Blood for Freedom [Michiyo & Domino]

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    • Blood for Freedom [Michiyo & Domino]

      Vor etwa zehn Jahren wurde das Königreich Anequina von den Truppen der kaiserlichen Kampfmagierin Euraxia Tharn angegriffen. Es gelang ihnen in kürzester Zeit zur Hauptstadt Krempen vorzudringen und sie einzunehmen. Innert einer einzigen Nacht wurde die gesamte königliche Familie ermordet und Euraxia setzte sich selbst als Königin Anequinas auf den Thron. Dieses Ereignis ging als Eisherbst-Putsch in die Geschichte ein und trotz des tapferen Widerstandes – und durchaus vorhandener militärischer Erfolge - der anequinischen Bevölkerung ist der Griff der Usurpatorin auch nach all den Jahren weiterhin ungebrochen. Doch abgesehen von der Thronräuberin, die ihr Volk unterdrückt, streifen Nekromanten durch die Lande und es heißt es seien in der jüngsten Zeit Drachen gesehen worden. Anequina ist somit alles andere als sicher.

      X ist seit wenigen Wochen Mitglied des Widerstandes – durchaus auch aus Überzeugung, doch grundsätzlich ist sie Abenteurerin, Söldnerin, Problemlöserin und ihre Fähigkeiten sind gefragt. Zudem ist ihr Vater als Berater des Anführers tätig, hat ihre Hilfe ausdrücklich verlangt. Vor kurzem wurde sie damit beauftragt wichtige Dokumente aus dem Palast von Krempen zu stehlen. Der Auftrag verläuft einigermaßen reibungslos, sie gelangt an die Dokumente, doch während sie das Gebäude zu verlassen sucht wird sie entdeckt. Der Teleportzauber, der ihr zur Flucht verhelfen soll schlägt aufgrund der Schutzzauber fehl, sodass sie statt außerhalb Krempens direkt in einer der Zellen landet – nämlich der Zelle, in der Y eingesperrt ist. Da sie ja sowieso ausbrechen muss, nimmt sie ihn prompt mit, ohne zu wissen, dass sie sozusagen ein Goldstück in ihrer Begeleitung hat. Denn Y ist das einzige überlebende Mitglied der Königsfamilie und sein Erscheinen beim Widerstand konnte der ganzen noch einmal gehörigen Aufwind verschaffen, immerhin gibt es nun ein Symbol für das es sich zu kämpfen lohnt. Doch erstmal müssen sie es überhaupt nach Stromfeste zum Hauptquartier des Widerstandes schaffen. Ist Y zudem überhaupt dazu bereit sich an die Spitze des Widerstandes zu setzen?

      @Michiyo - Post folgt <3

      "Fear of death is worse than the death itself"
      by Shuichi Akai

      "Lächle. Du kannst sie nicht alle töten."

    • Leise schloss ich die Tür zum Arbeitszimmer meiner Tante hinter mir und erlaubte es mir zum ersten Mal ein wenig der Anspannung loszulassen. Es war nicht die erste Mission, die mich auf feindliches Gebiet führte, doch ich fühlte mich nie wirklich wohl damit – oder auch nur ansatzweise sicher, gleichwohl ich meinen Fähigkeiten vertraute. Um möglichst wenig Aufmerksamkeit zu erregen hatte ich mich in der Kleidung einer Bediensteten in den Palast geschlichen, de Rüstung unter einem Illusionszauber verborgen, der ebenfalls mein Aussehen veränderte. Es war eine Sache irgendetwas aus einem beliebigen Palast zu stehlen – es war eine ganz andere das bei der eigenen Tante zu tun, weswegen ich lieber übertrieben vorsichtig war. Vor allem weil ich ihr durchaus zutraute zu wissen, dass Vater und ich den Widerstand unterstützten. Es hing schlicht davon ab wie gut ihre Spione waren. Immerhin hielt sie sich nun bereits zehn Jahre auf einem Thron der nicht der ihrige war.
      Mit geschlossenen Augen streckte ich meine magischen Sinne aus und überprüfte den Raum auf mögliche Schutzzauber und Fallen. Keine Fallen, doch wie ein Leuchtfeuer sprang mir das Schloss eines Aktenschrankes ins Auge. Magisch versiegelt und mit Zaubern belegt, die ein Öffnen durch fremde Hand verhindern sollten. Derart offensichtlich, dass ich unwillkürlich eine Falle dahinter vermutete, doch ich musste es wohl darauf ankommen lassen. Ein grimmiges Lächeln glitt auf meine Lippen, während ich auf den Schrank zutrat und mich daran machte einen Zauber nach dem anderen zu lösen. Wenn ich ehrlich war, dann hätte ich vor meiner Reise niemals daran gedacht meine magischen Fähigkeiten zum Schlösserknacken zu verwenden wie eine gemeine Diebin, doch noch nie hatte ich Notwendiges gescheut. Zudem war es ein sehr befriedigendes Gefühl, wenn das Objekt der Begierde plötzlich offen war. Schnell ließ ich meinen Blick über die verschiedenen Beschriftungen wandern, denn die Zusammenfassungen der jährlichen Steuereinnahmen Krempens interessieren mich wenig. Anderes aber umso mehr. Truppenbewegungen, sämtliche Informationen, die man über den Widerstand gesammelt hatte und wie man dagegen vorgehen würde, Pläne über zukünftige Angriffe, denn Euraxia hatte noch immer nicht ganz Anequina in ihrer Hand. Schnell überflog ich den Inhalt der jeweiligen Mappen, ehe ich sie in dem Beutel an meiner Hüfte verschwinden ließ, der zwar unscheinbar war, aber dessen Fassungsvermögen durch einen Zauber erweitert wurde. Soweit so gut – raus hier, bevor ich doch noch entdeckt wurde.
      Ich machte mir nicht die Mühe den Schrank wieder magisch zu verschließen, weil ich wusste, dass es vergebens wäre zu versuchen die Kombination an Zaubern haargenau so zu reproduzieren, wie sie gewesen war. Außerdem würde sie es sowieso merken. Hoffentlich erst dann wenn ich Krempen wieder verlassen hatte. Vorsichtig öffnete ich die Tür, lugte auf den Korridor und schlüpfte schließlich hinaus, als niemand zu sehen war. Eigentlich war das hier beinahe zu leicht und wahrscheinlich sollte ich mein Glück nicht weiter auf die Probe stellen, auch wenn mir einige Dinge einfielen, die ich tun könnte, wo ich schon einmal hier war. Kaum war ich jedoch aus dem Arbeitszimmer getreten, da ertönten Stimmen in meiner Nähe. Ungünstig. Es lagen bestenfalls eine Ecke und einige Schritte zwischen mir und den sich nähernden Personen. Mein Herzschlag erhöhte sich zum ersten Mal am heutigen Abend, als ich eine der beiden Stimmen erkannte. Ja, ich hatte mich eben noch gedanklich beschwert, dass es zu einfach war, da wurde es dann just sehr viel komplizierter. Möglichst leise schloss ich die Tür hinter mir und hatte gerade den ersten Schritt getan, um mich zu entfernen, da bog die Usurpatorin von Krempen um die Ecke, sodass ich ihrem Blick schutzlos ausgeliefert war. Egal wie wenig ich vom Intellekt meiner Tante hielt – ich hielt sie nicht für beschränkt genug meine Illusionszauber nicht zumindest zu erspüren. Das würde allerdings ihr Misstrauen mehr schüren als die Tatsache, dass eine ihrer Bediensteten vor ihrem Arbeitszimmer herumlungerte. Bis sie die gestohlenen Dokumente bemerken würde, war demnach nur eine Frage von Minuten. Nein, es gab keine wirkliche Möglichkeit unauffällig aus dieser Situation zu gelangen.
      „Du da, was hast du in meinem Arbeitszimmer zu suchen?“, erklang auch bereits die Stimme meiner Tante, weswegen ich mich möglichst langsam umdrehte. Zeit gewinnen. Gespielt nervös gruben sich meine Finger in den Stoff des Kleides, während ich den Blick leicht gesenkt hielt und augenscheinlich kein weiteres Wort herausbekam. Das war auch nicht nötig, denn im Geiste wob ich bereits den Teleportzauber, der mich außerhalb der Stadt bringen sollte. Aus den Augenwinkeln bemerkte ich, wie meine Tante sich anschickte, mich abermals anzuherrschen, weil ich noch immer keinen Ton über die Lippen gebracht hatte. Doch dazu kam es nicht mehr, da der Zauber wirkte und meinen Körper mit sich fortriss. Wenn ein Teleportationszauber einmal gewirkt war, konnte man ihn nicht mehr beeinflussen, weswegen derartige Magie unzuverlässiger war als ein Portal, doch es ging nun einmal auch sehr viel schneller. Allerdings spürte ich regelrecht, wie meine Magie von etwas abprallte und ich kam hart und unelegant auf dem Boden auf, während die Illusionszauber brachen.
      „Verflucht“, zischte ich, während ich mich mit einer Hand hochstemmte und zu ergründen versuchte, ob ich durch den Aufprall möglicherweise gebrochene Knochen davongetragen hatte. Alles andere wäre nicht so schlimm, Prellungen konnte ich überleben. Erst dann befasste ich mich mit meiner Umgebung. Der Unrat auf dem Boden, der Geruch nach menschlichen Ausdünstungen, nach Blut, nach abgestandener, muffiger Luft, die teilweise vergitterte Tür, die sicherlich verschlossen war. Ernsthaft? Wahrscheinlich war ich noch immer in Palast, nur einige Stockwerke tiefer. Ich konnte Vaters höhnischen Blick bereits sehen. ‘Meine eigene Tochter schafft es, sich selbst in feindliche Gefangenschaft zu bringen. Was für eine Schande!‘ Es war so demütigend und ich war bedauerlicherweise nicht einmal in einer leeren Zelle gelandet. Mit wachsamen Blick beobachtete ich denjenigen, dem die Zelle hier eigentlich ‚gehörte‘.
      „Ich werde diese Zelle nun verlassen. Die Frage ist, ob ich großzügig genug bin Euch mitzunehmen oder ob Ihr Euch mir entgegenstellen möchtet und ich Euch hier verrotten lasse.“ Ich hatte nie Wert darauf gelegt sonderlich charmant zu sein, wenn es nicht darauf ankam.

      "Fear of death is worse than the death itself"
      by Shuichi Akai

      "Lächle. Du kannst sie nicht alle töten."

    • Khaos Rhysand Anequina

      Ein lauter Aufprall, ähnlich dem Klirren einer Rüstung auf Asphalt, riss meinen Blick umher. Es dauerte nicht länger als den Bruchteil einer Sekunde, dass ich das bekannte Geräusch zuordnen konnte und wusste - Tag X war gekommen. Ewigkeiten hatte ich darauf gewartet, hatte diesem Ereignis entgegengefiebert, doch wo er da war, blieb mir die Spucke im Hals stecken. Etwas in mir wollte der jungen Frau zur Hilfe schreiten, mich vergewissern, dass ihr nach dem Sturz nichts fehlte, jedoch befahl ich, meinen Glieder Abstand zu halten. Auch wenn meine Visionen anderes zeigten, so war sie doch eine Tharn, nichts weiter als eine Fremde, die durch Zufall - manch anderer hätte womöglich das Wort Schicksal in den Mund genommen - in meine Zelle stolperte. Ich blieb an der kühlen Steinmauer sitzen und gönnte mir ein paar Sekunden länger die einzige Abkühlung in diesem drückenden Loch. Meine Arme ruhten sanft auf meinen aufgestellten Knien, wobei jede Faser meines Körpers unter Strom stand. Man hatte mir nie erklärt, wie viele Szenarien es für ein Geschehen gab. Ich konnte nicht mit Sicherheit behaupten, dass ich alle Ausgänge dieses Tages gesehen hatte. Demnach war Vorsicht angesagt. Bevor ihre Entscheidung nicht gefallen wäre, würde ich mich nicht aufrichten und meinen hochgewachsenen Körper über ihren türmen. In der dunklen Ecke war ich sicher vor ihrem Augenmerk, davor verurteilt oder gar erkannt zu werden. Wobei ich mir hierbei sicher sein konnte, dass Laelia mich in keiner Version der Abläufe erkannt hatte oder es nicht zum Ausdruck brachte. "Ich schätze, wir haben einen gemeinsamen Feind, statt uns gegenseitig an die Gurgel zu gehen. Was eure Großzügigkeit angeht, kann ich nur mutmaßen", eine Lüge, da sie mich in keinem Fall zurückließ, abgesehen von dem Mal, an dem meine Finger ihren zarten Hals umfassen und jegliches Leben daraus quetschten. Zu meiner Verteidigung, dieser Handlungsstrang kam mir erst an jenem Tag in den Sinn, als die Kampfmagierin mir einen Besuch abstattete. Sagen wir einfach, es war kein schönes Wiedersehen. Sie wollte lediglich sicherstellen, dass ihre kleine Ratte weiterhin brav in der Falle saß - was ich tat - und nach meinem Rat fragen. Natürlich weigerte ich mich, ihr mit der Kraft meiner Augen zu dienen. Natürlich hatte das Konsequenzen. Immerhin genehmigte sie mir anschließend eine Dusche. Zum einen, weil der Duft hier unten vor allem an den heißen Tagen kaum zu ertragen war, und zum anderen, weil mein Blut ihren königlichen Boden beschmutzte. Wie töricht von mir, tatsächlich royales Blut auf ihrem Land zu verlieren. Für die Unannehmlichkeiten sollte ich mich wahrlich entschuldigen. Ähnlich einem Tier hatten die Wachen mich mit einem Schlauch von Kopf bis Fuß abgespritzt. Jedes Mal, wenn ich in diesen Genuss kam, fragte ich mich, ob es die Schmerzen wert war. Der Wasserdruck des Strahls war enorm und hinterließ ausnahmslos blaue Verfärbungen auf meiner Haut. Immerhin schonte die Prozedur meine Nase für die folgenden Tage. "Die Entscheidung liegt also allein bei Euch." Schon amüsant, wie die Geschichte ihre Zeilen schrieb. In den letzten zehn Jahren war jeder Funken meiner Blutlinie aus meinen Adern gefiltert worden. Der Junge, der sonst die Befehle gab, war nunmehr nichts weiter als ein braver Untergebener. Wobei das brav sicherlich im Auge des Betrachters lag. Die Magierin Tharn hätte mich mit einem anderen Wort umschrieben. Aufmüpfig oder nutzlos vielleicht. Aber wenn man mich fragt, zählte jede Begegnung, der ich dem Versuch widerstand, ihr den Kopf von den Schultern zu reißen, zu gehorsam. "Darf ich fragen, wie ihr gedenkt, aus dieser Zelle zu entkommen? So sehr mich Euer Besuch ehrt, wird er vermutlich nicht Teil Eures magischen Handelns gewesen sein." Wie sagte man doch so schön: Man beißt nicht in die Hand, die einen füttert? Naja, ein wenig daran zu knabbern dürfte nicht schaden. Mir gefiel der Ablauf, indem ich die Dame ein wenig stichelte, am liebsten. Nicht ausreichend, um mich zurück zu lassen, aber genug, um ihren Stolz in den Spitzen ihrer Finger kribbeln zu lassen, bevor sie einen Zauber beschwor. Ich wusste, dass ich mich damit auf Glatteis begab, nur verlor man schnell die Hürde, wenn man 500 Varianten eines Tages durchlebt hatte. Meine Lippen hoben sich zu einem Schmunzeln. Die Muskeln meiner Gesichtszüge machten sich bei der ungewohnten Bewegung bemerkbar. In einer Zelle mit niemandem als sich selbst gab es nicht allzu viele Gründe zum Lachen. Als es den Anschein machte, dass die Dunkelhaarige sich ihrer Fähigkeiten widmete, sprang ich auf, streckte meinen Arm nach ihr aus und hielt ohne sie zu berühren inne. Zum ersten Mal war ich tatsächlich in einer Handlung, die ich vorher gesehen hatte. Eine, die ich immer und immer wieder vor geistigem Auge abgespielt hatte. Das erste Mal, dass ich Einfluss nehmen konnte. "Ein Zauber wird uns aus dieser Zelle befreien, jedoch nicht aus dem Palast. Sein Schutzzauber ist mit Magie zu betreten, aber nicht mehr zu verlassen." Anequina war eine billige Kopie einer riesigen Falle, ein Netz gespannt von der Spinne Euraxia, um ihre Beute in einer ausweglosen Falle zu wissen. Auf grobe Muskelkraft und Kampfkunst vertrauten die Magier schon lange nicht mehr. Ein Fehler, wie ich es empfand. Doch ich wurde lieber unterschätzt als überschätzt. "Gebt mir einen Moment." Für einen Burschen, der in den letzten Jahren abgesehen von Euraxia niemanden zum Reden hatte, sprach ich zu viel mit dieser Fremden. Ich hätte lieber schwiegen sollen, was ich daraufhin auch tat. Mein Arm senkte sich wieder im Gleichtakt zu meinen Lidern. Nur für einen kurzen Moment, ehe das Flieder weit aufgerissen in die Leere starrte. Dabei sah ich glasklar. Für Außenstehende dürfte es wie ein neuronaler Anfall wirken. Meine Pupillen huschten hektisch von einer Seite zur anderen, suchten einen Weg nach dem anderen, bis ich mich mit einem Szenario zufrieden gab und den Gedanken beendete. Hustend erwachte ich aus meinen Visionen. Noch immer vergaß mein physischer Körper normal zu funktionieren, während ich geistig auf Wanderschaft ging. Der Grund wieso ich nicht unzählige Varianten in einem prüfen konnte. Vermutlich wäre ich irgendwann erstickt. Leuchtende Augen eines Wahnsinnigen und ein erbärmliches Ringen nach Luft - guter erster Eindruck, oder? "Sie wissen, dass Ihr noch im Palast seid, aber nicht wo. Es gibt ein geheimes Tunnelsystem, das aus der Stadt führt. Ich kann Euch den Weg dorthin zeigen." presste ich zwischen meinen Atemzügen hervor, bis meine Atmung halbwegs Normalität annahm. Kein Schimmer, ob wir damit erfolgreich sein würden. Meine Entscheidung, diesen Pfad zu bestreiten, beruhte lediglich darauf, dass ich mit dem Niederschlagen einer Wache eine Waffe erlangte und tatsächlich das gesperrte Tor zum Tunnel öffnete. Was dazwischen oder danach geschah, sah ich nicht mehr. Ich wusste nur, dass ich darauf achten müsste, dass Laelia beim Öffnen des Tores die Augen schloss, wenn ich nicht wollte, dass sie eins und eins zusammenzählte. Denn der einzige Weg in das System hinein war ein Tropfen des königlichen Blutes auf dem Knauf. Selbst Euraxia war bisher nicht auf die Idee gekommen, da sie dafür die Familie Anequina tatsächlich als die ursprüngliche Königsfamilie anerkennen müsste.
      A heart's a heavy burden.

