Eshajori (Sachiko & marquis)

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    • Eshajori (Sachiko & marquis)


      "eshajōri (n.) 'people meet, always part';
      the concept that expresses the idea about the inpermanence of all things,
      that every human relationship will end someday,
      due to the transient nature of life."

      Tatekoshi - eine kleine, fiktive Stadt an der Nordküste Japan's - ist eine Anlaufstelle für viele werdende Musiker. So beheimatet die Stadt nicht nur eine der größten Konzerthallen des ganzen Landes, auch eine der renommiertesten Musik-Universitäten Japan's existiert in der kleinen Stadt. Nicht selten kommt es vor, dass man hier Jemanden trifft, der eine Gitarre oder eine Geige in der Hand hält - sei es, um andere mit den Klängen jener zu verzaubern oder einfach, weil es sich richtig anfühlt.

      Isao ist eine junge Person die schon seit Ewigkeiten in der Stadt lebt - mit Musik aber einfach nichts anfangen kann. Shigeru hingegen ist erst vor kurzem in die Stadt gezogen um dort Musik zu studieren. An einem regnerischen Tag begegnen sich beide Individuen bei einer Bushaltestelle, ohne jedwede Anstalt den Bus wirklich zu nehmen. Isao mit einem Regenschirm in der Hand, Shigeru mit einer Gitarre, die eben noch als Regenschutz missbraucht wurde.

      Wie es der Zufall so will, scheint Isao Shigeru aber nicht das erste Mal zu sehen - und spricht jenen gleich darauf an. Dieser scheint sich allerdings nicht entsinnen zu können, Isao schon einmal gesehen zu haben - und nach einem ausführlichen Gespräch scheint klar, dass Shigeru Isao vergessen zu haben scheint.

