Arabian (K)Nights - A Dusk & Dawn Story [by Asuna & Nico]

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    • Morgan schloss die Tür bedächtig hinter ihnen beiden und atmete einmal tief durch, ehe sie sich zu Jasper umdrehte und in die Augen des Mannes, des Jungen, starrte, der zu sprechen begann. Natürlich war das, was er von sich gab nicht mal annähernd mit Hand und Fuß gesegnet, aber zumindest konnten sie einmal reden. Das Angepisste, wie er es beschrieb, war Morgan nur peripher aufgefallen, doch hatte sie es nicht auf sich bezogen. Vielleicht war sie ein wenig verletzt gewesen, dass er sie so kalt angesehen hatte. Und nur vielleicht hatte sie gedacht, es läge an ihrem morgendlichen Zusammentreffen. Vielleicht. Also wenn die Konjunktion richtig stand. Und Weihnachten war. Genau.
      Es war ihm sichtlich unangenehm darüber zureden, weshalb Morgan sich einen gemeinen Spruch verkniff, der durchaus bereits seinen Weg an die Oberfläche gefunden hatte. Stattdessen verschränkte sie die Arme vor der Brust und lehnte sich an eine Wand.
      "Ich habe dich nicht angekreidet oder angeschwärzt", sagte sie mit ruhiger Stimme. "Ich habe Avicenna nichts von heute Morgen erzählt. Wir sprachen über anderes."
      Je länger sie ihn beobachtete, umso unruhiger wurde auch Morgan, die nicht wusste woher es kam. Vielleicht von der Vorstellung sich ständig kratzen zu müssen. Das war ja nicht auszuhalten.
      "Herrgott, könntest du dich beruhigen?! Mir juckt auch schon alles", zischte sie und begann nun selbst, ihre Arme und ihr Gesicht zu kratzen. Selbst ihre Augenbrauen juckten und...andere Teile. "Ich wollte dir keins auswichen. Sonst hätte ich berichten müssen dass ich in dein Zimmer geschlichen bin und das wollte ich nicht. Also ist alles schon gut. Avicenna ist nur allein darauf gekommen, glaube ich. Von mir hat er es zumindest nicht."
      Schweigsam atmete sie durch und lehnte den Kopf kurz an die sommerwarme Wand, ehe sie Jasper wieder ansah.
      "Sag mal...Was willst du eigentlich von Avicenna?", fragte sie schließlich. "Bevor ich mich auf die Socken mache, hätte ich das gerne gewusst. Als du Josi angefahren hast, klangst du irgendwie...eifersüchtig?!"

      Joyas Mund verblieb eine ganze Weile offen, ob der Aussicht, Esha in Schwimmklamotten zu sehen. Sicherlich war daran nichts verwerfliches in Zeiten von Tangas und knappen Outfits, aber...Er würde mehr ihres Körpers sehen als er zu träumen gewagt hatte. Sie nur leider auch seinen...Und das bereite Joya nun doch ein wenig Sorge.
      "Ich habe eine Idee", sagte er schließlich. "Wir könnten das Aquädukt suchen und die Quelle finden. Normalerweise sind die in Wüsten eher am Boden zu finden. Und dann gehen wir ein wenig schwimmen, was meinst du?"
      Er grinste aus voller Kehle und nickte Umar zu.
      "Dann ist nur der Himmel über uns. Und vielleicht...Ich könnte etwas verhexen, damit du nicht untergehst und du könntest dich treiben lassen oder..."
      Er spann schon wieder das Tollste zusammen. Armer, dummer Joya. Wenn die Schüler gewusst hätten, was er hatte tun müssen, erdulden müssen, um hier mit Esha lachen zu können.
      "Ich bringe dich zu deinem Gemach", sagte er fröhlich. "Also damit du dich umziehen kannst und ich ziehe mich auch um und dann gehts auch schon los..."
      Mit jedem Wort das er sprach, wurde die Rede sinnloser und nervöser und Blut schoss ihm an Stellen wo es nicht hinsollte. Sein Gesicht war nur eines davon, ehe er sich erhob und sich räusperte. Umar nickte er erneut zu und schnappte sich den Rollstuhl, ehe er Esha herum drehte und angrinste.
      Es würde ein guter Tag werden...

      The more that I reach out for heaven
      The more you drag me to hell
    • Als Morgan verriet, dass sie mit dem Arkana wohl über andere Dinge gesprochen hatte, blitzten Jaspers Augen hoffnungsvoll auf. Vermutlich war das einfach nur ein Zufall gewesen, ein schlechter Wink, um ihm mehr Schwierigkeiten zu bereiten als ohnehin schon. „Hast du nicht?“
      Trotzdem konnte er die Unruhe nicht ganz von sich abschütteln. Und als Morgan dann auch noch anfing, es ihm gleich zu tun, zuckte er schuldbewusst zusammen und stopfte die Hände in die Hosentaschen, damit er dem Tick nicht mehr frönte. Allerdings bekam er das doch erleichterte, wenn auch etwas dümmlich aussehende Grinsen nicht vollends kaschiert.
      „Stimmt, das hättest du ihm wohl berichten müssen. Aber ich glaub, das hätte ihn nicht wirklich gekümmert, sofern keiner von uns dauerhaften Schaden davon trägt. Oder hat er dich auf eine Beule angesprochen? Mich nicht“, grinste er und zeigte mit dem Daumen, den er kurz aus seiner Tasche holte, auf seine Stirn.
      Dann scharrte er mit seiner Ferse ein wenig im Boden herum und warf Morgan vereinzelt Blicke zu. Die Sonne stand ihr unheimlich gut im Gesicht, gepaart mit ihren blonden Haaren schien sie wie dafür gemacht. Selbst wenn ihr Gesicht nicht so weich oder zart modelliert ausfiel war es vielleicht genau das, was er an ihr so schön fand. Er merkte gar nicht, dass er damit angefangen hatte, sie anzustarren, als sie auf andere Dinge ansprach. Nachdenklich runzelte er die Stirn.
      „Was ich von ihm will? Er soll mir helfen, mein Leben unter Kontrolle zu kriegen, das ist alles. Er konnte das kitten, was August Foremar nicht fügen konnte und ich dachte mir, dass in seiner Gegenwart die Gefahren.... weniger schwer ausfallen. Und was heißt hier eifersüchtig?“ Er schnaubte. „Mir geht Josi einfach auf den Sack. Ständig am beleidigen und rumgeifern. Geht dir das nicht auf den Sender? Ich mein, selbst Einar sagte, dass es unübersehbar ist, dass sie Avicenna vergöttert. Soll sie ja auch ruhig, aber irgendwann kann die auch mal ihren Mund halten.“
      Er kickte einen Stein weiter weg als geplant. Er war definitiv nur angepisst gewesen in diesem Augenblick. Echte Eifersucht kannte Jasper nicht, da es nie etwas gegeben hatte, auf das oder den er es sein konnte. Neidisch, ja. Neid kannte er durchaus. Neidisch war er auf Avicenna gewesen, dass er so einfach anderen näher kommen konnte und scheinbar genau wusste, welche Grenzen tolerierbar waren und welche nicht. Neidisch war er auf Morgans offene Art, obzwar ihre Art ihn aufzuziehen nicht unbedingt dazu gehörte.
      „Sag mal, gehst du wirklich nur....dafür in das Dorf?“ Prompt gestikulierte er mit seinen Händen hilflos durch die Luft. „Also, ich will da überhaupt kein Urteil drüber fällen oder so. Ich mein, du kannst machen, was du willst. Wir kennen uns ja gar nicht und... eh... ich wollte dir nicht zu nahe treten!“
      Aber mein scheiß Verstand malt viel zu bunte Bilder.

      „Sofern man denn da schwimmen darf!“, pflichtete Esha Joya bei und ein aufrichtiges Lächeln ließ ihre dunklen Augen erstahlen. In ihrer Kultur hatte man nie viel Haut zeigen dürfen, das ehrte sich nicht. Aber als Angehörige der Rohingyas hätte sie eigentlich gläubig sein müssen, aber die Tortur, die ihr widerfahren war, nahm ihr auch den letzten Funken Gottesfurcht. „Vielleicht finden wir ja einen fetten Ast oder so, der als Schwimmnudel herhalten kann.“
      Über die Schulter hinweg winkte sie Umar, der sie immer noch aus großen Augen anstarrte. Fast so, als könnte es nicht ihr ernst sein, jetzt über Freizeitaktivitäten zu reden nachdem er sprichwörtlich das Ende gesehen hatte. Aber Esha war seit ihrer Flucht kein Kind der Traurigkeit mehr. Sie schaffte sich ihre eigenen Lichtmomente, selbst wenn sie dafür mit den Gefühlen von anderen gespielt hatte.
      Joya hatte sie an ihrem Gemach abgestellt, wo von Josephine jegliche Spur fehlte. Sie bat den jungen Mann um etwa fünfzehn Minuten, damit sie ihre, Zitat, labbrigen Beine durch die kleinen Löcher des Badeanzuges gezwängt bekam. Genau das tat sie dann auch und warf dann wieder den Kaftan über, der die Sicht darauf verdeckte, was sie darunter trug. Ihre Haare flocht sie zu einem engeren Zopf, den sie an ihren Kopf aufdrehte, damit er später nicht im Wege war. Dann rollte sie mit dem Rollstuhl wieder auf den Gang vor ihrem Zimmer und linste die Gänge hinab, um auf Joya zu warten.
    • Morgan konnte sich ein kleines Lächeln nicht verkneifen, als sie den starrenden Blick des jungen Mannes bemerkte. Auch wenn sie nicht darauf angewiesen war, mochte sie es doch nicht ignorieren dass sie es schön fand, einmal von einem Jungen oder Mann angesehen zu werden. Vielleicht nicht die Art Blicke, die sie hinaustreiben würde, aber es war kein schlechter Anfang.
      Grinsend sah sie kurz in Richtung der Sonne, die sich auf ihrem Gesicht entfaltete.
      "Nein, mich auch nicht", meinte sie grinsend und sah wieder zu Jasper als dieser von Avicenna zu sprechen begann. Da war etwas in seiner Stimme, dass sie vielleicht - nur vielleicht - ein wenig beunruhigte. Doch irgendwas sagte ihr, besser den Mund zu halten ehe sie mehr wusste.
      "Josi ist einfach so", sagte sie und zuckte die Achseln. "Ich meine, sie beleidigt, sie ist rau aber ich glaube, tief in ihrem Inneren ist sie ganz okay, denke ich. Und Avicenna vergöttern...Na ich weiß nicht. Ich finde ihn nützlich weil er mächtig ist. Aber vergöttern? hm...Ich hoffe jedenfalls, dass er dir helfen kann."
      Gerade wollte Morgan sich loseisen, als sie nochmals innehielt und sich auf halbem Wege umdrehte. Kein Urteil fällen, hm? Nicht eifersüchtig? Das sah zumindest in ihren Augen ein wenig anders aus, sodass ein breites, wunderbares Lächeln sich auf ihrem Gesicht ausbreitete ehe sie mit wildem Blick ein Stückchen näher am und die Hände hinter dem Rücken verschränkte. Schrittchen für Schrittchen schob sie ihre Pantoffeln über den Sandsteinboden, bis sie fast zwanzig Zentimeter vor Jasper stand und dabei sprach.
      "Dafür?", fragte sie unschuldig. "Oh...Ich verstehe. Du meinst meinen Bordellbesuch?"
      Unschuldig legte sie einen Finger an ihre Lippe und tat so als würde sie darüber nachdenken müssen, ehe sie gänzlich und nahe vor Jasper stand. So nahe, dass sie beinahe sein schlagendes Herz zu hören glaubte. Sachte legte sie eine Hand an seine Brust und fuhr entlang der Knopfleiste langsam nach unten in Richtung seiner Leibesmitte.
      "Ja, ich denke schon", sagte sie und sah Jasper mit leuchtenden Augen an. "Ich werde mir den größten...", Sie erreichte das Zwerchfell. "stärksten...", Bauchnabelhöhe. "...und willigsten Typen krallen und ihn nach allen Regeln der Kunst vernaschen."
      Für einen Moment hielt sie auf seiner Bundhöhe inne und grinste, ehe sie mit dem Finger wieder nach oben fuhr und ihn unter sein Kinn legte, um es leicht hochzudrücken.
      "Es sei denn, du willst mir stattdessen helfen", hauchte sie ihm entgegen und war dabei nur Zentimeter von seinen Lippen entfernt, ehe sie ihn losließ und einen Schritt Abstand gewann. Das Gesicht des Jungen war preislos! "Nicht? Dann einen schönen Abend."
      Kichernd wandte sie sich ab und zum Gehen.

      Joya brauchte sieben Minuten und zwanzig Sekunden, um nach oben zu sprinten und sich den Kaftan vom Leib zu reißen. Die Haut des Afrikaners war darunter kohlrabenschwarz, wenn man von den weißlich blassen Linien absah, die sich über seinen Oberkörper zogen. Linien, die man als Narben interpretieren konnte auch wenn sie dafür zu konzentrisch verliefen. Es waren vielmehr Tätowierungen, die den geschundenen Leib des Zauberers als Opfergabe auswiesen. Hastig warf er sich in eine locker sitzende Badehose und warf den Kaftan wieder über, ehe er in der selben Rekordzeit wieder nach unten sprintete. Just in dem Moment als Esha aus dem Zimmer lugte, raste der junge Afrikaner um die Ecke und beruhigte seinen Atem ehe er - unbewusst seiner Beobachterin - langsam in Richtung des Zimmers schlenderte und sie freudig anlächelte.
      "Bist du soweit?", fragte er und nahm die Griffe des Rollstuhls um sie nach draußen zu schieben.
      Als die Sonne auf ihre Leiber fiel, grinste Joya breit und schob Esha in Richtung des Dorfausganges. Als sie das Sandsteintor zur Festung passierten, bog der Zauberer rechts ab und hielt kurz im Schatten an.
      "Ich hab da eine Idee gehabt", sagte er grinsend und nahm einen Kieselstein vom Boden. Kurz schloss er die Augen und führte den Kieselstein an die Lippen. Ohne sie zu berühren flüsterte er dem Stein Worte zu, ehe dieser grell aufleuchtete und ein Puls von ungewöhnlich starker und brachialer Gewalt durch die Luft ging. Erst danach begann der Stein zu schweben und flog vor ihnen her. Joya eilte sich, Esha auf einem Trampelpfad hinterher zu schieben.
      "Er führt uns zur Oase", lachte der Afrikaner.

