Divided Essence [Kiimesca & Codren]

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    • Malvas antwortete nicht, sondern fluchte wieder, da die Dämonen sie gefunden und eingeholt hatten. Sie waren weitaus fitter als die beiden und eine Flucht schien immer aussichtsloser. Ana'Maera ging zwar weiter, als er es forderte, doch so beschwerlich wie sie die Dächer erklommen, würden sie früher oder später gefasst werden. Ihr Blick ging zum Zwischendach, auf dem der erste Dämon sich bereits näherte und bewies, wie ihre Chancen immer kleiner wurden.
      Plötzlich schien ihr Begleiter für den Verzweiflungsakt zu sein, weshalb sie ihn überrascht ansah. Wenn sie genug Kraft hätte, könnte sie wie am Vormittag zwei Ziele treffen, sogar drei wären möglich, wenn sie in einer Linie stehen würden und sie mehr Mana hätte. Ihr gefiel die Idee auch nicht, dass sie Malvas oder den anderen beiden danach hilflos ausgeliefert wäre. Sein Schwur, auf ein Wesen, dass für diese Situation verantwortlich ist, konnte die Elfe nicht unbedingt als vertrauenswürdig erachten. Doch sie vertraute ihm noch ein weiteres Mal, da er sie zu Beginn ihrer Flucht bereits vom Gegenteil überzeugt hatte.
      Entweder würde die ganze Stadt dem wütenden Feuerdämonen zum Opfer fallen, sie erneut geschnappt werden oder sie ihre Entscheidung bereuen, wenn Malvas sie nun doch verraten würde. Doch es gab eben noch eine vierte Option: Malvas hielt sein Wort und wenn sie aufwachen würde, wären sie in Sicherheit. Die Wahrscheinlichkeit war angesichts der Rasse ihres Begleiters zwar eher gering, doch sie bestand und so setzte die Elfe alles auf diese winzige Hoffnung. Ohne seine Illusion wäre sie auch nie soweit gekommen und er nicht ohne ihr Geschick. Bis hierhin war es ein faires Geben und Nehmen ihrer Zusammenarbeit.
      "Ich kann nur einen töten.." Und das war natürlich der Feuerdämon, alles andere hätte keinen Sinn. Er war die größte Bedrohung, auch wenn sie nicht wusste, ob Malvas mit den anderen beiden fertig werden würde.

      Entschlossen entfernte sie sich vom Dachrand, um sich den Blicken der Dämonen zu entziehen. Für gewöhnlich konnte sie einen magischen Pfeil in wenigen Sekunden abfeuern, doch in ihrem derzeitigen Zustand brauchte sie etwa die zehnfache Zeit dazu. Der Feuerdämon war zu weit entfernt, um die Distanz mit ihrer letzten Kraft zu überwinden, also musste sie abwarten, dass er nah genug ran kam. Auch wenn sie seit 20 Jahren nicht ein einziges Mal ihr Ziel verfehlt hatte, durfte sie kein Risiko eingehen. Je näher er dran war, desto eher würde ihn der Pfeil treffen und desto unmöglicher war es, dass er auswich oder mit einem Gegenangriff ihren Erfolg verhinderte. "20 Schritte... Sag mir Bescheid, wenn er noch etwa 20 Schritte entfernt ist.." Sie blickte noch einmal zu Malvas und nickte ihm zu, bevor sie sich umdrehte und ihr Ziel selbst nicht sehen konnte. Sie würde ihm ein weiteres Mal ihr Vertrauen schenken, auch wenn jegliche Vernunft sie davon abzuhalten versuchte.
      Dann zückte sie ihren Bogen, legte den Pfeil locker an die Sehne und atmete dabei so tief ein, wie es ihr möglich war. Sie kratzte jedes Fünkchen Mana in ihrem Körper zusammen und ließ es über ihre Fingerspitzen in den Pfeil fließen. Jede Faser ihres Körpers wehrte sich unter Schmerz dagegen. Auch ihr Kiefer schmerzte unter dem Druck ihrer aufeinander gepressten Zähne. Das Pochen ihres Herzen dröhnte in ihren Ohren, doch sie ignorierte die Warnungen ihres Körpers. Ihr eiserner Wille ihre Aufgabe als Hüterin zu erfüllen, war alles was sie noch aufrecht stehen ließ. Die Anstrengung war ihr jedoch deutlich anzusehen, als Blut langsam aus ihrem rechten Nasenloch drang, ehe sie auf Malvas Zeichen hin ihre Beine, die so schwer wie Blei waren, mit gespanntem Bogen zu den letzten Schritten zwang und ausatmete, als sie ihren Pfeil auf den Feuerdämonen richtete.

      Durchzogen von Magie, schoss der Pfeil in einem rasanten Tempo an den anderen beiden vorbei, die zuerst siegessicher grinste, da sie sie verfehlt hatte, sich dann jedoch umdrehte, als sie ihren Blick sahen, der nicht auf sie gerichtet war.
      Er traf den Feuerdämonen mit einer Wucht, die ihrem ersten Pfeil, der auf Malvas und seine Leute gerichtet war, beinahe ebenbürtig war. Zwei Ziele hätte sie damit nicht ausschalten können, aber für ein Ziel war es genug, um seine Brust zu durchbohren. Der Pfeil selbst verbrannte in dem Augenblick, als er seinen flammenden Körper traf, doch die Magie, die sich um diesen gebündelt hatte, stieß ungehalten durch ihn hindurch und riss ein Loch in seine Brust, wo sein Herz schlug. Dämonen und Elfen lebten zwar länger, doch sie waren nicht unsterblich. Ihre Körper waren genau so verletzlich wie die der Menschen und mit einem durchbohrten Herz, konnte auch dieser Dämon kein Unheil mehr anrichten.
      Im selben Moment, wie der Feuerdämon auf die Knie ging, um kurz darauf umzukippen, brach auch Ana'Maera wie befürchtet zusammen. Eingehüllt von der Dunkelheit gab sich ihr Körper der Schwerkraft geschlagen. Er würde ihr diese Überschreitung ihrer Grenzen nicht so schnell verzeihen und sich für einige Stunden in Abwesenheit ihres Geistes erholen müssen, aber sie hatte es geschafft ihre Chancen mit diesem einen Schuss um ein vielfaches zu erhöhen.
      ~ ♦ ~ Die Freiheit der Phantasie ist keine Flucht in das Unwirkliche; sie ist Kühnheit und Erfindung. ~ ♦ ~
      - Eugene Ionesco

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    • Malvas folgte Ana'Maera augenblicklich vom Dachrand weg, denn was für eine Option hatte er denn schon? Einer Elfe vertrauen, die ihn auch genauso gut selbst mit ihrem Windpfeil durchbohren könnte oder zurückgehen und sich der Erniedrigung seiner Artgenossen stellen - riskieren, dass er zurück ins Dämonenreich zu seinem zuständigen General beordert wurde? Malvas hatte noch nie sonderliche Probleme damit gehabt, zweifelhafte Entscheidungen zu treffen, aber diese schlug ihm dann doch sehr auf den Magen, während er sich der Elfe anvertraute. Wenn sie ihn hereinlegte, würde er ihr ihre spitzen Ohren abreißen, soviel stand fest.
      Die Elfe positionierte sich und schnell wurde klar, dass sie zumindest mit einer Sache nicht gelogen hatte: Dass auch sie kaum noch mehr Kraft zur Verfügung hatte. Ihr Gesicht war leichenblass und in ihren Armen, die den Bogen anhoben, lag eine Anstrengung, die für eine Bogenschützin alltäglich hätte sein müssen. Ihr Gesicht verzerrte sich und Blut rann ihr aus der Nase, als sie den Pfeil anlegte. In diesem Augenblick sah sie so furchterregend wie die Dämonenkönigin höchstpersönlich aus.
      Von dem Anblick in den Bann gezogen, starrte Malvas sie an, bevor weitere Geräusche zu ihnen nach oben drangen und die Dämonen ganz zweifellos näher kamen. Da wandte er sich doch von der Elfe, die am Rande ihrer Kräfte stand, ab, und hielt nach dem Feuerdämon Ausschau.
      Er gab ihr das Zeichen und Ana'Maera schoss.
      Gebannt starrten alle vier anwesenden Dämonen den Pfeil an, der zwischen ihnen hindurch sauste und sämtliche Ziele zu verfehlen schien, selbst das eigentliche Ziel - nur, dass sogar Feuer nichts gegen Wind ausrichten konnte. Der Pfeil, gemacht aus Holz und Eisen, mochte vielleicht in der aufkommenden Glut des Wesens verbrennen, aber der Wind schlug ungehindert hindurch, fegte Flammen und Feuer beiseite und bohrte sich selbst durch feuerfestes Leder und Unterkleidung. Ein Loch entstand, genau so wie bei Raela vor wenigen Stunden; und wie auch bei Raela starrte der Feuerdämon perplex, der noch nicht recht begriffen hatte, wie er nur hätte sterben können.
