Divided Essence [Kiimesca & Codren]

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    • Als sie nach kurzer Zeit ihren Rastpunkt erreicht hatten, begann Ana'Maera damit ein paar Äste zu sammeln. Diese legte sie alle auf einen Haufen, ehe Malvas sich einmischte und sie ihn skeptisch ansah. Nicht nur, weil er so seltsam dabei grinste, sondern viel mehr, weil er sie wohl für dumm zu halten schien. Es war zwar ihre erste Reise und dazu noch allein, aber sie war in der Theorie zumindest darauf vorbereitet. Sie kannte die Routen der Elfen, aber nicht die aktuellsten Informationen, die Malvas vielleicht über die Gegend hatte. Und sie wusste, dass man keine Lagerfeuer anzündete, weshalb sie auch keine Tiere jagen und grillen würde, sondern sich notgedrungen von den Früchten des Waldes ernähren müsste, die sie später suchen würde.

      "Ich kann die erste Wache übernehmen", widersprach sie knapp, setzte sich hin, legte ihren Bogen neben sich und nahm einen ihrer gesammelten Äste, um sie mit Malvas Dolch - da sie keinen eigenen mehr hatte - zu bearbeiten. Sie hatte möglichst gerade Äste gesammelt, die nicht zu dick, aber auch nicht zu dünn waren, um daraus Pfeile zu schnitzen. Für den normalen Gebrauch wären sie eher unbrauchbar, aber zusammen mit ihrer Magie würden sie ihren Zweck erfüllen. Da dies einige Zeit in Anspruch nehmen würde, würde sie ohnehin noch wachbleiben müssen, also konnte sie dabei auch gut die erste Wache übernehmen.
      "Ich weiß, wie man unauffällig reist. Ich habe dich nur wegen deiner Fähigkeiten als Illusionsmagier mitgenommen und weil du behauptet hast, dass du mehr über die Gegend weißt, als ich." Seine Magie war im Kampf nicht unbedingt all zu hilfreich, wobei die Elfe seinen Rauch dabei schon gebrauchen konnte. Die Reise eines Hüters musste jedoch im Verborgenen geschehen und wer könnte das Verstecken besser ermöglichen, als ein Illusionist?
      ~ ♦ ~ Die Freiheit der Phantasie ist keine Flucht in das Unwirkliche; sie ist Kühnheit und Erfindung. ~ ♦ ~
      - Eugene Ionesco
    • Malvas' Hochmut sackte gleich wieder in sich zusammen. Sie widersprach ihm doch jetzt nur, weil sie hier alle Waffen hatte, oder? Sie machte sich doch über ihn lustig, dass er sich einer Elfe anvertraut hatte, der er dann auch noch seinen einzigen Dolch gegeben hatte. Wie blind war er nur gewesen? Natürlich kam nichts dabei heraus, wenn man mit Elfen abhing.
      "Ich kann aber auch...!", gab er halbherzig zurück und wusste gleich, dass er damit nicht weit kommen würde. So wie Ana'Maera ihn betrachtete, würde er vermutlich nichtmal weit kommen, wenn er anbiete, für sie beide Beeren zu sammeln.
      Zugegeben, auch darin war sie wohl besser.
      Mit in Falten gezogener Stirn betrachtete er, wie die Elfe sich auf dem Boden niederließ und anfing, sich allem Anschein nach Pfeile zurechtzuschnitzen. Das war gut, Pfeile würden sie beide beschützen und diese hier kosteten nichts, aber selbst Malvas wusste, dass man mit so etwas nur dürftig schießen konnte. Man bräuchte richtige Pfeile mit richtigen Luft... Kurven... Linien, oder was auch immer dahinter steckte, um sie mit Wucht abschießen zu können.
      Aber auch das war wohl eher Ana'Maeras Gebiet. Malvas verschränkte in kindlichem Trotz die Arme vor der Brust und ließ sich auf dem nächstbesten Fleck Boden auf den Hintern fallen.
      "Ich habe das nicht nur behauptet, ich weiß mehr als du. Du hast ja nichtmal eine Ahnung, wie man sich auf Marktplätzen verhält! Du hast mir echt deinen ganzen Beutel Gold zugeworfen - das war dumm! Warst du noch nie auf einem Marktplatz unterwegs oder was?"
    • Die Elfe beachtete ihn nicht weiter und konzentrierte sich auf ihre Pfeile. Allerdings hatte sie gerade auch keinen Köcher, um diese zu transportieren, weshalb sie einen Moment überlegte. Dabei sah sie kurz zu Malvas, der sich hingesetzt hatte, wenn man das so bezeichnen konnte. Sein Verhalten war ziemlich merkwürdig, denn Elfen verhielten sich weder kindisch, noch trotzig.
      "Nein", gab sie ehrlich zu und legte den Kopf schief. "Ich war noch nie außerhalb von Saner'a. Ich habe vorher noch nie Menschen oder Dämonen gesehen." Warum sollte sie ein Geheimnis daraus machen? Im Gegensatz zu Dämonen akzeptierten Elfen ihre Schwächen.
      "Man hat mir nur gesagt, dass der Inhalt des Beutels reicht, um den Stein an einen anderen Ort zu transportieren. Ich kannte dessen Wert jedoch nicht." Nun war der Beutel allerdings weg und sie mussten so zurecht kommen. Das würde auch schon irgendwie funktionieren.
      Nachdem sie ein Dutzend Pfeile hatte, erhob sie sich und sah zu Malvas hinunter. "Der Hüter, der die Reise in ein paar Monaten hätte antreten sollen, starb durch die Hand des Feuerdämons. Deshalb hat mein Vater mir die Aufgabe anvertraut." Während des Sprechens sah sich Ana'Maera um und ging anschließend zu einem Baum hinter Malvas. Sie lockerte die Schnürung ihres ledernen Mieders und nahm diesen ab, da ihr Leinenhemd für's erste genügte. Diesen rollte sie zusammen und schnürte ihn fest zu, ehe sie die Enden mit etwas Baumharz zusammenklebte, um einen provisorischen Köcher zu bauen. Es war besser als nichts. Zufrieden befestigte sie ihn an ihrem Gürtel und steckte die Pfeile hinein.

      Dann ging sie in den Wald hinein, um nach einer Weile mit einem Haufen Beeren und essbaren Pilzen zurückkam, die roh einigermaßen essbar waren. Gesammelt hatte sie diese in ihrem Hemd, das sie zu einem behelfsmäßigen Behälter dafür geformt hatte und festhielt. Sie selbst hatte während des Sammelns schon einiges gegessen, weshalb sie sich nun neben Malvas setzte und ihn ansah. "Iss", forderte sie ihn auf und wartete darauf, dass er sich davon bediente. Sie aß noch ein paar Beeren und einen der Pilze, sodass er sich sicher sein konnte, dass nichts davon giftig war. Auch das hatte sie in ihrer Ausbildung gelernt, da sie schließlich von Wäldern umgeben waren.
      "Tut es weh?", fragte sie und deutete mit einem Nicken auf seine verletzte Schulter. Da er kein Hemd mehr trug, betrachtete sie auch die zahlreichen Brandwunden. "Du solltest sie reinigen, wenn du nicht willst, dass sie sich entzünden. Ich könnte dich auch heilen." Doch dafür schien der Dämon vorher schon zu stolz zu sein. Mehr als anbieten konnte sie es allerdings nicht. Ihre Heilungsmagie war zwar nicht besonders fortgeschritten, aber seine Wunden sollten kein Problem darstellen, wenn sie ausreichend Geduld hatte, da es bei ihrem Niveau länger dauern würde, als bei einem erfahrenen Heiler. Außerdem würde es sie einen Großteil ihres aktuell zur Verfügung stehenden Mana's kosten. Seine Wunden schwächten ihn jedoch und so wäre er ihr nur mehr ein Klotz am Bein. Zwingen konnte sie ihn aber schlecht.
      ~ ♦ ~ Die Freiheit der Phantasie ist keine Flucht in das Unwirkliche; sie ist Kühnheit und Erfindung. ~ ♦ ~
      - Eugene Ionesco
    • Als Ana'Meara Malvas dann auch noch steckte, dass sie tatsächlich und allen ernstes zum ersten Mal ihre Heimat - wo auch immer Saner'a liegen mochte, er hörte den Namen zum ersten Mal - verlassen hatte, starrte er dann doch recht dämlich. Wenn überhaupt hätte er wetten können, dass die Elfe aus irgendeiner Hauptstadt kam oder dass sie zumindest schon oft genug woanders gewesen war, um solche Fähigkeiten aufzuweisen. Aber sie hatte entsprechend nur in ihrer Heimat gelernt?
      Wie bei allen Generälen wurde dort unterrichtet, dass sie eine solche Bogenschützin geworden war?
      ... Wollte er das überhaupt wissen? Vermutlich nicht.
      "Verflucht, du meinst das ernst oder? Du warst wirklich noch nirgends? Auf keinem Marktplatz? In keiner Stadt? Wurdest noch nicht ausgeraubt?!"
      Und jemand wie sie sollte den Stein transportieren, hinter dem vermutlich die halbe Welt und ganz sicher das komplette Dämonenreich hinterher war? Was wäre nur geschehen, wenn nicht Malvas auf sie gestoßen wäre mit seiner erbärmlichen Illusionsmagie, sondern der Feuerdämon? Wenn er sie gleich erledigt hätte? Wenn der Stein kaum aus seiner Sicherheit heraus und gleich in die falschen Hände geraten wäre?
      Nun, die Dämonenkönigin hätte ihre Macht bekommen, so viel stand fest. Und mit ihr hätte Malvas sich von der Zivilisation verabschieden müssen, vielleicht ein einsames Leben in den Bergen angehen müssen.
      Alles nur, weil die Elfe - warum auch immer! - ihre Heimat nie verlassen hatte.
      Er glotzte noch ein wenig ungläubig weiter, während Ana'Maera sich erst an einem Baum zu schaffen machte und dann in den Wald verschwand. Malvas war immernoch nicht auf eine vertragbare Weltenansicht gekommen, als sie wieder zurückkam und Beeren, als auch Pilze dabei hatte. Er hinterfragte nicht einmal ihr Angebot, nahm sich nur etwas und starrte sie weiterhin entgeistert an.
      "Nichtmal in anderen Städten? Bei euch Elfen, meine ich? Nichtmal... irgendwo an der Küste? Oder in den Bergen? Oder im Eisland? Oder... ich weiß auch nicht... aber nichtmal da?!"
      Ana'Maera schien das gar nicht so sehr anzugehen wie ihn. Sie hatte eine für Elfen so typisch unbekümmerte Miene aufgesetzt und wandte sich dann an seine Wunden, als wären die viel schlimmer als die Tatsache, dass sie keinerlei Weltenkunde besaß.
      "Uh..."
      Malvas musste sich erstmal wieder in sich selbst einfühlen, um ihre Frage wahrheitsgemäß beantworten zu können. Tat es weh? Seine Schulter pochte dumpf, jetzt, wo er sich überhaupt nicht bewegte, und die vielen Brandblasen auf seiner geröteten Haut waren auch eher zu einem hintergründigen Stechen abgeklungen, zumindest solange er sich auch hier nicht bewegte. Die Nacht würde aber unangenehm werden, das wusste er jetzt schon - und natürlich hatte Ana'Maera recht, er sollte sie reinigen, wenn er keine Entzündungen haben wollte.
      Oder er könnte sich von ihr heilen lassen.
      "Nein."
      Er schüttelte vehement den Kopf. Weil die Elfe ihre Kräfte für ihren Bogen aufsparen sollte oder weil er es nicht zulassen würde, von einer Elfe verhätschelt zu werden?
      Wusste er selbst nicht genau.
      "Ich mach das sauber und dann heilt das schon. Ich brauch deine Magie nicht, spar sie dir lieber auf."
      Er stand auf, klopfte sich den Dreck von der Hose, musterte Ana'Maera dann noch einmal mit einem eigentümlichen Gesichtsausdruck und zog jetzt selbst in den Wald hinein davon, um nach einer Wasserquelle suchen zu gehen.
      Selbst in der Dunkelheit fand er einen flachen Bach oder eher eine Wasserquelle die einem Verlauf folgte. Er war dem Geräusch von leisem Wasser gefolgt und jetzt kniete er sich hin - natürlich nicht, ohne sich vorher gründlich umgesehen zu haben - und säuberte sich, soweit er konnte. Es brannte und es schmerzte und er schimpfte leise vor sich hin, während er das tat, aber schließlich glaubte er sauber zu sein, außerdem noch kalt und nass und ohne Oberteil, aber man konnte schließlich nicht alles haben. Er stand wieder auf, wanderte zurück zu Ana'Maera, die immernoch auf derselben Stelle auf den Boden saß, und setzte sich wieder hin. Für ein paar Augenblicke starrte er sie an, vermutlich, weil er immernoch daran dachte, dass diese Elfe noch nicht das Gesicht der Welt erblickt hatte, schnaubte dann schließlich, drehte sich um, suchte sich einen halbwegs weichen und sauberen Fleck auf dem Boden und rollte sich dort zusammen, verbissen darum, so viel Schlaf wie nur möglich bei der Kälte und seinen beißenden Wunden zu finden.
    • Warum machte er so ein Drama daraus, das sie noch nichts außer ihrer Heimat gesehen hatte? Für die Elfe war das völlig nebensächlich und doch fing er wieder damit an. Sie hatte nur eine einzige Aufgabe und die hätte sie beinahe verfehlt. Beinahe. Ihr war bewusst, dass sie großes Glück hatte. Glück und Dummheit der Dämonen. Dachten sie wirklich, dass sie nicht entkommen würde? Ohne Malvas Hilfe hätte sich das zwar als schwierig erwiesen, aber sie wäre keinesfalls kampflos untergegangen.
      Die Elfe akzeptierte sein Nein, ohne Fragen zu stellen. Eine Erklärung dafür folgte dennoch, was Ana'Maera durchaus sinnvoll erschien. Sie hatte es wohl zu gut gemeint, da es ihre Art war, sich für andere aufzuopfern. Selbst für einen Dämon.
      Als Malvas sich also waschen ging, legte sie ihre Waffen neben sich und verharrte dort. Sie hatte sich für die erste Wache gemeldet, obwohl es ihr im Nachhinein vielleicht etwas naiv erschien. Wenn der Dämon zuerst zu Kräften kam, würde er sie dann wieder überfallen? War er so dumm? Sie hatte genug Kraft, um mit ihm fertig zu werden.

