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EzraViele Menschen würden sagen, dass das Schlimmste an einer Karriere als Einbrecher das ständige Adrenalin war, das Wissen, dass jeder Einbruch der letzte sein könnte, wenn man einen falschen Schritt machte, eine falsche Abzweigung nahm und einem Polizisten in die Arme lief. Der Stress, das ständige über-die-Schulter-Schauen.
Ezra hatte dies nie verstanden. Man konnte keinen falschen Schritt machen, wenn man sich im Vorfeld schon einen Ausweg für jede erdenkliche Situation überlegt hatte. Selbst die besten Handschellen konnte man mit einem Generalschlüssel öffnen, wenn niemand hinsah. Nein, für ihn waren die Konsequenzen eines missglückten Einbruchs noch nie das Schlimmste an seinem Job gewesen - die Stille, die mit ihm einherging war deutlich schlimmer. Und hier, im gehobeneren Viertel der Stadt, war unglaublich still. Die Fenster der kleinen Stadt-Villen um ihn herum waren dunkel, die Straßen leer.
In den weniger gut betuchten Stadtteilen Londons schien man Stille nur als Konzept zu kennen - selbst in tiefster Nacht konnte man dort Betrunkene auf den Straßen antreffen, die laut singend nach Hause torkelten und die Menschen grüßten, die in den frühen Morgenstunden ihre Häuser verließen, um zur Arbeit zu gehen. Doch all das gab es hier nicht. Hier herrschte eine Stille, die Ezra dazu verführte, seine Gedanken schweifen zu lassen und mehr in seinem eigenen Kopf zu stecken, als im hier und jetzt. Eine Stille, in der das vorsichtige Zuziehen der Tür doppelt so laut klang, wie es eigentlich war. Hoffte Ezra zumindest. Gut, er hätte sich lediglich auf den kleinen Stein, der an einer Kette um seinen Hals hing, konzentrieren müssen, um das Haus absolut geräuschlos verlassen zu können, aber irgendetwas hatte ihn davon abgehalten. Vielleicht wollte er einfach einen kleinen Laut in der Stille hören, um sicher zu gehen, dass er nicht spontan taub geworden war. Vielleicht wollte er auch einfach ein wenig provozieren. Was wahrscheinlich der nächste Punkt auf der kleinen Liste von Dingen war, die Ezra in dieser Nacht nervös machten: Andrew war auffallend spät dran.
Ezra warf einen kurzen Blick nach links und rechts, bevor er seine Taschenuhr zückte. Gott, konnte man sich heutzutage überhaupt auf irgendwas verlassen? Mit einem kleinen Seufzen zog die Tasche um seine Schulter - gefüllt mit Schmuck, Geld und dem wohl hässlichsten Kerzenleuchter der Welt - zurecht. War es schräg, dass er den spießigen Helden fast vermisste? Sicher, so musste er sich nicht die Mühe machen, einen der vierzehn Fluchtwege zu nutzen, die er mit Adeline zusammen ausgearbeitet hatte, aber die schnippischen Kommentare gehörten mittlerweile fast zum Einbruch dazu und waren die Hälfte des Spaßes. Ein Diebstahl ohne Wortgefecht war wie ein trockenes Stück Kuchen ohne Sahne. Man konnte damit leben, aber glücklich machte es nicht.
Mit einem letzten Blick auf die Taschenuhr ließ Ezra selbige wieder in seiner Jackentasche verschwinden, bevor er sich in Bewegung setzte, zurück in die Richtung der Viertel, in denen Nachts noch etwas Leben zu finden war.