      Der Anblick war so absolut göttlich, dass Malvas einen Luftsprung hätte vollführen können.
      "Ja! Ja! Ausgezeichnet! Der hat richtig gesessen!"
      Ein Geräusch hinter ihm alarmierte ihn und er drehte sich gerade noch rechtzeitig um, um Ana'Maera zusammenbrechen zu sehen.
      "Oh - verflucht!"
      Bevor er darüber nachdenken konnte, stürzte er vor und fing die Elfe halbwegs auf - was heißen sollte, dass sie in seinen Armen landete und ihn mit sich zu Boden riss. Er stürzte auf das Dach, verrenkte sich unter ihrem Gewicht den Arm und schimpfte lauthals, während er Elfe, als auch sich selbst wieder aufzurichten versuchte. Sie war lasch wie ein Sack Kartoffeln und hinter ihm ertönte das aufbegehrende Fluchen der Dämonen. Er musste hier so schnell wie möglich verschwinden.
      Mit der neuen Last, die die Elfe darstellte, kämpfte er sich auf die Beine hoch und schaffte es, ihren leblosen Körper über seine Schulter zu ziehen. Er könnte sie zurücklassen, das wäre einfach und effektiv, aber würde er es dann heil aus der Stadt schaffen? Wie viele Dämonen würden hier noch herumlungern, die vielleicht schon gehört hatten, dass es einen Illusionsdämon mit Tattoos zu fangen gab? Darüber wollte er nicht einmal nachdenken, das war ein rein rhethorischer Gedanke. Nein, er würde die Elfe mitnehmen und er würde sie schon irgendwie wieder aufpäppeln und dann könnte sie ihnen mit ihrer schicken Windmagie eine Schneise aus der Stadt schlagen.
      Entschlossen stolperte er mit der bewusstlosen Elfe das Dach hinauf, rutschte aus, verlor den Halt, schlitterte auf der anderen Seite wieder hinab, fing sich am Dachrand und zog die Elfe an seine Brust, bevor sie noch hinunter geflogen wäre. Keuchend und schwitzend und immer noch fluchend, denn sehr viele andere Wörter hatte sein Wortschatz auch nicht auf Lager, presste er die zierliche Elfe an sich und bestritt seine Odyssee über das Dächermeer.
      Die beiden verbliebenen Dämonen ließen sich nicht abwimmeln, so sehr er es auch versuchte. Angetrieben durch den Tod ihres Anführers - oder wer auch immer er gewesen sein musste - strebten sie nach Rache und Vergeltung und dieses Mal richtig. Malvas würde nicht ein zweites Mal damit davonkommen, einfach nur gefangen genommen zu werden.
      Entsprechend hoch war seine eigene Panik, als er sich stolpernd und schlitternd über die Dächer beförderte, die Elfe in den Armen, die noch keinerlei Anzeichen von sich gegeben hatte, in nächster Zeit wieder aufzuwachen. Er würde sich irgendwo verstecken müssen. Malvas war doch immer gut im Verstecken gewesen, oder etwa nicht? Er würde es auch diesmal schaffen. Seine letzte Energie würde ihn nicht im Stich lassen.
      Er wartete auf die nächste Gelegenheit, in der er außer Sichtweite der anderen war, schlitterte das Dach hinab und duckte sich hinter den nächsten Schornstein, den er finden konnte. Drei rasselnde Atemzüge nahm er, dann hielt er die Luft an und erschuf drei Wände aus Backstein, die sich um ihn schlossen. Er erweiterte den Kamin um den Fleck, an den er sich mit der Elfe gerade kauerte und duckte sich in die Illusion des Kamins.
      Die Schritte kamen. Sie trampelten über das Dache, nahe seines Verstecks, wo er noch immer die Luft anhielt, mit den Füßen dagegen stemmte, die Dachschräge abzurutschen, und die Elfe dabei dicht an sich gedrückt hielt. Ihr Kopf lag auf seiner Schulter, fast so, als würde sie nur schlafen. Sie roch nach Wald und Beeren, wie ihm fern auffiel.
      Dann liefen die Schritte weiter, das Dach hinab, zweifellos auf das nächste Dach hinauf. Die Dämonen riefen sich etwas zu, was Malvas nicht ganz verstehen konnte, und dann wurde es mit einem Mal wieder still.
      Starr vor Sorge verweilte er in seiner provisorischen Illusion, die glücklicherweise nicht sehr viel Magie benötigte, bis er sich absolut sicher war, dass die anderen weg waren, bevor er sie verpuffen ließ und sich aufrichtete. Genauso schnell, wie er bis dahin geflohen war, drehte er sich jetzt um und rannte in die Richtung, aus der sie alle gekommen waren.
      Die Dämonen tauchten nicht wieder auf. Sie mussten weitergegangen sein und kamen nicht wieder zurück, und doch beeilte sich Malvas damit, ein Versteck zu finden. Er fand das winzige Fenster eines Dachbodens, der leer zu sein schien, und nachdem er erst die Scheibe eingeschlagen hatte und dann die Elfe hindurch gedrückt hatte, kletterte er selbst rein.
      Der Dachboden war eine winzige Abstellkammer mit alten Möbeln, die kaum groß genug war, um hier ordentlich stehen zu können. Malvas schlich geduckt durch den düsteren Raum, der auf beiden Seiten von jeweils einem winzigen Fenster erhellt wurde, dann kam er zurück und zog Ana'Maera etwas von dem Fenster weg, durch das sie eben gekommen waren.
      Und dann setzte er sich endlich hin und atmete aus.
      Seine Muskeln brannten von dem zusätzlichen Gewicht und dem langen Weg, den er beschritten hatte. Seine Schulter brannte noch immer von dem Pfeil von vorhin, auch wenn er sich an diesen Schmerz mittlerweile gewöhnt hatte. Sein Oberkörper und Teile seiner Beine brannten von den rötlichen Schlieren, die der Feuerdämon hinterlassen hatte.
      Mieser Dreckskerl. Malvas hatte es so lustig gefunden, ihn sterben zu sehen.
      Für mehr reichte aber auch seine Kraft nicht. Er starrte auf Ana'Maera hinab, die noch immer ganz bleich und leblos aussah und wollte sich schon selbst hinlegen, um sich ein bisschen auszuruhen, als sein Blick auf den Lederbeutel fiel, den sie so unbedingt zurückhaben wollte. Von Neugier gepackt kroch er doch zu ihr, löste den Beutel, öffnete ihn und stierte hinein.
      Das Ding - das Etwas, das in seinem Inneren lag, war nichts, was Malvas jemals in seinem Leben gesehen hätte. Es war rund, dessen war er sich ziemlich sicher, und es war glatt, aber am meisten irritierte ihn, dass etwas da war, was er nicht zu greifen vermochte. Es lag etwas um dieses Ding herum, eine Aura vielleicht, eine Präsenz, er wusste es nicht ganz genau, die es so... unnatürlich machte. Er neigte den Kopf, während er es anstarrte, und aus reiner Gewohnheit heraus sich die Form, die einzelnen Stellen und Kanten verinnerlichte, um sie in seinen Illusionen nachzustellen.
      Aber etwas stimmte nicht. Er war sich sicher, dass er das Grundgerüst dieses Dings darstellen könnte, das war nicht schwierig, aber es würde nicht dasselbe sein. Ihm würde etwas fehlen, etwas unsichtbares, das aber doch da war. Etwas, das sich mit keinen Farben, Formen oder Linien der Welt darstellen ließe.
      Er starrte noch eine ganze Weile dieses Ding an, das ihn so sehr faszinierte, dass er damit seine Müdigkeit vergaß, bis sie ihn letzten Endes doch einholte. Da verschloss er den Beutel wieder, steckte ihn zurück an Ana'Maeras Brust und nachdem er sich vergewissert hatte, dass die Tür zum Dachboden fest verschlossen war, rollte er sich auf dem Boden zu einer defensiven Kugel zusammen und schlief Minuten später ein.
    • Das erste, was Ana'Maera spürte waren ihre schweren Glieder; der Schmerz, als hätten sich all ihre Muskeln zusammengezogen. Unfähig sich zu bewegen, versuchte sie wenigstens die Augen zu öffnen, doch sie sah das gleiche Schwarz wie innerhalb ihrer Augenlider. Sie wusste nicht, wo sie war oder wie spät es war. Als sie ihren Kopf zur Seite drehte, sah sie ein winzig kleines Funkeln, dass unerreichbar schien. Ein Stern? Es war also Nacht. Hatte der Dämon sie wirklich gerettet? Sie hatte nicht die geringste Ahnung, wie viel Mühen er dafür auf sich genommen hatte, aber für den Moment war sie erleichtert, dass sie noch lebte. Ob sie ihre Aufgabe jedoch erfüllt hatte, musste sie erst noch überprüfen.
