<<Deep Ocean>> (Notizblock & Nordlicht)

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    • Das Meer. Ein Ort, der so unerforscht war wie die das Universum selbst. Schon immer hatte Francis das Meer fasziniert. Die pechschwarzen Tiefen, alles Leben, welches bis heute ein großes Mytserium war. Niemand konnte genau sagen, welche Lebewesen oder Gefahren am tiefsten Punkt der Erde lauerten. Kein Mensch würde dieses Rätsel so schnell lösen können, denn das Meer war wie eine zweite Welt unter dem Horizont. Den Blick auf die glitzerne Oberfläche des Wasserspiegels gerichtet, schien Francis ihre Gedanken schweifen zu lassen. Der Tag war erst vor wenigen Minuten angebrochen. Der Himmel hatte sich in den wärmsten Farben gezeigt und das Rot wandelte sich allmählich in ein warmes Orange. Der riesige Feuerball erschien immer sichtbarer am Ende des Meeres, auch wenn es kein Ende gab, sah es doch so aus, als würde der Rand des Diamantenspiegels mit dem glühenden Feuerball enden.
      "Hey, Frannie - wo bist du denn mit deinen Gedanken, Süße?", wurde die junge Frau von Abby, ihrer besten Freundin, aus den Gedanken gerissen. Sie wandte den Blick von den unendlichen Weiten des Meeres ab und sah in jene vertrauten Augen, die sie schon seit Kindertagen kannte. Ein Lächeln hatte sich auf die vollen Lippen der dunkelhätutigen Frau gelegt, die ihr typisch krausige afroamerikanische Frisur unter der schönen Haube ihres Taucheranzugs versteckt hatte. "Warte! Lass mich raten... bei Eddy?", fragte sie und zeigte ihre schneeweißen Beißerchen, die durch ihre dunkle Hautfarbe nur noch besser zur Geltung kamen. Ohne ein Zögern wanderte ihr Blick zu dem hübschen, dunkelhaarigen Eddy, der eigentlich Edward Thompson hieß. Er war noch nicht lange ein Teil der Gruppe. Francis hegte immer noch den Verdacht, dass Abby ihn nur angeschleppt hatte, damit sie ihn ihr vorstellen konnte. Und in seinem dunklen Taucheranzug mit den blauen Applikationen, hauteng und im Schein des roten Feuerballes, wirkte er unwiderstehlich attraktiv. Das schelmische Lächeln, welches von tiefen Grübschen auf beiden Wangenseiten begleitet wurde, machte ihn nicht weniger attraktiv, genau wie das lässige nach hinten Streichen seines schulterlangen Haares. Doch Francis schien trotz alledem mehr Augen für das Meer und den Tauchgang zu haben, als für den smarten Mann im Neoprenanzug.
      "Ich konzentriere mich einfach nur darauf, dass wir eine schöne Zeit im Wasser haben. Das ist alles. Sieh' dir bitte den tollen Sonnenaufgang an...", schwelgte Francis in alten Erinnerungen, denn der Sonnenaufgang war schon vor vielen Jahren ein genauso wundervoller Anblick wie am heutigen Morgen. Abby hingegen schien den schönen Edward ansehnlicher zu finden als das Farbenspiel der Natur. Francis sah zu ihrer Freundin, welche ganz gebannt zu dem Schönling sah. Ein leichter Stoß mit dem Ellenbogen in ihre Seite ließ sie aufschrecken.
      "Ja, ja.... toller Sonnenaufgang...", sagte sie halbherzig, was Francis nur mit den Augen rollen ließ.
      Kurz darauf machten sich die insgesamt fünf Freunde auf, um den heutigen Tauchgang in die Tiefen des unerforschten Ozeans zu wagen. Die Freunde bestanden neben Abby, Francis und Edward noch aus Luna und Maxwell. Maxwell war Abbys Bruder. Ein sportlicher junger Mann, angehender Polizist und außerhalb seines anspruchsvollen Jobs der ruhigste der Truppe, und das krasse Gegenteil von der quirligen Abby. Luna war eine alte Schulkameradin von Abby und Francis. Eine ruhige, sehr gewissenhafte junge Frau, für die das Tauchen eine neue Erfahrung war. Stimmen munkelten, dass sie sich in Maxwell verguckt hatte und er auch der einzige Grund war, warum sie die Gruppe überhaupt zum heutigen Tauchgang begleitet hatte. Abby und Francis, die beide erfahrene Taucherinnen waren, hatten Luna über alles informiert, was sie wissen musste.
      "Die Maske sitzt gut? Zieh' mal Luft!", sagte Francis und prüfte zugleich noch, ob sich genug Luft in der Sauerstoffflasche befand. "Sieht alles gut aus", stellte die Braunhaarige, deren langes Haar inzwischen auch unter der schönen, dunklen Haube verschwunden war, fest. Sie legte beide Hände auf Lunas Schulter und sah die junge Frau an, die sichtlich nervös und unsicher wirkte.
      "Du musst das nicht machen, Lu... wir können auch einfach zusammen Essen gehen und du lernst Max so kennen..."
      "Nein... schon okay, Fran. Ich mach das. Ich schaff' das. Und ich mache es nicht nur wegen Max."
      Eine reine Lüge. Natürlich. Aber Francis nickte nur mit einem Lächeln. Schließlich war Luna alt genug, um selbst zu enstscheiden, was sie sich zutraute und was eben nicht.
      "Kann's losgehen?", rief der hochgewachene Max, der schon Startbereit am Rand des Wassers stand und die seichten Wellen seine Fußspitzen förmlich hinein in den dunklen Tiefen lockten.
      "Auf geeeht's!", quietschte Abby, bevor es losging. Eingehüllt in den hauchengen Neoprenanzügen, ihren Tauchermasken, dem lebenswichtigen Sauerstoff und den Schwimmflossen, begaben sie sich hinein in das kühle Nass. Auch noch nach so vielen Jahren, war jeder Ausflug für die Freunde etwas ganz besonderes. Es war wie das Eintauchen in eine andere Welt, die man jedes Mal neu kennenlernte. Und doch war es auch ein gewisses Gefühl des Heimkehrens. Die wunderschönen, bunten Farben der Korallenriffe, die Bewohner des Ozeans, jedes Geschöpf individueller und schöner als das danach. Die großen Schwärme, bestehend aus oft hunderten Tieren, die eine Gemeinschaft boten, sich verstanden ohne Streit und Diskussionen. Als Kind hatte sich Francis oft gewünscht, im Meer zu leben. Eine Meerjungfrau zu sein und im Einklang dieser fantastischen Welt, die Sorgen des Alltags hinter sich zu lassen. Zwar wurde ihr dieser Wunsch nie gewährt, aber für sie war das Tauchen zumindest ein erfüllender Besuch, den sie voller Demut schätzte.
      Die Freunde blieben für gewöhnlich dicht beeinander, um sich Sicherheit zu bieten. Besonders auf Luna, die heute ihren ersten Tiefgang hatte, passten sie auf. Das Kommunizieren funktionierte, wenn die Freunde dicht genug beeinander waren, darum blieben Abby und Francis an der Seite der blondhaarigen Frau, welche die für sie unendeckte Welt voller Staunen bewunderte. Urplötzlich aber zog ein Schwarm Fische in Windeseile an ihnen vorbei, was die Freunde in jene Richtung blicken ließ, aus der die Fische geschwommen kamen. Kurz darauf zeigte sich auch der Grund dafür: ein riesiger Hai steuerte auf die Gruppe zu. Eilig sah sich Francis um. Luna und Abby waren bei ihr, Edward etwas entfernt, aber in Sichtweite. Und Max...?
      "Wo ist Max!?", fragte Abby, die ebenfalls bemerkt hatte, dass ihr Bruder nicht zu sehen war. Es war nicht untypisch, dass er, der der erfahrenste Taucher von ihnen war, auf alleinige Streifzüge ging.
      "I-Ist das ein H-Hai!?", fragte Luna mit zitternder Stimme. Das Blau ihrer Augen weit aufgerissen, wollte sie fluchtartig zur Oberfläche.
      "Ganz ruhig!", hielt sie aber Francis am Arm fest. "Bleib ganz ruhig, normalerweise sind sie frie-", doch ihre Worte wurden unterbrochen, als sie bemerkte, dass der Hai von einem roten Schleier begleitet wurde und etwas neben ihm trieb. War das Max!?

      Muttersein ist eine Liebesgeschichte, die niemals endet.

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    • ''Es ruft. Jetzt?'' Die Ungläubigkeit in der Stimme des Wächters war genau so deutlich heraus zu hören, wie die verschränkten, dicken Arme vor der Brust verrieten, dass er absolut dagegen war. Natürlich war Adyn bewusst, dass nichts von dem, was sein Körper signalisierte oder seine Worte ausdrückten, den Prinzen davon abhalten würden - abhalten konnten - dem Ruf des Meeres zu folgen. Dennoch war der Zeitpunkt ein wirklich mehr als miserabler.
      ''Ich weiß! Ich finde das auch doof! Schließlich habe ich für morgen einen Ball organisiert, zu dem sehr wichtige Gäste eingeladen wurden! Ich finde es also auch mehr als ärgerlich..'', seufzte der junge Prinz Arian mit leicht aufgeplusterten Bäckchen und prallen Schmolllippen. Die Erscheinung des Prinzen - seine Größe, seine Muskeln - hätte eigentlich jeden darauf schließen lassen, dass er ein verantwortungsbewusster, mächtiger Thronfolger war. Eben das hatte sich der König damals womöglich auch erhofft. Doch Arian war nicht so. Ein gewisses Pflichtbewusstsein war zwar schon tief in ihm verankert, doch da vor ihm erst all seine Schwestern kamen, ehe ein Anliegen oder Problem bis zu ihm hindurch kam, ruhte er sich sehr gerne darauf aus, das Schlusslicht der Kette zu sein. Wäre da nicht dieser Instinkt in ihm gewesen, der unausweichlich war, der Ruf des Meeres, dann wären die einzigen 'königlichen' Handlungen Arians gewesen, dass er Einladungen mit dem königlichem Siegel verschickte, um andere Adelige und Königliche einzuladen mit ihm zu feiern und zu leben.
      ''Es wäre ohnehin kaum jemand gekommen, wie auch das letzte Mal schon. Vor vier Tagen!'' Adyn legte seine Stirn in genervte Falten und stieß ein schweres Seufzen aus. ''Im Gegensatz zu dir, sind der König und die Königin nicht zum Spaß erneut auf Reisen. Etwas-''
      ''-etwas gaaaanz Böses, Schlimmes, Finsteres braut sich zusammen. Ja, ja! Ich kenne diese Leier schon zu gut von meiner Schwester, komm du mir jetzt nicht auch noch damit an!'' Damit meinte Arian seine älteste Schwester, Kailani. Er liebte sie - er liebte alle seine Schwestern - wirklich sehr, doch die meiste Zeit war er einfach nur glücklich und froh darüber, dass sie sehr beschäftigt damit war die Stellung für ihren Vater zu halten und all dem nachzugehen, dem Arian geschickt auswich.
      ''Einen weiteren Tag mit diesem ohrenbetäubendem Gedudel und dem aufgesetzten Theaterspiel hätte ich ohnehin nicht ertragen können'', merkte Adyn beiläufig an, als er sich von der Wand abstützte und am Prinzen vorbei ging, in Richtung der großen Tür, die aus seinem Gemach hinaus führte.
      ''Hey! Das sind feinste Muschelhörner und edle Saiten-'' Arian erstickte den Rest des Satzes im Keim. Denn nur zu gut wusste er, wie wenig Adyn sich dafür interessierte. Was machte es dann für einen Sinn die Schönheit und die Ästhetik des Klangs eines Musikinstruments zu erklären? Richtig. Gar keinen. ''Man nennt das Musik, du Kulturbanause!'', rief er seinem Wächtern dennoch hinterher, als auch schon direkt der nächste Gedanken durch seinen Kopf schoss. ''Wohin gehst du jetzt überhaupt?''
      ''Ich bereite alles für die Abreise vor und schließe dein Zimmer ab, damit du dich ausruhst, bis wir los müssen.''
      ''Moment, was? Das wagst du nicht! Adyn!'' Die Flosse des jungen Prinzen wirbelte wuchtig durch das Wasser und beförderte ihn in Windeseile zur Tür. Doch vergebens, denn diese war bereits verriegelt. ''Du kannst das doch nicht schon wieder machen! Wie oft denn noch?! Adyn! Adyn, hörst du mich? Bist du noch da? Hallo?!'' Und natürlich hörte Adyn seinen Schützling, er hörte ihn sogar sehr gut. Zu gut. Sein kleiner Finger wanderte in seine Ohrmuschel und massierte sanft das geschädigte Gehör. Dennoch lag ein amüsiertes feines Grinsen auf seinen Mundwinkel, das vielleicht etwas mit dem Gedanken zu tun hatte, dass Adyn lieber das Geschrei des Prinzen über sich ergehen ließ, als seinen Gesang... Und außerdem waren seine Worte nicht gelogen gewesen. Bis der Drang des Prinzen unausweichlich würde, hatte Adyn noch genug Zeit, um die Reise vorzubereiten und damit zum größten Teil sich selbst. Dazu gehörte ganz weit oben auf der Liste, mit einigen Seeungeheuern und anderen wilden Meeresbewohnern in Kontakt zu treten und sich von ihnen Informationen zu beschaffen, wie es in der Finsternis der Tiefen momentan aussah. Waren Anomalien aufgetreten? Oder gar Gefahren? Was mit Sicherheit zu sagen war, war, dass seit Kurzem verdächtig viele 'Wilde' die Nähe des Königreichs suchten. Damit verbreiteten sie Angst und Schrecken, ihr einziges Ziel, das sie verfolgten. Viele, viele, viele solcher Fälle wurden im ganzen Ozean gemeldet. Deswegen war Adyn doch recht erstaunt darüber, dass der Prinz ausgerechnet jetzt gerufen wurde, wo es bei dem Rest der Königsfamilie in letzte Zeit recht ruhig geworden war. Doch ein Ruf, blieb ein Ruf. Doch Sorgen waren ihm nach wie vor fern. Adyn wusste, dass er in der Lage dazu war, den Prinzen heil wieder nach Hause zurück zu bringen. Sein Problem war ein Anderes: Prinz Arian war ein verdammter Unruhestifter, der scheinbar jedes Mal, wenn er die Grenzen des Königreichs hinter sich ließ, Blut leckte und den Drang nach Freiheit verspürte. In Arians Fall hieß Freiheit, sich in jede Gefahr zu begebene, die existierte, sei sie noch so versteckt!
    • "Max! Maaaax!", hörte man die verzweifelten Rufe von Abby hinter ihrer Maske. Erfüllt von Angst waren die Rufe und Schreie nach ihrem Bruder. Es stellte sich schnell heraus, dass es seine abgetrennten Gliedmaßen waren, die in dem blutigen Nebel neben dem riesigen weißen Hai trieben. Fassungslosigkeit machte sich breit, doch es war keine Zeit. Schnellstens mussten sie hier verschwinden! Francis griff Abby am Arm, Luna war völlig in ihrer Angststarre gefangen.
      "Nein, nein, nein!", schrie die dunkelhätige Frau immer und immer und immer wieder. Der schöne Edward war inzwischen zu den Frauen geschwommen. Blitzschnell und gekonnt schwang er sich mit den großen Schwimmflossen zu den drei Frauen durch das düstere Blau hindurch. Es machte den Anschein all seien alle bunten Farben dieser schier unvergleichlich schönen Welt ummantelt von einem grauen Schleier. Edward griff Luna am Arm, die panisch viel zu viel Luft einzog. Man konnte unter dem engen Neoprenanzug sehen, wie schnell ihr Herz schlug, achtete man genau darauf. Sie waren einige Meter in der Tiefe und der Hai schwamm mit seiner riesige Rückenflosse und dem mächtigen Gebiss rasant auf die kleine Gruppe zu. Dass solch ein massiges Geschöpf solch eine Schnelligkeit erreichen konnte, konnte man sich nicht vorstellen, hatte man nie eine Begegnung mit dieser Art gemacht. Kurz nach dem Raubtier folgte ein zweites, etwas kleineres, aber nicht wenier Angst einflößendes Exemplar. Daraufhin ein Drittes - wohl das größte der Tiere. Sein Körper wies viele Narben auf, seine Schwanzflosse war ebenfalls schwer gezeichnet. Sie umkreisten die Gruppe, bevor der Kleinste sie aus dem Nichts attakierte. Die Gruppe teilte sich. Während sich Luna panisch aus Edwards Griff befreite und zur Wasseroberfläche schwamm - wenig gekonnt und damit viel zu langsam, um dem Haiangriff entkommen zu können. Francis hatte ihre Freundinnen aus den Augen verloren. Kurz darauf auch Edward, der hinter einem großen Steingebilde verschwunden war.
      "Shit!", fluchte Francis. Schnell wie ein Blitz schwamm sie durchs Wasser, doch das größte Exemplar folgte ihr. Sie konnte sich gerade in ein höhlenartiges Gebilde retten, während die riesigen Zähne des Weißen immer wieder nach ihr schnappten. Dann hörte sie Rufe. Ähnlich wie die eines Wals. Melodisch und ohrenbetäubend laut. Der Hai ließ ab und plötzlich: zog er ab. Eine gefühlte Ewigkeit saß Francis in der kleinen Höhle, in der sie gerade so geduckt Platz fand. Irgendwann, zwischen Adrenalin und Spannung gefangen, bemerkte sie, dass sie Sauerstoff verlor. Wieder fluchte sie. Schnell musste die Braunhaarige zur Wasseroberfläche, bevor der Sauerstoff ihr komplett ausging. Die Sauerstofflasche musste defekt sein, vielleicht hatte der Schlauch einen Riss. Zur Analyse hatte sie nun aber keine Zeit.