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      The more you drag me to hell
    • Tief in ihrem Inneren sei Josephine in Ordnung? Das konnte durchaus sein, aber Jasper sah nicht ein, sich derartige Mühen zu machen, wenn ihre Schale derart dick ihm gegenüber ausfiel. Vielleicht war sie gerade wegen ihrer Art umso besser als Freund geeignet – sofern man da denn durchdringen konnte. Aber dass Morgan für Jasper hoffte, kaufte er ihr sogar ab und fühlte sich augenblicklich etwas mehr besänftigt. Eine böse Annahme, die er da einfach so getroffen hatte und ihm gleich darauf heimgezahlt wurde.
      Jasper wollte gerade wieder die Hände aus den Taschen ziehen weil Morgan praktisch schon auf dem Weg weg war, da hielt sie doch noch einmal inne. Er warf ihr einen fragenden Blick zu, der in gerauften Augenbrauen endete als sie ein wildes Lächeln präsentierte. Das gefiel ihm nicht. Halt. Doch. Irgendwie schon. Aber nicht... jetzt? Er war so verwirrt über seine eigenen Wünsche, dass er wie festgewachsen stehen blieb und seine Chance verpasste, früh genug vor Morgan zu flüchten. Und dann stand sie vor ihm, er hätte nur eine Hand nach ihr ausstrecken brauchen, undlegte ihren Finger an ihre Lippe. Warum hatte ihm niemand gesagt, dass das live so sinnlich aussah?! Seine Gedanken verselbstständigten sich und ließen ihn augenscheinlich wie einen geistleeren Idioten dastehen.
      Zur Krönung legte Morgan ihm auch noch eine Hand an seine Brust. Nicht die Hand, die ihn nach Verletzungen abtastete oder sie ihm gar zufügen wollte. Nicht die Art, wie seine Mutter ihn sonst angefasst hatte. Wann hatte ihn generell jemand so angefasst? Darauf hatte Jasper keine Antwort und wollte einfach nur aufhören zu atmen. Sonst würde sie sein Herz unter ihrer Hand spüren, das gegen seinen fleischlichen Käfig rebellierte. Sie würde eins und eins zusammen zählen und dann...
      Ihre Hand begann abwärts zu wandern und Jasper wusste nicht mehr, ob er sich freute oder ihm schlecht wurde. Oder beides zeitgleich. Er spannte sich dermaßen stark an, dass er schwören konnte, seine Muskeln reißen zu hören, als ihre Hand immer tiefer wanderte und sie ihm verschwörerische Worte zuflüsterte. Tatsächlich wollte er genau das für sie sein, doch er wusste es besser. Er war weder der größte, noch der stärkste. Und eigentlich auch nicht unbedingt willig, wobei er einfach nur seinen Stock mal aus dem Arsch ziehen müsste. Um die Worte eines Anderen einmal zu benutzen.
      Die Finger seiner rechten Hand zuckten in der Hosentasche, als sie an seinem Hosenbund angekommen und dort gestoppt hatte. Er merkte es nicht, aber seine Lippen zitterten im Versuch, Worte hervorzubringen, die von keinem Ton begleitet wurden. Eigentlich hätte es nicht noch schlimmer werden können, aber Morgan belehrte ihn eines Besseren. Ihre Hand trat den Rückzug ein, nur um sich unter sein Kinn zu legen und seinen Kopf zu heben. Dann kam sie ihm nahe, viel zu nahe, und er war sich sicher, dass sie ihn jetzt hier küssen würde. Einfach nur, damit sie sich an seinem Gesicht ergötzen konnte. Schneller als ihm lieb war ertappte er sich dabei, dass er es gewollt hätte. Das wäre sein erster Kuss gewesen und selbst wenn er nur dafür da war, damit sie sich daran ergötzte, den Preis war er gewillt zu zahlen. Er spürte ihren verdammten Atem auf seinen Lippen und jede Faser in seinem Körper drängte ihn dazu, doch nur einen Schritt nach vorn zu machen. Nur einen. Einen einzigen.
      Und dann zog sich Morgan zurück und er hatte seine Chance verpasst.
      Jasper starrte ihr hinterher während sie sich keiner Schuld bewusst war. Enttäuschung schlug ihn härter als es die Krallen des Wolfes wohl getan hätten. Mühsam riss er sich zusammen und zog seine Schimmelhose zurecht, die sonst abzeichnen würde, was Morgan bei ihm ausgelöst hatte. Leise fluchend trat Jasper den Rückzug in sein Zimmer an.
      Er hatte sich für eine gute halbe Stunde in seinem Zimmer eingeschlossen bis er sich halbwegs beruhigt hatte. Die Hose hatte er zur Seite gepfeffert und den auf mysteriöse Weise erschienenen Kaftan begutachtet, ehe er sich selbst Abhilfe schaffte von dem, was Morgan bei ihm ausgelöst hatte. Als er fertig war, warf er sich zähneknirschend den Faftan über, der ihn regelrecht verschluckte, und hoffte, dass Avicenna noch immer da war, wo Joya ihn geortet hatte.
      Nach ein paar fälschlichen Runden hatte Jasper den Turm gefunden und war vor der Tür angekommen, die wohl zu Avicennas Privaträumen führte. Er seuzte leise, zupfte an sich herum, und klopfte dann erst an der Tür.

      Tatsächlich konnte Esha Joya hören bevor sie ihn sah. Seine Schritte hallten eindeutig wider während er zu ihr zurückkehrte und sein Tempo erst verlangsamte, als er im letzten Flur angekommen war. Sein Lächeln war in jeglicher Form ansteckend, sodass Esha gar nicht dagegen ankämpfte, es ihm gleich zu tun. Es gab selten Menschen, die so offen lächelten wie er es tat und für sie war es der reinste Balsam.
      „Mission Aquädukt gestartet“, strahlte sie und klatschte in die Hände als er den Rollstuhl bemannte und sie Richtung Ausgang schob.
      Die ersten Sonnenstrahlen nach den dunkleren Innenräumen ließen Esha die Augen zusammenkneifen ehe Joya sie in den nächsten Schatten schob und stoppte. Sie drehte sich in ihrem Sitz so gut es ging nach ihm um und erwischte ihn gerade noch dabei, wie er einen Kiesel aufhob und ihn verzauberte. Der Puls ließ sie erschrocken zusammenfahren, doch Verwunderung und Erstaunen gewannen den Kampf um die Vorherrschaft als sie den leuchtenden, schwebenden Stein begutachtete.
      „So sieht das aus, wenn du verzauberst? Flüsterst du dann allen Dingen etwas zu?“, fragte sie und hielt sich seitlich fest als sie eilig dem Pfadstein über abschüssiges Terrain folgten. „Hm, nein, musst du nicht. Du hast Avicennas Knopf nicht angeflüstert. Hängt das von dem Nutzen ab?“
      Sie fand Joyas Fähigkeiten unheimlich spannend. Man konnte damit Amulette und dergleichen anfertigen, die ja vielleicht kleine Kinder vor Alpträumen schützen konnte. Sie selbst hätte es früher jedenfalls gut gebrauchen können.
      „Ich hätte nie gedacht, dass ich mal einem Stein folgen würde!“, schloss sie sich dem Lachen an und vergaß, dass sie an einer medizinischen Einrichtung waren, die sie nur anhand ihrer Fähigkeiten zu Lehrzwecken besuchen durften. Dass sie alle schwierige Zeiten erlebt hatten und sich jetzt alles bessern würde.
      Umar musste einer Illusion unterlegen sein. Es ging gar nicht anders.
    • "Ich kann wirklich nicht glauben, dass du so einfältig bist!", donnerte Marcellas Stimme lauter als beabsichtigt über den Flur und durch die geschlossene Flügeltür. Man würde es schon bereits von weitem hören können, aber zumeist verirrten sich Schüler nicht hierher. Die wilden Haare der Frau erschienen noch ungezügelter, als sie regelrecht schnaubend durch den Raum marodierte.
      "Denkst du wirklich, dass Beleidigungen mich tangieren?"; fragte Avicenna und lehnte sich in dem bequemen Stuhl zurück, um sie anzusehen. "Ich war mitnichten einfältig. Einars Übung war notwendig um sein Potenzial abzusch-"
      "Sein verkacktes Potenzial!"; schnaubte die Frau und schüttelte den Kopf. "Sein Potenzial ist mir scheißegal, Avi. Er hat die verfluchte Jomungandr verängstigt! Verängstigt! Ein gottgleiches Wesen! Sie hat sich nicht getraut aus dem Käfig der Illusion zu kommen und mich auch nicht attackiert wie sie es hätte sollen. Dazu hat das Dorf keinerlei Schaden genommen obwohl das Biest magische Flammen speien sollte. Wie erklärst du dir das?!"
      "Seine Kraft ist offenkundig noch ein Rätsel. Genau wie Jaspers."
      "Ja...Jasper", spie Marcella den Namen aus udn verschränkte die Arme vor der schmalen Brust. "Einar wird uns alle umbringen, ich sage es dir. Dieser Junge ist deutlich stärker als er sein sollte. Avi, er war in der Auswahl zum Arkana! Welcher der sieben Teufel hat dich gefickt, damit du auf die bescheuerte Idee kommst?!"
      "Ich wäre dir dankbar, wenn du die Beleidigungen lassen und ein wenig leiser reden würdest", sagte Avicenna deutlich schärfer und schlug seinen Kaftan zurück. Er mochte das Gefühl von einengendem Stoff nicht. "Einar ist ein Zauberer wie jeder andere. Er kann seine Kräfte noch nicht gut kontrollieren. Und ich möchte dass er es hier lernt und da bringt es nichts, wenn sich eine Oberärztin vor ihm fürchtet."
      "Ich...Also...Als würde ich mich vor ihm fürchten", murmelte Marcella. "Ich spinne ihn ein und lass ihn verhungern wenn ich das will..."
      "Natürlich, Marcella", grinste Avicenna und sah auf seine Notizen, die zahlreich vor ihm ausgebreitet lagen. "Und bevor du das tust, möchte ich dich an deine Aufgabe erinnern."
      "Ich habe sie erfüllt."
      "Und erfüllst sie noch, ich weiß", sagte Avicenna während sich sein Blick verfinsterte. "Aber es ist notwendig, dass du noch genauer beobachtest und forschst, als du es bisher getan hast. Nimm dir Umar mit. Er soll dir dabei helfen. Aber ohne dass er weiß, wonach wir genau suchen."
      "Wie du willst. Aber denkst du nicht, wir sollten die Schüler warnen?"
      "Kein Wort mehr."
      Just in der Sekunde erhallte ein Klopfen im Studienzimmer.
      "Geh. Erledige deine Aufgabe", sagte Avicenna und sah lächelnd zur Tür. "Nur herein, Jasper!"
      Marcella verschwand durch dieselbe Tür, die Jasper öffnete, nur um den Jungen mit einem Nicken und einem kurzen "Hallo" abzuspeisen und ihren Weg zu den Unterkünften fortzusetzen. Das Studierzimmer war das, was der Name sagte. Ein Raum voller Bücher und alter Schriften, gestapelt in hohe Regale und einer gewaltigen Fensterfront. Davor stand ein wuchtiger Schreibtisch, der über und über mit Papier beseelt war. Und davor saß Avicenna, der bereits lächelnd auf einen Stuhl neben sich deutete.
      "Was kann ich für dich tun, mein Junge?", fragte er.

      Joya schob Esha weiterhin fröhlich pfeifend durch die Gegend wobei er darauf achtete, eine nicht zu hloprige Strecke zu nehmen. Er genoß die Sonne und das Gefühl nützlich zu sein. Und ja, auch den Geruch ihrer Haare, den er im warmen Wüstenwind erhaschen konnte. Auf ihre Frage hin nickte er und merkte erst dann, dass sie ihn nicht sehen konnte.
      "Im Grunde ja", sagte er und überlegte. "Acivennas Knopf habe ich anders verzaubert, aber im Grunde ist es immer das Gleiche. Es ist nicht das Flüstern, was meine Magie überträgt, sondern meine Aura. Meine Schamanin hat mir gesagt, dass meine Aura eine Art Nadel ist, die Magie infusiert. Und ich beseele meine Aura mit Eigenschaften, die das Objekt haben soll. Ich flüsterte, damit es cooler wird..."
      Den letzten Satz nuschelte er beinahe vor sich hin ehe er den Kopf schüttelte und dem Stein weiter folgte.
      "Dem Stein habe ich beispielsweise zwei Eigenschaften gegeben: Sucher und Flieger. Dadurch fliegt er und findet Dinge, die ich ihm vorher gesagt habe. So wie das da!"
      Als sie um die nächste Ecke bogen, war der Stein bereits auf dem Boden aufgeschlagen. Erstaunlicherweise war die Oase, die Joya gesucht hatte, gar nicht weit fort von der Akademie und verbarg sich hinter dem nächsten Sandsteinberg, den sie passierten. Vor ihnen lag ein kleines Eiland voller kristallklarem blauen Wasser und zwei Palmen, die aus dem Boden zu wachsen schienen. Üppiges Grün schob sich über den roten Sand der Wüste und für Joya war es jedes Mal ein Fest zu sehen, wie dies möglich war.
      "Da sind wir!"; grinste er und ging um den Rollstuhl herum, um neben Esha zu stehen. "Es ist immer wieder ein Wunder, so etwas zu sehen. also....Wie gehen wir vor? Wie kann ich dir...Also...helfen, meine ich. Du weißt schon!"
      Da war es wieder. Das rote Anlaufen und hilfloses Gefuchtel mit Händen in Angst, er hätte etwas falsches gesagt.