      Looking back, it maybe is like the toy carts you rode when you were a kid. But those toy carts could never go beyond the walls of the lawn. We want to follow the rugged concrete road beyond the wall. As we've grown, we've decided to leave behind the toy cart.
    • Der Stoff seiner heutigen Vorlesung lag ihm dann doch eher wie Blei im Magen und die Tatsache, dass er glaubte, dabei wiederum nichts gelernt zu haben, überwog natürlich auch größtenteils wenn er ehrlich war und darüber nachdachte, wie er sich gerade fühlte. Shigeru konnte keineswegs behaupten, dass er sich ausgerechnet so in seiner Haut wohlfühlen würde, oder aber, dass der heutige Tag keine Qual gewesen war. Dennoch, welche Art von Ausweg stand ihm schon zu, wenn er es nicht ein einziges Mal schaffte, sich durchzusetzen? Seine müden Beine sollten ihn nach Hause, oder zumindest bis zur nächsten Haltestelle bringen - so ländlich Tatekoshi an seinen Grenzen auch sein konnte, so offensichtlich wurde es, dass es sich hierbei nicht nur um eine kleine Stadt handelte, sondern um ein sich expandierendes Labyrinth, das mit jeder weiteren, verstrichenen Minute in die Höhe und Breite wuchs, um sich weiterzuentwickeln und ein für alle mal an die eigenen Grenzen zu geraten. Shigeru hasste diesen Ort nicht, allem voran, weil ihn hier Niemand kannte, aber auch, weil er seine Ruhe hatte, wenn er sich auf den Nachhauseweg zu machen wusste. Seine Kommilitonen hatte er teilweise schon kennen und hassen gelernt, so viel stand fest, allerdings gab es doch noch einige von ihnen die bei ihm brillieren wollten - vermutlich, weil der Familienname, den er mit sich durch die Weltgeschichte trug, Bände sprach, an welche er sich keineswegs festbinden wollte. Nun ja, was konnte er auch tun?
      Mit Sack und Pack im Schlepptau - es war nicht mehr als eine Gitarre ohne Koffer und eine Umhängetasche, dieser als Ranzen missbrauchte, verließ er das riesige Gebäude. So alt hier alles sein mochte, so offensichtlich wurde es, dass vielerlei Personen diesen Gedanken nicht geteilt hatten. Der Campus der Universität für angewandte Kunst sollte schon riesig sein, hatte er gehört, aber der Betonklotz mit den abertausenden, ungezählten Fenstern seines eigenen Studienfaches raubte ihm erneut die Sprache, beinahe so, als ob es industrielle Brutalität wäre, die dieses Land brauchte - Shigeru starrte unbeholfen nach oben, ehe ihm ein ungefiltertes Schnauben entkam. Nein, wieso sah er sich hier noch um? Zuhause wartete mehr Arbeit auf ihn, aber auch die Reste von gestern und hoffentlich ein Paket seiner Eltern, die ihrem verwöhnten Sohn keinen Wunsch auszuschlagen wussten, musste er ihn doch nicht einmal aussprechen, um zu bekommen, was er niemals wollte. Wie umwerfend diese symbiotische Beziehung doch sein konnte, wenn man darüber nachdachte und sich dazu entschied, zu glauben, man hätte ihm den goldenen Löffel fünf Meter zu weit in den Rachen geschoben - schon in frühester Kindheit, in welcher er wohl das Spielen eines Kotos perfektionierte, bevor er wusste, wie ein Rad funktionierte oder wie man schwamm. Alleine der Gedanke daran ließ bittere Galle in seinem Hals keimen und sich erheben, doch der gefährlich wirkende, von Wolken umsäumte und liebkoste Himmel bedeutete wohl mehr als nur eine holprige Fahrt in einem Bus, der eigentlich erst gute vier Haltestellen von hier in seine Richtung verlief. Das bedeutete also, er wagte sich nicht nur in das Gebiet einer fremden Universität, sondern auch, dass er zwei Optionen hatte.
      Ohne groß nachzudenken - obwohl Shigeru eher der Denkernatur war - nahm er also die Beine in die Hand und somit einen unbeschreiblich langweiligen Fußweg, der über grauen Gehsteig und kaum fixierte Zierbaumstrukturen an sein Ziel führen sollte. Was, wenn diese Bäume erst groß waren, Schatten warfen und für ein Unmenge an Pollen sorgten? Dann hatte er sich hoffentlich bereits aus Tatekoshi und diesem banalen Studium losgesagt; die Götter schienen seine Entscheidung jedoch zu missbilligen, kaum spürte er den ersten Tropfen auf seiner Nase. Verdammt. Anfangs hatte er noch damit gerechnet, dass es sanft weiter regnen würde, oder aber, der ungewollte Wetterumschwung ebbte ab - natürlich lief heute nichts nach Plan und die Wassermassen brachen binnen Sekunden über ihn herein, so sehr, dass er lediglich die hölzerne Gitarre (bei welcher es sich um eine Requisite der Universität handelte) als Regenschutz missbrauchen musste, um nicht vollkommen durchnässt die nächste Haltestelle zu erreichen. Es fühlten sich wie Jahre an, die vergingen, bis er dem Sekunden-Monsun entkam und sich endlich unter das schützende Vordach einer in den Sechzigern stehengebliebenen Haltestelle retten konnte. Menschenleer war es hier allemal, zumindest bis auf die Gestalt, die die Bank einnahm und wohl mehr Glück hatte, als er. „Würde es dir etwas ausmachen, wenn ich mich zu dir setze?“ Gestatten? Ouchi Shigeru, 24, gleich freundlich und zuvorkommend wie immer. Nur dieses Mal komplett vom Regen geplättet.
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    • IᔕᗩO
      Tage wie dieser waren es, die Isao daran zweifeln ließen, dass es einen Gott gab - oder mehrere, wer wollte da schon kleinlich sein. Er wusste, wenn seine Mutter dieses elendige Papier in die Finger bekam, das er ganz oben in seinen Lederrucksack geknautscht hatte, dann war er einen Kopf kürzer und das konnte er sich bei seiner jetzigen Größe nicht leisten. "Durchgefallen" prangte auf seiner letzten Klausur, was für einen normale Studenten bestimmt kein Problem war, aber für jemanden, dessen Eltern den Studienplatz ihres Kindes für teures Geld eingekauft hatten, konnte das durchaus ein Grund sein, ausnahmsweise die Fassung zu verlieren.
      Seine Eltern hatten es schon lange aufgegeben, Anforderungen an ihn zu stellen und wenn sie es taten, waren es wenigsten welche, deren Hürden so niedrig waren, dass selbst Isao es schaffte, sie zu nehmen, ohne sich dabei das Genick zu brechen. Offenbar war das Thema des Einflusses von Geschwisterrivalitäten der Autorin Mary Shelley auf ihr Werk Frankenstein nicht die Art von Wissen, die sich leicht akquirieren ließ, was sich auch in Isaos unterirdischer Bewertung widerspiegelte. Er hätte sich noch so oft sein zotteliges Haar zerraufen können, es hätte ja doch nichts genützt. Wenn er so weiter machte, würde er exmatrikuliert, egal wie viel Geld seine Familie springen ließ. Bevor er sich aber auf den metaphorischen Weg zur Schlachtbank machte, wollte er noch einmal nachdenken, ganz für sich. Der Bus würde ihn schneller nach Hause bringen, als ihm lieb war und obwohl er einen neongelben Schirm dabei hatte, auf dem ein Smiley mit durchkreuzten Augen prangte, schien ihm die Aussicht auf Regen ebenfalls nicht besonders verheißungsvoll. Manchmal war es schlichtweg Zeit für eine Pause.
      Gerade rechtzeitig hatte es der junge Mann geschafft, sich unter das rettende Dach eines antiquierten Haltestellenhäuschens zu retten, ehe der Platzregen die Straße einige Zentimeter unter Wasser setzte. Er schob seine Sonnenbrille nach oben, vorerst brauchte er sie nicht, und sah den Regentropfen in der Größe von Erdbeeren dabei zu, wie sie beharrlich auf den Asphalt niederprasselten. Wenn es einfach tagelang so regnete, würde die Welt ersaufen, ganz elendig. Isao dachte darüber nach ob es die Physik zulassen würde, dass es einfach immer weiter regnete, aber wahrscheinlich gab es dazu nicht genug Wasser im System der Erde und da der Himmel kein Fass ohne Boden war, blieb auch ein nie versiegender Regen von göttlicher Seite aus. Ein Jammer war das, wenn einfach alle ertränken, müsste man sich auch keine Gedanken um solche profanen Dinge wie Klausuren machen. Beinahe hatte er sich vollkommen in den Fantasien zum Ende der Welt verloren, da wurde Isao jäh aus seinen Träumen gerissen. Das Platschen zweier ausgelatschter Schuhe ließ ihn den Kopf heben, um zu sehen, wer sich erlaubte, seine Ruhe zu stören. Vor ihm stand das, was einem begossenen Pudel wohl am nächsten kam: ein sportlicher, junger Mann in Kleidung, die so aussah als würde sie auch im trockenen Zustand nicht viel hermachen, mit langem, dunklem Haar, das wohl einmal hochgebunden war, bevor der Regen sein Werk getan hatte und einem Gesichtsausdruck, der gut im Lexikon neben den Artikel zum Begriff 'Weltschmerz' gepasst hätte. Isao blinzelte in Zeitlupe, ehe er bemerkte, dass der Fremde etwas gesagt hatte. "Äh... nee, passt schon." Er nahm seinen Rucksack auf den Schoß, um dem armen Kerl Platz zu machen. Aus dem Augenwinkel betrachtete er ihn noch ein wenig. Etwas an ihm, Isao wusste nicht genau was, störte ihn. "Deine Augen.", platzte es schließlich aus ihm heraus. "Die würde ich überall erkennen! Man, wir haben uns echt lange nicht gesehen!"
    • Shigeru
      Womit er gerechnet hatte, konnte er zu diesem Zeitpunkt genau so gut sagen, wie, womit er nicht gerechnet hatte - natürlich wurde keiner gerne vom Regen erschlagen, oder gar von den Strömen der toten Tränen eingeholt, gleichermaßen war ihm allerdings wohlbekannt, dass er solche Situationen vorzuahnen hatte. Nicht nur war der Himmel grau gewesen, als er sich heute morgen aus seiner Wohnung in die schützenden Arme der Bildung gerettet hatte - seine Wetterapp hatte ihm, billig wie immer, verheißungsvoll vorausgesagt, dass es heute ein Gewitter geben würde. Gerade jetzt handelte es sich zwar nur um Regen, aber der Umschwung in andere Gemütszustände des Lebens würde dieser ergraute Himmel auch noch schaffen, zumal er Shigeru selbst überrascht hatte, als hätte eben jener den Verstand verloren und absolut nichts dagegen zu sagen. Wieso musste ausgerechnet über ihn die Sintflut hereinbrechen? Heute hatte man ihm wirklich die falschen Karten für sein Deck des Lebens ausgeteilt - und er spielte halbherzig mit ihnen. Ob er die Requisite föhnen könnte, damit sich das Holz nicht vollends verbog? Besser nicht.
      Gerade, als er glaubte, sein weißhaariger Kumpane war taubstumm, offerierte jener ihm den Platz, nach welchem er schon alsbald verlangt hätte, wenn es nicht anderweitig möglich wäre. "Danke.", murmelte er noch gedankenverloren und ließ sich auf den nun-freien Platz neben dem Fremden sinken, welchen er eigentlich ignorieren wollte, bis der Bus sie beide einholen würde. Selbst seine Schuhe waren nass, seine Socken hatten sich auf mit dem Wasser vollgefressen und jeder Schritt wäre fortan eine Qual, darauf konnte Shigeru Gift nehmen, das wusste er und konnte er nicht verneinen, auch, wenn er sich seinerseits nicht einmal sicher war, ob das nicht alles mit fauler Einbildung im Zusammenhang stand. Seine Gitarre nebst der Bank und doch noch im Trocknen abgestellt, fiel ihm erst jetzt auf, dass seine Haare an seinen Schultern und seinem Gesicht klebten, und dass der Gummi, mit welchem er sie hochgebunden hatte, wohl verloren gegangen war. Sehr toll. Ganz gut. Ein Seufzen überkam ihn, als er das angekündigte Schlamassel nun wirklich durchlebte. Welch Wunder. Ein Ouchi, der verlor? Durchaus möglich. Dennoch dämlich.
      Gerade, als er sich himmelhochjauchzend über seine eigenen Probleme beschweren wollte, wurde er wachgerüttelt und für einen Idioten gehalten - er bemerkte beinahe, wie man ihm einen Strich durch die Rechnung machte und Shigeru konnte nicht anders, als die Augenbraue hochzuziehen und den Blauäugigen anzustarren, als hätte er gerade einen schlechten Witz losgelassen. Überall? War das einer seiner Kommilitonen? Nein, solch ein weißer Haarschopf wäre herausgestochen und abgesehen davon hätte Professor Hirayama ihn alleine deswegen zurechtgewiesen; ein rotes Haar reichte oft, um diesen altersbedingten Trottel auf die Palme zu bringen und ihn in eine Hasstirade über die Verdummung der japanischen Jugend ausbrechen zu lassen. Also, wer war dieser Kerl?
      "Tut mir leid, kennen wir uns?" Blaue Augen, weiße Haare - nicht gerade der typische Japaner, geschweige denn jemand, der an seiner Uni studierte. "Sind wir im selben Kurs? Äh, haben wir uns irgendwo auf einem Event gesehen?", versuchte Shigeru sogleich aus dem Fremden herauszufiltern. Verlegen kratzte er sich dann dabei doch am Hinterkopf - das war jetzt ziemlich peinlich.
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    • IᔕᗩO