      Während Malvas sich eine Portion Schlaf holte, rief Ana'Maera sich die Karten der Elfen ins Gedächtnis. Diese Karten auswendig zu lernen war Teil ihrer Ausbildung. Sie wurde nicht nur im Kampf geschult, doch wäre ihre Ausbildung erst wirklich abgeschlossen, wenn sie gemeinsam mit anderen Wächtern aufgebrochen wäre, um den Stein zum nächsten Versteck zu bringen. Wie Malvas ja zu genüge kritisiert hatte, fehlte ihr genau dieser Teil der Ausbildung, auch wenn sie alles theoretische darüber zu wissen glaubte. Da sie Städte wie Calanin jedoch mieden, war ein möglicher Überfall kein großes Thema. Sie wäre im Idealfall auch nicht erschöpft und ohne Proviant aufgebrochen, sodass Calanin gar kein Teil der Route war.

      Nachdem Malvas ein paar Stunden Ruhe hatte, weckte sie ihn vorsichtig, damit er sie ablösen konnte. Auch wenn sie gelernt hatte ihm zu misstrauen - und er diesem Misstrauen auch einen guten Grund gab, als er ihr den Stein abnehmen wollte - klammerte sie sich an die winzige Hoffnung, dass er ihr helfen würde. Doch vorher gab es noch eine Sache zu klären. "Warum hilfst du mir?" Wenn er dafür einen überzeugenden Grund hätte, würde es ihr leichter fallen, ihm nicht zu misstrauen. "Hasst du deine Artgenossen so sehr?" War das sein Antrieb? Hass war ebenfalls etwas, das sie nur in der Theorie kannte. Er konnte Menschen und Dämonen jedoch zu furchtbaren Dingen treiben. Der Feind meines Feindes ist mein Freund. Ob an diesem Spruch wirklich etwas dran war?
      Wenn sie nicht so müde wäre, würde sie einfach auf den Schlaf verzichten, doch sie musste ihre Kräfte regenerieren. Vorsichtshalber hatte sie den Stein jedoch so tief in ihrer Kleidung versteckt, dass sie merken würde, wenn er ihr diesen rauben wollte. Jedenfalls nahm sie das an, aber sie wäre dieses Mal auch nicht ohnmächtig und würde nicht so tief schlafen, dass sie es nicht mitbekäme.
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      - Eugene Ionesco
    • Wie zu erwarten war, döste Malvas gerade ein bisschen, als seine Zeit auch schon rum zu sein schien. Erstaunlicherweise fühlte er sich recht fit, als er sich murrend aufrichtete und seine Haare befühlte, ob er sie während dem Liegen platt gedrückt hatte. Direkt fiel ihm da auch noch ein, dass er keinen Spiegel zur Hand hatte; die letzten Wochen hatte er in Calanin verbracht und da gab es schließlich in fast jedem Gasthauszimmer einen Spiegel. Aber unterwegs brauchte er einen Handspiegel und sowas ließ sich nicht von Hand herstellen. Das würde er irgendwo stehlen müssen.
      Für den Moment streckte er sich aber, kratzte sich am Rücken und musterte Ana'Maera, die mit ihrer stoischen Miene kaum anders aussah als vor ein paar Stunden noch. Er bezweifelte sogar stark, dass Elfen müde aussehen konnten - oder in der Lage waren, irgendeine Regung von sich zu geben, die emotionalen Ursprung hatte. Sie wirkten eher wie... lebende Puppen, die man sehr sorgfältig und perfektionistisch zusammengesteckt hatte.
      Er blinzelte und löste sich dann von verträumten Gedanken, um wieder in die Realität zurückzufinden. In dieser hatte sich die Elfe wohl in den letzten Stunden mit einer äußerst prekären Frage beschäftigt.
      "Ich hasse sie nicht mehr als Menschen. Oder Elfen."
      Er grinste und lehnte sich dann zurück auf die Hände, weil er erwartete, mit einer solchen Entgegnung vielleicht Ana'Maeras Gesicht eine Reaktion entlocken zu können.
      Er hoffte vergebens.
      "Aber ich habe ein paar... Fehler gemacht. Die falsche Aufmerksamkeit bei den falschen Leuten erregt und jetzt muss ich den Dienst bei den Generälen vermeiden, denn sonst würden dieselben Leute, die ich eigentlich - hoffentlich - abgehängt habe, wieder aufmerksam werden. Und wenn sie zu aufmerksam werden, dann äh, muss ich wohl hoffen, dass ich sterben darf. Denn alles andere wäre nicht so toll."
      Er zuckte gleichgültig mit den Schultern.
      "Das ist jetzt schon mehr als zehn Jahre her, aber auch, wenn Dämonen sicher schneller vergessen als ihr ach so tollen Elfen, gibt es manche Sachen, die man nicht so einfach vergessen kann. Und wegen solchen Sachen werde ich auch für den Rest meines Lebens generallos bleiben, wenn ich Pech habe - aber so funktioniert das Dämonenreich nunmal nicht. Es funktioniert Königin, General, Offizier, dann sicher Unteroffizier oder sowas und dann Fußsoldat. Das ist unsere stärkste Hierarchie und solange keine zweite Hierarchie ähnlich stark wird, wird man sich auch immer dort einfügen müssen. Ich könnte das umgehen, wenn ich meine eigene, selbstständige Hierarchie hätte, aber die meisten Menschen interessieren sich nicht groß für sowas und alle anderen Dämonen würden viel lieber ihre eigene Hierarchie aufbauen, als sich meiner unterzuordnen. Deswegen bleibe ich einfach generallos und deswegen hätte ich ein sehr, sehr großes Problem, wenn das Dämonenreich die Kontrolle der ganzen Welt an sich reißen würde. Vielleicht ist das egoistisch, aber lieber bleibt der Stein bei euch Waldläufern, als dass er zu meiner Königin gelangt. So ist es besser."
      Er zuckte wieder mit den Schultern, dann grinste er knapp.
      "Fragst du, weil du mir nicht vertraust? Das ist gesund, schätze ich. Würde ich auch so machen, wenn du nicht alle generalverfluchten Waffen hättest. Das war ein kluger Schachzug, so viel will ich zugeben. Ich will ihn aber trotzdem noch einmal sehen, darf ich ihn haben? Nur einmal? Ich laufe auch nicht weg damit, versprochen."
    • Das Gesicht der Elfe blieb unverändert, als er zugab, seine Artgenossen nicht mehr als Menschen oder ihr Volk zu hassen. Warum grinste er dabei so? Wollte er sie damit provozieren? Als er dann jedoch weitersprach, erhielt Ana'Maera wirklich sinnvolle Informationen. Er half ihr aus purem Eigennutz - was in diesem Fall vollkommen ausreichend war. Das der Sieg der Königin seinen eigenen Interessen fern war, käme ihr sehr gelegen. Es reichte zwar nicht, um ihm zu vertrauen, doch vielleicht genügte es, um etwas weniger an ihm zu zweifeln.
      Bevor er seine Gegenfrage gestellt hatte, hatte sich die Elfe schon neben ihm niedergelassen und begann damit, ihre Waffen fein säuberlich neben sich zu legen. "Warum?", fragte Ana'Maera und sah anschließend zu dem Dämonen rüber. Was wollte er damit? Womöglich könnte er seine Kraft nutzen und gegen sie verwenden. Aber was dann? Er hatte ihr ja schon offenbart, dass er keine eigene Hierarchie aufbauen könnte und da würde ihm ein einzelner Stein, hinter dem die Königin her war, auch nicht helfen. Also vermutete sie, dass er sie für dumm verkaufen wollte, wenn sie ihm den Stein einfach so in die Hand gab. Sie war zu gutgläubig, aber nicht naiv genug, um diesen Fehler zu begehen. Leider konnte sie den Dämonen aber nur schlecht einschätzen. Eigentlich dürfte er gar nicht hier sein. Eigentlich hätte sie ihn töten oder wenigstens zurücklassen müssen. Eigentlich.
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      - Eugene Ionesco
    • "Ich will ihn noch einmal sehen."
      Malvas dachte an den flüchtigen Moment im Dachgeschoss, als er den Stein begutachtet hatte, und als er so... anders gewirkt hatte. Unmöglich nachstellbar. Ein Stuhl war ein Stuhl und brauchte kaum viel Kunst, um als solcher erschaffen zu werden, aber der Ätherion-Stein schien so komplex zu sein, auch wenn er so simpel wirkte, dass keine einfache Illusion ihn nachstellen könnte.
      Malvas wusste nicht einmal, ob eine komplexe das schaffen würde, und das würde den Stein zum ersten Gegenstand machen, der sich mit seiner Magie nicht vervielfältigen ließ.
      "Ich dachte nur - ich nehme ihn nicht weg. Aber ich will ihn sehen, ich finde ihn interessant. Wirklich, das ist alles!"
      Er hob abwehrend die Hände, auch wenn er nichtmal bewaffnet war, Ana'Maera hatte schließlich die Kampfkraft hier. Er würde sowieso nicht weit damit kommen, bevor sie ihn eingeholt hätte.
      Auch, wenn er ziemlich überzeugt davon war, dass seine Illusion in der Dunkelheit und Dichte des Waldes ganz außergewöhnliche Dienste leisten würde.
      "Bitte?"
    • Ana'Maera blickte den Dämonen schweigend an, wobei ihr nicht anzusehen war, ob sie gerade nachdachte, oder ihn einfach nur ignorierte. Egal wie tugendhaft Elfen waren - viele Gesichtsausdrücke hatten sie nicht. Es hatte ein paar Jahre gedauert, bis die Menschen vollständig von der vertrauenswürdig der Elfen überzeugt waren, da sie immerzu neutral drein blickten. Im Kampf zeigten sie unter körperlicher Anstrengung schon mal die ein oder andere Zornfalte, doch nicht aus Zorn oder Wut, sondern lediglich, weil der Kampf an ihren Kräften zerrte. Sie konnten durchaus müde aussehen, doch dafür mussten sie schon sehr erschöpft sein. So wie Ana'Maera, bevor sie ihre Grenzen überschritten hatte. Selbst ihre Stimmen klangen beinahe monoton. Wenn sie nicht so sanft und meistens hell klingen würde, würden die Elfen wohl eher als unfreundlich gesehen werden.