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    • Jasper erstarrte.
      Er hatte die dumpf klingenden Schreie schon von Weitem gehört, aber jetzt vor der Tür konnte er ein jedes ihrer Worte verstehen. Schnell war es klar, um wen es sich handelte und er hielt indes ein, doch schon anzuklopfen. Jäh schossen seine Augenbrauen zur Decke als er mitanhörte, was wirklich in Einars Prüfung vorgefallen war. Fast hätte er sein Ohr gegen die Tür gepresst, um auch Avicennes Antworten zu hören, aber die Gefahr war ihm zu groß. Also folgerte er nur aus den lauten Stücken Marcellas und musste Umar doch einen Punkt zugestehen. Was, wenn er gesehen hatte, wie Einar genau das tat, wovor sich diese Ärztin da so fürchtete? Sie hatte ihn aus seiner Illusion geholt, das wusste er, und verhielt sich nicht einmal im Ansatz so ihm gegenüber, obwohl sie gesehen hatte, wie leicht er einen Werwolf getötet hatte.
      Am Ende hörte er nur noch leises Stimmengewirr und der Gedanke, dass er jetzt noch mehr lauschen sollte, gefiel ihm nicht. Also klopfte er nun doch an die Tür und zuckte, als Avicenna seinen Namen rief. Hatte der Mann Augen in den Gängen oder was?..... Wenn ja, dann hätte er jetzt vielleicht ein kleines Problemchen.
      Eine Grimasse hinunterschluckend öffnete er die Tür, gerade rechtzeitig, um Marcella vorbei zu lassen. Etwas perplex wandte sich Jasper noch nach ihr um, trat dann aber ein und ließ die Tür wieder ins Schloss fallen. Irgendwie kam ihm seine Idee nicht mehr als so prächtig vor wie noch vor einigen Minuten. Vielleicht war das Timing einfach schlecht gewählt oder er einfach zu... vereinnahmend?
      Langsam, beinahe vorsichtig, durchquerte er das Zimmer, das einer kleinen Sinfonie ähnelte. Die gesamte Atmosphäre brummte, sang und spann komplizierte Melodien zusammen, die zwar allzeit hörbar, aber nicht erdrückend waren. Zahllose Bücher säumten den Raum, in dem ansonsten nur noch ein wuchtiger Schreibtisch mit dazugehörigen Stühlen waren. Ganz routiniert nahm Jasper vor dem Schreibtisch Haltung an, anstelle den dargebotenen Sitzplatz anzunehmen. Das kam ihm falsch vor. Die Direktorin der Schule, die er besucht hatte, hatte sie immerhin auch alle nur vor ihren Tisch geholt und nie dahinter.
      „Ich wusste nicht, dass Werwölfe echt sind“, fiel er mit der Tür ins Haus, nachdem er durchgeatmet und seine Gedanken geordnet hatte. „Und ich wusste nicht, dass es eine Krankheit ist, die als unheilbar gilt. Auch wusste ich nicht, dass der Grund dafür sein soll, dass sie keine Auren haben. Aber ich habe Ygor getötet.“ Das Wort brannte regelrecht auf seiner Zunge, eher sogar die Kombination aus zweien. „Ich zersetze Auren. Wenn er keine gehabt hätte, dann wären meine Fähigkeiten wirkungslos gewesen. Bevor ich ohnmächtig geworden bin habe ich ihn einmal berühren können. Wenn es stimmt, was mir Josephine erzählt hat, dann sind die Berichte falsch. Ygor hatte nicht nur eine Aura, er hatte zwei. Ich hab's ganz deutlich gehört.“
      Jasper pausierte kurz und wartete darauf, dass der Heiler etwas sagte. Doch er sah ihn nur unentwegt an, ganz so, als wüsste er bereits, dass der Junge noch nicht fertig war.
      „Sie wussten, dass ich unwissend, untrainiert und nicht kampfwillig bin. Und trotzdem schicken Sie mich in den Ring mit einem Werwolf. Warum? Wenn es darum ging, dass ich nur horchen soll, dann hätten Sie mich einfach vor seine Zelle oder was auch immer stellen können.“

      Esha kicherte leise. Ja, cooler wirkte es wirklich, wenn das Ding nicht einfach losflog sondern erst noch angeflüstert wurde. Wobei sich ihr kichern eher dadurch erklärte, dass Joya plötzlich immer leiser beim Sprechen wurde. Er konnte also Dingen bewusst Eigenschaften zuschreiben... was wirklich sehrpraktisch war. Damit ließ sich mit Sicherheit viel Schabernack treiben. Jedenfalls mehr als das, was sie mit ihrer eigenen Fähigkeit anstellen konnte.
      Nach der Ankündigung konnte Esha nicht anders, als sich in ihrem Sitz nach vorn zu beugen so weit sie nur konnte. Das Gefährt war noch neu für sie, sodass sie eingesessene Verhaltensweisen nicht völlig abgelegt hatte. Und wert war es das auf alle Fälle gewesen, als sich die Reflektionen des Wassers in Eshas dunklen Augen widerspiegelte. Diese kleine Oase war ihr bei ihrer Anreise gar nicht aufgefallen. Vielleicht waren sie auch einfach aus einem anderen Winkel herangefahren, aber dieser Ausblick des kleinen Wunderlandes ließ ein breites Grinsen sich in ihrem Gesicht festsetzen.
      „Das ist so, so schön“, bewunderte sie die Wasserstelle während sich die Räder durch den Sand kämpften, bis sie irgendwann blockierten und zu weit eingesunken waren. Ein paar Meter noch, dann wären sie da gewesen. So hielt Joya inne und gesellte sich an ihre Seite und fing wieder mit seinem typischen Gefuchtel an.
      „Entspann dich doch ein bisschen. Es ist alles gut, ich sag dir schon, wenn was seltsam ist.“ Sie schob sich etwas aus dem Sitz und stellte die Füße auf den Sand. Wie erwartet spürte sie nicht einmal den Kontakt zum Boden, aber wenn die Oase nicht zu ihr kam, würde sie eben zur Oase robben. Und genau das tat sie dann auch. „Solange du nicht sagst, dass du mir beim Ausziehen helfen willst, ist alles gut.“
      Sie grinste noch immer als sie sich aus dem Rollstuhl rutschen ließ und ihre Hände im heißen Sand verschwanden. Umgehend zuckte sie zurück und drehte sich so gut es ging auf die Seite, damit möglichst viel Kaftan zwischen ihr und dem Sand. Gut, ihr Plan war gewesen sich einfach zum Ufern zu ziehen, aber sie hatte vergessen, wie sengend heiß der Sand sein konnte.
      „Mist... Hm.... Okay, also ich fürchte, du musst mich schon wieder tragen...“, sagte sie leise und sah zu Joya auf, der von ihrem vorherigen Kommentar wohl immer noch getroffen war. „Ach, das war doch nur ein Scherz mit den Klamotten! Nimm es nicht wörtlich... Aber... könntest du vielleicht?....“
      Sie streckte die Arme nach Joya aus und fühlte sich wie ein hilfloses Kind. Ihr Wissen darüber, dass sie in ihrer Lage einfach nicht anders konnte, machte es für sie erträglich und erst möglich so oft nach Hilfe zu fragen. Anfangs wollte sie noch alles allein schaffen, aber bald hatte sie ihre Grenzen des Machbaren erkannt und akzeptiert. Sie war mit dem Leben davon gekommen. So viel Glück hatten andere nicht.
    • Avicenna verbrachte die gesamte Rede des Jungen in der gleichen Haltung:
      Mit einem leichten Lächeln lauschte er aufmerksam den Worten Jaspers und lehnte sich leicht in seinem Stuhl zurück, bis dieser leicht knarzte. Auch wenn Jasper seine Einladung ausschlug, beschloss er, diesem nicht weiter nachzugehen. Offenkundig besaß der Junge eine innere Unruhe, die es zu glätten galt. Eine Woge, die zu beruhigen war.
      Ruhig sah er ihn also an und ließ all das Gesagte regelrecht über sich ergehen, ehe er durchatmete und ihn ansah.
      "Das wusstest du alles nicht, das stimmt", bekannte er. "Und wie hättest du es auch wissen sollen? Du hast deine Kräfte die längste Zeit deines Lebens gefürchtet und zu verleugnen gesucht. Weshalb also sich mit magischen Erkrankungen beschäftigen? Werwölfe, Jasper, sind real. Erschreckend real möchte man meinen und leider zählen sie aufgrund der Beschaffenheit ihrer Kräfte zu den tödlichsten Gegnern für Zauberer jeder Klasse. Ich kann aus dem Nähkästchen plaudern, dass selbst einige Arkana sich dem Kampf mit Werwölfen nicht stellen. Jedoch..."
      Avicenna unterbrach sich, um aus dem Sessel aufzustehen und in einer behänden Bewegung an Jasper vorbei zu schlüpfen. Ziel war ein Regal, in welchem besonders alte Folianten und Schriftstücke beherbergt wurden. Sie zählten zu den unzähligen Originalen, die er über die Jahrhunderte gesammelt hatte. Sachte pickte er ein schweres Buch aus braunem Leder hervor und begann in den pergamentartigen Seiten zu blättern.
      "Es ist erstaunlich, was du sagst", gab er zu und sah zu Jasper, ehe er das Buch darniederlegte. "Vielleicht fange ich anders an. Ja, du hast Ygor getötet. War es ein guter Tod? Vielleicht nicht. Aber Ygor wurde durch die Lykanthropie bereits Jahre in Schach gehalten. Sein Geist war bereits gebrochen und die Verwandlung zum Wolf stand kurz bevor. So oder so war die KRankheit nicht mehr aufzuhalten und du hast ihn mit deiner Gnade zu einem wesentlich gnädigeren Tod verholfen als das, was ihn erwartet hätte. Deine Feststellung jedoch ist das, was ich hoffte. Ich gebe dir Recht, dass eine Zersetzung nicht möglich gewesen wäre, wenn es keine Aura gäbe. Also muss ich fragen: Bist du sicher, dass das was du gesehen und zersetzt hast, eine Aura war? Und wenn es stimmt, dass eine derartige Erkrankung zwei Auren auslöst bedeutet es..."
      Erneut hielt er inne und besann sich auf seine Lehrtätigkeit, ehe er Jasper ansah.
      "Was bedeutet es, Jasper?", grinste er und sah ihn an.
      Schließlich war da noch das Letzte, was der JUnge gesagt hatte. Der Heiler hatte einen derartigen Vorwurf erwartet und sich bereits gefragt, warum er nicht früher kam. Offenbar wurde der Junge schneller erwachsen, als er dachte. Schweigsam atmete er durch und schüttelte den Kopf.
      "Wir bilden hier Ärzte aus", begann er. "Und dieses Feld der Magie ist - entgegen aller Vorstellung - ein sehr komplexes. Heilung kann auf viele verschiedene Arten erfolgen und es bringt einem Hakim nichts, wenn er seine Grenzen nicht kennt. Der Test diente dazu, eure Grenzen zu ermitteln. Es ging dabei nicht darum, herauszufinden, wie sehr du Auren zersetzen kannst, sondern ob du - mit deinen Selbstzweifeln - in der Lage bist, das zu tun, was getan werden musste. Und das war Ygor einen letzten Kampf zu schenken, ehe er den Dienst quittierte."


      Joya konnte zwei Dinge nicht beeinflussen.
      Das Erste war der hochrote Kopf, der so rot wurde, dass man ihn selbst durch seine dunkle Haut gut sehen konnte. Und das Zweite war die Tatsache, dass Esha sich nach einem - in seinen Ohren so verlockenden - Angebot einfach in den Sand rutschen ließ. Beinahe wäre er hinterher gehechtet, weil er dachte, sie hätte sich verletzt, doch erschien es als ihr Wille.
      Wie sollte er sich also entspannen? Wie? Nach einer Anmerkung, sie nicht auszuziehen?! Stotternd und willkürliche Silben murmelnd sah Joya in die Luft, um nicht Esha auf Körperstellen zu starren. Es brauchte eine ganze Weile, bis er aus dem Staunen heraus kam und Eshas Wunsch nachkam. Sachte hob er sie vom heißen Sandboden auf, der schmerzhaft unter seinen Pantoffeln brannte und brachte die beinahe federleichte Frau in die Nähe des kühlen Nasses. Sorgsam und vorsichtig setzte der Afrikaner sie am Ufer der Oase ab, nachdem er selbst zwei Schritte ins Wasser gestiegen war, um sie nicht einfach abzuladen.
      "Ich...Ich würde nie...Also dich nie...Einfach entkleiden...", nuschelte er und sah zur Seite, ehe seine Hände zu zittern begannen. "Also natürlich schon, wenn du das willst, aber...aberichwürdeniemalsirgendwastunwasdunichtwillstweildaswäreunrechtund..."
      Unvermittelt und kopfschüttelnd ging er in die Hocke und versenkte seinen ganzen Körper samt Kopf im Wasser. Sanft glitt das kühle Nass in seine Ohren und Nase und spülte das Peinliche aus seinem Gesicht heraus, sodass er klatschnass wieder der Oase entstieg und sie seufzend ansah.
      "Sorry. Ich rede wieder Unsinn", grinste er und begann, seinen Kaftan aufzuknöpfen. "Es ist auf jeden Fall sehr schön. Du solltest es versuchen."
      Achtlos zog er sich den Kaftan vom Leib, der viel zu viel seines Körpers verhüllt hatte. Joya hatte einen Kaftan genommen, der ihm eine Nummer zu groß war. Er wollte nicht, dass man seinen Leib und die Form dessen sah. Wie hätte er erklären sollen, dass der Leib, den er Esha nun offen präsentierte nicht der Leib eines einfachen Verzauberers war. Wenngleich nicht aufgepumpt, so war er dennoch ein muskulöser Junger Mann. Die Muskeln an Armen und Brust verwiesen auf seine Tätigkeiten, doch auch der Rücken des Mannes erschien beinahe ausdefiniert. Als würde man nicht mit einem Schmied verkehren, sondern mit einem Mann, der sein Leben lang hatte kämpfen müssen. Die weißen, konzentrischen Linien zogen sich auf seiner recht breiten Brust zusammen und bildeten das Zentrum über seinem Herz.
      Noch immer grinsend sah er Esha an und wies aufs Wasser.
      "Kommst du?"