      Kaum zu fassen, dass man an einem beliebigen verregneten Tag mitten im Semester an einer Bushaltestelle kurz hinter der Uni einfach den Menschen traf, den man seit etwa acht Jahren nicht gesehen hatte. Isao erinnerte sich lebhaft an den Jungen, der auf seine Mittelschule gegangen war und dessen blaue Augen für die meisten die Sensation schlechthin war. Was das anging hatten sie immer gut zusammen gepasst, auch wenn er selbst deutlich auffälliger aussah als sein Kamerad. Zusammen waren sie beide anders und gemeinsam war man weniger allein, nicht wahr?
      Sie mochten in der jeweiligen Parallelklasse des Anderen gewesen sein und nicht gerade viel Zeit zusammen verbracht haben, aber auf dem Schulhof waren alle Jungen gleich, egal welchen Unterricht sie sonst besuchten und ihr Herz brannte meist nur für Unfug, Raufereien und Sport. Das, was Isao noch immer ein Lächeln ins Gesicht zauberte, waren die Fußballspiele zwischen ihnen und ihren Freunden, die oft bis zum frühen Abend ausuferten, wenn die Sonne bereits langsam den Horizont küsste. Es war schlicht eine ganz eigene Zeit gewesen, eine vor dem Stress um den Abschluss, vor Mädchengeschichten und Teeniedramen, vor Studienplänen und dem Erwachsenwerden, eine unbeschwerte Zeit.
      "Event? Du bist ein echter Knaller." Schallendes Gelächter brach aus dem jungen Mann, dessen Körper schon beinahe im Sitzen hüpfte, weil er diese Frage zum schießen fand. Seine Haarspitzen, die im Gegensatz zu denen Shigerus äußerst trocken und äußerst widerspenstig waren, wippten beim Lachen mit. "Warte, warte, ich helfe dir auf die Sprünge. Aobane Schule im Koto-Distrikt. Du warst in Klasse B und ich in der C. Na? Nichts? Nein? Komm schon, ich war immer der Stürmer beim Fußball und du meistens Torwart, und sogar ein guter." Die Worte sprudelten förmlich aus ihm heraus, auch wenn der Kerl neben Isao so aussah, als würde er lieber mit dem Regen weggespült, als sich diesem Gespräch noch länger auszusetzen. "Dein Name war.. warte... Shin..Shinzo..Shi... ach, ich komme nicht drauf. Und der Nachname..äh... Ouji..Uchi...Uchitani? Meine Güte, ich kriegs nicht mehr zusammen, es ist so lange her. Macht nichts, ich bin's, Harada Isao. Hat deine Familie nicht damals ganz bei uns in der Nähe gewohnt? Wir haben morgens immer die selbe Bahn genommen für die ganzen drei Jahre, aber dann bist du weggezogen." Isao war ganz aus dem Häuschen, was nicht zuletzt daran lag, dass seine Erinnerungen an eine verdammt glückliche Zeit seines Lebens jegliche Sorgen über die verhauene Klausur in den Hintergrund rücken ließen. Viel lieber dachte er daran, wie er mit aufgeschürften Knien oder Grasflecken auf seiner Uniform nach Hause gekommen war. "Waren wir nicht sogar einmal zusammen im Sommercamp für zwei Wochen? Ich erinnere mich dunkel daran, dass du beim Angeln in den See gefallen bist und ich dich wieder rausfischen musste. Da warst du genau so nass wie jetzt. Ah hey, die Gitarre sieht auch nicht so gut aus, die solltest du echt trocken legen, bevor sie größeren Schaden nimmt, oder?"

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    • Shigeru
      Jetzt wurde das Ganze aber interessanter, als es sein sollte. Nicht nur, dass Shigeru sich um Gottes Willen nicht ausmalen konnte, schon jemals vor Beginn seines Studiums einen Fuß in Tatekoshi gesetzt zu haben, oh nein, jetzt wurde er auch noch von einer Traumgestalt des besseren belehrt. Mit einem Mal waren all seine Empfindungen wie im Erdboden verschluckt und der Spross einer wohlbekannten Musikerfamilie wuchs über sein Ziel hinaus und wurde zu einem Weltstar, den man auch hier kannte. Zumindest glaubte er für die ersten, spürbar wenigen Sekunden seiner fortlaufenden Existenz, dass er sich hier zum Affen machte, weil er gerade einen Mann nicht erkannte, der ihm eigentlich wie ein Pfeil in sein Gedächtnis schießen sollte. Kein Ansatz an den Haaren und keine Kontaktlinsen in den Augen; gute Japaner waren die beiden wohl keine, wenn sie aussahen, wie missratene Labor-Ratten, die aus unterschiedlichen Käfigen geflüchtet waren und sich jetzt am gleichen Ort trafen, weil der Bus nun einmal wie das rettende Stück Käse war.
      Als sein angeblicher Bekannter nun also die Futterluke wieder öffnen musste und Shigeru sich nicht helfen konnte - oh, er musste sich eigentlich am Riemen reißen, um das hier nicht gleich in Grund zu Boden stampfen - bemerkte er erst, wie fremd ihm all diese Gedanken vorkamen und die Worte noch dazu. Koto-Distrikt, check. Den gab es nicht nur einmal, aber selbst, wenn, Shigeru an die Saga-Präfektur und Ureshino dachte, so fiel ihm kein Koto-Distrikt ein, den er kennen sollte, geschweige denn eine Aobane-Schule. Waren das nicht allesamt örtliche Namen? Irgendwo gab es dafür eine Haltestelle, die hatte er mehr als einmal sehen dürfen, als seine Eltern ihn an den Höllentoren der Stadt abgestellt hatten und er den Rest des Weges via Bahn bestreiten durfte. Wenigstens lernte er erst danach, dass der Busverkehr hier einigermaßen akzeptabel war und, so sehr er es auch versuchte, diesen Fremden in eine Schublade zu stecken, umso schwerer fiel es ihm. Torwart? Was jetzt? Huh? Shigeru konnte nicht anders, als den Kopf zu schütteln, doch mit der Namensraterei war er dann doch überfordert. Unzufrieden seufzte er - seinen Rücken presste er gegen die Holzwand des modrigen Hüttchens, während er sich selbst ein wenig nach unten sinken ließ, aber immer noch zu Harada ... hochsah. Also war er älter? Hm. Komisch.
      "Hm, nein, sagt mir nichts. Ich meine, ja, ich heiße Ouchi Shigeru, aber ich bin wohl kaum der Einzige mit diesem Namen. Ich bin in der Saga-Präfektur aufgewachsen, nicht hier. Oder ... hm, meinst du den Koto-Distrikt hier?", erkundigte er sich erneut. Ein Glimmstängel käme hier wohl gleich zum Einsatz, wenn das so weitergehen würde. "Freut mich, dich kennenzulernen, Harada ... -senpai? Ja?", versuchte er sich an die Materie heranzutasten. Vorstellen konnte er sich das Alles nicht - auf eine öffentliche Schule war er wohl gegangen, aber jene trug einen anderen Namen. Vielleicht kam die Verwechslung daher?
      Shigeru räusperte sich schließlich. "Du bist dir sicher, dass du nicht die Shiota Junior High im Ureshino-Distrikt meintest?", hinterfragte er ein weiteres Mal mit einem dünnen Lächeln auf den Lippen während der Regen weiterhin sein unaufhörliches Lied weitersang, als wäre es alles, das er hatte. Nun, im Leben war eben nichts ohne Konsequenzen - vielleicht holte ihn das Karma jetzt ein, weil er jemanden wie Isao Harada vergaß. "Sommercamp? Könnte sein ...? Aber an die Haare würde ich mich doch erinnern, außer die sind gefärbt?", erklang die Frage ein wenig unverfröhnt als sein Blick zwischen Isao und der Gitarre hin- und herwanderte. "Schon, aber jetzt bringt das gerade sowieso nichts. Zuhause dann ... warte, See? In einen See bin ich wirklich gefallen!" Da hatte ihn doch kein Isao herausgefischt!
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    • IᔕᗩO