    • Uff. Das war unerwartet unangenehm. Eigentlich war der Plan gewesen, auf beiden Füßen irgendwo außerhalb des Palastes wieder zu erscheinen und nicht mit einer schieren Bruchlandung irgendwo … in einer Zelle? Das war alles andere als gut. Nicht nur, dass es eine Zelle war – vermutlich irgendwo in den tieferen Ebenen des Palastes, was bedeutete, dass ich noch immer nicht wirklich entkommen war – sondern auch, dass ich nicht alleine war. Den hellen Punkten in der Dunkelheit des Raumes zu urteilen hatte man meine egodezimierende Erscheinung aus dem Nichts nicht ungesehen vorüberziehen lassen. Scheinbar war mein Glück nach dem erfolgreichen Stehlen der Dokumente aufgebraucht gewesen - vielleicht wollten die Götter auch nur nicht, dass ich gänzlich kampflos auf dieser Mission endete, alles andere wäre ja auch langweilig. Zumindest war wohl nichts gebrochen. Das war die einzige Erleichterung, die ich aktuell empfinden konnte. Gebrochene Knochen machten einen Kampf ungleich schwieriger und selbst mit Heilzaubern konnte man das nicht innerhalb von Sekunden richten, von dem Kraftaufwand ganz zu schweigen. Ich hatte aber vor Krempen lebend zu verlassen. Angespannt lauschte ich zunächst auf die Geräusche von außerhalb der Zelle. Nach dem Lärm den ich verursacht hatte, war es nicht auszuschließen, dass die Wachen ebenfalls darauf aufmerksam geworden waren und nachsehen kamen. Das wäre ein wohl ärgeres Problem als derjenige, dem ich gerade in der Einsamkeit seiner Zelle Gesellschaft zu leisten verpflichtet war. Doch da war nichts. Also konzentrierte ich mich auf das akutere Problem – hier rauszukommen und sicherzustellen, dass man mir nicht noch innerhalb des Versuchs in den Rücken fiel. Doch zunächst erhob ich mich, weil es mir wenig lag im Staub vor anderen zu kriechen.
      „In diesem Falle ist also der Feind meines Feindes mein Verbündeter.“ Ein leichtes Schmunzeln folgte den Worten. „Ich kann nicht sagen, dass ich Zweckgemeinschaften abgeneigt wäre.“ Zweckgemeinschaften waren zumindest meiner Erfahrung nach sehr viel weniger zerbrechlich als jene, die auf so etwas wie Gefühlen gründeten. Beides war durchaus anfällig für Verrat, doch ein gemeinsames Ziel bot eine solidere Grundlage als irgendwelche Emotionen. Fakt war wohl, dass er auf mich angewiesen war, denn sonst würde er wohl kaum in dieser Zelle sitzen und weiterhin die Gastfreundschaft meiner Tante genießen müssen. Ich persönlich wollte es nicht darauf anlegen, auch nur einen Augenblick ihre Gastfreundschaft zu bemühen, denn ich wusste wirklich nicht genau was sie mit mir zu tun gedachte, doch es würde mit großer Wahrscheinlichkeit außerordentlich unangenehm werden. Euraxia und ich würden sicher keine Freundinnen mehr werden, doch das bedeutete nicht, dass ich potentielle Verbündete ablehnte. Eigentlich hatte ich die Entscheidung den Unbekannten mitzunehmen schon längst getroffen. Je nachdem wie wichtig er war, würde es sie also zusätzlich noch etwas ärgern. Es sei denn er brachte mich nicht derart zur Weißglut, dass ich ihm doch noch den Hals umdrehte. (Andererseits prallten derartige Sticheleien grundsätzlich sowieso an der Tatsache ab, dass ich genau wusste, dass ich besser war als der durchschnittliche mindere Magier. In der Regel war das doch nur Neid.)
      „Das kommt auf die Zauber an. Notfalls mit Gewalt. Ich will die Tür sehen, die sich mir widersetzt.“ Ein Schnauben ertönte, als wäre allein die Frage danach wie ich etwas zu bewerkstelligen vermochte vollkommener Unsinn. Wir sprachen von einer Tür, nicht von den Zaubern die über dem Palast lagen. Da hätte ich tatsächlich zuerst die Quelle ausfindig machen müssen, die dazu diente den Schutz über dem gesamten Areal aufrecht zu erhalten. Ich konzentrierte mich aber lediglich auf die Dinge, die uns in dieser schrecklich miefigen Zelle festhielten, als mein Gegenüber unvermittelt aufsprang, einen Arm aussteckte, als wolle er mich aufhalten. Was denn nun? Meine rechte Augenbraue schnellte in die Höhe, während mein Blick vermutlich eine Spur verständnislos wurde. Hielt er mich für derart geistig beschränkt, dass ich das nicht wusste? Natürlich würde ich nicht den gleichen Fehler zweimal machen! Dennoch nutzte ich den Moment, um meinen Blick über die ausgemergelte, vernarbte Gestalt gleiten zu lassen. Vermutlich saß er nicht erst seit gestern hier.
      „Dessen bin ich mir durchaus bewusst“, erwiderte ich also kalt, weil jede Sekunde die wir hier verbrachten dazu führte, dass meine Entdeckung eine Sekunde näherrückte, auch wenn ich nicht wusste ob meine Tante wirklich darauf gekommen war, dass ich es war die ihre Aufzeichnungen hatte mitgehen lassen. „Bitte.“ Insofern es bei einem Moment blieb. Allerdings musste ich gestehen, dass ich das was folgte nicht hatte verpassen wollen. Die fliederfarbenen Augen wurden aufgerissen, starrten ins Leere, wie ich es bislang nur bei Personen gesehen hatte, die eine Vision empfing. Doch im Gegensatz dazu schien sein kompletter Körper keinerlei Funktion mehr aufzuweisen. Instinktiv und vielleicht von einer gewissen wissenschaftlichen Neugier getrieben, streckte ich die Hand aus – sei es um zu spüren ob er überhaupt noch atmete oder ob sein Herz noch schlug – und ließ sie sofort wieder sinken, als er röchelnd, nach Luft ringend wieder zu sich kam. Jetzt war nun wirklich nicht die Zeit dazu derartiges zu hinterfragen. Aber es war nicht normal, dass man sich beim Wirken von Magie halb umbrachte. Wobei das natürlich auf die Magie ankam, manche Dinge verlangten einen hohen Preis.
      „Wunderbar. Dann sollten wir schleunigst von hier verschwinden, ehe Euraxias minderbemittelte Häscher doch noch den richtigen Ort finden.“ Für einen Moment versuchte ich zu ergründen, ob ein Tunnelsystem auf der Karte des Palastes eingezeichnet gewesen war, doch ich konnte mich nicht daran erinnern. Egal. Hauptsache ich konnte dieses Loch bald verlassen. Also konzentrierte ich mich auf die Tür und die Zauber, die ein Ausbrechen des Insassen verhindern sollten. Aber doch nicht die magischen Künste einer Laelia Tharn – selbst wenn Schlösserknacken eigentlich unter meiner Würde war. Schließlich ertönte ein befriedigendes Klicken.
      „Ich sehe nach ob auf der anderen Seite keine unliebsamen Überraschungen warten“, murmelte ich, schlüpfte aus der Tür und zog im Gehen einen Dolch. Wahrscheinlich war es klüger meine Kräfte zu sparen, immerhin wusste ich nicht wie oft ich sie nach brauchen konnte. Da niemand in der Nähe war, winkte ich ihm hinauszutreten. „Wo lang nun?“ Jetzt musste ich mich wohl oder übel auf seine Führung verlassen.

      "Fear of death is worse than the death itself"
      by Shuichi Akai

      "Lächle. Du kannst sie nicht alle töten."

    • Die Beziehung der beiden Damen interessierte mich sehr, nun wo Laelia vor mir stand und in einer Leichtigkeit von ihrer Tante sprach, die auf ihre Verwandtschaft schließen ließ. Ein Umstand, der mich an gewöhnlichen Tagen länger beschäftigt hätte und mir für einige Stunden einen Zeitvertreib geboten hätte - In Einzelhaft wurde man durchaus kreativ, konnte man behaupten. Ich fand den Begriff verzweifelt etwas passender. Sei es drum. Die Verlagerung ihrer Aufmerksamkeit gewann meine Neugier. Wie viele Male hatte ich versucht, das Schloss zu knacken? Knifflige filigrans Arbeit oder grobe Gewalt, nichts hat den Zauberbann gebrochen. Es war nicht dafür vorgesehen, von bloßer Manneskraft übertrumpft zu werden. Dann doch ein Vorteil, den die Magier gegenüber Normalsterblichen behalten würden. Wobei Khaos Rhysand Anequina als Normalsterblich zu beschreiben schon an Betrug grenzte. Meine Vorfahren hätten sich im Grab gedreht, bei solch einer Aussage. Eine Vielzahl an Wimpernschlägen später klickte das Schloss und offenbarte den Weg in die Freiheit… Ewigkeiten hatte ich darauf gewartet. Unzählige Male fantasierte ich davon, so rege Träume, dass ich mir sicher war, es handle sich um Visionen oder doch um die Realität. Aufgeregt stürmte ich heraus, dem Land entgegen, das mich schon längst verloren geglaubt hatte. Doch dieses Mal, jetzt, wo mir klar war, dass es wirklich geschah, schlug ich Wurzeln. Das Vorgehen der Brünetten war eine Erleichterung, würde sie so nicht zu Gesicht bekommen, wie erbärmlich ich in meinem eigenen Dreck, dem stinkenden Käfig, stehen blieb, als wäre dies ein sicherer Ort. Meine Beine streikten, lagen mir wie Steine im Weg und auch der liebliche Klang ihrer Stimme lockte mich nicht aus dem Versteck. Zehn Jahre, auch wenn mir bis dato nicht bewusst war, um wie viele Jahre es sich tatsächlich gehandelt hatte, verbrachte ich etwas, was sich wie mein halbes Leben anfühlte, hinter diesen Gittern. An der steinernen Mauer zollten winzige Einkerbungen von den Nächten, die ich zählte, bis kein Platz mehr war. Der stählerne Körper wurde hier geschmiedet, Blut, Schweiß und Tränen vergossen. Es kam einer Heimat - so absurd es auch sein mochte - am nächsten. Hinter diesen Stäben war ich nichts und niemand. Ein gebranntes Kind, von Narben gezeichnet, während ich in diesen Mauern, in meinem Palast zwar ein gefangener, aber immer noch Sohn des Königs Rhysand Lucario und Königin Seraphine Anequina war. Mein Zögern schien doch länger zuweilen, als es mir lieb war. Erst das erneute Auftauchen des Schopf der jungen Zauberin ließ mich zusammenzucken und die notwendigen Schritte setzen, um der Gefangenschaft zu entkommen. “Da lang.” ertönte meine tiefe Klangfarbe nach einem Räuspern und wies ihr den Weg zu ihrer Rechten.