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      The more you drag me to hell
    • Jaspers Herz schlug vor Aufregung ganz neue Bahnen ein. Es stimmte, dass er lange Zeit verleugnet hatte, was er war und zu tun vermochte. Dass das, was in seinen Blutbahnen die geraume Zeit unbemerkt dahin geflossen war, eine Richtung brauchte. All das Wissen, das ihm dadurch entgangen war, musste er in atemberaubendem Tempo nachholen, um dem Anspruch hier gerecht zu werden.
      „Kann mir vorstellen, dass August so einen bestimmt gern als Haustier gehabt hätte....“, murmelte Jasper leise als sich Avicenna aus seinem Stuhl erhob und an ihm vorbei zu einem der zahllosen Regale pilgerte. Zielstrebig nahm er einen schweren Band heraus und begann, darin zu blättern. Jede Bewegung wurde von Jasper tunlichst überwacht. Als sich ihre Blicke trafen, zogen sich seine Augenbrauen zusammen. Er hatte nicht genug Zeit gehabt, um genau zu folgern was seine Erkenntnisse überhaupt bedeuteten. Nur in einem Punkt war er sich absolut sicher.
      „Ich weiß, wie sich Auren anhören. Das war es auch, was ich gehört habe. Zwei völlig verschiedene Melodien, die in einem verwoben waren. Die eine dominant, die andere kaum noch vorhanden, eher wie ein Nachhall“, weitere Furchen erschienen auf seiner Stirn. „Ich bin mir nicht sicher, ob es zwei Auren ausgelöst hat. Vielleicht hat die Krankheit Ygors Aura einfach befallen? Wie ein Parasit?“
      Dafür hatte er sich nicht lange genug konzentrieren können. Nicht die feinen Nuancen heraushören können, die er für ein sicheres Urteil gebraucht hätte. Allerdings waren Noten der menschlichen Aura selbst in dem wilden Chaos des Wolfes zu hören gewesen, was ihn zu diesem Schluss führte. Zeitgleich war er sich nicht mehr darüber im Klaren, welche der Auren er nun zersetzt hatte und welche nicht. Oder gar beide.
      „Wenn es zwei sein sollten, stören sie sich gegenseitig. Beseitigt man eine, könnte man den Ursprungszustand vielleicht wiederherstellen?“
      Eine vage Vermutung, die Jasper anstellte während er die Arme vor der Brust verschränkte und Avicenna musterte. Hatte dieser Mann ihn wegen eben dieser Fähigkeiten so bereitwillig hierher gebracht?.... Eher weniger. Seinen Worten nach war die Madrassa Anlaufstelle für alle Hilfesuchenden, und dazu zählte auch er. Jedoch schickte sich der Arkana nun dazu an, seine letzte Frage zu beantworten und in seinem Mund tauchte er pelziges Gefühl auf. Trotzdem hätte er nicht damit gerechnet, dass diese Worte einen wunden Punkt trafen, den er selbst noch gar nicht bemerkt hatte.
      Jaspers Kieferpartie wurde hart, als Schuld auf seinem Gesicht erschien. „Wenn das das Ziel war, dann hab ich gar nichts gut gemacht.“ Er griff die Worte auf, die der Heiler ihm in den Tiefen zugesprochen hatte. Ein nagendes Gefühl machte sich in seiner Brust breit. Er wusste es besser. Er hatte diesen Test nicht geschafft. „Ich bin weglaufen. Ich wollte abbrechen. Ich bin ihm mit nichts anderem als Furcht begegnet. Ich dachte, ich sterbe da drin. Ich weiß nicht, was Sie gesehen haben, aber ich bin verfickt nochmal ohnmächtig geworden und meine Aura hat sich verselbstständigt.“ Er löste eine Hand aus seiner Verschränkung und stach sich kräftig mit dem Daumen in die Brust.
      „Dass da war kein Kampf gewesen und ich habe meine Fähigkeiten nicht absichtlich eingesetzt. Es ist einfach.... passiert. Mag sein, dass Ygor einen besseren Tod als durch die Krankheit bekommen hat, aber das ist garantiert nicht passiert, weil ich es so wollte.“
      Die letzten Worte zitterten leicht, voll von zu vielen Emotionen, um sie in Worte zu packen. Nicht nur, dass er wieder jemanden getötet hatte. Darüber hinaus hatte er den Test nicht geschafft und Ygor scheinbar nicht das geben können, was er als Abschied verdient hätte.

      Oft wurde Esha in ihrem Leben bisher nicht getragen. Sie wurde die meiste Zeit wie ein Bündel umher gereicht oder dahin gebracht, wo man sie einsetzen wollte. Als sie nach ihrer Flucht Avicenna begegnete, hatte er sie aufgelesen und dort das erste Mal Wärme verspürt. Ähnlich ergangen war es ihr bisher im Kontakt mit Joya, aber als er sie nun aus dem Sand klaubte, mit einem Arm unter ihren Kniekehlen, die sie nicht spürte, und den anderen an ihrem Rücken, kehrte diese Wärme schlagartig zurück. So sehr, dass sie nicht widerstehen konnte ihre Kopf an seiner Schulter anzulehnen. Natürlich einfach der Bequemlichkeit halber. Fast schon hätte sie protestiert, als er das Ufer erreichte und sie so weit weg setzte, dass das Wasser geradeso ihre Füße umspielte. Ihre Augen bemerkten das, das dazugehörige Gefühl blieb allerdings aus. Nur der betörende Duft des Gewässers schlug ihr entgegen und brachte ihr einen tiefen Atemzug ein. Als Joya wieder anfing zu stammeln, blinzelte sie ihn an und fing in dem Moment an zu lachen, als er ohne Pause sprudelte und sich schließlich komplett in der Oase zu ertränken suchte. Sie lachte selbst dann noch, als er wieder aufgetaucht war und aus dem Wasser watete.
      „Oh, das glaube ich dir sofort, dass es schön ist.“ Aber schöner war das, was sie auf gar keinen Fall verpassen wollte.
      Etwas ungelenk drehte sie sich wieder auf die Seite, damit sie den Afrikaner dabei beobachten konnte, wie er sich des Kaftans entledigte. In ihrem Blick lag etwas forschendes, Neugierde. Was er ihr allerdings präsentierte, war nicht das, was sie erwartet hatte. Das Amusement wich schlagartig aus ihrem Gesicht und wich der Faszination während ihre Augen über die satte, dunkle Haut wanderten und den weißen Linien Andacht zollte, die in grazilen Mustern über seine Haut verliefen. Dabei waren es nicht die definierten Muskeln, die ihre Aufmerksamkeit bekamen, sondern das Gesamtkonzept.
      „Das ist...“, ja, sie fühlte sich wie ein Spanner, so wie sie Joya geradezu abscannte, „ das ist soschön. Das sieht aus wie ein Kunstwerk.“
      Ein Kunstwerk, dessen Herkunft sie nicht kannte.
      „Rührt das von eurer Kultur?“, fragte sie weiter und konnte einfach nicht den Blick von ihm lösen. Sie wollte diese Linien berühren, wissen, ob sie sich erhaben anfühlten oder nicht. „Bei den Rohingya werden auch traditionelle Körperbemalungen zu besonderen Anlässen durchgeführt, aber die sehen... anders aus. Deines ist permanent, oder?“
      Ganz kurz huschte Eshas Blick zu ihren labbrigen Beinen. Dann beschloss sie, Joya wirklich nicht weiter als nötig anzustarren und setzte sich auf, um ihren Kaftan zu öffnen. Wegen ihrem Zustand wiesen ihre Beine keine Muskeln auf und fielen dadurch ungewöhnlich schmächtig zum Vergleich ihres Torsos auf. Wegen der mangelnden Bewegung und ihrer Liebe fürs Essen hatte sie kleine Speckröllchen, die in ihren Augen ein Zeichen des Wohlstandes waren. Sie musste schließlich kein Supermodel sein und der Badeanzug kaschierte das meiste glücklicherweise. So auch ihren Rücken oberhalb des Steißbeines.
      Etwas umständlich kämpfte sie sich aus dem Kaftan und besah sich unter der grellen Sonne einen Moment lang ihre eigenen Beine. Beide Oberschenkel wiesen wulstige Narben in allen Größen und Formen auf. Helles Narbengewebe hob sich kontrastreich von ihrer etwas dunkleren Hautfarbe ab und bezeugten all die Knochenbrüche, die man ihr im Laufe ihrer Gefangenschaft zugefügt hatte. Fast bis zur Hüfte zogen sich die Narben hinauf und endeten knapp oberhalb der Knie. Unwissende würden behaupten, dass ihre Beine völlig entstellt waren.
      Dann robbte und rollte Esha weiter in das Wasser, bis es ihr zum Bauchnabel reichte. Ab dem Becken hatte sie das Wasser bereits gemerkt, jetzt fiel ihr aber erst recht die Wirkung auf und sie stieß einen genüsslichen Seufzer aus. „Die Anderen verpassen echt was... Aber dann hab ich wenigstens mehr von dir.“ Sie strahlte Joya an. „Sag mal, was sagt denn deine Familie, dass du hier bist? Oder hast du keine mehr? Meine Eltern sind wohl immer noch von Land zu Land am flüchten.“
    • Avicenna blieb in etwas Abstand zu Jasper stehen und nickt bedächtig. Seine Ansätze waren gut, die Schlussfolgerungen logisch und präzise. Wieder einmal freute sich der Heiler, mit seinen Einschätzungen zumindest im Großteil richtig gelegen zu haben.
      "Parasitäre Aureneigenschaften gibt es, sie sind jedoch selten", stimmte er Jasper zu und legte seine Hand auf das Buch, das er gerade zugeklappt hatte. "Ich möchte es aber nicht ausschließen, dass es genau das sein könnte. Lykanthropie ist in der Theorie sehr einfach, in der Praxis jedoch eine hochkomplizierte Erkrankung des Körpers. Es würde diesen Sinn treffen, wenn sie derart aggressiv einen menschlichen Körper angreift."
      Auf Jaspers weitere Worte hin, seufzte der Arzt und kam langsamen Schrittes näher. Ihm war es schmerzlich bewusst, welchen Kampf der Junge mit sich ausfocht und doch gab es nichts, was er hätte tun können, um es ihm leichter zu machen. Sanft legte er seine massigen Hände an die schmalen Schultern des Jungen und drückte sie sanft.
      "Zu der ersten Frage ein Ja und zu der zweiten Anmerkung ein Nein. Ja, es wäre der Theorie nach möglich, sofern die Auren separierbar sind. Und nein, du hast nicht gar nichts gemacht, Jasper", sagte der Arzt und legte den Kopf leicht schief. Es tat ihm weh, einen Schüler so kämpfen zu sehen obgleich dieser nichts dazu getan hatte. Es war eine lästige Eigenart des Menschen, dass man sich derartige Vorwürfe machte, wenn man einem Wesen half.
      "Du hast einem Mann, der von einer Bestie innerlich gefressen wurde, die Freiheit geschenkt, nach der es ihr verlangt hat. Und gleichsam hast du mit deinen Erkenntnissen schon jetzt dazu beigetragen, dass wir vielleicht in der Lage sind, die Krankheit weiter zu erforschen als wir es jemals konnten. Und du hast es bereits selbst festgestellt:"
      Er hielt inne und löste die rechte Hand von der schmalen Schulter des Jungen, ehe sie als mahnender Zeigefinger vor seinem Gesicht erschien.
      "Du wolltest weglaufen. Du bist es aber nicht. Du bist geblieben und auch wenn deine Ohnmacht sicherlich nicht geplant war, bist du nicht gerannt. Ich sah einen Jungen, der einen Weg gesucht hat. Nicht einen Jungen, der panisch aus dem Raum floh. Du bist sehr hart zu dir, Jasper. Es hat keinen Sinn, sich selbst stärker zu geißeln als andere es täten."
      Er ließ seine linke Hand auf Jaspers Schulter, da er sich noch nicht lösen konnte. Nicht, wenn der Junge derartige Schuld auf sich lud. Nicht jetzt. Schweigsam sah Avicenna ihn an und seufzte.
      "Die Kontrolle ist so eine Sache", begann er. "Aber dafür bist du hier. Hier um zu lernen, dich zu kontrollieren. Und das Problem hast du nicht allein. Also mach dir nicht so viele Gedanken, mein Junge."

      Joya war es nicht peinlich, seinen Körper zu zeigen.
      Also eigentlich schon, wobei das mehr an den Dingen lag, die sich darauf befanden. So umschloss ihn ein Gefühl der Unruhe, als er den Kaftan ablegte und zu Esha blickte, deren Blick ihn regelrecht durchschaute. Scannte, wenn man es so wollte. Mit einem Mal überkam ihn das Bedürfnis sich zu bedecken und hielt doch nur so lange an, bis Esha selbst ihren Kaftan ablegte und ihre Beine der Welt offenbarte. Auch sie trug die Narben ihres Lebens offen an sich und auch Joya sah nichts hässliches daran. Er mochte es nicht als Kunstwerk betrachten, das war es nicht, aber es gehörte zu ihr. Es zeugte von einer grausamen Art der Folter, derartige Narben zuzufügen. Innerlich bemerkte Joya eine altbekannte Wut, die er sofort im Keim erstickte.
      Das Verlangen in ihrem Blick folgend trat er durch das Wasser näher an sie heran und grinste. mit der rechten Hand fischte er etwas, das einem Ast gleich kam aus dem Wasser und hielt es sich kurz an die Lippen. Diesmal flüsterte er nicht, nur die Augen des Zauberers leuchteten jäh und hell auf, ehe der Puls durch den Raum ging. Sanft ließ er das Holzstück ins Wasser gleiten und sah zu wie es sicher auf dem Wasserspiegel schwamm. Einladend wies er darauf.
      "Wenn du es brauchst", sagte er grinsend und nahm sich sogleich ihre Hand, um ihr BEdürfnis zu befriedigen. Die meisten reagierten so. Sie wollten es berühren. Also legte er Eshas Hand auf seine Brust und Bauch und ließ sie. Sie würde feststellen, dass die Tätowierungen nichts anderes als gefärbte Narben waren. Schnitte und Risse, die man mit Farbe aufgespritzt hatte. Ein Kunstwerk und Folterwerk in einem.
      "Es zeichnet mich als Opfergabe", sagte der Afrikaner gefühllos. "In meinem Clan...Wird man nicht als Sohn oder Tochter eines Paares geboren. Man wird als Sohn oder Tochter des Stammes geboren. Meine Mutter war meine Clansschwester. Magie ist bei diesem Clan selten und verschrien. Zumeist wird man ausgestoßen und verfolgt. Als die Clans in einen Krieg eintraten mit einem anderen Clan wurde Magie aber nützlich und notwendig. Also wurden meine Fähigkeiten für den Krieg verwendet. Ich habe keine Eltern mehr, weil der Clan, dem ich angehörte, tot ist. Im Krieg verloren und gefangen genommen kam ich zu einem anderen Clan und wurde dort als Ausgestoßener und mögliches Opfer für die lokalen Götter gezeichnet."
      Joya musste darauf achten, nicht die ganze Zeit den Körper der jungen Frau zu betrachten. Alles was zu kaschieren gewesen wäre, fand er wunderschön. Kleine Speckanteile, Unförmigkeiten oder Ungleichheiten. Es war das Imperfekte, das ihn anzog an dieser Frau. Auch die Narben auf ihren Beinen. Es passte alles zusammen. Im Kopf überlegte er bereits, wie er ihr helfen konnte, wieder zu gehen. Es war möglich. Es bedurfte nicht viel. Aber das Gefühl. Er würde ihr die Nerven nicht wiedergeben können.
      "Und was ist mit dir?", fragte er während er sich langsam zurückgleiten ließ und die warmen Finger auf seiner Haut schon vermisste. "Was haben sie dir angetan?"