      Als wäre ihr Aufeinandertreffen nicht ohnehin schon filmreif gewesen mit dem mürben alten Holzhäuschen, unter dem sie Schutz suchten und mit dem schweren Regen, der unermüdlich auf alles niederging, war das Gespräch der beiden jungen Männer kein bisschen weniger aufsehenerregend. Während Isao einen Monolog hielt, der seinesgleichen suchte, schien in Shigerus Gehirn eine ganze Armee an Zahnrädchen das Rattern zu beginnen. Man konnte sie beinahe bis nach draußen hören, so angestrengt sah er beim Nachdenken aus. "Saga-Präfektur? Never ever, dann müsstest du einen geheimen Zwilling haben. Hast du doch nicht, oder? Hat man dir eine Hirnwäsche verpasst, als ihr umgezogen seid? Deine Familie war ja immer echt speziell. Du hast doch Koto gespielt, oder? Das fand ich immer so lustig, weil wir eben im Koto-Distrikt zur Schule gegangen sind." Isao boxte den Fremden, den er eindeutig noch immer für seinen alten Schulfreund hielt, sachte gegen die feuchte Schulter, als könnte er damit dessen Erinnerungen wachrütteln.
      Von der Straße stieg Petrichor auf, wie es ihn nur an warmen Tagen geben konnte, wenn der Asphalt im Laufe der Mittagszeit so viel Wärme aufgenommen hatte, dass ein Regenschauer nicht nur die Hitze, sondern auch ein paar Geheimnisse aus ihm herauskitzelte. Dieser Duft nach Regen war himmlisch. Isao schloss die Augen und grinste so breit, dass man ihn bestimmt mit dem Joker hätte verwechseln können, vorausgesetzt seine Haare wären grün und nicht weiß gewesen. "Ouchi Shigeru.. ja, so war das. Aber Harada-senpai? Du kleine Blitzbirne, sag einfach Isao-kun! Ich bin jünger als du, schon vergessen? Ich wurde nur hier in eine andere Klasse gesteckt, weil ich im Ausland schon früher eingeschult wurde. Das eine Jahr in China war wild. Kannst du dich noch an die fette Nähmaschine erinnern, die meine Mutter aus Guangzhou mitgebracht hat? Ich hab ausversehen meinen Ärmel zugenäht, als ich sie dir zeigen wollte und dann steckte ich da fest." Mit jedem weiteren Wort schien die Verwirrung seines Gegenübers zu wachsen und Isaos Selbstbewusstsein geriet ins Schlingern. Er konnte sich doch nicht etwa so geirrt haben? Nein, er erinnerte sich ganz genau an Shigeru, an ihre gemeinsame Kindheit und frühe Jugend. Es war unmöglich, dass... und wenn doch? Wenn seine Familie es nicht gut geheißen hatte? In ferner Erinnerung kamen Bilder hoch, die Isao lieber vergessen hatte. Nicht nur seine Eltern waren einflussreiche Menschen, die Dynastie der Ouchis war noch einmal eine ganz eigene Liga. Soweit er noch wusste, hatten sie konkrete Vorstellungen für ihren Spross gehabt, sie hatten Großes mit Shigeru vor.
      Isao faltete die Hände hinter dem Kopf, um sich an die modrig moosige Wand des Haltestellenhäuschens zu lehnen. "Nein, ich rede wirklich nicht vom Ureshino-Distrikt..", murmelte er. Das wäre viel zu weit weg, vor allem für ihn, den jungen im goldenen Käfig, den man nur für Urlaube oder Bildungsreisen aus seinem Gefängnis befreit hatte. Nach ihrer Zeit in China hatte er nie wieder woanders gelebt als hier in Tatekoshi. Die Stadt konnte ein Segen und ein Fluch sein mit ihrer prestigeträchtigen Musikerszene. Eigentlich war ein Mensch wie Shigeru genau für so einen Ort gemacht. Für Isao ergab es Sinn, man hatte den Jungen, um ihn wieder auf Linie zu bringen, aus der Stadt geschafft, ihn streng umerzogen und nun, da er vernünftig und erwachsen war, wieder an den Punkt verpflanzt, wo man das Beste aus seinem Talent herauskitzeln konnte. Wahrscheinlich passte ein Querulant wie Isao nicht ins schicke Gesamtbild. Shigeru jedoch schien sich zumindest an den See zu erinnern, wenigstens ein bisschen, und Isaos Augen funkelten direkt wieder vor Freude. "Ja siehst du! Und nein du Nuss, ich bin so geboren, genau wie du auch. Wir waren immer die Karotten im Obstkorb, die Außenseiter." Bevor er noch weiter in ihrer vermeintlich gemeinsamen Vergangenheit hätte bohren können, wurde Isao von einem Motorengeräusch unterbrochen, das direkt vor ihnen aufheulte. Er riss seinen Blick von dem jungen Mann los, der schlichtweg verwirrt aussah, und erspähte einen silbernen Sportwagen, der vor der Haltestelle zum Stehen kam. Die Scheibe senkte sich und Isaos älterer Bruder, Yamato, winkte ungeduldig. "Willst du mitfahren? Es regnet ja wie aus Eimern. Falls ja beeil dich, ich sehe den Bus schon da hinten." Isao musste nicht lange überlegen, er liebte den Honda NSX seines Bruders, auch wenn er ihn nur als Beifahrer erleben durfte. Sicher hätte Yamato auch seinem lange verlorenen Freund einen Platz angeboten, aber zwei Sitze waren einer zu wenig, ein Zustand den Isao nur mit einem Schulterzucken quittierte. Shigeru war ohnehin schon pitschnass und der Bus war unterwegs, er würde es überleben.
      "Na gut, das ist mein Stichwort. Hier, melde dich, wenn du dich erinnern willst. Oder auch nicht. Aber wir sehen uns!" Noch während er sprach hatte Isao ein Stück seiner verpatzten Klausur aus dem Rucksack gezerrt, es abgerissen und mit dem Bleistift seine Handynummer darauf notiert, ehe er wie ein Duracellhase aufgesprungen war und rasch auf den Beifahrersitz des Wagens schlüpfte, von dem aus er noch einmal zum Abschied winkte.

