Wolfszeit [Hera + Sachiko]

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    • Wolfszeit [Hera + Sachiko]


      @Hera
      @Sachiko


      X+X+X+X+X+X+X+X+X+X WOLFSZEIT X+X+X+X+X+X+X+X+X+X


      Genre: Fantasy, Drama, Romance







      Nur dieses eine Mal, das konnte doch nicht wehtun, oder? Nathaniel wusste, dass er niemals die Erlaubnis seiner Familie bekommen hätte, wenn er gefragt hätte. Der Schnee stob unter seinen Pfoten auf, als er auf die Hillsbury Bridge zurannte. Nur einmal über die Brücke, dann war der Zaun nicht mehr weit. Einen Tag vor seinem Geburtstag hatte er dieses Jahr die Entscheidung getroffen, dass er einen Blick riskieren konnte. Er war alt genug, stark genug und hatte sich belesen. Was sollte schon schiefgehen? Schon von Weitem sah man die Spitze des gigantischen Weihnachtsbaumes, der den Marktplatz von Three Falls schmückte - zumindest den Marktplatz der Menschen. Auf der anderen Seite - auf seiner Seite - gab es kein Weihnachten. Die wenigsten Außernatürlichen waren gläubig und wenn sie einen Glauben hatten, dann war es nicht der an einen christlichen Gott und dessen Sohn auf Erden. Wozu dann dessen Geburt feiern?
      Die Sonne war schon längst untergegangen an diesem Dezemberabend, was dem weißen Wolf im Schnee eine beinahe perfekte Tarnung verpasste. Als seine Pfoten auf das Holz der alten Brücke trommelten, sah er auch die Lichter näherkommen. Ein ganzes Straßenfest schien es zu geben, die Gerüche hatten schon kilometerweit in der Luft gelegen. Nathaniel roch kandierte Äpfel, er roch Punsch und Krapfen und sie: die Menschen. Es war immer wieder eine Herausforderung, ihnen so nahe zu kommen. Wenn man eine so feine Nase hatte wie ein Wolf, waren Deodorants, Parfüms und all die anderen Pflegeprodukte die pure Qual.
      Vor dem Zaun hatte er gestoppt, erst einmal witternd, ob jemand in der Nähe war, der ihm Probleme bereiten konnte. Trotz der Flut an olfaktorischen Eindrücken schaffte es der weiße Wolf, die Umgebung genau zu scannen und stellte zu seiner Beruhigung fest, dass er alleine war. Kaum hatte er sich zurückverwandelt, biss ihn die Kälte in seine Haut, vor allem die Füße, die im Schnee gänzlich verschwanden. Natürlich hatte Nathaniel vorgesorgt. Die Tasche, die er in Wolfsgestalt um den Hals getragen hatte, baumelte nun an seinem Oberkörper. So schnell er konnte hüllte er sich in die darin mitgebrachte Kleidung. "So, Schritt eins erledigt." Als er sprach, bildete sein Atem frostige Wölkchen in der Luft. Minus Achtzehn Grad Celsius, ein feines Winterwetter, gar keine Frage.
      Er sprang aus dem Stand auf eine Höhe von etwa zwei Metern, wo er sich an das eisige Metall klammerte. Es wäre ja auch zu leicht gewesen, wenn der Schutzzaun an dieser Stelle schon zu Ende gewesen wäre. Aber nein, sein Leben spielte sich hinter Gittern ab, genau wie ein einem Gefängnis. Vier Meter fünfzig maß das Monstrum aus Stahl, das er so schnell wie möglich hochkletterte. Seine Menschengestalt war zum Glück sehr behände, was das anging, was Nathaniel auch seinen kindlichen Abenteuern zuschrieb, die er bis heute nicht sein lassen konnte. Kein Baum, kein Felsen und kein Gewässer waren für ihn zu tief, zu hoch oder zu steil, er eroberte sich immer das Terrain, das er sich in den Kopf gesetzt hatte. Kaum hatte er das oberste Ende erreicht, ließ er noch einmal den Blick schweifen. Wenn er sich vom Zaun entfernte, würde er das Alles nicht mehr sehen, was sich jetzt vor ihm ausbreitete. Die Häuserzüge, die Straßenlaternen, sein Zuhause. "Ab geht's.", keuchte er und sprang auf der anderen Seite hinab. Er war der Freiheit zum Greifen nah, als er den Weg Richtung Markt einschlug.
