Arabian (K)Nights - A Dusk & Dawn Story [by Asuna & Nico]

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    • Arabian (K)Nights - A Dusk & Dawn Story [by Asuna & Nico]

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      Kapitel 1: FremdkörPerson


      "Du fühlst dich falsch ein,
      Du bist so fremd hier...
      Kannst du, du selbst sein?
      Und bist du ganz bei dir?
      "

      [ASP - FremdkörPerson, Erstens]



      Einer langen Reise Lohn ist zumeist das Ziel.
      Dieses oder Ähnliches verlautbarten die Alten in Persien, als die Menschheit noch jung und unbelastet erschien. Unter der sengenden Sonne der namenlosen Wüste glitt ein stumpfes Fahrzeug dahin. Ein alter, umgebauter Jeep mit recht lautem Motor röhrte durch die sandigen Ewigkeiten und ließ die malerische Stille der Wüste beinahe obsolet erscheinen. Würden Tiere hier leben, so wären sie vermutlich allesamt aufgeschreckt und verscheucht worden und doch schien die Welt den Atem inne zu halten, als der Heiler Avicenna mit seinem jüngsten Schützling durch die beginnende Nacht brauste.
      Die Sonne stand bereits tief, jedoch warf ihr Licht noch genügend Hitze ab, dass man ihnen einen Sonnenschutz reichen musste. Für Jasper hatte es ein merkwürdiger Tropenhut aus bleichem Stoff getan, während Avicenna seine Tunika gelockert und über seinen Kopf gezogen hatte. Seine falkenartigen Züge stachen in das verblassende Licht des Tages und trugen ein Lächeln auf den Lippen. Leuchtenden Blickes sah er zu Jasper und nickte.
      "Du wirst es mögen, junger Jasper", begann er über die Geräusche des Motors hinweg zu rufen. Der Fahrer des Jeeps schien von der Unterhaltung gänzlich unbeeindruckt. "Die Madrassa liegt auf den Ruinen einer antiken Stadt und ist mit Illusionen versehen, damit man sie nicht so leicht findet. Ich habe für unsere Ankunft die Illusionen herunter gefahren, sodass wir ungestört reisen können. Eigentlich müsste es gleich hinter dieser Düne - ah, ja! Sieh!"
      Hinter der besagten Düne, einer rötlichen Ansammlung weichen Sandes, erhob sich eine Felsschlucht, die sich zum Wasser hin verbreiterte. Ein Fluss, beinahe kaum sichtbar, schlängelte sich in recht großer Reichweite von ihnen durch die sandigen Augen und ließ ein paar grüne Orte aus dem Nichts ersprießen. Schlangenhaft wand er sich zum Meer, dass noch einige Kilometer weiter südlich verortet war. Doch folgte man den Windungen und blickte sodann leicht nach rechts, erblickte man eine gewundene Festung auf dem Sand. Sie bestand aus drei Ebenen, die nicht miteinander verbunden schienen, obgleich sie doch zueinander gehörten. Der wulstige Festungsbauch, der über einem Dorf gebaut war und von einer schweren Steinmauer umwunden schien. Auf der zweiten Ebene thronte ein dreifaltiges Gebäude mit runden Türmen und Zikkuratsspitzen, die golden in der Sonne schimmerten. Die Mauern der Gebäude schimmerten alle in sandigen Farben und die meisten Fenster waren frei von Glas, sondern ähnelten eher sorgsam dekorierten Lilienformationen, die Licht und Luft einließen. Vor dem Gebäude war bereits ein üppiger Garten sichtbar, der sich als grüne Oase entpuppte, je näher sie der Festung kamen. Röhrend kämpfte sich der Jeep die windigen Sandpfade hinauf und hier und dort begegneten sie einigen Anwohnern, die allesamt in Kaftanen und Turbanen unterwegs schienen. Gefeit gegen Hitze und Licht winkten sie fröhlich, als sie Avicenna erkannten und warfen ihm Worte in Arabisch zu. Das meist gerufene Wort in dieser Zeit war "Aahlan wa sahlan bika". Erst nach Jaspers Gesichtsausdruck lachte der Heiler fröhlich und übersetzte.
      "Es heißt "Herzlich Willkommen", rief er und winkte den Leuten zu, während sie zum Haupthaus der Festung gelangten.
      "Das, mein Freund, ist die Madrassa!", sagte Avicenna, als der Jeep im Hof der Festung zum Stehen kam. Vor ihnen türmte sich der Hauptbereich der Festung Madrassa auf, die aufgrund seiner Dekorationen und Bauweise einer Art Spirale ähnelte. Überall stachen glaslose Fenster aus dem sandigen Untergrund des Baus und ließen die Wände wie ein lebendiges Tier aussehen, das mit Tausend und mehr Augen auf sie hinab sah. Auf der Spitze des Baus thronte eine Art kleines Privatschloss mit zwei Türmen, das Avicenna bereits als sein Gemach beschrieben hat.
      "Ich weiß, du hast viele Fragen", murmelte der Heiler und stieg aus dem Jeep. Ohne weitere Worte warf er Jasper sein Gepäck zu und grinste. "Aber vielleicht sparst du dir diese, bis du etwas im Magen hast. Heute ist die Inauguration der neuen Studiosi. Alle sieben Jahre wähle ich Zauberer aus der ganzen Welt aus, welche meiner Meinung nach die Fähigkeiten zum Heiler oder zur Heilerin haben. Auch in diesem Jahr habe ich sieben Menschen gefunden, die ihrer Zeiten weit voraus sind oder wegen ihrer Fähigkeiten verfolgt werden. Die Madrassa ist ein Lehrkrankenhaus, wie du dir denken kannst und auch dir biete ich den vollen Umfang meiner Kunst an. Wenn du es möchtest, lehre ich dich Kontrolle. Ich lehre dich die Kunst, Menschen mit deiner Magie zu helfen und ihrer Zerstörungswut einen Sinn zu geben. Hier wirst du Gelegenheit haben, deine Kräfte zu erproben und unter Deinesgleichen zu wachsen und zu gedeihen, junger Jasper. Die Frage ist nur: Möchtest du das?"
      Grinsend machte sich der Heiler auf zum Haupttor, das bereits durch zwei Bedienstete unter schwerem Knarren geöffnet wurde. Das Holz der Türen wirkte uralt, beinahe verboten alt und doch noch immer in Schuss. Als würde man das Bild der Vergangenheit mit allem zu bewahren suchen.
      "Wenn die Antwort ein "Ja" ist, folge mir durch diese Tür. Wenn sie ein "Nein" ist, nimm die kleine dort vorne. Sie führt direkt in den Speisesaal und du wirst einen Platz unter den Anderen finden. Die Haupttür bringt dich zu deinen Kommilitonen."


      Vorstellung
      @Asuna

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    • Das erste Mal in seinem Leben zu fliegen hatte Jasper sich anders vorgestellt. Er war ziemlich unvoreingenommen in das Flugzeug eingestiegen, wo Hakim ihnen zwei Plätze besorgt hatte. Auf Jaspers Nachfrage hin, warum sie nicht per Dimensionsmagie oder dergleichen einfach sprangen, hatte der Arkana nur den Kopf geschüttelt und ihm mitgeteilt, dass es eine besondere Sache wäre, die Welt einmal von oben zu betrachten.
      Zugegeben, beeindruckend und spannend war es durchaus für den jungen Zauberer. Doch bereits der starke Druck während des Starts sollte ihn vorwarnen, dass der Flug alles andere als gut verlaufen würde. Zumindest für seinen Teil. Ab dem Zeitpunkt, wo sie Reisehöhe erreicht hatten, verschmolzen Jasper und die Kotztüte zu einer Einheit. Er konnte sich nicht daran entsinnen, wann er sich dermaßen den Leib ausgekotzt hatte. Warum eigentlich? Warum wird einem übel, wenn man fliegt? Es war ihm überaus peinlich neben Hakim zu sitzen und nicht eine Minute wirklich ruhig zu sein. Und so mutierte der Flug eher zu einem Höllentrip als alles andere.
      Die Landung bekam er nur noch im Delirium mit. Ebenso wie den seltsamen Hut, den man ihm einfach ungefragt auf den Kopf gesetzt und eine Flasche Wasser in die Hand gedrückt hatte. Seine ganze Habe, verstaut in einem großen Rucksack, trug er eisern auf dem Rücken, schleppte sich aber eher schlecht als recht neben dem Rogue her. So entgingen ihm die Blicke, die ihnen teilweise zugeworfen wurden oder auch die Ausrufe, die er sowieso nicht verstand.
      Irgendwann fand sich Jasper in einem viel zu lauten Jeep wieder, der durch eine Wüste fuhr. Sand, soweit das Auge reichte in ewig gleichbleibendem Farbton. Die Sonne versengte ihm selbst durch den Hut seine bleiche Haut und er versuchte so viel zu bedecken wie er nur konnte. Das Klima war hierbei sein schlimmster Feind – sofort nach Ankunft war er in Schweiß ausgebrochen, da er diese trockene Hitze nicht kannte.
      „Es gibt da Schatten. Natürlich werde ich es da mögen“, erwiderte er so trocken wie die Luft es war und verlor beinahe seine Hut, als er in die Richtung spähte, die Hakim ihm zeigte.
      Was Jasper dann hinter der Düne auftauchen sah, raubte ihm die Sprache. Von Weitem konnte man nicht unbedingt alles zuordnen oder erkennen, aber das dort vor ihm war wirklich das, was man als magisch beschreiben konnte. Eine Oase inmitten der Wüste, wo alles feindlich gesinnt erschien. Grün hob sich krass gegen den sandigen Ton der Wüste ab und wirkte umso einladender.
      „Wow...“, murmelte er ehrlich staunend und bewundernd.
      Jasper verrenkte sich beinahe den Hals während er versuchte, jeden Winkel aus jeder Perspektive zu erfassen. Die Serpentinen stellten einen ernsthaften Gegner für den Jeep da, der die Insassen durchschüttelte. Irgendwann wurde Jasper vom Gaffen wieder schlecht und er behielt seinen Blick eher in der Nähe. Jetzt besah er sich die Menschen, an denen sie vorbei kamen und die sofort zu strahlen begannen, kaum sahen sie Hakim. Sie riefen ihm was zu, was Jasper natürlich nicht verstand, sodass er fragend zum Arkana blickte, der sodann übersetzte. Er hob seine Augenbrauen. Solche Herzlichkeit war er aus dem verregneten England nicht gewohnt.
      Im Hof erstarb endlich der lärmende Motor des Jeeps und Jasper konnte mit doch recht wackeligen Beinen aus dem Wagen steigen. Sofort legte er den Kopf in den Nacken als er die sich windende Baute betrachtete. Was für eine grandiose Idee es war, die Fenster so anzuordnen und offen zu lassen... Wobei... der Sand überall war mit Sicherheit lästig.
      „Eigentlich will ich gar nicht so viel Fragen....“, gestand er, noch platt von der Reise und beinahe erschlagen von seinem Rucksack, den Hakim ihm zuwarf. Er wurde allerdings hellhörig als es ums Essen ging. Nachdem er sich praktisch alles bis auf Wasser aus dem Leib gekotzt hatte, war sein schmerzender Magen überaus erpicht auf etwas mit Substanz.
      Jasper blinzelte Hakim an. Wollte er Kontrolle und dergleichen lernen? Ja, sicher das? Wieso sonst hätte er einem Wildfremden sonst bis ans andere Ende der Halbkugel folgen sollen? Er erhoffte sich einen Sinn in seinem Dasein auf der Erde und die Möglichkeit, selbst in Aktion zu treten, wenn er es musste. Er wollte sich selbst verteidigen können, erst recht nachdem man ihm mitteilte, dass die ganze Welt hinter ihm her sein konnte.
      Irgendwie fühlte sich Jasper wie in Hogwarts.
      Seine Augen folgten der kleinen, unspektakulären Tür. So wunderbar Essen auch klang, insbesondere wenn man sich nicht unter etliche andere Menschen werfen musste... Das war es nicht, weshalb er hergekommen war. In der Schule war er immer als Sonderling gelaufen, fürchtete sich selbst zu verraten und mied andere Menschen. Hier würde er sich nicht verstecken müssen.
      Konnte er hier... frei sein?
      Seine Füße hatten sich in Bewegung gesetzt, da ratterte sein Kopf noch langsam hinterher. Er folgte Hakim die Treppenstufen hinauf. Er wollte lernen, für sein Leben lernen. Aber er wusste für sich, dass das nicht bedeuten würde, ein Heiler zu werden wie er es war. Oder gar Arzt, dazu war er schlichtweg zu feige. Aber er würde es versuchen. Alles, was in seiner derzeitigen Macht lag.
      „Heißt das, ich bin einer von den Sieben?“
    • "Dann lass die Fragen sein und staune, mein junger Freund!", grinste Avicenna und drückte mit scheinbar aller Kraft gegen die schweren Holztüren, die sie nach den Treppenstufen erreichten.
      Dies war freilich nur Augenwischerei, denn die Türen wurden alsbald von zwei Bediensteten in weißen Kaftanen und merkwürdigen Behütungen geöffnet. Sorgsam achteten sie darauf, dass kein Staub der Wüste oder sonstiger Dreck den Saal erreichte, den sie nun betraten.
      Anstatt eines üppigen Foyers oder dergleichen betraten sie einen Raum, der von weißen Säulen umsäumt war. In aller Regelmäßigkeit türmte sich eines der Bauwerke auf und stützte eine knallbunte Deckenkonstruktion. Über den Weißen Stein der Wände hatte man bunte Tücher gehangen, welche zumindest durch das einfallende Licht von oben wie ein Regenbogen wirkte.
      Der Boden bestand aus ebenfalls weißem Marmor, das sich in wunderbaren Maserungen auf dem Boden verteilte und ein angenehmer Duft nach heißen Speisen erfüllte den Raum.
      In der Mitte war der Boden um eine Sitzhöhe vertieft, sodass weiche, große Kissen auf diesem Platz fanden. In der Mitte befand sich ein beinahe nur knöchelhoher Tisch mit den üppigsten Speisen des Morgenlandes, wenn man es so wollte. Selbst Avicenna musste anerkennen, dass die Küche sich diesmal selbst übertroffen hatte. Er sah Auberginen, welche mit Fleisch und Gewürzen gefüllt waren, dort drüben standen Kalbkebabs, die liebevoll gerollt wurden, frisch gebratene Falafeln, Mjudarra und eine ganze Auswahl an Beilagen. Gebackene Weinblätter, Fleischspeisen oder aber auch vegetarisches stand auf dem Tisch und war liebevoll angerichtet.
      Bereits sechs der acht Kissen waren belegt und Avicenna wies freundlich auf die letzten beiden freien Kissen, während er den Bediensteten das Signal gab, Jaspers Tasche aufzunehmen.
      Die Menschen auf den Kissen sahen sich derweil um und lauschten dem Tumult, den Avicennas Anwesenheit in den Hallen bedeutete. Sie alle waren fasziniert von dem muskulösen Heiler, der jetzt seine Tunika zurückschlug, dass sein Oberkörper frei lag. Ausladend und grinsend nickte er den Sieben Studiosi zu, welche er sorgsam erwählt und hierher gebracht hatte. Umar, der junge mit dem schwarzen Haar, der beinahe schüchtern zu seinem schon gefüllten Teller sah. Da war Josephine, die offen und feindselig in Jaspers Richtung starrte, während Joya, der dunkelhäutige Junge aus Afrika, freundlich grinsend winkte. Der Isländer jedoch saß abseits der Gruppe und betrachtete vermutlich genauso verwundert die Umgebung wie Jasper. Die Farben mussten etwas neues sein, wenn man aus einer grauen Welt kam.
      "Willkommen, meine lieben Schüler!", sagte Avicenna mit gönnerhaft tiefer Stimme als er sich niederließ und ein wenig des warmen Tees eingoss, der bereit stand. "Nehmt und esst. Trinkt. Bedient euch nach Herzenslust und Laune. Ihr seid, wie ihr vermutlich alle schon vermutet habt, die sieben Studiosi, die ich mir für die nächsten drei Jahre binden möchte. Ich weiß"
      Er hob die Hand um jedes Wiederwort im Keim zu ersticken.
      "Ich weiß, es wird anstrengend und eine Strapaze für einen Jeden von euch. Und dennoch bin ich der Meinung, dass ihr alle Großes leisten könnt und werdet, sofern ihr den Studien aufmerksam folgt. Ich möchte an dieser Stelle eines betonen..."
      Avicennas Blick glitt zu Josephine und Einar, die ihn beide offen ansahen, während die anderen zumeist wegsahen. Gerade die junge Amerikanerin namens Morgen, welche mit wachen Augen in Jaspers Richtung sah, aber die des Hakims mied, war besonders rätselhaft einzuschätzen.
      "DIes hier ist kein Wettbewerb", murmelte Avicenna und nahm einen Schluck Tee. "Wir alle werden gemeinsam die Grenzen eurer Magie ausloten und euch Kontrolle wie auch Neues lehren. Die hohe Kunst des Heilens ist kein Marathon, meine Lieben. Es ist eine Weltreise. Aber jede Magie, die zerstört", er sah zu Jasper und Einar. "Kann ebenso eine Magie sein, die erbaut. Und dies möchte und kann ich euch lehren, so ihr denn wollt. Aber zunächst: Essen wir! Such dir einen Platz Jasper und lerne deine Kommilitonen kennen:
      Ich stelle vor: "
      Er sah zu seiner Linken den jungen Mann mit den langen Haaren an.
      "Das ist Umar. Umar al Azad aus Arabien. Daneben findest du Miss Josephine Evans aus Australien."
      "Muss er das wissen?"
      "Er muss nicht", grinste der Hakim. "Aber es ist höflich, nicht wahr? Wie dem auch sei. Daneben sitzt Joya. Joya ist ein Kind eines sambischen Stammes und wurde für seine Kunst gefoltert und gejagt, nicht wahr? Aber nun ist er hier und will trotz der Widrigkeiten die Kunst des Heilens erlernen."
      Anschließend wies Avicenna auf die Frau, die Jasper bereits die ganze Zeit ansah, aber keine Feindlichkeit in ihrem Blick hegte. Morgan Nash heftete ihre blauen Augen auf den jungen Mann, den der Hakim anschleppte und fragte sich, welche Künste er beherrschte,um die Aufmerksamkeit eines solch großen Mannes zu erhaschen.
      "Das ist Morgan", sagte Avicenna und zwinkerte ihr zu. "Morgan Nash aus Amerika. Daneben sitzt, wenngleich etwas aussenseitig, Mr Kalason, Einar Kalason aus Island. Und last but noch least: Esha aus Bangladesh. Setz dich! Setz dich, mein Junge. Iss und trink und lerne sie kennen!"