      "Na gut.." Sie legte ihre Beine zu einem Schneidersitz zusammen und beäugte den Dämonen noch immer. Ihr Bogen und die Pfeile lagen direkt neben ihr, wenn er irgendetwas verdächtiges machen würde, hätte sie ihn schnell im Visier. So übermütig könnte er doch nicht sein, oder? Bei Dämonen konnte man das jedoch nie ausschließen.
      Nach einem weiteren Moment des Schweigens holte sie den Beutel hervor, den sie vorsichtshalber zwischen ihren Brüsten versteckt hatte - was sehr unangenehm war - und warf ihm diesen rüber. Was auch immer er damit vorhatte, sie würde ihn im Auge behalten und nicht eher schlafen, ehe sie ihn zurück bekäme.
      "Was weißt du darüber?" Eindeutig genug, um seinen Wert zu kennen. Doch was noch? Vermutlich nichts, was die Elfe nicht auch wusste. Wenn doch, war sie gerne bereit etwas neues zu lernen.
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      - Eugene Ionesco
    • Es dauerte noch eine ganze Weile, aber dann willigte Ana'Maera zu Malvas' größtem Entzücken ein.
      Kurz bevor sie die Hand in ihren Ausschnitt schob und den Lederbeutel zu Tage beförderte.
      Malvas gaffte noch ein bisschen, denn wirklich? Er mochte Elfen wie die Pest meiden, aber niemand hatte je etwas davon gesagt, dass ihre Körper nicht trotzdem außerordentlich entzückend sein könnten. Schließlich war er trotz allem auch nur ein Mann und Ana'Maera ganz sicher eine gut bestückte Frau.
      Dann wandte er seine Aufmerksamkeit dem Beutel zu und kippte den Inhalt auf seine Handfläche.
      Der Stein hatte eine runde Form, wenngleich er nicht perfekt rund war, und hatte Kerbungen, vermutlich als Runenzeichen, vielleicht aber auch Sigillen oder etwas ganz anderes. Seine Oberfläche war rau und matt und fühlte sich grifffest an. Es gab keine Farben oder Verfärbungen, keine Anzeichen von Abnutzung oder anderer Benutzung. Es gab auch keine Anzeichen, dass er Teil eines großen Ganzen hätte sein können.
      Aber trotzdem hatte er eine Eigenartigkeit an sich, die Malvas nicht mit Worten hätte greifen können, egal, wie oft er ihn drehte und wie lange er ihn anstarrte, um sich seine Eigenschaften einzuprägen. Er hatte eine Aura, das kam wohl am besten hin, auch, wenn es trotzdem nicht vollständig übereinstimmte.
      Ana'Maeras Frage lenkte ihn für einen kurzen Moment ab, aber er sah von dem Stein nicht weg. Er wollte nicht, nicht, bevor er begriffen hatte, wie bei allen Generälen er eine Aura an einem Objekt darstellen sollte.
      "Ich weiß nur, was man sich so darüber erzählt, und das ist eine Menge."
      Er drehte den Stein weiter, verfolgte den Lauf der Runen - oder was auch immer die Linien waren.
      "Es heißt, dass er dir alle Wünsche erfüllen kann. Und dass er von euch irgendwie manipuliert sein soll, dass er Dämonen abweist. Aber das ist ja wohl ganz eindeutig erfunden."
      Er besah sich die Ränder des Steins, dort, wo der Stein aufhörte und in seiner Wahrnehmung der Hintergrund anfing.
      "Außerdem soll er den Träger, der alle fünf Steine zusammensetzt, eine unglaubliche Macht verleihen - gottgleich, fast. Oder vollständig. Wenn man die mächtigste Person der Welt wird, gibt es wohl keinen sehr großen Unterschied zu einem Gott."
      Er wog ihn in seiner Hand ab. Er besah sich auch, wo der Stein auf seiner Handfläche lag, wo die raue Oberfläche auf weicherer Haut auflag.
      Er prägte sich das alles so sehr ein, wie es sein Gehirn nur erlaubte und dann - tauchte ein zweiter Stein neben dem ersten in der Luft auf.
      Der zweite Stein, die Kopie, die Malvas angefertigt hatte und die bei ihrer geringen Größe kaum einen Funken Energie verschwendet hatte, hing unbewegt in der Luft, ein fast exaktes Abbild des ersten. Die Oberfläche war rau und matt, beim genauen Hinsehen konnte man die mikroskopischen Riffel erkennen, die die Struktur des Steins ausmachte. Die Zeichen waren allesamt lückenlos abgebildet, die Vertiefungen genau so weit, wie sie auch beim Original waren - selbst das fahle Mondlicht, das als einziges ihre Gegend erleuchtete, erhellte den Stein auf genau denselben Stellen, während die andere Seite im Dunkeln lag. Alles stimmte eins zu eins überein.
      Nur diese Aura fehlte. Dieses gewisse... Etwas. Die Lebendigkeit vielleicht - die Präsenz. Diese unsichtbare Schranke, die den Stein vor ihnen zum Ätherion-Stein werden ließ.
      Und Malvas hatte keine Ahnung, wie er die darstellen sollte. Er konnte sie nicht darstellen, denn es war nichts, was man irgendwie hätte sehen können; aber ein Experte, oder ein geschultes Auge, so wie Malvas eins hatte, konnte den Unterschied auf den ersten Blick erkennen. Das eine war eben der Ätherion-Stein, das andere war nur eine Kopie. Eine billige Kopie.
      Malvas zog die Stirn in Falten. Für ein paar Sekunden noch starrte er sowohl auf seine Schaffung und auf das Original, dann ließ er seine Kreation verschwinden und reichte Ana'Maera den Stein zurück.
      Verfluchtes Teil.
      "Außerdem heißt es, dass seine Hüter gefährliche, unnahbare Krieger sind und dass sie die Macht dazu haben, mit dem Stein ganze Städte zu zerstören. Kannst du das denn? Kannst du ihn benutzen?"
    • Ana'Maera beobachtete den Dämonen sehr genau dabei, wie er den Stein betrachtete. Er inspizierte ihn regelrecht und schien ihn bis ins kleinste Detail zu studieren. Es gab viele Gerüchte um die Ätherion-Steine und auch ihr waren eine Menge bekannt, doch vielleicht unterschieden sie sich in ihren Völkern oder sonstigen Gegebenheiten, die sie beide voneinander unterschied.
      Auch die Elfe blickte immer genauer auf den Stein, wobei sie Malvas sogar ein Stück weit näher kam, um ihn aus der Nähe zu betrachten. Man konnte seine Präsenz nicht einmal mit einem Beutel verbergen und so lag er - ersichtlich für jeden - Tag ein, Tag aus, auf einem Podest inmitten ihres tempelgleichen Gebäudes, dass allein für dessen Aufbewahrung errichtet worden war. Fast, als ehrte dieser Ort einen Gott. Ein Gebäude mit 8 Ecken. Ein Oktagon mit zwei Türen, die strengstens bewacht wurden. Der Raum an sich war für einen Stein dieser Größe vielleicht zu groß, doch so klein, dass höchstens 20 Elfen hineinpassten, ohne sich aneinanderpressen zu müssen.

      Es heißt, dass er dir alle Wünsche erfüllen kann.

      Diese Erzählung war der Elfe durchaus bekannt, doch es gab keine Beweise für diese Annahme. Kein Hüter hatte je einen Wunsch von ihm erfüllt bekommen, was jedoch eher daran lag, dass sich Elfen nichts wünschten, was einen Wünsche-erfüllenden-Stein bräuchte.

      Er soll von Elfen manipuliert worden sein, um Dämonen abzuweisen.

      Auch dieses Gerücht kannten die Hüter, doch da war - wie Malvas vermutete - nichts wahres dran.

      Außerdem soll er den Träger, der alle fünf Steine zusammensetzt, eine unglaubliche Macht verleihen - gottgleich, fast.

      Und genau das war der Grund, warum die Hüter diesen Stein mit ihrem Leben schützten. Kein Wesen der Welt - ja nicht einmal die Elfen - sollten Gott spielen dürfen. Warum die Fünf Steine nicht an einem Ort aufbewahrt wurden. Zum einen natürlich, damit man nicht alle auf einen Schlag bekäme, doch zum anderen, weil die Elfen befürchteten, von dieser geballten Macht verunreinigt werden zu können. Nicht, dass auch nur ein einziger Elf es tatsächlich in Betracht ziehen würde, dass ein anderer Elf nach dieser Macht strebte. Misstrauen untereinander gab es in ihrem Volk nicht. Man konnte allerdings nicht ausschließen, dass diese Aura - oder was auch immer es war - Einfluss auf die Elfen nehmen könnte.
      Ein Elf in Not würde stets Hilfe von anderen Elfen erhalten. Und jeder Elf würde jenem Elf ohne zu fragen seine Hilfe anbieten. Es wäre also ein leichtes gewesen, eine ganze Gruppe von Elfen zu bilden, um den Stein zu eskortieren, doch nicht alle Elfen hatten eine solche Kampferfahrung, wie sie die Hüter hatten. Elfen verabscheuten das Kämpfen an sich. Hüter jedoch waren sich der Notwendigkeit des Kampfes bewusst und nahmen diese Bürde wie eine Selbstverständlichkeit auf sich.
      Viele Elfen waren deshalb sogar Vegetarier, weil sie jedes noch so kleine Leben ehrten, auch wenn es das eines typischen Beutetiers war, welches nicht so schnell durch seinen Verzehr aussterben würde.