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    • Shigeru

      Wäre er noch länger in seinen eigenen Selbstzweifel versunken, so hätte Shigeru sich wohl einen eigenen Turm bauen können - in wahrer Tarot-Masche wäre dieser dann wohl auch kopfüber gestanden, um zu symbolisieren, wie verloren er in dieser Welt eigentlich war und wie tief er noch fallen würde, weil er sich an seinem eigenen Hochmut nach oben, in die Sterne zog. Zum einen war er wohl nicht mehr als ein Witz, in jeder Hinsicht, in jedem Moment seines Lebens, und zum Anderen, nun, wieso sollte er denn nicht behaupten dürfen, an irgendeinem Punkt hier gelebt zu haben? Isao machte wenig Sinn, zumindest für ihn, und die einfache Wahrheit war wohl, dass sie beide viel zu viel Zeit damit verschwendeten, einer Person auf die Schliche kommen zu wollen, die sich einer von ihnen beiden ersponnen hatte. Zu dumm, dass keiner von ihnen beiden durch diesen dämlichen Schleier sah, der ihm gerade aufgesetzt wurde; Shigeru konnte nicht glauben, was er da gerade hörte und zuckte in sich zusammen, als er derart überrascht wurde. Was? Ein leichtes Fiepen überkam ihm und Gänsehaut durchzog seinen durchnässten Körper, als ein Schauer durch ihn jagte. Fremd war diese Berührung doch, aber konnte er es diesem Typen wirklich verübeln?
      "Geheimer Zwilling? Ich bitte dich, das wäre wie aus einem schlechten Fil- Koto?", spuckte er weniger erfreut aus. Seine Augenbrauen zogen sich zusammen und seine Stirn legte sich methodisch in Falten, als er die widerwillig erhaltene Information in seinem Erbsenhirn verarbeitete. Es gab einen Shigeru Ouchi, oder zumindest jemanden, der sich seine Initialen teilte, der in Koto aufgewachsen war. Jemand, der diesen Mann hier kannte und jemand, der sich seine blauen Augen teilte. Zwei Veilchen waren sie jetzt, als sie auf dieser alten, wenigstens nicht morschen Bank saßen und tratschen, als hätten sie über Gott und die Welt zu berichten. Das Problem war allerdings, dass sich diese Zufälle ein wenig zu sehr häuften und Shigeru, der es bei einem Kopfschütteln und freundlichem Nicken belassen wollte, keinen Ausweg mehr fand, als dieser fragwürdige, bleiche Gnom mit dem Gedächtnis von Akira Haraguchi aufwarten wollte. Was war hier wirklich los? Lag er noch Zuhause, in seinem Bett, und überhörte gerade mit Absicht das Klingeln seines penetranten Weckers - oder war er einfach ein Glückspilz der gerade die Lorbeeren eines Fremden in Form einer einst innigen Freundschaft erntete? Falsch war es wirklich nicht, zu behaupten, Isao Harada war ein Bekannter seinerseits, aber wenn er sich schon an jemanden wie ihn entsinnen musste, so wäre es vielleicht doch besser, er täte es nicht an Ort und Stelle, bevor er wiederum in abertausende Emotionen ausbrach, die sich facettenreich auf seinem mürrischen Gesicht widerspiegeln würden. "Isao-kun? Warte, du bist- was? Ah, stimmt!", floss es aus ihm heraus wie ein Strahl unsortierter Gedanken. Irgendwas stank hier doch zum Himmel. War er es? Oder eventuell die Pilzsporen, die sich in dem alten Holz der Haltestelle festgesetzt hatten? Nein, keines von beiden.
      "Warte, meinst du ... das war doch so ein riesiges, blockiges Teil, in schwarz, glaube ich, oder? Auf einer kleinen, dunkelbraunen Tischplatte?", murmelte er ein wenig verlegen. Nun sah er diese Situation aus einer anderen Perspektive, denn an solch eine Nähmaschine und diesen dämlichen Vorfall mit einem Ärmel konnte er sich doch erinnern. Aber war das wirklich bei Isao gewesen? Shigeru konnte sich nicht entsinnen, ob er einen Harada jemals seinen Freund genannt hatte und er glaubte auch nicht, dass seine Mutter derartige Beziehungen geduldet hätte, wenn sie ihn vom Musikunterricht abhielten - allerdings war er hier wohl auf einen Tropfen Gold gestoßen. "Du warst damals auch schon ganz eigen, hältst einfach einen Ärmel unter die Nähmaschine; deine Mutter hat sich sicher darüber gefreut, ich kann mich fast noch an ihr Gesicht erinnern.", behauptete er schließlich und ließ seinen Kopf in den Nacken fallen, bevor er die Augen für auch nur eine verruchte Sekunde schloss - was würde er nur für drei Tage Regenwetter geben? Womöglich mehr als ein paar Erinnerungen, von denen er noch immer bezweifelte, dass sie sein eigen waren. "Huh, nicht von Ureshino, na gut, dann muss ich mich wohl geirrt haben. Kommt vor. Ich werde alt.", bemerkte Shigeru locker aber durchaus spöttisch gegenüber sich selbst. Derartige Zufälle konnten sich nicht wie Steine aufeinander aufbauen und einen schiefen Turm wie den in Pisa bilden, oder? Das hier war einfach zu viel des Guten.
      Gedanklich verließ er seine Seifenblase schließlich, als er zu Isao sah, der ihn wortwörtlich eindringlich anzustarren schien - oder es war die Einbildung, aufgrund der befremdlichen Augenfarbe - und doch saß er keinem bleichen Geist gegenüber, der ihm nun aufzeigen würde, welche Sünden er begangen hatte und wieso er einen Platz als Kotospieler an der Seite Izanamis in der Hölle verdient hatte; oh, ganz und gar nicht. "Du Nuss? Solltest du nicht Respekt vor deinen Älteren haben, du Karottenkopf?", lachte er beherzt und schüttelte alsbald den Kopf. Ihm doch egal, wie man ihn nannte, und wenn er eine Nuss war, dann wäre das eben so. "Nicht mal Tomaten, wie gemein, aber da hast du wohl recht. Ein blaues Auge würde ja schon reichen, aber nein, das sind gleich zwei Paare also vier ganze Augen." Und nicht einmal hatte man sich erlaubt, den Ouchi-Jungen deswegen öffentlich zu schikanieren, sondern lediglich zu meiden. Karotten im Obstkorb traf es ganz gut; sie waren die Nadeln im Heuhaufen, die keiner suchte, aber dennoch jeder fand, weil sie ungefähr so schwer zu übersehen waren, wie ein ganzer Baum auf der Straße. Wunderbar. Bevor er gar noch eine weitere Frage anstimmen konnte, unterbrach man ihn dennoch und ein schelmisches Lächeln lag auf seinen Lippen. Freiheit. Zumindest bis man ihm einen gefährlichen Zettel in seine Patschehändchen drückte und sich verabschiedete. "Das hört sich an wie eine Drohung!", keifte er dem Fremden noch hinterher, aber alsbald war es dann auch zu spät - Shigeru war wieder alleine, an einem Ort, den er weder kannte noch wirklich kennen wollte, und musste sich endlich eingestehen, dass es vielleicht gar nicht so dumm wäre, einen Regenschirm in sein alltägliches Gepäck zu verfrachten.
      Bis der Bus ihn aufgabelte hatte es nicht lange gedauert, sicher, aber das Papierknäuel von Isao hatte er lediglich in seiner Hosentasche verschwinden lassen und sich dann um alles andere gekümmert, so intensiv, dass er es fast mitgewaschen hätte, als er die erste Ladung Wäsche ungeachtet in die Maschine warf. Ein Bad für ihn, eines für seine Kleidung - eine Tasse Tee, ein spätes Mittagessen, ein wenig schlechte Musik auf seiner Koto und schlussendlich die Seele baumeln lassen, während er das Knülchen ignorierte, das er mit einem Magneten an seinen Kühlschrank gehängt hatte, als er relativ forsch nach einer Dose Strong Zero, mit welcher er sich eher mühselig und erschöpft auf seinen kleinen Balkon schleppte und nachdachte. Kannte er diesen Typen wirklich? Unwahrscheinlich. Aber war er sich zu hundert Prozent sicher? Auch fragwürdig.
      Eher ließ er sich alles nochmal durch den Kopf gehen und schlief eine Nacht darüber - aus einer wurden zwei, und aus zwei wurden vier, bevor er bemerkte, dass das Stück Papier so oder so komplett von Wasser zerfressen war; die Hieroglyphen und den eindeutig roten Stift, der in einem Eck zerflossen war, entzifferte er noch gerade so, als er es wagte, endlich eine Nachricht abzutippen, nachdem er dem Fremdling eigentlich auch nicht mehr über den Weg gelaufen war. «Isao Harada-kun?», war die erste Nachricht.
      «Du hast mir dein Testergebnis mitgegeben www» Ihn auszulachen war dann doch nicht so formell.
      Looking back, it maybe is like the toy carts you rode when you were a kid. But those toy carts could never go beyond the walls of the lawn. We want to follow the rugged concrete road beyond the wall. As we've grown, we've decided to leave behind the toy cart.
    • IᔕᗩO