      Ganz langsam tastete sie sich aus der Höhle, als sie ihren Augen nicht traute. Ein mächtiges Geschöpf - sie konnte es mit keinem Wort beschreiben - hatte sich vor ihr aufgetürmt wie eine unüberwindbare Mauer. Es sah aus wie ein Wesen aus der alten Mythologie. So etwas wie Loch Ness vielleicht. Francis kannte sich mit dem Meer und seinen Bewohnern gut aus. Doch keine Spezies, die ihr bekannt war, glich diesem Geschöpf nur ansatzweise. Es war riesig, wirkte wie ein Urzeit-Monster. Träumte sie? Das Wesen, dass in keinem Wissensbuch zu finden war, blickte auf die junge Frau herab. Wieder ein Ruf, ähnlich wie der eines Buckelwals. Weder einer der Haie noch einer ihrer Freunde war zu sehen. Nur dieses atemberaubende Etwas.
      Francis bekam derweil immer weniger Luft und merkte, dass sie es nicht bis zur Wasseroberfläche schaffen würde. Das Wesen schwamm langsam auf sie zu. Es war die letzte Erinnerung, bevor sich alles um sie herum in Schwärze hüllte.

      Es war Nerena, eine der Wächterinnen und eine Nysete. Ein mächtiges Seeungeheuer, welches so unbekannt war, dass in keinem Geschichtsbuch von ihrer Art erzählt wurde. Die wenigen Nyseten, die es in den Tiefen des Meeres noch zu finden gab, lebten für gewöhnlich verborgen in Höhlen, am tiefsten Punkt der Erde: dem Marianengraben. Gesichtet von Menschenaugen wurde dieses Geschöpf noch nie. Demzufolge gab es zu ihnen keine Berichte. Nerena hatte seit Jahrhunderten keinen Ihresgleichen mehr gesehen, aber die Stimmen des Meeres behaupteten, dass diese Art noch nicht gänzlich ausgestorben sei.
      Nerena schwebte federleicht auf den Palast zu. In ihren Armen trug sie die junge Frau im Taucheranzug, die nur noch von dem wenigen Rest des Sauerstoffs am Leben gehalten wurde. Vor dem Palast traf sie auf Adyn. Der König und die Königin waren auf Reisen. Kailani, die die Thronfolgerin werden sollte, würde ihren Vater, der selbst einer der Wächter war, unerwarteterweise der Tod ereilen. Die wortkarge Nerena zog ihr langes, graues Haar weit hinter sich, während sie statt mit einer Schwimmflose durch die Weiten des Ozeans schwamm, auf zwei Beinen unterwegs war. Sie war klein, ihre Haut fahlweiß. Über ihren Augen lag stets ein milchiger Schleier. Sie konnte sehr schlecht sehen, hatte dafür aber einen ausgezeichneten Geruchssinn. Ganz im Gegensatz zu ihrer anderen Gestalt schien ihre menschliche zerbrechlich und schwach, auch wenn der Schein trügte. Mit typischer ernster, gequälter Miene schaute sie drein, als sie sich dem Wächter des Prinzen näherte.

      Muttersein ist eine Liebesgeschichte, die niemals endet.
    • Was anfangs echte Maßnahmen waren, damit der junge naive Prinz nicht unbedacht aus dem Palast stürmte, um seinem Ruf zu folgen, wurde mit den Jahren zu einer besonderen Art Training. Natürlich hegte Adyn dabei stets eine kleine Absicht der Belustigung für sich, wenn er den Prinzen mit einer Barriere in seinem Gemach einsperrte, doch die wirkliche Absicht dabei war, zu beobachten, wie lange er brauchte, um sich zu befreien. Und heute hatte Adyns Schützling seinen Rekord aufgestellt. Eine gute, wie auch schlechte Neuigkeit. Zweiteres bedeutete nämlich, dass Adyn ihn nun aufgabeln musste. Und auch wenn er sich schon genau denken konnte, wo er die Suche anfangen musste, so gehörte das sicherlich nicht zu seinen Lieblingsbeschäftigungen.
      Er hatte sich bereits auf den Weg begeben den Palast durch die große Eingangshalle zu verlassen, als er das erste Mal aufgehalten wurde. Man berichtete ihm, dass es offenbar einen erneuten Angriff auf die Menschen gegeben hatte - damit war es in nur sechs Monaten schon der vierte. Die Wilden wagten sich immer mehr an die Wasseroberfläche und das sollte nicht nur den Menschen gefährlich werden, sondern konnte es auch durchaus für die verborgene Unterwasserwelt sein.
      ''Konnten die Angreifer bereits identifiziert werden?'', fragte der Wächter, doch aus dem Augenwinkel vernahm er hinter seinem Gegenüber eine im Gegensatz zu ihm kleine Gestalt, die auf ihn zukam. Seine Augen wurden ganz groß und jegliches Verständnis radierte sich aus seinen Gesichtszügen. Da hatte er sich schon an seinem Diener vorbei gedrungen und lief Nerena mit großen Schritten entgegen.
      ''Was hast du getan..?'', fragte er. Adyn war um einiges größer gewachsen als die Wächterin in ihrer menschlichen Gestalt und musste deshalb tief nach unten blicken. Doch seine Augen rutschten noch tiefer, denn der Ursprung seiner Frage und dem Unmut in seinem Unterton befand sich auf Nerenas Armen. ''Was hast du dir nur dabei gedacht?!'', fragte er erneut, diesmal jedoch mit deutlich mehr Nachdruck in der Stimme und einem darauf gefolgten scharfen Blick - wenn dieser auch nur kurz andauerte, ehe er wieder zurück auf den Menschen sprang. Eine Menschenfrau. Hier. Im Palast. So tief unter Wasser, dass es unmöglich sein konnte, dass sie noch lebte. Völlig unmöglich. Der Druck hier war nicht für Menschen geeignet und keine Sauerstoffflasche der Welt hätte genug Sauerstoff gehabt, um bis hier hin zu reichen. Trotz seiner gestellten Fragen, wartete Adyn die Antwort nicht ab, sondern drehte sich rasch seinem Diener zu und gab ihm knappe Anweisungen, woraufhin dieser auch schon los eilte. Er selbst packte Nerena am Arm und zog sie schnell hinter sich, so schnell, dass sie mit ihren kurzen Beinen kaum hinterher kam und immer wieder stolperte. Doch sie schaffte es ohne hinzufallen in Adyns Gemach und ohne die Menschenfrau fallen gelassen zu haben. Adyn verriegelte seine Tür und wandte sich erneut der Wächterin zu.
      ''Was in Namen des Königs und des Ozeans... Nerena hat dich die Einsamkeit jetzt völlig wahnsinnig gemacht?!'', Adyns Stimme war deutlich anzuhören, wie erbost er war - und besorgt. Ein Mensch in Asyka.... Das war unmöglich! Einfach unvorstellbar! Und absolut nicht erlaubt! Verdammt! Der König war nicht da und aufgrund des Rufes seines Schützlings würde Adyn demnächst ebenfalls aufbrechen. Es gefiel ihm überhaupt nicht mit dem Wissen abzureisen, dass ein Mensch es nach Asyka geschaft hatte und was daraufhin alles noch folgen würde. Aber.. ja, vielleicht musste er sich erst keine so großen Gedanken machen.
      ''Ist sie tot?'' Adyn war mit der menschlichen Zivilisation vertraut, unteranderem auch deswegen, weil er dieser selbst in gewissen Abständen beiwohnte. Er wusste also, was ein Taucheranzug war und das ganze Equipment drum herum, aber vor allem wofür es gedacht war: um unter Wasser atmen und somit leben zu können. Doch die Sauerstoffmaske gab keine Geräusche mehr von sich. Und das bedeutete schlichtweg, dass kein Sauerstoff mehr in der Flasche war. Dennoch beschlug die Maske... Adyns Frage war somit beantwortet und warf gleichzeitig tausend neue Fragen auf.
    • Nerena folgte Adyn, denn sie hatte auch keine andere Wahl. Ihr zierlicher, fahlweißer Arm wurde von der kräftigen Hand des wesentlich größeren Kriegers völlig ummantelt, während er sie mit sich zog. Unbeobachtet schafften sie es bis zu Adyns Gemach. So blieb auch die Frau, die die zierliche Person auf ihrem Arm trug, geschützt vor den Blicken der Wächter, die hier regelmäßig Partrouille liefen. Gerade wenn der König und seine Gemahlin den Palast verließen, so wie auch an diesem Tag, wurde verstärkt darauf geachtet, dass niemand ungefragt die Palastpforten durchquerte. Doch niemand der Männer und Frauen, die für den Schutz des Palastes und somit auch für die Königsfamilie verantwortlich waren, rechneten damit, dass es ausgerechnet eine der fünf sagenumwobenen Wächterinnen war, die dem puren Unheil Einlass gewährte. Zumindest, wenn man den Schreckensgeschichten der Meeresbewohner Glauben schenken wollte, waren die Menschen die Spezies, die das Ende Asyks bedeuteten.
      Adyn schloss eilig die Tür hinter sich. Das Zimmer des Wächters war so prachtvoll wie jedes andere im Königspalast. Das Bett war mit Muschelelementen verziert und von dem großen Fenster aus, welches schlicht ein Loch im Mauerwerk war, dessen Ränder von Moos bewachsen waren, konnte man einen prachtvollen Ausblick in die wundersame Unterwasserwelt genießen. Die bunten Korallen, die Vielfalt der Meeresbewohner. Niemals konnte die Welt der Menschen mit Asyk mithalten, fragte man deren Bewohner.
      Während Adyn aufgebracht darüber schien, dass Nerena ausgerechnet eine Menschenfrau mit in den Palast gebracht hatte, war die wunderschöne Nysete mit dem langen grauen Haar und den von einem Schleier überzogenen Augen ruhig wie immer. Sie verzog keine Miene, als sie die junge Frau, zunächst ohne auch nur ein Wort zu sagen, auf Adyns Bett legte. Eine Hand ruhte auf ihrer Brust, mit der anderen befreite sie die Frau von ihrer Maske, die sie mit dem lebensnotwendigen Sauerstoff versorgte. Oder besser: versorgt hatte. Inzwischen war der Sauerstoff aufgebraucht. Ob ein Defekt derselbigen vorlag, oder was genau die Ursache war, das spielte nun keine Rolle, denn solange Nerenas Hand auf ihrem Leib ruhte, würde sie unter Wasser leben können. Sie schenkte ihr durch bloße Berührung den Sauerstoff, den sie zum Leben unter Wasser benötigte. Erst wenn sie von ihr ablassen würde, wäre ihr Todesurteil besiegelt. Darum setzte sie sich auf das große Bett, hielt weiter ihre Hand auf ihrer Brust. Einen kurzen Moment sah sie sie schweigend und mit dem typisch melancholischen Gesichtsausdruck an, ehe ihre Augen die von Adyn trafen.
      "Sie war die letzte Überlebende", erklärte sie. "Ihre Freunde wurden durch die Haie getötet... ich kam zu spät. Sie sträubten sich meinem Ruf zu folgen", was wahrlich sehr untypisch war, denn das Wort der Wächter - egal welcher der Fünf - galt über allem.
      Ihr Blick wanderte wieder zu der jungen Frau, die mit ihrem langen braunen Haar und dem Neoprenanzug ganz ruhig da lag. Es sah so aus, als sei sie in einen hundert Jahre andauernden Schlaf gefallen. "Adyn... ich konnte sie nicht sterben lassen, auch wenn es töricht erscheint. Vielleicht ist sie der Schlüssel, um uns vor der Menschenwelt zu bewahren", obgleich sie selbst einer von ihnen war. Neben der Gabe, Leben zu schenken, das auch fern der obigen Welt existieren konnte, hatte die Nysete auch die Gabe, reine Herzen von düsteren Seelen zu unterscheiden.