      Gestorbene Erinnerungen glücklicher Tage erwachten zum Leben, so wie mein lang gewachsener Körper sich durch die Gänge schlängelte, die mir zum Teil im Gedächtnis geblieben waren. Bei all den Abzweigungen, die wir nahmen, verließ kein weiteres Wort meine Lippen. Ich ging einfach davon aus, dass mir die Dunkelhaarige auf den Fersen folgte, die leisen Schritte hinter mir, die mich wie ein Schatten begleiteten. An einer Abbiegung blieb ich stehen, da ich diese aus meinem Blick in die Zukunft erkannte. Hinter jener würde eine Wache warten, die mir für die weitere Reise ihre Waffe leihen musste. Leider blieb mir die Kenntnis darüber verwehrt, ob es einen treuen Untertanen des Palastes betraf, oder ein Kampf den Anhänger Tharns überwältigen müsste. Mit ausgestrecktem Arm hielt ich meine Begleiterin auf Abstand. Das Überraschungsmoment wollte ich auf meiner Seite wissen, auch wenn mir flüchtig der Gedanke kam, Laelia um ihren Dolch zu bitten. Ein Gefallen, dem sie sicherlich ohnehin nicht nachgekommen wäre, egal wie sehr ich der Frau anweisen würde, mir zu vertrauen. Die Zauberin wäre töricht einem fremden Insassen zu trauen und so schätzte ich meine Retterin nicht ein. Lauschend verlangte ich nach Geduld. Es war ein Wettkampf gegen die Zeit, so viel war mir bewusst. Ich war eingesperrt, nicht auf den Kopf gefallen. Jedoch bleibt einem manchmal nichts anderes übrig, als in der Hektik einen kühlen Kopf zu bewahren. Nach 10 Jahren das kleinste Opfer, das ich tätigen musste. Die Schuhsohlen des Wächters klirrten schwer auf dem Boden unter seinen Füßen. Er war ein gestandener Mann mit schweren Knochen und breit gebauter Statur, das konnte man hören - obwohl ich zugegebenermaßen bereits am Boden liegend gesehen hatte. Kräftemäßig war er mir im Zweikampf definitiv überlegen, von der Wendigkeit her hingegen nicht. Meinen Vorteil nutzte ich weise, wartete auf den richtigen Moment, an dem er mir beinahe schon in die Arme lief und um einen lähmenden Schlag bettelte. Dann schnellte ich hervor, sprang noch in dem Flurstück des Tunnels von einer Seite der Wand zur nächsten, um an Momentum zu gewinnen, der Bestie von Mann schließlich in der Luft entgegen, bevor meine ausgestreckte Hand seine Kehle umfasste und ihn mit samt meines Gewichtes zu Boden riss. Der dumpfe Aufprall seines Hinterkopfs tat mir unweigerlich leid, da die winzige Option bestand, einen meiner Leute zu Fall gebracht zu haben, aber dann fragte ich mich auch wieder, ob man das hier hätte behaupten können. Über den Zeitraum, den ich wie eine Ratte im Labor kauerte, hatte sich niemand als mein Volk erkenntlich gezeigt. Trotzdem riss ich einen Fetzen von dem ausgeleierten Shirt und wickelte es um dessen Stirn, damit er nicht an der Platzwunde, die ich verschuldete, nicht binnen weniger Sekunden verblutete. Sein Schwert in meinen Händen, das Adrenalin in meinen Adern, blickte ich ein letztes Mal zu ihm hinab, warf dann mein Flieder auf Laelia, die scheinbar nicht mit solch einer Aktion gerechnet hatte. Das Gefühl von Macht war mir in einem Leben voller Hilflosigkeit ziemlich unbekannt. Ich mochte es! Noch den Rausch meines Triumphs im Blut trafen sich unsere Blicke. Sie war eine Tharn, eine Zauberin, alles was ich verabscheute und doch… Meine Rettung. Gerne hätte ich eine Sekunde der Zukunft erhascht, um zu wissen, ob es besser sei, sie an Ort und Stelle zu töten, doch die Zeit spielte gegen uns. Ihr Leben würde verschont bleiben, auf das ich diesen Entschluss nicht bereuen würde. Dann lief ich weiter.

      Noch einige Male durchquerten wir unbeleuchtete Wege, in deren Dunkelheit ich mich geborgen fand. Der Eindringling des Palastes tappste irgendwo hinter mir und da ich verhindern wollte, dass sie einen Lichtzauber sprach, streckte ich meine freie Hand nach ihr aus. Unsere Finger verhakten sich ineinander. Seltsames Gefühl, da mir Körperkontakt gänzlich fremd war. Irgendwie schwitzig und dennoch eine angenehme Wärme, die ich sonst nur von meinen eigenen Handflächen kannte. Ich leitete ihr den Weg durchs tiefe Schwarz und gab ihr somit mein Augenlicht. Am Ende ihres Pfades war ein Licht zu vernehmen. Hoffentlich jenes, das an dem Tor Richtung Tunnelsystem brannte. Ohne zu zögern legte ich einen Zahn zu, ließ von ihrer Hand ab und streckte mich dem Knauf entgegen. Das Tor blieb in seiner Standhaftigkeit stehen, ohne eine Regung zu veranstalten. Ich wollte bereits die Klinge an meine Hand führen, als hinter uns ein Pfeil geflogen kam, der meine Klamotte an die Wand pinnte. Die Spitze verfehlte nur wenige Zentimeter ihr Ziel. Weitere Flugeschosse folgten in die Richtung der besser Gerüsteten. Mit dem Schwert währte ich zwei Geschütze ab, überließ es dann aber, ihre Zauberkunst uns zu schützen, bis ich die Tür öffnen konnte. Einige Zauberer und Krieger erschienen vor unserer Augenpaare, alle Aufmerksamkeit lag auf uns, eher auf den Eindringling, der für Furore sorgte, als meine in Laken gehüllte Gestalt. Von hinten erkannte man mich sicherlich nicht auf Anhieb. Schon gar nicht niedere Wachen, die nicht meiner “Versorgung” zugeteilt waren. So gern ich für ein Kaffeekränzchen geblieben wäre, vielleicht näheres zu der Person neben mir und ihrer Beziehung zu Euraxia erfahren hätte, verabschiedete ich die Szene mit meiner blutenden Schnittwunde auf dem Knauf und zog die Zauberin an der Schulter mit. Wie verzaubert schloss sich das Eisentor unweigerlich hinter uns und würde nur einen Anequina hinein lassen. Zumindest war mir kein Zauber bekannt, der diese Hürde überwinden konnte. Beeilen mussten wir uns trotzdem.
      A heart's a heavy burden.

    • Es war jedes Mal ein äußerst wohltuendes Gefühle meine magischen Fähigkeiten erfolgreich demonstrieren zu können – weil es mir zeigte, dass ich etwas konnte, weil die Möglichkeit bestand, dass man mich dafür bewunderte, weil es das war was ich seit meiner Kindheit vermisste. Anerkennung, Bewunderung. Doch genau darum ging es in diesem Moment kaum und ich erwartete auch nicht, dass der einzige Mensch, der Zeuge des Ereignisses wurde mir irgendwelche Anerkennung entgegen brachte. Das hier war eine Zweckgemeinschaft und ich erfüllte meinen Zweck für ihn an dieser Stelle bereits – ich ermöglichte ihm die Flucht. Zu bewerkstelligen, dass wir den Palast verlassen konnten war seine Aufgabe, auch wenn es mir nicht sehr behagte das in die Hände eines Mannes zu geben, den ich nicht kannte. Natürlich vertraute ich ihm nicht, ich wusste ja nicht einmal warum er überhaupt im Kerker saß. Gab es einen triftigen Grund oder war er nur hier weil meine Tante nun mal eine schreckliche Tyrannin war? Faktisch wusste ich gar nichts – außer, dass wir einen gemeinsamen Feind hatten. Nicht einmal seinen Namen. Der war für den Moment wohl auch zweitranging, in potentiell lebensbedrohlichen Situationen gab es wichtigere Dinge als Vorstellungen – zum Beispiel auskundschaften, ob wir überhaupt gefahrlos die Zelle verlassen konnten oder ob zunächst doch noch Blut fließen musste, womit ich grundsätzlich kein Problem hatte. Allerdings war es von Vorteil wenn wir so weit wie möglich unauffällig durch den Kerker bis zum Eingang in das erwähnte Tunnelsystem kommen würden. Gegen die gesamte Besatzung des Palastes würde selbst ich so einige Schwierigkeiten haben. Da allerdings niemand sonst zu sehen war, drehte ich mich halb um und streckte den Kopf noch einmal in die Zelle, um meinem Begleiter zuzunicken, damit er ebenfalls rauskam, ohne zu bemerken wie schwer es ihm fiel – der dem Zusammenzucken eine gesteigerte Bedeutung beizumessen.
      Mit einem kurzen Nicken quittierte ich seine Worte und folgte ihm schlicht in den Gang zu unserer Rechten. Mehr konnte ich kaum tun, denn letztlich war ich ab diesem Punkt auf ihn angewiesen, also beschwerte ich mich nicht darüber hinter ihm herlaufen zu müssen. Entweder führte er derart geschickt, dass wir über mehrere Gänge lang keine einzige Wache zu Gesicht bekamen, in keinen Kampf stolperten oder es waren einfach keine stationiert. Hatte ich die Anzahl der Mannen unter dem Befehl meiner Tante etwa unterschätzt? Es kam mir schlicht merkwürdig vor, denn in einem Kerker sollte man eigentlich der Meinung sein, dass es genügend Personal gab, das die Gefangenen bewachte. Oder sie waren ebenfalls auf der Suche nach mir – nur eben an einem gänzlich unterschiedlichen Ort. Abrupt blieb ich stehen, als plötzlich ein Arm vor mir erschien, der mich dazu gemahnte genau das zu tun. Hatte ich etwas übersehen? Schweigend lauschte ich auf Schritte, auf das Geräusch das Rüstungen bei Bewegungen machen, knarrendes Leder, Stiefel, irgendetwas, das mir einen Anhaltspunkt geben könnte, warum wir nicht weitergingen. Doch die schweren Schritte drangen erst wenige Augenblick später an mein Gehör, also wartete ich ab, was mein Begleiter denn nun schon wieder vor hatte. Er hatte vor zum Angriff überzugehen, das stellte sich wenig später heraus. Und wie er das tat. Dafür, dass er eine mir unbekannte Zeit eingesperrt gewesen war, schien er zumindest seine körperliche Verfassung nicht verkommen gelassen haben, denn seine akrobatische Leistung war nicht zu verachten. Dennoch beobachtete ich die Situation aufmerksam, sollte sich abzeichnen, dass er doch Hilfe benötigte, so würde ich ihn wohl beschützen müssen. Allerdings prallte der Kopf der Wache letztlich mit einem dumpfen Geräusch auf den steinernen Boden, was mich dazu veranlasste anerkennend eine Augenbraue zu heben. Nein, diese Leistung war nicht zu verachten gewesen. Also natürlich wäre ich persönlich anders vorgegangen, aber jeder hatte nun einmal auch andere Möglichkeiten. Mir stand ein ganz anderes Repertoire an Strategien zur Verfügung als Menschen, die keine Magie beherrschten. Auch wenn ich weiterhin der festen Überzeugung war, dass er durchaus zu magischen Dingen fähig war, nur eben nicht in einem Kampf. War nur zu hoffen, dass er nun nicht vorhatte mich mit dem jüngst erbeuteten Schwert zu ermorden, schließlich hatte ich meine Schuldigkeit bereits getan. Aber er machte keine Anstalten auf mich loszugehen.
      „Das war gar nicht schlecht“, kommentierte ich unwillkürlich, auch wenn ich meine Stimme weiterhin gesenkt hielt. Allerdings verstand ich nicht recht, warum er die Wache nicht nur am Leben ließ, sondern auch noch deren Wunde notdürftig verband. Ich für meinen Teil hätte keinerlei Skrupel ihn einfach zu töten. Eine Tharn tat immer das, was getan werden musste und Gewissensbisse hatte ich schon vor Jahren abgelegt, weil sie mir oftmals nicht von Nutzen waren.
      Nach dem ungleichen ‚Kampf‘ gingen wir weiter, durchquerten weitere düstere Korridore, bis wir in einen Bereich kamen, der gar nicht mehr beleuchtet war, in dem nicht einmal eine einzige Fackel brannte. Nun ja, dagegen gab es Mittel und ich hatte wenig Lust im Dunklen hinter meinem Führer herzulaufen, um irgendwann gänzlich unelegant gegen eine Wand zu laufen. Ehe ich allerdings mein Vorhaben in die Tat umsetzen konnte, spürte ich eine Berührung an meiner Hand, eine andere Hand, die die meinige umfasste. So ging es wohl auch, egal wie wenig recht es mir war ihm wortwörtlich blind vertrauen zu müssen. An seiner Hand folgte ich ihm durch die Dunkelheit , bis schließlich in der Ferne ein Licht zu sehen war. Unser Ziel? Schien so, denn er beschleunigte seine Schritte und löste schließlich die Verbindung unserer Hände. Ich konnte ein Tor erkennen, das fest verschlossen schien und sich auch nicht erkennbar rührte, als er es zu öffnen versuchte. Ein Pfeil, der an meinem Kopf entlang sauste lenkte mich ab, ließ mich herumfahren und reflexartig einen Schutzzauber wirken, der uns vor sämtlichen Fernangriffen, egal ob Magie oder Pfeile, schützen sollte. Das war nämlich das essentielle an einem guten Kampfmagier – man durfte nicht nachdenken, was für einen Zauber man wirken sollte, weil dazu im Kampf oftmals keine Zeit war. Man musste intuitiv und automatisch handeln, eine Fähigkeit, die nicht jedem Magier zu eigen war. Schnaubend wirkte ich nun doch einen Lichtzauber, um die Anzahl unserer Feinde zu enthüllen, weil sie sich nicht mehr in der Dunkelheit verstecken konnten und musste unwillkürlich lachen. Ein paar Zauberer und ein paar Kämpfer sollten mich aufhalten?
      „Also bitte, man sollte mich nicht derart unterschätzen“, murmelte ich, während ein leichtes Lächeln auf meinen Lippen lag. Doch ehe ich auch nur ansatzweise irgendwie reagieren konnte, spürte ich bereits eine Hand an meiner Schulter, die mich nach hinten riss, durch das Tor, das sich vor meinen Augen wieder verschloss, kaum dass wir hindurchgetreten waren. Als er getreten, ich eher nach hinten stolpernd. Ein unwillkürliches Schnauben kam von mir, weil sich der Schildzauber in dem Moment aufgelöst hatte, in dem ich die Kontrolle darüber verlor. Nun denn, wir waren draußen angelangt, das war das was zählte, auch wenn unsere Zweckgemeinschaft damit prinzipiell sein Ende fand. Wenngleich wir natürlich beide von den Truppen meiner Tante gejagt werden würden, weil trotz des Chaos würde irgendwann auffallen, dass jemand fehlte.
      „Was werdet Ihr nun tun?“, erkundigte ich mich. „Etwa eine halbe Wegstunde östlich von Krempen wartet ein Pferd auf mich, ich bin mir sicher es gibt dort auch eines für Euch.“ Ein Angebot, weil ich ihn kaum zu Fuß würde zurücklassen wollen. Eher noch wäre es mir lieber ihn mit nach Stromfeste zu nehmen, denn auch wenn ich nicht einmal seinen Namen wusste, so würden wir sicherlich einen Mann mit seinen Fähigkeiten brauchen können, egal wie sehr sie für mich noch im Dunklen lagen. „Da wir übrigens die Vorstellungsrunde übersprungen haben – ich bin Laelia.“ Wohlweislich nannte ich natürlich nicht meinen Nachnamen, dazu müsste ich wohl zu viel erklären.

      "Fear of death is worse than the death itself"
      by Shuichi Akai

      "Lächle. Du kannst sie nicht alle töten."

