Hörst du auf an den Mond zu glauben, wenn die Sonne aufgeht?
- Jack Frost
- Jack Frost
Timothy Fraser
Ein Tag wie jeder andere in der Kleinstadt Rainville. Wieder begann auch dieser Tag mit Regen, der heftig gegen die Fensterscheiben meines Büros plätscherte. Ein kurzer Blick auf die Wanduhr verriet, dass es bereits kurz nach neun Uhr war. Bald würde die "Rainville Times" ein neues Gesicht begrüßen dürfen. Eine junge Fotografin, mehr wusste ich allerdings nicht. Seelenruhig tippte ich weiter auf meiner Tastatur die Zeilen meines neuesten Artikels. Rainville hatte nun nämlich eine Ballettschule für die Kleinen. Die Neueröffnung fand noch diese Woche statt. Unglaublich, dass es in unserer Kleinstadt, in der fast jeder jeden kannte, so etwas überhaupt gab. Eigentlich hatte meine Heimat viel zu bieten. Ich mochte das Leben hier. Es war unbeschwert und leicht wie eine Sommerbrise. Es herrschte eine Harmonie, die es wohl nirgends sonst auf der Welt gab. Auch wenn die Kriminalität in den letzten Wochen zugenommen hatte, es mein Chef, Mr. Johnson, aber noch nicht für notwenig erachtete, darüber in der "Rainville Times" zu berichten, da dies für Unruhen bei den Einwohnern sorgen könnte. So berichteten wir auch in der aktuellen Ausgabe, die wöchentlich erschien, von den neuesten Ereignissen, den frei gewordenen Stellen, Immobilien, ihr kennt das ja. Nichts besonderes. Auch wenn ich meine Arbeit liebte, so war es doch mein größter Traum irgendwann bei der Zeitschrift "Lost Place" zu arbeiten. Eine Zeitschrift, deren Journalisten sich mit übernatürlichen Dingen, paranormalen Aktivitäten und natürlich verlassenen Orten, an die sich nur wenige Seelen wagten, beschäftigte. Doch bisher hatten die vielen Bewerbungen keinen Erfolg. Darum arbeitete ich auch heute noch bei der "Rainville Times", unter meinem herrischen Chef. Wenigstens waren die Kollegen nett. Wir kamen alle gut miteinander zurecht, jeder stand für den anderen ein. Ich schätzte dieses wertvolle Miteinander.
Ohne den Blick von meinem Monitor abzuwenden, griff ich nach dem Henkel der weißen Kaffeetasse und musste unwillkürlich das Gesicht verziehen. Bah! Der Kaffe war kalt. Gerade als ich die Tasse wieder abstellen wollte, hörte ich den ohrenbetäubenden Ruf meines Chefs, der durch Mark und Bein ging. Ich zuckte zusammen, verschüttete dabei etwas Kaffee und seufzte genervt, als ich die Sauerei mit einem Taschentuch aufwischte und mich auf den Weg zum Büro meines Chefs machte, welches unglücklicherweise genau neben meinem lag.
"Mr. Johnson? Sie haben gerufen?", fragte ich vorsichtig, blieb im Türrahmen stehen und lugte hinein zum hochroten Kopf meines Vorgesetzten. Er spielte sich am Zwirbelbad. Das tat er immer, wenn er aufgebracht war.
"Quatsch nicht, Fraser! Setzen!", wies er mürrisch an und knallte die letzte Ausgabe der Zeitschrift auf den Schreibtisch, die bereits die eifrigen Leser unserer Wochenzeitung erreicht hatte. "Können Sie mir das erklären, Fraser!?", fragte er und zeigte mit seinem speckigen Zeigefinger auf den Namen einer Dame. Ich trat näher heran und warf einen Blick auf eben genau diesen Namen. Ich erinnerte mich gut an den Bericht. Ich selbst hatte ihn nicht verfasst. Es war mein Kollege, der vor gut drei Monaten bei uns angefangen hatte. Es war meine Aufgabe, den Beitrag auf seine Genauigkeit zu überprüfen. Darin wurde der Vorstand eines gemeinnützigen Projektes vorgestellt, das sich um Wildvögel kümmerte. Ich runzelte die Stirn. "Gucken Sie nicht als wären sie eine Kuh auf einer leer gefressenen Weide! Was haben Sie zu Ihrer Verteidigung zu sagen!?"
"Ich kann nicht ganz folgen, Sir...", entgegnete ich vorsichtig.
Er schlug mit der flachen Hand auf den Schreibtisch, was mich kurz zusammenzucken ließ.
"Muss man Ihnen denn wirklich alles erklären, Sie Vollpfosten!?"
Bildete ich mir ein, dass sich Schaum vor seinem Mund bildete?
"Die Dame heißt Susan Brown nicht Crown, Sie Idiot! Es ist ihre Aufgabe gewesen, zu prüfen, dass dieser Nichtsnutz von Campbell einen ordentlichen, fehlerfreien Artikel schreibt! Jetzt denken alle unsere Leser, dass die Dame Crown heißt!"
"Oh... das tut mir leid, Mr. Johnson."