      Muttersein ist eine Liebesgeschichte, die niemals endet.
    • ''Ein Mensch soll der Schlüssel sein?'' Ganz klar war dem Zweibeiner anzusehen, dass er mit jeder weiteren verstrichenen Sekunde immer weniger von der Existenz dieses Menschen begeistert war. Dabei spielte ihre Vorgeschichte eine noch kleinere Rolle für ihn. Adyn machte keinen Hehl draus. Er ließ seine Körpersprache für ihn sprechen - die verschränkten muskulösen Arme vor der nackten Brust, der angespannten Muskeln im Körper und der Kiefer - und unterstrich mit seinen Worten lediglich noch. Doch gleichwohl er dieses winzige Menschlein am liebsten eigenhändig auf schnellstem Wege aus Asyka befördert hätte, war Adyn sich durchaus im Klaren, was für eine unausgesprochene aber doch mächtige Bedeutung es hatte, dass von all den Meeresbewohnern, von all den Bewohnern Asykas und vor allem von all den Wächtern, ausgerechnet Nerena es war, die einen Menschen hier her brachte. Zwar fragte er sich kurz, wirklich nur nebensächlich, was Nerena so weit oben im Meer gesucht hatte, wo sie sonst doch lieber in den Tiefen des Meeres und vor allem alleine unterwegs war, doch im Endeffekt ging es ihn nichts an. Und darum schüttelte der Wächter den Kopf und damit den Gedanken wieder ab. Seine langen grünen Haare schwebten elegant in im Wasser und passten sich der Kopfbewegung an. Kurz darauf mischten sich kleine Luftbläschen in das Grün unter, die durch ein schweres Seufzen erzeugt wurden. Adyn ließ seine Arme wieder sinken und ließ sein Augenpaar auf das Gesicht der Menschenfrau wandern.
      ''Ich bin fest davon überzeugt, dass sie sofort wieder verschwinden muss, aber das liegt jetzt nicht mehr in unserer Entscheidung. Ich werde versuchen Kontakt zum König aufzunehmen und du musst auf direktem Wege zu Kailani und sie einweihen. Was jedoch unter gar keinen Umständen passieren darf, ist, dass jemand außer uns uns den genannten Wesen erfährt, dass hier ein Mensch weilt; und schon gar nicht der Prinz..'' Letztere Anfügung sprach Adyn mit einem müden Gesichtsausdruck aus. Er wollte sich am liebsten erst gar nicht ausmalen, welch ein Chaos dann ausbrechen könnte. Erneut wirbelte das Wasser sanft um Adyns Körper, als dieser sich in Bewegung setzte und aus einer scheinbar schlichen Schatulle, die er aus dem untersten Fach eines Regals hervor holte, etwas heraus nahm und damit wieder an Nerena und den Menschen heran trat. Er sträubte sich zwar davor, doch seine Finger umschlossen das winzige Handgelenk der Frau und kurz daraufhin schmückte dieses ein Armband, geflochten aus Seegras und Algen und verziert mit einer einzigen ganz besonderen Perle.
      ''Diese Perle ist zwar auf mich geprägt worden, doch einen Versuch ist es wert. Lass jetzt los'', wies der Wächter Nerena an und beobachtete, wie ihre blassen Finger ganz behutsam von der gesunden Hautfarbe des Menschen abließen, bis sie schließlich ihre Hand ganz frei gab. Dieses Armband besaßen einige Zweibeiner. Einige Auserwählte, die dazu berufen wurden von Zeit zu Zeit das Meer zu verlassen und das Festland zu betreten. Die Aufgaben dabei variierten sehr stark, doch sie endeten alle gleich: mit der Rückkehr ins Meer. Und dieses Armband besaß jeder Zweibeiner mit solch einer Berufung. Adyns war schon sehr, sehr alt, was man dem kleinen Schmuckstück auch ansehen konnte. Doch die Perle war immer noch aktiv. Sie sorgte dafür, dass der Träger mit Sauerstoff versorgt wurde, wenn auch über eine unbestimmbare, kurze Zeit. Um damals den Zweibeinern die Rückkehr in die Tiefen einfacher zu machen - schließlich waren einige Zweibeiner ganze Jahre über der Wasseroberfläche geblieben - wurden diese Perlen hergestellte. Adyns Augenpaar rutschte auf die Brust der jungen Frau. Eine ganze Weile blieb sie regungslos, doch dann hob sich der Brustkorb endlich an und senkte sich kurze Zeit später wieder, als auch kamen kleine Luftbläschen aus ihrer Nase hervor.
      ''Gut, es scheint zu funktionieren. Wir sollten uns trotzdem beeilen. Am besten haben wir alles geklärt, bevor sie wieder zu sich kommt.'' Adyn blickte auf sein Fenster und hob kurz seine Hand, woraufhin ein kurzes Schimmern in der Fensteröffnung erschien und wieder verschwand. Ein kleiner Bahn, der Fremde und deren Augen und Ohren daran hindert in das Zimmer hinein zu blicken.
    • Wie so oft hüllte sich auch dieses mal die Nysete in Schweigen. Während ihre Augen, die stets von einem grauen Schleier ummantelt wurden, jede kleine Pore der schönen Menschenfrau einfing, lauschte sie den Worten Adyns, folgte seinen Handbewegungen, auch wenn sie diese nur schemenhaft erkennen konnte. Die Nysete sah in ihrer menschlichen Gestalt nur Dinge, die sich in direkter Nähe befanden. Alles was weiter entfernt von ihr lag, schien milchig und undeutlich. Ganz anders in ihrer Gestalt als Seeungeheuer, in der sie eindeutig lieber unterwegs war und die Meere auf ihren Streifzügen und zur Sicherheit Asyks durchquerte. In ihrer menschenähnlichen Gestalt traf man sie nur an, wenn sie den Palast betrat, so wie an diesem Tag. In dem Moment, als Adyn, den sie seit vielen Jahrhunderten kannte und nicht nur als Wächter, sondern auch als Freund schätzte, der Frau im Neoprenanzug das Armband um den Knnöchel legte, dessen Perle sie mit dem lebensnotwendigen Sauerstoff versorgte, zog Nerena ihre Hand von ihrer Brust. Auch sie wartete darauf, das erlösende Heben ihres Brustkorbs zu bemerken, was auch kurz darauf folgte. Mit einem Nicken bestätigte sie das Vorhaben und sah zu dem großen, muskulösen Mann.
      "Ich werde bei ihr bleiben und Acht darauf geben, das niemand dein Gemach betritt."
      Somit war es die Aufgabe von Adyn, vorallem Kailani, die älteste und schönste Tochter und Thronfolgerin des Königs zu informieren, denn der König sowie seine anbetungswürdige Gemahlin waren auf Reise. Somit gehörte das alleinige Wort der Königstochter.
      Diese hielt sich gerade im Thronsaal auf, als Adyn zu ihr kam und ihr jene Neuigkeiten berichtete, die den Untergang für Asyk bedeuten könnten. Dementsprechend aufgebracht schien die sonst seelenruhige Kailani, als sie mit Adyn in sein Gemach einkehrte. Die Meerjungfrau mit dem Perlenschmuck in ihrem pechschwarzen Haar und ihren eisblauen Augen betrachtete die Menschenfrau, die auf Adyns Bett lag und ohne sichtlichen Sauerstoff atmen konnte. Ein Blick auf ihr Handgelenk verriet sofort den Grund für dieses Wunder.
      "Was habt ihr euch dabei gedacht?", fragte die älteste Königstochter und betrachtete die Frau, als sei sie ein Geschöpf aus einer anderen Welt. Und obgleich sie denselben Himmel teilten, so waren die Tiefen doch ein völlig anderes Terrain als das Festland. Dieses hatte Kailani noch nie zu Gesicht bekommen. Lediglich Nerena und Adyn hatten dieses Privileg genossen. Doch Kailani hatte nie den Wunsch gehegt, ihre Heimat zu verlassen und sich in andere Gefilde zu wagen. Ganz anders als ihre Schwester Nola, oder die Zwillinge, von ihrem Bruder fing sie gar nicht erst an.
      "Kailani... Ich spürte etwas in ihr. Es war... wie ein unsichtbarer Bann, der sie umgab. Sie wird Asyk retten."
      "Retten vor was, Nerena?", fragte Kailani ruhig, doch mit einer deutlichen Ernsthaftigkeit in der Stimme.
      "Vor dem Untergang", entgegnete die Nysete nach einem kurzen Zögern, während sie die ganze Zeit ununterbrochen ihren Blick auf der schlafenden Frau ruhen ließ, die allmählich zu sich kam.
      "Es wird keinen Untergang geben, Nerena. Die Wachen berichten, dass die Spannungen nachlassen."
      "Das Voranschreiten der Menschen nach Asyk ist unaufhaltsam. Sie werden einkehren und unser aller Verderben bedeuten. Sie werden uns gefangen nehmen und-"
      "Schweig still, Nerena!", erzürnte nun der ungewohnt schroffe Tonfall von der Ältesten. "Kein Mensch wird die Mauern Asyks jemals durchqueren! Und du... du hast uns mehr Verderben gebracht, als es jemals von selbst den Weg hierher gefunden hätte! Nun werdet ihr beide euch darum kümmern, das Mädchen dahin zu bringen, wo es hingehört! Mein Vater soll davon nichts erfahren."
      Mit diesen Worte wandte sich die schöne Kailani ab, um das Zimmer zu verlassen.

