommen würde. Aber irgendwie fühlte es sich seltsam gut an. Ezra erwiderte die Geste, ohne großartig darüber nachzudenken und hätte Andrew am liebsten zurück in seine Arme gezogen, als dieser ihn losließ. Okay. Langsam begann er zu überlegen, ob ein bisschen Abstand zwischen ihnen vielleicht doch gar nicht so verkehrt war.
      “Sicher”, antwortete der Blonde mit einem aufgesetzten Lächeln. “Meld dich, falls was ist.”

      “Liz, konzentrier dich. Du hast schon zwei Gummibärchen und bekommst noch fünf dazu. Wie viele hast du dann?”
      “Sieben?” Die Sechsjährige sah unsicher von den Gummibärchen auf dem Tisch vor ihr zu Ezra, der kurz nickte. Sie lächelte erleichtert, während sie mit ihrem Bleistift die Zahl auf ihrem Hausaufgabenzettel eintrug.
      “Jetzt iss vier und sag mir, wie viele übrig bleiben.” Ezra musste unweigerlich lächeln, als das Mädchen sich mit Begeisterung auf die Gummibärchen stürzte. Er lehnte sich auf dem Sofa zurück, während Liz zählte und tippte auf sein Handy, aber auf dem zersprungenen Display war immer noch keine neue Nachricht zu sehen. Eigentlich war es gut, dass er nichts mehr von Andrew gehört hatte, aber es fühlte sich trotzdem seltsam an. Es war über eine Woche her, dass sie sich das letzte mal gesehen hatte. Der Mittwoch war gekommen und gegangen und Ezra hatte ein mentales Tief erreicht, das er vorher nicht gekannt hatte. Wenigstens hatte er dafür auch keine weiteren Drohnachrichten bekommen.
      “Drei.”
      “Mhm?”
      “Es sind noch drei Gummibärchen über.” Liz schob die drei Gummibärchen zu ihm rüber, zögerte kurz und zog zwei wieder zurück. “Für dich.”
      “Danke.” Ezra schob das letzte Gummibärchen ebenfalls in ihre Richtung und wurde dafür mit einem breiten Grinsen belohnt. Er tippte erneut auf sein Handy. Zumindest wäre Ada jetzt bestimmt stolz darauf, dass er regelmäßig drauf sah.
      “Ezra!”
      Der Blonde zuckte dermaßen heftig zusammen, dass er das Handy fallen ließ. Ada störte sich nicht weiter daran, sondern ging an ihm vorbei und schnappte sich die Fernbedienung vom Wohnzimmertisch. Der kleine Fernseher sprang an und sie schaltete auf die Nachrichten, bevor sie auf den Bildschirm deutete, als wäre Ezra höchstpersönlich für die Bilder verantwortlich, die über die Scheibe flimmerten. Ezra brauchte ein paar Sekunden, um zu verarbeiten, was er sah, während Ada ihre Tochter zum spielen aus dem Zimmer raus schickte. Zurecht. Auf dem Bildschirm herrschte Chaos. In der Mitte des Bildes stand ein Reporter, die Hand über ein Ohr gelegt, offenbar bemüht, bei dem ganzen Lärm die Infos zu verstehen, die durch sein Headset kamen, während er versuchte zu erklären, was geschehen war.
      “-noch keine offizielle Bestätigung. Die ersten Einsatzkräfte sind eingetroffen, um sich um die Verletzten zu kümmern und die Toten zu bergen”, moderierte der Sprecher über das Chaos hinweg.
      “Offensichtlich gab es einen Anschlag auf die St. Paul’s Cathedral”, erklärte Ada, ohne den Blick vom Fernseher abzuwenden. “Ich hatte es gerade im Radio gehört.”
      “Laut ersten Augenzeugenberichten hat es einen gewaltigen Blitz gegeben”, moderierte der Nachrichtensprecher weiter, während man im Hintergrund Blaulicht sehen konnte. Gedämpfte Schreie waren zu hören.
      “Denkst du, das war der Stein?”, fragte Ada, während sie nervös mit ihren Haaren spielte.
      “Gut möglich”, antwortete Ezra vorsichtig. Eigentlich gab es kaum eine Alternative, dafür wäre das Timing zu gut. Also war der Stein wohl tatsächlich nicht bei einem Sammler gelandet. “Fuck.”
    • Andrew