      Inzwischen war die Elfe dem Dämonen so nahe gekommen, dass sie direkt neben ihm saß und nicht nur das Original, sondern auch die Kopie des Stein betrachtete. Ja, es sah fast so aus, als läge ein Funken Faszination in ihren Augen. Illusionsmagie konnte - wenn sie mit einer solchen Hingabe wie der von Malvas ausgeübt wurde - jeden Verstand beeinflussen. Nun. Bis auf die Sache mit dem gefälschten Feuer, dass niemals einen echten Feuerdämonen täuschen könnte.
      Als Malvas ihr den Stein wieder gab, hielt sie ihn noch näher an ihr Gesicht, um ihn genau so akribisch zu betrachten, wie er es zuvor getan hatte. So nah war sie dem Stein tatsächlich noch nie, obwohl er sich bereits seit einer ganzen Weile direkt an ihrem Körper befand.

      Die Aussage,
      dass seine Hüter gefährliche, unnahbare Krieger sind
      war also vollkommen korrekt.

      Hüter eigneten sich Wissen an - obwohl Elfen den Wissensdurst als eine Art der Machtgier sahen.
      Hüter eigneten sich Kampftaktiken und Fähigkeiten an und übten sich in Angriffsmagie, während gewöhnliche Elfen sich auf Hilfsmagie, zum Schutz und zur Heilung, spezialisierten.
      Hüter waren in soweit hinterlistig, dass sie effektive Pläne schmiedeten, um den Stein zu verstecken - wie das ständige Herumreichen eben jeder Steine, damit man diese nicht so einfach aufspüren konnte.
      Hüter opferten also all ihre Prinzipien und ihre Leben zu einem höheren Wohl, weshalb sie trotz ihrer Vergehen von anderen Elfen respektiert und sogar geehrt wurden.
      Dennoch lebten Hüter abgeschottet von der Welt - von ihren Artgenossen. Es war eine Bürde, die nur sie allein und ihre Nachkommen zu tragen hatten.

      und dass sie die Macht dazu haben, mit dem Stein ganze Städte zu zerstören.

      "Das ist absurd", warf die Elfe umgehend ein. Kein Elf würde jemals eine solche Macht entfesseln. Nicht einmal Hüter. "Wir kämpfen dafür, dass die Macht dieser Steine nicht genutzt wird. Sie selbst zu benutzen, würde allem widersprechen, wofür die Hüter stehen." Es würde nicht nur gegen die Prinzipien der Elfen verstoßen, sondern auch gegen die der Hüter.
      Sich das Wissen zur Benutzung des Steins anzueignen, käme der Todsünde Gier so nahe, dass ein Elf mit Sicherheit in Ungnade fallen würde, würde er es auch nur versuchen.

      Allerdings erwähnte Malvas nicht das Gerücht, dass unter den Elfen verbreitet war..

      "Aber es heißt, dass Dämonen mit nur einem Ätherion-Stein ihre Macht um ein vielfaches steigern können. Ein gewöhnlicher Dämon wie du könnte somit vielleicht sogar imstande sein, die Stärke eines Dämonengenerals zu erreichen." Allerdings könnte ein Dämonengeneral somit die Stärke der Dämonenkönigin übertreffen. Malvas gab selbst zu, dass jeder Dämon gern seine eigene Hierarchie aufbauen würde, aber da die Generäle noch immer der Königin dienten, konnte an diesem Gerücht nichts dran sein.

      Ihre Augen waren auf die Zeichen, was auch immer sie darstellten, fixiert. Mittlerweile betrachtete sie das gute Stück fast eindringlicher, als der Dämon es getan hatte. Ja, ihre Augen funkelten schon beinahe. "Weißt du, was das bedeutet?" Ob die Dämonenkönigin das Rätsel gelöst hatte? Ob die Menschen diese 'Worte' nicht richtig gedeutet hatten und sie deshalb ein anderes Ergebnis erzielt hatten, als sie beabsichtigten?
      Doch Malvas schien dahingehend genau so ratlos zu sein, wie Ana'Maera. Nachdenklich begann sie damit, diese Zeichen, was auch immer sie darstellten, mit einem ihrer Pfeile in den Boden vor sich zu ritzen. Ungeachtet dessen, wo sie überhaupt begannen oder aufhörten. "Hm..", gab die Elfe unbewusst von sich und betrachtete nun die eigenartigen Zeichen vor sich. Wenn überhaupt jemand dazu in der Lage wäre, sie zu entschlüsseln, wie anmaßend wäre es zu glauben, dass sie es könnte? Dennoch konnte sie nicht davon ablassen.
      "Wie gut kennst du dich in der Elfenschrift aus?", fragte sie und deutete mit dem Pfeil auf das erste Zeichen ihrer Kritzeleien. Natürlich war dies kein Schriftzeichen der Elfen. Würde ein Dämon sich überhaupt mit ihren Schriften befassen? Würde er dies eher als Zeitverschwendung oder als bereicherndes Wissen bezeichnen? Um zu vermeiden, dass Dämonen sich ihrer Schrift bemächtigten, gab es unter den Hütern weder Abschriften, noch Karten über ihre Werke. Karten wurden vor den Augen der Schüler gezeichnet und sofort wieder vernichtet. Wissen wurde lediglich durch Erzählungen weitergegeben, wobei sehr darauf geachtet wurde, dass nichts über die Zeit verloren ging.

      Elfen befassten sich schließlich auch nicht mit der Schrift der Dämonen. Gewöhnliche Elfen, musste man dazu sagen. Denn wie erwähnt, lernten die Hüter entgegen ihrer ursprünglichen Einstellung auch eben die Schrift der Dämonen. Ebenso die Schrift der Menschen. Ja, ein Elf, der nicht unter Menschen lebte, beherrschte nicht einmal dessen Schrift. Und jene, die sie beherrschten, lernten diese nur, um ein gemeinsames Leben mit den Menschen zu führen. Niemals würden sie von den Menschen verlangen, sich ihnen anzupassen und ihre Schrift zu lernen.
      Hüter lernten solche Dinge wie die Schriften ihres und der anderen Völker, sobald sie fähig waren zu sprechen. So wie man einem menschlichen Kleinkind das Sprechen, Lesen und Schreiben beibrachte, so drillte man die Hüter regelrecht dazu, innerhalb kürzester Zeit, sich das gesamte Wissen ihrer Vorfahren anzueignen.

      Da Ana'Maera also eine von denen war, die alle drei Schriften, so wie alle Runen, Sigillen und Zeichen, die jemals in der Weltgeschichte existierten, beherrschte, glaubte sie etwas zu sehen, was andere nicht sahen. Was womöglich noch nie einer vor ihr sah. "Das.. ist unmöglich..", sprach sie zu sich selbst, da es vollkommen absurd war darüber Mutmaßungen anzustellen. Egal ob es eine Schrift, Runen, Sigillen oder sonst etwas war. Es war nichts, was die Menschen erfunden oder entschlüsselt hatten. Andernfalls wüssten die Hüter davon. Hüter waren - weshalb wohl das Gerücht entstand, das Malvas gehört hatte - nicht nur Beschützer des Steins. Sie hüteten auch ein gefährlich großes Wissen, dass Menschen oder Dämonen verderben würden. Menschen und Dämonen töteten für ein solches Wissen. Ein umfangreiches Wissen, wofür ein Mensch beinahe sein gesamtes Leben aufbringen müsste, um es zu verinnerlichen.
      Mit 42 Jahren galt eine Elfe noch als jung - grün hinter den Ohren. Ja, fast noch ein Kind, könnte man sagen. Für Menschen neigte sich das Leben mit 42 Jahren zunehmend dem Ende zu. Hätten sie überhaupt die Disziplin sich dieses Wissen in nur 42 Jahren anzueignen? War es nicht die Tugendhaftigkeit, die Elfen die Disziplin verliehen zu Hütern zu werden? Sie könnten ein solches Wissen also nie wirklich selbst nutzen und auch nicht weitergeben. Aber Hüter.. Waren Hüter vielleicht schon Monster?

      Hatte sich denn wirklich noch kein Hüter dieser Welt diesen Stein so genau angesehen, wie sie es getan hatte? Sie wagten es wohl nicht, diese Grenze zu überschreiten und sich des Wissens zu bevollmächtigen, ihn wirklich verstehen und somit womöglich benutzen zu können.
      Als Ana'Maera realisierte, was Hüter - was sie - vielleicht für gefährliche Monster waren, wandte sie ihren Blick von den Zeichen im Dreck ab und sah zu Malvas. Ihr Gesicht war nicht mehr das, was elfische Perfektion in den Augen der anderen Völker war. Ihr Gesicht sah aus, als hätte sie sich gerade einer Sache schuldig gemacht und würde tiefste Reue empfinden. Als hätte sie eine Strafe für ihre Neugier verdient. NEUGIER! Kein Elf, nicht einmal ein Hüter, verspürte so etwas wie Neugier. Als würde sie beginnen, sich selbst zu verabscheuen.
      "Das ist zu gefährlich..", hauchte sie. Sie weigerte sich, diesen Weg noch weiter zu beschreiten. Es gab Gerüchte, wenngleich sie nur äußerst leise waren, dass Elfen - nein, Hüter - sich freiwillig dem Tod hingaben, wenn ihnen die Last zu groß wurde. Die Bürde als eine solch große Last zu empfinden, dass man sich selbst umbringen würde, um die Welt zu schützen.. Das schien sogar für Hüter vollkommen irrational. Doch genau in diesem Moment verstand Ana'Maera, wie es diesen Hütern ergangen sein musste. In Saner'a kam es nie zu einem solchen Vorfall, in anderen Siedlungen soll es schon geschehen sein. Die Ursache für diese Entscheidung war jedoch unbekannt. Ob womöglich doch schon Hüter dem Stein so nahe gekommen waren, wie sie? Ob sie sich deshalb für den Freitod entschieden hatten?
      Ana'Maera blieb diese Option jedoch nicht, denn sie war die einzige Hüterin, die gerade zwischen dem Ätherion-Stein und den Dämonen stand. Auch wenn der Tod in diesem Fall durchaus zu ihren Pflichten gehören könnte, so würde sie damit die oberste Pflicht aller Hüter missachten.
      ~ ♦ ~ Die Freiheit der Phantasie ist keine Flucht in das Unwirkliche; sie ist Kühnheit und Erfindung. ~ ♦ ~
      - Eugene Ionesco