      Gegen die Schwerkraft kämpfend, der Windelfen sonst so leichtfüßig trotzten, hob sie ihre Hand. Ihre Muskeln waren gegen sie, doch mühselig schaffte sie es den Beutel zu ertasten, was ihr einen tiefen, erleichterten Seufzer entlockte. Ruhig atmend, schloss sie ihre Augen wieder und gönnte ihrem Körper noch etwas Ruhe. Ihr Kopf schmerzte so sehr, dass sie kaum noch denken konnte.
      Sie spürte einen kühlen Luftzug, der sanft ihr Gesicht streichelte und ihr ein Gefühl von Frieden schenkte. Es war ruhig und je mehr sie sich von dem schwachen Lüftchen einhüllen ließ, desto mehr konnte sie wieder wahrnehmen.
      Sie konnte jemanden, nicht weit von ihr, atmen spüren. Wie die Luft in seine Lungen gesogen und friedlich wieder ausgestoßen würden, als würde er schlafen. Malvas war also noch immer an ihrer Seite.
      Er hatte Recht damit, dass sie ihn brauchte.
      Er hatte auch Recht damit, dass sie es nicht bereuen würde, was ein friedliches Lächeln auf ihre Lippen legte.

      Für den Moment war sie in Sicherheit, doch sie musste den Ätherion-Stein nach Lumenar bringen und war vollkommen auf sich allein gestellt. Der Dämon erwies sich als äußerst nützlich und obwohl viele die Illusionsmagie für schwache Taschenspielerei hielten, war er es, der ihre Flucht ermöglicht hatte. Der dichte Rauch, der sich nicht von ihrer Windmagie beeinflussen lassen hatte. Wie effektiv.
      Ihre Muskeln entspannten sich nur langsam, doch sie konnte fühlen, wie er sich regenerierte. Sein Atem kam rechts von ihr, weshalb sie ihren Kopf nach rechts drehte, doch in der Dunkelheit konnte sie ihn nicht erblicken. Neben ihrer Windmagie beherrschte die Elfe auch ein wenig Lichtmagie, die allerdings genau so nutzlos war, wie seine Illusionsmagie. Oder auch nicht, wie er bewiesen hatte. Über ihrer rechten Hand erschienen kleine Lichter, die wie Glühwürmchen darüber umherschwirrten. Glücklicherweise kostete dieses schwache Licht so gut wie kein Mana.
      "Malvas?", krächzte sie heiser hervor und betrachtete den schwach beleuchteten Rücken des Dämonen. Er gab keine Antwort, weil er entweder zu tief schlief, um ihre schwache Stimme zu hören oder sie ignorierte. "Danke...", hauchte sie und lächelte erneut. Es war ein beflügelndes Gefühl Dankbarkeit für jemanden zu empfinden, von dem man nur Enttäuschung erwartet hätte. Das ihr Vertrauen in ihn auf diese Weise belohnt wurde. "Ohne dich, hätte ich es nicht geschafft..", flüsterte sie ehrlich, obwohl sie nicht wusste, ob er sie hörte.
      ~ ♦ ~ Die Freiheit der Phantasie ist keine Flucht in das Unwirkliche; sie ist Kühnheit und Erfindung. ~ ♦ ~
      - Eugene Ionesco
    • Als Malvas aufwachte, waren seine Muskeln ganz steif und ungelenk. Sein Nacken tat ihm weh und sein Kopf tat ihm weh und seine Schulter tat ihm weh und eigentlich gab es kaum einen Fleck auf seinem Körper, der ihm nicht weh tat. Aber das war nicht der Grund, weshalb er aufgewacht war.
      Von unten drangen Geräusche durch den Holzboden hinauf: Schritte, Stimmen und etwas, das sich anhörte, als würden Möbel verrückt werden. Es war nicht unbedingt laut, aber, nun, man konnte wohl nicht vorsichtig genug sein, wenn man noch immer ein paar störrische Verfolger im Nacken sitzen hatte. Jede Chance aufzufliegen, musste daher im Keim erstickt werden.
      Er richtete sich müde auf, um sich umdrehen zu können, nur dass die Bewegung ein Knacken im Holz verursachte und er unmittelbar erstarrte. Auch die Stimmen hörten auf und als er zu der Elfe hinüber sah, die mittlerweile selbst wach war, war sie ebenfalls erfroren. Einige Sekunden lang, was sich eher anfühlte wie Minuten oder Stunden, starrten sie sich beide alarmiert an und dann setzten die Geräusche unten unbeirrt wieder fort.
      Malvas atmete aus und bewegte sich in Zeitlupe, um sich ordentlich aufzusetzen.
      Ana'Maera war wach und sah besser aus als noch vor ein paar Stunden, auch wenn dieses "besser" lediglich beinhaltete, dass sie die Augen geöffnet hatte und sichtbare Atemzüge nahm. Ansonsten hätte sie wohl genauso noch bewusstlos sein können; ihr Gesicht war noch immer blass, ihr Körper wirkte schlaff und kraftlos, so, wie sie sich dort in Malvas' Nähe eingerichtet hatte. Er war zwar kein Heiler, aber selbst er konnte sehen, dass sie mehr schlafen musste und etwas zu essen und trinken benötigte. Er hatte ja selbst seit dem Morgen nichts mehr gegessen.
      ... Er wusste gar nicht, wieso er überhaupt über sowas dummes nachdachte.
      "Kannst du laufen?", flüsterte er in den Raum hinein, was irgendwie dennoch laut war, wenn man bedachte, wie nahe die Bewohner unter ihnen waren. Wenn sie entscheiden sollten auf den Dachboden zu kommen...
      Er packte seinen Dolch aus und hielt ihn in der Hand fest, nur für alle Fälle.
      "Kannst du zaubern?"
    • Der Frieden schwand, als die Geräusche von unterhalb sich durch die Stille drängten. Malvas bewegte sich endlich, doch er brachte den Holzboden zum Knacken, weshalb die Elfe instinktiv ihren Atem anhielt und mit großen Augen zu dem Dämonen sah. Diese Stille war alles andere als friedlich, weshalb sie erleichtert war, als die Stimmen wieder erklangen.
      "Ja..", antwortete sie leise auf seine Frage, ob sie laufen könnte. Sie war zwar noch ziemlich angeschlagen, aber mittlerweile sollte sie genug Kraft haben, um zu laufen, solange sie nicht rennen, springen oder klettern müssten.
      "Nicht wirklich..", gestand sie auf seine Frage. Ein paar simple Zauber waren machbar, aber eine Windböe oder einen magischen Pfeil könnte sie momentan nicht wirken, ohne wieder in Ohnmacht zu fallen oder schlimmer.

      Ihr Blick ging zu dem Fenster, aus dem der Luftzug kam, da Malvas es eingeschlagen hatte. Immerhin konnte sie sich einigermaßen leichtfüßig dort hin begeben, während die kleinen Fünkchen ihnen den Weg erhellten. Nachdem sie aus dem Fenster geklettert war, sah sie sich um, doch sie kannte sich noch immer nicht aus und wusste nicht, wie sie am schnellsten von hier fort kämen.
      "Ich muss nach Oluin.." Sie konnte ihm nicht ihr genaues Ziel verraten, lediglich die Richtung in der sie verschwinden müsste. Sie hatte ihm bisher zwar vertrauen können, aber er half ihr bestimmt nur solange, wie er selbst einen Nutzen davon hatte. Wenn sie erst einmal die Landesgrenze von Oluin passiert hätte, wäre es nicht mehr all zu weit nach Lumenar. "Ich brauche ein Pferd", merkte sie an und drehte sich zu ihm um. Er kannte sich in Calanin besser aus und würde sie hoffentlich zu einem Pferdehändler führen, doch da fiel ihr ein, dass Malvas ihr Geld abgenommen hatte und es nun vermutlich irgendwo unter den Trümmern des Hauses, aus dem sie geflüchtet waren, liegen würde. So konnte sie sich weder ein neues Pferd, noch einen Sattel kaufen.
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      - Eugene Ionesco
    • Wenigstens würde Malvas die Elfe nicht wieder über Dächer ziehen müssen, eine ganz angenehme Aussicht, wenn man die letzten Stunden so betrachtete. Trotzdem war es nicht gut, dass auch sie sich noch nicht erholt hatte; wie bei allen Generälen sollten sie von den Dämonen verschwinden, ohne auf ihre Kräfte zurückzugreifen?
      Der Argwohn stand ihm ins Gesicht geschrieben, als er Ana'Maera dabei beobachtete, wie sie lautlos auf das Fenster zuschlich, geleitet von den winzigen Flämmchen an ihren Händen - er hatte gedacht, sie sei eine Windelfe? Konnte sie etwa noch mehr als das? Das schien fast unfair - und dann Anstalten machte, nach draußen geklettert. Augenblicklich gepackt von dem Entsetzen, allein zurückgelassen zu werden, sprang auch Malvas auf und schlich ihr nach, so gut es ihm möglich war. Aber das Holz musste sich gegen ihn verschworen haben, denn wo die Elfe kaum mehr als den Atemzug eines Geräuschs von sich gegeben hatte, knarrte und knackte jetzt der Boden unter ihm, wenn er die Stiefel aufsetzte. Die Stimmen verstummten wieder, Malvas fluchte und dann sprang er ihr schnell nach, bevor noch jemand nach oben kommen und nachsehen würde.