      "Mama, kannst du dich an meinen besten Freund in der Mittelschule erinnern?" Seine Mutter blinzelte, als hätte man sie aus einem wundervollen Traum geweckt und nun einfach herzlos in die graue Realität zurückbefördert, in der sie mit drei von vier Kindern das Abendessen einnahm, während ihr Mann erneut eine Dienstreise vorschob, um nicht Zuhause zu sein und ihr Ältester mit seiner Frau in den Flitterwochen verweilte. Manche Menschen waren dafür gemacht, die Freuden des Mutterdaseins zu genießen, Kayo war es nicht. Sie hatte nur ihre ehelichen Pflichten erfüllt und wartete seit nunmehr zwei, beinahe drei Jahrzehnten darauf, dass sie wieder frei sein konnte.
      "Wovon sprichst du da, Isao? Du hattest eine Menge Freunde. Ich mochte keinen davon." Ihr jüngster Sohn quittierte das mit einem genervten Seufzer, der zusammen mit dem Augenrollen, das er zeigte, für ein neues Internetmeme hätte herhalten können. Yamato und Tsubasa, die zu den Seiten ihrer Mutter saßen, warfen sich einen fragenden Blick zu. "Wie kommst du plötzlich auf sowas?", hakte Kayo Harada noch einmal nach, nun, da sie ihre Essstäbchen beiseite gelegt hatte. Wenn ihr Jüngster mal keine Flausen im Kopf hatte, war es beinahe schon ein Anlass den guten Sake aus dem Schrank zu holen, auch wenn ihr Ehemann nicht da war. "Ich habe heute jemanden getroffen, ich glaube er tut so, als könnte er sich nicht erinnern, aber hey, vielleicht kann er's wirklich nicht. Aus dem Ouchi-Clan." Isao schob seit Minuten das selbe Stück eingelegten Rettich vor sich her, das er auch jetzt nicht in den Mund nahm. Viel lieber dachte er über den Fremden nach, der sich Shigeru Ouchi nannte und ihn offenbar vollkommen vergessen hatte - oder auch nicht.
      "Mit dieser Familie hatten wir nie etwas zu tun, Liebling. Wir mögen ein annehmbares Leben haben, aber diese Leute stehen auf einer anderen Stufe als wir. Warum hätte ihr Sohn sich mit dir herumtreiben sollen?" Der Spott in der Aussage seiner Mutter verdarb Isao endgültig den Appetit. "Weißt du, Mama, manche Menschen sehen hinter die Fassade. Nicht jeder ist so gut darin, sein Leben lang eine Maske aufzusetzen, die der Welt gefällt."
      "Genug jetzt, Isao. Du weißt, dass Mutter keinen Streit am Tisch wünscht." Yamato rieb sich die Stirn, wie so oft, wenn ihn sein kleiner Bruder auf die Palme brachte. Wenn weder Tetsuo noch sein Vater anwesend waren, war er das Familienoberhaupt - eine Aufgabe, die ihm genau so wenig schmeckte, wie dieser verfluchte Rettich, den seine Mutter ausnahmsweise einmal selbst zubereitet hatte. Es war ein Jammer, wenn das Küchenpersonal nicht das Essen zubereitete. "Ich hatte nicht vor zu streiten, ich habe nur in Erinnerungen geschwelgt. Kann sich denn hier wirklich niemand erinnern? Das war der Junge, dem ich zeigen wollte, wie Großmutters Nähmaschne funktioniert. Mein Ärmel musste unter dem Ding rausgeschnitten werden." Tsubasa schien ein Licht aufzugehen. "Ja... an den Vorfall kann ich mich erinnern. Komisch, aber war das ein Ouchi bei dir? Ich dachte das wäre einfach irgendein Kind, das du auf dem Schulhof aufgegabelt hast."

      Egal wie lange er gebohrt hatte, offenbar erinnerte sich absolut niemand daran, dass es Shigeru Ouchi in Isaos Leben gegeben hatte. Die ein oder andere Anekdote wurde einem anderen Schulkameraden zugeschrieben, manche Geschichten sogar seinen Brüdern. Wie konnte es sein, dass sich nicht ein einziger Mensch an die einzig aufrichtige Freundschaft erinnerte, die Isao je geführt hatte - noch nicht einmal der Freund selbst? Der einzige Weg, um absolut sicher zu sein, waren wahrscheinlich Fotos, aber die Familie Harada war keine, die sentimal ihre Alben pflegte, um sie an Feiertagen der buckligen Verwandschaft zu präsentieren. "Was soll's, der meldet sich ja doch nie wieder, der denkt ich bin irre. Hat er auch ein bisschen Recht.", seufzte Isao und lehnte sich, Stunden nach dem Essen, in seinem Bett zurück. Die Klausur, deren Ergebnis er klugerweise mit abgerissen hatte, lunste noch halb aus seinem Rucksack heraus.

      Beinahe hatte er schon vergessen, dass dieses Gespräch im Regen, das im Nachhinein einem Fiebertraum glich, überhaupt existiert hatte. Doch es gab eine Sache, die Isao das Alles wieder sehr viel näher brachte, und das waren die zwei Nachrichten einer unbekannten Nummer, die er nach der Vorlesung auf seinem Handy entdeckte. "Lacht der mich aus? Der lacht mich aus!" Wie ein Rumpelstilzchen hüpfte er auf und ab, was eine Menge kritischer Seitenblicke der Mitstudierenden zur Folge hatte. Der weißhaarige Teufel straffte mit einem Zungenschnalzen die Schultern und tippte eine Antwort. "Shigeru-kun, nicht jeder ist so ein Überflieger wie du ಥ‿ಥ Kaffee in der Mensa?" Die Vermutung lang nahe, dass Shigeru sich ebenfalls auf dem Camous befand, wenn er an diesem verhängnisvollen Tag im Regen an der nächstbesten Bushaltestelle gesessen hatte und wenn man bedachte, dass er ein musikalisches Genie in einer Stadt der Musikfetischisten war. Isao rechnete fest mit einem Nein, aber wer nicht wagte, gewann schließlich auch nie.
    • Shigeru