    • "Alexia! Beeil dich bitte" rief ihre Mutter an der Eingangstüre. Ein letzter Blick in den Spiegel und ein Lächeln aufgesetzt, machte sich die junge Frau auf den Weg und begrüßte ihre Mutter mit einem abwechselnden Küsschen an der Wange. Diese klopfte nur mit dem Zeigefinger auf ihre teuere Uhr am Handgelenk und schüttelte den Kopf. "Wenn du schon alleine wohnst, dann kannst du doch wenigsten pünktlichst draußen stehen, wenn wir dich schon abholen Kind" kam es von der etwas älteren Frau. Alexia zog die Tür hinter sich zu und nickte "Tschuldige Mom" sie nahm ihre Hand und geleitet sie zum Auto. Sie kicherten beide los, als sie sich ansahen. Ihre Mom konnte nie streng mit ihrer Tochter sein und spielte gerne die böse Mutter. Sie stiegen ins Auto und ihr Dad fasste mit seiner Hand hinter sich "Guten Morgen Lexi" er sah in den Rückspiegel zu ihr und schenkte ihr ein Lächeln. "Hi Dad" antwortete sie lieblich und lehnte sich dann zurück um sich anzuschnallen. Heute war shopping Tag und so durfte sich Lexi nicht nur einen Rucksack aussuchen, auch kamen eine silberne Halskette, eine Uhr und ein Mantel mit. Dann gingen sie gemeinsam Mittagessen wo sie sich ausgiebig unterhalten. Lexi wusste wie jedes Jahr, dass dies nur ein Vorwand war, um die Tage an denen sie heilig Abend nicht da waren, auszugleichen. Alexia war ihnen nicht böse deswegen, denn sie wusste, es war für die Familie. Gerade vor heilig Abend, wurden die Lagerräume fasst leer bestellt und so mussten ihre Eltern beide im Unternehmen sein. Ihre Freunde waren mit ihren Familien unterwegs und somit war sie meiste Zeit allein. Doch dieses Mal würde sie den Schritt wagen. Dieses Mal würde sie auf den Markt gehen, was ihre Eltern immer verwehrt hatten. Sie mussten ja nicht wissen, dass sie dort war. Als sie sich verabschiedeten, sah ihr Vater sie eindringlich an. "Lexi, ich weiß du bist alt genug aber du kennst die Regel. Ich weiß der Markt ist eine Verführung aber glaub uns, du verpasst nichts. Du kannst auch hier alles bekommen was es dort gibt. Du musst nur was sagen..." wollte gerade ihr Dad weitersprechen als Alexia eine Hand hob und Lächelete "Dad, ich hab mir schon für heute Abend Popcorn bereitgelegt und einen Film rausgesucht. Es interessiert mich also echt nicht was da abgeht ok?" sagte sie so lässig wie möglich. Dann breitete sich ein zufriedenes Lächeln auch auf ihre Gesichter aus. Gerade als Lexi ausstieg fragte ihre Mom "Welchen Film schaust du dir denn an?" kurz hielt die junge Frau inne und überlegte. "Tätsächlich Liebe" schoss sie wie aus der Pistole. Ihr Vater verdrückte sich ein Lachen und ihre Mom nickte begeistert "Ja das ist wirklich ein toller Film. Viel Spaß Schatz" sie nahm die Tüten aus dem Kofferräum und ging in die Wohnung. Nochmal frisch gemacht und sich die Haare durchgekämmt, zog sie ihren neuen Wintermantel über, eine passende beige Mütze und ihre Kette an. Die Sonne war bereits untergegangen wie immer um diese Zeit und die Brünette packte ihren Rucksack mit ihren Habseeligkeiten ein. Dann machte sich Lexi los.
      Zu Fuß erreichte sie den Markt in 30 Minuten. Schon vorher, roch sie die süße Luft und erblickte das Leuchten der Stände die mit Lichterketten ausgestattet waren. Ihre Augen weiteten sich als sie ankam und das bunte Treiben sah. Kinder aßen kandierten Apfel, aßen gebrannte Mandeln und Zuckerwatte. "Wow" sagte sie mit strahlenden "Kinder"augen. Weihnachtsmusik klang vonüberall und der Duft von Glühwein lag in der Luft. Sie schlenderte durch die Straße und Lächelte, froh darüber, dass sie den Schritt gewagt hatte. Wieso durfte sie nie hierher. Wegen dem ganzen Zucker? Bei dem Gedanken musste sie grinsen. Alexia kaufte sich gebrannte Mandeln und kam dann zu einem großen Christbaum, der wundervoll bunt geschmückt und beleuchtet war. Sie setzte sich auf eine Bank, zog ihre Handschuhe aus und aß mit dem Blick auf dem Baum und das Lauschen der Weihnachtsmusik ihre Mandeln. Was gab es schöneres?
      „Schreibe kurz – und sie werden es lesen.
      Schreibe klar – und sie werden es verstehen.
      Schreibe bildhaft – und sie werden es im Gedächtnis behalten.“
      – Joseph Pulitzer