    • Schmunzelnd stolperte ich über den Fakt, dass meine Retterin mir ihren Nachnamen verheimlichte und beschloss ebenfalls, nur das nötigste Preis zu geben. Vermutlich hätte ich an ihrer Stelle genauso gehandelt. Wäre mir die wahre Identität nicht bewusst, meine Kräfte nicht vorhanden, hätte ich die ganze Aktion lediglich für einen Streich gehalten. "Khaos," senkte sich mein Kopf zu einem flüchtigen Nicken, ehe ich den Blick wieder hob, um in das Antlitz zu schauen, das ich schon in und auswendig kannte. Jedes Grübchen, jede Sprosse, Narbe und noch so kleine Unebenheiten waren mir bekannt. Zentimeter für Zentimeter hatte ich dieses Gesicht in meinem Gedächtnis gebrannt, als die Erlöserin, die sie war. Vor ihr zu stehen, ließ sie so viel kleiner erscheinen, zärtlicher. Vielleicht dem Fakt geschuldet, dass mein hoher Körper sie wie ein Turm überragte, dabei war sie keine kurzgewachsene Frau. "Habt Dank, ich stehe tief in Eurer Schuld," kam mir der Dank schließlich über die Lippen, dessen Worte niemals bemessen würden, was es mir bedeutete, endlich wieder frische Luft atmen zu können. Bevor ich mir Gedanken darüber machen konnte, was als nächstes geschah, wandten meine geschlossenen Augen gen Sonne, deren warme Strahlen meine Wangen erhitzten. Mit tiefen Atemzügen saugte ich so viel reinen Sauerstoff in meine Lungen, wie irgend möglich. Gott, wie sehr dieses Loch gestunken hat, wurde einem erst bewusst, wenn man den Vergleich hatte. Kaum vorstellbar, dass ich mein halbes Leben da unten verbringen musste. Trotzdem fiel es mir schwer, die hohen Mauern, die ich einst mein Zuhause nannte, hinter mir zu lassen. Auch wenn wir uns in vermeintlicher Sicherheit wogen, war die Luft noch nicht rein. Wie viele Wachen, Magier und Krieger uns auf den Fersen waren, wollte ich gar nicht wissen und darauf zu warten, den wütenden Mob hinter uns zu begrüßen, würde ich nicht. Wild blinzelnd sah ich zu der Frau, dessen liebliche Stimme mir, kaum dass unsere Zweckgesellschaft ihren Sinn erfüllt hatte, tatsächlich weitere Hilfe anbot. Es entlockte mir tatsächlich einen gehobenen Mundwinkel. “Noch nicht genug von mir?” Wieso auch immer mir ein Scherz über die Lippen kam. Vielleicht die Euphorie, die mir zu Kopf stieg. Aber hey, nicht den Luftsprüngen zu verfallen, nachdem man das erste Mal seit einem Jahrzehnt den Fuß ins Freie gesetzt hatte, war eine Leistung, die man mir anrechnen konnte, oder nicht? Da konnte man wohl einen Witz verschmerzen.

      Wohin mein Weg mich als nächstes verschlagen würde, ahnte ich nicht, hatte das fliederne Wunder meiner Augen nicht über diesen Punkt hinaus befragt. Es war weder der richtige Zeitpunkt, noch der richtige Ort, um nun Szenarien zu verfallen. Also traf ich eine Entscheidung, ohne meinen Fähigkeiten zu folgen und vertraute lediglich auf meine Intuition. Seltsam, da mir gefühlt noch nie die Wahl gegeben wurde, meinem Bauchgefühl zu folgen. Nun gut, hoffentlich würde ich es nicht bereuen. “Sofern Ihr keinen Zauber für mich parat habt, der meine wahre Gestalt verbirgt, wird mich keiner in der Stadt laufen lassen, geschweige dessen, mir ein Pferd zu gewähren," gab ich unverblümt zu, wohl gewahr damit eventuell zu tiefe Einblicke gegeben zu haben. Von einem Flüchtigen aus dem Verließen des Palastes hätte man schließlich nichts anderes zutrauen können. Erkannt zu werden, ohne zu wissen, wer Freund und wer Feind war, kam einfach nicht in Frage. Die ersten Minuten in Freiheit würde ich nicht damit verbringen, Dummheiten anzustellen oder gar unvorsichtig zu werden. Beide Arme zu den Seiten ausgestreckt sah ich an mir hinunter, ließ meine junge Begleiterin meine auffällige Gestalt begutachten. Das ungepflegte Äußere schrie beinahe nach dem verstaubten Keller, den ich mein Heim nennen musste. Natürlich gab ich mir Mühe, so reinlich wie möglich zu leben, doch in einer Zelle, in deren Ecke ein paar Lagen Stroh mein Bett bildeten und in der gegenüberliegenden den Boden zum Pissen hinhalten musste… Den Gedanken musste man nicht zu Ende bringen, um zu verstehen, worauf ich hinaus wollte. Die Mähne, die ungestüm vor meinen Augen hing und das wenige Haar, das an meinen Wangen spross war, war alles andere als königlich. Und dann waren da immer noch meine Narben. Der spärliche erste Bart eines jungen Mannes genügte nicht, um diese zu verdecken. Sie ließen mein Gesicht aussehen, als wäre es irgendwann zerbrochen und wieder zusammengesetzt worden. Von der auffälligen Augenfarbe mal abgesehen. Man hätte mir ebenso eine Discokugel um den Hals hängen können, so wie mein Aussehen um Aufmerksamkeit bettelte.
      A heart's a heavy burden.

    • Natürlich nannte ich ihm meinen Nachnamen nicht – das wäre irgendwie doch schon eine Spur lebensmüde. Was garantierte mir, dass er mich nicht aufgrund meiner Verwandtschaft zu Euraxia tötete, wenn er erfuhr wer ich war? Nachdem was meine Tante ihm vermutlich alles angetan hatte, könnte ich ihm das nicht einmal verdenken. Immerhin war ich in einer Familie aufgewachsen, in der dem Gefühl nach ständig irgendjemand jemand anderen töten wollte. Es gab mehr Zwistigkeit und Streit, als man zählen konnte und nachdem was Euraxia in den letzten zehn Jahren so alles in Anequina angestellt hatte, sollte ich meine Familienzugehörigkeit vorerst einfach bedeckt halten. Der Widerstand wusste natürlich zum größten Teil davon, doch unserer Beteiligung war auch nicht jeder positiv gegenüber eingestellt, weswegen es umso wichtiger war, wirklich gute Arbeit zu leisten. Khaos. Zumindest hatte der Mensch mit den mysteriösen Fähigkeiten nun auch einen Namen.
      „Sehr erfreut Euch kennenzulernen, Khaos“, erwiderte ich entsprechend förmlich auf seine knappe Vorstellung, auch wenn mir jede Faser meines Körpers sagen wollte, dass wir für all das keine Zeit hatten. Immerhin würde es vielleicht dauern, bis die Männer meiner Tante einen der anderen Ausgänge nehmen und den Weg zu unserem derzeitigen Standort zurücklegen würden, doch es war zweifellos, dass es geschehen würde. Nur für den Moment war das durchaus irrelevant. Noch stand die Antwort auf meine Frage aus, was er als nächstes tun würde. Schweigend, die Pause nutzend, ließ ich meine Blick über ihn schweifen, derart ungeniert, wie er es auch bei mir getan hatte. Die ganzen Narben, die sich auf seinem Körper abzeichneten, bestätigten meine unterschwellig gehegte Vermutung, dass er bereits recht lange in der ‚Obhut‘ meiner Tante verbracht haben musste. Den Dreck und den … Geruch ignorierte ich geflissentlich, denn – es gab schlimmeres. Ich hatte schon viel schlimmeres erlebt. Meine Schwester würde da vielleicht etwas anderes sagen, doch wen interessierte das schon?
      „Ich stehe ebenfalls in Eurer Schuld.“ Die Worte kamen mir nicht sonderlich zögerlich über die Lippen und waren auch nicht nur dazu da, um der Höflichkeit Genüge zu tun. Eigentlich mochte ich es nicht besonders in irgendjemandes Schuld zu stehen, weil das bedeutete, dass ich das Erreichte nicht aus eigener Kraft hatte erreichen können und das war nicht meine Art irgendetwas anzugehen. Doch manchmal benötigte man eben Hilfe, selbst wenn man eine derart starke Kampfmagierin war. Die Flucht durch den Kerker wäre ohne Khaos vermutlich sehr viel langwieriger und blutiger verlaufen. Daher würde ich derartige Dinge auch nicht schönreden, nur vielleicht gewisse Details in meinem Bericht unterschlagen? Es genügte ja wohl wenn wir beide davon wussten. Schweigend ließ ich meinem Gegenüber die Zeit, die er benötigte, um die ersten kostbaren Momente in Freiheit in sich aufzunehmen. Das konnte vermutlich niemand nachvollziehen, der nicht einmal irgendwann für eine gewisse Zeit seiner Freiheit beraubt worden war – ich war dazu durchaus in der Lage. Tage in einem Käfig verbringen zu müssen, in der Aussicht, dass meine verdammte Seele von einem Nekromanten geopfert werden würde, war nichts an was ich mich gerne zurückerinnerte. Seitdem hasste ich Nekromanten und war froh, dass sich meine kurzen Ausflüge in die Nekromantie auf kurze Ausflüge beschränkten, seitdem ließ ich vollends die Finger davon. Derart tief wollte ich nämlich nicht sinken.
      „Vielleicht nicht“, erwiderte ich schmunzelnd und empfand es durchaus als beruhigend, dass er dazu n der Lage war Witze zu machen. „vielleicht denke ich einfach, dass wir uns weiterhin gegenseitig von Nutzen sein könnten, sofern Ihr noch keine weiteren Pläne habt. Zudem wäre es äußerst schade, wenn unser kleiner Ausbruch vergebens wäre, weil man Euch gleich wieder einfängt.“ Meines Erachtens nach die sicherste Methode, um ansatzweise in Freiheit zu bleiben. Alleine würde er Euraxias Häscher kaum überleben. Dass ich noch immer Interesse an seinen magischen Fähigkeiten hegte, erwähnte ich vorsichtshalber mit keinem Wort. Alleine um meine Neugier vielleicht befriedigt zu bekommen, lohnte es sich ihn weiterhin zu begleiten. Seine Bedenken waren nachvollziehbar, wenn auch unbegründet, immerhin hatte ich nicht vor nach Krempen zurückzukehren, weil ich mich selbst dort kaum blicken lassen konnte. Dennoch blickte ich demonstrativ an seiner Gestalt auf und ab. Er sah nun mal wie jemand aus, der gerade just aus einem Gefängnis entkommen war, daran gab es nichts zu rütteln.
      „Ich kann es mir selbst kaum erlauben nach Krempen zurückzukehren, wenn man bedenkt, was ich da genau bei mir trage. Deswegen liegt der Hof, wo die Pferde bereitstehen auch außerhalb der Stadt. Sofort eine Badewanne herzuzaubern liegt ebenfalls kaum im Bereich des Möglichen, doch wenn es rein darum geht Euer Äußeres zu verbergen, dann kann man da durchaus etwas tun. Gebt mir einen Moment.“ Eine Weile kramte ich in meinem Bündel – ein kleines Problem von magisch vergrößerten Dingen mit mehr Inhalt als eigentlich vorgesehen – ehe ich ein Stück Stoff zu fassen bekam und es hervorzog. Wahrscheinlich wäre der Kapuzenumhang in der noch immer heiß brütenden Sonne wie ein Kochtopf, doch für den Moment würde es wohl funktionieren müssen. „Räumt das Eure Zweifel aus?“ Es wäre wirklich bedauerlich, wenn unsere Anstrengungen umsonst gewesen wären. Ich tat Dinge nicht gerne nur damit sie wieder rückgängig gemacht wurden.

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    • Wir könnten einander von gegenseitigem Nutzen sein… Die Worte hallten einen Moment lang in meinem Gehörgang wider, ließen mich innehalten und rätseln, ob Laelia nicht doch über meine wahre Identität Bescheid wusste. Von welchem Nutzen könnte ein elender Gefangener, der bereits einmal den Mächten ihrer Tanten unterlag, sein? Nichts ahnend nickte ich, als sie ihren Bundel öffnete und einen Kapuzenumhang hervorzog. Er sah aus, als hätte er viele Geschichten zu erzählen, abgenutzt von Zeit und Gebrauch, und auf seltsame Weise schien er angemessen. Es war ironisch - zehn Jahre hinter Gittern und dann wurde meine erste Sonne in Freiheit unter einem Umhang verbracht. „Ein Kapuzenumhang, in der prallen Sonne", gab ich mit einem humorvollen Unterton von mir. "Welch eine bemerkenswerte Magie, die Ihr da zeigt, Meisterin Zauberin. Wer hätte gedacht, dass nichts die flammenden Zungen des Himmels so bändigen könnte wie ein schlichtes Stück Stoff?"Es war ein Scherz, und ich hoffte, dass das Schimmern in meinen Augen offenbarte, dass ich ihn als solchen meinte. Doch im Klang meiner Stimme lag ein Hauch von Ernst. Ich war dankbar, denn sie hatte mir die Schlüssel zu meinen Ketten gegeben, doch diese kleine Geste erinnerte mich auf eigenartige Weise an ihre Tante. Laelia wollte mich scheinbar braten in der glühend heißen Sonne wie ein Ei in der Pfanne. Gab es keinen Zauber zu sprechen? Sei es drum, eine andere Wahl blieb mir eh nicht. Mit sanften Bewegungen nahm ich den Umhang von ihr, der raue Stoff fühlte sich unter meinen Fingern an wie ein Versprechen von Freiheit - das Ende einer Ära. Es war ein greifbarer Beweis meines neu gewonnenen Privilegs, trotz der Vorstellung, wie er unter den sengenden Strahlen zu einem Bratrost werden würde. "Aber ehrlich gesagt", meine Stimme war leise, aber fest, "würde ich lieber unter der glühenden Hitze brutzeln, als ein weiteres Mal in den klammernden Händen Euraxias zu sein." Mit einer fließenden Bewegung warf ich den Umhang über meine Schultern und zog die Kapuze tief über mein Gesicht, so dass nur ein flackerndes Leuchten meiner Augen zu sehen war. "Lasst uns gehen. Ich habe den Eindruck, dass ich einige versäumte Stunden nachzuholen habe."