      Die Dächer waren verlassen und einigermaßen kühl um diese Uhrzeit - das konnte aber auch gut daran liegen, dass Malvas' Oberteil sich vor einigen Stunden in Asche verwandelt hatte. Er stellte sich neben Ana'Maera auf, erbärmlicher Mitläufer, der er immer schon gewesen war, und wartete darauf, dass die Elfe wie selbstverständlich die Richtung anschlagen würde. Sie würden hier schließlich noch immer gemeinsam entkommen, nicht wahr? Jetzt, da Raela gestorben und Vayn irgendwo in den Straßen verschwunden war, hatte Malvas niemanden mehr, der ihm in einer solchen Lage hätte aushelfen können.
      Eben niemanden außer Ana'Maera.
      "Oluin? Was suchst du denn dort drüben?"
      Malvas dachte nach, ob er dort irgendwelche Bekannte hatte, aber auf die Schnelle fiel ihm keiner ein. Und wenn ihm keiner einfiel, hoffte er darauf, dass es dort niemanden gab, der eine Überraschung für ihn sein könnte.
      Nicht, dass er plante, selbst nach Oluin zu gehen. Das war Unsinn.
      Er kratzte sich am Oberarm.
      "Ein Pferd? Ich brauche auch so einiges. Einen Happen Essen zum Beispiel, oder Sicherheit. Oder", er lehnte sich zu Ana'Maera rüber und starrte sie eindringlich an, "die Information, was dieses Ding in deinem Beutel da ist. Sag mir, was das ist und ich sag dir, wo du hier Pferde finden kannst. Deal?"
    • Auf die Frage, was sie dort drüben wollte, antwortete sie nicht und betrachtete ihn kurz, ehe sie auf ihre verbrannte Hand sah, die nun, wo sie sich dessen wieder bewusst war, umso mehr schmerzte.
      Essen und Sicherheit könnte sie auch gut gebrauchen, aber je länger sie in Calanin blieb, desto höher war das Risiko, wieder gefunden zu werden. Als er sich zu ihr rüber lehnte, wich sie etwas zurück und zog ihre Augenbrauen zusammen. Er wollte etwas über das Ding in ihrem Beutel wissen? Es wäre sicher keine gute Idee davon zu erzählen, doch da die Elfe ihn nicht belügen konnte und sie mit seiner Hilfe schneller an ein Pferd käme, beschloss sie ihm schon wieder etwas anzuvertrauen. Das würde hoffentlich nicht zur Gewohnheit werden. "Ein Ätherion-Stein. Der letzte von Fünf, den deine Königin noch braucht, um die Welt ins Unheil zu stürzen", erklärte sie und beobachtete ihn genau. "Ich bin eine Hüterin. Solange ich denken kann, wurde ich ausgebildet, um ihn zu beschützen."
      Ihre Haltung entspannte sich wieder, da er längst mit dem Stein verschwunden wäre, hätte er es wirklich darauf abgesehen. Kurz darauf, gab ihr Magen ein leises, gequältes Knurren ab. Etwas zu essen würde ihr zwar dabei helfen ihre Kräfte zu regenerieren, aber konnte sie sich diesen Zwischenstopp wirklich erlauben? Eher nicht. Darüber konnte sie nachdenken, wenn sie diese Stadt hinter sich gelassen hätte. Weit hinter sich.
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      - Eugene Ionesco
    • "Ein W A S?!"
      Malvas lehnte sich noch weiter nach vorne, so weit, dass er auf dem Dach beinahe vornüber gefallen wäre. Jetzt starrte er Ana'Maera nicht nur eindringlich an, er verschlang sie regelrecht mit einem so intensiven Blick, dass ihm die Augen gleich rauszufallen drohten.
      "Ein WAS ist das?!"
      Natürlich hatte er sie schon verstanden, es ging viel eher um die Frage, weshalb die Elfe so locker damit herausrückte. Hatte sie denn eine Ahnung, was das war? Bei der Dämonenkönigin selbst, Malvas hatte einen Ätherion-Stein in der Hand gehalten!
      "Gib ihn mir! Ich will ihn nochmal sehen, gib ihn her!"
      Was er alles mit einem Ätherion-Stein anfangen könnte! Was für einen Reichtum er sich ergaunern könnte, wenn er dieses merkwürdige Ding, das er nicht in hundert Jahren als Ätherion-Stein erkannt hätte, an sich brachte! Und Ana'Maera lief damit herum, als wäre es nicht mehr als ein paar Goldmünzen wert!
      Ohne weiter nachzudenken, warf er sich auf sie. Kameradschaft war vorüber, jetzt ging es wieder ums nackte Überleben, als er versuchte, ihr den Beutel mit aller Geschicklichkeit, die die Welt ihm vermacht hatte, von ihrem Körper zu reißen. Dabei hatte er die Rechnung aber ohne Ana'Maera selbst gemacht; sogar in geschwächtem Zustand und ohne richtige Vorbereitung wich sie ihm noch genug aus, dass er den Beutel um Längen verfehlte - was er aber nicht verfehlte, war der Saum ihres Hemdes. Was er dafür sehr wohl wieder verfehlte, war der Moment, sein Gleichgewicht wiederzufinden.
      Er verlor den Halt auf dem schrägen Dach, fiel und riss die Elfe dabei mit sich, die sich genauso wenig festhalten konnte wie er. In einem Wirrwarr aus Armen und Beinen, die allesamt nach dem geringsten Halt suchten, den sie nur finden konnten, kullerte er die Schräge des Dachs hinunter, bekam den Rand zu fassen und war nicht stark genug, sich irgendwie daran festzuhalten. Er rollte hinüber und durfte für eine Sekunde fliegen, bevor er auf schwer auf dem Boden unten aufkrachte.
      Schmerz explodierte in seinem Rücken und machte ihn benommen. Es war zu viel auf einmal und zu wenig Pausen dazwischen; er hatte ein bisschen geschlafen, aber das war kaum genug gewesen, um einen solchen Fall aufzufangen. Ihm schwindelte und er glaubte, dass er sich das Rückgrat gebrochen hatte. Nein, den ganzen Rücken. Nein, den ganzen Körper hatte er sich bestimmt gebrochen, jeden einzelnen Knochen darin.
      Er stöhnte und machte sich dann an einen kläglichen Versuch, sich auf die Seite zu rollen.
      "Auszeit...!"
    • Ein mulmiges Gefühl beschlich Ana'Maera, als Malvas sie mit diesem eigenartigen Blick bedachte. Als er auch noch nach dem Stein verlangte, bezweifelte sie, dass es klug war, ihm davon zu erzählen. Sie hätte schweigen können, und dann? Sie konnte ihn nicht belügen, als wären Elfen einfach nicht dazu im Stande so etwas zutun.
      Als er sich auf sie stürzte, war sie sich ihres Fehler bewusst und wich zur Seite aus. Unter besseren Bedingungen wäre es ihr sicher ein leichtes gewesen, auch wenn er sie damit überrascht hatte. Doch so schaffte sie es lediglich den Stein zu schützen, nicht sich selbst. Alles ging so schnell, als er mit ihrem Hemd in der Hand fiel und sie mit sich riss. Das tat ihrem geschwächten Körper keinesfalls gut, der sie mit brennenden Schmerzen daran erinnerte, dass sie dringend eine Pause brauchte. Eine richtige Pause und kein Nickerchen.
      Im Gegensatz zu Malvas gelang der Elfe eine elegantere Landung. Anstatt zu versuchen sich festzuhalten, stieß sie sich im letzten Moment ab, machte einen Salto und trotz der Tiefe auf ihren Füßen. Allerdings gaben ihre Beine nach und sie ging sofort in die Knie, bevor sie sich unter Schmerzen schnell wieder aufrichtete, als der Dämon nach einer Auszeit verlangte.
      Verwirrt sah sie zu ihm, da sie sich gerade zusammenreißen und wegrennen wollte. "Auszeit?" Ihr war dieses Wort schon bekannt, aber was wollte er damit bezwecken? Zögernd blieb sie vorerst stehen, hielt jedoch ausreichend Abstand zu ihm. Das sie ihm nun wieder mehr misstraute, war ja wohl nicht verwunderlich, weshalb ihre Hand an ihrem Schwert ruhte. Er schien nicht besonders geschickt zu sein, sodass es für sie ein leichtes sein sollte, ihn in einem Kampf zu besiegen.
      ~ ♦ ~ Die Freiheit der Phantasie ist keine Flucht in das Unwirkliche; sie ist Kühnheit und Erfindung. ~ ♦ ~
      - Eugene Ionesco
    • Unter momentaner körperlicher Höchstleistung, die Malvas alles abverlangte, gelang ihm das Kunststück, sich auf die Knie aufzurichten und von dort den Anstieg nach oben zu unternehmen. Sein Gleichgewichtssinn war außer Kontrolle, denn so wie es sich herausstellte, war es nicht zielführend, gleichzeitig den Rücken zu schonen und auf die Beine zu kommen. Malvas schwankte und fluchte dabei.