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    • Ana'Maera schloss sich bald auch der eingehenden Betrachtung des Steins an, sodass beide so intensiv auf den handgroßen Gegenstand starrten, dass man von außen betrachtet meinen könnte, sie seien von allen guten Geistern verlassen. Aber Malvas ließ sich nicht abbringen von dem Versuch, die Aura des Artefakts zu ergründen, um sie in seiner Kreation nachstellen zu können, und Ana'Maera schien an eigenen Gedanken festzuhängen. Ihre Haare kitzelten ihn bald am Arm und an der Schulter und ihr Geruch drang zu ihm hinüber, erfüllt von Beeren und ein bisschen altem Blut. Es lenkte Malvas ab. Er stoppte seinen Versuch, Perfektion zu erreichen, und sobald der Stein wieder bei seinem Besitzer angelangt war, verschwand seine Illusion im Nichts.
      Es vergingen weitere, lange Sekunden, in denen die Elfe das Artefakt weiter betrachtete, die Augen aufmerksam aufgerissen, den Gegenstand dicht vor ihnen. Malvas hätte etwas gesagt, aber mit einem Mal hatte er das Gefühl, dass seine Worte ruinieren könnten, was auch immer sich bei der Elfe gerade auftat. Er wollte es nicht unterbrechen; er glaubte, dass die Frau kurz davor stand, eine Gefühlsregung zu zeigen. Er hatte sowas bei Elfen noch nie gesehen, das käme einem ähnlichen Wunder wie dem Stein gleich.
      Dann fragte sie, ob er wisse, was es bedeuten mochte, und Malvas schüttelte den Kopf. Er hatte keine Ahnung, worauf sie hinauswollte. Er konnte es sich noch nichtmal vorstellen.
      Weitere Sekunden vergangen, in denen Ana'Maera begann, in den Boden zu schreiben. Es dauerte einen Moment länger, bis Malvas verstanden hatte, dass sie die Zeichen des Steins kopierte, nachdem er sie vorher selbst so gründlich betrachtet hatte, aber der Zweck dessen erschloss sich ihm nicht. Wollte sie etwa damit anfangen, sie zu ergründen? Den Stein zu lesen? Er bezweifelte, dass er dazu gemacht worden war. Er bezweifelte, dass die Zeichen überhaupt irgendeinen Sinn hatten, den sie - zwei einfache Lebewesen - hätten begreifen können. Das Artefakt war uralt und von Kräften erschaffen worden, die sich ihrem Verstand vollkommen entzogen. Es war kein Wunder, dass niemand wusste, was genau damit anzufangen war.
      Aber die Elfe machte trotzdem weiter und Malvas beobachtete sie, während er ihre Frage mit einem Schulterzucken beantwortete.
      "Ich habe mir mal die Zeichen gemerkt, weil ich etwas darstellen wollte, aber ich habe sie nicht gelernt. Habe keine Ahnung, was sie bedeuten."
      Wollte sie andeuten, dass die Zeichen elfischen Ursprung hatten? Aber das Gekritzel auf dem Boden war kaum damit zu vergleichen, wie die Elfen miteinander per Schrift kommunizierten, das hätte selbst Malvas erkannt. Wie kam sie dann sonst darauf?
      Er hätte fragen können, tat es aber nicht. Er beobachtete die Elfe weiter und die Elfe beobachtete die Kritzelei weiter und murmelte etwas zu sich selbst, womit er rein gar nichts anfangen konnte. Es vergingen noch mehr Sekunden in dieser Position, in der Ana'Maera irgendwelche Schlusszüge in ihrem Gehirn zu ziehen schien, die Malvas völlig fremd lagen, ohne das Bedürfnis zu verspüren, ihn irgendwie in ihre Gedankengänge einzuweihen. Wollte er das überhaupt? Würde er verstehen wollen, was in diesem emotionslosen Gehirn eines Spitzohrs vor sich ging?
      Er runzelte die Stirn und vergnügte sich lieber damit, zu beobachten, wie die Rädchen hinter Ana'Maeras Stirn ratterten, bevor es ihm doch zu langweilig wurde. Er wollte wissen, was sie hier gerade so tolles entdeckt hatte, dass sie dafür ihren heiligen Boden ankratzte und wie eine Verrückte mit sich selbst sprach.
      "Wirst du mir sagen, was da so unmöglich ist? Und so gefährlich? Oder soll ich das erraten? Das könnte nämlich eine Weile lang dauern."
    • Obwohl Malvas direkt vor ihr war, schien die Elfe über sein plötzliches Sprechen erschrocken zu sein und ließ den Stein fallen. "D-dazu bin ich nicht befugt." Es ihm sagen? Niemals. Der Stein würde so einen Sturz unbeschadet überstehen und so sprang sie auf, entfernte sich von Malvas und dem Stein, kehrte jedoch schnell wieder zurück und hob den Stein auf, um ihn so schnell wie möglich in den Beutel zu legen, als würde er ansonsten explodieren oder dergleichen. Ihr war nicht einmal aufgefallen, dass sie ein Stottern - wenn es auch noch so klein war - in ihrer Stimme hatte. Welcher Elf stotterte jemals? Höchstens wenn seine Stimme versagte, weil er gerade im Sterben lag, wobei das auch eher ungewöhnlich war.
      Sie schmiss sich förmlich auf die Knie und wischte die Zeichen mit beiden Händen weg, nachdem der Stein wieder sicher verwahrt war. Dann ging sie ein paar Schritte auf und ab. An Schlaf dachte sie jedenfalls nicht im entferntesten..

      "Wir müssen so schnell wie möglich nach -", beim Sprechen wandte sie sich Malvas zu und hätte beinahe ausgesprochen, zu welcher Stadt sie wollte. Er war ein Dämon. Er durfte nichts genaueres über ihr Ziel wissen. Lumenar befand sich im Gegensatz zu Saner'a auf jeder gängigen Karte, da dies für elfische Verhältnisse eine recht große Stadt war. Es war ebenso die einzige Stadt, wo eine handvoll Hüter unter den Elfen lebten. Diese Hüter waren dafür zuständig, wenn es einen Notfall gab, wie den Überfall auf Saner'a. Die Hüter dort waren allesamt sehr erfahren und würden entscheiden, wo der Stein als nächstes hingebracht werden sollte.
      "Lass uns aufbrechen.." Mit großen Schritten ging sie zu den Pferden, drehte um und kehrte wieder zurück, um ihre Waffen einzusammeln, die sie doch glatt auf dem Boden vergessen hätte. Die Elfe schien nicht mehr sie selbst zu sein, als hätte sie einen Geist gesehen - so würden die Menschen es wohl ausdrücken.
      "Malvas..", hauchte sie und legte ihre Hände an die Schultern des Dämonen, während sie ihm tief in die Augen blickte, als würde sie darin etwas suchen. Einen Funken Anstand? Vertrauenswürdigkeit? Hatte er nicht schon bewiesen, dass sie ihm nicht vertrauen konnte?
      Einmal.
      Aber hatte er ihr nicht auch schon bewiesen, dass sie ihm vertrauen konnte?
      Viermal, wenn man es genau nahm.
      Vier von Fünf. 80%
      Wer sagte, dass diese Quote anhielt?
      Fünf.
      Er hatte ihr den Stein vorhin wiedergegeben, wie versprochen. Er hatte ihr Vertrauen Fünfmal nicht enttäuscht. Das waren mehr als 80%.
      "Ich weiß vielleicht, wie man die Zeichen entschlüsselt..", verriet sie und senkte ihren Blicke. Vielleicht war ein völlig unbedeutendes Wort für Elfen. Denn es gab nur Ja oder Nein. Entweder sie wusste es, oder eben nicht. Für ein Vielleicht gab es keinen Platz. Es wurde nur im Gespräch mit Menschen eingebracht, um ein Ja nicht hochmütig klingen zu lassen.
      "Aber ich habe keine Befugnis! Ich muss ihn so schnell wie möglich.. nach Lumenar bringen.. Wirst du mir helfen?"
      Ihre Stimme war etwas lauter und aufgebrachter, als sonst. Aber Malvas war der einzige Verbündete, den sie hatte. Jetzt, wo er ihr Ziel kannte, würde er doch.. Würde er den Stein auch dorthin bringen, wenn ihr etwas geschehen sollte? Würde er? Sie hätte diesen verfluchten Stein nicht ansehen dürfen. Hatte sie ihren Verstand verloren? Hatte der Stein eine solche Macht? War das die Verderbnis, vor der man vorsichtshalber Angst hatte, auch wenn es keine Beweise dafür gab?
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    • Als hätte Malvas Ana'Maera mit seiner Frage aus einer Trance geholt, sprang ihr Blick ruckhaft zu ihm und der Stein entglitt ihrer Hand. Sie stotterte und - moment, sie stotterte? Die Elfe, die sonst eigentlich so redete, als würden ihr die Worte von Göttern in den Mund gelegt, stolperte über selbige Worte? Sie entglitten ihr auf eine allzu menschliche Art? Sowas war bei Elfen überhaupt möglich?
      Malvas warf das so aus dem Konzept, dass ihm glatt der Mund offen stehenblieb, während Ana'Maera es plötzlich ganz eilig hatte, die Zeichen ihres Aufenthalts wieder zu beseitigen. Das hatte doch auch bis zum Morgen Zeit? Malvas starrte noch immer, als sie danach genauso hektisch aufsprang und begann, auf und ab zu marschieren. Auch das war auf merkwürdige Weise menschlich, die sonst so ruhige und besonnene Elfe jetzt in einem Anflug von Wahn, der ihren Körper rastlos machte und Streiche mit ihrem Gehirn spielen mochte. Malvas wollte sich gar nicht vorstellen, was da drinnen gerade vor sich ging. Er wusste nicht, ob er es überhaupt könnte.
      Eine Weile lang sah er dabei zu, wie ihre Gedanken den einen oder anderen Weg einschlugen, dann machte sie sich ebenso prompt auf dem Weg zu ihrem Pferd, vergaß ihre Waffe auf dem Boden, kam zurück, vergaß, dass sie eigentlich zu ihrem Pferd hatte gehen wollen, kam stattdessen zu Malvas. Der Blick, mit dem sie ihn traktierte, fraß sich in sein Gehirn ein, eine Intensität, die wohl nur eine Elfe zustande bringen könnte. Eine verrückte noch dazu, wie er im Moment schloss. Wo hatte sie in den letzten Sekunden ihren Verstand verloren, etwa als er nachgefragt hatte, was sie da vor sich hin murmelte? Skeptisch runzelte er die Stirn.
      "Ja? Ana'Maera?"
      Sie starrte ihn an. Er starrte sie an. Das Mondlicht war nicht hell genug, um ihm alles zu offenbaren, aber es war genug, dass er ihr Gehirn arbeiten sehen konnte. Es ratterte und ratterte und währenddessen starrte die Elfe ihn an, als wolle sie herauszufinden versuchen, ob er wirklich Malvas war. Wer hätte er sonst sein sollen? Seine Falten vertieften sich.
      Wieder ein Themenwechsel. Sein Gehirn war eindeutig nicht dazu geschaffen, mit ihrem mitzuhalten.
      "Okay?"
      Er dachte an das Wirrwarr der Zeichen, die er sich gründlich genug eingeprägt hatte, um sich gut an sie erinnern zu können. Sie könnte es entschlüsseln?
      … Sollte das heißen, die Elfen hatten auch keine Ahnung, was der Stein eigentlich war?
      Irgendwie war das ein ernüchternder Gedanke, den Malvas nicht weiter verfolgte, weil es jetzt im Moment andere Probleme gab - nämlich eine verrückt gewordene Elfe.
      "Aber -"
      Sie unterbrach ihn. Sie hatte keine Befugnis - wer sonst sollte sie haben, wenn nicht sie? Und sie sollte ihn nach Lumenar bringen.
      Nach Lumenar.
      Nach Lumenar?
      Er durchforstete sein gedankliches Archiv nach Karten, auf denen Lumenar eingezeichnet war und fand sie. Das lag in…
      Oh, generalverfluchte Scheiße.
      Er stieß ein Stöhnen aus und rieb sich die Stirn. Die Elfe starrte ihn jetzt wieder mit diesem Blick an, bei dem er sehen konnte, dass ihre Gedanken unkontrolliert herumwirbelten. War das normal?
      "Ana'Maera."
      Sie starrte ihn mit großen Augen an. Vielleicht bildete er sich das aber auch nur ein, weil ihre Stimme so gehetzt gewesen war.
      Jetzt griff er sie bei den Schultern und schüttelte sie knapp.
      "Ana'Maera! Ich weiß zwar nicht, was da gerade in deinem Kopf schief läuft, aber du musst mit mir reden, wenn du auch eine richtige Antwort haben möchtest! Und keine zusammenhanglose Sätze!"
      Seine Forderung mochte zu ihr durchdringen oder auch nicht, aber es war keine Antwort auf ihre Frage. Irgendwie glaubte er, dass ihr diese Antwort wichtig war.
      "Ich kann dich nach Lumenar bringen, aber nicht bis in die Stadt. Okay? Ist es das, was du hören willst?"
      Vermutlich. Vielleicht aber auch nicht. Irgendwie schien das nicht dabei zu helfen, dass die Elfe sich beruhigte.
      Er umfasste ihr Gesicht mit beiden Händen und hielt es so fest, dass sie ihm in die Augen sehen musste. Er war sich sicher, dass ihr Kopf unter seinen Fingern glühte von der Anstrengung, die ihr Gehirn vollzog.
      "Ana'Maera, rede mit mir. Oder rede nicht mit mir, wenn ich das nicht wissen darf, aber beruhige dich. Wir werden nach Lumenar gehen und wir werden deinen Stein abgeben und alles wird gut sein, aber du darfst jetzt nicht die Nerven verlieren. Okay? Bei allen Generälen, ich glaub gar nicht, dass ich das überhaupt sagen muss. Beruhige dich! Ganz tief atmen, okay? Tiiief einatmen."
      Er machte es ihr vor, auch wenn er sich höchst dümmlich dabei vorkam. Was tat er hier überhaupt? Elfen waren stets kontrolliert und selbstbewusst, nicht so wie jetzt!
      "Wir werden hingehen. Okay? Und du wirst diese Zeichen entschlüsseln lassen, wenn du das nicht darfst, und alles wird gut werden. Aber wir werden nicht mehr heute Nacht aufbrechen, weil die Pferde sich ausruhen müssen und weil du dich ausruhen musst und weil es niemandem von uns etwas bringt, wenn du den ganzen Tag erschöpft und unausgeschlafen bist. Okay? Und dann gehen wir nach Lumenar. Hört sich das nach einem Deal an? Große Königin; was ist nur los mit dir?"
    • Was in ihrem Kopf schief lief? Gar nichts lief schief. Oder doch? Wollte sie überhaupt Antworten von ihm? Von einem Dämon? Spielte es denn noch eine Rolle, was er war? Bereits beim ersten Mal, als sie ihm Vertrauen geschenkt hatte, handelte sie gegen jegliche elfische Vernunft. Elfen hassten die Dämonen nicht, aber sie sahen es realistisch: Dämonen waren schlecht. Allesamt. Man konnte ihnen nicht vertrauen. In Menschen glaubte man jedoch stets an das Gute.
      Warum rettete dieser Dämon ihr dann das Leben? Nur weil sie seines gerettet hatte? So weit sie wusste, wäre es für einen Dämonen typischer gewesen seinem Retter einen Dolch in den Rücken zu rammen.
      Das entsprach nicht ihren Lehren. Hatte ihr Vater die falsche Hüterin mit dieser wichtigen Aufgabe betraut? Sie war so viele Risiken eingegangen, als sie Malvas vertraut hatte. Das alles war für sie viel zusammenhangsloser, als ihre Worte. Sie hätte Zweifel an seinen Worten haben müssen, doch der Drang, ihm glauben zu wollen, war viel zu groß.
      Ja, er hatte sie angegriffen - wenn auch erfolglos - aber jeder machte mal Fehler, oder? Sogar Ana'Maera, als sie begonnen hatte, über die seltsamen Zeichen des Ätherion-Stein nachzudenken, die auf den ersten Blick keinen Sinn ergaben.