      Muttersein ist eine Liebesgeschichte, die niemals endet.
    • Der Langhaarige hatte die angehende Königin mit verschränkten Armen geduldig angehört, während er seine riesige Erscheinung im Hintergrund hielt. Erst als Kailani sein Gemach wieder verließ - eindeutig hatten sich heute zu viele Personen hier befunden, wo doch sonst nur Adyn Zutritt hatte; eine strenge Anweisung - trat er aus dem Schatten hervor und seufzte schwer. Dabei fixierte sein Blick den von Nerena. Auf seinem Ausdruck lag ein deutlich erkennbares ''Ich habe es ja gesagt!'', doch ein Gefühl des Triumphs blieb aus.
      ''Nun, ich habe schon immer gemocht, dass unsere Große Ansagen machen kann, aber jetzt gerade hasse ich es.'' Adyns Augenpaar richtete seine Aufmerksamkeit auf den weiblichen Menschenkörper, der sich allmählich zu Bewegen begann. Erneut ließ sein Seufzen das Wasser blubbern und seine Hand wanderte hoch und durch sein schwereloses wildes Haar. ''Sobald sie aufwacht wird sie in Panik geraten und den Sauerstoff, der ihr zur Verfügung steht im Nu Verbrauchen - wobei es vielleicht auch ganz praktisch ist, wenn sie wieder ihr Bewusstsein verlieren würde-'' Nerenas Blick war nie wirklich böse, zumindest nicht in Menschengestalt. So lange Adyn sie kannte, hatte sie stets gleich geguckt. Dennoch bemerkte er das Stechen ihres Blickes auf seine Aussage hin.
      ''Was? Ist meine ja nur und du weißt, dass ich recht habe. Mir passt das Babysitting gerade auch überhaupt nicht. Den Jüngsten ruft nämlich das Meer..'' Andys Kopf setzte sich in Bewegung, als er diesen schüttelte. Erneut hüpften seine Augen zum Menschen, der nun definitiv sein Bewusstsein wiedererlangt hatte. Bei dem kurzen Gedanken, wer von den beiden am ehesten als erstes gesehen werden sollte, um vielleicht zu verhindern, dass die Panik sofort ausbricht, kam Adyn ganz klein: auf kein Ergebnis. Denn der großgewachsene Wächter, war nicht nur das, sein langes grünes Haar stach heraus, aber nicht ganz so sehr wie seine lila leuchtenden Augen. Und mal ganz von all dem abgesehen, war da noch sein tätowierter Oberkörper. Ja, er konnte von sich aus schon die Behauptung in den Raum schmeißen, dass Nerena menschlicher als er aussehen täte, wenn ihre Haut wenigstens ein Fünkchen mehr Röte und Leben besäße, so wie auch ihre fast blinden Augen. Und so - ob beide wohl das selbe gedacht hatten? - blieben beide Wächter an ihrem Platz stehen, während sie beobachteten, wie der Mensch langsam seine Augen aufschlug.
    • Und auch dieses Mal blieb der Ausdruck im zauberhaften Gesicht der Nysete ohne jegliche Gefühlsregung. Sie starrte weiter auf die Menschenfrau vor ihr. Diese sah so friedlich aus. Frei von jedem Kummer und jeder Sorge. Wie Dornröschen in ihrem einhundert Jahre währenden Schlaf. Nur der Prinz fehlte, der sie durch den Kuss der wahren Liebe... Aber das war eine andere Geschichte.
      Nerea lauschte den Worten ihres Freundes, die ihn schätzte, in allem was er tat, genauso wie ihren König, seine treue Gemahlin und die königlichen Kinder. Doch trotz dieser aufrichtigen Ehre, die sie allen gleichsam entgegen brachte, zog jeder Befehl an dem mächtigen Wesen vorbei wie Schall und Rauch. Ein Wesen, welches so alt und mächtig war wie sie, musste kein Wort und keine Tat fürchten. Sie war es, die das Königreich Asyk beschützte. Sie war es, deren Herz so gutmütig und voller Reinheit war, dass sie der Königstochter ihre Wortwahl verzeihen würde. Sicher war sie aufgebracht, verängstigt durch die ganze Verantwortung, die auf ihren zarten Schultern lastete, dass sie nicht darüber nachgedacht hatte, mit wem oder was sie eigentlich sprach. Denn trotz ihrer vielen Jahre, die sie nun schon in den Weltmeeren weilte, war sie im Vergleich zu dem mächtigen Wesen noch ein Kind.
      "Wir werden sie nicht zurück zum Festland bringen", waren die Worte, die Nerea mit ihrer gewohnt melodischen und samtweichen Stimme sprach. Man sagte in den Geschichten, die nur in den Tiefen des Meeres erzählt wurden, dass die Stimme der Nyseten so wundersam klang, dass es selbst nicht mehr schlagende Herzen wieder zum Leben erwecken und erwärmen könne. Es klang wie es aussah, wenn Engel miteinander tanzten. So ruhig, weich und lieblich wie eine Blumenwiese an dem schönsten Frühlingstag im Jahr, betrachtete man es aus den Augen eines Menschen.
      Die junge Frau begann ihren Kopf zu drehen, murrte und grummelte etwas vor sich hin, verzog ihr Gesicht leidend. Träumte sie?
      "Wir werden sie verstecken. Solange wie es nötig ist. Vielleicht wird unser König weniger töricht sein und auf mein Wort vertrauen."
      Neben der Gabe, Menschen und andere Wesen nur durch bloße Berührung in den Tiefen am Leben zu erhalten, konnten Nyseten in die Zukunft sehen. Oft waren diese Visionen aber undeutlich und nicht klar von Träumen zu unterscheiden. Darum waren diese Angaben nur wage und stellten sich oftmals als falsch heraus. Doch auch vieles in den vergangenen Jahrhunderten wurden von diesen Geschöpfen vorausgesagt. Und es waren schreckliche und sich wiederholende Visionen, die Nerea Nacht für Nacht heimsuchten.
      Plötzlich schreckte die junge Frau mit einem tiefen Atemzug auf, setzte sich sofort aufrecht hin und fasste sich mit ihrer Hand an die Brust. Sie atmete etwas schwerfällig. Es dauerte eine Weile, bis sich der Körper an die anderen Gegebenheiten gewöhnt hatte. Mit großen Augen betrachtete sie zunächst die Nysete, die die ganze Zeit über auf der Bettkante gesessen und über Francis gewacht hatte. Dann wanderte ihr Blick zu dem großen, breitschultrigen Mann, der unweit von ihnen entfernt stand. Er sah finster aus, so die Arme vor der tätowierten Brust verschränkt haltend und seine grünen Haare, die um ihn tanzten wie Algen. Sie sagte kein Wort, betrachtete die beiden nur einen kurzen Moment mit offenem Mund, nicht fähig, um auch nur einen Ton zu produzieren. Und dann... Sie fiel wieder nach hinten in das weiche Kissen. Das, was sie sah, in Kombination mit der schweren Atmung... So eine Bewusstlosigkeit hatte manchmal seine Vorteile. Zumindest für Nerea und Adyn.
      "Ich schätze, das ist gut", bemerkte Nerea mit Mundwinkel, die gerader schienen als jedes Lineal. Erst jetzt wanderte ihr Blick hoch zu dem muskulösen Wächter, abwartend darauf, was er ihrem Vorschlag, die Menschenfrau erstmal zu verstecken, entgegen brachte.