      Die verwinkelten Gassen der Stadt wirkten wie ein labyrinthartiges Wirrwarr, doch die Zauberin führte uns mit einer Sicherheit durch sie, die von einer tiefen Vertrautheit zeugte. Ich ließ meinen Blick über die belebten Straßen schweifen, sah die Handwerker an ihren Ständen, die spielenden Kinder auf den Plätzen, die plappernden Alten in den Schatten der Arkaden. Doch all diese alltäglichen Szenen schienen mir fremd und ungewohnt. Trotz der schwülen Hitze unter meinem Umhang bewegte ich mich leise und unauffällig, getrieben von der tiefen Sehnsucht, unbeachtet zu bleiben. Ein Schweißtropfen nach dem anderen purzelte meine Stirn hinab und hinterließ eine kühlende Spur auf meiner brennenden Haut. Wie eine einsame Schwalbe im Sturzflug glitten wir durch die Straßen, diskret und unerkannt, ein flüchtiger Schatten in der blendenden Mittagssonne. Plötzlich war ein wachsendes Getöse zu vernehmen. Es war das hektische Summen des Chaos: das Klirren von Waffen, das Trampeln von Stiefeln, die hysterischen Rufe von Menschen. Ich hielt inne, den Blick in die Richtung gerichtet, aus der wir gekommen waren. Die königlichen Truppen, ihre glänzenden Rüstungen in der sinkenden Sonne funkelnd, streiften durch die engen Gassen wie ein Rudel hungriger Wölfe auf der Suche nach ihrer Beute. "Sie sind uns auf den Fersen", flüsterte ich, die Dringlichkeit meiner Worte in meinen fliedernen Augen reflektiert. Wir konnten die aufgewirbelte Staubwolke sehen, die die Truppen hinter sich ließen, ein grauer Schleier. Mein Herz schlug im Takt der drohenden Gefahr. Die Schritte wurden dringlicher, der Atem ging schneller. Wir hatten keinen Moment zu verlieren und mussten die Stadt verlassen, bevor Euraxias Truppen uns erreichten. Bald genug hatten wir Krempen hinter uns gelassen und ich atmete die frische, freie Luft ein, die den Duft von trockenem Gestein und Hitze trug. Als wir die Pferde erreichten, betrachtete ich die stolzen Tiere mit ehrfürchtigem Staunen. Sie waren groß und stark, ihre Mähnen glänzten in der Sonne und ihre Augen funkelten mit einer wilden Intelligenz. Das Reden mit der Erscheinung, die diese majestätischen Wesen hier gesattelt hatte, überließ ich Laelia. Einer von ihnen neigte seinen Kopf und sah mich mit seinen dunklen Augen an, eine Welle von Emotionen überkam mich. Erinnerungen an vergangene Tage täuschten meine Sicht, katapultierten mich zurück, in ein freies, glückliches Land geführt von einer starken, aufrechten Familie. Nunmehr nichts als ein Fetzen, der mir surreal vorkam. Mit meinen Geschwistern ausreiten - diese Zeit lag weit hinter mir. Mit vorsichtigen Schritten näherte ich mich ihm, streckte eine Hand aus und strich sanft über seine weiche Nase. Der Kontakt war elektrisierend, ein stummer Austausch von Vertrauen und Respekt zwischen zwei Geschöpfen, die die Knechtschaft kannten und nun die Süße der Freiheit schmeckten. "Wohin auch immer unser Weg uns führen mag", murmelte ich leise, mehr zu mir selbst als zu irgendjemand anderem, "möge er uns stets näher zum Frieden führen." Und mit diesen Worten schwang ich mich auf das Pferd. Voreilig, rückwirkend betrachtet. Ich besaß weder Gold noch andere Güter, die ich für diese Dienste als Gegenleistung anbieten konnte. In Laelias Schuld stand ich bereits, weiter ausreizen wollte ich es nicht. Gefangener hin oder her, ein Ganove, der wie ein gnadenloser Blutegel, der sich an der Kraft anderer festsaugte und nichts als Leere zurückließ, war ich nicht. “Ich werde meine Schulden begleichen.” Ein Versprechen, von dem mir noch nicht bewusst war, wie ich es erfüllen sollte, doch keineswegs als leere Worte aussprach. Die Anequinas hielten ihr Wort.

      Über meine Schulter blickte ich zurück, hin zur Silhouette der Stadt, die ich einst mein Zuhause nannte. Die flirrende Hitze zeichnete ein verzerrtes Abbild der vertrauten Umrisse. Es war ein seltsamer Schmerz, der mir die Kehle zuschnürte, als hätte ich nicht nur die Stadt, sondern auch ein Stück meiner selbst zurückgelassen. Doch es gab keine andere Wahl. Ich würde zurückkehren - ich musste! Diie ledrigen Zügel fest in meinen gebräunten Händen, begann die Reise. Die Hufe unserer Pferde druckten Spuren in den blassen, endlosen Sand, als wir uns durch die erbarmungslose Wüstenlandschaft bewegten. Der Wind heulte ihre Abschiedslieder, wirbelte Sand auf und tanzte in rauen Böen um uns herum. Der Stoff der Kapuze löste sich und flatterte hinter mir im Wind, fast wie eine eigenwillige Flagge. Mit jedem Schritt, den wir uns von der Stadt entfernten, fühlte ich das Gewicht meiner Vergangenheit leichter werden. Das entblößte Gesicht offenbarte meine Identität den unzähligen Dünen, Zeugen meiner neuen Reise. Ein Lächeln umspielte meine Lippen, und mit einer Mischung aus Melancholie und Entschlossenheit blickte ich auf den endlosen Horizont hinaus. Laelia fest im Blick, voran reitend wie eine Königin, stolz und unerschütterlich, als beherrschte sie die Welt unter ihren Füßen. Sie hatte ihren Kampf gewonnen, meiner hingegen hatte gerade erst begonnen. Es war endlich an der Zeit, ein neues Kapitel zu beginnen.
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    • Wir sprachen lediglich davon seine Erscheinung zu verbergen, damit wir uns unerkannt durch Krempen schleichen konnten ohne sofort entdeckt und wieder in den Kerker gebracht zu werden. Von mehr war nicht gesprochen worden und ich persönlich hielt das vorerst auch nicht für sonderlich relevant. Dass all das aufgrund unserer Umgebung nicht vollkommen ohne Entbehrungen vonstatten gehen würde, war derzeit in meinen Augen zu vernachlässigen. Letztlich hatte er immer noch die Wahl – er könnte ablehnen und seiner eigenen Wege gehen.
      „Magie kann sehr viel auffälliger sein als so manches Kleidungsstück, vor allem wenn man sich einem anderen Magier gegenübersieht“, erklärte ich und wenn man die ganzen Nekromanten bedachte, die vermutlich in den Diensten meiner Tante standen, dann würde es wohl auch in ihrer Garde einige Magier geben. Auch wenn natürlich fraglich war zu was genau sie überhaupt fähig waren. Dennoch würde ich dieses Risiko nicht eingehen wollen, immerhin musste ich noch mitsamt der Unterlagen Stromfeste erreichen. Beinahe hatte ich das Gefühl, dass Khaos ablehnen würde, als seine Finger den Stoff ergriffen und aus meiner Hand zogen.
      „Das würde ich tatsächlich auch bevorzugen“, kam es zustimmend aus meinem Mund, während ich einen weiteren Umhang aus meinem Bündel kramte um ihn mir umzulegen. Ich selbst wollte gar nicht erst in ihre Hände geraten, weil ich vermutlich nur ahnen konnte was sie mit mir anstellen würde. Meine Tante war nicht so weit gekommen, weil sie besonders gütig war. Eher das Gegenteil. „Es würde mich wirklich interessieren, wie lange Ihr in dieser Zelle saßt.“ Mehr brachte ich vorerst nicht zum Ausdruck, denn je länger wir hier verweilten desto größer war die Wahrscheinlichkeit, dass man uns fand. Also zog ich die Kapuze über und setzte mich in Bewegung.

      Auf den ersten Blick herrschte in Krempen ganz normales, geschäftiges Treiben, wie man das in jeder Stadt vorfand. Kinder spielten, die Händler gingen ihren Geschäften nach, Frauen kauften ein – und doch war das das, was an der Oberfläche lag. Wenn man sich all das genauer ansah, dann bemerkte man, dass die Unbeschwertheit lediglich auf den Gesichtszügen derer lag, die keine gebürtigen Anequiner waren. Bei den Einheimischen lag ein harter Glanz in den Augen, Falten um die Mundwinkel, die Stände, die nicht derart liefen wie die der auswärtigen Händler. Nicht nur, dass die anequinischen Händler höhere Steuern zahlen mussten – das war nur eine einzige Repression, die sie erleiden mussten, eine von vielen. Der Palast thronte über uns, zog meinen Blick unwillkürlich an, sodass ich einen Moment stehenblieb, um die Mauern zu begutachten, vor allem aber die Belagerungswaffen, die Katapulte, die dort positioniert waren. Einem weniger aufmerksamen Beobachter, der nichts davon wusste, wäre es vielleicht entgangen, doch ich war nicht irgendjemand. Ich sah, dass die Waffen nicht etwa auf einen Punkt außerhalb der Stadtmauern gerichtet waren, sondern vor allem auf jene Bezirke, in denen vornehmlich Anequiner lebten. Eine weitere Drohung – es war grausam, aber klug und es funktionierte. Allein die Möglichkeit, dass die Waffen gegen Zivilisten gerichtet werden könnten, hatte bislang ausgereicht um den Widerstand Krempen nicht angreifen zu lassen.
      „Entschuldigt, ich weiß wir müssen weiter.“ Fast schon frustriert schüttelte ich den Kopf, sah allerdings ein, dass es gerade nicht in meiner Macht lag diese Dinge einfach von den Zinnen zu sprengen oder sie in Flammen aufgehen zu lassen. Also huschten wir durch die Gassen Krempens, gingen Wachen und allem anderen aus dem Weg, was uns verraten könnte, dennoch näherten sich uns das Getrappel der Stiefel, das Klirren von Metall, die Angstlaute der Bewohner. Es war höchste Zeit von hier zu verschwinden, weswegen ich die Worte meines Begleiters nur mit einem Nicken bestätigte. Ja, sie waren uns auf den Fersen. Trotzdem musste ich Khaos ein ums andere Mal um eine Ecke ziehen, um einem patrouillierenden Wachmann auszuweichen, der nicht zu jenen zu gehören schien, die uns suchten. Dennoch erreichten wir den Rand der Stadt ohne dass man auf uns aufmerksam wurde - immerhin etwas Glück am heutigen Tag - und letztlich auch den Hof, wo mich ein Pferd erwarten sollte. Nur mich eben, aber wir benötigten ja zwei.
      Kaum hatten wir den Hof betreten, trat uns bereits der Eigentümer entgegen, zumindest identifizierte ich ihn aufgrund der Beschreibung, die ich erhalten hatte, während Khaos sich den Pferden zuwandte, scheinbar um sich herauszuhalten. Nun denn, blieb – mal wieder – alles an mir hängen, was allerdings wohl auch nur bedeutete, dass ich dafür am besten geeignet war. Das Gespräch lief meines Erachtens auch ganz zufriedenstellend, bis ich anmerkte, dass ich noch ein zweites Pferd brauchte.
      „Das war weder Gegenstand der Absprache noch in der Bezahlung enthalten“, knurrte der Mann beinahe und ich musste mich zügeln nicht einfach die Augen zu verdrehen, weil es nun seiner Kooperation kaum zuträglich sein würde.
      „Bedauerlicherweise ändern sich Pläne nun einmal aufgrund von Umständen, weswegen wir jetzt zu zweit sind und demnach auch zwei Pferde benötigen. Nennt mir Euren Preis.“ Ich versuchte tunlichst nicht derart ungeduldig zu wirken wie ich war, weil es einfach nur eine Frage der Zeit war, bis die Schergen meiner Tante unsere Spur aufgenommen haben würden, doch offenkundige Ungeduld würde meine Verhandlungsposition schwächen.
      „Zweihundert Goldstücke.“ Ich unterdrückte ein Schnauben. Natürlich wollte er mich mit einem völlig überzogenen Preis über den Tisch ziehen, bedauerlicherweise war ich nicht gewillt mich über den Tisch ziehen zu lassen, dazu hatte er sich die falsche Tharn ausgesucht.
      „Dafür bekomme ich in der Kaiserstadt ein Pferd mit makellosem Stammbaum. Fünfzig.“ Und so begann die Feilscherei, ehe wir uns auf einhundert Goldstücke einigten, was näher an meinem Anfangsgebot lag als an dem seinigen. Feilschen bestand darin, den Willen des Gegenüber zu prüfen, weswegen ich von Beginn an die bessere Position gehabt hatte. Als ich mich umsah – nachdem das Gold seinen Besitzer gewechselt hatte – fand ich Khaos bereits auf dem Rücken eines der Pferde. Na da hatte es ja jemand eilig. Also stieg ich auf das andere Ross.

      Natürlich wusste ich, dass die Gefahr noch nicht vorüber war, es könnten uns immer noch Soldaten verfolgen, Patrouillen unseren Weg kreuzten, doch sobald der Wind nach der Kapuze und meinem Haar griff, sobald die Hufe der Pferde über den Boden donnerten, uns fort von all dem trugen, da fühlte ich mich wirklich frei. Es wäre leicht sämtliche Sorgen zu vergessen, einfach nur die Freiheit zu spüren und den Göttern zu danken, dass ich nicht in einer der Zellen meiner Tante verrotten musste – aber das war auch eher ein Resultat meiner eigenen Fähigkeiten. Mein Blick war fest nach vorn gerichtet, ich ritt ohne einen Blick zurückzuwerfen. Solange ich noch das Trommeln der Hufe des anderen Pferdes hörte war alles in Ordnung. Für den Augenblick gab es keine Konflikte, keine Rebellion gegen eine unrechtmäßige Königin, keine Drachen, keine Nekromanten, einfach nur zwei Reiter und die vor uns liegende Wüste. Es hatte schon etwas meditatives.
      Stunden mussten vergangen sein in denen keiner ein einziges Wort gesagt hatte, denn die Sonne neigte sich immer weiter zum Horizont, längst allerdings ritt ich nicht mehr im vollen Galopp, immerhin hatte ich durchaus vor das Pferd noch eine Weile zu behalten, statt es zu schinden. Dennoch ließ ich mich zurückfallen, sodass ich nun an Khaos‘ Seite ritt. Trotzdem hatte es gut getan seinen Gedanken einfach nur freien Lauf zu lassen.
      „Wir sollten uns so langsam einen Platz für die Nacht suchen. Ich glaube dort hinten in der Felsformation sollten wir einige Höhlen finden.“ Blieb nur die Frage, ob sie auch unbewohnt waren, doch einen Versuch war es wert – es war besser als gänzlich unter freiem Himmel schlafen zu müssen, wo wir leichter zu entdecken waren. Trotz der oberflächlichen Kargheit war die Wüste auch nicht ohne Leben, egal ob tierisch oder pflanzlich. Abermals ritt ich voraus, ehe ich mein Pferd in der Nähe einer der Höhlen zügelte, um abzusteigen. Wachsam trat ich näher, ehe eine Lichtkugel über meiner Hand erschien, die ich vorausschickte, um die Höhle auszuleuchten. „Scheint unbewohnt und groß genug zu sein.“

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      by Shuichi Akai

      "Lächle. Du kannst sie nicht alle töten."

    • Mit gespitzten Ohren lauschte ich der Zauberin, schlich mich vom Rücken meines Pferdes und befestigte seine Zügel an einem nahegelegenen, verdorrten Busch. Ich streckte meine müden Glieder, deren Knochen aufeinander knarrten wie die Tore einer alten Festung, und ließ meinen Blick über die sandige Unendlichkeit der Wüste streifen. Die Hitze hier draußen war wie eine Würgeschlange – sie packte dich und ließ dich nicht los. Ich war es nicht mehr gewohnt, außerhalb der kühlen, schattigen Zelle, in der ich die meiste Zeit verbracht hatte. Der Wind trug den sanften Klang ihrer Schritte mit sich, während sie in den sandigen Untergrund einsanken. Laelia, die Zauberin, wagte bereits den Vorstoß in die Höhle. Ich aber verharrte noch einen Moment und musterte meine sandverkrustete Kleidung. Ich wusste nichts über diese Frau namens Tharn, nicht woher sie kam oder welche Stadt sie ihr Zuhause nannte. Aber ihre helle Haut leuchtete im scharfen Kontrast zu der brennenden Sonne von Anequina. Man würde annehmen, dass ein junger Mann, aufgewachsen in der Wüste, inmitten von hartem Gestein und karger Erde, den harten Bedingungen der Natur standhalten könnte. Doch in zu vielen Stoffschichten gehüllt und nach langer Zeit wieder auf einem Pferd reitend, versiegte auch meine Stimme. "Nur einen Moment", murmelte ich mehr zu mir selbst als zu ihr und wandte mich in die entgegengesetzte Richtung.
      Am Fuße eines sanften Sandhügels kniete ich nieder, warf meinen Umhang ab und entledigte mich meiner Kleidung bis auf das Notwendigste. Nicht weit von der Dame entfernt, den Rücken halb zu ihr gedreht, konnte ich nicht umhin, eine gewisse Neugier zu entwickeln. Würde sie mich beobachten? Mich verurteilen? Das Volk von Anequina wurde oft wegen unserer Blutrituale und der Entscheidung, das Leben mit Narben zu ehren, verachtet. Mein Körper trug die Zeichen dieser Riten, zusammen mit den Narben, die mir Euraxia zugefügt hatte. Wenn ihr noch nicht bewusst war, dass ich ein Anequina war, bewies mein Narben besetzter Körper anderes. Wobei man, zugegebenermaßen, vermutlich die Verletzungen und Unebenheiten meiner Haut nicht länger von jenen, die ich mir selbst zugefügt und jener, die Euraxia zu verantworten hatte, unterscheiden konnte. Zumindest ließen sie nicht sofort darauf schließen, dass ich DER Anequina war. Den feinen, heißen Sand ließ ich durch meine Finger gleiten und begann dann, mich damit einzureiben. Ich wälzte mich im Sand, wie ich es als Kind getan hatte, wenn das Wasser knapp war. Ein klassisches Sandbad, die Reinigung der Wüste. Es schabte den groben Schmutz und den Schweiß von meiner Haut ab. Eine raue Behandlung, ja, aber danach fühlte ich mich erfrischt und lebendig. Wieder in meiner schmutzigen Kleidung, griff ich nach dem Kriegerdolch und schnitt mit groben Bewegungen meine Haare und den spärlichen Bart ab. Ich war geschickt mit der Klinge, doch sicherlich kein Barbier. Aber zumindest sah ich nicht mehr so aus wie der Gefangene, der ich einmal gewesen war.