      "Ja, eine Auszeit. Nur gaaanz kurz. Okay?"
      Er hob die Hände abwehrend in Ana'Maeras Richtung, die dastand wie ein verängstigtes Tier, das sich noch nicht ganz dazu entschieden hatte, ob es flüchten sollte oder nicht. Aber die Elfe war kein verängstigtes Tier, das hatte er mittlerweile begriffen, sie war das direkte Gegenteil davon; sie war eine Bestie und eine Leichtathletin und außerdem hatte sie auch noch den Ätherion-Stein dabei.
      Den Ätherion-Stein! Der Grund, weshalb alle Dämonen so verrückt durch die Welt schlugen, auf der Suche nach ihm! Indirekt war er damit auch der Grund, weshalb Malvas gerade nicht dort draußen war und nach den Befehlen eines Generals marschierte, wie es ein guter und fleißiger Dämon eigentlich tun sollte. Weshalb er stattdessen Feuerdämonen nachspielte und sich in Städten niederließ, in denen die Menschen leicht manipulierbar waren. Und manchmal auch die Elfen.
      Und jetzt war dieser Stein in seiner Reichweite! Schon jetzt überschlugen sich seine Gedanken bei all den Geschichten, die darüber existierten. Was dieser Stein alles ausrichten konnte! Was die Dämonen damit ausrichten konnte!
      Was Malvas tun könnte...!
      Er starrte Ana'Maera aus seiner halb gebeugten Position von unten herauf an und richtete sich dann das letzte Stück stöhnend auf, die Hände noch immer defensiv erhoben.
      "Ich werd' dir nichts tun, weil du mir auch nichts tust. Nicht wahr? Okay? So ist es doch die letzten Stunden gelaufen, so zwischen uns: Du hilfst mir ein bisschen und ich helf dir ein bisschen und zum Schluss stehen wir deshalb jetzt beide hier und sind nicht in irgendeinem Keller bei irgendwelchen Dämonen gefangen, die diesen -" Er sollte wohl nicht offen und frei darüber sprechen. "... Dieses Ding da haben wollen, nicht wahr? Das wollen sie schließlich schon eine ganze Weile lang. Und mich interessiert jetzt nur... es würde mich nur brennend interessieren, wieso er nicht mehr versteckt ist. Ich meine, er war doch vorher sicher irgendwo aufbewahrt, oder? Und jetzt ist er es nicht mehr? Wieso?"
      Wie um zu beweisen, dass er noch immer nichts tat, wackelte er mit beiden Händen.
      "Es interessiert mich nur! Weih mich ein und ich zeige dir nicht nur den nächsten Pferdestall, ich besorge dir auch noch das beste verfluchte Pferd in ganz Calanin, versprochen!"
    • Was auch immer der Dämon mit dieser kurzen Auszeit bezwecken wollte, Ana'Maera würde sich nicht noch einmal so überrumpeln lassen. Sollte er es auch nur wagen, sich ihr zu nähern, würde sie seine Lunge mit ihrem Schwert durchbohren. Auch wenn Elfen eher friedfertige Wesen waren - Hüter kannten keine Gnade, wenn ihnen ein Feind gegenüberstand. Nicht für Dämonen. Denn alles, was sie wollten, war der Ätherion-Stein, den die Hüter mit ihrem Leben schützten und sich dafür auch die Hände schmutzig machten. Wer auch nur eine Sekunde daran zweifelte, dass ein Dämon den Tod verdient hatte, würde selbst sterben. So wurde es sie gelehrt. Und doch stand sie hier mit einem Dämon, dem sie das Leben gerettet hatte. Der ihr das Leben gerettet hatte. Warum?
      Sie beobachtete ihn genau, jede noch so kleine Regung und bewegte sich selbst kein Stück, solange er dort drüben stehen blieb. Was wollte er mit diesem Wissen anfangen? Dafür würde er ihr wirklich ein Pferd besorgen? Das beste? Ihr Ziel würde sie nicht leichtfertig verraten, das wäre töricht, doch was vergangen war, war vergangen. "Ich bin eine Hüterin aus Saner'a. Wir wurden gestern Abend angegriffen, deshalb wurde mir die Aufgabe übertragen, ihn in Sicherheit zu bringen. Saner'a existiert nicht mehr." Der Name ihres Dorfes hatte zwar keinen Wert, da es auf keiner Karte verzeichnet war, die er kannte.
      Für die Elfe war es allerdings ihre Heimat, in die sie nun nie wieder zurückkehren könnte. Eine Heimat, die ihr nur ein kleines bisschen mehr bedeutete, als jede andere Stadt auf diesem Kontinent. Auch wenn der Verlust ihres Vaters - von dem sie wohl ausgehen konnte - sie schmerzte, so war er nicht schmerzvoller als der Tod ihrer Kameraden. Elfen - nein Hüter - wurden nur zu diesen einen Zweck ausgebildet. Ihr ganzes Dorf war ihre Familie, weshalb sie zu niemand einzelnem eine bessere Beziehung hatte, wie zu den anderen.

      Ebenso wie Dämonen niemals vollkommen sein würden, waren auch die Elfen unvollkommen. Alle gleichstellend und sich selbst den anderen unterzuordnen, waren sie nicht fähig dazu, einen einzelnen zu bevorzugen. Sie konnten sich weder in Dämonen, noch Menschen hineinversetzen, da sie sich nicht mit ihren negativen Gefühlen auseinandersetzten.
      Glaube, Hoffnung, Weisheit, Gerechtigkeit, Tapferkeit, Mäßigung und Liebe.
      Elfen waren so rein, dass sie niemals wahre Freude empfanden, denn dazu müssten sie erst den Schmerz von Trauer und Zorn erleben, so wie es die Menschen taten.
      Ana'Maera fühlte zwar eine gewisse Enttäuschung über Malvas Verrat, doch dieser galt hauptsächlich ihr selbst, dass sie ihm so sehr vertraut hatte, dass sie es nicht kommen sah. Sie müsste wütend sein, doch das war sie nicht. Ihr Fokus lag immer noch auf ihrer Aufgabe, für die sie tapfer bleiben musste, egal wie steinig ihr Weg werden würde.
      Da wo sie versucht hatte ihm zu Vertrauen, war nun Misstrauen. Seine vorherigen Versprechen hatte er zwar gehalten, aber würde er auch dieses halten? Darauf konnte sie dieses Mal nicht vertrauen..
      ~ ♦ ~ Die Freiheit der Phantasie ist keine Flucht in das Unwirkliche; sie ist Kühnheit und Erfindung. ~ ♦ ~
      - Eugene Ionesco
    • Malvas lauschte mit all der Konzentration, die ihm im Augenblick zur Verfügung stand. Ana'Maera war eine Hüterin irgendeines Elfendorfes, das gestern angegriffen worden war - natürlich. Weshalb sonst sollte eine ganze Truppe Dämonen auftauchen, mit einem üblen, stinkenden Feuerdämon vorneweg? Malvas hätte es gleich sehen müssen und er hätte gleich erkennen müssen, dass Calanin doch kein so guter Ort war um zu bleiben. Schließlich wollte er solche Angriffe gerade umgehen, denn wo die Dämonen waren, war auch ein General nie weit.
      Welcher war noch gleich für diesen Sektor verantwortlich? Er konnte sich nicht entsinnen, auch, wenn er ganz bewusst die Grenze zum letzten Sektor überquert hatte, weil ihm der General dort zu aufbrausend geworden war. In jedem Fall wollte er keine Bekanntschaft mit ihm machen und da war ihm Calanin nun auch nicht mehr nützlich. Er würde hier auch verschwinden müssen - besser früher als später.
      "Ah. Naja, das erklärt so einiges. ... Warte mal, hier war ein Elfendorf in der Nähe?"
      Er runzelte die Stirn; auch das hätte er wissen müssen.
      Verfluchte Elfen und ihre verfluchte Geheimniskrämerei.
      "Dann äh... muss er also sicher woanders hin, nicht wahr? Irgendwohin sicheres? Du wirst ihn irgendwohin bringen?"
      Sein Gehirn hatte auch schon bessere Tage gesehen. Bei der Dämonenkönigin, er musste wirklich schlafen.
      Langsam kratzte er sich am Kopf.
      "Okay. Und wenn er dann... wenn er sicher ist... dann werden die Dämonen ihn wieder suchen müssen. Nicht wahr? Weil, sie wissen ganz sicher nicht, wohin du unterwegs bist. Ich weiß es ja auch nicht und ich bin einer! Sie müssten also... von vorne anfangen. Oder? Ganz sicher."
      Genauso langsam kniff er die Augen zusammen. Die Verbindungen in seinem Gehirn verknüpften sich sehr träge untereinander.