Ich bedauerte es wirklich. In den vielen Jahren war mir solch ein Fehler noch nie unterlaufen. Selbst dass die letzte Ausgabe unter Zeitdruck herausgebracht werden musste, entschuldigte wohl nicht, dass dieser Fehler passiert war.
"Toll, Fraser. Das bringt nun auch nichts mehr. Dieser Idiot... und Sie gleich mit! Ich sollte sie beide feuern! Was soll ich mit ach so tollen Journalisten, die es nicht mal fertig bringen eine Frau bei ihrem richtigen Namen zu nennen!?"
"Es tut mir wirklich leid, Mr. Johnson. Ich versichere Ihnen, solch ein Missgeschick wird nicht wieder passieren. Mr. Campbell ist noch sehr neu. Es war allein meine Schuld. Wenn Sie es also für richtig erachten, mich zu feuern..."
Doch ich wusste genau, dass Mr. Johnson dies niemals in die Tat umsetzen würde. Er schätzte meine Arbeit, und auch wenn er ein Choleriker war wie er im Buche stand, so wusste er doch, dass ich meine Arbeit für gewöhnlich zu seiner vollsten Zufriedenheit erledigte.
"Ach halten Sie die Klappe, Fraser!", entgegnete er dann nach einem kurzen Schweigen und lehnte sich in seinem Bürostuhl zurück.
"Wenn Sie wünschen, werde ich es in der nächsten Ausgabe richtig stellen und mich für das Missgeschick entschuldigen."
"Das ist ja wohl selbstverständlich!"
Mr. Johnson griff nach seinem Glas Brandy und trank es mit einem mal aus. Ja, unser netter Chef hatte ein kleines Alkoholproblem, was er natürlich niemals offen zugeben würde. "Heute kommt die Neue, oder? Wie heißt Sie noch gleich?"
"Wenn ich mich richtig entsinne Anderson. Samantha Anderson."
"Ja... wie auch immer. Kümmern Sie sich um sie. Ich muss heute früher weg. Und Fraser?"
Ich war schon dabei mich zu verabschieden, als ich meinen Namen hörte und mich nochmal zu Mr. Johnson umdrehte, dessen Gesicht wieder eine einigermaßen normale Farbe angenommen hatte. "Ja, Mr. Johnson?"
"Sollte so etwas noch einmal passieren..."
"Das wird es nicht. Da können Sie sich sicher sein."
"Abtreten!"
Das tat ich und setzte mich gleich wieder an die Arbeit. Wir lagen gut in der Zeit. Morgen stand noch das Interview mit der Balettschule auf dem Plan. Dafür mussten noch einige hübsche Fotos geschossen werden. Gerade als ich an den Kaffeeautomaten wollte, um mir eine frische Tasse zu zapfen und endlich dieses säuerliche Gesöff in die Kanalisation zu verabschieden, bemerkte ich eine junge Frau vor der Anmeldung. Sie wurde von unserer korpulenten Sekretärin freundlich begrüßt, und stellte sich schnell als Samantha Anderson heraus, meine neue Kollegin.
"Oh, du bist Samantha?", fragte ich freundlich und kam ihr mit gestreckter Hand entgegen. "Timothy Fraser. Zu Ihren Diensten", stellte ich mich lächelnd vor, die Tasse mit dem kalten Kaffee in meiner anderen Hand haltend. "Wir duzen uns für gewöhnlich. Die Redaktion ist nicht besonders groß, ähnlich wie Rainville selbst. Folg mir. Mr. Johnson, dein neuer Chef, ist vorhin gegangen. Er sagte, du gehörst heute ganz mir", grinste ich, doch schon kurz darauf fiel mit die missglückte Wortwahl auf, was meine Gesichtszüge etwas entgleisen ließ. "Ehm... ja, wie auch immer. Kommst du?"
Etwas peinlich berührt wandte ich mich ab, um zu meinem Büro zu gehen und hinter dem Schreibtisch Platz zu nehmen. Durch das offene Fenster wehte eine kühle Brise hinein. Zum Glück hatte sich der Regen etwas gelegt und ein paar Sonnenstrahlen schafften es sogar, sich durch die Wolkenschicht zu kämpfen. Ein eher seltenes Ereignis in Rainville. An der Wand hingen ein paar Landschaftsgemälde. Es standen Regale, gefüllt mit vorbildlich aneinandergereihten und perfekt beschrifteten Ordnen in verschiedenen Farben. Auf dem Schreibtisch stand zu mir gerichtet ein Familienfoto. Es zeigte, neben mir, meine Schwester Ellie, unsere Eltern und Spencer, unseren verstorbenen Mischlingsrüden. Auf dem Schreibtisch lag stapelweise Arbeit, die ich gewillt war, heute zu erledigen. "Also, Samantha. Schön dich in der "Rainville Times" Willkommen zu heißen. Was verschlägt eine so junge Frau zu uns?", fragte ich schmunzelnd, lehnte mich im Bürostuhl ein wenig zurück und spielte mit meinem Dauerschreiber herum, während ich mit ihre weichen Gesichtszüge genau einprägte, dabei versuchte, aber nicht zu starren wie ein Psycho.
Muttersein ist eine Liebesgeschichte, die niemals endet.