      Aufstehen, Frühstück, Spaziergang… was kam dann? Naja, irgendwann ging er wieder schlafen. Die Tage zogen sich so sehr in die Länge, dass Andrew schon längst die Ideen ausgegangen waren, wie er sie füllen konnte und ihm wurde mehr als je zuvor bewusst, dass er kein Leben außerhalb seinen Jobs gehabt hatte. Und es war furchtbar. Wie ein riesiger Haufen Steine der überall an seinem Körper befestigt war. Jeder Schritt war eine Qual und jede Sekunde musste er sich davon abhalten, nicht doch einfach ins Büro zu fahren und um seine alte Stelle zu betteln. Sogar Thomas hatte ihn zwischendurch mal angerufen, weil er offenbar gehofft hatte, dass Andrew sich nur eine out-of-character Auszeit nahm oder auf Urlaub war.
      Der letzte Mittwoch Abend war wohl der schlimmste, den er je erlebt hatte. Er hatte sogar begonnen, sich Blockbuster Filme reinzuziehen, um sich irgendwie von Ezra abzulenken und alleine die Tatsache, dass er ihn nicht aus dem Kopf bekam, machte das alles schon schlimm genug. Die zwei darauffolgenden Tage hatte er sogar eineinhalb Mal eine Art Nervenzusammenbruch bekommen und ein bisschen geheult, also insgesamt öfter, als wohl auf die letzten zehn Jahre aufgeteilt. Jegliche Skills zur Bewältigung seiner negativen Emotionen hatten sich in Luft aufgelöst und wäre da nicht diese schockierende Nachricht vor seinen Augen aufgetaucht, als er gerade das Programm im TV ändern wollte, dann hätte er gleich sicher noch einmal einige Tränen vergossen.
      Stattdessen musste er sich aufsetzen, und die Augen zusammenkneifen, weil er nicht glauben konnte, was er da sah. Ein Blitz, der in die Kirche eingeschlagen hatte? 86 Tote und kein einziger Überlebender… Das war definitiv nicht auf eine Naturkatastrophe zurückzuführen. Unsicher was er tun sollte, lehnte Andrew sich erstmal in seinem Bett zurück und ließ den Blick durch seine Ein-Zimmer-Wohnung fliegen. Hm… sein Handy lag da hinten auf der Küchentheke… Tatsächlich fragte er sich kurz, ob es ihm das wert war, jetzt aufzustehen, aber er tat es dennoch und tippte nach viel Überwindung für Ezra eine Nachricht ein.

      >>Hey, Meowgan hier. Hast du die Nachrichten gesehen? Ich bin um 15 Uhr an der Ecke zur Victoriastreet in meinem Auto. Wir sollten reden.<<

      Er war sich zwar ziemlich sicher, dass ein Treffen seiner Psyche nicht unbedingt gut tun würde, aber er konnte es nicht lassen. Offenbar hatte das Innenministerium absolut gar nichts unter Kontrolle und langsam rutschte Andrew in eine Existenzkrise hinein. Somit versuchte er sein Äußeres mit einer schnellen Dusche und frischen Klamotten zu retten und entschied sich in letzter Sekunde sogar noch dazu, Parfum zu verwenden. Am Ende sah er aus, als wäre er auf dem Weg zu einer Fashionshow, nur dass sein Gesichtsausdruck eher in einer Begräbnisstimmung eingefroren war. Wie versprochen wartete der Dunkelhaarige um 15 Uhr in seinem Auto auf einem Parkplatz. Es erschien ihm diesmal wirklich nicht angebracht, an einem belebten Ort über diesen Anschlag zu sprechen. Und über die anderen Dinge, die er loswerden musste…
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    • Ezra

      Das kleine Summen kam so plötzlich, dass Ezra sein Handy beinahe wieder aus der Hand gefallen wäre. Im Fernsehen versuchte gerade ein hoffnungslos überforderter Journalist, ein Statement aus einem ebenfalls hoffnungslos überfordertem Politiker zu quetschen, während ein Newsticker am unteren Rand neue Updates zur Situation einblendete. Mit jeder Einblendung stieg die Zahl der Opfer. Ezra schaffte es, seinen Blick vom Bildschirm zu lösen und stattdessen auf sein kaputtes Display zu schauen, auf dem soeben eine Nachricht von Andrew aufgeploppt war. Ezra las die Nachricht zweimal, ignorierte das seltsame Ziehen in seiner Brust und antwortete mit einem kurzen:

      >> Ich beeile mich <<

      Was im Grunde fast untertrieben war.
      Wenn er auch nur ansatzweise pünktlich sein wollte, müsste er zwischendurch Joggen. Aber so verzweifelt war er noch nicht.