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    • Die Stille im Gemach war so einnehmend, dass sie mit keinster Ruhe auf dem Festland verglichen werden konnte. Überhaupt war die Unterwasserwelt sehr viel ruhiger und idyllischer, als Adyn es noch vom Festland kannte. Dort gab so viele Störfaktoren, wie Autos, Maschinen, Baustellen, Fernseher, Telefone, die die empfindlichen Ohren eines Fischmenschen ständig belästigten. Und das alles gab es hier unten nicht. Das Wasser schluckte jegliche Geräusche, die von außerhalb kamen. Es gab nur zwei Orte in Asyka, die permanent unruhig und laut waren: der Ballsaal - der wirklich ständig in Benutzung war, wenn nicht um einen Ball abzuhalten, dann wegen den Angestellten, die ihn auf Vordermann brachten oder schon für das nächste Event schmückten - und der Fischmarkt. Zweiteres war kein Ort, an dem man sich freiwillig aufhalten wollte und das nicht wegen den lauten und hinterlistigen Händlern, die dort quasi lebten, sondern weil es der einzige Ort war, an dem unkontrollierte krumme Geschäfte Asykas liefen. Dort patrouillierten die Wächter am häufigsten, um für Ordnung und Sicherheit zu sorgen. Es war eine anstrengende und wohl nicht die dankbarste Aufgabe, doch einen Wächter gab es, dem dieser Ort wohl am wenigsten ausmachte. Dieser Jemand war Adyn. Er war an einem Ort aufgewachsen, der um so ein Vielfaches schlimmer war als der Fischmarkt und unter Leuten, die die Händler nur ausgelacht hätten. Tatsächlich war Adyn mit einigen der hinterhältigsten Händlern eng befreundet, wobei Freundschaft wohl eher wenige zutreffend war. Denn es glich mehr einer Geschäftsbeziehung, mit dem Beigeschmack, dass Adyn sich keiner so richtig zum Feind wünschte. Es war also wohl der Respekt, den man vor ihm hatte, der es ihm so angenehm machte, eben dort seine Arbeit zu verrichten. Doch das funktionierte nur, wenn er alleine durch die zwielichtigen Gassen herumstreifte. Und das war kaum mehr möglich, seit der Prinz das Licht der Welt erblickte. Denn seither hatte der Wächter ständig den Ärger mit seinem Schützling, ihn in diesen besagten Gassen wiederzufinden und das obwohl es absolut kein Ort für einen Prinzen war und das auch noch ohne Wachen. Regelmäßig musste Adyn sich die Frage stellen, woher der ausgeprägte Todeswunsch des jungen Prinzen kam, von wem er wohl vererbt wurde... Anders konnte er sich das ständige und immer wiederkehrende törichte Verhalten des Prinzen nicht erklären. Und dennoch blieb Adyn an einem Gedanken dran, der kurz durch seinen Kopf geschossen war. Doch auch wenn er mit seinen Überlegungen schon weiter war, als Nerea und er bis dato besprachen, knüpfte er genau dort an, wo er bei seiner langjährige Freundin ihre Schwachstelle sah:
      ''Nerena, bei den tiefsten Tiefen der Meere, war das gerad etwa ein Witz?'' Er konnte es sich einfach nicht nehmen lassen. Nereas Gesichtsausdruck war stets, seit schon so vielen Jahren, der gleiche gewesen und deswegen wussten so einige Meeresbewohner nicht, wie mit ihr umzugehen war. Doch nicht Adyn. Denn er war wohl hingegen der einzige, der sie deuten konnte - beziehungsweise es einfach tat, ganz gleich ob es richtig war oder nicht; für ihn lag er einfach immer richtig. Stets mit einem breiten, einen ticken zu breitem Grinsen in seinem Gesicht und gewagt viel zu nah an ihre. ''Du wirst immer besser, weißt du das? Ich war kurz davor mich auf den Boden zu schmeißen vor Lachen!'', neckte er das Ungeheuer in einem viel zu klein geratenem, menschlichen, weiblichen Körper, dessen Augen ihn ausdruckslos anstarrte, obwohl Adyns Gesicht, ganz dicht an ihrem war und seine verzerrten Lippen sie schelmisch angrinsten. Er hatte sich für diesen kurzen Augenblick tief zu ihr herunter gebeugt, doch nun richtete er seinen Körper wieder auf und fuhr sich mit der Hand über seine linke Brust, die gerade etwas juckte. Seine Krallen, die sanft über die Stelle fuhren unterbanden das Jucken kurz daraufhin, während er zu Wort ansetzte.
      ''Es ist wirklich eine miese Idee, einen Menschen in Asyka verstecken zu wollen. Und außerhalb des Königreichs ist es zu gefährlich, vor allem unter den momentanen Umständen. Ja, selbst, wenn du es bist, die führ ihren Schutz sorgen will, zumal ich denke, dass genau das erst überhaupt die größte Gefahr daran ist.'' Menschen konnte man nicht vertrauen, das musste Adyn selbst erfahren und würde es auch niemals wieder vergessen. Doch der Wächter würde die Nysete nicht überzeugen können, ganz gleich wie viel Respekt die beiden vor einander hatten. Und da er fürchtete bald schon aufbrechen zu müssen, um den jungen Prinzen zu begleiten, wollte er vorher das Problem so schnell es ging beseitigen - auch wenn es einen Hinterhalt seiner langjährigen Freundin gegenüber bedeuten würde. ''Hier ist mein Vorschlag: du bringst sie aus dem Palast, aber nicht ganz so offensichtlich, wie du sie her gebracht hast! Euch darf niemand, absolut niemand sehen! Und erst recht nicht der Prinz!''
      ''Was soll ich nicht- AAH! Was ist das hier?'' Ein dumpfes Klopfen erklang - kurz nachdem der Prinz ganz offensichtlich mit seiner Stirn gegen etwas geprallt war - so wie als würde jemand an eine Glasscheibe unter Wasser klopfen, nur dass es kein Glas war, sondern die unsichtbare Barriere, die Adyn um sein Gemach errichtet hatte. ''Warum kann ich nicht rein? Ich habe ganz genau gehört, wie du über mich geredet hast Adyn! Wo bist du?'' Er konnte seinen Wächter, noch die Nysete und am erfreulichsten auch nicht die Menschenfrau sehen. Doch der Prinz war mittlerweile geübt genug, um solch einen kleinen Bann brechen zu können und leider auch viel zu neugierig. Eben deshalb schoss das Augenpaar vom großen Wächter zu Nerea und bedeutete ihr sich eilig mit dem Menschen davon zu stehlen.
      ''Du wirst mich doch wohl nicht etwa vermisst haben? Oder warum kommst du wieder zurück, nachdem du ausgebrochen bist?'', fragte der Wächter seinen Schützling, um ihn in ein kurzes ablenkendes Gespräch zu verwickeln.
      ''Ausgebrochen? Ich müsste nicht aus meinem eigenen Zuhause ausbrechen, wenn du mich nicht ständig-''
      ''Ja, ja. Heul leise zu Rotzlöffel. Ich habe dir gesagt, du sollst im Palast bleiben-''
      ''Das bin ich! Ich habe den Palast nicht verlassen!'' Adyn mahlte seinen Kiefer. Er hasste es unterbrochen zu werden, doch wo der Prinz recht hatte, hatte er recht. Oder zumindest war sein Wächter noch nicht dazu gekommen, zu prüfen, ob der Schützling sich außerhalb der sicheren Wände des Palasts aufhielt. ''Wieso musst du immer mit mir streiten?! Ich bin doch nur hergekommen, weil ich gerufen wurde. Glaub mir, ich bin ganz sicher nicht hier, weil ich es sein will! Wer würde es schon wollen, seine kostbaren jungen Jahre mit so einem altem Sack wie dir zu verbringen!'' Die Barriere löste sich plötzlich auf und der Grünhaarige schwebte dem Jüngeren mit einem bedrohlichem Gesichtsausdruck gegenüber. Natürlich war das nur möglich, weil Nerea bereits verschwunden war. Und nun konnte sich der Wächter endlich wieder seinen eigenen Problem widmen. Uns das größte davon, befand sich ihm genau gegenüber und war rotzfrech, wie eh und eh!
    • Unter dem Wort Adyns verließ Nerea die Menschenfrau in ihren zarten Händen tragend, so als sei sie eine leichte Feder, die unbeschwert und vom Wind getragen durch die Lüfte flog. Keine Miene der Nysete verzog sich, als sie, ohne von Blicken anderer verfolgt, die Palastmauern verließ. Doch das Gemach des Wächters hinter sich gelassen, war es zu gefährlich, die junge Frau in den Armen der Nysete zu tragen. Würde man sie erspähen, wäre es bereits zu spät. Die Neuigkeit würde sich verbreiten wie ein Lauffeuer. Darum ließ sie das menschliche Geschöpf etwas entfernt von den Palastmauern los. Im Wasser treibend, nahm die Nysete binnen weniger Augenblicke ihre Gestalt als Seeungeheuer an. Und mächtiger und kraftvoller als je zuvor, war aus der zierlichen Person, die so gar nichts mit dem Urzeit-Geschöpf zu tun hatte, ein mächtiges Monster geworden. Ein Monster, das gewaltiges Verderben anrichten konnte, wäre dies sein Wunsch. Doch Asyka konnte sich glücklich schätzen, dieses uralte Wesen eine Verbündete zu nennen. Das angsteinflößende Maul mit den spitzen Zähnen öffnete sich, doch nur um die Menschenfrau behutsam in sein Inneres aufzunehmen. Niemand konnte so Verdacht schöpfen - niemand würde einer Nysete freiwillig in den Rachen schauen, oder hätte gar Befugnis dazu. Darum schwamm es ungeirrt seinen klaren Weges weiter, während der Körper des Menschen, noch immer in einer tiefen Trance gefangen, in ihrer Mundhöhle ruhte. Wie Däumelinchen in den Sagen, so klein und verletzlich wirkte die Frau im Neoprenanzug auf der Zunge des Wesens schlafend wie auf einem Baumwoll-Kissen.
      Der Weg der Ungeheuers führte mit ihrer Fracht in die Nähe des Fischmarkts. Auch der Grauhaarigen war wohl bewusst, dass es hier so einige krumme Geschäfte gab, von denen sie aber weiterhin nichts wissen wollte. Ihre Aufgabe war es, größere Bedrohungen von den Palastmauern fernzuhalten. Gegen die kleinen Geschäfte, das Verticken von illegalen Substanzen oder sonstigem Schabanak, damit hatte sie nichts zu tun. Das Gehör der Nyseten war ausgesprochen fein und sehr gut ausgebildet. Somit konnte sie die Stimmen der Händler hören, so deutlich, als würden sie direkt neben ihr stehen. Das Gelächter, die belebten Gespräche, das Schlagen der Flossen, geschuldet durch das Fangenspiel der Kinder, die an solch einem Ort nichts zu suchen hatten. Es waren viele Kilometer, die sie noch von den Augen der Marktbesucher trennte, als sie an einer Höhle ankam. Sie sah nicht sonderlich einladend aus, denn der Eingang war der gewaltige Kopf eines drachenähnlichen Geschöpfs aus Stein gemeiselt. Lediglich die Augen erstrahlten in einem Smaragdgrün. Ein tiefer Klang, ähnlich wie der Laut eines Buckelwals drang aus dem tiefsten Inneren der Nysete. Der Ruf war noch in weiter Entfernung zu hören. Ein einfaches Passieren der Höhle war in dieser Gestalt nicht möglich.
      "Herrgott!", hörte man eine Frauenstimme sagen, bevor eine etwas verschlafen drein schauende Übergängerin - eine dunkelhäutige Frau mit Afro-Frisur, einer breiten Taille und dem Unterleib eines Tintenfischs, aus der Höhle kam, fortbewegend durch die vielen fast schwarzen Tentakel mit den Saugknöpfen. Sie fuhr sich durch ihre voluminöse Frisur, welche aussah, als sei ein Föhn explodiert. "Was machst du denn hier, Nerea?", sagte sie verschlafen und riss ihren Mund weit auf, um mit einem herzhaftes Gähnen ihre Müdigkeit zu verdeutlichen. "Aus welchem Grund ereilt mich die Ehre?", fragte sie und streckte erst einmal ihre Arme, woraufhin der Speck gleichmäßig mitschwang. "Okay, schon klar, du bist als dieses Dino-Monster nicht so gesprächig, aber es wäre ganz nett - Whoa!!", wich sie einen Schritt zurück, als die Nysete ihr gewaltiges Maul öffnete, den Kopf auf die Höhe der Übergängerin senkte, die ihre alte Freundin nur mit weit aufgerissenen Augen anstarrte, sodass man den Eindruck bekam, dass ihre Augäpfel gleich aus ihrem Kopf herausfielen. "Du glaubst doch nicht, dass ich da frewillig reinschaue, oder!?", fragte sie, doch der Kopf des Urzeit-Wesens ruhte geduldig und offenbarte Nereas Geheimnis. Die Übergängerin fuchtelte mit etwas angewidertem Gesicht mit ihren Händen umher, bis sie erstarrte, als ihr Blick auf der Frau im Neoprenanzug ruhte. Die Kinnlade der Meerhexe fiel und ihre Augenbrauen zogen sich in die Höhe. So richtig fassen, was sie dort schlafend auf der Zunge der Nysete vorfand, konnte sie wohl nicht. "Nerea... ist es das, was ich denke!?", fragte sie und etwas widerwillig näherte sie sich dem gewaltigen Maul der Nysete, um die Frau herauszuholen. Kurz darauf verwandelte sich das Geschöpf wieder in ihre weibliche und zerbrechliche Gestalt, denn nur in dieser konnte sie mit Uraya kommunizieren. "Ich wusste, dass du schon immer verrückt bist, vermutlich schon irre geboren, da unten in eurem Graben. Aber das hier ist völlig bescheuert! Was fällt dir ein, einen Menschen hier anzuschleppen!?", fragte Uraya völlig fassungslos, während sie den Leib der Dame in ihren Armen trug.
      "Ich sah etwas, Usaya", begann sich die Nysete zu erklären. "Ich sah etwas in meinen Träumen. Sie."
      "Du siehst andauernd irgendwelche komischen Dinge - jetzt komm' erstmal rein, bevor uns noch jemand sieht!", murrte sie und gemeinsam betraten die Frauen die Höhle, welche sich als eine Kristallhöhle offenbarte.
      "Dieses Mal ist es anders, Uraya. Sie wird Asyka retten. Retten vor dem Einbruch und der Vernichtung der Menschen."
      Voller Überzeugung und Inprust sprach das wunderschöne Fabelwesen, mit einer Stimme so wohlklingend wie das angenehmste Glockenspiel. Doch ihr Gesichtsausdruck blieb aus Stein. "Ein Mensch soll uns vor Menschen beschützen? Deine Logik war auch schon mal besser, Herzchen. Ich weiß, dass du einen ungebrochenen Drang zur Thetralik hast, aber findest du nicht das hier geht zu weit?", entgegnete die Meerhexe und legte den Körper der schlafenden Frau auf ihr Bett, über dem sich wunderschöne Kristalle befanden, welche die schönsten Farben auf dem Gestein spiegelten.
      "Sie ist etwas besonderes. Ich muss nur noch herausfinden, was sie so besonders macht."
      Sorgenfalten zeichneten sich auf die dunkle Haut der Übergängerin, als ein Seufzen aus ihr herauskam und sie nur kopfschüttelnd ihre rechte Schläfe massierte.
      "Sie ist ein Mensch, Nerea. Ich glaube, ich muss dir alten Schachtel nicht erklären, dass Menschen in den Tiefen der Meere nichts verloren haben. Wie kann sie überhaupt... ?"
      Doch ein Blick auf das zarte Handgelenk der Braunhaarigen verriet, was die Ursache war, dass sie überhaupt unter Wasser atmen konnte. Die Hexe winkte ab. "Okay, schon klar. Du hast Verbündete. Wer weiß davon?"
      "Nur Adyn", gab die Nysete kurz und bündig zur Antwort.
      "Na toll", seufzte die Frau halb Tintenfisch. Sie verschränkte die Arme vor der Brust. Man merkte ihr an, dass sie Furchtbares erahnte, und die Antwort auf ihre Frage schon kannte. "Und was genau machst du hier bei mir?"
      "Du musst ihr Obhut bieten, bis ich mit dem König gesprochen habe."
      Ein kurzes Lachen entfuhr ihrer Kehle und sie schüttelte protestierend den Kopf. "Das kannst du vergessen, Schätzchen! Ich beherberge doch keinen Menschen bei mir. Bist du wahnsinnig!? Ich glaube die vielen Jahre der Einsamkeit haben dein hübsches Köpfchen völlig vernebelt."
      Die Nysete schwebte wie ein Engel auf das Meereswesen zu und legte sachte eine Hand auf die Schulter Usayas. Es war ein starker Kontrast zwischen der fahlweißen Haut des Seeungeheuers in Menschengestalt und dem dunklen Teint der Hexe. "Ich bitte dich, Usaya. Nicht als eine Wächterin, sondern als deine Freundin. Du bist die Einzige, der ich vertrauen kann."
      Stille herrschte. Usaya haderte mich sich, hatte sie zwar eine harte Schale, aber einen weichen Kern und ein Herz aus Gold. "Aber nur, weil ich deinen Hirngespinsten manchmal vertraue... Arww!! Ich kann nicht glauben, dass ich das wirklich tue!"
      "Du wirst es nicht bereuen, versprochen", sagte die Nysete und ihre Mundwinkel zogen sich wahrhaft zu einer Art Lächeln, was allerdings so gequält wirkte, dass es aussah, als sei es nicht aus purer Freude entstanden, sondern aus jahrelanger Folter.
      "Ja ja...", murrte Usaya grimmig und betrachtete eine Weile den Körper der jungen Frau. "Ich werde eine Barriere um die Höhle errichten, sodass niemand ungefragt eintreten kann. Ein paar Tage... glaube nicht, dass das hier eine fünf Sterne-Unterkunft für unbefristet wird - ist das klar!?"
      "Natürlich... der König wird übermorgen wieder im Palast eintreffen, zusammen mit seiner Gemahlin. Ich werde sofort mit ihm sprechen."
      "Gut. Dann geh jetzt!"
      Nickend verließ die Nysete die Höhle und kurz darauf legte sich eine unsichtbare Barriere über jene, die ein Eintreten unmöglich machte. Nerea kehrte in den Palast zurück, während Kailani von Sorgen geplagt, Adyn in den Thronsaal geordert hatte. Sie schwebte vor den prächtigen Thronen, die aussahen wie riesige Muscheln, ausgekleidet mit roten Satin-Kissen, damit die Majestäten es aus bequem hatten. Die Throne waren von einer bunten Korallenpracht umgeben. Die Dunkelhaarige wirkte in gewisser Weise erleichtert, als Adyn endlich eintraf. "Ist die Menschenfrau fort?", wollte sie wissen, das Eisblau ihrer Augen auf die seinen gerichtet. Sonst war niemand im Thronsaal anzutreffen, dafür hatte die älteste Königstochter bereits gesorgt.