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    • Was hatte Jasper erwartet? So richtig wusste er das auch nicht, als er hinter Hakim den Raum betrat, der von Säulen durchzogen war. Er war erstaunlich klein – ergo hatte Jasper mit mehr Größe zumindest gerechnet – und weniger wuselig als er angenommen hatte. Er drehte sich noch halb zu den Personen in den weißen Kaftanen um, die er kurz musterte und sich nicht sicher war, ob er auch solche Gewänder haben sollte oder nicht.
      Dann traf der Geruch nach Essen Jasper wie ein Faustschlag. Sofort schien sein Magen noch weiter zu verkümmern als er es ohnehin schon gewesen war und knurrte dermaßen, dass er beschämt zu Boden blickte und versuchte, sich mit den Maserungen abzulenken. Der Versuch war nur von mittelmäßigem Erfolg gekrönt, allerdings führte dieser Blick unweigerlich zu einem Absatz, der ihm erst jetzt wirklich auffiel. Dahinter waren Reihen an Kissen angeordnet, die bis auf zwei allesamt schon besetzt waren. Für einen Augenblick ignorierte Jasper die umsitzenden Menschen und starrte einfach nur den niedrigen Tisch an, der über und über mit Essen gespickt war. Er musste nicht wissen, was genau dort angerichtet worden war um zu spüren, dass es großartig schmecken würde. Fremde Gerüche lagen in der Luft, andersartige Gewürze und sein Magen verfiel der völligen Randale.
      Er schluckte trocken während er ein wenig widerwillig seinen Rucksack an eine vermummte Gestalt abgab und zusah, wie er von Dannen getragen wurde. Ein wenig bedröppelt hastete er dem Arkana hinterher, der dem Jungen nur das Kissen übrig ließ, das neben ihm selbst und einem Mädchen mit dunkler Haut und langen, dicken schwarzen Haaren lag. In Windeseile flogen seine Augen über die Anwesenden hinweg und blieb an dem einen Mädchen hängen, das ihn ganz offenkundig musterte. Nicht gut musterte, sondern.... anders. Sofort stellten sich seine Nackenhaare auf und er wich dem Blick schneller aus, als ihm lieb war.
      Irgendwas stimmt doch nicht mit der, dachte sich Jasper, nur um dem stark pigmentierten Jungen schüchtern zu zunicken. Sein Lächeln war so offenherzig und breit, dass man nicht anders konnte als sein Lächeln irgendwie zu erwidern.
      Dafür blieb er wiederum an dem klaren Außenseiter der Runde hängen. Ein Ire... also gar nicht unbedingt so weit weg von Jasper selbst. Ihm fiel direkt auf, dass dieser Kerl genauso überwältigt seine Umgebung betrachtete wie er selbst es getan hatte. Und sonst keiner der Anwesenden. Dass er aber solch eine räumliche Distanz suchte, war schon verdächtig.
      Ein bisschen gedankenverloren nahm er schließlich neben Hakim auf einem Kissen Platz und ertappte sich dabei, wie er eben jenen offenkundig anstarrte. Wann hatte er seine Tunika zurückgeschlagen? Machteman das einfach so?! Mühsam musste er sein Starren abbrechen als das Mädchen neben ihm leise kicherte und er sich vorkam wie ein Grundschulkind, das zum ersten Mal beim Schwimmunterricht gewesen war. Auch wenn er am liebsten direkt allesprobiert hätte, ließ er davon ab und wartete, bis wer anders es als erstes tat. Also sah er lieber zu Hakim, der seine Ansprache hielt, und seinem Blick zu folgen. Zwei der Schüler sahen ihm offen entgegen, die anderen taten es zuweilen nicht. Und dann blieb Jasper an dem dritten Mädchen hängen, das ihm vorher irgendwie... entgangen war. Sie beobachtete ihn völlig ungeniert und brachte ihn gedanklich zum stolpern. Hakims nicht enden wollener Redefluss riss ihn aus seinem gedanklichen Stolperstein, damit er wenigstens die Namen den richtigen Personen zuordnen konnte.
      Wie er richtig eingeschätzt hatte, schien Josi, wie er sie von nun an nennen würde, ein bisschen was von Ember mitbekommen zu haben. Jedenfalls schien sie genauso unverfroren ihre Gedanken äußern zu müssen und das brachte ihr ein Stirnrunzeln seitens Jaspers ein. Nein, er musste es nicht wissen. Aber er wollte wenigstens die Namen derjenigen kennen, mit denen er nicht unbedingt anecken wollte.
      Ob er es gewollt hätte oder nicht, so landete Jasper am Ende doch wieder auf Morgan, wie er nun erfuhr. Noch immer beobachtete sie ihn und er kam nicht drum herum zu bemerken, wie hübschsie eigentlich war. Scheinbar hatte er ein Faible für starke Gesichtszüge, denn Morgans Gesicht war deutlich weniger weich als das von Josis. Und dann waren da noch diese blauen Augen...
      Er musste dringend weggucken.
      Esha war die Einzige, die ihm zuwinkte. Obwohl sie direkt neben ihm saß. Sie flüsterte ihm ein leises „Hi“ zu und irgendwie fühlte er sich ertappt. Aber ertappt wobei? „Hi....“, gab er völlig verklemmt zurück und wandte viel zu schnell den Kopf ab, die Augen aufgerissen. Gott, wie dösig konnte man sich denn anstellen?!
      Nach einem tiefen Atemzug bekam Jasper den Kopf endlich halb aus dem Arsch und hob seinen Blick. „Hi, ich bin Jasper Quill aus England und.... hm.... hab mich Hakim ein bisschen aufgedrängt, würde ich sagen...“
      Wieder kicherte es leise zu seiner Seite und er schoss ein bisschen zu schnell zu Esha herum. „Was?“
      „Du sprichst ihn nur mit seinem Titel und nicht mit seinem Namen an“, lächelte Esha wobei sie sich nach vorn lehnte und sich eines der Weinblätter angelte.
      „Hä?“ Welch Geistreichtum.
      „Er heißt eigentlich Avicenna.“
      Jasper schoss wieder in die andere Richtung und starrte den Arkana an. Warum hatte man ihm das noch nicht gesagt?! Sein Mund klappte auf, um etwas zu sagen, doch schloss er sich wieder und senkte den Blick. Das wurde ja immer besser.
    • Das Lachen des Arztes hallte im Raum wider und ließ die Wände beinahe erbeben. Ein zartes Kichern von Morgan mischte sich darunter, während Josephine beinahe arrogant wirkend die Nase rümpfte und den Kopf schüttelte.
      "Das ist richtig, meine liebe Esha", sagte Avicenna grinsend und kratzte sich an der Nase. "Hakim ist dieser Orten ein Titel. Genauer gesagt, der höchste Titel, den diese Einrichtung vergibt, junger Jasper. Hakim bedeutet nichts anderes als "Heiler" oder "Arzt". Und da wir hier alle die Laster der menschlichen Unzulänglichkeiten behandeln, geht jeder Absolvent mit diesem Titel voran. Auch die Oberärzte, die du noch kennen lernen wirst, werden üblicherweise mit ihrem Titel angesprochen. "Hakim" ist hier also gebräuchlich."
      "Tröste dich", sagte Morgan mit einer merkwürdig hellen, aber kratzigen Stimme. "Wir haben alle den Fehler gemacht. In der Außenwelt stellt er sich als Hakim ibn Fahdlan vor. Und hier heißt er eben Avicenna."
      "Oder Aven Zina", korrigierte Joya breit grinsend und tat sich Essen auf. Es war bemerkenswert, dass er beinahe der einzige war, der neben Avicenna mit den Händen aß und geschickt Speisen mit einem Brot auflöffelte. Es mochte wild aussehen, erforderte jedoch wahrhaftige Kunstfertigkeit, um nicht zu kleckern.
      "Na, nicht so gierig, mein junger Freund!", grinste Avicenna und sah zu Umar, der sich einen Berg aus Speisen einverleibte, ohne mit der Wimper zu zucken.
      "Pfuldiwung", mampfte der junge Mann und senkte den Blick. Mit einer ungeahnten Kraftanstrengung schluckte er die Masse an Essen hinab und zu Avicenna. "Ich sah voraus, dass ich nicht mehr lange so speisen kann, also beschloss ich, mir alles einzuverleiben, was ich finden kann."
      "So so", grinste der Hakim und tat sich selbst auf. Seine Labsal war indes das Lammfleisch, das ihn duftend anlachte.
      "Umar kann die Zukunft vorhersehen", bemerkte Morgen und schaufelte ein wenig einer Kichererbsensuppe in ihren Mund. Sie kleckerte dabei wie eine Dreijährige, ließ sich jedoch nicht eine Sekunde davon aus der Ruhe bringen. Der schöne Kaftan, den sie trug, trug bereits die Spuren der Vorspeisen auf sich.
      "Na, so ist es auch nicht ganz. Aber sagen wir, ich bin recht gut darin, Dinge abzuschätzen."
      "Was ein Blödsinn", kicherte Josephine. "Er sieht die Zukunft voraus. Und was kannst du so, Neuling?"
      "Finde, du könntest etwas netter sein, Jo", murmelte Morgan, ohne von ihrem Teller aufzusehen. "Wir sind alle Neulinge und Jasper ist Niemand besonderes."
      Evans sah das anders. Obgleich die junge Frau nichts mehr erwiderte, sah sie Jasper lange genug an um herauszufinden, dass er etwas an sich hatte, was sie nicht mochte. Vielleicht war es auch der lose Gedanke von Konkurrenz, der sich in ihrem Verstand Bahn brach. Nach einer kurzen Weile zuckte sie die Achseln und seufzte.
      "Wir könnten ja alle sagen, was wir können", murmelte sie. "Jasper beginnt und wir folgen nach. Esha könnte weiter machen und wir gehen reihum. Was sagt ihr?"