      "Und wenn sie wieder von vorne anfangen müssten... dann müssten sie alle bisherigen Koordinierungen über den Haufen werfen. Von vorne anfangen eben. Nicht wahr?"
    • Angestrengt versuchte sie seinem wirren Gerede zu folgen, auch wenn sie nicht wusste, welchen Zweck dies haben sollte. Es war reine Zeitverschwendung, denn er stand immer noch da und war nicht auf dem Weg ihr ein Pferd zu besorgen.
      "Genau..", bestätigte sie seine unbeholfene Schlussfolgerung. "Deswegen brauche ich ein Pferd..", wiederholte sie und nahm ihre Hand von ihrem Schwert. Nicht, weil sie ihm nun plötzlich vertraute, sondern weil sie nicht länger hier verweilen wollte.

      "Warum haben sie dich gefangen genommen?", sprach sie die Frage aus, die schon die ganze Zeit in ihrem Kopf herumschwirrte. Das untereinander ständig zu bekämpfen, war für Dämonen ja nichts ungewöhnliches, aber es muss doch trotzdem einen Grund gehabt haben. Obwohl Dämonen für keine ihre Taten zwangsläufig einen Grund brauchten. Vielleicht gab es einen und vielleicht war dies der Grund, warum er ihr geholfen hat und vielleicht noch helfen würde, auch wenn sie ihn fortan besser im Auge behalten würde, als zuvor.
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    • "...."
      Malvas starrte Ana'Maera eine ganze Weile noch an, während es in seinem Gehirn ratterte. Dann richtete er sich urplötzlich auf und nickte ernst, als wären sie damit zu einer höchst wichtigen Schlussfolgerung gelangt.
      "Okay. Pferd also. Ich besorge dir ein Pferd."
      Dann ging er voraus und stolzierte dabei, wie es ihm mit seinen Verletzungen nur möglich war.
      Sie hatten gerade erst die Hauptstraße wieder erreicht, auf der lediglich reger Trubel herrschte, noch immer recht nervös von den Kampfhandlungen vor ein paar Stunden, als die Elfe wieder zu ihm sprach. Ihre Frage kam nicht gerade überraschend, immerhin gab es nicht viele Vorkommnisse, bei denen Dämonen gegen ihre eigenen Artgenossen vorgingen.
      "Weil ich generallos bin. Für Leute wie mich gibt es ein Kopfgeld."
      Er blickte aus den Augenwinkeln zu ihr um ihre Reaktion zu beobachten.
      "Der Feuerdämon hat mich entlarvt, mieser Schnüffler. Hat mich nach meinem General gefragt, obwohl ich mich davon losgesagt habe - was soll ich also antworten? Ihm irgendeinen nennen und riskieren, dass es auch sein eigener ist? Oder Glück haben und mich der Befragung stellen, wo meine Truppe ist? Was ich in einem Sektor verloren habe, für den mein General gar nicht zuständig ist?"
      Malvas schnaubte, als wäre es schon ermüdend, allein über diese Fragereihe nachzudenken.
      "Normalerweise fliege ich nicht auf. Niemand traut sich unbedingt, einen Feuerdämon in Frage zu stellen. Aber diese generalverfluchten Teufel haben irgendeinen Feuer-Spürsinn, den ich nicht habe. Meine Flammen waren doch überzeugend, oder etwa nicht? Sie können es trotzdem merken, immer. Ich muss keine hundert Meter herankommen und schon weiß ich, dass er mich schon erschnüffelt hat. Tsk."
      Er marschierte mit recht zielstrebigen Schritten über die Hauptstraße hinweg und auf den Hintereingang einer Taverne zu. In diesem Eck waren die Gassen so eng, dass kaum Licht hereinfiel; Gestalten lungerten hier herum, die ausnutzten, aus dem gängigen Blick der Hauptstraße zu entkommen.
      "Ich kann alles imitieren, was keine Geräusche macht. Sag mir nur eine Sache und ich kann es tun - auch Feuer. Ganz besonders Feuer! Ich kann ein Streichholz anzünden und ich kann die Flamme auspusten und ich kann einen Feuerball werfen und etwas in die Luft sprengen - natürlich nur visuell - und dabei ist das alles gar nicht mal so einfach! Ich muss Rauch imitieren und ich muss den Luftzug beachten und ich muss genau wissen, wie groß eine Flamme werden darf und wie viel Treibstoff sie dafür benötigen würde und wie sie sich im Wind bewegt - und außerdem ist es meistens nichtmal eine einzelne Flamme! Meistens sind es mehrere, kleinere Quellen, die sich alle einzeln bewegen, aber das weiß ich und das kann ich mit dem Schnippen meiner Finger heraufbeschwören und trotzdem falle ich diesen Hunden auf! Das gibt es doch nicht, oder? Was mach ich nur falsch?"
      Mittlerweile waren sie im Inneren der Taverne und hatten die Treppe zum Lager hinunter genommen, wo alles düster und abgeschottet wirkte. Malvas quasselte noch immer weiter, ein unaufhörbarer Redefluss, der ihm aus dem Mund sprudelte, während er ungehindert mit der Elfe den Weinkeller betrat und dort weitermarschierte.
      "Dabei habe ich auch schon alles damit experimentiert, wie sie aussehen. Denn die meisten, die großen zumindest, die halten sich irgendwelche Flammen auf dem Körper, um zu zeigen, wer sie sind. Und anzugeben. Das sind richtige, unglaubliche Angeber, wusstest du das? Die müssen alle paar Tage mal irgendwas in die Luft jagen, sonst sind sie unzufrieden damit, die zerstörerischsten in der Truppe zu sein. Deshalb hatte der Kerl auch Feuer in seinen Haaren, weil, was anderes wäre ja schließlich untertrieben, nicht wahr? Oh, ich kann sie nicht ausstehen."
      Sie erreichten die andere Seite, wo Malvas sich zu einem willkürlich wirkenden Fass hinunter beugte, es beiseite schob und sich dann am Boden zu schaffen machte. Er kratzte an dem gepflasterten Stein herum und beförderte schließlich ein Säckchen hervor, bevor er alles wieder dorthin zurückschob, wo es gewesen war.
      "Aber selbst das können sie checken. Ich habe mir wirklich Mühe gegeben, das schwöre ich dir im Namen der Dämonenkönigin - du warst ja bewusstlos, du hast es ja gar nicht gesehen. Aber trotzdem hat er mich verdächtigt. Es ist zum Haare ausraufen, oder etwa nicht?"
      Er leitete Ana'Maera wieder aus dem Gebäude heraus. Niemand kreuzte ihren Weg, niemand sprach sie an, niemand hinderte Malvas daran, sich weiter über Feuerdämonen auszulassen. Er wusste gar nicht, warum er so plötzlich in Gesprächslaune gekommen war, aber jetzt ließ sich das auch nicht mehr aufhalten.
      Sie gingen wieder auf die Straße hinaus und folgten dann dem allgemeinen Trubel, bis er die Elfe zielsicher zu einem Stall gebracht hatte. Da unterbrach er seinen Wortfluss, verlangte nach dem Inhaber - nicht der Stallbursche, er brauchte einen Erwachsenen dafür - und präsentierte aus dem Säckchen heraus etwas, das wie eine blaue Münze aussah. Er hielt es dem Mann vors Gesicht und der wurde ganz glubschäugig, als er es entgegennahm und in der Hand abwog. Malvas steckte das Säckchen weg und stellte klar:
      "Ein Pferd."
      Der Mann nickte ganz fleißig und wollte gerade wegeilen, als er ihn nochmal zurückhielt.
      "Das beste! Das schnellste und stärkste. Sonst kommen wir wieder, aber dann gibt's keinen Deal mehr."
      Der Mann nickte so eifrig, dass seine Haare wackelten, und marschierte dann so schnell in das Innere des Stalls davon, wie es seine Würde zuließ.
      Malvas drehte sich derweil zu Ana'Maera um, die er betrachtete.
      "Also.... wirst du damit jetzt weiterziehen, mit dem Ding. Nicht wahr?"
      Er legte den Kopf schief, während er sie betrachtete. Er kratzte sich im Nacken. Er scharrte mit dem Stiefel über den Boden und trat ein paar Kieselsteine beiseite.
      "..... Ich kenn mich hier in der Gegend aus, weißt du das? Ich weiß, wo es weniger... riskant ist durchzureiten. Weil hier eine Menge Plünderer sind. Und Dämonen - wie du dir vermutlich schon gedacht hast. Andere Dämonen. Auch generallose, aber Leute wie ich sind immer in der Unterzahl, die meisten befolgen lieber die Befehle von oben. Und die werden momentan immerhin alle nur einen Befehl haben."
    • Ana'Maera sah dem Dämonen nach, als er sich in Bewegung setzte. Ob er ihr wirklich zu einem Pferd verhelfen würde? Vorsichtig folgte sie ihm, immer bereit ihre Waffe zu zücken, wenn es sein musste.