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    • Adyn hatte den Prinzen lange genug abgelenkt und war sich sicher, dass die Wächterin Nerea bereits über alle Berge mit dem Menschen war. Nein so ganz stimmte das nicht. Er war sich sicher, dass sie sie versteckt hatte, wie von ihr bereits angekündigt. Warum war dieses Wesen auch nur so stur - würde sie das selbst auch nie zugeben. Es gab jedoch noch eine Sache, der er sich sehr sicher war, nämlich eine gewisse Vorahnung zu haben, wo das Versteck sein könnte. Wenn die beiden Wächter unterschiedlicher auch nicht sein konnten, egal ob vom Aussehen oder dem Wesen her, so hegten sie erstaunlicher Weise ziemlich oft den selben Gedanken - in dem Fall, der Fischmarkt. Adyn wäre am liebsten sofort aufgebrochen, um sich zu vergewissern, ob er richtig lag, doch plötzlich stießen ihm einige Worte auf, die der Prinz von sich gegeben hatte.
      ''Was meintest du mit, du wurdest gerufen?''
      ''Gerufen?''
      ''Ja, du bist hier aufgetaucht, weil du gerufen wurdest?''
      ''Ah! Ja, nun das war mehr ein Instinkt. Ich war auf dem Weg in die Stadt und plötzlich hatte ich das starke Bedürfnis umzudrehen und hier her zu kommen. Seltsam, nicht?'' Adyns Körper sah aus wie eine Statue, besonders durch die verschränkten Arme vor der Brust. Denn er bewegte sich kein Stück, wie immer, wenn ihn etwas beschäftigte. Dann verharrte er länger in einer Position, meist eben dieser mit verschränkten Armen vor der Brust und jeder, der ihn kannte, wusste, dass etwas Ernstes vor sich ging. Weil nämlich sonst rein gar nichts Adyn so sehr kümmern konnte, dass er einen Gedanken daran verschwendete.
      ''Da du ja offenbar voller Tatendrang heute bist, wirst du in der Bibliothek nach Antworten suchen und wenn du die Seiten gefunden hast, die dir aufschlussreiche Informationen geben, dann erwarte ich, dass du diese auf vier Algenrollen kopierst.''
      ''Vier?!''
      ''Mach ruhig weiter und es kommt eine mehr dazu. Eine wird für dich sein, eine für mich, eine für deine Schwester und eine für den König.''
      ''Aber was hat denn Kailani damit zu tun? Sie wird mich nur weiter nerven, mit Fragen über Fragen und mir vermutlich Hausarrest verpassen, bis sie herausgefunden hat, woher mein Drang kam.'' In der Tat konnte Adyn nachvollziehen woher Arians Gedankengang resultierte. Doch er musste sich daran gewöhnen auf das Wort seiner Schwester zu hören. Schließlich würde sie einst seine Königin werden, Schwester hin oder her. Doch Adyn hatte vor die Älteste der Königskinder selbst einzuweihen, nun nachdem der Prinz ihm alles genau geschildert hatte. Die Aufgabe mit der Bibliothek war nur eine Straffe dafür, dass Arian seinen Wächter mal wieder mit seinem Alter aufzog; aber das musste der Jüngere ja nicht gleich erfahren. Wenn er Glück hatte, würde sein Wächter ihn nach der zweiten Kopie aufklären und wenn nicht, dann gar nicht. Adyns Strafarbeiten für seinen Schützling hingen immer von seiner eigenen Laune ab, waren somit also unberechenbar.
      Adyn begleitete Arian in die Bibliothek, schließlich musste er dem Prinzen einen Haufen an Büchern aufbürden. Er garantierte dem Prinzen, dass die Antwort in den Schriften stand, doch ob dem so war, nun das würde der hübsche Prinz schon noch selber heraus finden. Doch Adyn würde den ganzen Spaß verpassen, dann unmittelbar nach seiner Ankunft in der Bibliothek wurde er von Kailani zu ihr zitiert. Natürlich ließ er da alles stehen und liegen und betrat kurze Zeit später auch schon den Thronsaal, seiner zukünftigen Königin entgegen tretend. Ihm war sofort aufgefallen, dass der Bote, der ihn holte draußen geblieben war und auch sonst keiner außer den beiden anwesend. Daher dachte er sich schon, um was es gehen würde. Dennoch musste er sich auch daran erinnern, dass die Prinzessin als Kleinkind so große Angst vor Adyn hatte, dass sie nie, niemals nie, alleine mit ihm in einem Raum geblieben wäre.
      ''Das ist sie. Doch ich bin mir nicht sicher, ob es nicht eine zu voreilige Entscheidung gewesen ist, sie sofort verschwinden zu lassen.'' Adyn war bekannt dafür, dass er sich nie auf die Zunge biss, ja sogar dem König konnte er durchaus widersprechen und genau das mochte dieser an Adyn auch so sehr. Kailani war aber nicht der König. Sie war nicht so weise und bei weitem nicht so lange mit Adyn befreundet, dass sie seine Wiederworte richte deuten konnte. Darum kam es häufig zu Spannungen zwischen den beiden, doch das brachte Adyn nicht davon ab, dennoch stets seine Meinung zu sagen. ''Dein Bruder scheint eine gewisse Bindung zu der Menschenfrau zu spüren. Er hat mir eben noch erzählt, dass es ihn an den Ort gezogen hatte, wo sie sich befand. Natürlich habe ich ihm nichts von dem Menschen erzählt, keine Sorge. Ich wäre verdammt, täte ich so etwas Schreckliches..! Doch es kann nur der Mensch gewesen sein. Nerea hat ebenfalls etwas gefühlt und mir kratzt ständig der Hintern, seit das kleine Ding hier aufgetaucht ist; das muss doch ein Zeichen sein oder nicht?'' Vielleicht legte es Adyn auch ab und an darauf an, Kailani zur Weißglut zu bringen, aber nur vielleicht! Vielleicht ziemlich sicher. Doch in jedem seiner noch so unsensiblen Worte lag stets ein Fünkchen Wahrheit. Es stimmt, dass er das Menschenweib so bald es ging los werden wollte, doch wenn der Prinz tatsächlich involviert sein sollte, dann müsste er anders damit umgehen. Und eben das wünschte er sich auch von Kailani - war die Hoffnung auf ihre Einsicht auch recht kurzlebig.
    • Also glaubte Adyn tatsächlich, dass Nerea mit ihrer Vermutung Recht behielt und diese Menschenfrau die Rettung aller Bewohner Asykas bedeutete? Für Kailani war das eine törichte Vermutung, auch wenn sie sich für gewöhnlich nie gegen das Wort eines Wächters stellen würde - schon gar nicht gegen die Worte zweier derer.
      "Mein Bruder ist ein junger Mann... Viel mehr ein Kind als das...", begann sie und schwamm leicht vor, um dann wieder Kehrt zu machen und ihre tiefblaue Flosse gekonnt und anmutig zu bewegen. "Er ist ständig auf der Suche nach Abenteuer. Dass er darum öfter Dinge wahrnimmt, die nicht existieren, nur um sich in Gefahr zu bringen... Ich glaube niemand weiß das besser als du, Adyn", vollendete sie ihre Worte. Ein sorgenvoller Ausdruck lag in ihrem lieblichen Antlitz und eine Haarsträhne hatte es geschafft sich aus der immer perfekten und von Perlenschmuck verzieren Frisur zu befreien und locker in ihr Gesicht zu fallen. "Versteh mich nicht falsch. Ich vertraue deinem Wort, genauso wie dem Wort Nereas... Aber ein Mensch, Adyn, kann niemals die Lösung eines Problems sein, das aus Menschenhand entsteht. Man kann Gleiches nicht mit Gleichem bekämpfen."
      Diese Annahme vertrat die Älteste und gab ihrem auf und ab schwimmen ein schwerfällig seufzendes Ende. "Es ist gut, dass sie dahin zurückkehrt, wo sie hergekommen ist. Hier ist kein Platz für sie... Und jetzt lass mich bitte allein."
      Sie wandte dem Wächter den Rücken zu, versuchte Nereas Visionen zu verdrängen und sich immer wieder einzureden, dass es die richtige Entscheidung war, die Menschenfrau fortzubringen.

      In der Zwischenzeit hatte Usaya die unsichtbare Barriere um die Höhle errichtet und jedes Mal, wenn ein kleiner Meeresbewohner die Höhle passieren wollte, knallte er gegen eine unsichtbare Wand wie ein Vogel gehen eine zu gut geputzte Fensterscheibe. Jedes Mal regte sich Usaya über den Knall auf, denn sie bevorzugte stets eine angenehme Ruhe.
      "Soll ich ein Schild aufstellen "Bitte nicht stören"!?", schrie sie förmlich dem Eingang der Höhle entgegen, als sie allmählich bemerkte, dass die junge Frau mit dem Neoprenanzug und dem Perlenarmband zu sich kam. Die Übergängerin sah zu der Frau herab, jede Bewegung, jede Mimik und Gestik prüfend durchlaufend. "Na Dornröschen? Es wird ja auch Mal Zeit", sagte sie, als Francis erst einmal blinzelte und schließlich die Augen öffnete. Ihr Blick fiel auf die schönen Kristalle, die auf ihr blasses Gesicht unglaublich viele verschiedene Farben warfen. Auf die Stimme reagierte sie zunächst nicht. Langsam, als sie mehr und mehr zu sich kam, setzte sie sich auf und sah in das Gesicht der Meerhexe. Fassungslosigkeit, Angst, Faszination. Es waren so viele Gefühle, die sich gleichsam in ihrem Inneren breit machten.
      "Bin ich tot?", fragte sie vorsichtig.
      "Schön wärs. Glaub mir Schätzchen, für dich und für mich. Nichts für Ungut. Ich bin Usaya, die absolut bestaussehenste Übergangerin", stellte die sich grinsend vor und stemmte eine ihrer kräftigen Hände in die noch kräftigere Hüfte.
      "Ü-Übergangerin?"
      "Herrgott, Mädchen! Lebst du auf dem Mond?", fragte die dunkelhäutige Dame und fuhr sich durch ihr voluminöses Haar. Die junge Frau hielt die Stirn in tiefe Falten gelegt.
      "Und wo bin ich hier?"
      "Im Meer. Bei mir und in Sicherheit. Keine Sorge... Dir passiert nichts."
      "U-und meine Freunde? Abby, Luna, Max... Max!", fuhr sie vor Schreck zusammen, als ihr die Szenarie den Haien wieder einfiel und sie die Leichenteile deutlich treiben sah, als wären sie in greifbarer Nähe. "Ich... ich muss sie finden!", begann die Braunhaarige ungeduldig zu werden, sprang auf und wollte zum Eingang der Höhle, doch bevor sie diese verlassen konnte, lief auch sie gegen die Barriere wie die vielen kleinen Meeresbewohner vor ihr. Usaya stand kopfschüttelnd da und meinte von einem Seufzer begleitet: "Es ist ein Schutzschild. So einfach kommst du hier nicht raus. Du wirst wohl bei mir bleiben müssen. Also... Setz dich und erzähl mir, was dir widerfahren ist."

      Muttersein ist eine Liebesgeschichte, die niemals endet.

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    • Ja, Arians Wächter war weiß Gott sicher nicht der Einfühlsamste, weder unter den Wächtern, noch überhaupt als Charakter selbst. Doch die Königskinder waren ihm ans Herz gewachsen, geschweige denn vom König, den er seit gefühlt einer Ewigkeit einen Freund nennen durfte. Er hatte die Geburt jedes der Kinder mitbekommen, so auch ihr Aufwachsen. Und genau deswegen konnte es passieren - aber wirklich nur unter bestimmten Voraussetzungen, die gerade eben alle erfüllt waren; zum Beispiel, dass kein anderer anwesend war - dass wenn er Fürsorge durchsickern ließ, dass diese seinen Schützlingen galt. Drum trat er näher an die Älteste von den kleinen Wichten heran, die mit den Jahren wirklich zu einer Schönheit herangewachsen und ihrer Mutter beinahe wie aus dem Gesicht geschnitten war, und ließ seine große Hand ihre zierliche Schulter umfassen, woran er sie wieder zu sich drehte. Seine Gesichtszüge strahlten keine übermäßige Liebe oder Fürsorge aus, so war er nun einmal nicht, doch seine Mundwinkel tendierten ein klein wenig gen Meeresoberfläche und das war schon deutlich mehr Lächeln, als 99% der Meeresbewohnern von ihm gewohnt waren.
      ''Du machst das alles wirklich gut, ja erstaunlich gut sogar. Und daher bin ich mir sicher, dass das nicht nur mit Fleiß und guter Erziehung zu tun hat, sondern sehr viel auch mit deinem Herzen. Vergiss das nicht, bei all den schweren Entscheidungen, die du fällst. Vergiss nicht hiermit auch ein wenig zu denken!'' Adyns freie Hand, die nicht auf der Schulter der jungen Königsanwärterin ruhte, streckte ihren Zeigefinger aus und deutete auf die Stelle, wo Kailanis Herz schlug. ''Vielleicht mag alles auf diese Art und Weise etwas beängstigender erscheinen oder gar bedrohlicher, aber nichts womit ich nicht fertig werde. Du weißt doch, dass ich auf dich ebenso Acht gebe, wie auf deinen Bruder und deine anderen Geschwister, mh?'' Kurz zuckte seine Augenbraue fragend hoch, während sein Zeigefinger nun noch ein Stückchen höher schwamm und die los gelöste Strähne hinter Kailanis Ohr strich. ''Du solltest dich noch einmal in aller Ruhe mit Nerea zusammen setzen und sie aufmerksam anhören. Das ist mein Rat an dich. Und jetzt lasse ich dich in Ruhe. Ich werde für einige Stunden außer Haus sein, da gibt es die eine oder andere Sache, die ich erledigen muss, also wirf bitte solange ein Auge auf deinen Bruder ja?'' Damit ließ er von der jungen Schönheit ab und setzte sein Vorhaben in die Tat um, was darauf bestand den Fischmarkt aufzusuchen und sich ein wenig umzuhören.


      Adyn erfuhr stets interessante Dinge dort - im Prinzip war der Fischmarkt besser, als jeder Kurier, denn keiner von diesen Wesen konnte etwas für sich behalten und so war es ein Leichtes an Informationen zu kommen. Informationen wie, dass Nerea gesichtet wurde in ihrer wahren Gestalt und vor allem in welche Richtung sie gesichtet wurde. Das war mir schon Detail genug, um selbst eins und eins zusammen zu zählen und darauf zu kommen wo sie den Menschen versteckt haben könnte. Doch das war gar nicht Adyns wahrer Grund für den Besucht auf dem Fischmarkt gewesen. Zwar hatte es schon etwas mit dem Menschen zu tun, doch auf eine andere Art und Weise. Denn Momentan hielt sie lediglich sein Armband unter Wasser am Leben. Das würde jedoch nicht lange der Fall sein und ganz gleich, wie sich Kailani und oder Nerea noch entscheiden würden, verfolgte Adyn immer noch seinen eigenen Plan. Und dafür musste er die Menschenfrau etwas länger an die Unterwasserwelt anpassen, als gewollte. Und dafür gab es nur einen Mann.
      ''PERLEN! FRISCHE JUNGE PERLEN! ERST HEUTE MORGEN GEERNET! DREI STÜCK ZU EINEM WAHNSINNSPREIS VO- ...'' Der Übergänger verstummte sofort, als er Adyns viel zu lieblich grinsendes Gesicht entdeckte, das dadurch beinahe schon wieder finster wirkte. Im Nu, fast wie von Zauberhand war der Tisch vor dem halb Mensch, halb Krabbe Übergänger geräumt und er selbst fluchtartig dabei die Fliege zu machen. Doch Adyn ließ den Jüngsten nicht so leicht davon kommen und tauchte erneut plötzlich vor ihm auf, um ihn mit seiner riesigen aufgebauten Statur zu blockieren.
      ''A-Adyn....mein ... Freund'', welch einen bitteren Beigeschmack doch das letzte Wort hatte. Sichtlich gestresst tippelte der Übergänger zurück, doch der Wächter rückte auf und schließlich stand der Krebs-Mensch vor einer Wand und kam nicht mehr weg. Ein tiefes, beinahe leidiges, Seufzen ertönte: ''Du hast das letzte Mal versprochen, dass ich dich einen ganzen Monat nicht mehr sehen werde! Einen Monat! Es ist gerade mal eine Woche vergangen! Also nicht, dass...I-I-Ich mache keine krummen Geschäfte..! Du hast es versprochen! Einen Monat lang vogelfrei, solange ich mich ganz außen aufhalte und das tue ich!'' Der Wächter, sichtlich amüsiert, verschränkte seine Arme vor der Brust und hob eine Augenbraue.
      ''Hörst du dir eigentlich selber zu, wenn du sprichst? Nein, ist auch besser so, glaub mir. Aber entspann dich, deswegen bin ich nicht hier. Dein 'vogelfrei' gilt weiterhin-''
      ''Ja?'', pures Staunen gefolgt von Verwirrung: ''Nicht?''
      ''-Wenn!''
      ''Oh komm schon!''
      ''Halt jetzt deinen Schnabel und hör mir genau zu. Ich brauche einen Zauber und du weißt genau von wem.'' Der rötlich angehauchte Übergänger wurde plötzlich ganz blass und starrte Adyn mit großen Augen an.
      ''Auch .. er.... verlässt sich darauf, dass er für eine sehr lange Zeit nichts mehr von mir zu hören bekommt. Seine genauen Worte waren 'Für immer und Ewig' wenn ich mich recht entsinne. N-Nein ich kann nicht...''
      ''Das habe ich mir schon gedacht, feige wie eh und je. Dann gib mir seinen Standort und ich kümmere mich selber drum.''