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    • Es war ein Titel. Tatsächlich ein Titel, der Jasper dazu brachte, sich unglaublich dumm zu fühlen. Dabei war es ja nur logisch – wenn August seinen Dienst beanspruchte, dann würde er ihn höchstwahrscheinlich auch mit dessen Titel ansprechen als mit seinem richtigen Namen.
      Es war allerdings Morgans Stimme, die Jasper ein bisschen aus der Reserve lockte. Sein Blick fixierte sich auf sie, während sich ein bisschen Irritation auf sein Gesicht schlich. Stimmen konnten gerne mal anders ausfallen, als man sie erwartete, aber irgendwas klang hier komisch. Nicht... natürlich?
      Es passierte gerade so viel um ihn herum, dass er gar nicht recht wusste, wohin er zuerst gucken oder wem er zuhören sollte. Die vielen Eindrücke ließen den leichten Schwindel wieder zurückkehren und er war heilfroh, dass seine magischen Antennen wenigstens nicht verrückt spielten. Dafür schreckte er zusammen, als ihn jemand am Arm antippte und er Esha sah, die ihm einen Becher mit Tee anbot. Er brauchte mehrere Herzschläge bis er sich aus seiner Starre lösen konnte und zaghaft den Becher annahm. „Danke....“
      Esha lächelte. „Wenn es dir zu viel wird, musst du es nur sagen.“
      „Ähm, okay. Aber passt schon...“, erwiderte er und versuchte den Faden bei den Anderen wieder aufzunehmen.
      Gerade rechtzeitig, denn Morgan sprach von Hellsicht. Das war praktisch... Allerdings verlor sich Jaspers Faszination für Morgan ein Stück weit wieder, nachdem sie sich im Essen praktisch suhlte. Vielleicht war sie ja irgendwie... gestört und deswegen so... seltsam? Nein, seltsam war eigentlich nicht das passende Wort dafür...
      Dafür wuchs er drei Zentimeter in die Höhe, als Josi ihn wieder ansprach. Sofort brach eine tiefliegende Panik in ihm aus. Es war ja nur eine Frage der Zeit bis man fragte, was er konnte. Oder eher, was er hier zu suchen hatte. Er fing sofort damit an, seinen Becher intensiver zu befühlen als vorher während er dringend nach einer Umschreibung suchte. Man hatte ihn gewarnt, zu viel davon zu erzählen, aber andererseits würde er es hier einsetzen müssen, wenn er lernen wollte.... Also musste er es irgendwie verpacken... Nur wie...
      Dann fiel ihm fast sein Becher aus den Händen als seine Aura sich verselbstständigte. Seine Augen glühten wieder leicht und er hörte wieder den Fluss einer fremden Aura. Eine, die er noch nie gehört hatte und die ihn direkt berührte. Eine sanfte Melodie, ruhig und zufrieden mit Ähnlichkeit zu jener, die er bei Avicenna – wie er nun wusste – gehört hatte. Noch während er sich alarmiert zur Seite drehte spürte er wie sich seine Panik ausschlich. Langsam und mit jedem Herzschlag ein bisschen mehr. Neben ihm schmunzelte Esha, als sie ihm einen Blick aus dem Augenwinkel zuwarf und sich dann ihrem Essen weiter widmete. Er starrte sie offenkundig an, dann fasste er sich ein Herz und brachte seine Aura wieder unter Kontrolle und seine Augen zurück zur Normalfarbe.
      Schlussendlich sah Jasper Josi an, und dass mit einer Selbstverständlichkeit, die ihn selbst überraschte. „Find ich eigentlich ja nur fair. Immerhin werden wir uns wohl täglich sehen und miteinander auskommen. Ich kann Auren aufspüren, sie zuordnen und ihren Effekt auf mich aufheben“, sagte er und kämpfte gegen das Verlangen an, zu Avicenna zu schauen. Obzwar die Panik gewichen war, so war seine Angst noch immer da.
      „Meine hast du gerade nicht aufgehoben“, mischte sich Esha dazwischen und drehte eine dicke Strähne um ihren Zeigefinger. „Ich bin stark empathisch veranlagt und kann Gefühle entsprechend manipulieren.“
      „Du klangst nicht.... feindlich“, erklärte Jasper in seiner eigenen, vagen Sprache. Daher rührte also die plötzlich schwindende Panik. „Ich muss das... bewusst entscheiden.“
      Jedenfalls war bewusst entscheiden besser als eine plötzlich eskalierende Aura.
    • Avicenna beobachtete den Austausch seiner künftigen Schüler mit Wonne.
      Es war immer gut, wenn sich die Elite der künftigen Hakim untereinander auszutauschen wusste. Auch wenn er - wie erwartet - von Ms Evans den blanken Wettbewerb serviert bekam. Auch wenn ihre Kräfte nach der ein oder anderen Stunden jedem bekannt sein würden, so war es doch Josephines eitlem Sinn geschuldet, Informationen zu erlangen. Die sie gerade bereitwillig aufsog.
      Avicenna lauschte Jasper und Esha, während sie ihre Kräfte erklärten und lächelte freundlich. Ehe der Becher weiterlief und Josephine anhob zu sprechen, hob er die Hand und sah zu Esha.
      "Auch wenn deine Absicht rein und förderlich ist, Esha", begann er und sah sie fest, aber freundlich an. "Ist ein Eindringen in den Geist eines Anderen ohne dessen Erlaubnis nicht förderlich für das Zusammensein. Auch mit großen Kräften ist es keine allgemeine Zutrittserlaubnis, meine Liebe."
      Josephine wartete die Worte des Meisters ab und kaute genüsslich auf einem Stück Fleisch herum, ehe sie an der Reihe war. Anstatt einer wortreichen Erklärung hielt sie nichts davon, mit Kräften hinter dem Baum zu halten. Sie wusste, dass Esha in Gefühle Einsicht hatte und Jasper Auren offenbar aufheben konnte. War das wirklich eine der Kräfte, die sie hier brauchten? Sie glaubte daran nicht wirklich und das brachte dem Jungen einen Minuspunkt. Einen von Vielen, wie sie berechnete.
      Mit einem der beigelegten Messer schnitt sie sich blande in die ausgestreckte Handfläche ihrer linken Hand. Zäh wie Teer kroch das Blut hervor und noch während sie einen weiteren Bissen von dem vorzüglichen Lamm nahm, schloss die Wunde sich und das Blut floss zurück.
      "Heilerin", murmelte sie nach dem Kauen. "Wie der Meister."
      Avicenna nickte dazu nur und sah zum Nächsten. Joya war ein ruhiger Vertreter und sah auf, als man ihn ansah.
      "Oh! Ich bin?", fragte er verwirrt und nickte. "Also ich bin Joya und ich bin ein Thaumaturg. Ich kann Gegenstände verhexen sozusagen."
      Eine nützliche Kraft, bei der einige der Schüler aufsahen und den kleinen, schwarzen Jungen betrachteten. Kalason und Morgan sahen neugierig herüber, während Josephine abschätzte, wie viel Ärger er machen konnte.
      "Ich heiße Morgan Nash", sagte die junge blonde Frau, deren Hemd einem Splatter-Movie glich. "Und ich kann das Wachstum von Dingen beeinflussen."
      "Wie meinst du das?", fragte Josephine.
      "Naja...Ich lasse Dinge wachsen..."
      Ein schuljungenhaftes Kichern dröhnte aus der Ecke von Umar und Einar, die sich beide fortdrehten.
      "Ach, ihr Idioten!", donnerte Morgan und warf eine Pastete nach ihnen, die flatschend neben Avicenna aufkam.
      Für eine Sekunde wurde der Raum ruhig. Niemand sprach. Der oberste Heiler wischte sich in Seelenruhe den Mund ab und sah zu der Pastete neben ihm, ehe er seinen Finger hinein tauchte und einen gewaltigen Haps probierte.
      "Mh", machte er und grinste. "Knoblauch. Nur weiter."
      Einar grinste noch immer während er den Kopf schüttelte.
      "Ich bin Einar und...äh...Naja, wie soll ich es erklären? Ich rufe die Finsternis."
      "Wie?"
      "Ja, ich kanns nicht gut erklären. Ich rufe sie einfach. Sie ist da, wenn ich sie rufe."
      Josephine sah verwirrt zu ihm und schüttelte den Kopf. Drei Minuspunkte für Lügen und umständliches Sprechen.
      "Und ich bin Umar und ich kann in die Zukunft sehen", grinste der langhaarige Junge.
      "Ist es nicht wunderbar?", donnerte Avicenna. "Sieben Menschen an einem Tisch. Sieben außergewöhnliche Fähigkeiten und trotz der Tatsache, dass wir alle verschieden sind, speisen wir zusammen. Herrlich, oder?"
      "Hey Jasper!", rief Josephine. "Wenn du sagst du hebst die Auren auf dich auf, wie kann das einem Patienten nützen? Ich meine, die tun dir ja selten was, oder?"