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    • Unweigerlich zog Jasper die Schultern hoch als Avicenna langsam auf ihn zu kam. Womöglich war die Lykanthropie eine komplizierte Krankheit, aber er hatte ja nicht einmal das Verständnis hinter den einfachsten Krankheiten generell. Er war einfach zu jung, um sich damit bereits auf dem Level wie Josephine auseinander zu setzen. Die Hände, die auf seinen Schultern eher Pranken glichen, wogen weniger schwer als er erwartet hatte. Stattdessen drückten sie ihn leicht und lösten ein wenig von der Spannung, die den schmächtigen Körper heimgesucht hatte. Ein wenig überrascht darüber blinzelte er Avicenna an, als dieser den Kopf schräg legte.
      Jasper merkte richtig, wie sich sein Verstand gegen die Worte sträubte, die er zu hören bekam. Richtig waren sie – immerhin hätte er in kürzester Zeit den Knopf drücken können. Er hatte mit dem Gedanken gespielt und sie nicht ergriffen. Stattdessen hatte er fieberhaft nach einer Lösung gesucht, seinen Arsch zu retten. Und das beinhaltete nicht das drücken eines roten Knopfes.
      „Ich hab das so nie gesehen“, gestand er nach einem Augenblick leise, verführt durch die Hand, die noch immer Halt gebend auf seiner Schulter ruhte. „Dass ich härter zu mir bin als andere. Ich dachte, dass muss so. Ansprüche erfüllen und so was. Ich wusste um die Ausweglosigkeit in dieser Illusion, aber ich hab verzweifelt nach einem Weg gesucht weil ich gedacht habe, das wird von mir erwartet.“
      Bevor Jasper von Noland entführt worden war, lebte er in den Tag hinein und scherte sich nicht darum, was aus ihm wurde. Er hatte keine Ziele, keine Pläne, nichts außer dem Vortäuschen des stinknormalen Menschseins. Erst mit dem Wissen, was genau er mit seinen Fähigkeiten zu tun vermochte fing er unbewusst damit an, sich selbst Regeln aufzustellen, die überhaupt nicht angemessen waren. Das fiel ihm erst jetzt richtig auf.
      „Ich weiß, dass genug Leute nicht über die notwendige Kontrolle verfügen. Aber nachdem ich in der Schwarzen Stadt gesehen hab, was ich anrichten kann.... da kam dieses Gefühl von Verantwortung. Wie ein Zwang. Nur deshalb hab ich dieser Sallow geholfen, weil August es von mir gefordert hat. Weiß Gott, warum es damals geklappt hatte. Genauso wie mit der Korrumption. Es bestand die Möglichkeit, dass ich was bringen kann, und dann war da dieser... Druck.“
      Es schüttelte seinen Körper als er daran zurückdachte. Damals fühlte er sich wie auf rohen Eiern bei jeder Aktion, die er tat. Nun war er noch immer sehr sorgsam mit dem, was er tat, aber es gesellte sich langsam eine gewisse Routine dazu.
      Sein Blick wechselte von einem zerfressenen Ausdruck zu einem weicheren, wenn nicht weniger zweifelnden. „Warum haben Sie mir die Kopfhörer genommen? Ich weiß, sie haben's ja gesagt, aber trotzdem.... Wer hat's ihnen berichtet? Sagen Sie mir nicht, Sie sehen mit Ihrer Aura, die in den Wänden und allem steckt. Das ist gruselig.“

      Ein bisschen verwundert war Esha schon, dass man es ihr scheinbar ansah, wie sehr sie diese Linien auf Joyas Körper berühren wollte. Aber sie beschwerte sich nicht, als er auf sie zu watete und vor ihr in die Hocke ging. Ohne zu fragen ergriff er ihre Hand und legte sie einfach so auf seine Haut. Irgendetwas an dieser Geste hatte etwas intimeres, und das, obwohl sie sich schon ein paar Mal von ihm hatte tragen lassen. Schweigend ließ sie ihre Fingerspitzen ganz vorsichtig über die dunkle Haut gleiten ehe sie die erste Linie streifte. Sie war nicht so glatt wieder Rest seiner Haut und wenn sie genauer hinsah, dann konnte sie Unterschiede in den Anreicherungen der Farbe erkennen. Das war keine permanente Bemalung im üblichen Sinne und je mehr Joya darüber sprach, umso mehr schwand das Lächeln auf Eshas Lippen. Regelrecht kraftlos sackte ihre Hand ins Wasser als sie den Kontakt zu ihm verlor und er rückwärts von ihr weg ins tiefere Wasser glitt.
      „Wenn meine Bezeichnung unpassend war, dann tut es mir leid“, sagte sie wahrheitsgemäß und fühlte sich ein bisschen so, als hätte sie bis zu den Knien das Fettnäpfchen erwischt. Sie langte nach dem Ast, den er für sie verzaubert hatte, und schob sich weiter ins Wasser, bis es ihr langsam den Boden unter dem Popo nahm. „Ich weiß, wie es ist, verfolgt zu werden. Wird unsere Glaubensgruppe auch, aber sich vorstellen zu müssen, dass die ganze Familie einfach ausradiert worden ist, ist furchtbar.“
      Sie musste es wissen, immerhin hatte sie diese Gefühle zielgerichtet als Waffe einsetzen müssen.
      „In Myanmar wird unsere Völkergruppe nicht anerkannt und verfolgt. Wir haben keine Staatsangehörigkeit, deshalb trage ich auch keinen Nachnamen. Stattdessen werden wir im günstigsten Falle nur abgeschoben, aber in Fällen wie meinen, wo man Magie feststellten und nutzbar machen konnte, passiert das nicht. Die Polizei hat mich als Kind von der Straße aufgelesen, als meine Eltern und ich auf der Flucht waren. Man hat mich einfach entführt und weggeschlossen bis man erkannt hat, dass ich die Polizisten alle habe durchdrehen lassen. Mal war es Wut, mal Todesangst. Und dann hatten sie ein kleines Mädchen in ihrer Zelle sitzen, die absolut nichts mehr fühlte.“
      Sie zuckte mit den Schultern und ruderte, als sie dadurch fast das Gleichgewicht verlor und den Ast losgelassen hätte.
      „Also dachte sich die Polizei: Hey, wir können dieses Mädchen benutzen, um die anderen Insassen zu foltern. Und genau dazu haben sie mich gezwungen und unabsichtlich dafür gesorgt, dass ich meine Kräfte trainiert habe. Nach ein paar Ausbruchsversuchen mussten sie eine radikalere Lösung finden, damit ich nicht mehr weglaufen kann. Deshalb schlugen sie ihren Schlagstöcken, mit Hämmern, Brechstangen und sonst was auf meine Beine ein, damit ich nicht mehr laufen konnte. Die Brüche waren teilweise so schlimm, dass die Knochen diese Narben hinterließen.“
      Dass Esha all diesen Schmerz, diese Ohnmacht und diese Hilflosigkeit in sich kanalisiert und kultiviert hatte, war den Beamten damals nicht aufgegangen. Umso überraschter waren sie, als das Mädchen sie binnen Sekunden an den Rand des Wahnsinns trieb und sich damit die Flucht ermöglichte, trotz gebrochener Beine. Den Teil mit ihrem Rücken verschwieg sie jedoch.
      Stattdessen ließ sie einmal den Ast los, damit sie komplett unter Wasser tauchte. Kurz darauf kam sie schon wieder hoch und schüttelte den Kopf wie ein nasser Hund, das erleichterte Lächeln war auf ihrem Gesicht zurückgekehrt.
      „Aber schon toll, wie wir es jetzt alle besser getroffen habe, oder nicht? Sag mal, wie bist du Avicenna begegnet? Mich hat er auf der Straße kurz nach meiner Flucht aufgelesen.“
    • Der Hakim lächelte nachsichtig und seufzte schwer, als er seine Hand endlich von Jaspers schmaler Schulter löste. Es erschien merkwürdig, einem jungen Mann von 17 Jahren noch einmal zu erklären, wie man mit Eigenkritik umging. Aber er hatte schon Recht. Wer hätte ihn unterweisen sollen? August? Dieser Noland? Wohl kaum. Avicenna durchmaß erneut den Raum und setzte sich auf einen schmalen Diwan, der in der Nähe stand. Erneut bot er Jasper einen Platz an und sah eine Weile in die Ferne.
      "Härte zu sich selbst birgt die Disziplin", begann er sanft und faltete die Hände vor den Knien, auf die er seine Unterarme legte. "Du tust Recht daran, hart zu dir zu sein. Denn deine Macht ist groß und birgt unermessliche Gefahren. Und doch ist reine Überhärte zu sich selbst eher ein Anker als eine Rettungsleine, junger Jasper. Hier gibt es keine Ansprüche zu erfüllen. Ich bin hier um dich deine Kräfte zu lehren und wie du mit ihnen Gutes tun kannst. Es bringt mir und dir rein gar nichts, wenn du unverhältnismäßig hart zu dir bist. Das wird dich nur vergiften."
      Unvermittelt lächelte er den Jungen offen an und seufzte erneut. Wie oft konnte ein Mensch das eigentlich?
      "DIe meisten, die hierher kommen, verfügen nicht über die Kontrolle, die notwendig ist. Sie erliegen alsbald dem Irrglauben, dass nur Kontrolle einen Geist rettet und bindet. Dabei ist es eher die emotionale Stabilität, die es braucht. Es ist als würde man einem Mann oder einer Frau verbieten, seiner oder ihren Gelüste nachzusteigen. Irgendwann zerfrisst es einen. Und dasselbe geschieht auch hier. Und Druck braucht es nicht. Du bist hier um zu lernen. Und Fehler sind natürlich. Im Laufe der Zeit werdet ihr alle Jemanden umbringen. So ist es leider, Jasper. Das Los des Arztes."
      Langsam wurde der Blick des Jungen weicher und Avicennas Lächeln breiter, als er sich ein letztes Mal ihm zuwandte und schließlich begann, kehlig und basslastig zu lachen.
      "Nein, ich höre nicht über die Wände", kicherte er und schüttelte den Kopf. "Mir hat Niemand etwas berichtet, junger Jasper. Aber ich weiß, dass Menschen sich Vermeidungsstrategien zurecht legen. Mir war klar, dass du etwas besitzen musstest, das dir die Melodien aus dem Kopf jagt. Du trinkst nicht, nimmst keine Drogen oder anderes also musste es etwas stoffliches sein. Und als ihr euch dem Essen und Trinken zugewandt habt, habe ich Tamar gebeten, nachzusehen. Er fand deine Kopfhörer und hat sie zurück gelegt. Vielleicht ein wenig opragmatisch, aber es ist von Nöten, damit du die Auren als das akzeptierst was sie sind: Ein Teil von dir. Das geht nur mit Konfrontation."


      Joya sah ihr eine ganze Weile zu und genoß die federleichte Berührung. Gleichzeitig war er froh, zur Hälfte im Wasser zu stehen, denn der junge Mann war noch nie von einer Frau derart zärtlich berührt worden. Es glich einem Kitzeln auf der Haut was ungeplantes und ungewollte Blitze durch seinen Leib schießen ließ. Ruhig versuchte er zu atmen, während er den Kopf schüttelte.
      "Woher hättest du es wissen sollen?", fragte er und grinste. "Es ist alles gut."
      Eine Weile lauschte er ihrer Geschichte und je länger er lauschte umso bekam er das gleiche Gefühl (ohne es zu wissen) wie Esha. Als würde man ihm den Boden wegreißen lauschte er der Geschichte und brachte kaum einen Atemzug zu stande. Das was sich vormals wunderschön auf der Haut anfühlte und für so wohlige Gefühle sorgte, war nunmehr verloschen und beinahe starrend sah er die Frau an, die auf einem Ast auf den See schwebte.
      "Ich...Ich weiß nicht was ich sagen soll...", murmelte der junge Mann und schüttelte den kopf in blankem Entsetzen. "Das ist...Das ist unendlich grausam...Es tut mir ebenso Leid, ich wollte keine Wunden eröffnen...Ich...Auch noch die Polizei...Man sollte denen doch trauen, oder nicht?"
      Ruhig sah er wieder auf ihre Beine und als sie kurzzeitig den Ast losließ, um mit den Armen zu rudern, wollte er schon automatisch zu ihr stürzen, um sie aufzufangen. Ehe er sich erinnerte dass es Wasser war und Esha sich selbst sehr gut fangen konnte.
      "Es ist nicht gerecht, dass du derartigen Schmerz erleiden musstest...", murmelte er nachdem sie wieder aufgetaucht war und seufzte. Das Lächeln war so entwaffenet, dass er nicht anders konnte als ebenfalls zu lächeln.
      "Avicenna kam zu mir, als ich gerade erneut gefangen genommen worden war. Ich sollte für eine Schlacht die Schwerter verzaubern und habe dies auch getan. Mit einem Rostzauber. SIe zerfielen und die Menschen starben. Er hat mich aus meinem Käfig befreit und mitgenommen...Nichts besonderes also."