      Sich selbst zu belügen war schwer und doch schien Ezra es jedes mal wieder zu schaffen. Er warf einen kurzen Blick auf seine Uhr, während er eine Straße entlangjoggte und einer Frau mit Kinderwagen auswich, die panisch in ein Telefon quasselte. Jeder, der aktuell auf der Straße unterwegs war, schien in Aufruhr zu sein. Es schien niemanden zu geben, der noch nichts von dem Anschlag mitbekommen hatte, die Nachrichten verbreiteten sich wie ein Lauffeuer. Auf einer Parkbank saß eine Gruppe Jugendlicher, die alle zusammen auf ein Handy starrten, über das wohl ein Livestream lief. Der selbe Livestream, den Ezra eben gehört hatte, als er in der U-Bahn gesessen hatte, umringt von Menschen die aussahen, als würden sie jederzeit erwarten, Opfer des nächsten Anschlags zu werden.
      Ezra lief an ein paar Nachbarn vorbei, die vor ihren Häusern standen und redeten und kürzte - mit ein wenig windiger Hilfe durch seinen Stein - über einen Zaun zu einem kleinen Hinterhof ab. Es achtete sowieso gerade niemanden auf ihn und er hatte es eilig, warum also nicht jedes kleine bisschen Weg sparen?
      Er wurde langsamer, als er die Victoriastreet erreichte und konnte nicht anders, als ein wenig zu lächeln, als er Andrews Auto entdeckte. "Hey", grüßte er, ein wenig mehr außer Atem, als ihm lieb war, während er kurz gegen die Scheibe der Beifahrertür klopfte. "Machst du auf, oder vermisst du es schon, mich irgendwo einbrechen zu sehen?" Das war wahrscheinlich der falsche Moment für Humor, aber Ezra konnte einfach nicht anders. War es seltsam, dass er sich darüber freute, Andrew wieder zu sehen?
    • Andrew

      Während er wartete musste er sich ernsthaft fragen, was ihn eigentlich dazu trieb, einen Dieb für diese Konversation einzuholen, anstatt sich beim Dezernat zu melden. Gut, da hätte er vermutlich sowieso gegen Wände gesprochen, aber beispielsweise Serena hätte er doch versuchen können zu überzeugen, dem ganzen noch einmal auf den Grund zu gehen…
      Beim Klopfen an die Fensterscheibe riss es Andrew aus den Gedanken. Er sperrte auf und ließ den Blonden herein. Das Chaos um sie herum war wie weggeblasen, als er die Türe wieder schloss und es auf einmal nur sie beide in einem Auto waren. Zuerst wusste Andrew gar nicht, was er überhaupt gewollt hatte. Mit mehr oder weniger leerem Blick betrachtete er seinen Beifahrer, den er wirklich ein wenig zu sehr vermisst hatte, für seinen Geschmack. Bilder von dem Abend in der Bar und der Verabschiedung vor dem Café schossen ihm durch den Kopf.
      "Hi…", murmelte er und versuchte sich zu fassen anstatt sich in Ezras Anblick zu verlieren, wie jemand, der zum ersten Mal im Leben eine andere menschliche Person vor sich sah. Er sperrte den Wagen wieder ab, nur zur Sicherheit. Nicht, dass irgendein Wahnsinniger von draußen die Tür aufriss. Vielleicht war Andrew nach dieser Woche ein bisschen von Actionfilmen verblendet, aber er ging lieber kein Risiko ein. Dennoch öffnete er das Fenster auf seiner Seite einen Spalt, da er es leicht mit dem Parfum übertrieben hatte.
      "Ich… will gar nicht lange drum herum reden", meinte er dann. "Ich will nach Polen. Zu diesem… wie hieß er? Kenneth Brown? Ich will diesen Stein, den der Typ damals mitgenommen hat. Wenn man mich hier nicht arbeiten lässt, muss ich es eben dort tun" Seine Stimme klang seltsam entschlossen, nachdem er sich eigentlich gar nicht sicher war, ob das alles eine gute Idee wäre. Darum war Ezra ja hier. Um ihm das ganze auszureden… bestenfalls.
      "Und außerdem ist England wahrscheinlich bald Geschichte, wenn man das ganze der Inneren überlässt" Etwas unsicher fügte er dann doch noch hinzu: "Was meinst du?"
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    • Ezra