      Zurück an der Höhle, die mit ihrem hohen Gerüst des sich stapelnden Gesteins ein perfekter Schutz gegen die sandigen Winde war, fand ich Laelia bereits an einer kleinen Flamme sitzend wieder. Den Kopf zur Seite geneigt, grübelte ich darüber, ob es mit Magie oder von Menschenhand geschaffen wurde. Nicht, dass es einen Unterschied machte - es bot Wärme, das war das Wichtigste. Denn entgegen der allgemeinen Gemüter war selten die brennende Hitze der Feind in der Wüste, sondern die kalte Peitsche der Nacht, der leise flüsternde Tod. Verbrannte Haut und Dehydration waren gefährlich, mit ausreichenden Lagen Stoff und Wasser aber etwas, wogegen wir gut gerüstet waren. Temperaturen, die weit unter den Gefrierpunkt fielen und in dieser Region im Winter gerne mal -40 Grad vermessen ließen, wären wir maßlos ausgeliefert. Zum Glück neigte sich der Sommer gerade dem Ende. Wenn die Götter es gut mit uns meinten, würden wir mit einer frischen Abendluft von 10 Grad Celsius davonkommen. Ein Sicherheitssystem von Mutter Natur, dem sich unser Land seit Anbeginn der Zeit bedient hatte, wurde nun zu meinem Feind. Bei 50 Grad in der Sonne verglühen und im Winter bei Minusgraden erfrieren. Das Wunderwerk der geringen Luftfeuchtigkeit und dem klaren Himmel, was die gespeicherte Wärme schnell in die Atmosphäre absonderte, sobald der Feuerball den Tag beendete. Selbst der warme Untergrund des Sandes würde nicht lange die Wärme speichern. Seufzend riss ich mich aus den Gedanken. Madame Tharn wusste um die Gefahren dieser Region sicherlich Bescheid, also half ich lieber beim Aufschlagen des Lagers, als meine Bedenken zu teilen. In ruhigen Schweigen arbeiteten wir, kochten eine Brühe, die wenig zu Beißen hatte, jedoch nährstoffreich genug war, um das Überleben zu sichern. Es hatte etwas befriedigendes in der Laune der Natur überleben zu können. Hart, aber frei von Fesseln und Mauern.

      “Mich würde es auch interessieren,” brach ich schließlich am Feuer sitzend die Stille, während mein Blick vom Flackern der Glut gefesselt war. Zuvor hatte ich ihre Frage unbeantwortet gelassen. Der richtige Augenblick war weder gefunden, noch hätte ich einen Zeitraum nennen können, wie lang ich in diesem Kerker gesessen hatte. Lange genug, dass mein Körper sich maßgeblich veränderte, die Tage, die ich in Strichen auf der rauen Oberfläche der Steine gezählt hatte, schier endlos, bis mich die Hoffnung verließ. “Wie lange ich dort… war.” Mir fehlten die richtigen Worte, dennoch riss ich mich aus dem hypnotisierenden Tanz von Rot und Orange, um das loyale Braun meiner Retterin zu treffen. “Seit der Nacht des Eisherbst-Putsches war ich in Euraxias Hand. Nur wenige Tage nach meinem sechzehnten Geburtstag. Es ist sicherlich schon Jahre her…” Meine Stimme verklang, und ich wandte meinen Blick wieder zum Ausgang der Höhle. Mit rasendem Herzen war ich mir plötzlich unsicher, ob ich wirklich wissen wollte, wie viele Jahre ich verloren hatte. Wir unterhielten uns noch eine Weile, ich fragte, was sie überhaupt in den Palast verschlagen hatte.
      A heart's a heavy burden.

    • Wir brauchten einen Unterschlupf für die Nacht, da es mehr als unklug gewesen wäre in der Dunkelheit weiterzureiten. Nicht nur wegen der Lichtverhältnisse, auch wegen der Temperaturen, die rapide fallen konnten und ich hatte wahrlich etwas besseres zu tun als am Sattel meines Pferdes festzufrieren, auch wenn es Reisende gab, die es bevorzugten des Nachts unterwegs zu sein, weil es kühler war. Allerdings lauerten noch andere Gefahren als Sand und Kälte in der Wüste. Gefahren die ich nicht riskieren wollte. Kaum war ich vom Pferd gestiegen trat ich schnurstracks auf die Höhle zu ohne großartig daran zu denken, dass ich nicht alleine war. Es war gelinde gesagt ungewohnt, da ich einen Großteil der letzten sechs Jahre alleine gereist war, weswegen ich in diesem Moment Khaos‘ Anwesenheit schlicht ausblendete, galt es doch die Lage auszukundschaften. Erst seine leise Stimme erinnerte mich wieder daran, dass es ihn auch noch gab.
      "Natürlich", erwiderte ich schlicht, abwesend, weil ich gänzlich darauf fixiert war was ich vor hatte. Die Höhle erwies sich nach meinem Zauber als unbewohnt, es kam mir kein Tier entgegen, das mich angreifen wollte weil ich seine Nachtruhe störte. Also war es wohl in Ordnung die Höhle für unsere eigenen Bedürfnisse zu nutzen. Durchaus neugierig warf ich einen Blick zurück, fand die Kleidung meines Begleiters auf dem Boden und ihn selbst im Sand vor. Nun denn, jeder wie er mochte. Zugegebenermaßen hatte ich noch nie ein Sandbad ausprobiert, doch vielleicht kam mir das trotz aller Entbehrungen, die ich gewohnt war etwas zu barbarisch vor. Allerdings würde ich ihn nicht aufhalten. Aufgrund der knappen Ressourcen, die in unserem nahem Umkreis zu finden waren, musste ich mit dem Feuer etwas magisch nachhelfen, da kaum genügend Holz zu finden war, um es wirklich die ganze Nacht in Gang zu halten. Wasser, Futter für die Pferde und das wenige was ich noch an Proviant mit mir führte waren vorhanden. Die Vorräte auffüllen ehe ich Krempen verließ hatte wunderbar nicht funktioniert, also mussten wir vorerst mit dem auskommen, das da war. Als Khaos sich dann wieder zu mir gestellte, zog ich gerade einen ramponierten Kochtopf aus dem Bündel, der schon viel zu viele Jahre auf dem Buckel hatte. Meine Schwester hätte weder den Topf noch irgendeine Speise die darin zubereitet wurde auch nur mit ihrem kaiserlichen Hintern angesehen, doch wenn man überleben wollte, dann war es einem egal woraus gekocht wurde. Immerhin hatten wir einen Topf, das war schon etwas sehr positives. (Clivia würden ein paar Wochen, in denen sie um ihr Überleben kämpfen musste, aber auch ganz gut tun.)
      "Wir sollten die Pferde in die Höhle bringen. Dann kann ich einen Illusionszauber über den Eingang legen." Das verminderte die Wahrscheinlichkeit von patrouillierenden Soldaten entdeckt zu werden, die eventuell doch von meiner Tante ausgeschickt worden waren. Viel Lager aufzuschlagen gab es nicht, also kochten und aßen wir schweigend. Allerdings war es ein angenehmes Schweigen. Latent überrascht war ich deswegen, als Khaos das Schweigen brach. Ich hatte nämlich nicht erwartet, noch eine Antwort auf meine Frage zu bekommen, egal wie sehr sie an mich selbst gerichtet gewesen war. Allerdings fiel die Antwort kaum überraschend aus, weil er es selbst nicht genau wusste.
      "Es ist schwierig die Zeit zu bestimmen, wenn die Tage ineinander übergehen, weil es keinerlei Abwechslung oder Aussicht auf Besserung gibt", murmelte ich und versuchte nicht an jene Wochen zu denken, in denen ich mich - peinlicherweise - in Gewalt des Königs der Würmer befunden hatte. Doch zumindest teilte er mir einen Anhaltspunkt mit. Das war lange und ich hatte schon Männer in kürzeren Zeiträumen den Verstand verlieren sehen. Für einen Moment zögerte ich, doch es war wichtig, dass Khaos erfuhr wie lange er dort unten gewesen war, wie viel er von allem anderen verpasst hatte.
      "Der Eisherbst-Putsch war vor zehn Jahren", antwortete ich also. Vor zehn Jahren war ich gerade mal vierzehn gewesen, noch mitten in meinen Studien, wohlbehütet in der Kaiserstadt. Natürlich hatte uns die Nachricht erreicht, dass meine Tante nun Königin von Anequina war, doch es hatte niemanden geschert. Jetzt war all das real und kaum noch wegzuignorieren, jetzt war ich mittendrin. Aufmerksam beobachtete ich seine Reaktion. Khaos fragte, was ich denn im Palast zu suchen gehabt hatte, eine berechtigte Frage durchaus.
      "Ich hatte den Auftrag wichtige Dokumente zu entwenden und sie nach Stromfeste zu bringen." Worum genau es sich bei diesen Dokumenten handelte ging ihn meines Erachtens wirklich nichts an. "Wissen ist Macht wie mein Herr Vater stets betont." Vor allem in einem Krieg. Meine Gedanken kehrten zu dem zurück, was mein Begleiter soeben sagte. Seit dem Putsch. Das war ungewöhnlich. Khaos musste von enormer Wichtigkeit für meine Tante sein, man behielt keinen Gefangen ganze zehn Jahre, nur um ihn durchzufüttern. Das war aus ökonomischer Sicht Unsinn. So gerne ich das Thema allerdings vertieft hätte, so sehr spürte ich auch, wie die Müdigkeit an meinen Knochen zerrte, an meinem Geist. Allerdings war noch nicht die Zeit sich schlafen zu legen.
      "Wenn Ihr keine Einwände habt, würde ich gerne die erste Wache übernehmen." Da warteten noch einige Dinge darauf zumindest grob durchgesehen zu werden. Andernfalls konnte ich kaum Bericht erstatten wenn ich nicht wusste was genau ich in die Finger bekommen hatte.

      "Fear of death is worse than the death itself"
      by Shuichi Akai

      "Lächle. Du kannst sie nicht alle töten."

    • Ich lauschte ihren Worten, die eindringlich in der nächtlichen Wüstenluft hängen blieben, während ich die Faszination des Illusionszaubers verarbeitete. Es war eine beeindruckende Demonstration der Macht, die die Magie in den Händen eines kompetenten Zauberers sein konnte. Die Höhle, die zuvor wie eine dunkle, drohende Schlucht aussah, war nun fast unsichtbar. Es war nicht das erste Mal, dass ich Zeuge eines solchen Zaubers wurde, aber es war lange her, seit ich das letzte Mal eine so fein gesponnene Illusion gesehen hatte.

      "Zehn Jahre...", murmelte ich, meine Stimme war kaum mehr als ein Windhauch. Der Schock ließ mich für einen Moment sprachlos. Wie konnte so viel Zeit vergangen sein? Wie konnte ich so lange von der Welt getrennt gewesen sein? Es fühlte sich an wie ein tiefes Loch, das sich in meiner Brust aufgetan hatte, und ich fühlte mich von einer Woge der Verwirrung und Verzweiflung überwältigt. Die Welt, die ich kannte, war nicht mehr. Alles, was mir einst vertraut war, war in der Zeitspanne, die ich in Gefangenschaft verbracht hatte, verändert oder verschwunden. Ich fühlte mich wie ein Fremder in meiner eigenen Welt, losgelöst von der Realität, die sich in meiner Abwesenheit weiterentwickelt hatte. Und das Königreich, geformt in den Händen einer hinterlistigen Tyrannin… Mein Magen zog sich zusammen mit dem Gedanken. Die Worte, von denen Lealia sprach, drangen nur langsam in mein Bewusstsein ein. Sie sprach von Plänen, von Missionen, von Dingen, die außerhalb meiner Gefangenschaft passiert waren, und ich fühlte mich wie ein verlorener Reisender, der versuchte, seinen Weg auf einer fremden und unbekannten Landkarte zu finden. Zugegeben, ich war froh, dass die Zauberin das Gespräch durch meine vorherige Frage in eine andere Richtung lenkte, ansonsten wäre die Härte der Realität über mich eingebrochen, ohne Halt und ohne Warnung. Unendlich viele Fragen durchdrangen meine Gedankenwelt. Eine Rebellion - ich hatte sie mit eigenen Augen gesehen, doch die Erkenntnis darüber war etwas komplett anderes. Vielleicht weil ich meinen Kräften manchmal selbst nicht glauben wollte, dem Blick in die Zukunft nicht trauen konnte. Gut, mir war in Situationen, deren verschiedene Ausgänge ich kannte, nie bewusst, welche dieser Wege eintreffen würde. Ich zog wahrlich den Hut vor allen Orakeln vor mir, den Marionettenspielern der Gezeiten, die sich darin übten, den Verlauf des Schicksals zu leiten. Ein mir unersichtliches Mysterium.