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    • Jasper war noch in Gedanken versunken als Avicenna von ihm Abstand nahm und aus seinem Sichtfeld verschwand. Kurz darauf folgten Jaspers Augen dem Zauberer, der sich auf einen Diwan niedergelassen hatte und aufmunternd neben sich auf das Polster klopfte. Auch dieses Mal zögerte der Junge, doch dann setzte er sich in Bewegung und setzte sich langsam neben dem Hakim auf den Diwan. Es war überraschend hart und sah gemütlicher aus, als es bei seinem knöchernen Hintern anfühlte.
      „Naja, ich habe immerhin das Gefühl, nicht mehr ganz so unberechenbar zu sein wie zu Beginn“, meinte er nur schulterzuckend und verfehlte dabei den Moment, Avicennas Lächeln zu erwidern. „Vielleicht bin ich ja auch einfach zu weich. Ich will nicht schuld daran sein, wenn Leute sterben...“
      Ein Gefühl, das er wohl niemals völlig abschütteln können würde. Sinnloses töten war ihm zuwider, aber er würde lernen müssen sich zu verteidigen, denn sonst wäre er derjenige, der einen sinnlosen Tod starb. Er hatte sich damit angefreundet, wer und was er war. Nun musste er sich noch damit anfreunden, was für Konsequenzen seine Fähigkeiten nach sich zogen.
      Als sie jedoch auf die Kopfhörer zu sprechen kamen, verfinsterte sich Jaspers Blick unweigerlich. Lachte Avicenna ihn jetzt noch aus, weil er ihn des Spannens bezichtigte? Aber irgendwas lag in diesem Lachen des Mannes, den er bislang nur hatte lächeln sehen. Was auch immer er gerade dazu dachte löste sich in Luft auf, kaum enthüllte der Arkana, dass er die Sachen des Jungen hatte durchsehen lassen. Man sah richtig, wie Jasper Luft holte, um mit einem Protest seine Beschwerde einzureichen. Aber anstatt sich seinen Ausflüchen hinzugeben, stieß er die angehaltene Luft wieder aus. Ja, er wollte sich gerne darüber beschweren, dass seine Privatsphäre missachtet worden war. Viel weitergebracht hätte ihn das jedoch nicht und so schluckte er die Beschwerde mühselig hinunter und spürte richtig, wie sie wie Säure in seinen Magen sank. Einen kleinen Hieb konnte er sich dennoch nicht verkneifen.
      „Dann hoff ich wenigstens, dass den Anderen auch was weggenommen wurde. Sonst ist's unfair.“
      Lang streckte Jasper die Beine von seinem Körper und ließ die Füße über die Fersen hin und her rollen. Seine Arme waren nach hinten ausgestellt während er seinen Füßen bei ihrer Bewegung zusah.
      „Wie oft kommt das eigentlich vor? Also Korrumption, meine ich. Ist sie selten oder kommt sie erstaunlich häufig vor? Wenn sie häufig wäre, dann hätte man sie doch bestimmt wie eine Seuche behandelt und energisch daran geforscht, oder? Wie viele nicht heilbaren magische Krankheiten gibt es denn?“

      „Du reißt keine Wunden auf. Ich habe darauf geachtet, dass die Meisten von ihnen kaum noch spürbar sind.“
      Eshas Worte klangen erstaunlich beiläufig für das, was ihre Worte an Bedeutung enthielten. Bei ihren Sätzen hatte sie darauf geachtet, Joya nicht anzusehen. Ihre Stimme hatte sie immer gut unter Kontrolle, ihre Augen allerdings nicht immer.
      „Weißt du, in den meisten Fällen hat kein Mensch solche Torturen verdient. Aber es ist auf der Welt nun mal so, dass man sich nicht nur wegen der Magie verfolgt, sondern auch wegen der Religion. Manchmal habe ich einfach das Gefühl, die Menschen suchen sich gezielt etwas, weshalb sie einander verabscheuen können. Bei dir war es ja nicht anders. Die Stammesleute haben einfach nicht gesehen, was für ein toller Mensch du bist.“
      Sie paddelte mit ihrem rechten Arm, während sie sich mit dem anderen noch am Ast festhielt, näher zu Joya herüber. Er hatte ihr Lächeln geteilt und nun hatte sie das Gefühl, nicht länger weiter weg von ihm sein zu wollen.
      „Du bist gütig. Das sieht man, wann immer du mich ohne zu zögern irgendwohin trägst.“ Sie ließ ihn nicht aus den Augen, plätschernd kam sie ihm immer näher. „Du bist sanft, selbst wenn du Waffen mit Rostzaubern zerfallen lässt und gezielt Menschen sterben liest. Entweder sie oder die andere Seite, du hast lediglich eine Unbekannte eingebracht.“ Natürlich war die Vorstellung auch für Esha grausam, wenn sie daran dachte, wie etliche Menschen bewaffnet in den Kampf zogen und dann feststellen mussten, dass sie praktisch wehrlos waren. Es musste ein Massaker gewesen sein, aber das ließ sie sich nicht anmerken. „Du erweckst die Aufmerksamkeit Anderer mit Leichtigkeit. Avicenna hat gezielt nach dir gesucht, über mich ist er nur gestolpert. So wenig besonders ist das also nicht.“
      Das letzte Bisschen trieb Esha mehr als dass sie paddelte zu Joya herüber. Noch immer lächelte sie ihn, so als ob nichts in der Welt, was sie ihm erzählte, sie davon abhalten können würde. „Nun, ich würde sagen, du hast mir erfolgreich diese kleine Oase und ich dir gezeigt, dass ich schwimmen kann. Wir haben meinen Punkt auf der To-Do- Liste abgehakt, was steht als nächstes auf deiner? Ich fühle mich heute sehr.... abenteuerlustig“, gestand sie, wobei sie die letzten Worte beinahe verschwörerisch flüsterte.
    • Avicenna tat das, was ein guter Lehrer tun sollte, wenn sein Schüler eine unbedarfte und wenig überlegte Antwort gab. Wie es seiner Natur erschien, lächelte er und sah in die Ferne, um nicht Jasper zu maßregeln, dass es ihn eigentlich einen feuchten Kericht anging, wie er zu unterrichten gedachte. Es verblieb eine Tatsache, dass Jasper einer der wenigen war, die seine Kräfte derartig hartnäckig verleugnen. Sicherlich waren Charaktere wie Morgan oder Einar gefährlicher und grausamer in ihren Gedanken. Aber keiner verleugnete seine Kraft. Etwas, das Jasper noch lernen musste.
      Schweigsam sah er dem Jungen zu wie er sich ausstreckte und sah wieder zum Fenster hinaus, wo der Tag sich langsam seinem Nachmittag zuneigte. Sanfte, laue Brisen glitten durch die glaslosen Fenster und erfüllten den Raum mit dem Duft der Wüste und frischem Essen, das in der Küche gebraut wurde. Weit in der Ferne konnte man das Klirren und das Stimmengewirr der Madrassa wieder hören. Die Patienten blieben nicht aus und auch die Geräusche nicht. Zumeist waren es Gespräche die sich ihren Weg nach oben suchten, doch auch vereinzelte Schreie oder Stöhnen war zu hören.
      "Es kommt recht häufig vor", gab Avicenna schließlich zu und erhob sich vor dem Jungen, sodass er dem Lehrer auf Hüfthöhe saß. Nachsichtig sah er hinab und seufzte. "Es ist sogar viel zu häufig wenn ich ehrlich bin. UNd Forschungen gibt es, ja. Wir sind eines der führenden Forschungszentren, aber leider ist die Korrumption eine Seuche, die sich nur sehr schwer bekämpfen lässt. Und wie viele Krankheiten...Jasper, wenn wir darüber philosophieren würden, wäre es vermutlich übermorgen. Sie sind so zahlreich wie die Menschenkrankheiten und haben alle eins gemeinsam: Die magische MEdizin steckt noch in den Kinderschuhen und daher sind die meisten von ihnen tödlich. Und deswegen..."
      Er grinste und zog Jasper an seinen Händen wieder hinab.
      "Und deswegen bin ich dankbar, dass ihr alle hier seid", lächelte er. "Ich hoffe, du nimmst es mir nicht übel, aber ich habe noch einen Termin vor mir, wo neugierige Schülerohren nicht gebraucht werden."
      Ein Zwinkern erreichte sein Gesicht und sachte schob er Jasper wieder vor die Tür.
      "Eil dich! Genieß den Tag und die Nacht, mein Junge. Und morgen beginnt die Ausbildung bei deinem Mentor."

      Joya war aufgefallen, dass sie den Blick abwandte. Und ein neugieriger Geist hätte durchaus nachgefragt und gebohrt. Doch Joya hatte es anders gelernt. Damals, als er die Menschen, die ihn aufzogen, noch Familie nannte, hatte man ihm davon abgeraten allzu neugierig zu sein, wenn Jemand nicht weiter berichten wollte. Umso beschaulicher und schöner waren Eshas Worte, während sie näher und näher zu ihm glitt. Noch nie war Joya einer Frau so lange so nahe gewesen. Als sie das letzte bisschen zu ihm herüber trieb, wirkte seine Welt beinahe wieder so farbenfroh wie einst, als es noch kein Übel gab, das er zu bewältigen hatte. Schweigsam sah er Esha an und lächelte. Ihre Worte waren betäubend schön. Aber leider so naiv. Freilich war er einst gütig gewesen, aber wie sollte er ihr offenbaren, dass dieser Joya bereits seit Jahren tot war. Und Avicenna nach ihm gesucht? Hatte er nicht nach allen gesucht?
      "Ich bin vVieles", murmelte Joya und seufzte. "Aber kein guter und sanfter Mensch. Ich habe andere Menschen ihrem Schicksal überlassen ohne eine Sekunde zu zögern. Es war mir egal, was mit ihnen geschah."
      Sanft fing er sie ein wenig auf und zog sie näher an sich heran, ohne die Intimitätsgrenze über überspringen. Es wäre vielleicht auch nicht ratsam gewesen, hatte der junge MAnn doch recht wenig Kontakt mit Frauen bisher gehabt. Viel zu einfach hätte sich sein Körper über die Freude ihrer Anwesenheit verraten.
      "Abenteuerlustig?!"; stammelte Joya und riss die Augen auf. Was sollte das bedeuten? Offenbar nichts schlimmes oder intimes, oder? Stattdessen dachtre der junge Mann nach. "Ich finde es eigentlich recht schön hier und nicht von der Hitze der Madrassa zerfressen. Ich hatte ursprünglich nach dem Dorf gestrebt, um ein Metall zu finden. Es soll sich angeblich von Magie formen lassen und ich versuche, es für mich nutzbar zu machen, damit ich im Kampf etwas nützlicher werde..."

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    • Die magische Heilmittelforschung steckte noch in den Kinderschuhen? Das entlockte Jasper einen aufrichtig überraschten Blick. Er hatte erwartet, dass gerade hier mit Avicenna in direkter Umgebung, fast nichts ungelöst bleiben würde. Stattdessen offenbarte man ihm, dass es zu viele Krankheitsbilder gab, die nicht einmal er zu heilen gedachte. Und da war endlich der Augenblick, der Jasper das gesamte Bild erfassen ließ: Das hier war eine Ansammlung von potenziell besonders begabten Menschen, die das beitragen könnten, was dem großen Heiler fehlte. Er sammelte hier an diesem Ort Zauberer, um genau diese Fortschritte zu gewährleisten.
      „Ich werd' versuchen, gezielter so was wie die Korrumption anzugehen“, beschloss er in dem Augenblick als sich Avicenna erhoben und vor ihn gestellt hatte. Wenn es bisher hieß, sie sei unheilbar und er der Beweis gegen diese These, dann konnte er auch davor nicht flüchten. Dafür war es zu wertvoll.
      Er nahm Avicennas Hand an und ließ sich hochziehen. Wirklich zufrieden mit allem war der Junge immer noch nicht, aber er fühlte sich besänftigt. So besänftigt, dass er sich zur Tür schieben ließ und schließlich nickte. „Ja, sicher. Ich wollte Sie auch gar nicht länger aufhalten als nötig.“
      Damit nickte er dem Arkana zu und trat wieder seinen Rückweg an. Noch immer herrschte ein Strudel an Gedanken in seinem Kopf vor, seine Glieder fühlten sich bleiern an. So schwer, dass er in sein Zimmer zurückkehren und erst einmal Pause machen würde. Ganz erholt von der Prüfung hatte er sich noch nicht, und außerdem würde er nun wohl Ruhe bekommen, wenn Morgan ausgeflogen war.
      Morgan... Ungewollt drifteten seine Gedanken ab. Zu Orten, wo sich die blonde Frau jetzt gerade aufhalten mochte. Ob sie schon in dem Gebäude angekommen war und ihre Augen suchend durch den Raum wandern ließ? Oder vielleicht schon nah eines Mannes saß und Blick mit ihm austauschte? Oder gar schon....
      Hart prallte er gegen einen Körper, der praktisch aus dem Nichts aufgetaucht war. Die andere Person stolperte vorwärts und fluchte, mindestens so sehr wie Jasper, der über die Treppenstufen rückwärts viel und sitzen blieb. Erst dann hörte er eine neue Melodie in seinem Kopf, schrill und dissonant.
      „Was macht denn ein Schüler hier?“
      Er blinzelte und sah auf zu einer Frau Ende Zwanzig. Sie war wahnsinnig zart gebaut, wirkte eigentlich eher zerbrechlich als alles andere. Doch ihre stahlgrauen Augen waren so scharf wie ein Skalpell. Ihre wallnusfarbenen Haare liefen zu ihren Spitzen ins Blond über und waren zu einem kurzen, asymmetrischen Bob geschnitten. Ihre Worte waren mindestens genauso scharf gewesen wie ihre Augen, allerdings hielt sie ihm sofort eine Hand hin und half ihm auf.
      Jasper ergriff sie und ließ sich hoch helfen. „Ich war bei Avicenna was fragen wegen der Prüfung heute. Also dürfen hier keine Anfänger sein?“
      „Mit dürfen hat das nichts zu tun. Es ist nur ungewöhnlich, dass ein Neuer den Meister in seinen Privatgemächern aufsucht“, erwiderte die Frau und musterte Jasper nun gänzlich, vielleicht eine Spur zu abfällig. „Ich hab dich hier noch nie gesehen. Neues Jahr?“
      „Äh, ich schätze?“ Irgendwas an dieser Frau warf ihn durcheinander. „Zumindest sind wir die sieben Neuen hier.“
      Die Frau nickte und schickte sich an, die Treppen an Jasper vorbei zu gehen. „Na dann, streng dich mal ein bisschen an.“
      „Klar.“
      Verdutzt sah Jasper der Frau hinterher, wobei ihm erst jetzt auffiel, dass ihre linke Hand in einen Handschuh gehüllt war während es die rechte nicht war. Seltsam, dachte er sich und kehrte ohne weitere Zwischenfälle in sein Zimmer zurück.
      Es sollten nur Minuten sein, die er sich auf sein Bett legte, um Pause zu machen. Doch schnell fielen ihm die Augen zu, als sich sein Körper entspannte und die Regenerationspause einforderte, die er brauchte. Aus dem Dösen wurde ein leichter Schlaf, der sich schlussendlich über Stunden hinweg zog.