      Andrew sah besser aus, als Ezra erwartet hatte. Was zeitgleich sehr erfreulich und absolut furchtbar war. Es war natürlich schön zu sehen, dass Andrew sich offenbar aus dem dramatischen Loch gerettet hatte, in dem er gesteckt hatte, als sie sich das letzte mal gesehen hatten. Ezra hatte mit einem weitaus bedenklicheren Ergebnis gerechnet. Zeitgleich hatte er wirklich Probleme, sich darauf zu konzentrieren, was der Dunkelhaarige sagte, weil er viel zu beschäftigt damit war, ihn nicht anzustarren. Er hate sogar Parfum genutzt. War das neu, oder war es Ezra vorher einfach nie aufgefallen?
      Gott sei Dank riss das kleine Stichwort "Polen" Ezra zurück in das hier und jetzt. Er blinzelte irritiert und presste die Lippen zusammen, um Andrew nicht ins Wort zu fallen. Es wäre gelogen zu behaupten, dass er nicht selbst darüber nachgedacht hatte. Nur um sicher zu stellen, dass der Stein dort in sicheren Händen war und sie sich keine Sorgen um eine zweite Katastrophe machen mussten. Wenn sie die Infos über diesen Stein innerhalb eines einzigen Tages gefunden hatten, musste es für potentielle Diebe immerhin ein Leichtes sein, dies auch zu tun. Aber es war verrückt. Was sollte er in Polen schon ausrichten können? Er sprach nicht mal polnisch. Was Andrew aber offenbar auch nicht von dem Plan abhielt.
      "Das ist ein furchtbarerer Plan", erklärte Ezra, während er sich in seinem Sitz zurücklehnte und an die Autodecke starrte, als würde er dort die richtige Antwort finden. "Wissen wir überhaupt, wo dieser Typ wohnt? Polen ist groß." Und doch ging ihm das alles nicht durch den Kopf. Die ganzen 'Was wäre, wenn' Szenarien. Was wäre, wenn sie von Anfang an an dem Fall drangeblieben wären? Vielleicht hätte dieser ganze Anschlag nie stattgefunden. Vielleicht hätten sie den Stein schon längst zurück bekommen und während nahtlos zurück zu ihrer Routine gekommen. Oder sie wären irgendwann zwischendurch erschossen worden und lägen jetzt in einer kleinen Seitengasse.
      "Außerdem muss Kenneth Brown ja auch nicht unbedingt auf unserer Seite stehen." Ezra wusste gerade nicht, ob er immer noch versuchte, Andrew die Sache auszureden, oder ob er sich nur selbst überzeugen wollte. "Obwohl wir das nicht wissen, bis wir ihn nicht besucht haben." Er zögerte kurz, den Blick stur auf die Autodecke gerichtet, um sich nicht von seinem Gesprächspartner ablenken zu lassen. "Hättest du eventuell noch einen alten Kontakt im Dezernat, der die Adresse rausfinden könnte?"
    • Andrew