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    • Auf Avicennas Worte hin sah Esha kurz auf, begegnete seinem Blick und senkte ihn andächtig sofort. „Ich werde es fortan beherzigen“, sagte sie leise und hob den Blick vorerst kein zweites Mal an.
      Irgendwie tat Jasper ihr leid. Er sah sie ein bisschen mitleidig an, wie sie da ein bisschen stärker zusammengesunken saß und mit der linken Hand ihr Bein viel zu sehr drückte. So sehr, dass es schmerzen musste. Dabei fiel ihm wieder ein, dass hier ein Rollstuhl hinter ihnen stand. Sie gehörte also vermutlich dazu. War sie gelähmt?
      Dann kitzelte wieder etwas Jaspers Verstand. Eine neue Melodie, die in sich sehr stark, wenn auch zäh klang. Mit hohen Spitzen und eine weniger gleichmäßigen Rhythmus. Seine Augen waren viel zu schnell bei Josi und sah noch, wie sich der Schnitt, den sie sich selbst zugefügt hatte, wieder schloss. Wenn er es nicht besser wüsste, hätte er dem Klang einen bitteren Geschmack zugeschrieben. Wie bittere Medizin. Im Prinzip genau das, was man sich unter dem typischen Arzt vorgestellt hätte. Das, was auch Hakim in Perfektion beherrschte.... Eiferte sie ihm also nach?
      Als Jasper von der Thaumaturgie hörte, sah er Joya etwas dümmlich an. Er kannte das Wort nicht, geschweige denn hätte er es zuvor schon einmal gehört. Dinge verhexen klang allerdings tatsächlich nach etwas, weswegen man verfolgt wurde. Immerhin sah er so aus, als stamme er aus einem afrikanischen Ureinwohnerstamm, befand Jasper. Wenn man nicht an Magie glaubte kam es Hexerei gleich. Was für ein unglückliches Schicksal.
      „Du musst mir mal zeigen, wie das aussieht. Ich hab überhaupt keine Ahnung, was das umfasst“, gab Jasper schließlich zu und blendete absichtlich Josi aus seinem Blickfeld aus, die bestimmt die Augen verdrehen würde oder dergleichen. Scheinbar hatte die nämlich ein Problem mit ihm.
      Als Morgan zur Sprache kam, hatte sie direkt Jaspers ungeteilte Aufmerksamkeit. Wie auch immer sie es anstellen mochte, Jaspers Faszination war immer noch da. Selbst wenn sie aussah wie ein Kleinkind, das gerade lernte mit Besteck umzugehen. Wachstum von Dingen beeinflussen.... Allen Dingen? Nur Gegenstände? Oder auch organische Dinge?... Scheinbar hatten die anderen Jungs ähnliche Gedanken und auch Jasper war ein dümmlich anmutendes Grinsen ins Gesicht getreten, ohne dass er es gemerkt hatte. Er war froh, dass er wenigstens nicht laut gelacht hatte, denn so bekamen nur die Anderen ein Stück Pastete ab. Oder eher gesagt, beinahe der Arkana. Sofort wurde alles ruhig und selbst Jasper ertappte sich dabei, wie er weniger sorgenvoll sondern eher neugierig beobachtete, wie Avicenna darauf reagierte. Wie er erwartet hätte war sein Umgang mit der Pastete... locker. Sofort löste sich die Situation und man sah zu Einar, der anscheinend einen Vertrag mit der Dunkelheit hatte. Irgendwie wurde Jasper das Gefühl nicht los, dass da was nicht stimmte. Ausgerechnet der Ire hatte sich so abgeschottet, er war derjenige, der sich noch kryptischer ausdrückte als Jasper selbst. Fast so, als hätte der Kerl sein Leben lang in Isolation verbracht oder so. Und Finsternis war etwas, dass Ängste in Menschen schüren konnte.
      Jasper hatte sich indes von seinem Becher getrennt und nach einem Kebab (?) geangelte. Den er erst mal begutachtete, bevor er herzhaft hinein biss und dann mit Glückseligkeit in den Augen das Gut in seinen Händen betrachtete. Sein Magen tanzte ganze Paraden und er war sich sicher, noch nie so was Gutes gegessen zu haben. Davon sollte sich Perley mal eine Scheibe abschneiden.
      „Hey Jasper!“
      „Hah?“, machte er als Zeichen, dass er reagierte, den Mund aber noch zu voll hatte.
      „Wenn du sagst, du hebst die Auren auf dich auf, wie kann das einem Patienten nützen? Ich meine, die tun dir ja selten was, oder?“
      Gute Frage. Eine sehr aufmerksame Frage, die ihm bewies, dass Josi ihm seine Geschichte entweder nicht abkaufte oder vermutete, dass da mehr hintersteckte. Jasper nahm sich Zeit beim Schlucken, um sich die Worte zurecht zu legen. Erst dann antwortete er.
      „Nimm dir Einar als Beispiel. Er sagt ja, er ruft die Finsternis. Ich geh mal davon aus, dass mich das dann auch betrifft. Wenn er jetzt irgendwas hat und keiner kann ihn quasi finden, kann ich das schon. Ich käme wohl zu ihm durch. Oder nimm dir jemanden, dessen Feuermanipulation außer Kontrolle geraten ist und sich selbst verbrennt. Dann kann ich ihn anfassen ohne selbst in Flammen aufzugehen.“ Er zuckte mit den Schultern. „Vielleicht bin ich ja auch einfach besser in der psychologischen Abteilung aufgehoben? Immerhin stell ich nicht den Nutzen von Anderen infrage.“
    • Aus Avicennas Sicht war es schön, Joya lächeln zu sehen. Der Arzt allein wusste bislang um die Grausamkeiten, die sein Volk ihm angetan hatte. Der Stamm hatte den Jungen regelrechter Folger ausgesetzt, damit er Dinge "segnete". Unwissend um die Fähigkeiten die ihm innewohnten. Den Blick, den sowohl Avicenna als auch der junge Joya tauschten sagte alles und gleichsam nichts. Nur die beiden wussten um die Tatsache, dass Avicenna einen ganzen Stamm ausgerottet hatte um den Jungen zu retten. So viel zur Selbstlosigkeit, dachte er und nickte lächelnd.
      "Ja gern! Bring einfach was mit, was du verhext haben möchtest. Ich habe aber auch noch Zeugs in meiner Stube, alte Ringe oder so."
      "Kannst du Ringe verzaubern?", fragte Einar fasziniert und stopfte sich Kebab in den Mund. "Daff iff efft wahnwinn!"
      "Nicht mit vollem Mund, du Bauer!", donnerte Josephine und seufzte.
      "Fulwifung", seufzte Einar.
      Joya, Einar und Umar begannen zu lachen und angeregt über die Verhexungen zu diskutieren, während Morgan sich immer mehr und mehr besudelte.
      Josephine indes lauschte Jaspers Antwort und verzog angewidert das Gesicht. Wie konnte dieser kleine, impertinente, neue Spießer es nur wagen?! Offene Wut zeigte sich auf ihrem Gesicht während sie Atem holte.
      "Ich kann nichts dafür, wenn du dich nicht einen Deut für deine Zukunft interessierst. Ich für meinen Teil wünsche zu wissen, mit wem ich meine Last zu teilen habe und wer mich in die nächstbeste Scheiße reiten kann, weil er seine verfluchten Kräfte nicht unter Kontrolle hat..."
      "Josephine."
      Das Wort war einzig und allein gesprochen. Die Stimme des Hakims war nicht aggressiv oder hektisch. Vielmehr glich der Name der jungen Frau einer Art einsamen Gongschlag, der jegliches Widerwort im Keim erstickte. Die blonde Frau senkte hektisch den Kopf und und schwieg.
      "Ich wünsche keine Anfeindungen jedweder Art zwischen den Schülern. Ihr seid eine Gemeinschaft von Lernenden und Werdenden. Es bringt nichts, sich gegenseitig wegen der Fähigkeiten zu neiden. Weder von dir, Josephine noch von dir, Jasper. Ihr solltet einander weder belügen noch betrügen, ihr solltet miteinander wachsen und gedeihen."
      "Ja, Meister", erwiderten die Studenten unisono, während die Gespräche langsam erstarben.
      "Und jetzt seht nicht so drein", sagte Avicenna und grinste wieder breit. "Esst und trinkt. Labt euch an eurer Gesellschaft und macht das beste aus diesem letzten, ruhigen Abend. Wenn ihr fertig seid, werden euch die Bediensteten zu euren Kammern bringen. Diese sind außerhalb des Zikkurats. Ihr findet, wenn ihr nach draußen geht, einen gewundenen Pfad aus sandigem Kopfstein. Folgt diesem leicht gelben Pfad und ihr findet ein Gebäude mit drei Türmen. Dort erwarten euch Bedienstete, die euch die Zimmer zeigen. Es sind einfache Doppelkammern, also erwartet nicht zu viel. Esst, trinkt und schlaft ausgiebig. Denn morgen schon werde ich mich eurer versichern. Morgen werdet ihr eure Kräfte unter Beweis stellen, sodass ich weiß, bei wem ich wie anfangen muss zu lehren."
      Sanft sah Avicenna sie alle an und schlug sich die Haare aus dem Gesicht.
      "Ich bin mir sicher, dass ihr alle einen wunderbaren Start haben werdet. Ich sehe die nächste Generation großer Hakim vor mir und es ehrt mich, euer Meister zu sein", sagte er und neigte leicht den Kopf. "Also: Die Einteilung. Esha und Josephine nehmen das Zimmer im Erdgeschoss. Umar und Joya erhalten das gegenüberliegende Zimmer. Einar erhält im ersten Stock auf eigenen Wunsch einen Einzelraum und Jasper und Morgan beziehen das Zimmer im ersten Stock. Es beinhaltet zwei Schlafkammern und eine Wohnkammer. Bitte vertragt euch und enttäuscht meine Einschätzung nicht."
      Noch ehe Avicenna seine Worte beenden konnte, sah Morgan bereits grinsend zu Jasper. Dabei sahen ihre Zähne aus, als habe sie einen Tintenfisch genötigt. Was zum Teufel hatte diese Frau nur gegessen?

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    • Wenn es sich Jasper so recht überlegte, dann hatte er eigentlich gar keinen Besitz, den es zu verhexen gab. Was umfasste das alles? Machte Joya die Dinge dann zu Artefakten?.... Vermutlich nicht, immerhin strahlten die Dinger dann keine eigenständige Aura aus... oder oder? Waren das dann... Glücksbringer?
      Bevor er sich weiter den Kopf darüber zerbrechen konnte, schaltete sich der eigentliche Bauer wieder dazwischen und langsam aber sicher ging Josi Jasper wirklich auf den Nerv. Aber wer war er schon, da großartig etwas gegen zu sagen.... Obwohl sie eine kleine Spitze wohl vertragen könnte.
      Diese Spitze traf scheinbar genau den Nerv. Jedenfalls konnte Jasper live dabei zu sehen, wie sich das weiche Gesicht verzog und sie vermutlich Galle gespuckt hätte, wenn sie denn könnte. Innerlich wappnete sich Jasper schon für hässliche Worte, denn das war genau das, worin er brillierte. Und die Tatsache, dass dieses Mädel mit Worten um sich warf, ohne scheinbar zu wissen welche Wirkung diese haben konnten. Er interessierte sich nicht für seine Zukunft? Oh, wie gern er ihr an den Kopf geworfen hätte, dass er erst Mal mit dem Jetzt klarkommen musste, um sich wirklich mit der Zukunft auseinander zu setzen. Alles, was er zum aktuellen Stand wusste war, dass er nicht jedem ans Ohr hängen durfte, dass er eine Korrumption geheilt hatte. Obwohl er es wirklich, wirklichgern Josi ins Gesicht geknallt hätte.
      Und offenbar hatte auch sie Probleme mit ihren Fähigkeiten, sonst würde sie hier wohl nicht sitzen.
      Jaspers Blick huschte zu Avicenna, als der einfach nur ihren Namen nannte. Mehr brauchte es nicht, um die Stimmen zu ersticken und dafür zu sorgen, dass sich aller ihrer Plätze wieder besannen.
      Das Paradebeispiel, welche Macht Worte von dem richtigen Menschen gesprochen besaßen.
      Neidete er die Fähigkeiten der Anderen? Auf gar keinen Fall. Er beneidete höchstens die Menschen, die sich mit dem ganzen Kram nicht befassen mussten. Keine tickenden Zeitbomben waren oder ausgeschlachtet werden konnten wie Vieh. Denn das war den meisten hier widerfahren. Und selbst wenn der Arkana nicht wollte, dass sie sich anfeindeten; Gemeinschaft brachte Konflikte mit sich. Erst recht in einer solch diversen Gruppe wie dieser. Dessen war sich Jasper vollkommen bewusst und würde sich damit arrangieren. War nur die Frage, ob die Anderen dies genauso sahen.
      Morgen würden sich die meisten Rätsel vermutlich sowieso von allein lösen. Oder klar machen, wer wirklich mit welchen Problemen zu kämpfen hatte. Ihm war nicht wohl bei dem Gedanken, bis an eine Grenze geführt zu werden. Von Grenzerfahrungen hatte er eigentlich die Schnauze voll – zumindest vorerst.
      Allerdings wurde Jasper hellhörig, als es um Zimmer ging. Sie teilten sich Zimmer? Okay, damit kam er wohl klar. Immerhin schienen wenigstens die anderen Jungs keinen an der Klatsche zu haben wie die Mädchen. Am liebsten wäre ihm wohl Joya gewesen, irgendwie gefiel ihm sein unbeschwertes Gemüt. Damit kam man leicht klar. Der verstand auch, wenn man mal Zeit für sich brauchte. Der war nicht so....
      „.... Jasper und Morgan beziehen das Zimmer im ersten Stock.“
      Jasper fiel ein unrühmliches Stück Dattel aus dem Mund in den Schoß ehe er röchelte. Warum bekam erdenn das Mädchen auf sein Zimmer?! Dachte Hakim, das wäre einGeschenk oder was?! Jaspers gehetzter Blick ging zu Avicenna, der ihn gekonnt ignorierte, dann zu Morgan, die ihn anstrahlte. Mit einem Grinsen so schwarz wie die Nacht.
      „...Oh, warum denn....“, murmelte er leise während er akzeptierte, dass man ihm einfach noch mehr Hürden vor die Füße warf.