      Esha behielt ihr Lächeln bei als Joya sie an ihrem Arm erwischte und noch näher zu sich heran zog. Sie war sich nicht ganz sicher, aber vermutlich hatte sie jetzt keinen Boden mehr unter den Füßen. Selbst wenn, dann wären ihre Füße wohl einfach über den Sand am Grund geschliffen und sie hätte es dennoch nicht bemerkt.
      „Meinst du nicht, du solltest mir überlassen, ob ich dich für gütig halte oder nicht? Mir ist wichtig, wie du mit mir umgehst und ich habe bei dir nicht eine Sekunde lang ein schlechtes Gefühl. Einar dürfte mich nicht so häufig umher tragen.“
      Dafür musste sie lachen, als seine Augen so riesig wurden, dass das Weiß wie zwei Eier auf einem schwarzen Hintergrund prominent aus seinem Gesicht hervorstachen. Eigentlich hatte sie diesen Jasper für den Verklemmten hier gehalten, doch Joya schien mindestens genauso leicht aus der Fassung zu bringen zu sein wie er. Entschuldigend berührte sie mit ihren Fingern seinen Arm, der in ihrer Reichweite war.
      „Im Kampf nützlicher werden? Also willst du aktiv an der Front sein? Hm, dann hätten wir eigentlich Morgan fragen können, ob sie einmal den Blick offen hält. Oder wir gehen eben einen anderen Tag in die Stadt. Du hast mich hierher begleitet, dann komme ich mit in dieses Dorf“, schlug sie vor und drehte ihren Oberkörper von links nach rechts, damit ihre untere Körperhälfte ein bisschen Schwung und Drehung erfuhr. Sie hinterfragte nicht, wieso er sich das Metall ausgesucht hatte. Wieso er kämpfen wollte. Das war eine höchst eigene Entscheidung, die sie nicht hinterfragen würde. Für ihren Teil würde sie nicht freiwillig den Kampf suchen und erst recht nicht in der offenen Konfrontation. Ihre Vergangenheit hatte dafür gesorgt, dass sie sich ohne zu zögern wehren würde, aber das bedeutete nicht, dass sie es gerne tat.
      „Dann verbringen wir hier noch ein bisschen Zeit, kühlen uns ab und kehren dann zeitig wieder zurück. Muss ja niemand wissen, dass wir hier waren, oder? Unser kleines... Geheimnis“, schmunzelte sie.
    • Joya begann sich erst wieder zu entspannen, als das Gespräch wieder in den üblichen Abtausch von Lachen und Reden gewandelt war. Auch wenn Esha sich ihrer Wirkung sicherlich bewusst war, gab der Afrikaner sich alle Mühe nicht durchblicken zu lassen, wie betäubend schön sie war in seinen Augen war. Nicht, weil er es ihr nicht gesagt hätte. Joya wurde offenherzig erzogen, wenn man das so nennen durfte. Was schön war, wurde auch so geheißen. Jedoch gestaltete es sich manchmal nicht einfach, offen darüber zu reden, wenn man die Person ansah.
      Ruhig sah er ihr zu wie sie im Wasser tollte und grinste.
      "Das ist schön, dass du es so siehst", sagte er und sah Esha in die Augen. "Und demnach fühle ich mich geehrt, dich tragen zu dürfen. Sag mir...Was ist eigentlich mit dir und Einar? Du hast ihn eben bereits diese Fragen gestellt und eigentlich dachte ich, dass Einar ein recht ruhiger Vertreter sei. Es gibt etwas was ich dir sagen will..."
      Er wies auf die Steinchen um sie herum.
      "Mit meinen Ohren habe ich neulich ein Gespräch wahrgenommen, als Umar bereits geschlafen hat. Ich habe gedacht, dass er im Schlaf redet, aber es kam woanders her. Also folgte ich dem Geräusch mit meinen Aurafäden und fand meinen Stein bei Einar. Er schläft nicht, weißt du? In dieser Nacht saß er auf seinem Bett und blickte ins Leere. Und die ganze Zeit sprach er mit Jemandem. Ich konnte nicht hören mit wem, aber es war wirklich merkwürdig..."
      Joya zuckte die Achseln um sich selbst ein wenig treiben zu lassen, während er darauf achtete, sie nicht loszulassen.
      "Ich will nicht aktiv an die Front...", murmelte er. "Aber ich möchte nie wieder so hilflos sein wie ich es war. Und es wäre schön mit dir ins Dorf zu gehen. Ich glaube, Morgan war anderweitig beschäftigt...Also..."
      Erneut stach die Röte durch seinen Kopf als er an Morgan und ihre Planungen dachte.
      "Es klingt auf jeden Fall nach einem guten Plan", sagte er grinsend und sah zu Esha. "Einem guten Geheimnis."


      Madrassa - 23:08 Uhr


      Morgan kehrte zur späten Stunde heim.
      Das Haar der jungen Frau war verwuschelt vom Wüstenwind und immer noch befand sich Sand darin, als sie die Stiegen zur Unterkunft empor stieg. Ihr Kaftan war nicht ganz ordentlich zugeknöpft, sodass man einen guten Teil ihres Dekolletees sehen konnte, dass ihr auch heute keinen Beifall eingebracht hätte. Um Männerblicke anzuziehen war sie einfach zu flach, sage man wie es war. Stattdessen hatte sie mit ihrem Mundwerk überzeugen können, jedoch stets zum Vergnügen der anderen. Als Morgan endlich eine Freudenfrau gefunden hatte, die nicht vollständig angeekelt erschien, als sie an ihr hinabsah, hatte sie zumindest bekommen warum sie hinaus gegangen war. Auch wenn ihr vieles bis zu einer wirklichen Befriedigung fehlte. Aber was wollte man von einem Wüstenkaff erwarten? Alles was nicht der Natur gemäß ist, wurde abgestoßen.
      Seufzend stieß sie die Tür zu ihrem gemeinsamen Zimmer mit Jasper auf und fuhr sich elegant durch die Haare. Beinahe hätte sie - aus purer Gewohnheit heraus - ihre Klamotten von sich geworfen um unter die Dusche zu steigen. Erst dann war ihr siedend heiß eingefallen, dass hier noch ein verklemmter junger Mann lebte. Sorgsam trat sie ihre Schuhe von den Füßen und ließ sich lautstark auf das Sofa fallen und sah hinaus in die Schwärze der Nacht. Eine angenehme Kühle legte sich um ihre zuM Teil entblößte Haut und Bilder flammten vor ihrem inneren Auge auf. Bilder eines Jungen, dessen Haar so rot wie Feuer war. Salamander. Die hatten auch rote Haut. Sie hätte ihn Salamander nennen sollen. Erneut kratzte sie sich über die Kopfhaut und seufzte. Es war Zeit, sich eine Dusche zu verpassen.
      Morgen würde es wieder anstrengend aber zumindest für ihre kurzweilige Befriedigung war gesorgt. Und vielleicht ließ sich auch irgendwann ein Mann gegen Geld dazu überreden...
      Grinsend betrat sie das Bad und sah an ihrem nackten Körper hinab, nachdem sie ihre Klamotten abgelegt hatte. Es klang beinahe so, als wäre sie nur wegen des Vögelns hier. Als würde das reichen. Als würde ein läppischer Orgasmus, so gut wie er auch war, die Wut ersticken, die sich einem Schwelbrand gleich in ihr ausbreitete. Jetzt, wo sie sich in dem Spiegel ansah, wirkte ihre Haut fahl und eingefallen. Und ihr Körper noch immer zu drahtig um feminin zu sein. Zumindest in ihren Augen. Und das männlichste an ihr baumelte dort gut sichtbar und prominent herab! Am liebsten würde sie ein Küchenmesser nehmen und...
      Schweigsam betrat sie die Fliesen der Dusche und ließ heißes Wasser herabregnen. Es blieb noch Zeit für die Geißelung...

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    • Jasper war irgendwann aus seinem Dösen erwacht, nachdem er einige Stunden halb wach und halb schlafend in seinem Bett zugebracht hatte. Mühselig hatte er sich aus seinem Bett geschält und sich zum Essen begeben, bevor er gar nichts mehr bekam. Dort fand er niemanden seiner Kommilitonen vor – entweder waren sie noch im Dorf oder vergnügten sich scheinbar anderweitig. Also befüllte er seinen Magen bis dieser genug hatte und schleppte sich dann in sein Zimmer zurück. Er hatte es noch nie sonderlich gut damit gehabt, Anschluss zu finden, und die bereits eingesessenen Grüppchen wirkten nicht besonders einladend auf ihn. Völlig routiniert suchte er in seinem Zimmer in seiner Tasche nach seinen Kopfhörern, ehe ihm einfiel, dass man sie ihm entwendet hatte. Er zog eine Grimasse und ließ sich wieder auf sein Bett fallen. Während sich seine Gedanken zu entfalten gedachten starrte er die Decke an, die irgendwann vor seinen Augen verschwamm und er sich nicht erinnern konnte, schon wieder eingeschlafen zu sein.
      Ein Rumsen riss Jasper erneut aus seinem Schlaf. In seinem Zimmer war es mittlerweile finster geworden und er ruderte einen Moment verwirrt mit seinen Armen, ehe er realisierte, wo er sich befand. Dann erstarrte er und lauschte. Eine Stille machte sich breit, sodass er erst dachte, er habe sich getäuscht. Doch dann hörte er Schritte, vielleicht sogar einen Seufzer, wenn er sich nicht täuschte. Niemand würde einfach so dieses Gemach betreten, außer....
      Jasper rollte sich ungelenk aus dem Bett und stürzte beinahe zum Türrahmen, den er beinahe nicht richtig eingeschätzt hatte. Sein Blick heftete sich sofort auf die Badezimmertür, unter der ein heller Lichtbalken den Blickfang bildete. Alles andere im Wohnzimmer war dunkel, aber es knirschte unter seinen Füßen, als er sich durch den Raum stahl, um sich zu vergewissern, dass sie wirklich wieder da war. Im Dunkel übersah er die Schuhe, die man achtlos in den Raum geworfen hatte, und maulte sich der Länge nach hin. Das meiste fing er mit seinen Armen ab, doch die Ecke vom niedrigen Tisch nahm er dennoch mit und fluchte deutlich auf, als er sich die Seite rieb und wieder aufstand.
      „Scheiße, mann.... Räum doch deine verfickten Schuhe hier weg...“
      Er besah sich den Schuh, der definitiv zu Morgan gehören musste. Also war sie nicht über Nacht weg geblieben. Wobei... wie viel Uhr war es eigentlich? Wie schon am Abend zuvor schlich er sich regelrecht zur Tür des Badezimmers, wieder nicht gewillt, einfach hinein zu stürzen. Stattdessen drückte er sein Ohr gegen das Holz und hörte, wie Wasser rauschte. Also definitiv Morgan....
      „Alles okay?“, rief er laut, wobei das schon fast einem Brüllen nahe kam. „Hast du... eh.... bekommen, was du wolltest?“
    • Das Wasser auf Morgans Haut tat ihr wohl und war Labsal für den geschundenen Geist, der sich selbst verschlang.
      Prasselnd plätscherte es auf ihren Körper und reinige, wo zu reinigen war und sorgte gleichsam mit dem regelmäßigen Trommeln der Tropfen für eine Art Beruhigung, wie sie es nicht für möglich gehalten hatte. Morgan mochte es nicht, lange zu duschen und mit dem alleine zu sein, was sie war. Zu sehr brannten die Erinnerungen an die eine Liebschaft, die sie akzeptiert hatte und zu sehr kochte die Wut in ihr hinauf. Erst mit der Zeit ergab sich ein Muster ihrer Bewegung als sie den Duschhahn abstellte und sich abzutrocknen begann. Sie fühlte sich merkwürdig angreifbar als sie nackt vor dem Spiegel stand und das Handtuch um ihren Leib wickelte. Wütend sah sie in den Spiegel und sah denselben herablassenden Blick wie bei ihrem Bruder. Dasselbe Unverständnis über die eigenen Belange und dieselbe Gier, diesem Unverständnis Herrin zu werden. Was war so schlimm daran, sich verstehen und sein zu wollen, wie man nun einmal war? Was hatte sie der Welt eigentlich getan. Unter ihrem Blick begann eine Ranke am Fenster dichter zu sprießen und sich um die Holzinlets zu wickeln, als griffe sie nach den Sternen, die sie beschienen. Grünlich giftige Dornen stachen aus der Pflanze hervor und tropften höchst ätzendes Gift auf den Sandstein, der sich mit leisem Zischen aufzulösen begann.
      Dies endete erst, als sie Jaspers Stimme hörte und erschrak. Beinahe sofort erstarben die Blumen des Bösen und verendeten in schwarzem Gewand, während sich Morgan zur Tür drehte.
      Hatte sie bekommen was sie wollte? Nein, nicht wirklich. Was sie wollte, war akzeptiert zu werden. Geliebt zu werden. Keinen schäbigen Orgasmus von bezahlten Fachkräften. Was kümmerte sie das?
      Statt einer Antwort riss sie die Tür nach innen auf und sah den heranstolpernden Jasper mit einer hochgezogenen Augenbraue an.
      "Lauschen also, hm?", fragte sie und verschränkte die Arme vor der Brust. Lediglich ein Handtuch um ihren Körper schirmte neugierige Blicke gegen die Nacktheit darunter ab. Auch wenn der Blick der jungen Frau etwas merkwürdig tiefes besaß, schien sie nicht erpicht darauf, es bei Jasper drauf anzulegen.
      Ruhig schüttelte sie den Kopf und drängte sich mit einer leichten Bewegung ihrer Körper an ihm vorbei.
      "Also wirklich", spottete sie. "Ich hätte mehr von dir erwartet, Jas. Es ist alles in bester Ordnung. ich hatte einen tollen Abend und gekriegt was ich wollte. Und du? Was sagt der große Meister?"
      Beinahe grazil ließ sie sich auf einem der Sofas nieder und schlug die Beine gewagt übereinander ehe sie ihn süßlich grinsend ansah.