      Nichts davon machte Sinn. Wieso meldete er sich jetzt auch bei dem Typen? Ouchi Shigeru war keine offene Person, sondern eher auf sich selbst fokussiert, von seinem eigenen Neid eingeholt und von Gedanken zerfressen, die die Hälfte der Zeit keinerlei Sinn ergaben, war er doch eigentlich nur von seinen eigenen Gedanken beirrt. Was hatte er zu verlieren, wenn er falsche Kontakte knüpfte? Keine Ehre, keinen Stolz, keine Zeit - er war doch derjenige, der sich auf das hier einließ, weil er wusste, dass er früher oder später eine Antwort auf alle Fragen erhalten würde, die er hatte, insofern er sein Bestes gab. Nun, zumindest konnte man das glauben, wenn man ein Träumer war, der nicht gerade mit einer Zahnbürste halb im Rachen vor einem Spiegel stand und sich über die Brust kratzte - auf was wartete er? Auf Isaos Antwort? Sicher.
      Scherzhaft war er immer wieder gewesen, vor allem wenn er mit Müh und Not versuchte, Eindruck bei einer Person zu schinden, von der er nicht einmal wusste, ob sie es verdiente. Machte es Sinn, wenn er ausgerechnet jetzt nicht mehr tat, als mit sich selbst zu argumentieren, wieso seine eigenen Entscheidungen seiner endlosen Dummheit entsprangen? Nein. Eher sollte er sich auf sein Ebenbild fokussieren, das ihm mit teilnahmslosen Augen entgegenstarrte und ihm weiß machen wollte, dass er wirklich noch nicht den eigenen Verstand verloren hatte, sondern in seiner eigenen Verrücktheit lebte. Wie war das hier noch gleich? Womöglich würde er sich in der nächsten Aufführung von Alice im Wunderland ja als verrückter Hutmacher gutmachen, aber dafür fehlte ihm wiederum die Theaterexpertise. Ehrlich gesagt verhielt er sich auch ziemlich dumm. Shigerus Stirn legte sich in Falten, als er sich einmal mehr im Spiegel betrachtete und durch seine eigene Verzweiflung schlussendlich doch entschied, den Weg zur Uni anzutreten - was wiederum bedeutete, er durfte sich in Schale werfen und war, auch wenn er umwerfend schön sein konnte, von nicht mehr als seiner eigenen Selbstschmach gebadet. Gewaschen, ja, wach, nein - und in allem Falle nicht darüber erfreut, dass sein einziger Nervenkitzel am heutigen Tage daraus bestand, sich von Professor Mori oder Konsorten piesacken zu lassen.
      Gerade gab er auf, wusste, dass er sich nicht sein Leben lang im Echo seiner heißgeliebten Musik und den entspannenden Tönen, denen er den Saiteninstrumenten entkitzeln konnte, verstecken durfte, doch ein Ouchi war nun einmal das: Kein einfacher Mensch, mit dem Hang zum Hochmut, gefangen im ewigen Netz seiner eigenen Vorfahren, die sich ihren Ruhm und Reichtum nicht durch harte Arbeit sondern angeborenes Talent mitsamt dem goldenen Löffel in die Wiege legen ließen. Verführerisch hatte diese Welt schon immer gerochen, keine Frage, und doch war das Rampenlicht nie das Seine gewesen, als würde es ihn auf den falschen Pfad führen, den es heimtückisch erleuchtete, während er selbst derjenige war, der blind vor Verzweiflung schien.
      Stillschweigend hatte er sich in den Bus gerauft, und eher mühsam auf das Display seines Smartphones gestarrt, als er doch eine Antwort der unbekannten Nummer erhielt. Richtig geraten, also. Schnellen Schrittes änderte er den Fremden in einen Kontakt um, dem er den hübschen Namen "Isao " zuteilte, als hätte der Hase mehr Bedeutung - eher war er als Eselsbrücke für die weiße Haarpracht des Karottenkopfs gedacht, der sie beide als passende Außenseiter deklariert hatte. Hübsch sah das jetzt zwar nicht aus, aber wer würde schon auf sein Handy starren? Shigeru konnte sich nicht entsinnen, in Tatekoshi enge und aufdringliche Freunde zu haben, die hinterfragen würden, wieso er welche Entscheidungen traf. Im Endeffekt war es aber auch egal, denn kaum hatte er sich zu solch einer gewagten Idee entschieden, war es auch schon nicht mehr wirklich wichtig. «Brauchst du Nachhilfe? ʕ ·ᴥ·ʔ », erkundigte er sich schließlich relativ friedvoll - er wollte Isao auch nur ein kleines bisschen necken, mehr war immerhin nicht dahintergesteckt, aber jetzt hatten sie den Salat wohl ohnehin. «Fünf Minuten, dein Senpai lädt dich ein www» War er nicht nett? Da konnte man sich doch noch ein Stück von ihm abschneiden!
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    • IᔕᗩO

      Der Mensch ist ein soziales Wesen, das hatte Isao in der Schule gelernt. Auch wenn in der modernen Welt die zwischenmenschlichen Beziehungen immer weiter litten, sich gar ganz auflösten oder durch ihre Teilnehmer vergiftet wurden: man konnte sich schlussendlich nicht davon befreien, dass man sich irgendwann danach zu sehnen begann.
      Harada Isao, der schrille Vogel, der lautstarke Störenfried, so war er überall bekannt. Es gab Momente in denen er sich wünschte, man würde ihn einmal so sehen, wie er wirklich war. Noch heute Morgen hatte er vor dem Spiegel gestanden, bemüht sein wüstes Haar in geregeltere Bahnen zu kämmen, aber das Chaos, was auch in seinem Kopf herrschte, bahnte sich den Weg durch die Haarwurzeln immer nach außen und sorgte dafür, dass kein Kamm und kein Haargel der Welt einen Nutzen zu haben schienen. Als er noch jünger war, in den Zeiten, an die er sich seit er Ouchi Shigeru getroffen hatte, wieder erinnerte, hatte er manchmal vergessen, wie die Welt über ihn dachte. Damals war er frei und unbeschwert, ein Kind auf dem Weg zum Erwachsenen, noch nicht verdorben.
      Das war es wohl, was ihn so an dieser Angelegenheit haften ließ: der Wunsch danach, dass ihn jemand wieder so sah wie damals. Auch er war doch nur ein Junge mit Träumen, ein Mensch mit Wünschen, die er nicht zu laut aussprach, weil das Familienoberhaupt sonst nur die Fassung verloren hätte. Und war es nicht auch das, was Shigeru und ihn damals verbunden hatte? Der Wunsch, einfach man selbst sein zu können, ohne Zwang und Erwartungen?
      In seiner Fakultät angekommen erwartete ihn das gleiche Spiel wie immer: Bücherstapel aus der Bibliothek holen, in sein Schließfach packen, ein paar davon mit ins Seminar schleppen, den Stift ankauen, während man verzweifelt versucht, Professor Hasegawa zu folgen, der sich mal wieder über Lord Byron in Rage redet, wer könnte es ihm verübeln. Isao war, auch wenn er manchmal versuchte, das abzustellen, ein kleiner Querschläger. Er saß ganz hinten, verdeckt von Menschen, so weit das ging, auch wenn sein weißer Schopf zwischen all den dunklen Haaren wie ein Leuchtfeuer herausstrahlte, und spielte unter dem Tisch an seinem Handy herum. Hier ein Date, da eine Verabredung zum Karaoke, mal wieder ein Post auf LINE und Instagram, das ewige Hamsterrad. Ouchi Shigeru wäre seine Chance gewesen, daraus auszubrechen, oder nicht?
      Nach der Vorlesung schienen die Götter seine stillen Gebete erhört zu haben, denn das iPhone in seiner Hand bimmelte - es waren zwei Nachrichten eingetroffen. Hurra, Abwechslung!
      Nachhilfe? Welche Ahnung hatte ein Ouchi von englischer Literatur? Der Mann lebte doch für seine Musik! "Das will ich sehen wwww~" Im besten Fall hatten sie beide etwas zu lachen, im schlimmsten brachte Isao jemanden zu weinen, das wäre für ihn auch nichs Neues. "Ich warte am Eingang, bis gleich Senpai ʕ◉ᴥ◉ʔ" Offenbar war der Kerl mit dem resting bitch face und dem Outfit das nicht deutlicher schreien konnte "Das ist mir alles egal" wohl doch witziger, als man es auf den ersten Blick erwarten würde. Isao machte sich sofort auf den Weg, diese Chance auf Zerstreuung würde er nicht ausschlagen.
    • Shigeru