      Darüber, dass auf Malvas ein Kopfgeld ausgesetzt sein sollte, war sie ziemlich überrascht. Ein Kopfgeld von seinen eigenen Leuten? Dämonen kannten wirklich keine Loyalität. Allerdings sprach das auch nicht unbedingt für Malvas, der sich ihren Zorn wie auch immer zugezogen hatte. Dies erfuhr sie jedoch im Laufe der Zeit, nach und nach, da der Dämon gar nicht mehr aufhörte zu reden. Die Elfe selbst sagte nicht ein einziges Wort. Die verwegenen Pfade, die sie zurücklegten, flachten ihr Misstrauen auch nicht gerade ab. Dennoch folgte sie ihm, denn sie wusste es nicht besser.
      Auf die Frage, ob seine Täuschung ein Flammendämon zu sein, nicht gut war, nickte sie nur knapp. Immerhin war sie auch darauf reingefallen. Er hatte sich offensichtlich wirklich intensiv mit seinen Fähigkeiten beschäftigt, wofür die Elfe sogar ein wenig Respekt hatte. Man konnte behaupten, dass er eine große Leidenschaft dafür hatte und einen Hang zur Perfektion. Das war durchaus beeindruckend. Illusionsmagie kannte sie jedoch nicht, da Elfen so eine Magie selten beherrschten. Eigentlich kannte sie niemanden. Elfen versuchten nicht, andere zu täuschen.

      Als sie endlich in einem Stall ankamen, beobachtete sie Malvas und sah fragend auf die Münze, dann dem Herren hinterher, der sich seltsam verhielt. Nun wandte sich der Dämon wieder ihr zu. Sie nickte, als er noch einmal nach ihrem Vorhaben fragte. Sein Verhalten konnte sie jedoch nicht deuten, dass er plötzlich an den Tag legte. Auch was er mit seiner Aussage bewirken wollte, wusste sie nicht. Wollte er etwa mitkommen? Das war doch absurd. Aber warum erzählte er ihr sonst diese Dinge? Warum konnten Dämonen denn nie auf den Punkt kommen? Elfen nutzten immer klare, verständliche Sätze und waren eher sehr wortkarg. Sie waren ehrlich und sagten immer gerade heraus, was sie dachten. "Mich zu finden", beendete sie seinen Monolog und legte ihren Kopf ebenso schief, wie Malvas es tat.
      "Versuchst du gerade mich davon zu überzeugen, dich mitzunehmen? Wieso sollte ich dir vertrauen? Du hast mich angegriffen.." Nicht mit einer Waffe oder Magie, aber er wollte sie bestehlen. Schon das zweite Mal und das, nachdem sie so viel zusammen durchgestanden hatten.
      ~ ♦ ~ Die Freiheit der Phantasie ist keine Flucht in das Unwirkliche; sie ist Kühnheit und Erfindung. ~ ♦ ~
      - Eugene Ionesco
    • Malvas zog die Stirn tief in Falten und deutete mit einem anklagenden Finger auf Ana'Maera.
      "Du hast mich ja wohl zuerst angegriffen! Ich wollte ja nur ein bisschen..."
      Er wischte vage mit der Hand durch die Luft.
      "Spenden sammeln. Ja, genau das. Aber du hast mit deinem Bogen geschossen wie eine Furie!"
      Natürlich wusste er, was sie meinte. Natürlich würde er ihr bei so etwas niemals recht geben.
      "Deswegen sollte ja wohl ich derjenige sein, der dir nicht vertrauen kann. Bist eine Elfe und trotzdem so gefährlich wie ein Dämon und denen kann man ja nun wirklich nicht trauen. ..... Nein, warte, vergiss diesen letzten Teil wieder."
      Er musterte sie ganz grimmig.
      "Ich sage dir, dass du bessere Chancen mit mir hast, weil ich mich auskenne. Und weil ich Dämonen austricksen kann - nur keine Feuerdämonen. Aber den ganzen Rest! Und Menschen sowieso und Elfen waren bisher auch nie sonderlich ein Problem. Wieso solltest du mich also nicht mitnehmen? Ich weiß, was du da mit dir rumschleppst und ich habe es sogar vorhin auf dem Dachboden gesehen, als du noch gepennt hast, und habe es trotzdem nicht mitgenommen."
      Ganz stolz darüber, dem eigenen Raub-Trieb widerstanden zu haben, plusterte Malvas sich ein Stück auf und verschränkte die Arme vor der Brust.
      "Du hast also die beste Wahl mit mir, ganz eindeutig. Wer soll denn sonst mit dir kommen? So viele andere Elfen sehe ich hier überhaupt nicht."
    • Sie hatte ihn zuerst angegriffen? Verwirrt über seine Geste mit der Hand, blinzelte sie kurz und zog anschließend ihre Augenbrauen zusammen. Spenden sammeln? Was redete er für wirres Zeug? Sie hatte absolut keine Ahnung, was er von ihr wollte und wich vorsichtshalber einen Schritt zurück, als er sie so grimmig ansah.
      Warum sie ihn nicht mitnehmen sollte? Weil er ein Dämon war, das war Grund genug. Seine Argumente ergaben jedoch gar nicht mal so wenig Sinn. Die Körperhaltung dazu fand sie jedoch etwas eigenartig. Sie könnte allein gehen, aber sie war nicht dumm und wusste, dass es allein gefährlicher wäre. Aber ob es gefährlicher wäre als einem Dämonen zu vertrauen? Einem Dämonen, der sie schon zweimal überfallen wollte?
      Einen Moment lang dachte sie über die Vor- und Nachteile nach. Er war vielleicht nützlich, aber.. "Wenn du mitkommen willst, musst du mir deinen Dolch geben", forderte sie und streckte ihre Hand aus. Sie konnte nicht riskieren, dass er sie hinterrücks damit erstechen würde. Darüber würde sie auch nicht diskutieren, denn sie wollte Kämpfe vermeiden und wenn dies nicht ging, wäre er ihr mit dem Dolch sowieso keine große Hilfe.
      "Außerdem brauchen wir noch ein Pferd." Leider hatte dieses Bündnis, trotz mangelndem Vertrauen, mehr Vorteile, als Nachteile. Zumindest im Moment. Irgendeinen willkürlichen Elfen mitzunehmen hätte keinerlei Vorteile, wenn sie keine Hüter waren und nicht jeder Elf war gleichzeitig ein Hüter. Manche führten ein ganz gewöhnliches Leben zwischen den Menschen.
      "Sobald wir die Grenze zu Oluin überqueren, reite ich allein weiter." Sie würde ihm nicht verraten, wohin sie den Stein brächte. In Lumenar würde der Ätherion-Stein umgehend weiterreisen, um ein neues Versteck zu finden.
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      - Eugene Ionesco
    • Einen gewissen Eindruck musste Malvas ganz eindeutig hinterlassen haben, denn Ana'Maera sah für einen Moment skeptisch drein und wich dann auch noch einen Schritt vor seiner Großartigkeit zurück. Ha, sollte sie nur! Sollte sie nur merken, was für ein sehr guter und sehr mächtiger Dämon er war, trotz der Tatsache, dass seine Begabung nicht mehr wert war als Katzenfutter. Sollte sie sich doch seiner Macht fügen! Sie tat besser darum, sich zu fügen, anstatt andere Konsequenzen von ihm auffahren lassen zu sehen.
      Nicht, dass es die gegeben hätte. Aber das musste sie schließlich nicht wissen.
      Als sie dann aber doch endlich zu einer Antwort ansetzte, überraschte sie ihn so sehr mit dem Kompromiss, dass seine Kinnlade herabfiel.
      "Du willst meinen Dolch?"
      Die einzige Waffe, mit der er sich verteidigen konnte? Mit der er sich dort schützte, wo seine Magie versagte? Mit der er sich vor jenen schützen konnte, die weit genug gingen, hinter die Fassade seiner Illusionen zu blicken?
      Er starrte in Ana'Maeras Gesicht und auf ihre ausgestreckte Hand hinab, die sie zwischen sie beide hielt. Unsicherheit ergriff ihn bei der Erkenntnis, dass sie es durchaus nicht als Scherz gemeint hatte. Konnten Elfen in diese Richtung überhaupt scherzen? Wohl kaum. Sie war todernst dabei, seinen Dolch zu verlangen.
      Konnte er einer Elfe weit genug vertrauen, dass sie für ihn kämpfte, wenn es soweit käme? Oder ihm zumindest seinen Dolch wiedergab?
      Konnte man irgendeiner Elfe in dieser Hinsicht trauen?
      Er starrte sie so lange mit einem perplexen Gesichtsausdruck an, bis hinter ihm Hufe über den Boden klackten und der Mann mit dem versprochenen Pferd wiederkam, einem hochaufragenden, strammen, schnaubenden Hengst. Das Tier warf den Kopf herum, um beide Gäste zu betrachten oder sich auch vielleicht gegen die Zügel zu werfen.