      Jasper hatte ein Problem mit Frauen.
      Nicht direkt das Problem, an das man dachte. Aber ihm fehlten so ziemlich jegliche Kontakte mit Frauen, die in seinem Alter eigentlich normal gewesen wäre. Da er sich aber absichtlich immer abgeschottet hatte und ständig als Sonderling wahrgenommen wurde, machten die Mädchen einen großen Bogen um ihn.
      Und jetzt stand er mit einer Frau, die scheinbar auch noch älter war als er, in einer zwar kleinen, aber sehr warmherzig wirkenden Wohnkammer. Gott sei Dank waren die Schlafbereiche wenigstes getrennt. Trotzdem konnte er nicht anders als an seiner Tasche festzuhalten, die er sofort an sich gerissen hatte, kaum hatte er sie im Raum erspäht.
      „Sag mal... willst du nicht erst mal was sauberes... anziehen?...“, fragte Jasper betreten und biss sich auf die Lippen weil ihm erst danach auffiel, wie es klang. „Also nein, ich meine, nicht hier und jetzt... Also nicht vor meine Augen sondern in deinem Zimmer, weil... ack, scheiße, das klingt alles nicht so....“ Er starrte hoch zur Decke, um sich wieder zu fokussieren. „Deine Sachen sind einfach voll vom Essen.“
      Er wich ihrem Blick aus und sah zur Seite zu der einen Schlafkammer. Sie würden sich sogar hören können, wenn sie laut genug riefen. Schätzte er.
      „Ich mein, du hättest was sagen können, wenn dir wer anders lieber gewesen wäre als Raumgenosse... Ich hätt's verstanden, kein Ding....“, murmelte er und beschloss, seine Tasche einfach in seine Kammer zu tragen, bevor er noch mehr Mist erzählte.
      „Findest du diese Josi nicht auch verdammt.... speziell?“
    • Die Schlafkammern waren wirklich lauschig eingerichtet.
      Kaum waren sie mit Essen fertig, wurden sie bereits von Bediensteten der Klinik abgefangen und zu dem Gebäude geleitet, das ihnen Avicenna beschrieben hatte. Mit dem eifrigen Versprechen, morgen um Punkt zehn Uhr vormittags aufzuschlagen, waren sie in die Nacht entlassen worden, während der Heiler seiner Tätigkeit nachgegangen war. Nachlässigkeit war die größte Sünde eines Arztes und so galt es, Patienten zu betreuen.
      Beinahe schweigsam (außer Umar und Joya) waren sie den gelblichen Weg hinab gestiegen und hatten das voluminös wirkende Seitenhaus betreten, das angenehm nach Kräutern und Räucherwerk duftete. Nach der Eingangstür empfing sie ein kleines Foyer, das sich spiralförmig in die oberen Stockwerke bewegte. Die Treppen wirkten hierbei in bloßen Stein gehauen. Auch hier gab es keine Gläser in den Fenstern, sondern einfach löchrige Formsteine, welche die warme Nachtluft einließen und eine angenehme Kühle hervorriefen.
      Als sie auf die Zimmer aufgeteilt waren beruhigte sich die Klinik und die Nacht hielt Einzug. Die Doppelkammer, welche Jasper und Morgan erhielten, bestand aus einem Wohnbereich und zwei Schlafbereichen. Öffnete man die Tür, empfing einen ein arabisches Wohnzimmer mit bunten Wänden und gemusterten Boden. Statt Sitzgelegenheiten im klassischen Sinne gab es auch hier eingelassene Böden mit Kissensitzen und einem abgesenkten Tisch. An der Nordseite des Raumes befand sich eine kleine Küche (arabischen Antlitzes, aber mit einem westlichen Kühlschrank) und eine kleine Tür, die zu den Sanitären führte.
      Während Jasper noch ein wenig unsicher im Raum stand, rannte Morgan gleich los, als sie den Raum betreten hatte. Die Tasche, welche sie trug (erstaunlich wenig und klein) knallte gegen die alte Wand und Staub rieselte von der Decke, ehe sie die Tür zum Bad aufriss.
      "Herrgott, ja!", stöhnte sie in den Raum. "Jas, wir haben eine Dusche! Eine richtige Dusche! Heilige Makrele!"
      Sorgsam blickte sie in den gekachelten Raum hinein und schrie spitz auf.
      "Und eine WANNE!"
      Als sie mit leuchtenden Augen aus dem Raum herauskam, legte sie den Kopf schief, hinsichtlich seiner Fragen.
      "Was ist denn los?", fragte sie und stemmte die Hände in die Hüfte. "Jetzt sei mal nicht so nervös. Du führst dich ja auf, als hättest du noch nie eine Frau gesehen. Außerdem...Warum soll ich mich umziehen? Ich finde das geht noch..."
      Zum Beweis streckte sie den Kaftan ein wenig, sodass ein Teil der bleichen Haut ihres Schlüsselbeins und die Andeutung eines Dekolletees sichtbar wurde. Die Flecken darauf waren rötlich und so flächendeckend, dass kaum etwas von der Originalfarbe übrig war.
      "Na vielleicht hast du auch Recht, ich könnte das ausziehaaaaah-"
      Sie war auf den Kaftan getreten, als sie vortrat und schleuderte mit einer Urgewalt auf den Boden, nachdem das Kleidungsstück an ihr zog wie ein Ertrinkender. Mit der Stirn schlug Morgan auf den Boden und wälzte sich schmerzverzerrt hin und her, wobei sie auch noch einen kleinen Beistelltisch mit einer orientalischen Lampe umwarf und einen Heidenlärm verursachte.
      "Autsch...", jammerte sie und seufzte, während sie an die Decke starrte.
      Auf Jaspers letzte Worte kämpfte sie sich auf die Ellenbogen und blies sich eine blonde aus dem verdreckten Gesicht.
      "Also wirklich...", mahnte sie und schüttelte den Kopf. "Weißt du...Wenn ich etwas dagegen gehabt hätte, hätte ich es wohl gesagt. Aber es ist mir Recht. Ich glaube, mir Einar hätte ich nicht zusammen schlafen wollen. Wer weiß, was der für Monster beschwört, wenn ich den Schlaf der Gerechten schlafe?"
      Sie schüttelte den Kopf in spielerischem Ekel, während sie sich wieder auf die Beine kämpfte. Den Staub klopfte sie sorgsam von ihrem Kaftan.
      "Ach Josephine meinst du!"; lachte sie. "Lass sie das bloß nicht hören, sonst schneidet sie dir deinen Schniepel ab und näht ihn rückwärts wieder an. Aber du hast schon Recht. Sie ist ein wenig merkwürdig, wobei ich hoffe, dass wir uns alle in ihr täuschen. Was sagst du zu Avicenna? Ich meine, in Amerika weiß man nichts von ihm und dort ist er mehr ein ungern gesehener Gast, aber hier...Als ich herkam, kam es mir vor, als würde ihn die ganze Welt kennen. Wie hast du dich ihm aufgedrängt?"
      Mit jedem Wort war sie einen Schritt näher auf ihn zugekommen und hatte den Kopf schief gelegt, als suche sie etwas besonderes in seinem Blick. Als sie endete, stand sie genau einen Schritt vor Jasper.
      "Ich mein...Irgendwas musst du ja können, wenn er so auf dich steht, dass er dich mitbringt."

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    • Jasper hatte wirklich versucht, die Flucht anzutreten, aber wirklich weit kam er nicht. Abgelenkt durch Morgans dann doch sehr lebhafte Art kam er nicht zu seiner Flucht, sondern sah dabei zu wie sich das Chaos vor seinen Augen entfaltete.
      „Jas?... Was'n das für ein Spitzname...“, murmelte er kurz bevor Morgan aus dem Bad zu quietschen begann. „Warum sollten wir keine Dusche haben? Hab ich irgendwas verpasst?...“
      Gab es hier keine Duschen oder Badewannen? War das in der arabischen Kultur so ungewöhnlich? Er würde sich mal ein bisschen schlau machen müssen, was hier als Do's and Don'ts galt...
      „Ich bin halt nicht so extrovertiert.“ Trotzdem begann er etwas nervös zu blinzeln als sie ihr Gewand streckte. Was im Endeffekt nicht mal an einen Bikiniausblick reichte, aber seltsamerweise doch schon ausreichte, dass sein Kopfkino ansprang. Verfluchte Pubertät. „Aber mal im Ernst, guck dich mal an...“
      Das tat sie dann auch. Alles, was Jasper zustande brachte war ein dümmlich wirkendes Starren nachdem Morgans Stirn den steinigen Boden geküsst hatte und sie begann, sich umher zu rollen. Dabei stieß sie gegen einen Beistelltisch und Jasper warf seine Tasche zur Seite, um nach der Lampe zu tauchen und sie gerade noch rechtzeitig aufzufangen. Den Lärm, den sie dabei verursachte, war sicherlich durch die gesamte Etage zu hören gewesen.
      Seufzend stellte er die Lampe wieder richtig hin ehe er wieder einen Blick zu Morgan warf. Sie hatte sich mittlerweile auf die Ellbogen gekämpft, ein Bein guckte nackig unter dem Stoff bis kurz über das Knie hervor.
      „Ich glaube nicht, dass er Monster beschwört. Das spricht doch schon für sich, dass er ein Einzelzimmer bekommt. Menschen mit Sonderwürsten haben oft entweder einen guten Grund oder einen Schaden. Oder beides“, seufzte er erneut und richtete sich zeitgleich mit ihr auf.
      „Die kommt an nicht heil an mich ran, fürchte ich“, entgegnete er nüchtern und war sich nicht sicher, ob er das ernst meinte oder nicht. Wenn sie wirklich mal mit bösen Absichten auf ihn zu kam, dann würde er ihr zeigen müssen, dass er sich wissentlich zurückgehalten hatte. Seine dunklen Gedanken dahingehend lösten sich allerdings jäh auf, als ihm auffiel, dass Morgan beständig näher kam. Mit jedem Wort, um genau zu sein. Mit jedem ihrer Schritte wurde er steifer und wich unbewusst zurück bis seine Beine an den Tisch stießen und er beinahe die Lampe umwarf. Warum zum Geier waren denn selbst die Frauen größer als er?!
      „Ähm... Sagen wir mal so, dass ich Kontakt zu noch einem Arkana hatte? Dem Teufel? Und die kennen sich halt?....“, brabbelte er drauf los und bekam seine Augen einfach nicht von Morgans blauen Iren gelöst. „Ich war nur zufällig vor Ort und er hat mir geholfen. Ich war ein bisschen... durcheinander?....“ In etwa so durcheinander wie jetzt gerade.... „Ich finde, er ist ein sehr gütiger Mann.... Shit, schon mal was von Privatsphäre gehört?“
      Anstatt Morgan wegzuschieben tauchte er an ihr vorbei als sie fast schon in ihm stand. So eine Nähe war er nicht gewohnt. Selbst seine Mutter hatte selten Körperkontakt zu ihm aufgenommen.... Seine Mutter.... Wie es Teresa wohl jetzt ging so ganz ohne ihn?...
      „Und was soll heißen, dass er auf mich steht? Ich hab ihn halt gefragt, ob ich ihn begleiten kann. Da wo ich herkam war meine Familie praktisch nicht mehr vorhanden. Mein Onkel kann Erinnerungen manipulieren und hat dafür gesorgt, dass meine Mutter nicht mehr weiß, dass ich existiere. Und meinen Vater kenn ich auch nicht. Ich wusste lange Zeit nicht mal, was ich kann. Warum erzähl ich das eigentlich alles?“
      Frust machte sich in ihm breit. Er war doch sonst nicht so redselig angehaucht. Es musste der Stress sein, ganz sicher. Oder weil er erstmals mit Leuten in seinem Alter zu tun hatte. Vieles konnte dafür sorgen, dass er sich anders gab wie sonst. Dass er sich... änderte.
      Er gestikulierte anschließend mit seiner Hand zwischen sie beide hin und her. „Pass auf, ich mag vielleicht so aussehen, als wenn ich kein Wässerchen trügen kann. Aber ich hab eigentlich keine Ahnung, wann meine Aura wieder ausrastet. Das soll mich Avicenna unter anderem lehren, dass ich nicht umher laufe und einfach die Auren von Anderen ausradiere. Ich hatte keine Lust, das Josi direkt unter die Nase zu reiben, aber du bist halt meine Zimmergenossin und falls ich wieder die Kontrolle verliere musst du wissen, was das heißt. Bevor Avicenna kam hatte ich meine Aura überhaupt nicht unter Kontrolle. Sie war ständig aktiv und ich hab bei zu viel Stress überreagiert und Auren bis zur Unkenntlichkeit gelöscht. Ich wusste nicht, dass das dazu führt, dass diese Leute auch sterben. Deswegen...“ Er atmete tief durch. Es war seltsam, das alles einmal so offen auszusprechen. Zeitgleich fühlte er sich aber seltsam befreit anstatt belastet. „Wie hat er dich eigentlich gefunden? Wieso bist du hierher gekommen?“
    • Morgan rümpfte die Nase, ehe sie den Kopf schüttelte.
      Was war schon extrovertiert. Dass der Junge überhaupt so ein Wort kannte. So wie er sich aufführte wirkte er eher wie ein verschreckter Welpe. Schon erstaunlich genug, dass er offenbar das Potenzial hatte, Menschen mit seiner Kraft zu töten. Aber gut. Wer hatte das nicht? Die Dosis macht das Gift, hatte ihre Großmutter immer gesagt. So war es auch mit Magie. Auch die vermeintlich schwachen Magien vermochten Menschen nachhaltig zu schaden, wenn man sich Mühe gab. Was machte ihn also besonders?
      Grinsend trat sie Stückchen für Stückchen vor und fixierte den Jungen regelrecht mit ihren Augen. Nicht, dass sie etwas ausladendes vor hatte, aber es machte Spaß, die nackte Panik in seinem Blick zu sehen, ehe er sich unter ihr an ihr vorbei in Sicherheit brachte. Eine Schande. Gerade machte es Spaß.
      Seufzend drehte sie sich herum und verschränkte die Arme vor dem Bauch, ehe sie zu Jasper sah.
      "Also erst mal denke ich, dass du Josephine unterschätzt. Meine Oma hat immer gesagt: Leg dich niemals mit einem Koch, einem Arzt oder einem Schneider an. Und auch wenn sie arrogant ist, fürchte ich, dass sie nicht ohne Grund hier ist. Und zum Thema Privatsphäre. Lieber Jas, wir werden uns die nächste Zeit sehr oft sehen. Denkst du wirklich, da wird viel Unwissendes bleiben, das wir sehen oder hören werden? Im Grunde könnten wir auch gleich zusammen duschen, damit wir Wasser sparen. Wir sind schließlich in der Wüste..."
      Ihre Stimme nahm ein honigsüßes Lechzen an, während sie über die Aussichten sprach, auch wenn ihre innere Stimme vor Lachen wieherte. Es machte Spaß, dieses vorpubertäre Nervositätsknäuel ein wenig zu ärgern. Vielleicht ließ sich sogar noch mehr heraus kitzeln. Mit großen Schritten wanderte sie zu den Kissen und warf sich seitleich auf eines davon. Der Kaftan rutschte ein wenig hoch und entblößte zwei schlanke Beine zumindest bis zur Mitte des Oberschenkels, die sie lasziv übereinander warf.
      "Du erzählst es, weil wir Kommilitonen sind", grinste Morgan und stütze den Kopf auf ihrer Hand. "Klingt auf jeden Fall nach einem harten Leben, muss ich sagen. So ganz ohne Familie und Freunde...Es muss hart sein. Und ich habe schon nicht gedacht, dass du harmlos bist, du wilder Kerl."
      Ein Kichern ihrerseits unterbrach den Redefluss. Sie konnte nicht ernst bleiben dabei. Eilig verbarg sie ihren breit grinsenden Mund mit der Hand und sah Jasper wieder an.
      "Gut, du löst also Auren auf, verstehe ich das richtig?", fragte sie schließlich interessiert, nachdem sie begriff was er da gerade gesagt hatte. Sachte richtete sie sich auf und kam im Schneidersitz zu Sitzen, ehe sie zu ihm aufsah. "Kann verstehen warum du diese Kontrolle lernen willst. Mach dir keine Gedanken. Es wird sich schon alles finden. Ich habe keine Bedenken, dass du mich angreifen wirst. Und wenn du durchdrehst, wird Avicenna schon einen Weg finden. Ich habe da Vertrauen...
      Aber ich finde es faszinierend, dass du diesen Teufel kennen willst. Der Typ ist wirklich meschugge, wenn du mich fragst. Hab ihn einmal nur gesehen und da hat er dermaßen wirr geredet..."
      Sie zuckte die Achseln und klopfte auf ein Kissen neben sich.
      "Nun setz dich schon!", kommandierte sie. "Ich werde dich schon nicht überfallen. Es sei denn du willst es womöglich...Aber das wäre ja mehr als fragwürdig. Dann würde man Fragen stellen und am Ende müsste ich noch angeben, dass du dich wild auf mich geworfen hast wie ein Tier..."
      Erneut diese honigsüße Stimme mit einem gespielt dramatischen Aspekt darin rollte durch das Zimmer, ehe sich Morgan zurücklehnte und seufzte.
      "Ach das war nicht schwer. Ich bin im mittleren Westen in Amerika aufgewachsen und hab dafür gesorgt, dass eine Stadt in einer Dürre eine Ernte hat. Da hat er mich gefunden. Nichts spektakuläres. Fürchte ich hab kein hartes Leben hinter mir wie du. Ich hatte eine gute Familie, einen netten Bruder. Es war alles recht gut. Naja, bis zumindest mein Bruder ein Arkana wurde, wenn ich ehrlich bin. Da wurde es dann schlechter."