      Das Studium in der örtlichen Mülltonne hätte sich sehen lassen können - Shigeru hatte es verschmäht, heute auch nur einen Tropfen Mühe in das große Fass seiner Existenz zu gießen, weswegen die sonst so zerzausten, etwas zu langen Haare locker hochgebunden waren und das weiße, übergroße Shirt mit den halblangen Ärmeln hätte vermutlich eher in eine andere Jahreszeit gepasst, doch daraus machte sich dieser Banause dann doch wieder nichts. Wieso auch? Hier befand er sich nicht unter Menschen, die ihn zwangsweise als einen Ouchi erkannte und hier musste er auch keinem perfiden Vater eine Antwort geben, wenn er danach gefragt wurde, wieso er sich nicht anzog, als wäre jeder Tag seiner Existenz der Beste - der Formellste - den er haben konnte. Gerade stehen, Shigeru. Den Rücken durchstrecken, die Hände nicht in den Hosentaschen vergraben, den Blick nicht auf den Boden richten, sondern die Augen über die Köpfe segeln lassen, damit sein Blick nur die Augen der Würdigen traf. Was für ein Schwachsinn, der ihm da eingebläut worden war. Wieso sollte er tagein und tagaus so aussehen, als hielt er sich für etwas besseres und als würde er sein Studium, seine zukünftige Karriere ernst nehmen können?
      Ein trockenes Lachen entsprang seinen Lippen, bevor er sich beinahe schon ermüdet durch den Campus kämpfte, den er heute gar nicht erst hätte anstreben wollen - viel lieber hätte er sich eine Ausrede gesucht, den Tag damit verbracht, verzweifelt überlegt, wie er das unentschuldigte Fehlen dann doch wieder entschuldigen konnte und, viel wichtiger, wie er Isao vermeiden würde.
      Nichts davon war passiert, denn den Salzwasser-Hai im Frischwasserfischbecken steuerte er geradewegs an, als seine Beine ihn Richtung Mensa trugen. Hatte er denn Lust auf einen Kaffee? Nicht gerade, dennoch, das hatte er seiner neuen-alten Bekanntschaft doch versprochen. Welche zehn Pferde seine mit Blei gefüllten Füße wohl wieder dazu geritten hatten? Eigentlich, ja, da hätte die Welt so schön sein können, aber die Vibration seines Smartphones in seiner Hosentasche riss ihn aus seiner Fantasie. Diese Suppe hatte er sich selbst eingebrockt und jetzt musste er sie auslöffeln, wenn nicht gleich jeden letzten Tropfen aus der Schüssel schlecken - ekelhaft, vor allem, wenn es Noppei war - ugh, Fisch. Weicher, widerlicher Fisch.
      Seine Gedanken verdunkelten sich, während er nach dem weißen Schopf suchte, der ihn vielleicht eher an das gekochte Fleisch eben jenes Fisches erinnerte, den er erst letztens in seiner Suppe widerfand; lästig, ungewollt und doch an eben jenem Ort, an dem man ihn am wenigstens brauchen konnte. Und wie ein Leuchtfeuer, das seit tausenden Jahren brannte, stach er aus der Menge seiner Kommilitonen heraus - eine Antwort zu tippen, das ging sich wohl doch nicht mehr aus.
      "Da bist du.", stellte er mit einem fast schon bedrückten Lächeln fest, als er sich ordentlich aufrichtete. Sein Rücken würde ihm noch Probleme machen, wenn er weiterhin wie ein Greis durch die Gegend schlurfte, und seine allgemeine Frühjahrsmüdigkeit war ein reiner Graus. Reichte das als nächste Ausrede. "Ich habe dich nicht zu lange warten lassen, oder?" Eher nicht, immerhin war er zeitgerecht hier eingetrudelt. "Oder brauchst du nur Aufmunterung, weil du wieder eine Klausur verpatzt hast?", neckte er Isao. Oh, wie freudig.
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    • IᔕᗩO

      War er zu Schulzeiten nur als Eisbärchen in einer Menge von Pandas bekannt, eine seltsame Laune der Natur, hatte man Isao in den heiligen Hallen der Universität noch schneller abgestempelt als einen Fahrschein am Drehkreuz der U-Bahn. Er hatte vom ersten Tag an den Ruf weg, er sei einer dieser verrückten Modenarren, die sich die Haare kaputt färbten, ausgefallen anzogen und sonst nichts auf die Reihe bekamen. Gut, wenn man es nüchtern betrachtete, stimmte zumindest eine Hälfte dieser Beschreibung, aber dafür wie er aussah, konnte Isao nur bedingt etwas. Er hatte sich schon lange dazu entschieden, den Mangel an Pigmenten seines Körpers einfach mit einer maximalistischen Hülle dessen auszugleichen. Auch heute steckte er wieder in einem Ensemble, das nicht gerade dabei behilflich war, sich in der Menge zu verstecken. Sein Kimonocardigan war mit goldenen Seidenfäden bestickt, ebenso wie die Sneaker, die er sich dazu passend hatte einfliegen lassen. Das schwarze Crop top und seine knielangen, ebenso schwarzen Shorts waren da noch das Unauffälligste an ihm. Am meisten jedoch stach seine Sonnenbrille heraus - das heutige Modell hatte rot getönte Gläser.
      "Yo, Senpai. Hätte nicht gedacht, dass du dich hier blicken lässt. Muss wohl mein Glückstag sein?" Auch wenn es ihm nicht egaler sein könnte, wer von ihnen beiden älter, reicher, schöner oder klüger war, hatte Isao einen kleinen Narren daran gefressen, Shigeru als seinen Senpai anzusprechen. Gerade weil dieser wie immer, zumindest gemessen an den zwei Gelegenheiten, an denen sie sich kürzlich gesehen hatten, nicht viel hermachte. Was die Leute wohl dachten, wieso zwei so unterschiedliche Menschen überhaupt miteinander redeten? Nun, man würde es herausfinden müssen, dachte Isao.
      "Das, was du da auf der Rückseite meiner Telefonnummer gesehen hast, war nicht gerade meine Glanzleistung, ja. Das liegt einfach an Kamiyama-Sensei. Ich schwöre, der Alte hasst mich. Oder eigentlich jeden seiner Studenten. Ich mein, diese Anforderungen, die der stellt... nee. Du musst dich wahrscheinlich wenig mit Literatur rumschlagen, eh? Was macht man so den ganzen Tag als Musikstudent?" Beiläufig deutete er auf den Automaten neben ihnen, dessen verheißungsvolles LED-Licht eine ganze Menge an Heißgetränkalternativen präsentierte. "Was willst du? Ich nehme einen Americano denke ich." Die Aussicht auf eine pralle Dosis Koffeein, bevor die Nachmittagsvorlesungen begannen, war himmlisch. Isao schaffte es schon lange nicht mehr, ohne die dunkle Bohnenbrühe über den Tag zu kommen, egal welch anderen lustigen Verlockungen er sich so hingab. Wahrscheinlich war seine Mutter froh, dass er schlussendlich doch lieber bei Kaffee geblieben war, anstatt sich Pillen einzuwerfen. Viele seiner Kommilitonen hielten sich damit in der Prüfungszeit über Wasser, leicht festzustellen an ihren dunklen Augenringen, dem eigenartigen Körpergeruch und der absoluten Verweigerung von Nahrung und Schlaf.
      Lohnte sich so ein Leben? Isao seufzte. Er selbst hatte keine Ahnung, was oder wer er sein wollte, er wusste nur so viel: das war es nicht. Kein Zombie im System, kein Arbeitsesel, der nach ein paar Jahren im Büro zusammenbrach oder sich gar vom Dach stürzte, weil die Welt ihm zu viel wurde.