      Ihr Blick war noch immer etwas starr, als sie seine Hände an ihren Wangen spürte und in seine Augen sah. Hatte er Angst, dass sie zur Besinnung käme und ihm seine gerechte Strafe zukommen ließ? War es überhaupt gerecht einen Dämon nur wegen seiner Abstammung zu töten? Sie lernte zwar, dass sie nur zur Verteidigung kämpfen müsste, aber Malvas war noch nicht einmal bewaffnet. Was für ein verdammtes Chaos in ihrem Kopf! Zu viele Gedanken kreisten auf einmal in ihrem Kopf herum, sodass sie sich keinem davon konzentriert widmen konnte. Lag das an dem Stein? Oder an ihrer Erschöpfung? War es, weil sie die Grenzen ihres Körpers überschritten hatte?
      Sie versuchte sich auf Malvas Worte zu konzentrieren, dass sie sich beruhigen sollte. Sie war ruhig. Sie war so sehr auf ihre Pflicht und ihr Ziel fokussiert, wie noch kein Mal zuvor, seitdem sie Saner'a verlassen hatte.
      Tief einatmen. Die Elfe atmete so tief ein, wie der Dämon es ihr vormachte. Nach ein paar Atemzügen legte sie ihre Hände an die Handgelenke ihres Gegenüber, wobei die Ernsthaftigkeit der Elfen zurückkehrte. Doch seine Worte bezeugten, dass er einfach keine Ahnung hatte. Er verstand es einfach nicht!
      "Hüter sind keine Individuen.. Wenn ich ich sage, meine ich wir. Kein Hüter, darf sich Gedanken über diesen Stein machen. Unser Leben beschränkt sich einzig und allein auf den Schutz des Steins. Nicht mehr, nicht weniger." War das immer noch zusammenhangloses Zeug für ihn? Ein Elf würde das nie so bezeichnen, aber für Menschen würde das Leben eines Hüters wie Sklaverei aussehen.
      Elfen mochten eine andere Kindheit erleben, als Menschen - immerhin gab es keine Elfenkinder, die spielend und lachend durch die Straßen ihres Dorfes rannten - aber Elfen, die als Hüter geboren wurden, hatte nicht einmal die Wahl, ob sie in ihrer Heimat blieben oder unter den Menschen leben wollten. Sie hatten keine Wahl, als ihnen diese Bürde auferlegt wurde.

      Die Gerüchte, die ihm bekannt waren, mochten teilweise Irrsinn seines, aber...
      "Du hast Recht. Hüter sind gefährliche Krieger, die in der Lage wären, die Ätherion-Steine zu benutzen, wenn sie dies wollten. Wir könnten damit ganze Städte zerstören, wenn wir daran ein Interesse hätten." Dann senkte sie ihren Blick etwas. "Wenn ich es dir verrate, wäre es meine Pflicht, dich zu töten. Wenn du ein Hüter wärst, dann.." Sie blickte Malvas fast schon gleichgültig - wie Elfen eben aussahen - in die Augen, denn Elfen machten niemals Witze. "..müsste ich dich davor warnen, den Stein jemals anzusehen und mich töten." Ein Hüter würde diese Warnung nicht ignorieren, denn er empfand keine Neugierde. Warum konnte sie dann nicht von dem Stein ablassen und dachte so intensiv darüber nach, dass ihr die Lösung fast wie Schuppen von den Augen fiel?
      Er hatte vermutlich aber auch Recht damit, dass es unklug war, so überstürzt zu handeln. Sie wäre den Tag über genau so erschöpft, wie sie bei ihrem letzten Fluchtversuch war und das endete in ihrer Ohnmacht. "Ich werde schlafen..", versicherte sie ihm ruhig und löste das Holster für den Dolch, um ihm diesen zu übergeben. "Ich vertraue dir.." Es war nicht das, was ihr Verstand ihr empfahl, aber das, was sie fühlte. So wie ihr das Gespür für Magie gelehrt wurde, so hatte sie das Gefühl, dass es nicht falsch war, ihm zu vertrauen. Was nicht falsch war, mochte nicht unbedingt richtig sein, doch es genügte ihr, um sich dafür zu entscheiden, ihm zu vertrauen. Es würde sich ja zeigen, ob er sie noch einmal angreifen oder ihr wirklich helfen würde. Wenn er auch nur ein halbwegs geschickter Dieb war, könnte er ihn ihr ohnehin entwenden und sie damit töten. Es wäre also der größte Fehler, sich jetzt schlafen zu legen. Doch sie wachte auch nach ihrer Ohnmacht wohlbehalten auf, weshalb sie sich ein weiteres Mal an die Hoffnung klammerte, dass sie aufwachen würde.
      Mit diesem Gedanken wandte sie sich von Malvas ab, legte ihre Waffen nieder und legte sich daneben. Sie bräuchte ihre Kräfte, wenn es wieder zu einem Kampf kommen würde. Zusammen mit Malvas.. hatte sie gute Chancen ihr Ziel zu erreichen..
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      - Eugene Ionesco

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    • "Okay. Klar, sicher. Wenn du du sagst, dann meinst du ihr. Macht Sinn; wieso auch nicht?"
      Dass die Elfen immer alles so kompliziert haben mussten... Malvas konnte darüber nur den Kopf schütteln. Wäre es denn zu viel verlangt, so etwas wie die dämonische Hierarchie zu haben? Dass der rangniedrigere einfach dem ranghöheren folgt? Aber nein, stattdessen mussten sie eine Einheit sein, aber auch nicht eine Einheit in manchen Fällen und manchmal sogar das Gegenteil von einer Einzelperson? Es gab schon einen Grund, weshalb Elfen und Dämonen nie miteinander auskommen und das war definitiv ein großer Teil davon.
      Aber anscheinend stimmte es wirklich, was man sich über die Hüter erzählte: Sie waren mächtig, so mächtig sogar, dass einer von ihnen es sicher mit allen Generälen aufnehmen könnte, wie Malvas schätzte. Das war natürlich interessant und gleichzeitig vollkommen furchteinflößend. Und was sagte Ana'Maera da? Dass sie ihn umbringen müsste, wenn er einer wäre, und sich selbst auch noch, wenn sie auch einer wäre?
      "Okay. Ja. ... Okay. Wie wäre es, wenn wir stattdessen hier niemanden umbringen und uns darauf konzentrieren, den Stein nach Lumenar zu bringen, okay? Hört sich das nicht besser an? Ja?"
      Würde Ana'Maera jemals mit der Kraft des Steines auf ihn losgehen? Er hoffte nicht. Irgendwie glaubte er, dass ein Tod durch Ätherion-Stein sehr viel schlimmer war als Tod durch Klinge.
      Zu seinem ganz offensichtlichen Glück - und dafür dankte er der Dämonenkönigin - hatte sie aber wahrhaftig kein Interesse daran, die Regeln der Hüter genauestens zu befolgen. Erleichtert nickte er ihr zu.
      "Ja, du schläfst eine Runde und ich passe auf. Ganz sicher."
      Dann übergab sie ihm aber auch noch seinen Dolch und seine Augen wurden groß, als er das Heft entgegennahm. Sie vertraute ihm jetzt also doch einen Dolch an? Auch, wenn er jetzt genau wusste, wo sie den Stein aufbewahrte?
      Als weitere Bestätigung dieses Vertrauensbeweises kehrte sie ihm darauf den Rücken zu, machte es sich auf dem Boden gemütlich und legte sich hin, um die versprochene Runde Schlaf zu finden. Er starrte auf ihren Rücken und steckte sich bald den Dolch wieder ein, bevor sie es sich noch anders überlegen könnte.
      Und war dann in seinen Gedanken gefangen. Er könnte darauf warten, dass sie schlief und ihr den Stein entwenden. Er könnte sie sogar umbringen, ganz einfach. Es trennten sie etwa fünf kleine Schritte, oder drei größere voneinander, die er sicher lautlos überbrücken könnte, wenn er sich nur genug Zeit dafür nahm. Irgendwann musste auch die Elfe bei ihrer Erschöpfung tief genug schlafen, dass sie ihn nicht bemerken würde. Er würde ihr den Dolch in den Kopf jagen, weil das einen schnellen und schmerzlosen Tod versprach, und würde den Stein nehmen. Er würde ihn ausprobieren und vielleicht würde er ihn wirklich nach Lumenar bringen, einfach um zu sehen, was dort für den Stein vorbereitet war. Oder was die Elfen dazu sagen würden, wenn ein Dämon auftauchte, der ihre wertvolle Fracht bei sich trug.
      Aber Gedanken blieben Gedanken, während er weiter auf Ana'Maeras Rücken starrte und dabei zusah, wie ihre Atmung langsamer und entspannter wurde. Er rührte sich nicht während der gesamten Zeit, die der Mond über den Himmel wanderte, und erwischte sich irgendwann sogar dabei, besonders flach zu atmen, damit er bloß keine Geräusche machen würde, um sie aufzuwecken. Bevor er sich dazu entschließen konnte, den ersten dieser fünf oder potentiell drei Schritte zu tun, ging die Sonne am Horizont bereits auf und er entschloss, dass er ja genauso gut ein bisschen abwarten könnte. Ein bisschen warten, ihre Entdeckungen mit der merkwürdigen Schrift beobachten und dann konnte er sie immernoch eines nachts töten. Gar nicht schlimm.
      Der Morgen kam also, er weckte Ana'Maera mit der Hand und nicht mit dem Dolch und nachdem sie sich vergewissert hatten, dass sie keine allzu großen Spuren hinterlassen hatten, ritten sie weiter.