      Andrew presste die Lippen zusammen. Alles, was Ezra sagte, machte Sinn. Und es war total dämlich auch nur einen Gedanken daran zu verschwenden, sein Leben zu riskieren um in einem anderen Land eine ähnliche Katastrophe zu verhindern. Oder? Oder war es einfach das, was gute Menschen taten? Waren sie gute Menschen?
      "Ich… ja. Ich kann Thomas anrufen", meinte er. Damit hätten sie das Problem mit der Adresse recht schnell gelöst, wobei es bestimmt ein wenig Überzeugungskraft kosten würde, Thomas zu etwas halb-legalen zu bewegen.
      "ich denke nicht, dass Brown ein schlechter Kerl ist. Zumindest hat er England mit seiner kleinen Tochter verlassen", murmelte er. Die Latte hing mittlerweile sehr niedrig. Aber er hätte genauso gut alleine abhauen können oder die Polizisten ermorden, die ihm den Stein abnehmen wollten. Statt jemanden umzubringen, ist er ausgewandert. Wenn er kein guter Mensch war, war er wenigstens ein Feigling. Das kam ihnen auch irgendwie zugute. Auf einmal überdachte Andrew Ezras Wortwahl. "Moment… heißt das, du willst mitkommen?", fragte er, obwohl er sich nichts mehr gewünscht hatte, als das, denn er betrachtete sich selbst auch nicht unbedingt als Superman, der es im Alleingang mit solchen Mega-Steinen aufnehmen konnte. Nachdem er sich diese Frage selbst beantworten konnte, schüttelte er den Kopf. "Ach, scheiß drauf", flüsterte er und wählte die private Nummer seines alten Kollegen. Dieser nahm ab, bevor das erste Klingeln endete und Andrew war leicht überrumpelt, begann aber gleich zu erklären.
      "Hi Thomas. Ja- ja, mir geht's gut. Danke. Nein. Hör- hör mir ZWEI SEKUNDEN ZU. Danke" Es war eine Herausforderung, Telefonate mit diesem Typen zu führen, wenn man ihm nicht physisch den Mund zukleben konnte. "Ich… ich brauche die Adresse von Kenneth Brown, Engländer der 1983 nach Polen ausgewandert ist… Ja, der. Nein. Hey, das ist noch immer meine Entscheidung. Was? Also bitte"
      Andrew legte sich frustriert die Hand über die Augen, während er sich Thomas panischen Redeschwall anhörte, dass er auf keinen Fall Teil eines Verbrechens sein wollte und er diesen Job brauchte und auf keinen Fall riskieren konnte, dass seine Freundin mit ihm Schluss machte. "Hey, es weiß doch kein Mensch, wer dieser Kerl ist. Ich hab die Akten bei mir im Auto. Du… hilfst mir eben die Adresse von einem alten Freund meiner Eltern rauszusuchen, klar?" Endlich, das schien den Jüngeren langsam zu beruhigen. Andrew nickte Ezra zuversichtlich zu. Er beugte sich über den Blonden und kramte einen kleinen Block mit Bleistift aus dem Handschuhfach heraus, auf dem er die Adresse zu notieren begann. "Hm… mhm… danke. Nein, ich weiß nicht, ob ich dazu komme… den Lazienki Park zu besuchen. Klar, ich schick dir ein Foto… wenn doch…" Andrew verdrehte die Augen. Als das Gespräch endlich beendet war, wandte er sich an Ezra. Er hielt den kleinen Block hoch. "Warschau", sagte er. "Ist doch super, Direktflug"
      Dass hier irgendetwas "Super" war, würde er sich noch lange Zeit einreden müssen, aber es war ein Anfang.
      "Ah… sag mal… sprichst du Polnisch?"
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    • Ezra