      Mit der gewonnenen Information, die nur ein wenig Drohung benötigt hatte, machte er sich schließlich auf den Weg in die Höhle, in der ihr das Versteck vermutete. Er wusste auch wer dort hauste und auch über welche Fähigkeiten dieser besaß. Darum beging Adyn nicht den selben Fehler, wie schon so viele Tierchen zuvor, sondern blieb vor dem Schutzzauber stehen und rief stattdessen in die Höhle hinein. Er hätte die Barriere auch selber beseitigen können, doch dann täte er ja damit den ganzen Spaß verpassen, die er immer mit seiner Unerwarteten Ankunft irgendwo verursachte.
      ''Klopf, klopf! Ich bin's! Ich muss mit dem Möchtegerndelfin reden!'', verlangte er mit einer kleinen Anspielung auf den Neoprenanzug.
    • "Es ging alles so schnell... ich konnte nichts tun...", beendete die junge Frau im Neoprenanzug ihr Gesagtes, das Gesicht in ihren Handinnenflächen versteckt und mit einem tiefen Schluchzen, während sie auf dem Bett der Übergängerin saß, die ihren Schützling mit bemitleidenswertem Blick ansah.
      "Das konntest du auch nicht, Schätzchen. Ihr Menschen habt keine Chance gegen die Geschöpfe, die in den Tiefen lauern... sei es auch nur ein gewöhnlicher Weißer Hai."
      Die junge Frau schaute auf und Tränen bahnten sich den Weg ihre blassen Wangen hinab.
      "W-Was meinst du damit 'nur ein Weißer Hai'?", während sie den Körper der Übergängerin eingehend betrachtete. Den Oberkörper einer gewöhnlichen korpulenten Afroamerikanerin - das krause Haar, die vollen Lippen, die duklen Augen und das üppige Dekolleté, versteckt unter Stoff, der wie helle Muscheln einen perfekten Kontrast zu ihrer dunklen Haut bot. Der Unterkörper hingegen war nicht der einer Frau. Es waren Tentakel, die sich meterlang zogen und am Boden kräuselten. Mit kräftigen Saugknöpfen daran, und Francis wusste nicht genau, ob sie wissen wollte, was sie mit diesen anrichten konnte, hatte sie es mal auf jemanden abgesehen. "Gibt es noch mehr solche außergewöhnlichen Wesen wie dich?"
      Zunächst bekam die Braunhaarige nur ein amüsiertes Lachen als Antwort, bevor sie sich abermals durch ihr voluminöses Haar fuhr. "Natürlich, Schätzchen. Wesen, die es in keinen deiner Bücher zu finden gibt.- Wesen wie mich, Fischmenschen, Meerjungfrauen-"
      "Meerjungfrauen?", warf sie mit großen Augen und geöffneter Kinnlade ein. Aber die gab es doch nur in den Märchen.
      "Ja, manchmal ist die Welt wundersamer als du denkst, und vieles bleibt euch Menschen da oben verborgen."
      "Offensichtlich...", murmelte sie vor sich her, nicht den Blick von der Übergängerin abgewendet. Erst nach einer Weile ließ sie ihren Blick durch die wunderschöne Kristallhöhle schweifen, die gemütlich eingerichtet war. Fische, deren Leib leuchteten, und die ihren Platz offenbar nicht verließen, spendeten etwas Licht in der Dunkelheit.
      "Und du lebst hier, Usaya? Ganz alleine?"
      "Oh, schön wär's", entgegnete sie. "Ich bekomme öfter Besuch... und hier - meine Freunde, leisten mir auch Gesellschaft. Sagen wir: Ich bin nicht so allein wie ich es gerne wäre."
      Den Blick von den lichtspendenden Fischen abgewendet, die etwa die Größe eines ausgewachsenen Kugelfisches hatten, und auch an diese Art erinnerten, schaute sie wieder zu Usaya, die sich bereits als eine Meerhexe vorgestellt hatte, ganz zur Faszination der Hobby-Taucherin, die sich unter dem Begriff "Meerhexe" etwas ganz anderes vorgestellt hatte. Abgrundtief böse Geschöpfe, die einem nach dem Leben trachteten, wilde Flüche aussprachen und zehrten vom Leid ihrer Opfer. Doch Usaya erfüllte keine dieser Vorstellungen auch nur ansatzweise.
      "Erzählst du mir etwas über diesen Ort? Wie leben die anderen Wesen - gibt es so etwas wie... eine Stadt oder Dörfer?"
      "Wir leben im Königreich Asyka. Es wird angeführt von unserem König Narius und seiner Gemahlin. Unser König ist einer der fünf Wächter."
      "Fünf Wächter?", fragte sie neugierig und zog ihre Augenbrauen fragend zusammen. "Was bedeutet das?"
      "Die Wächter sind für den Schutz Asykas vera-"
      Doch gerade in diesem Moment ertönte eine altbekannte Stimme, was bei Usaya für ein tiefes Seufzen sorgte. "Wenn man vom Teufel spricht. Warte kurz, Herzchen", sagte sie und bewegte sie mit ihren Tentakeln über den Boden gleitend zum Ausgang, um in das Gesicht Adyns zu blicken. Mit dem Zeigefinger ihrer von Ringen gezierten Hand löste sie den Bann, sodass er problemlos eintreten konnte.
      "Wenn du es noch etwas auffälliger machst, wissen gleich die sieben Weltmeere, was ich hier beherberge! Also komm gefälligst rein!", zischte sie dem Wächter entgegen. Die Meerhexe zeigte keinerlei Respekt gegenüber jenen, aber dafür war sie bekannt. Und niemand nahm es ihr wirklich übel, stellte sie doch so etwas wie eine Mutter für die Wächter dar und war eine enge Verbündete seit vielen Jahrhunderten. Die junge Frau hatte sich derweil vom Bett erhoben und schaute etwas verängstigt zu dem großen Fremden, der mit seiner muskulösen und von Tattoos verzierten Erscheinung, seinem langen Haar, dass sich wie Algen um sein Antlitz legte und die lilafarbenen Augen, zweifelsfrei eine imposante Erscheinung war.
      "So viel zum Thema 'lebst du allein?'. Die lassen mich nie wirklich in Ruhe", beschwerte sie sich, machte keine besondere Sache daraus, dass einer der Wächter in ihrer Höhle stand, und dazu noch das Exemplar, das neben dem König und Nerea wohl die imposanteste Erscheinung war. "Das ist einer der Fünf: Adyn."
      Die Menschenfrau hingegen war nicht fähig, auch nur einen Ton herauszubekommen, sah ihn nur mit großem Staunen an.

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    • Ein wenig war der Wächter schon darüber erstaunt gewesen, dass Usaya ihn einfach so hatte eintreten lassen, wo sie sich doch denken konnte, dass er gewiss nicht zum Pläuschchen abhalten gekommen war. Doch wer wusste es schon, vielleicht hatte sie ja tief in sich drinnen Adyn ja auch gerade deswegen rein gelassen. Denk ganz gleich um wen es sich handelte - abgesehen vom Prinzen, da war sich Adyn todsicher - jeder Bewohner Asykas hätte den Menschen so schnell es ging wieder los werden wollen. Nur würden die meisten nicht den Weg bevorzugen, der ihm und Nerea von Kailani aufgetragen wurde, nämlich die Menschenfrau wieder dort hinzubringen wo sie hingehörte. Die Mehrheit hätte sie vermutlich einfach, nun ja; entsorgt. Das kam in dieser Weise auch für Adyn nicht in Frage, alleine schon aufgrund von Nerea - ihren Zorn wollte nicht einmal er, der selbst ein uraltes Ungeheuer in sich versiegelt trug, spüren. Doch sie musste weg. Das stand fest. Und am Besten geschah das noch, ehe tatsächlich noch irgendwelche Visionen und Vorahnung wahr wurden und Asyka gezwungen war sein Schicksal in die Hände eines kleinen Menschen zu legen.
      ''Ich kann es verstehen und gleichzeitig nicht, warum Nerea ausgerechnet dich auserwählt hat. Was hast du alte Tratschtante schon alles herausposaunt, huh?'' Adyn und Usaya, ja von all den Wesen, die mit ihr zu tun hatten und sie als eine enge Bezugsperson sahen, konnte man wohl am ehesten von den beiden behaupten, dass sie wie Mutter und Kind waren - ein kleines, freches Kind um genauer zu sein. Und eben weil das schon reine Routine war, für beide, war es auch wenig verwunderlich, dass eines der vielen Tentakeln ausholte und nach Adyn peitschte und dieser wie durch Hellsehen diesen mit seiner Hand abfing und ihn mit einem verächtlich Schnaufen wieder los ließ.
      ''Es wurde entschieden, dass sie nicht hier bleiben wird, aber das weißt du ja sicher bereits auch schon von Nerea. Das spielt jedoch sowieso nur eine kleine Rolle gerade, denn mit meinem Armband wird das winzige Ding keine Stunde mehr Sauerstoff zur Verfügung haben. Danach heißt es dann blubb, blubb, blubb!'' Ein weiterer Peitschenhieb und wieder genauso vorausschauend für den Wächter, wie auch der erste schon. Immerhin wusste er genau, wen er mit dem was er sagte, wie auf die Palme bringen konnte. Und eben darin lag ja auch der ganze Spaß. ''Also ganz gleich, was Nerea noch geplant hat oder nicht - mir soll es egal sein, denn ich werde sicher nicht den Babysitter für einen Menschen spielen - werden wir jetzt einen kleinen Ausflug machen, um dafür zu sorgen, dass die da nicht verreckt. Zumindest nicht innerhalb Asykas Stadtmauern.'' Das erste Mal, seit er in der ziemlich gemütlichen Höhle von Usaya stand, wanderte Adyns Blick zum Menschen und traf sie ziemlich direkt und wenig freundlich. Von oben bis unten wurde die junge Frau für einen kurzen Moment gemustert, ehe der Wächter seine Nase rümpfte und eine Augenbraue anhob, um etwas entscheidendes anzufügen:
      ''In diesem Aufzug wirst du jedoch ganz sicher keinen Fuß nach draußen setzen. Die falsche Delfinhaut geht gar nicht, also zieh es aus.''
    • Es waren Worte, die die junge Frau schockierten. Worte, mit denen sie nicht gerechnet hatte. Sie war der Überzeugung, bis zu diesem Moment, dass ihr Unglück enden würde. Dass sie zurückkehren konnte, sich herausstellte, das alles nur ein böser Traum war. Und dass der erste Wimpernschlag des heutigen Tages mit einem Tag beginnen würde wie jeder andere. Jene Tage, die sie verfluchte, sie als langweilig und ereignislos beschimpfte. Tage, an denen sie sich nichts lieber wünschte, als weit weg von ihrer Kleinstadt zu leben und zu wissen, dass ihr Leben mehr bereithielt, als die Tochter eines alten, gebrechlichen Mannes zu sein, um den sie sich kümmern musste und dieses ständige Piepsen ihr nicht vor Augen führte, dass sie nur eine einfache Supermarkt-Kassiererin war. Dass sich ihr Traum, Jura zu studieren, nicht in Luft aufgelöst hatte. Geplatzt war wie eine bunte Seifenblase, die auf die Spitze eines Gegenstands traf und zerplatzte, so als hätte es sie nie gegeben. Irritation, Angst und das Gefühl einer tiefen Leere überkam die braunhaarige Taucherin, die in ihrem Neoprenanzug den Jahrhunderte alten Wächter an einen Delfin erinnerte.
      "Ich bleibe hier?", fragte sie verdutzt, so als wollte sie eine Bestätigung für das Unausweichliche erhalten. Er sprach nicht einmal mit ihr, sondern mit der mächtigen Meerhexe, deren Ausdruck ihres Gesichts eine ungewohnte Ernsthaftigkeit zeigte. Sie hatte ihre Augenbrauen zusammengezogen und ihre vollen Lippen waren ein gerader Strich ohne Lächeln. Ein Ausdruck, der Francis in keiner Minute ein Gefühl der Besorgnislosigkeit vermittelte. "Das ist ausgeschlossen!", fuhr sie den beiden ins Wort, doch diese schienen die Menschenfrau nicht zu beachten. Doch dann. Dann warfen sie ihre Blicke zu ihr. Usaya schwieg, doch der Mann richtete das Wort an sie, während seine grünen Haare weiter wie Algen um sein ernstes Gesicht schwebten. Sie solle sich... ausziehen? Was? Zunächst stand sie nur mit offenem Mund da, nicht fähig, irgendein Wort herauszubekommen. Dann, vorsichtig, schüttelte sie den Kopf. "Hör zu, Wächter", begann sie, so als würde ein alter Bekannter vor ihr stehen. Nicht etwa ein Freund, dafür klang ihr Tonfall zu sehr gefüllt mit Hochachtung. Eher wie man mit einem geschätzten Lehrer oder Großvater sprach. "Ich werde weder mit Ihnen irgendwo hin gehen, noch werde ich hier unten bleiben. Ich habe ein Leben auf der Erde, verstehen Sie? Ich habe Familie, einen Dad...", eigentlich ihre einzige Familie, doch das musste er nicht wissen, und Usaya auch nicht, auch wenn sie zu der gesprächgen Meerhexe schon so etwas wie ein Vertrauensverhältnis aufgebaut hatte. "Und sicher werde ich schon schmerzlich vermisst, also... wäre ich sehr dankbar, wenn Sie mich wieder unbeschadet nach oben bringen könnten. Ich werde nichts erzählen, über all das, was ich hier unten sah... Ich... Ich habe viele Freunde verloren, wissen Sie?"
      Ihre Stimme begann zu zittern, doch sie blieb stark und ließ ihre Tränen nicht den Weg über ihre Wangen finden. "Ich will nichts von Ihnen... und auch nichts von dir, Usaya. Ich will nur nach Hause."
      Usayas Gesichtsausdruck verriet Mitgefühl. Doch auch wenn sie das kleine, zierliche Ding viel lieber in ihre Arme geschlossen und ihr gesagt hätte, das alles gut werden würde, dass sie sich nicht fürchten musste, dass ihre Freunde nicht an diesem Tag gestorben seien und sich herausstellen würde, dass alles nur ein Albtraum war, so konnte sie es nicht. Es war alles wahr, echt und lebendig. Sie musste den Tatsachen - so schrecklich sie auch erschienen - in die Augen sehen, nicht zurückblicken und stark sein. Sich nicht von ihrer Trauer und ihrer Angst brechen lassen. Doch wie sollte sie das schaffen?
      Mit einer gewissen Kühle und Distanz in ihrer Stimme sprach die Dunkelhäutige: "Kleine, wir alle haben viel verloren. Viele, die uns lieb und teuer waren, unzählige, von denen wir uns nicht verabschieden konnten. Und wir sind noch hier. Du darfst dich nicht von deiner Angst zerstören lassen. Das hinterlässt nur Narben... und Falten, dafür bist du eindeutig zu hübsch, Schätzchen."
      Ein warmes Lächeln legte sich auf die üppigen Wangen der Meerhexe und zeigte, dass sie wieder ganz die Alte war. Ein Herz aus Gold und ein starkes Ich, das kein Blatt vor den Mund nahm. Locker, leicht, freundlich und warmherzig, aber auch völlig resolut und unerschütterlich. "Du wirst unserem Adonis hier vertrauen müssen. Sobald es möglich ist, dich wieder in dein altes Leben zu schicken, wird er das sicher tun. Er mag nämlich keinen Besuch", sagte sie und verdrehte amüsiert die Augen. "Und du..."
      Ihr Blick traf auf den Wächter. Tödlich und finster wie die Nacht durchbohrte sie ihn, bevor ein Klatsch einen festen Schlag auf seinen Hinterkopf verriet, wofür sie sich kurzzeitig mit ihren Tentakel einige Zentimeter nach oben befördern musste, um diesen überhaupt zu erreichen. "Bist gefälligst etwas freundlicher!"
      Mürrisch drein blickend, änderte sich der Ausdruck ihrer dunklen Augen, als sie die der verunsicherten Taucherin traf. Die Wärme war wieder zurückgekehrt. "Ich werde mich um ein Outfit für dich kümmern. Komm mit, Schätzchen. Und du!", fuhr sie noch einmal um, knirschte ihre schneeweißen Beißerchen aufeinander und warf Adyn erneut einen mörderischen Blick zu. Ihre Augen waren nur noch dünne Schlitze. "Ein Blick und ich töte dich!"
      Und das meinte sie genauso wie sie es sagte. Ängstlich sah sie zwischen dem großen Mann und der Frau halb Tintenfisch hin und her, bevor sie der Meerhexe tiefer in die Höhle folgte. Hier war es noch dunkler als im vorderen Teil, doch ein Licht, entstanden aus den massigen Händen der Hexe erleuchtete die Dunkelheit neben ein paar wenigen Kristallen. "Ich bin keine Modedesignerin... aber ich gebe mein Bestes", sagte sie schmunzelnd. Durch die leichte Lichtquelle war ihr Gesicht schemenhaft zu erkennen und verlieh diesem das düstere Etwas. Dann berührte sie Francis mit ihren Händen an den zarten Schultern und im Nu wurde der Neoprenanzug durch ein wunderschönes Gewand ersetzt. Elfengleich schmiegte es sich an ihren zarten Körper wie eine zweite Haut, erstrahlte in einem Azurblau. Weite Ärmel, die im Wasser tanzten und Goldverzierungen an dem tief einblickenden Dekolleté schienen aufwändig, wie durch die Hand einer Künstlerin gefertigt. Es war kurz, verriet einen verführerischen Blick auf ihre langen und schlanken Beine, die makellos schienen. Ihr braunes Haar legte sich um ihre weiblichen Gesichtszüge und die großen blauen Augen hatten aber auch etwas kindlich naives. "Wunderschön!", rühmte sie ihr Meisterwerk und betrachtete das junge Ding im Glanz der Kristallfarben. "Dreh dich für mich! Na los!", sagte sie, was Francis tat, wenn auch immer noch völlig verunsichert. "Nun könntest du fast eine von uns sein. Komm! Mr. Griesgram wartet sicher schon ganz ungeduldig!"
      Sie verschwand wieder in den vorderen Bereich der Höhle, in dem Adyn auf die beiden gewartet hatte. "So, bitte sehr. Ist sie nicht wunderschön? Und nun? Wie geht es weiter, oh hoher Wächter?"
      In ihren Worten schwang Hohn mit. Kein Funken Respekt oder Ehrfurcht. Doch so war Usaya, und so würde sie vermutlich immer bleiben.