      Schließlich zog mich die Müdigkeit hinunter in den Schlaf, nachdem Tharn sich für die erste Wache bereit erklärt hatte, und ich ließ mich bereitwillig von ihr überwältigen, der Dunkelheit der Höhle nachgebend. Gerade als ich die Augen lang genug geschlossen hatte, der Traumwelt meine grüßende Hand entgegen streckte, riss eine Vision meine Ruhe auseinander. Ein gewaltiges, schattenhaftes Tier, dessen raubtierhafte Augen in der Dunkelheit glühten, tauchte vor meinem geistigen Auge auf. Es war das Tier, dessen Höhle wir für unsere eigenen Bedürfnisse übernommen hatten, und es war klar, dass es zurückgekehrt war, um sein Territorium zurückzuerobern. Ich sah mich selbst und Lealia, wie wir Seite an Seite kämpften, unsere Kräfte gegen die Macht des Ungeheuers vereint. Das Bild war so lebendig, so real, dass ich mit einem Ruck aus dem Schlaf auffuhr, mein Herz schlug wild gegen meine Brust, und ich konnte den metallischen Geschmack von Angst auf meiner Zunge schmecken. Aber als ich mich in der Dunkelheit umsah, war nichts zu sehen. Nur Lealia, die immer noch Wache hielt, den Schopf tief in Papieren versunken und die Höhle, die immer noch sicher unter dem Schleier ihrer Illusion verborgen war. Aber der Nachgeschmack der Vision blieb bei mir, und ich wusste, dass wir, wenn wir den kommenden Tag überleben wollten, wachsam sein mussten. Denn in der Wüste lauerten Gefahren, die weit über Sand und Kälte hinausgingen. “Ein Sandläufer, ausgewachsen, riesig, ist auf dem Weg hierher." Keuchte ich, während das Leuchten meiner Augen langsam nachlassen durfte. Solchen Kreaturen begegnete man in der freien Wildbahn außerhalb der Mauern Anequinas häufiger, als einem lieb war. Die flinken Viecher waren schnell und wendig, prägten meine Art zu Kämpfen maßgeblich als Kind in der Ausbildung. Ich stand den kleinen Sprösslingen öfter in der Schlacht gegenüber - natürlich stets in Begleitung meiner Meister oder von Kombat-erfahrenen Mitgliedern meiner Familie. Klein waren sie schon unerträglich, in solch einem Ausmaß, wie die Kreatur meiner Träume, war mir noch kein Sandläufer unter die Augen gekommen. Hätte ich noch deutlicher sagen können, dass es an der Zeit war, die Beine in die Hände zu nehmen? Vermutlich unterstrich mein hektisches Zusammensuchen aller Gegenstände mein Vorhaben, doch es war bereits zu spät. Ein lautes, zorniges Knurren durchbrach die nächtliche Stille. Ich erstarrte für einen Moment, mein Herzschlag dröhnte in den Ohren, während mein alarmierter Blick zu Laelia wandte. Unweigerlich gingen alle Sachen zu Boden, nur das Schwert umklammerte ich, bis meine Knöchel sich vom Druck hell verfärbten. Ein riesiges, reptilartiges Ungeheuer tauchte am Eingang der Höhle auf, seine Augen glühten in der Dunkelheit. Meine Muskeln zogen sich in Erwartung eines Kampfes zusammen. Die Luft aus meinen Lungen befördernd machte ich einen Satz nach vorn, sprang mit vollem Elan aus der Höhle, die augenscheinlich durch den Zauber einem sicheren Versteck glich, doch scheinbar schien das Monster uns gerochen zu haben. So weit wie mir irgend möglich, zog ich die Aufmerksamkeit unseres Gegners auf mich, fern von dem Lager, das wir geschlagen hatten. Die Dokumente - wichtige Dokumente, wie ich verstand - lagen verstreut im Sand und ich wollte nicht zulassen, dass der wahre Grund meiner Rettung abhanden kam. Bis dahin würde ich Laelia den Rücken freihalten, auch wenn es hieß, meinen Hals zu riskieren. Mit seinem langen Hals streckte sich das bräunliche Ungeheuer nach mir, im Versuch einen Bissen meines Arms zu erhaschen, verfehlte mich dabei nur um ein Haar, da ich mich nach vorn abrollte. Die Beine, die das Wesen scheinbar schwebend über den Sand trugen, galt es zu verletzen, das war meine einzige Chance, diesen Meister der Natur zu überwältigen. Ich holte aus, vergrub die Klinge eines Fremden in der schuppigen Haut, die zäher war als in meiner Erinnerung. Es gelang mir nicht, das Körperteil abzutrennen. Man hätte meinen sollen, dass all die Jahre zumindest meiner Muskelkraft zu gute kamen, da ich den lieben langen Tag nichts anderes als Sport in meiner Zelle trieb, doch war mein Gegner sichtlich robuster. “Fuck.” fluchte ich zum unangemessensten Augenblick, weil ich genau wusste, was ich nicht verhindern könnte. Und da flog ich schon. Verschont von den scharfen Zähnen riss mich sein Hals aus meiner Balance und stieß mich einige Meter in die Luft, ehe ich unsanft landete. “Pass auf!” warnte ich meine Begleiterin unwissend, ob sie sich meine Blamage angesehen hatte oder noch mit den Papieren zu tun hatte. Im selben Moment richtete ich mich auf, verzog schmerzerfüllt das Gesicht, weil mein Rücken schmerzte, aber es gab durchaus schlimmeres - zehn Jahre Gefangenschaft zum Beispiel. Mit ein wenig Glück auf meiner Seite würde Laelia einen Zauber wissen, der ihr nicht den Kopf kosten würde, aber nur für den Fall der Fälle rannte ich los, in Begriff das Schwert, das noch im Bein des Ungeheuers steckte, zu erreichen und den einzigen Vorteil, den es hatte zu eliminieren.
      A heart's a heavy burden.

    • Kein Ton kam aus meinem Mund, während ich lediglich kurz auf seine Worte nickte. Ja, es waren zehn Jahre vergangen und wenn man zeitlos gefangen war, ohne auch nur ein Quäntchen Einfluss zu haben, dann konnte das Wissen darum, wie lange man derart machtlos gewesen war, einem schon einmal den Boden unter den Füßen wegziehen. Aus diesem Grund sagte ich nichts weiter, drängte Khaos nicht, mir mehr über seine Gefangenschaft zu erzählen, weil er all das selbst würde verarbeiten müssen und es würde Zeit brauchen. Daher verweigerte ich mich auch nicht der Antworten auf seine Frage, ging jedoch wegen der Rebellion nicht ins Detail, auch wenn ich natürlich beabsichtigte ihn mit nach Stromfeste zu nehmen. Allerdings wäre das vermutlich zu viel Information für die ersten Stunden in Freiheit gewesen. Also hielt ich mich vorerst zurück und erklärte nur das Nötigste, nur was mein Auftrag gewesen war. Auch wenn wir noch immer einen gemeinsamen Feind hatten - meine Tante - bedeutete das auch nicht, dass ich ihm komplett vertraute. Das wäre töricht. Also wenige Informationen, beobachten. Vielleicht war das auch mit ein Grund, warum ich mich für die erste Wache anbot. Letztlich war es egal - wenn er mich töten wollen würde, konnte er das nach Ende meiner Wache durchaus mal versuchen. Selbst Tharns brauchten Schlaf. Leider war ich immerhin nur ein Mensch und meine Kräfte begrenzt.
      "Gute Nacht", murmelte ich beiläufig, nachdem mein Begleiter sich schlafen gelegt hatte und ich mich nun den Unterlagen widmen konnte, die meiner Tante so wichtig gewesen waren. Hoffentlich enthielten sie auch irgendetwas brauchbares, ich wollte nämlich nicht umsonst diesen ganzen Aufwand betrieben haben. Mein Blick glitt grob über das erste Bündel Dokumente, das sich nun in meinem Besitz befand. Spionageberichte. Das war doch schon einmal etwas, allerdings las ich erst genauer, als der Name meines Vaters in einem der Berichte auftauchte und zwar ausschließlich. Warum brauchte meine Tante einen Bericht über meinen Vater? Sie sollte die meisten Fakten über ihn durchaus wissen. Also las ich genauer, ließ ab und an ein verächtliches Schnauben hören. Was für eine Frechheit, da zum Teil drinstand, doch je weiter ich las, desto mehr drängten sich mir Dinge auf, die vor einigen Monaten geschehen waren. Die Drachen, die plötzlich über Anequina erschienen waren, die uralte Tafel, die eigentlich zu einer Waffe hatte führen sollen. Wenn das alles auf Bestreben meiner Tante geschehen war, dann war sie so gut wie tot - vermutlich stellte sich nur die Frage ob Vater oder ich schneller darin waren sie umzubringen. (Und diesen Arctus Cove, den 'Meisterspion', der den Bericht verfasst hatte auch.) Sehr viel weiter kam ich allerdings nicht mit dem Lesen, da Khaos plötzlich aus seinem Schlaf aufschreckte, mein Blick schnellte zu ihm und wurde abermals der violettglühenden Augen gewahr. Die Bedeutung der folgenden Worte drang erst gar nicht richtig zu mir durch, weil die Gewissheit, dass meine Vermutung offenbar richtig gewesen war, zu übermächtig war.
      "Ihr habt Visionen", stellte ich fest, ehe ich den Kopf schüttelte, um mich wieder auf das Wesentliche zu konzentrieren - die Kreatur, die da gerade im Anmarsch war, der wir vermutlich nicht würden ausweichen können. Also musste ich die Unterlagen wieder zusammensuchen, ehe der Kampf begann. Das laute Knurren, das vor der Höhle, vor dem Illusionszauber ertönte, sagte mir, dass mir nicht viel Zeit blieb - Khaos' hektisches Zusammensuchen des Gepäcks sagte das ebenso, auch wenn er erstarrte und alles fallen ließ außer das Schwert. Immerhin das. das im Kampf zu erstarren war nie wirklich von Vorteil. In jenem Moment ließ ich meinen Illusionszauber fallen - das Vieh würde uns aufspüren, es würde seinen Instinkten folgen und sich kaum von einer derartigen Illusion blenden lassen, denn es war nie darum gegangen Gerüche oder dergleichen zu unterdrücken. Khaos verließ die Höhle, um unseren Gegner vorher abzufangen, während ich die Pergamentblätter zusammensuchte, um sie wieder zu verstauen. Schnaubend suchte ich in den Tiefen meines Bündels nach meinem Stab, weil ich mich nicht nur auf meine Messer und meine Magie verlassen wollte, weil es vermutlich sehr viel mehr magischer Kraft bedurfte um diesen Gegner zu Fall zu bringen als das bei ganz normalen Wachen der Fall war. Eine Barriere vor den Pferden später - wenn der Sandläufer sie erwischte würde vermutlich Hackfleisch aus ihnen machen und ohne Pferde hatten wir wirklich ein Problem - stürmte ich aus der Höhle, in der Rechten meinen Stab haltend, der noch ein Stück größer war als ich selbst und stilisierten Flügeln gekrönt wurde, in deren Mitte ein Rubin prangte. Ein dumpfer Aufprall ertönte als ich aus der Höhle stürmte und ich erblickte Khaos, der von dem Monster vermutlich nach hinten geschleudert worden war. Mein Blick glitt zu unserem Gegner, ich sah das Schwert, das noch immer in dessen Bein steckte, während ich in meinem Gedächtnis das zusammenkratzte, was ich über Sandläufer gehört hatte. Sie waren agil, vor allem auf Sand und bewegten sich flinker, als man es ihnen angesichts ihrer Statur zugestehen mochte. Deswegen hatte Khaos auch das Bein attackiert. Das bedeutete also, dass wir ihn zuerst in seiner Bewegungsfreiheit einschränken mussten, doch zuvor musste der Anequiner zu seinem Schwert gelangen. Also ließ ich einen Feuerball in meiner Handfläche erscheinen, den ich auf den Kopf des Sandläufers warf, um seine Aufmerksamkeit zu gewinnen. Ich erwartete nicht, dass der Angriff ihn auch nur ansatzweise juckte, er sollte lediglich auf mich achten, während ich mich darauf konzentrierte das Bein, an dem mein Begleiter soeben zugange gewesen war, einzufrieren, um mich dann restlichen zu widmen. Vermutlich würde auch das nicht lange halten, doch wenn er langsamer wurde, konnte uns das durchaus zum Vorteil gereichen.
      "Ich nehme mir das Bein auf der anderen Seite vor", rief ich, schlug einen Bogen, um dem Kopf zu entgehen und mich auf die andere Seite der Kreatur zu begeben, während ich einen Teil meiner Magie in meine Beine leitete, um schneller zu werden. Das machte es schwerer mich zu treffen, hatte zudem den Vorteil, dass ich in die Luft springen und mich von oben mit gezücktem Messer - der Stab ruhte vorerst in der Haltung, die am Rücken meines Brustpanzers befestigt war - auf das Gelenk stürzen konnte. Wenn er es schaffte mich aus der Bahn zu stoßen hätte das einen scheußlichen Aufprall zur Folge, doch die Klinge drang tief in das Gelenk, sodass ich sofort meine Feuermagie in die Klinge leitete, während meine Stiefel auf der schuppigen Haut des Untiers nach Halt suchten. Ein Brüllen war die Antwort auf meine Tat, indes ich mich an dem Messer festhielt, um zu verhindern, dass ich bei dem schmerzerfüllten Gezappel abgeworfen wurde. Die Hitze drang durch meine Handschuhe, während ich die Klinge tiefer in meinem Gegner versenkte, doch ich konnte gerade kaum auf meine eigenen Befindlichkeiten achten. Die nützten mir nichts, wenn ich tot war. Schnaubend schlang ich die Beine um das Bein des Sandläufers, während meine Magie sich durch Fleisch, Knochen, Muskeln und Sehnen brannte. Hoffentlich ging es Khaos einigermaßen gut.

      "Fear of death is worse than the death itself"
      by Shuichi Akai

      "Lächle. Du kannst sie nicht alle töten."