    • Als er den Marktplatz betrat, war es für Nathaniel, als würde er unter einer Lawine von Eindrücken begraben. Er hatte noch nie in seinem Leben so viele Menschen auf einmal gesehen, geschweigedenn gerochen. Sie tummelten sich wie dick eingepackte Ameisen an den Ständen vorbei, manche sangen, manche tranken Punsch, wieder andere lieferten sich eine Schneeballschlacht am Rande des Getümmels. Und das sollten alles Monster sein? Sie sahen einfach nur glücklich aus, manche auch gestresst, aber im Großen und Ganzen waren das doch nur Leute wie er und seinesgleichen, oder nicht? Kinder auf Karussells, Familien, alte Ehepaare, sie sahen nicht so aus, als hätten sie die Vernichtung anderer Lebewesen im Sinn.
      Nathaniel steckte die Hände in die Jackentaschen und tastete nach dem Bisschen Geld, das er sich für diesen besonderen Anlass zusammengesucht hatte. In seiner Welt gab es nicht viel, was er sich leisten konnte und wollte, aber eines Tages, das hatte sich Nathaniel geschworen, würde er abhauen. Irgendwohin, in eine größere Stadt, vielleicht ein anderes Land. Dorthin, wo Menschen und Außernatürliche im Gleichgewicht lebten. Sein Sparschwein war noch immer recht mager, das College musste auch bezahlt werden, aber für einen spaßigen Abend sollte es reichen, was er sich eingesteckt hatte.
      Der Schmuck des riesigen Weihnachtsbaumes zog ihn besonders an, weil er im Schein der Kerzen und Lichterketten funkelte. "Die Menschen wissen, wie man feiern sollte.", murmelte er. Ein paar Dollar hatte er zusammen, er musste nur noch abwägen, was von diesem schieren Überangebot an Köstlichkeiten dasjenige wäre, das sein Geld am meisten wert war. Während er nachdachte, schlenderte er eine Runde um den schönen Baum herum und studierte die einzelnen Dinge, die ihn schmückten. Getrocknete Orangenscheiben, Schleifen, Holzfiguren, Glaskugeln, künstliche Kerzen - es war eine einzige Pracht. Fast hätte er sich ganz darin verloren, sich jedes Stück einzeln anzusehen, da traf ihn ein Schneeball am Hinterkopf. Nathaniel zuckte zusammen, ohne eine Mütze war das Zeug ganz schön kalt, als es ihm den Nacken herunter bröckelte. Noch bevor er ausmachen konnte, wer für diese Überraschungsattacke zuständig war, hörte er von Weitem erneut das Geräusch eines herannahenden Schneeballs, der allerdings sein Ziel verfehlen würde - und dafür jemand anderes treffen könnte. Nathaniel brauchte nur einen Satz zur Seite zu machen, um sich vor die junge Frau zu stellen, die in Frieden ihre gebratenen Mandeln auf einer Bank essen wollte. Mit Erfolg, der zweite Schneeball landete in seinem Gesicht, quittiert vom Lachen mehrerer Kinder, die sich sogleich schnellen Schrittes vom Acker machten. "Hey! Ihr kleinen Rotzlöffel!" Nathaniel wischte sich einmal übers Gesicht, das jetzt ziemlich nass und ebenso kalt war. "Bei dir alles okay?" Den Kindern nachzujagen brachte eh nichts, sie spielten nur, aber wenigsten war die junge Dame davor bewahrt worden, ihr Essen zu verlieren. Nathaniel grinste sie an.