      Malvas starrte zu dem Tier zurück und dann auf Ana'Maera, die immernoch den Dolch verlangte. Er sah auf den Lederbeutel an ihrer Brust hinab und auf den darin versteckten Ätherion-Stein. Ätherion-Stein. Wann würde er jemals in seinem Leben eine solche Chance wiederbekommen? Wann würde irgendein Dämon jemals eine solche Chance erhalten?
      Also griff er sich nach einigem weiteren Zögern doch in die Tasche, beförderte den Dolch hervor, drehte ihn in der Hand, um die Klinge zu fassen, und legte den Griff in Ana'Maeras ausgestreckte Hand hinein. Für einen Moment waren sie über die Waffe verbunden, Malvas ungewillt dazu, sie doch loszulassen, bis er schließlich seine Finger davon löste. Der Dolch verschwand und mit ihm der winzige Haufen, den der Dämon bis dahin seinen Stolz genannt hatte.
      Er schnitt eine Grimasse, wandte sich dann um und verlangte ein zweites Pferd von dem Mann. Es hätte womöglich die Abmachung überschreiten müssen, die der Mann mit den Leuten hatte, von denen die blaue Münze kam, aber er beschwerte sich nicht; er drehte augenblicklich auf der Stelle um und verschwand wieder im Inneren des Stalls, um Malvas' Wunsch nachzukommen.
      Kaum zehn Minuten später hatten sie beide gesunde, kräftige Pferde neben sich stehen, beide aufgezäumt und gesattelt. Malvas' Miene hatte sich noch immer nicht verändert: Er starrte verdrießlich drein und versuchte nicht daran zu denken, dass er jetzt ganz wehrlos war. Einen Rest seiner Würde musste er sich schließlich noch bewahren.
      Also schwang er auf, setzte sich im Sattel zurecht und griff die Zügel.
      "Dann komm auch endlich. Ich will dieses Kaff hinter mir lassen."
      Die Elfe fügte sich und sie ritten gemeinsam auf die Hauptstraße hinaus.

      Eine Elfe und ein Dämon allein waren schon ein merkwürdiges Paar, um in der Öffentlichkeit gesehen zu werden, und das hatten wohl beide nicht bedacht, als die Blicke von Calanins Bewohnern an ihnen hängen blieben auf dem Weg zur Landstraße. Wenn jemand nach einer Elfe fragte, die hier möglicherweise hindurchgekommen wäre, würde man sich höchstwahrscheinlich nicht erinnern können - aber an eine Elfe und einen Dämon, beide mit sichtlichen Spuren nach einem Kampf und wenig Proviant an den viel zu teuren Pferden, daran würde man sich sicher erinnern können. Sehr gut sogar. So gut, dass man nicht nur die Richtung, sondern auch gleich die Straße wüsste, die sie aus Calanin heraus genommen hatten.
      Das schoss Malvas durch den Kopf, als sie sich dem allgemeinen Trubel von Reisenden anschlossen, aber er weihte Ana'Maera nicht darin ein, aus kindischer Boshaftigkeit darüber, dass sie seinen Dolch genommen hatte. Sollte sie es ruhig alleine herausfinden. Wie viele Leute konnten schon wissen, dass sie mit dem Ätherion-Stein unterwegs war? Sicher gar nicht viele.
      Sie verließen Calanin und folgten der Straße etwa für hundert Meter, bevor Malvas selbstbewusst und ganz zielsicher seinen Gaul von dem Weg ablenkte und sie beide hinein in die freie Wildbahn lotste. Er wusste, wo es lang ging, ganz sicher. Vor ihnen erwartete sie ein Wald und dahinter, dahinter würde es sicher irgendwo weitergehen.
    • Der Dämon zögerte wirklich lange, bis er seinen Dolch rausrückte. Ana'Maera war es damit jedoch sehr ernst, denn wenn er diesen Kompromiss nicht einging, würde sie allein reiten. Irgendwie würde sie es schon nach Lumenar schaffen. Brauchte sie dafür wirklich die Hilfe des Dämons? Sicher, es wäre einfacher mit einem Gefährten. Noch dazu mit einem Gefährten, der sich auskannte, auch wenn man auf die Behauptung eines Dämons nicht immer bauen konnte. Die Elfe verharrte in ihrer Haltung und es zeigte sich nicht die geringste Regung in ihrem Gesicht. Elfen hatten zwar das Vertrauen der Menschen, doch sie wirkten auch abweisend und emotionslos, was Ana'Maera in diesem Moment sehr gut demonstrierte.
      Zufrieden - wobei ihr Gesichtsausdruck immer noch derselbe war - nahm sie den Dolch an sich und verstaute ihn gut. Er bekäme ihn wieder, sobald sich ihre Wege trennen würden. Nun wartete die Elfe mit den Zügeln in der Hand darauf, dass Malvas ebenfalls ein Pferd bekam. Es war überhaupt nicht nötig, sie zu hetzen, denn auch sie wollte nicht länger in Calanin verweilen. Anfangs beachtete sie die Blicke der Menschen nicht großartig, doch als sie noch einmal zu Malvas sah und sich bewusst machte, dass er ein Dämon war - als könnte sie das je vergessen - atmete sie tief durch und richtete ihren Blick entschlossen nach vorn.
      Niemand wusste von ihrer Mission, bis auf Malvas und seine Artgenossen, die sie suchten. Die Menschen würden kaum verkünden, was sie gerade sahen, aber sollte man sie fragen, würden sie diese Information raus rücken. Man müsste sie vermutlich nicht einmal foltern. Noch wahrscheinlicher war, dass die Dämonen ihr Getuschel hören würden und nicht einmal zu fragen brauchten. Das Menschen gerne Klatsch und Tratsch verbreiteten, war ihr durchaus bewusst.
      Deshalb zögerte sie nicht, als Malvas den Weg verließ und folgte ihm. Er meinte doch, dass er sich auskennen würde. Sie sollte ihm allerdings nicht zu sehr vertrauen, denn er könnte sie noch immer in einen Hinterhalt locken oder sie außerhalb der Stadt erneut angreifen. Ob er so töricht wäre und eine bewaffnete Elfe angriff, die an diesem Tag schon 10 Leben beendet hatte? Möglich. Denn auch wenn Dämonen gerissen waren, waren sie immer noch überheblich und selbstverliebt.
      Bevor sie den Wald betreten würden, blickte Ana'Maera in den Himmel, um anhand der Sterne ihre grobe Richtung zu ermitteln. Die Richtung stimmte schon mal, weshalb sie sich vorerst keine weiteren Gedanken darüber machen musste, ob er sie auf den falschen Weg lotste. Es würde Tage dauern, bis sie Lumenar oder gar Oluin erreichten. Sie wären also gezwungen früher oder später eine Stadt oder ein Dorf aufzusuchen, wobei es wohl eher früher werden würde, da sie seit Stunden nichts mehr gegessen und sie auch keinen Proviant dabei hatten. Außerdem wäre es sinnvoll, sich neue Pfeile zu besorgen, da ihre Reise wahrscheinlich nicht ohne Konflikte sein würde.
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    • Malvas schlug ein rasches Tempo an, bestärkt darin, dass Ana'Meara sich so anstandslos seiner Richtungsvorgabe fügte. Stolz, sogar. Sie hatte die Waffen, klar, aber er war hier derjenige mit dem Wissen. Ohne ihn würde sie einfach aufs Geratewohl Richtung Oluin marschieren, ohne einen Sinn dafür, welche Stellen es zu meiden gälte und ob sie verfolgt würde.
      Er hatte sie zwar nie gefragt, ob sie sich mit solchen Sachen auskannte, aber davon ging er einfach aus.
      Und jetzt sorgte er dafür, dass sie sicher ankäme. Sie sollte verdammt glücklich sein, ihn zu haben.
      Allzu lange ritten sie an diesem Abend aber sowieso nicht, denn obwohl die Pferde frisch und gestärkt waren, waren ihre Reiter weit entfernt davon. Sie ritten in die ersten Ausuferungen des Waldes hinein, wo die Bäume noch nicht eng genug standen und das Gestrüpp noch nicht dicht genug war und Malvas hielt sie an, bevor sie noch ins tiefere Dickicht eintauchen würden. Das war eine Sache für Tageslicht, wenn sie Raubtiere besser erkennen würden und sich vor ihnen schützen konnten. Außerdem kannte Malvas sich zwar aus, aber er brauchte auch wenigstens eine Orientierung, um sie gebührend weiterlotsen zu können.
      Also stiegen sie bald wieder von den Pferden ab und als Ana'Maera dazu ansetzte, ein Lagerfeuer aufzubauen, schlug er ihr die Idee gleich wieder aus dem Kopf.
      "Du willst doch nicht alle Dämonen aus der Stadt anlocken, oder? So weit sind wir noch gar nicht gekommen. Du legst dich hier hin und ich übernehme die erste Wache, wie wäre das?"
      Dann grinste er sie an und versuchte dabei, wie ein sehr vertrauenswürdiger Dämon auszusehen.