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    • Wenn Jasper eines ganz sicherlich nicht tat, dann war es andere Zauberer zu unterschätzen. Dafür war er nicht der Typus. Bislang hatte er sich tunlichst von allem ferngehalten, was irgendwie mit Magie zu tun hatte und da er praktisch keine Ahnung davon hatte würde er sich nicht anmaßen, voreilige Urteile zu fällen. Es war nur so, dass er gesehen hatte, wie August auf ihn reagiert hatte. Wie andere auf ihn reagiert hatten nachdem klar war, was er anrichten konnte. Wenn selbst zwei Arkana ihn als potenziell gefährlich einstuften, dann reichte ihm das aus, um sich am liebsten direkt zu verkriechen.
      Diese Gedanken wurden jedoch mit solch einer Macht unterbrochen, dass er nicht merkte, wie er Morgan anzugaffen begann. Er wusste ganz genau, dass er sie gerade voll auf die Schippe nahm. Dass sie ganz bestimmt keine Ernsthaftigkeit hinter der Aussage versteckte, mit ihm duschen gehen zu wollen. Und trotzdem hatte er fast augenblicklich das Bild vor Augen, wie sie nackt unter der Dusche standen, das Wasser ihre blonden Haare an ihren Körper schmiegten und wie die Wassertropfen auf ihrer Haut funkelten. Wie ihre Augen leuchteten und sie ihre Hände auf seine Schultern ablegte, nur damit sie über seine Brust abwärts wandern konnten....
      Der Gedankenleser, der Gedankenleser, der Gedankenleser, der Gedankenleser,......
      Es war darüber hinaus nicht wirklich hilfreich, dass Morgan sich entschied, die großen Kissen zu malträtieren. Sofort lagen Jaspers Augen auf ihren entblößten Beinen, allerdings war es das dann auch schon. Er hatte doch schon Mädchen in Bikinis gesehen. Das Problem hier war schlicht und ergreifend, dass sonst niemand anwesend war. Nur sie beide und sonst keiner. Solange sie ihm nicht nochmal auf die Pelle rückte, würde es schaffen können, nicht am ersten Abend sich direkt zu blamieren. Also fischte er gerade wieder nach seiner Tasche, wobei ein paar Worte ihn aufblicken und die Stirn runzeln ließen. „Wilder Kerl? Ernsthaft?“
      Er sah gerade noch, wie das Grinsen unter ihrer Hand verschwand. Sie machte sich lustig über ihn.... Er seufzte leise, das bisschen Enttäuschung nicht ganz überwunden.
      „Jap, ich löse auf. Und ich hatte eigentlich keine Lust, mich mit dem ganzen Magiescheiß hier auseinanderzusetzen.“ Er gestikulierte mit der Hand durch den Raum während er die Riemen seines Rucksacks richtete. „Noch weniger will ich irgendwen angreifen. Ich will nicht kämpfen, ich will einfach nur, dass ich nicht aus Versehen noch mehr Leute grille.“
      Er wollte nicht das treffende Wort benutzen. Grillen war so schön weit von dem entfernt, was er eigentlich veranstaltete, dass er die Verantwortung ein wenig von sich schob. Jedoch ließ der Junge von seinem Rucksack ab und richtete sich auf, als Morgan von einer Begegnung mit August sprach.
      „Hä? Wo hast du denn August getroffen? Ich dachte, man läuft Arkana nicht einfach so über den Weg? Ich mein, ja, der spricht echt aus der Zeit gegriffen, aber der kann Dinge, das glaubst du nicht.“
      Wieder starrte er, als Morgan neben sich klopfte. Das konnte doch nicht ihr verdammter ernst sein.... Es war nur noch komischer, wenn er jetzt absichtlich die Nähe mied und einfach in seinem Zimmer verschwand... Das wäre vermutlich nicht gut für's Teambuilding. Aber die Art, wie sie ihn noch immer anfunkelte.... Er durfte einfach keinen Deut auf das geben, was sie machte. Sie zog ihn nur auf. Das war alles.
      Mit offensichtlichem Unbehagen ließ Jasper Rucksack Rucksack sein und schlenderte zu Morgan herüber. Absichtlich suchte er sich ein großes Kissen, das er noch etwas weiter von ihr abrückte, damit sie ihn wenigstens nicht so schnell anfassen konnte. Abstand wahren... zumindest ein bisschen. Bei ihren folgenden Worten erwachte aber die Faszination und unverhohlene Bewunderungen in seinen Augen.
      „Nichts spektakuläres? Also ich find ich das schon großartig. Du hast immerhin dafür gesorgt, dass die Stadt nicht unter der Dürre leidet. Das ist doch krass. Ich hätte lieber so eine Fähigkeit, wenn du mich fragst...“, gestand er. „Scheiß drauf, wer ein hartes Leben hat und wer nicht. Meins war gar nicht so hart, ich hatte halt nur keinen Vater und keine Freunde. Was soll's? Wenn ich hör, dass Joya verfolgt und gejagt wurde, bin ich doch richtig gut dran?“
      Jedenfalls solange nicht die richtigen Leute erfuhren, was er noch so alles konnte. Dann würde er sich schnell in diese Riege mit einreihen können.
      „Warte mal. Dein Bruder ist ein Arkana? Krass... Wusstest du, dass in London gerade die Hölle ausbricht? Ich hab gehört, dass die Familie des Richters gezielt getötet worden war. Dann ist es ja richtig gut, dass du hier bist... Ich hoffe, dass das schnell wieder aufhört...“
    • Amüsiert betrachtete Morgan den strauchelnden Jasper und leckte sich spielerisch über die Lippen während er berichtete. Die Tatsache mit der Familie des Richters hatte sie wahrgenommen, aber wie so häufig, wenn es um die Arkana ging, beschloss sie lieber den Mund zu halten und sich fortzudrehen. Man mischte sich nicht in deren Belange ein, wenn man nicht sein Leben lang verfolgt werden wollte. Da war Avicenna anders. So erfrischend anders.
      "Niemand will kämpfen und du wirst schon keinen grillen, du Feigling", kicherte Morgan. "Wer an seiner Kraft zweifelt oder sie fürchtet, wird kein großer Zauberer. Und um Kontrolle auszuüben musst du wissen, was die Magie kann, die du beherbergst. So einfach ist das. Also hör auf dich zu fürchten wie ein Vierjähriger und zieh dir deinen Kopf aus dem Arsch. Jeder von uns hat das Potenzial, Menschen zu töten und wir werden es irgendwann. Wichtiger ist aber, anschließend klüger zu sein."
      Für einen kurzen Moment lang ertappte sich Morgan bei einer Schwäche. Sie genoß die Blicke des jungen Mannes ein wenig zu sehr, wie es ihr schien. Sicherlich war es (neben der Tatsache, dass es mit der Zeit wirklich merkwürdig wurde) irgendwie schmeichelhaft, derart begafft zu werden, aber sie wusste auch schmerzlich, dass die meisten wieder von ihrem Interesse absahen, sobald sie ihren Kaftan öffnete. Niemand, der sich seiner Heterosexualität sicher glaubte, schlief mit einer Frau, die eigentlich noch ein Mann war. So einfach war die Rechnung. Deswegen ließ sie es dabei bewenden und zu, dass er sich auf ein etwas entferntes Kissen setzte. Es war nicht das erste Mal, dass man von ihr Abstand nahm. Sie war es gewohnt.
      "Es ist wirklich nicht so wild", grinste sie und fuhr sich durch die Haare. "Meine Magie ist eine Flächenmagie, von daher recht einfach, damit in irgendeiner Weise nützlich zu sein. Wir suchen uns unsere Fähigkeiten nicht aus, Jas. Du willst eine wie meine Fähigkeiten und ich möchte gerne eine Fähigkeit, die nützlicher für die Welt ist..."
      Und die meinen Bruder eindämmt.
      "Ich denke, jedes Leben ist anders", sagte sie und zuckte mit den Achseln. "Wir sind jetzt hier und das ist was zählt. Ach, zu deiner Frage: Ich traf August für ein paar Jahren mit meinem Bruder, als er in Amerika für eine kurze Zeit war. Es war aber mehr ein kurzes Stelldichein. Und was er kann...Vielleicht mag er talentiert sein, auf mich wirkte er jedoch eingebildet und grantig. Und ich mag keine grantigen Menschen."
      Seufzend lehnte sie sich zurück und kratzte sich ungeniert den Bauch, während sie an die Decke sah.
      "Ja...Krass...", wiederholte sie nachdenklich. "Das heißt, so krass ist es auch nicht. Er ist einfach nur mächtig und hat sich an die Spitze gekämpft. War nicht gerade ein rühmlicher Aufstieg. Hab von London gehört, ja. Prestegaard war ziemlich sauer, hat man verlautbaren hören, aber sonst weiß ichg nichts. Ich versuche mich nicht allzu sehr dort einzumischen. Und Avicenna sorgt dafür dass wir uns hier nur auf die Ausbildung konzentrieren..."
      Auch wenn es etwas gab, das sie zu tun hatte. Schon alsbald, wenn sie bitterlich darüber nachdachte.
      "Erzähl mir was von dir. Deinen atemberaubenden Fähigkeiten nach zu urteilen: Hast du eine Freundin? Oder schon mal eine gehabt?"