      Ezra hob eine kritische Augenbraue, als Andrew in Frage stellte, dass er mitkommen wollte. Hatte er wirklich gedacht, er würde ihn vollkommen alleine in die Welt raus schicken? Er wusste, dass Andrew unglaublich talentiert war, aber er kannte auch all seine kleinen Fehler - er hatte die letzten zehn Jahre damit verbracht, ihn bei seinen Verfolgungsjagden an der Nase herum zu führen. Wenn Andrew irgendetwas passieren würde, würde er sich das nie verzeihen. Zumal er sich nicht ganz sicher war, ob er die lange Zeit ohne Andrew aushalten würde. Die letzte Woche hatte ihm schon gereicht. Ugh, war das kitschig.
      Und es wurde nicht besser, als Andrew sich kurz an ihm vorbeilehnte, um sich Stift und Schreibblock aus dem Handschuhfach zu holen. Ezra rutschte ein wenig tiefer in den Sitz hinein und setzte sich dabei auf seine eigenen Hände, um nichts dummes anzustellen. Nicht, dass es irgendetwas gab, was dümmer wäre, als mit Andrew durch die Weltgeschichte zu reisen. Wenigstens würden sie offenbar nicht ganz so ziellos unterwegs sein, wie gedacht. Zumindest schien das Gespräch mit Andrews Kollegen - das offenbar sehr einseitig war und ziemlich anstrengend klang - eine Adresse hervorgebracht zu haben.
      "Polnisch ist zufälligerweise keine meiner Stärken. Nein", gab Ezra zu, während er die Augen zukniff. Das war nicht mal ihr größtes Problem. Ob Andrew sich überhaupt darin im Klaren war, wie furchtbar anstrengend es war das Land zu verlassen, wenn man polizeilich gesucht wurde? "Ich kümmere mich um die Flugtickets, wenn du den Rest übernimmst. Hast du einen Wunschnamen? Oder ist dir egal, wenn man nachverfolgen kann, dass du nach Polen fliegst? Ich meine, ich will nicht anstrengend sein, aber- ich komme mit meinem Namen wahrscheinlich nicht mal zum Gate und wer auch immer uns bedroht hat, ist technisch dermaßen gut aufgestellt, dass er sicher kein Problem damit hat, unsere Flugdaten herauszufinden, wenn wir es ihm zu einfach machen."
      Die eine Drohung hatte ihm zumindest absolut gereicht. Er machte sich keine Illusionen, dass die erneute Aufnahme ihrer Ermittlungen vollkommen unter dem Radar bleiben würde, aber wieso sollte man es allen anderen von Anfang an leicht machen? Auch, wenn es verdammt teuer werden würde, einen Ausweis zu bekommen, der gut genug wäre, um damit in ein Flugzeug steigen zu können. Aber das wäre es sicher wert, solange diese Reise irgendwelche Hinweise liefern würde - und wenn nicht, war sowieso schon alles verloren.
    • Andrew

      "Ha", machte Andrew nachdenklich. Dass sie beide kein Polnisch verstanden, konnte vielleicht zum Problem werden. Und dass Andrew nicht einmal mehr einen richtigen Edelstein besaß, falls er sich doch mal verteidigen musste, war ebenfalls suboptimal. "Ha…", entwich es ihm noch einmal.
      "Ich schätze, ich muss mir ein paar Worte aus dem Internet suchen…", murmelte er. Eigentlich war er in der Schule immer gut darin gewesen, Sprachen zu lernen. Er hatte sich nur eben kaum etwas gemerkt, weil er nie verreiste und irgendeine Sprache außer Englisch brauchen konnte. Das konnte aber doch nicht so schwer sein, richtig? Außerdem musste er keine Prüfung bestehen und konnte immer noch sein Handy benutzen, wenn es Hart auf Hart kam.
      Dass Andrew sich einen neuen Namen überlegen musste überforderte ihn dann aber doch mehr, als der Fakt, dass er nicht einmal die Sprache des Landes verstand, in dem sie ermitteln wollten. "Ähh…", machte er angestrengt und kniff die Augen zusammen. "Das erste das mir einfällt, ist Jack" Dass er gestern Abend erst Titanic gesehen hatte, hatte damit natürlich nichts zu tun. "…Swan?" Twilight Anspielung? Absolut nicht. Aber sollte ihnen auf ihrer Reise ein Popkultur Quiz begegnen, hatten sie so gut wie gewonnen. "Jack Swan? Soll ich nochmal drüber nachdenken?", fragte er unsicher und lachte ein wenig.
      "Ich werde mich um ein Hotel kümmern", sagte er und stockte dann kurz, bevor er noch sicher ging: "Wir fliegen doch noch heute, nicht? Ich glaube, einen weiteren Tag schaffe ich nicht, ohne zu arbeiten" Er wollte tatsächlich so schnell aus London raus, wie es nur ging. Nicht nur, weil er wegen Langeweile und Depressionen langsam vor sich hin vegetierte, sondern weil er eine leichte Paranoia entwickelt hatte, seit sie beide die Drohnachricht erhalten hatten. Was, wenn man sie gerade jetzt beobachtete? Verwanzt hatte? Wenn gleich jemand um die Ecke bog, sie erschießen wollte und Andrew eine Verfolgungsjagd im Auto durchleben musste? Er war jedenfalls allzeit bereit, aufs Gas zu treten. Vielleicht wäre eine Therapie wirklich sinnvoller, als das Land zu verlassen.
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