      Ein Gasthaus lag auf dem Weg, an dem sie aber vorbeiritten, nachdem sie mehr als nur Proviant besorgen mussten, und dann kamen sie an Vororte, die an Calanin angrenzen sollten. Hier wollte Ana'Maera sich für die Reise eindecken und Malvas ließ sie, auch wenn er selbst nichts gebraucht hätte. Vielleicht ein bisschen was zu essen, aber das war schließlich nichts, was er sich nicht irgendwo ergaunern könnte.
      Hier gab es keinen ganzen Marktplatz, weil das Dorf zu klein war, sondern lediglich einen Lederer, einen Kürschner, ein winziges Gasthaus und einen größeren Kräuterladen. Malvas ödete die Gegend jetzt schon an, weil es hier sicher kaum Wertgegenstände zu holen gab.
      Er ritt Ana'Maera hinterher, die das erste Geschäft anpeilte, bevor sein Blick auf ihre spitzen Elfenohren fielen. Er blinzelte. Er beobachtete sie ein wenig. Er sah sich um, ob sie von irgendjemand beobachtet wurden und wandte sich dann wieder Ana'Maera zu. Er blinzelte erneut und einen Augenblick später waren ihre Elfenohren verschwunden. Stattdessen runzelte er die Stirn bei dem Versuch, an ihrer Statt einige Haarsträhnen darzustellen und darunter menschliche Ohren.
      Dann war er zufrieden damit. Nur zwei Menschen, die sich hier für ihre nächste Reise eindecken würden. Von denen einer sich seine Sachen erklauen würde, aber das musste ja keiner der hier Anwesenden wissen.
    • Den Schlaf hatte die Elfe wirklich gebraucht. Auch, wenn sie noch nicht vollständig ausgeruht war, hatte sie genug Kraft sammeln können, um den Ätherion-Stein auch am heutigen Tag zu beschützen. Das sie noch lebte, mochte vielleicht nur unverschämtes Glück sein, doch der Grund dafür, spielte letztendlich keine Rolle. Solange Malvas' Absichten mit ihren halbwegs übereinstimmten, würden sie gemeinsam reisen können. Der Dämon wusste zumindest, wie man sich versteckte und auch, wie man sich in einem Menschendorf verhalten sollte.

      In einem solchen Dorf angekommen, führte Ana'Maera ihr Pferd an den wenigen Häusern vorbei, bis sie abstieg und es an der Tränke befestigte, damit es trinken konnte. Dabei strich sie ihm einen Moment über den Hals, ehe sie zu dem Geschäft sah, wo sie richtige Pfeile kaufen könnte. Kaufen. Das könnte sie tun, wenn sie.. ihr Geld nicht Malvas gegeben hätte und es ihnen abgenommen wurde.
      Etwas nachdenklich verblieb sie am Pferd und sah zu ihrem Reisegefährten. Hatte sie irgendetwas an Wert dabei? Ihre Waffen brauchte sie, ebenso ihre Kleidung und Schmuck trug sie keinen. Was also könnte sie dem Händler als Gegenleistung bieten? Würden die Menschen ihr glauben, wenn sie versprach es nach ihrer Mission zu bezahlen? Den Worten einer Elfe konnte man immer vertrauen.
      Doch sie wusste nicht, wie die Menschen darauf reagieren würden, weshalb sie beschloss den Rat des Dämonen einzuholen, der sich mit solchen Dingen schließlich besser auskannte, als sie. "Wir haben kein Geld..", stellte sie nüchtern fest und betrachtete ihre Kleidung und hoffte, dass sie doch etwas bei sich hatte, das sie eintauschen könnte. Auch wenn ihre Kleidung aus robustem Stoff bestand, gab es nichts daran, was für Menschen interessant war. Sie dachte einen Moment an den Dolch, den sie Malvas zurückgegeben hatte, doch er schien ihm wichtig zu sein, weshalb sie nicht danach fragte, ihn eintauschen zu dürfen. Außerdem war es sein Besitz und sie hätte nicht das Recht dazu. "Was tun wir jetzt?" Er war doch derjenige von ihnen, der Praxiserfahrung mit den Menschen hatte.
      ~ ♦ ~ Die Freiheit der Phantasie ist keine Flucht in das Unwirkliche; sie ist Kühnheit und Erfindung. ~ ♦ ~
      - Eugene Ionesco
    • Sie stiegen bei einer Tränke ab, wo sie die Pferde gleich stationierten, bevor sie den nächstbesten Händler anpeilten. Bevor Ana'Maera sich aber in Bewegung gesetzt hätte, wovon Malvas ausging, nachdem sie schließlich am meisten Proviant von ihnen bräuchte, drehte sie sich um und betrachtete Malvas für einen Moment mit einem Ausdruck, den er auch in hundert Jahren nicht hätte deuten können. Elfen und ihre generalverfluchte Abneigung zu jeglichen Mimiken, es machte ihm unheimlich schwierig, ihre Gedanken zu erraten.
      Als sie dann aber von selbst damit rausrückte, grinste er.
      "Kein Geld - das ist ein Problem, nicht wahr? Wir sind ja schließlich rechtschaffene Bürger, die sich nichts zu Schulden kommen lassen."
      Er zwinkerte ihr zu. Ana'Maera starrte ihn unverändert an, entweder, weil sie noch nicht ganz begriff, worauf er hinauswollte, oder weil sie genau begriff, worauf er hinauswollte.
      Oder, weil sie einfach immer so dreinsah.
      "Sieh zu und lerne, Lady. Wir machen das jetzt auf die gewöhnliche Art, Geld ist sowieso völlig überbewertet. Komm mit und fummel dir nicht an deinen Ohren herum."
      Dann führte er den Weg zum nächstbesten Händler an.
      Sie betraten ein Haus, in dessen halb geöffnetem Erdgeschoss der Laden war und dessen Stockwerk darüber ganz eindeutig die zugehörige Wohnung des Inhabers. An einem anderen Tag hätte Malvas sich vielleicht die Mühe gemacht, dort einzubrechen, aber sie wollten ja nur ein bisschen Proviant besorgen. Eine Frau hinter dem Tresen begrüßte sie freundlich; Malvas schob Ana'Maera auf sie zu.
      "Los, sag ihr, was du alles benötigst. Lass dir einen Preis nennen, einverstanden? Los doch."
      Vielleicht hätte Ana'Maera verunsichert dreingesehen, wenn sie nicht unbedingt eine Elfe gewesen wäre, aber so stolzierte sie mit erhobenem Haupt auf die Frau zu. Malvas blieb im Hintergrund, stellte sicher, dass die beiden Frauen ins Gespräch kamen, und sah sich dann um.
      Der Laden hatte ein bisschen von allem: Ein bisschen Essen, ein bisschen Werkzeug, ein bisschen Materialien, ein ganz klein wenig Kleidung. Keine Waffen, die gäbe es sicherlich beim örtlichen Schmied zu besorgen. Auch nichts, was den Arbeitern in diesem Dorf zu helfen schien, sondern ausschließlich auf Reisende ausgelegt.
      Malvas ließ den Blick über die Waren schweifen, blieb nahe der Tür stehen, wo nichts in seiner Reichweite lag, und beobachtete. Er suchte sich heraus, was er zu stehlen plante und sobald er sich festgelegt hatte, schoss sein Blick zurück und der betroffene Gegenstand verschwand vom Tisch. Bandagen und Kräuter, die sich einfach in Luft auflösten, als er sie ansah. Ein Apfel auf einem Haufen anderer Äpfel, der verschwand. Ein Hemd, das lediglich den Kleiderbügel zurückließ, als stattdessen die Wand dahinter zum Vorschein kam.
      Das war anstrengend, denn auf so viele kleine Dinge zu achten benötigte ein enormes Maß an Konzentration. Malvas schwitzte ein bisschen. Seine Augen brannten, während er beobachtete, ohne zu blinzeln.
      Dann war es soweit und er musste nur noch den Pfad ablaufen. Am Tisch vorbei und die Bandagen einstecken, die sowieso visuell nicht mehr dort waren. An dem Apfelkorb vorbei und den unsichtbaren Apfel in den Ärmel schubsen. Am Hemd vorbei und sich augenscheinlich strecken, um es runterzunehmen und sich über die Schulter zu legen - über die linke Schulter, weil er dort seine Tattoos trug. Jetzt musste er nicht nur das Hemd weiter unsichtbar halten, sondern auch seine Haut darunter darstellen, aber mit Tattoos war das einfacher, sie veränderten sich nicht.
      Dann schlenderte er weiter zu Ana'Maera und stellte sich neben ihr auf. Einen Moment lang beobachtete er das Gespräch zwischen beiden, dann setzte er eine meisterhafte Unschuldsmiene auf.
      "Oh! Das hätte ich ganz vergessen - das hier habe ich draußen gefunden."
      Er griff sich in die Hosentasche und zog eine seiner blauen Münzen hervor, die außerhalb von Calanins Untergrund sowieso keinen Wert hatten - nur, dass sie jetzt nicht blau war, sondern für alle gut sichtbar ein schillerndes, hochpoliertes Gold aufwies. Eine reine, unbefleckte, mit dem menschlichen König versehene Goldmünze. Malvas erlaubte sich sogar den Spaß, das Licht für einen Moment über die Oberfläche tanzen zu lassen, auch wenn ihn das nur weiter erschöpfte.
      "Wir können doch damit bezahlen, oder? Es macht auch nichts, wenn Sie nicht passend herausgeben können. Wir sind nur an den Waren interessiert."
      Er lächelte freundlich und ehrlich in die Runde. Die Frau machte riesige Augen und Ana'Maera sah auch so aus, als könnte sie fast - fast - große Augen machen.
      "Aber sicher! Selbstverständlich! Ich suche gleich alles zusammen - warten Sie nur hier!"
      Die Dame eilte davon, um Ana'Maeras Paket zu schnüren und Malvas lehnte sich zufrieden an den Tresen. Menschen waren dumm, das würde sich nie ändern.
      Sie händigte alles aus, was sie brauchten. Sie bemühte sich auch Wechselgeld herauszugeben und als sie gerade 30 Silbermünzen abgezählt hatte und wohl langsam anfing, ihr Erspartes zusammenkratzen zu müssen, schüttelte Malvas, großmütig wie er war, den Kopf.
      "Das reicht schon, behalten Sie den Rest. Komm, mein Liebes, wir müssen heute noch weiter."
      Er hielt der Elfe ganz ungezwungen die Hand entgegen, als wären sie nichts weiter als das unschuldige Paar, das sich hier für ihre Reise eindecken wollte, und zog sie mit sich, bevor sie noch protestieren konnte. Draußen vor dem Laden drückte er ihr die ergaunerten Münzen in die Hand.
      "Ich schlage jetzt vor, dass du dich damit beeilst den Rest zu holen, damit wir die unangenehme Überraschung nicht noch mitbekommen. Auf, auf."
      Er selbst schüttelte sich den Apfel aus dem Ärmel, der jetzt auch nicht mehr unsichtbar war, ließ das Hemd erscheinen und zog es sich über. Es saß nicht ganz, war eine Spur zu klein für ihn und straffte sich über die Brust, aber es war besser als nichts. Besonders besser, nachdem es kostenlos war.
      Dann biss er vom Apfel ab und schlenderte selbstgefällig zu seinem Pferd zurück.
    • Ironie und Sarkasmus war der Elfe völlig fremd, sodass sie Malvas Aussage nicht wirklich verstand. Rechtschaffene Bürger? Ein Dämon? Gewöhnliche Art? Und wieso sollte sie nicht an ihren Ohren 'fummeln'? So etwas käme ihr ohnehin nicht in den Sinn. Als sie den Laden betraten, schickte Malvas sie vor, was sie erst verwirrte. Noch während sie die Frau um etwas Proviant und eine Tasche dafür, sowie andere nützliche Dinge wie beispielsweise ein Seil und einen Umhang, um ihre Waffen zu verbergen, bat, hatte sie eine Befürchtung, was Malvas plante. Wollte er die Frau ausrauben? Würde sie die gewünschten Waren dann überhaupt bekommen?
      Als Malvas dann jedoch eine Goldmünze hervorholte, betrachtete sie diese und war erleichtert, dass sie ihn doch falsch eingeschätzt hatte. Wieso war er aber so großzügig, wo ein Dämon doch gierig sein sollte. Sehr ungewöhnlich..
      "Vielen Dank", sprach die Elfe und verneigte sich ein wenig, ehe sie auf Malvas Hand sah. Liebes? Was genau tat er hier eigentlich? Schauspiel gehörte jedenfalls nicht zu den Fähigkeiten der Elfen. Dennoch nahm sie seine Hand und ließ sich mitziehen, da sie beschlossen hatte, ihm die Sache zu überlassen. Immerhin kannte er sich unter den Menschen besser aus.