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    • „Ich weiß, dass jeder hier Menschen mit einem Fingerschnipp umbringen kann. Gefühlt jedenfalls. Aber ich bin unter Menschen quasi aufgewachsen. Ich hab recht spät erst erfahren, dass ich ein Zauberer bin und hab damals direkt einen Mitschüler getötet. Dabei wusste ich nie, was genau ich eigentlich gemacht habe und deswegen wollte ich mit der Magie und allem nichts zu tun haben.“
      Jasper zog ein Bein an und drückte an seinem Knie herum. Wenn er nicht Morgans Meinung teilen würde, dann wäre er gar nicht erst hier. Er hatte sich dazu entschlossen, nicht mehr ständig wegzurennen, jedenfalls wenn es seine Fähigkeiten betraf. Er fürchtete sich bei Weitem nicht mehr so sehr vor dem, was er konnte, aber der Respekt war noch immer ungeheuerlich. Manchmal fühlte es sich an wie ein Tier, das in ihm schlummerte und täglich mit einer anderen Laune erwachte. Doch als sich Morgan durch die goldenen Haare fuhr, hatte sie bereits wieder Jaspers Aufmerksamkeit. Wenn auch nur als beiläufigen Seitenblick.
      „Ganz im Ernst, wenn ich den Klimawandel so betrachte und du Menschen vor dem Verhungern retten kannst, finde ich das schon extrem nützlich“, entgegnete er entschlossen und zog auch das zweite Bein an, damit er seine Arme um sie schlingen und sein Kinn auf den Knien abstützen konnte.
      „Ach, so grantig ist der gar nicht. Der hat sich eine Weile um mich gekümmert, das spricht schon für ihn.“ Er grinste, als er daran zurückdachte. Zur Hölle, er muss dem Arkana tierisch auf den Geist gegangen sein. „Der ist, glaub ich, einfach verliebt und ist jetzt ein bisschen von der Rolle.“
      Bisher hatte Jasper gelernt, dass man den Titel des Arkana nur unter bestimmten Umständen bekam. Und, dass man außerordentlich dafür sein musste. Ob man sich nach oben gekämpft hatte oder anders aufgefallen war, spielte hierbei keine Rolle in Jaspers Auffassung. Vielleicht hätte er anders reagiert, wenn er gewusst hätte, wer Morgans Bruder war. Aber selbst er hörte aus den Worten heraus, dass es da einen gewissen.... Zwist geben musste.
      „Du, ich will mich von dem ganzen Chaos da auch so weit weg bewegen wie ich nur kann. Deswegen hab ich Avicenna gefragt, ob ich mitgehen kann. Mich vermisst in England sowieso niemand“, meinte er und zuckte dabei mit den Schultern. „Wenn er meint, dass wir uns nur darauf konzentrieren, dann wird das so wohl sein. Immerhin sind wir gefühlt am Arsch der Welt.“
      Jasper grinste Morgan kurz an. Flüchtig, um genau zu sein, denn er sah in ihrem Gesicht, was er eh viel zu intensiv beobachtet hatte, eine unstete Regung. Etwas beschäftigte sie darüber hinaus und führte ihre Gedanken fort von hier. Doch bevor Jasper auch nur in Erwägung ziehen konnte, etwas darauf zu fragen, änderte sich ihr Gesichtsausdruck und sie schoss erneut über die Grenzen hinaus.
      Er fiel wieder in eine gewisse steife Haltung. War das genug Platz zwischen ihnen? Bestimmt. Aber wenn sie sich einfach auf ihn warf, war er bestimmt nicht schnell genug... Es hatte sich noch nie ein Mädchen auf ihn geworfen, also warum dann abhauen?
      „Mach ich den Eindruck, als wenn ich gut mit Mädchen könnte?“, gab er plump zurück und hörte selbst, dass seine Stimmfarbe einen Tick zu hoch war. „Ich glaub, du wärst echt mit Esha oder so besser bedient gewesen, ich bin nicht so gut im Girlietalk....“ Er kratzte sich am Kopf.
      Entspann dich doch mal ein bisschen, Junge. Die frisst dich schon nicht auf.
      Er seufzte und fing seine Stimme wieder ein. „Nee, ich hatte noch keine. Wie gesagt, ich hab mich rausgezogen aus allen Gruppen und bin in der Schule als Sonderling gelaufen. Ist für mich das erste Mal, überhaupt mit anderen Zauberern in meinem Alter zusammen zu sein.“
      Er machte eine Pause und betrachtete Morgan. Selbst wenn sie rumsaute wie ein Kleinkind und es echt fraglich war, wo sie manchmal mit ihren Gedanken hin abschweifte, so war nicht von der Hand zu weisen, dass sie wahnsinnig hübsch und mit Sicherheit auch herzensgut war.
      „Ich wette, dir sind Schlangen an Jungs hinterher gerannt, oder? Wirkt auf jeden Fall so als wüsstest du ganz genau, wie du mit.... ah... deinen Reizen umgehen musst.“
      Seine Stimme brach am Ende doch wieder und er presste die Lippen zusammen.
      „Viele stehen bestimmt auf deine forsche Art. Ich glaub, es ist einfacherer, mit Leuten wie dir umzugehen als mit so verklemmten wie mir. Du bist viel offener als ich. Vielleicht hat uns Avicenna ja zusammengesteckt, damit ich mir eine Scheibe von dir abschneide.“
      Erneut grinste er, dieses Mal aber deutlich länger und klarer als zuvor.
    • Morgan begann zu kichern, als Jasper von Reizen zu sprechen begann. Als ob sie jemals genügend Reize gehabt hätte. Bedachte man die geschickten kleinen Illusionen, mit denen sie alles ungewollte an ihrem Körper kaschierte, glich dies eher einem Theater. Beinahe sondierend sah Morgan an sich herab und versuchte, für sich herauszuarbeiten, welche Reize Jasper wohl meinen konnte.
      "Na ich weiß ja nicht...", bemerkte sie schließlich und schüttelte leicht den Kopf als sie nichts Anziehendes an sich fand. "Ich finde es zumindest lustig, dass du vor deiner Existenz fortlaufen wolltest. Ich meine, du bist vermutlich der Erste, den ich kennen lerne, der kein Zauberer sein möchte. Selbst die Menschen, die uns zu Diensten waren, wollten Zauberer sein.."
      Sie überlegte noch eine Weile und versuchte sich das Bild der Menschen vor Augen zu rufen, die damals unter der Herrschaft ihres Bruders zu leiden hatten. Und es noch heute taten. Mit einem Mal verfinsterte sich ihr Gesicht für eine kurze Zeit, als sie an ihren Bruder dachte und wie er damals ihren Freund...Nein, nicht jetzt! Für Rache blieb genug Zeit, wenn man die Geduld besaß. Und Morgan Nash hatte Geduld. Unendlich viel davon.
      "Ich denke auch, dass es ganz gut ist, hier am Arsch der Welt zu sein", sagte sie und grinste schwach. "Und fernab von den Windungen der Welt und verliebten Arkana zu sein. Ich meine, wie merkwürdig ist es bitte, wenn sich ein Arkana verliebt?"
      Morgan musste lachen, auch wenn sie wusste, dass Arkana nur Menschen waren. Das hieß...Eigentlich waren sie das ja genau nicht.
      "Du machst eher den Eindruck, als würdest du Angst haben, dass ich mich gleich auf dich stürze. Keine Angst! Ich habe nicht vor, mich auf dich zu stürzen. Ich höre sogar auf, dich zu ärgern. Und es geht mir auch nicht um Girlietalk, oder wie du das nennst. Es geht mir darum, dass man deine Nervosität bis hierhin spürt und ich mich frage, was du machen würdest, wenn ein Mädchen dich mal küsst."
      Und was geschehen würde, wenn er wirklich durchdrehte. Wenn die Hälfte seiner Angaben stimmte, war Jasper nicht zu unterschätzen und ein Problem für ihren Plan. Morgan Nash war nicht ohne Grund in die Madrassa gekommen und auch wenn sie es ungern zugab, wäre Jasper ein Hindernis, wenn er allzu schnell wuchs. Sie legte ihre Hände in ihren Schoß und schnaubte verächtlich, als er von ihren Eroberungen zu sprechen begann.
      "Klar...", scherzte sie und schüttelte den Kopf. "Nein, ich war leider keines der coolen Kids auf der Highschool. Hab versucht, eine normale Schule zu besuchen und es ging nach hinten los. Ich war die merkwürdige Hexe, ehe ich auf eine staatliche Schule wechselte, wo man meine Magie entdeckte. Tja, und dann ging alles recht schnell. Mein Bruder holte mich von der Schule und unterrichtete mich selbst, sodass ich von einem normalen Leben nicht wirklich was hatte. Zumindest bis ich alt genug war um für mich selbst zu sorgen. Außerdem bist du nicht verklemmt. Also zieh dir deinen Kopf aus dem Hintern!"
      Morgan erwiderte sein Lächeln und seufzte.
      "Vielleicht sollten wir wirklich schlafen gehen. Hab das Gefühl, dass Avicenna morgen keine Gnade walten lässt", sagte sie und erhob sich aus dem Kissen. Auf dem Weg zum Bad sah sie Jasper grinsend und mit einem honigsüßen Blick an. "Willst du nicht doch mitkommen? Ich schwöre, die Dusche vergisst du nicht."
      Ohne auf eine Antwort zu warten öffnete sie die Tür und schloss sie kichernd hinter sich.