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    • Widerworte prallten grundsätzlich vergebens an Adyn ab, doch weil es sich diesmal auch noch um einen Menschen handelte, hatten die Worte noch weniger Gewicht für ihn - genauso gut hätte er der junge Frau auch gar kein Gehör schenken können. Doch war es eben dieser Widerstand, der es ermöglichte, dass Usaya und der Mensch für einen Moment verschwinden konnten. Schließlich war Adyn kein Ungeheuer, wenn er auch eines in sich trug. Ja er war, streng, sehr streng, wenig empathisch und sein Geduldsfaden riss schnell, aber wahre Courage erkannte er sofort und respektierte diese. Dennoch gab er den beiden nicht mehr als 10 Sekunden Zeit. 10 Sekunden, die er im selben Abstand herunter zählte und keine Sekunde später sich bereits in Bewegung zu setzen begann, als die Menschenfrau auch schon wieder hervortauchte, dicht gefolgt von Usaya.
      ''Wie es weiter geht? Na klar, möchtest du uns vielleicht noch ein Gebräu aufsetzen, damit ich es dir in aller Ruhe schildern kann? Ist ja nicht so, dass ich nicht bereits erwähnte, dass ihr jeden Moment der Sauerstoff ausgehen könnte.'' Ihm wäre es im Prinzip gleich gewesen, was mit dem Menschen geschah, unter ein wenig anderen Umständen. Aber wenn er seinen eigenen Worten einen kurzen Moment schenkte, um darüber dachzudenken, dann erkannte er schnell, dass er ebenso wenig Interesse daran hatte, sich mit Usaya zusammen zu setzen oder gar ein Gebräu mit ihr zu trinken. Und das unterstrich er mit einem genervten Zungenschnacken, während er vor dem Menschen auftauchte und sie an ihrem Oberarm packte, mit der Absicht die Höhle endlich zu verlassen. Aber seine Finger vernahmen ein Gefühl, das schon so alt und tief in seinen Erinnerungen verborgen war, dass er noch vor möglichem Protest wieder los ließ und stattdessen seine Arme vor der Brust verschränkte, die Frau mehr oder minder grimmig - mehr verärgert über sich selbst - anstarrte.
      ''Für diese Gegend, die aus nicht besonders hellen Leuchten besteht, kommst du als ein Unterwasserlebewesen durch, doch dazu gehört noch mehr als nur das Äußere. Das Ding, das du trugst, es verrät mir, dass du vertraut mit dem Tauchen bist. Also weißt du, wie man sich unter Wasser bewegt?'' Adyn war zu groß für die Höhle, um es hier zu demonstrieren, weshalb er sich zum Ausgang begab und lediglich mit einem Blick zu verstehen gab, dass der Mensch ihm folgten sollte. Er verließ also als erster die Höhle, um in das kalte Meer hinaus zu schwimmen und machte absichtlich einige langsamere Bewegungen, die sich die Frau hoffentlich abgucken würde, ehe er sich wieder zu ihr und der Höhle umdrehte.
      ''Bleib dicht hinter mir. Solltest du nicht hinterherkommen können, weil ich zu schnell bin, dann halt dich an mir fest, denn wie viel Zeit du noch hast, weiß keiner von uns. Und eins noch: kein Wort, es sei denn ich sage es so!'' Es war schon Überraschung genug gewesen, dass sie überhaupt in der Lage war zu reden. Besser wäre es gewesen, wenn sie es nicht gekonnt hätte, denn ihre Ausdrucksweise verriet sofort, dass sie nicht von hier stammte.
      ''Wir werden jemandem einen Besuch abstatten, der sehr listig ist und sich gerne reden hört. Er wird, dank dem Aufzug, den du Usaya zu verdanken hast, Interesse an dir zeigen, lass dich davon nicht beirren.'' Damit spielte Adyn als einzige Reaktion zum ihrem neuen Aussehen auf das Kleid des Menschen an, vor allem auf die Kürze. Sie würden es beide erst herausfinden können, wenn es soweit war, ob die langen nackten Beine zum Vorteil sein würden oder ob der Besuch grundsätzlich eine Katastrophe werden würde. Denn Adyn war sich bis heute nicht sicher, ob er von dieser Kreatur respektiert wurde oder man es ihm nur vorspielte. Vermutlich wusste das kein Meeresbewohner weit und breit so richtig.
    • Die dunkelhäutige Seehexe knirschte mit den Zähnen auf das grimmige Kommentar des Wächters. Uh! Wie sie seine herablassende Art hasste! Mit wem dachte er zu sprechen!? Sie war doch nicht irgendjemand! Doch sie kannte den Wächter schon zu lange, um es ihm wirklich übel zu nehmen oder nachtragend zu sein. So seufzte sie ihren Zorn einfach davon und wandte den Blick zu jener jungen, wunderschönen Frau, die zweifellos eine von ihnen sein konnte - jetzt, wo sie diese wunderschöne Robe trug und das braune Haar um ihr zartes Gesicht schwebte. Sofort wurden Usayas Gesichtszüge weicher und ihre vollen Lippen formten sich zu einem Lächeln.
      "Pass auf dich auf, ok, Kleine?"
      Etwas unsicher erwiderte Francis das Lächeln der Meerhexe und sagte so leise, dass es fast einem Flüstern gleichkam: "Vielen Dank. Für alles."
      "Ja, ja schon gut. Dafür bin ich ja da. Nun geh, bevor unser Mr. Grumpie völlig die Fassung verliert."
      Dieser wartete bereits ungeduldig. Er war wohl kein Mann der ausschweifenden Worte. So tat die Menschenfrau wie ihr geheißen und folgte mit gekonnten Bewegungen dem kräftigen Krieger. Es war anders, ohne den engen Stoff des Neoprenanzugs auf ihrer Haut, ohne die Schwimmflossen, die es ihr leichter machten, sich wie ein Fisch, so schnell und wendig, im Wasser zu bewegen. Und auch wenn sie keinesfalls mit der Geschwindigkeit des Wächters mithalten konnte, so bewegte sie sich doch recht geschickt - für einen Menschen...
      "Warte!", zischte sie nach einer Weile, etwas außer Atem. Die sich immer wiederholendenden Bewegungen waren anstrengend, zumal sie noch nicht ihre vollständige Vitalität zurückerlangt hatte. Durch die Geschehnisse war sie noch immer geschwächt, müde und erschöpft. Dennoch auch gewillt, zu kämpfen, und wieder in ihr altes Leben zurückzukehren. Sie versuchte jeden Gedanken an ihren Vater zu vermeiden, der sie sicher schon schmerzlich vermisste. Sie sah schon das blaue Licht der Einsatzwägen, die sich auf die leichten Wellen des Meeres legten, die Spürhunde, die mit ihren feuchten Nasen den ganzen Strand nach ihr und ihren Freunden absuchten. Ihre Freunde. Ein Klos lag in ihrem Hals, ihre Kehle fühlte sich trocken an und sie schluckte den Schmerz hinunter. Sie wollte vor dem Wächter keine Schwäche zeigen. Sie hatte ihn mit schnellen Bewegungen ihrer langen, schlanken Beine eingeholt und hielt sich an seinem Arm fest, so wie er es bereits angeboten hatte, sollte sie nicht seinem Tempo folgen können. "Wer ist dieser Typ?", wollte sie etwas außer Atem wissen und schaute in das Gesicht des Wächters. Es strahlte Männlichkeit und Entschlossenheit aus. Wie alt er wohl war? Vermutlich schon älter, als Francis glaubte, doch das spielte nun auch keine Rolle. Er war der Einzige, der ihr im Moment zur Seite stand. Usayas Höhle lag nun schon weit zurück. Die Angst, dass ihr der Sauerstoff ausgehen könnte war allgegenwärtig. Bildete sie sich nun schon ein, dass eine Hand sich so schwer wie Blei auf ihre Brust drückte und ihr das Atem bereits schwerer fiel?

      Muttersein ist eine Liebesgeschichte, die niemals endet.