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    • Es ertönte keine Antwort auf Jaspers Frage. Stattdessen hörte er ganz klar, wie Morgan ihre Aura benutzte. Ihre Melodie erkannte er jetzt deutlich schneller als zuvor, wo sie ihn im Schlaf überrascht hatte. Nebst seinem Ohr lag nun auch eine flache Hand auf dem Holz der Tür. Noch hatte er nicht die Zeit gehabt, das plötzliche Auftauchen der Melodien als etwas Normales einzustufen. Bisher war es für ihn immer schon ein Alarmsignal gewesen, auf das sein Körper eigenmächtig reagierte und sich anspannte. Ging es ihr gut? War alles in Ordnung? Was bekam er nicht mit, was da drinnen vor sich ging?
      Und dann verschwand plötzlich der Widerstand der Tür an seinem Ohr und er verlor das Gleichgewicht. Seine Augen waren zu Monden aufgerissen als er nach vorn ins Bad stolperte und fast in Morgan gerasselt wäre. Die feuchtwarme Luft des Bades trieb ihm mindestens so sehr den Schweiß auf die Stirn wie das, was ihn erwartete. Kaum hatte er seine Füße unter Kontrolle und sein Gleichgewicht zurück, wich er prompt wieder zurück bis er den Türrahmen im Rücken hatte. Abwehrend hatte er die Hände erhoben – eine reine Vorsichtsmaßnahme.
      „Ich hab nach dir gerufen!“, verteidigte er sich vehement, doch sein Verstand wurde abgelenkt, um korrekte Worte und Argumentationen zu finden. Zur Hölle, er war sogar so beschäftigt, dass er nicht einmal nervös wurde.
      Vor ihm stand Morgan nur in einem Handtuch bekleidet. Einem lächerlichen, schmalen Stück Stoff, das auf Mitte ihrer Oberschenkel anfing und knapp unter ihren Schlüsselbeinen aufhörte. So sehr der junge Mann nicht hätte starren wollen; er hatte seine Augen nicht mehr unter Kontrolle. Sie glitten über die aalglatten Schienbeine mit den nicht ganz so zarten Waden empor. Prägten sich die Kontur um ihre Taille ein, die tatsächlich nicht so prominent ausgeprägt war, wie er vermutet hätte. Und dann fiel ihm sofort in die Augen, dass Morgan praktisch keine Oberweite besaß. Er blinzelte. Wenn er das richtig sah, dann war sie fast so flach wie ein Brett. Sein Kopfkino, was er in Bezug auf sie gehabt hatte, zerplatzte mit einem Male zu heißer Luft. Weiter glitten seine Augen über ihre Schlüsselbeine, die Schultern, die Arme, die so aussahen, als könne sie doch ganz gut zupacken. Schlussendlich fiel sein Blick auf diese markante Kinnlinie, die sichtbar geröteten Lippen und dann ihren Augen. All dies spielte sich in aberwitziger Geschwindigkeit ab, sodass kaum eine Pause entstand und Morgan sich einfach an ihm vorbei drängte. Immerhin blockierte er den Weg aus dem Bad, aber konnte sich nicht bewegen. Doch als sie es tat, zuckten seine Finger geistesgegenwärtig. Er wollte sie nicht nur anfassen, er wollte sie am Gehen hindern. Nicht einmal, weil es sein eigenes Bedürfnis war, aber irgendetwas stimmte nicht. Sie wirkte... anders. Aufgewühlt. Wütend? Traurig? Er wusste es nicht. Aber scheinbar musste etwas doch nicht so gut gelaufen sein.
      Wieder einmal ließ Morgan Jasper einfach doof stehen während sie zu einem Sofa stolzierte, sich setzte, und diese gottverdammten langen Beine überschlug. Zwar wünschte es sich Jasper nicht, dass ihr das Handtuch noch höher rutschte, schlucken musste er dennoch.
      „Du hast mich doch gehört.“ Er räusperte sich. Einen Augenblick wusste er nicht, wohin mit sich, dann knippste er das Licht im Bad aus und schloss die Tür. Sofort lag sein Blick wieder auf Morgan und die Trägheit, die der Schlaf mit sich gebracht hatte, war wie weggefegt. „Sein einer Hiwi da hat mich verpetzt. Hat in meinen Sachen gewühlt, als wir nicht hier waren. Sorry nochmal.“
      Ja, sie war nicht unbedingt flachbrüstig. Sie hatte buchstäblich keine Oberweite. Und je länger er so über ihre Gestalt auf dem Sofa sinnierte, umso mehr kam er zu dem Schluss, dass es ihm egal war. In seinen Augen war der Rest einfach nur schön. Scheinbar war er nicht so der Brüste-Typ. War ja nicht so, als säße da gerade ein Typ auf dem Sofa.
      Nun war er es, der ihre Haltung von vorhin nachahmte und die Arme vor der Brsut verschränkte. Er merkte selbst, dass er seinen Blick einfach nicht von ihr nehmen konnte und dass sein Herz ihm bis zum Hals schlug. Was sollte er denn machen, wenn sie sich dazu entschied, das Handtuch fallen zu lassen? Weglaufen? Wer lief denn bitte vor einer Frau weg? Wollte er ihr Selbstbewusstsein komplett vernichten? Und einfach nur starren war auch unangenehm. Und nähern käme Belästigung gleich. Vielleicht sollte er einfach jetzt schon die Flucht ergreifen, bevor er eine Wahl treffen müsste...
      Oder einfach hart das Thema wechseln. „Was war da drin los? Du hast deine Aura eingesetzt. Deswegen fragte ich, ob alles in Ordnung ist. Du wirkst so... aufgewühlt.“ Er begegnete nun offensiv ihrem Blick und bekam bestätigt, was er dachte. „Ich kenn dich echt nicht, aber das sieht nicht nach jemanden aus, der gerade seinen Spaß gehabt hatte.“
    • Jaspers Blicke taten ihr gut. Sie mochte es ungern zugeben, aber der faszinierende Blick eines Mannes, der ihre Konturen beinahe auswendig zu lernen schien, war Balsam für ihre geschundene Seele dieser Tage. Mochte er sie ansehen. Als seine Augen über ihre Oberweite glitzerte, funkelte Morgan mit ihren Augen beinahe wütend auf, wohingehend seine Blicke auf ihrer Hüfte ein angenehmes Ziehen in ihrem Geschlechtsteil verursachte. Ja, sieh mich an, dachte sie süffisant und wollte sich am liebsten entblößen, obgleich es nicht schicklich war. So fasziniert wie sein Blick war und so ohne Vorurteile, hatte sie das Bedürfnis sich Jemandem wie ihm zu zeigen. Auch wenn es nur zwei Sekunden waren musste sie ihre Beine enger zusammendrücken, um ihr Geheimnis nicht durch offensichtliches zu verraten. Das war eine ganz schlechte Situation, in die sie sich gebracht hatte. Eigentlich war Morgan der Meinung, dass die Dienste der jungen Frau für eine Befriedigung ihrerseits zumindest körperlich ausreichten. Nun, ihr Körper war anderer Meinung.
      Seufzend schüttelte sie den Kopf und warf die noch nassen Haare nach hinten.
      "Sachen durchwühlt?", fragte sie zweifelnd nach und legte ihre drahtigen Arme auf der Rückenlehne des Sofas ab. Ein Wunder war es dennoch, dass das Handtuch nicht einen Zentimeter rutschte. Auch wenn nur sie derzeit wusste, dass es da nicht viel außer einer Hühnerbrust und zwei winzigen Brustwarzen zu sehen gab. "Sind ja komische Methoden. Hoffentlich haben die nicht bei allen was durchsucht. Das wäre merkwrüdig..."
      Auf seine letzte Bemerkung hin zog sie eine Augenbraue hinauf und schnaubte. Schlau beobachtet, Süßer, dachte sie bitterlich und dachte an die Abendszenerie zurück. Die Frau die sich an ihrem Unterleib zu schaffen gemacht hatte wie ein Bauarbeiter. Der Anblick war ihr noch immer zuwider. Aber was sollte man machen? Auch wenn Morgan keine Liebe verneinte und keinem Geschlecht einen Vorzug gab, war doch die Dame nicht wirklich gut gewesen in dem was sie tat.
      "Was soll ich sagen...", murmelte sie und seufzte. Er musste ja nicht wissen, dass Männer sie nicht für das sahen was sie war. "Wir sind in einer Wüste. Die Männer bringen es hier einfach nicht. Vielleicht sollte ich das nächste Mal in eine Stadt fahren... Und was die Aura betrifft. Mach dir da keine Sorgen. Ich habe nur etwas ausprobiert und es hat funktioniert. Erzähl mir lieber was du sonst noch gemacht hast. Außer Avicenna bespitzelt. Und mich angestarrt als wäre ich ein Stück Fleisch. Ich meine, es ist ja ganz schmeichelhaft, deinen Sabberfaden am Mund zu sehen, aber vielleicht solltest du deinen Blick mal von meiner Brust und den Hüften lösen, was meinst du? Nur der Schicklichkeit wegen."
      Ein Grinsen umspielte ihr Gesicht und kein Spott stand darin. Sie mochte die Blicke. Sie wollte mehr davon. Eine Art Sucht konnte man dies durchaus nennen, aber sie wollte einmal gesehen werden. Einmal für das was sie war oder sein wollte. Und dieser Junge schaffte es auf merkwürdige Weise zielgenau.
      "Mein Gott, jetzt setz dich schon zu mir. Ich werde schon nicht sämtliche Gerichte einschalten."

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      The more you drag me to hell
    • „Avicenna meinte, dass jeder ein kleines Mittelchen hat, mit dem er sich ablenkt. Da ich weder Drogen nehm noch Alkohol trink, musste es was anderes Stoffliches sein. So sind die daran gegangen. Würde mich also nicht wundern, wenn sie jedem irgendwas weggenommen hatten.“
      Denn sonst wäre es wirklich unfair. Mindestens so unfair wie das Handtuch, das scheinbar der Schwerkraft trotzen konnte. Sie musste es verdammt gut festgesteckt haben, damit es nicht von Dannen rutschte. Und dann breitete sie auch noch so die Arme aus...
      Moment. Sie war enttäuscht von den Nutten? Männlichen Nutten? Hatte sie überhaupt einen Mann gesucht? Man konnte mittlerweile ja alles mögliche hinein interpretieren, aber... Jasper blinzelte als ihm auffiel, dass sie auswich. Ziemlich schlecht sogar, wenn er das so sagen durfte. Trotzdem reichte es aus, um damit Erfolg zu haben, denn sein aufmerksamer Blick löste sich von ihrer Kontur und richtete sich nun vollends auf das Grinsen, das in ihrem Gesicht zu tanzen begonnen hatte.
      „Punkt eins: Ich habe ihn nicht bespitzelt, ich war in seinem Studierzimmer und hab mit ihm gesprochen. Hab ihn gefragt, was das mit meinen Kopfhörern sollte und dann erzählte er mir das. Also nichts hier mit spitzeln“, schnaubte Jasper und stieß sich vom Türrahmen des Badezimmers ab, wo er noch immer gestanden hatte. Er schlenderte langsam zu Morgan herüber, als ob er sich noch nicht ganz sicher wäre, ob er sich setzen wollte oder nicht.
      „Und ich hab dich nicht angestarrt wie ein Stück Fleisch. Ich schau mir halt gerne Schönes an.“ Er wählte seine Worte fahrig und wandte prompt den Kopf zur Seite, als seine Gedanken sich laut äußerten. Zwei Sekunden später saß er auf dem angrenzenden Sofa zu Morgans rechter und zog die nackten Füße auf das Polster. Sein Kaftan, den er nicht abgelegt hatte, verschlang seine Füße regelrecht.
      „Ich hab gepennt. Fast den ganzen Tag“, offenbarte er ihr mit einer Spur Reue in der Stimme. Er hätte so viel mehr mit seiner Freizeit anstellen können, stattdessen kurierte er die Nachwirkungen der Prüfung aus. „Bin's nicht gewohnt, meine Aura so weit auszureizen. Zweimal war ich was essen und dann bin ich hier auf meinem Bett einfach eingepennt. Bis eben gerade. Und jetzt ist mein Schlafrhythmus im Arsch.“
      Er funkelte Morgan aus einem Seitenblick heraus an. Man sah ihm deutlich an, dass ihm etwas auf der Seele brannte, er aber nicht so recht wusste, ob er das einfach fragen oder sagen durfte. Er wägte ab, bis er schließlich eine Waagschale wählte.
      „Kann ich ne ganz blöde Frage stellen? Warst du bei einem Mann oder einer Frau? Also, ich kann mir da halt nichts drunter vorstellen, weißt du?“ Er kratzte sich ein wenig peinlich berührt am Kopf, während sein Blick dann doch unweigerlich wieder über ihre Erscheinung wanderte. „Wenn ich's versuche, dann... hm....“
      Stell ich mir dich vor, wie jemand Fremdes deine makellose Haut entlangstreicht?
      Eine Sekunde später schlug sich Jasper die flache Hand vor die Stirn und murmelte leise unverständliche Worte, die sich allerdings wie Flüche anhörten. Er rutschte auf dem Sofa herum, offensichtlich unzufrieden mit seiner Sitzposition. „Kannst du mir nicht einfach sagen, was du da im Bad ausprobiert hast? Bitte? Damit mein Kopfkino nicht völlig eskaliert?“ Der letzte Satz war mehr in seine Hand gesprochen als alles andere, sein Gesicht bekam schon Farbe, die man im dunklen Raum kaum sehen konnte.