      Draußen angekommen sprach Malvas von einer unangenehmen Überraschung und offenbarte sein Diebesgut. Etwas empört - wobei ihr Gesicht noch immer unverändert aussah - blickte sie zu Malvas, den Münzen und wieder zu Malvas.
      Sie wusste nicht, was sie tun sollte und ging deshalb in die Schmiede. Dort kaufte sie mit dem Silber einen richtigen Köcher, Pfeile und einen Dolch.

      Das Pferd noch nicht einmal erreicht, kamen die Menschen mit wüsten Beschimpfungen auf sie zu. Zwei Männer zielten mit gespannten Bogen auf Malvas, doch die Pfeile würden ihn nie erreichen. Denn sobald sie abgefeuert wurden, nutzte Ana'Maera ihre Windmagie um sie wegzuwehen und den Staub aufzuwirbeln, während sie zu ihrem Pferd eilte, hinauf sprang und mit Malvas flüchtete.

      Erst als sie weit, weit weg waren, bremste die Elfe ihr Pferd aus, welches nur noch langsam trabte. Sie blickte zurück und anschließend zu Malvas. Er hatte diese unschuldigen getäuscht und bestohlen. Schlimmer war jedoch, dass er sie zu seiner Komplizin gemacht hatte!
      Doch anstelle von Anschuldigungen und Zurechtweisungen, ritt die Elfe nachdenklich und gemütlich weiter. Es.. diente einem guten Zweck oder etwa nicht? Einem äußerst wichtigem und höherem Zweck. Wenn ihre Aufgabe erfüllt wäre, würde sie sich bei den Menschen entschuldigen und ihnen ihr Geld zurückzahlen. Ihr Hunger war viel zu groß, weshalb sich ihr Magen mit einem Knurren meldete.
      Also machten sie kurz darauf eine kleine Pause, um ihre Pferde zu füttern und selbst etwas zu essen. "Das war keine Goldmünze, oder?", schlussfolgerte sie und reichte dem Dämonen ein Stück Brot. Erneut grübelnd, schnitt sie sich ein Stück Käse ab und gab auch davon etwas an ihren Begleiter. Es war zwar eine Lüge, aber eine Notlüge. Also war es in Ordnung? Ohne Proviant könnte sie immerhin ihre Pflicht als Hüterin nicht erfüllen, worunter die Menschen ein noch viel größeres Leid erleiden würden. Es war.. in Ordnung.. Das versuchte sie sich einzureden, ehe sie sich erhob, damit sie ihre Reise fortsetzen konnten. Je schneller sie ankämen, desto weniger Proviant bräuchten sie schließlich. Desto weniger Schaden würde Malvas den Menschen zufügen, welchen sie dulden musste..
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      - Eugene Ionesco
    • Eigentlich hatte Malvas darauf gehofft, dass es länger dauern würde, bis die Menschen auf seinen kleinen Taschenspielertrick hereinfielen, aber nunja, was sollte man da schon machen. Aufruhr und Lärm kündigten ihr Entdecken schon von weitem an und der Dämon warf den Rest seines Apfels beiseite, bevor er sich auf sein Pferd schwang.
      Ana'Maera kam keinen Augenblick zu früh, denn die ersten kamen bereits mit ihren gezückten Waffen hervor und Malvas hätte nicht davor gezögert, hier und jetzt die Flucht zu ergreifen, bevor er sich noch von Menschen umzingeln ließ. Von Menschen. Malvas' Ego konnte ja viele Schläge vertragen, aber irgendwo musste auch er eine Grenze ziehen.
      Erstaunlicherweise konnte die Elfe ihre Windmagie dazu nutzen, die abgeschossenen Pfeile gleich umzulenken, sodass dem Dämon nichts weiter übrig blieb, als sein Pferd im Zaum zu halten und auf ihre übereilte Abreise zu warten. Behände schwang sich die Elfe in den Sattel und preschte voran, er ihr dicht hinterher. Als sie das Dorf bereits hinter sich gelassen hatten, fiel ihm erst auf, dass ihre Elfenohren wieder sichtbar waren.
      Sie ritten noch ein ganzes Stück in einem Sprint weiter, um zu verhindern, dass man ihnen so einfach folgen würde, bevor sie schließlich abbremsten und Malvas die weitere Richtung angab. Er führte sie wieder von der Straße weg, denn jetzt war das wohl noch wichtiger als noch zuvor.
      Sie schlugen ihr behelfsmäßiges Lager im Schutze einer verwahrlosten Holzfällergegend auf und aßen etwas von dem Proviant, Malvas zufrieden mit sich selbst und der Welt, Ana'Maera in ihrer typischen Teilnahmslosigkeit, als sie das Wort schließlich erhob. Es war die erste Frage, seit sie das Dorf hinter sich gelassen hatten und sie kam so aus dem Nichts, dass Malvas sich erst an seinem Brot verschluckte - und dann lachte. Er lachte laut und ungehemmt und weil er glaubte, dass Ana'Maera deswegen ein Stück finster dreinsah, obwohl das bei Elfen gar nicht möglich war, lachte er noch mehr und krümmte sich schließlich nach vorne, weil er keine Luft mehr bekam. Mit Schnappatmung versuchte er sich zu beruhigen.
      "Der war gut! Der war wirklich gut!"
      Er kicherte noch immer, während er sich aufrichtete und sich eine Träne aus dem Augenwinkel wischte. Dann grinste er nur noch, sah Ana'Maera an und weitete langsam und fast ungläubig die Augen.
      "... Das meinst du ernst, oder?"
      Und weil sie ihm das bestätigte, bekam er einen neuen Lachanfall.
      "Ana'Maera! Wirklich! Wirklich? Das gibt's ja nicht! Bei allen Generälen!"
      Er ließ sich diesmal Zeit damit, sich wieder zu beruhigen, weil das wirklich, wirklich nur zu komisch war. Grinsend sah er sie schließlich wieder an.
      "Was denkst du denn, was das war? Denkst du, jemand wie ich", er unterstrich das Wort, indem er auf sich selbst zeigte, auf das unpassende Hemd, die zerschlissene Hose, den einzigen Dolch, den er als Waffe bei sich trug, "kann irgendwo eine Goldmünze auftreiben? Eine echte noch dazu? Oh Lady, dein Optimismus amüsiert mich."
      Noch immer grinsend schüttelte er den Kopf.
      "Nein, das war natürlich keine Goldmünze. Es war eine Münze, aber keine, die hier einen Wert hat. Ich habe sie nur ein bisschen angepasst."
      Wie zur Bestätigung tauchte zwischen ihnen in der Luft dieselbe Münze nochmal auf, mit dem selben, reflektierten Schein auf ihrer glatt polierten Oberfläche. Es tauchten sogar eine ganze Menge Münzen auf, so viel, dass sie einen eigenen, kleinen Schatz darstellen könnten.
      Wenn sie nur Materie hätten und nicht rein visueller Natur wären.
      Malvas' Grinsen sackte ein Stück herab, während er auf die Enttäuschung starrte, die sich seine magische Natur nannte. Die Münzen waren hübsch, ja, aber er würde niemals mit ihnen zahlen können, er würde niemals einen Beutel mit ihnen füllen können oder nur das Geräusch imitieren, das entstand, wenn sie auf den Boden fielen. Er würde niemals mehr machen können, als das Auge zu befriedigen und wenn er nicht eine andere Münze hatte, um sie damit zu tarnen, würde er nicht einmal jemanden überzeugen können. Seine Magie blieb nicht mehr als eine Taschenspielerei, mit denen er betrunkene Menschen in Hinterhöfen hereinlegen oder sich als Feuerdämon ausgeben konnte, damit ihn niemand belästigte.
      Die Münzen verschwanden und mit ihnen die letzte Lust zu lachen. Malvas schob sich den Rest des Brotes hinein und ging dann zurück zu seinem Pferd.
      "Wir sollten weiter, solange es noch hell ist."