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    • Es wollte Jasper einfach nicht in den Sinn, wieso sich Morgan selbst so kritisch ansah. Wahrscheinlich war das so ein Frauending. Hatten die nicht immer kleine Ecken und Kanten, über die sie sich beschwerten, die den meisten Männern aber gar nicht erst auffielen? Jedenfalls ging es Jasper so während er seine hübsche Kommilitonin betrachtete und beschloss, dass er keine Ecken und Kanten ausmachen konnte.
      „Na ja, die meisten Menschen denken auch, dass man so viel Tolles und Unglaubliches mit seinen Kräften anstellen kann. Dann vergessen sie zeitweise aber auch, dass sie dann von ihresgleichen gejagt werden könnten. Ich nehme lieber jedes ruhige Leben als ständig in Sorge sein zu müssen, dass mir jemand den Hals umdrehen will für etwas, das mir naturgegeben war.“
      Die Menschen, die ihnen zu Diensten waren? Aus was für einem Umfeld kam Morgan denn wirklich? War sie.... adelig oder so? Wer hatte denn in der aktuellen Zeit noch Bedienstete....
      Eigentlich hatte Jasper in ihr Lachen mit einstimmen wollen, aber irgendwie gelang es ihm nicht ganz. „Kitschige Leute würden jetzt sagen, Liebe ist für alle da“, meinte er und war ein bisschen irritiert, dass sie als Schwester eines Arkana scheinbar eine völlig andere Auffassung von ihnen hatte als die meisten anderen Zauberer, die er bisher getroffen hatte.
      Viel weiter brachte er diesen Gedanken allerdings nicht zustande, weil Morgan ihn schon wieder erfolgreich überrumpelte. Dafür brauchte sie nur Worte und es kotzte ihn regelrecht an, dass sie ihn so leicht aus der Fassung und sein Kopfkino manipuliert bekam. „Frag ich mich auch.“
      Ganz plumpe Antwort mit genau diesem plumpen Tonfall. Er starrte Morgan an und war froh darüber, dass man aus der Entfernung zwar sah, dass er das reinste Nervenkonstrukt war, aber sein Herzschlag wenigstens ungesehen blieb. Der war nämlich dermaßen durch die Decke geschossen, dass ihm sogar schwindelig wurde. „Ich weiß auch gar nicht, wie man sich auf jemanden stürzt. Oder wann. Oder... wer... oder....“
      Zum Glück bohrte sie jetzt auch nicht noch weiter. Er war dermaßen steif, dass ihm allein vom sitzen schon alles wehtat und er die Beine wieder ausstrecken musste, bei denen er sich nicht gewundert hätte, wenn die jetzt noch knacken würden. Wider erwartend ging Morgan auf seinen Satz mit der Schlange an Jungs ein, sodass er endlich etwas aus seiner Starre herausfinden konnte. Jasper blinzelte sie unverständlich an. Wie konnte denn jemand wie sie kaum Anschluss finden? Sie war aufgeschlossen, bekam spielend leicht jegliches Eis, selbst das zwischen ihnen, gebrochen und sah darüber hinaus noch umwerfend aus. Welche Hinterwäldler grenzten sie denn aus?!
      „Stimmt, du bist ja gar nicht viel älter als ich, oder?“ Dann stand sie auch noch nicht so lange auf eigenen Füßen. Immerhin länger als er.
      Aber ihr Lächeln, so kurz es auch sein mochte, traf Jasper unerwartet direkt. „Mhm, wenn der eine Einschätzung machen will, dann wird das mit Sicherheit übel. Ich hab da so gaaar keinen Bock drauf.“ Und dann waren seine Augen wieder auf ihre Silhouette fixiert. Wie sie grazil vom Kissen aufstand und zur Badezimmertür schle.... Badezimmertür schlenderte. Der Blick, den sie ihm zuwarf, war so ziemlich das Vernichtendste, was sie ihm bisher als Waffe entgegen geschleudert hatte. Sein Mund war blitzschnell trockener geworden als der Sand vor der Madrassa. Er hatte das Gefühl, wieder inmitten unter der sengenden Sonne zu stehen während seine Gedanken Achterbahn fuhren. Er würde die Dusche nicht vergessen?? Meinte sie etwa das, was er gerade dachte? Jetzt schon? Hier? Mit ihm??
      Jasper hörte sie noch kichern, schaffte es aber für etliche Sekunden nicht, sich zu bewegen. Teilweise, weil er sich auf den Schritt drückte und versuchte seinen Organismus unter Kontrolle zu halten. Er starrte diese Tür an wie ein neues Weltwunder. Das konnte sie nicht ernst gemeint haben. Sie verarschte ihn. Zog ihn doch nur wieder auf. Sie rechnete bestimmt nicht damit, dass er ihre Einladung vielleicht sogar annehmen würde. So harmlos schätzte sie ihn ein. Und leider hatte sie damit auch recht.
      Normalerweise.
      Immerhin hatte sie gesagt, er soll den Kopf aus dem Arsch kriegen. Bitte sehr, konnte Morgan Nash gerne haben.
      Mit einem tiefen Atemzug kraxelte Jasper aus seinem Kissen und pirschte sich regelrecht zur Badezimmertür herüber. Kurz lauschte er und hörte noch kein Wasser. Sein Blick ging zur Klinke. Wenn er die jetzt öffnete, dann würde sie ihm eine klatschen. Oder noch schlimmer. Trotzdem hob sich seine Hand während er das Gefühl hatte, ihm springe das Herz gleich aus der Brust. Das war zu viel und doch zu wenig. Er wollte ihr Spielchen ausprobieren und kaum etwas Anderes hatte ihm solche Furcht beschert. Seine Hand, eiskaltes Händchen, schwebte Millimeter über der Klinke.
      Und dann sank er in die Hocke und ließ sich hörbar mit dem Rücken gegen die Tür plumpsen. Gott, er predigte vorhin doch noch die Privatsphäre an... und jetzt wollte er ihre einfach so missachten.
      „Sag mal, was meintest du mit Bediensteten? Wer hat die denn heute noch?“, fragte er laut genug, sodass sie ihn durch die Tür hören können würde. Und wusste, dass er davor kampierte.
      „Ich finde nicht, dass du allzu merkwürdig bist. Da hab ich schon richtige Härtefälle getroffen. Übrigens hab ich nicht vor dir Angst sondern eher vor deiner Art. Ich kann dich unglaublich schwer einschätzen. Du hast mich sogar soweit gekriegt, dass ich Idiot dir fast auf deine Einladung gefolgt wäre.“ Er grinste. Breit. „Was hätte ich abgekriegt? Einen Schuh? Ne Fliese?“
    • Als sie das Badezimmer betrat und auf den weißen Fliesenboden starrte, fühlte sich Morgan allein.
      Es war nicht mal die plötzliche Stille, welche die geschlossene Tür produzierte, sondern eher die Tatsache, dass sie nicht zufrieden mit sich und ihrem Leben war, wenn man es mal ehrlich betrachtete. Was hatte sie denn schon? Ein Leben in Flucht und Verstecken, gewürzt mit Rachegelüsten und Wut. Liebe? Ja, Liebe war für alle da, das stimmte schon. Aber wusste sie eigentlich wie man liebte? Welche Windungen dieses Gefühl nahm ? Oder war es eine blande Illusion, die sich ihr offenbarte?
      Langsam begann sie, den Kaftan aufzuknöpfen und ließ ihn zu Boden gleiten. Während die laue Nachtluft durch die Fensterritzen glitt, stand sie nackt vor einem Spiegel, der sich seitlich von ihr befand und sah an sich herunter. Ein schlanker Leib, eine leicht ausgestellte Hüfte, eine platte Oberweite. Morgan machte sich nicht die Mühe, einen BH zu tragen. Warum auch? Es gab nichts, was es zu halten galt, war ihre Brust flach wie eine Ebene. Sachte glitten ihre Hände über den ambivalenten Körper, den sie so hasste. Wäre sie doch als Frau geboren worden. Wäre sie doch...
      Nein!
      Als sie ihren Slip zu Boden trat, sah sie an sich herunter und auf das, was sie am meisten zu hassen begann, wenn sie ehrlich war. Nicht, dass sie nicht damit leben konnte, ein männliches Geschlechtsteil zu haben. Das definierte keine Geschlechtsidentität, wie sie erst neulich erfahren hatte. Aber es war das, was die meisten Männer abschreckte, wenn sie sich ihnen darbot. Nur wenige akzeptierten sie so, wie sie war und innerlich brodelte Wut und Hass gegen die Männerwelt und gegen sich selbst in ihr auf. Zarte, beinahe kaum sichtbare Narben zeigten sich wie schmale Kratzer an ihrer Hüfte. SIe hatte es verstecken müssen. Wenn Quinn es erfahren hätte...
      Auf das Rummsen an der Tür hin zuckte sie zusammen und fuhr herum. Erst als die Tür verschlossen blieb, grinste sie und lehnte sich gegen die Holztür.
      "Fast also...", murmelte sie und lächelte hinter der Tür. Das Lächeln tat ihr weh. Fast. Natürlich. "Schade. Hätte gerne dein Gesicht gesehen. Wenn du hereingekommen wärst..."
      Sie machte eine kunstvolle Pause und fuhr mit ihrer Hand ihren bloßen Bauch entlang.
      "Vermutlich nichts. Du hättest vermutlich einen recht guten Ausblick gehabt. Ich habe gerade meine Unterwäsche abgelegt."
      Grinsend seufzte sie lautlos und sah aus dem Fenster. Und vermutlich wäre er dann fortgerannt, wenn er das Ding zwischen ihren Beinen gesehen hätte. Dieses Ding, was da nicht sein sollte und es doch war. Wie ein Fremdkörper.
      "Aber danke für das Kompliment", sagte sie und legte den Hinterkopf an das Holz. "Zur Belohnung erzähle ich dir was über mich: Meine Familie hatte keine Bediensteten und ich stamme aus reiner recht einfachen Familie. Mein Dad war Landwirt und meine Ma Schneiderin. Sie lebten im mittleren Westen und bestellten eine Ranch. Mein Bruder und ich wuchsen ziemlich unterschiedlich auf. Er ist 12 Jahre älter als ich. Und als ich alt genug war, Magie zu wirken, nahm er mich zu sich und unterrichtete mich. Auf seinem Weg zum Arkana hat er damals die Menschen, die ihm dumm kamen, unterjocht und wie Sklaven gehalten. Was soll ich sagen...Sie waren also nicht wirklich freiwillig dort."
      Und irgendwann...,dachte sie und ließ ihre Hand auf ihrer Brust ruhen. Irgendwann sage ich ihm auch, warum ich wirklich von Avicenna geholt wurde...

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    • Beinahe hätte Jasper die ersten leisen Worte verpasst, die Morgan auf der anderen Seite der Tür murmelte. Dieses Mal war es jedoch nicht per se die Wortwahl, die ihn aufhorchen ließ, sondern die Art, wie sie es aussprach. Ohne ihr direkt gegenüber sitzen zu können musste sich Jasper auf sein Gehör verlassen, und wenn er etwas in seiner Laufbahn oft genug gehört hat, dann war es Schmerz und Härte in der Stimme. Genau das, was subtil in Morgans Worten mitschwang. Er war am Ende von seiner Hocke auf den Hosenboden gerutscht und wippte mit den Füßen hin und her während er nachdachte. Während der Pause, die ihn fast dazu genötigt hätte, ihr einen Vorschlag zu unterbreiten.
      Wenn sie nicht selbst die Pause durchschnitten hätte.
      „Da sind mir zu viele vermutlichin deinem Satz“, fiel seine Reaktion knapp aus noch bevor er seine Augen fest zusammen kniff und versuchte, sich mit unschönen Gedanken abzulenken. Aber sein von Hormonen geflutetes Gehirn kam der Aufforderung nicht nach sondern malte sich einen Körper aus, der vermutlich gerade nur durch ein Stück Holz von ihm getrennt war. Er fluchte kaum hörbar, die Kontrolle über seine untere Körperhälfte schien sich gerade wieder in Luft aufzulösen. Also ballte er die Hände zu Fäusten und trommelte auf seinen Oberschenkeln herum, in der Hoffnung, sich vielleicht damit ablenken zu können.
      „12 Jahre Unterschied ist eine Menge. Der war ja schon volljährig wenn du noch deine Kindheit verbringen solltest.“ Also hatte sie vermutlich keine Kindheit gehabt. Sie war aller Wahrscheinlichkeit nach sogar noch schlechter dran gewesen als Jasper selbst. Während er sich bewusst von anderen abkapselte und seine Undercovermission abspielte, hatte sie mit einem großen Bruder zu kämpfen gehabt, der allen Anschein nach nicht so liebevoll war wie er es ihr gewünscht hätte. „Und da sag nochmal einer, es gäbe keine moderne Sklavenwirtschaft.“
      Deswegen die Bediensteten. Wie hatte Morgan es geschafft, nicht völlig verzerrte Vorstellungen vom Leben zu entwickeln? Wie konnte sie noch so.... neutral über ihren Bruder berichten, wenn er dermaßen gewalttätig gewesen war? Jasper hörte auf zu trommeln als ihm auffiel, warum sie es konnte. Durch neutrale Berichte schottete sie sich von ihm ab.
      Jasper drehte den Kopf ein wenig, so als habe er das Gefühl, die Tür würde sonst zu viel der Worte verschlucken. „Weißt du, was ich erstaunlich finde? Du hast immer noch deinen Sinn dafür behalten, was Recht ist und was nicht. Du hast nicht das Bild angenommen, was dein Bruder dir vorgelebt hat. So wie es klingt hast du dich von ihm gelöst und machst dein eigenes Ding. Da bist du mir ein ganzes Stück voraus, Morgan. Ich glaub, ich wäre da nicht so selbstbestimmt rausgekommen.“
      Er glaubte es nicht, er wusste es. Wäre er an ihrer Stelle gewesen, dann hätte er Menschen vermutlich wie Lebewesen der zweiten Klasse behandelt. Er hätte mehr von sich und seiner Fähigkeit gelernt und gewusst, was er damit alles anrichten konnte. Dass er Menschen, die keine Gegenwehr aus ihre schiere Anzahl hatten, um ihnen etwas entgegen zu setzen. Er wäre vermutlich nicht anders geworden wie ihr Bruder und diese Erkenntnis jagte ihm unendliche Angst ein. Wären die Dinge nur ein klein wenig anders gewesen, dann wäre er kein Schisser sondern eine ernsthafte Gefahr geworden.
      „Du, ich hab da einen Vorschlag“, riss er nun das Ruder leicht an sich und fing wieder an, seine vibrierenden Oberschenkel zu bespielen. „Wenn du drauf bestehst, komm ich rein. Aber nur, wenn du was anziehst. Also, vielanziehst, weißt schon. Dann darfst du mein Gesicht auch ganz nah angucken. Aber nur kurz!“