    • Es war auf seltsame Art und Weise befreiend, sich im Kampf beweisen zu können. Eine Chance, die mir all die Jahre hinter Gittern verwehrt geblieben war und im Alter von mageren sechzehn Jahren kaum faire Voraussetzungen gegen die erfahrenen Zauberer und Untertanen der Tharn herrschten. Das Adrenalin pulsierte in meinen Adern, als hätte man meine Fasern unter Strom gesetzt und einen innerlichen Tanz meines Blutes in Gang gesetzt. Ich fühlte meinen Herzschlag wie den Schlag eines Hammers gegen meine Brust, fast so, als wolle es ausbrechen aus dem Käfig, hinter dem es so lange versteckt war, unterdrückt von den höheren Mächten. Das vertraute Metronom, das eine gefühlte Ewigkeit schneller und lauter wurde, als in den sicheren Wogen des Palastes, der mein Zuhause war. Diesmal war es anders, die Angst, die ich verspürte, eine völlig andere. Aus meiner Mitte erstreckte sich eine Explosion, die sich in jede Ecke meines Daseins ausbreitete. Jeder Muskel spannte hart wie Stahl, bereit zur Aktion, hellwach und hypersensibel zugleich. Die Dunkelheit der Nacht verabschiedete sich unter meinen geschärften Sinnen. Wie die leuchtenden Augen einer Katze nahm ich jede Kontur deutlicher wahr. Wie aufgeregt meine Lungen nach Luft rangen, fiel mir nicht auf bei all den Gedanken und Möglichkeiten, die sich vor meinem inneren Auge abspielten. In Lichtgeschwindigkeit traf ich eine Entscheidung, eventuell geblendet von dem tobendem Sturm in meinem Kopf, doch hielt ich es für richtig. Alles andere war irrelevant. Das grandiose Ablenkungsmanöver Laelias musste genutzt werden. Es blieb also keine Zeit für unendliche Zweifel oder gar für die Überlegung, meine Kraft zu nutzen. Stattdessen musste die rohe Energie, die meinen Körper beflügelte, das Gefühl, am Rande eines Abgrunds zu stehen und springen zu müssen, reichen. Und das tat es. Die Zauberin schwächte den Gegner weiter und das Schwert ansteuernd wollte ich ihr Vorhaben unterstützen. Im eifrigen Sprung hechtete ich danach, riss es noch in der Luft durch das Fleisch, ehe meine Schuhsohlen wieder den weichen Untergrund spüren konnten. Die Klinge glitt unter der Geschwindigkeit und der Last meines Gewichts aus dem Körper des Ungeheuers. Den ledrigen Schuppenpanzer durchdrang das stumpfe Metall nicht gänzlich, ließ das Glied halb durchtrennt und annähernd leblos vom Torso des Feindes hängen. Zumindest genug, um der Bestie ihren gefährlichsten Vorteil zu rauben. Es hätte das Bein kaum mehr belasten können und ein Blick zu Laelia ließ darauf schließen, dass es mit dem anderen Bein ebenfalls ein Ende nahm. Mit der Beleidigung eines Schmiedestücks in meiner Hand erkannte ich das Problem. Grobe Gewalt würde mir nicht weiterhelfen, die schützende Rüstung meines Gegners war zu standhaft für den Zahnstocher, den der ursprüngliche Besitzer ein Schwert nannte. Doch Masse mal Geschwindigkeit, wie ein irrer Wissenschaftler zu schimpfen pflegte zeigte durchaus mehr Wirkung. So setzten sich meine schweren Beine abermals in Bewegung, ehe der Gedanke in mir keimen konnte, schnurstracks dem Ross entgegen, dass mich schon einmal durch den schwergängigen Sand getragen hatte. Ein gekonnter Schwung später - seltsam, als wäre es meinem Körper ein tägliches sich auf ein solch hohes Tier zu schwingen - saß ich hoch oben auf dem ungesattelten Hengst und wies ihm mit nachdrücklichen Impuls in die Seite an, sich der Angst zu stellen, um dem Feind entgegen zu treten. Im Galopp und erhobene Klinge ritt ich auf die bräunliche Gestalt zu, mein Herz im Gleichtakt der Hufe polternd, als hätte mein letztes Stündlein geschlagen. Den letzten Halt den ich wagte am Pferd zu finden, opferte ich für mein Vorhaben, löste den Klammergriff um dessen Mähne hin zur beidhändigen Führung des Schwertes. Die Spitze voran und mit unmittelbar vor dem Aufprall reflexartig geschlossenen Augen führte ich einen erneuten Angriff aus. Was sich anfühlte wie ein glatter, sicherer Schnitt, schlug jedoch schnell zu einem dumpfen Aufprall um, mit dem ich sämtlichen Halt verlor und unter dem Sandläufer zu Boden ging. Berieselt von warmer Flüssigkeit, lag ich da und erneut entwich mir für einen Moment der Atem, als hätten meine Lungen vergessen, welcher Funktion sie nachkommen sollten. Dann begann ich zu spucken. Der metallische Geschmack von Eisen lag auf meinen Lippen und das Aufschlagen eines zusammengekniffenen Lides machte klar, woher er stammte. Ich lag unter dem Gegner, mein Pferd hatte schon längst das Weite gesucht, während der aufgeschnittene Torso des Läufers sich über mir ergoss und mich in dickflüssigem Rot tränkte. Toll, wer hätte gedacht, dass man nach zehn Jahren Gefangenschaft und lediglich der Genuss einer Floter-Dusche einmal im Monat noch zu übertrumpfen wäre? Wenn nicht vorher schon, hatte ich nun mehr denn je ein Bad dringend nötig. Zeitgleich zeigte Laelias Zauber Erfolg und nahm der Bestie endgültig den sicheren Stand. Waren wir ihm tatsächlich gewachsen? Nein, es war zu früh für Jubel und Freudensprünge! Mein Unterarm fuhr übers Gesicht im kläglichen Versuch, mich von dem Blut zu befreien, als ein Gedanke durch mich hindurch jagte. Der Sandläufer begann tatsächlich zu zittern und dem Boden näher zu kommen. Da ich nicht lebendig begraben werden wollte, mobilisierte ich die letzten Kräfte in den erschöpften Gliedern und sprang so weit, wie mich der nachgebende Boden stoßen konnte. Den Wind des Aufpralls spürte ich an meinen Füßen, so knapp entkam ich ihm.

      Noch außer Atem und den Schock tief im Mark verankert, richtete ich mich auf. Abgesehen von einigen oberflächlichen Blessuren, vermutlich einer Prellung im Rücken und dem Rippenbereich, konnte ich mich glücklich schätzen, die Begegnung überlebt zu haben. Die erfahrensten Kämpfer ließen schon ihr Leben im Versuch dieses Monstrum zu bezwingen. Mein Violett suchte unweigerlich nach der Person, ohne die all das nicht möglich gewesen wäre. Als ich zu ihr aufschloss, sah ich die leuchtend roten Handflächen. Übersät von kleinen Blasen, wässrigen Beulen, die wie winzige gefüllte Kissen aussahen, stellte ein Blinder den Schweregrad ihrer Verbrennungen fest. Der Schmerz war sicherlich äußerst intensiv, von dem ich ihr nur wenig ansah - tapfer. Ohne zu Fragen griff ich nach dem Kelch, der unseren Vorrat an Trinkwasser beherbergte, und goss das Wasser auf mein Shirt, ehe ich den Stoff zerriss und über ihre Handflächen wickelte. Abgesehen von dem seltsamen Wanken gelang es mir ohne Probleme. “Halt still.” wies ich an und kicherte sogleich über den schroffen Ton meines Vaters, der sich in mir bemerkbar machte. Es war jener Moment, in dem ich realisierte, dass es nicht Laelia war, die unfähig war still zu halten, sondern die Welt um mich herum. Amüsiert kam ich scheinbar nicht mehr aus dem Kichern heraus.

      Sandläufer waren bekannt für ihre Agilität, schnelle Räuber, die flinker als jedes andere Wesen der Wüste waren. Ihre Wendigkeit oder die scharfen Zähne waren jedoch nicht das Gefährlichste an ihnen und leider vergaß ich das im Eifer des Gefechts. Die Haut oder doch das Blut, eine andere Körperflüssigkeit, was war es noch gleich? Meine Erinnerung an den theoretischen Unterricht reichte nicht aus, um die richtige Antwort zusammen zu reimen. Eines klingelte ohnehin klar und unweigerlich in meinem Verstand - Sandläufer erzeugen eine giftige Substanz, die den Kampf erschwert und weder von mir, noch von der Tharn beachtet wurde. In den seltensten Fällen war es tödlich, vielmehr wirkte es wie ein Halluzinogen, das man sogar auf dem Schwarzmarkt Anequinas als Droge erwerben konnte. “Wir haben einen ausgewachsenen Sandläufer erlegt.” Lallte meine Zunge die Wörter unter dem breiten Grinsen hervor. Rückwirkend war ich mir sicher, dass die Zauberin mich beim letzten Schlag mit Magie unterstützte, was das leichte Eindringen in den Panzer erklären würde, aber ich konnte mich Irren. Meine Gedanken sprangen von einem Einfall zum nächsten, bis ich endlich den Grips fand, in Worte zu fassen, was vorging. “Du musst dich heilen.” noch immer hielt ich ihre zarten, weichen Finger in meinen rauen Handflächen und suchte ihren Augenkontakt. Wieder erklang mein Lachen mit dem schwerer werden meiner Beine. Ich begann zu taumeln, bis die Welt plötzlich Kopf stand, der Himmel über mir schief lag und meine Erinnerung schließlich einen Riss erlitt.

      Als ich wieder meine Augen öffnete, war ich geblendet von der Sonne, mein Kopf dröhnte und ich brauchte einen Moment, mich zu sammeln. Mir war wie an jenem Geburtstag, an dem mein Onkel mir einen Schluck seines Kelchs gewährte. Der fermentierte Fruchtnektar war bitter im Abgang und machte meinen Kopf für den Rest des Abends leichter, als mir lieb war, während der Boden unter meinen Füßen zu wanken begann, als triebe ich auf tobendem Gewässer. Das stetige Hin und Her eines Schaukelns trieb eine Übelkeit in meine Kehle, weswegen ich mich etwas zu zügig aufrichtete und dabei vom trabendem Pferd fiel. Ein unsanfter Start in den Tag aber zumindest erlebte ich den Morgen noch. Es hätte durchaus schlimmer ausgehen können. Die Pferde kamen mit meinen Verlust zum Stehen, Laelia sah angeschlagen aus, ihr Blick müde und von bäulichen Säcken untermalt und dennoch küssten die Strahlen der Sonne ihre Haut als wäre sie die Göttin der Schöpfung höchst persönlich. Wie konnte ein Wesen so makellos sein? Vielleicht ein Zauber? Bei näherer Betrachtung fiel jedes Stück des Puzzles in seinen rechtmäßigen Platz und die Ereignisse überschlugen sich in meinem Gedächtnis. Der Kampf - das Gift - der Rausch. Hektisch zwang ich mich auf die Beine, machte dabei wenig elegante Schritte wie ein taumelnder Kobold in den dunklen Gassen Anequinas, nur um die Meter zwischen mir und der Zauberin zu verringern. "Seid ihr wohl auf?" Taktlos griff ich nach ihren Händen, wollte mich erkundigen, ob bleibende Schäden der Hitze ihres Zaubers geblieben waren und ignorierte dabei jeden Schmerz in den eigenen Knochen. Ich versuchte mich an die Euphorie des Giftes zu erinnern, an mein Handeln, die Worte, die ich sprach und wie weit Laelia betroffen war, aber diesbezüglich herrschte dichter Nebel. Lediglich ihr helles Lachen klingelte wie eine süße Melodie in meinen Ohren - Gott, wie lange hatte ich kein Lachen mehr gehört? An ihres erinnerte ich mich. Sie stand definitiv auch unter dem Einfluss des Sandläufers oder amüsierte sich über meine Unbeholfenheit. Eines von beiden musste es gewesen sein. Wie zur Hölle hatten wir Meter gemacht, lebten und waren frei von den Fesseln der älteren Tharn? Mir war es ein Rätsel und meine Kinnlade fiel ein weiteres Mal, als ich mit einem Blick um uns weit am Horizont die Silhouette einer Stadt erkannte, dort wo der Sand allmählich dem Grün wich.
      A heart's a heavy burden.

    • Mit der derzeitigen Herangehensweise hatten wir ein ziemliches Problem gegen diesen Sandläufer - zu hart war seine Panzerung und selbst wenn wir ihm noch die restlichen Beine abhackten, würden wir schnell ermüden, damit zu einem sehr leichten Fressen werden. Nur weil er dann nicht mehr weglaufen konnte, bedeutete das nicht, dass er uns nicht mehr umbringen konnte. Also mussten wir etwas dagegen tun, innerhalb der chaotischen Art dieses Kampfes, ohne Absprachen, ohne Befehle, ohne einen klaren Plan, den wir verfolgen konnten. Wir waren lediglich zwei Individuen, die zufälligerweise am gleichen Gegner herumsägten. Einer dieser Gründe, warum ich am liebsten alleine arbeitete - ich musste mich nicht absprechen, konnte meine eigenen Strategien einfach so ausführen wie ich es für richtig hielt und musste niemand anderem den Sieg zusprechen. Da unser Gegner nun ein Bein weniger hatte, öffnete sich damit allerdings auch ein Weg in seinen Körper, der nicht durch einen Panzer geschützt wurde. Das konnte ich ausnutzen. Mich noch immer auf dem Stummel haltend, der übrig war nachdem das Bein das Zeitliche gesegnet hatte, stieß ich mein Messer zwischen Gelenk und Panzerung, dort wo eine Lücke klaffte, damit es sich auch richtig hatte bewegen können ohne von seinem eigenen Körperbau eingeschränkt zu sein. Dieses Mal war es kein Feuer, das ich mit meiner Magie entfachte, sondern Kälte, die ich durch seinen Körper schickte, um ihn weiter zu schwächen, auch wenn ich davon ausging, dass es sowohl extreme Hitze als auch extreme Kälte gewohnt war, wenn man seinen Lebensraum bedachte. Doch bei Kälte neigte der Körper eher dazu möglichst wenig Energie zu verbrauchen, es würde ihn also hoffentlich noch sehr viel langsamer machen. Von meinem Platz hatte ich einen einigermaßen guten Ausblick nach vorne, vor allem weil der Sandläufer sich nun wieder auf Khaos konzentrierte, der zurück zur Höhle lief und dort auf sein Pferd stieg. Unwillkürlich knirschte ich mit den Zähnen - was auch immer er vorhatte, es war vermutlich riskant. Schnaubend schoss ich mit einem Pfeil aus Eis direkt auf den Kopf des Gegners, um seine Aufmerksamkeit auf mich zu lenken, das Messer zu ziehen und abzuspringen, sodass ich wenig elegant auf dem Boden landete, während Khaos in vollem Galopp auf den Sandläufer zuritt, die Klinge in beiden Händen. Ob das ausreichen würde? Bei der minderen Qualität und den Scharten, die sich im Metall gebildet hatten, bezweifelte ich das. Also wob ich innerhalb von Sekunden einen Zauber, der die Schärfe der Waffe erhöhen würde - einen der wenigen Unterstützungszauber abgesehen von Schutzschilden und Heilmagie, den ich beherrschte. Ich war Kampfmagierin, ich trug meine Kämpfe selbst aus, statt sie andere austragen zu lassen und mich im Hintergrund zu halten. Aber es funktionierte - während ich einen weiteren Magiepfeil in das Maul des Untiers schoss, durchdrang das Schwert die Panzerung und schnitt seinen Torso auf, sodass er kurz darauf zusammenbrach. Mit einem Sprung wich ich sowohl dem Körper als auch einem halbherzigen Biss im Todeskampf aus und starrte im ersten Moment wie paralysiert auf den Kadaver. Wir hatten gesiegt, wir hatten es wirklich bezwungen. Meine Güte. Ich musste lachen, sehr laut lachen, weil wir einfach überlebt hatten, verdammt.
      Das Adrenalin pulsierte immer noch in meinem Körper und ich hatte keine Absicht diesen Zustand aktuell enden zu lassen. Also blieb ich nicht stehen, sondern ignorierte meine Erschöpfung, meine schmerzenden Knochen, hielt das Hochgefühl, das mich erfasste zunächst für einen Effekt des Adrenalins, die Euphorie, dass wir es geschafft hatten, doch nachdem Khaos zwei Meter vor mir zum Stehen kam und wirres Zeugs brabbelte, erschlich sich mir ein ganz anderer Verdacht. Das war nicht normal. Irgendetwas an diesem Sandläufer schien wie eine Droge zu wirken oder anderweitig den Geist zu verwirren. Wunderbar. Ich konnte zwar einen Schutzzauber gegen äußere Einflüsse wirken - was ich auch tat um zumindest mich davor zu schützen - doch um derartige Dinge zu heilen, dazu fehlte mir schlicht die Anleitung und aktuell auch die Kraft. Meine Magie war sowieso beinahe aufgebraucht und ich war totmüde. Andererseits erschien es mir unklug weiterhin hier zu verweilen, wo der Kadaver des Sandläufers herumlag und eventuell noch mehr von seinem Gift in die Umgebung freisetzte.
      "Ich gehe davon aus, dass Ihr mir das verzeihen werdet", bemerkte ich, trat hinter ihn und setzte ihn mit einem gezielten Schlag in den Nacken außer Gefecht, auch wenn jetzt wirklich alles an mir hängen blieb - er wäre unter Umständen eine Gefahr für sich selbst gewesen.

      Eiserne Willenskraft und die angeborene tharnsche Sturheit ließen mich meinen Begleiter auf sein Pferd verfrachten, selbst aufsteigen und die folgenden Stunden durchreiten. Zuvor befreite ich mein Messer noch vom Blut unseres Gegners, für Khaos' blutübersätes Alles konnte ich in diesem Moment wenig tun. Also ritt ich schlicht und ergreifend weiter, während das andere Pferd dem meinigen folgte. Die Stunden flossen ineinander über, das einzige was sich änderte war die Färbung des Himmels als die Nacht dem Tag wich und ich keine wirklich Ahnung mehr hatte, wie viele Tage ich nun bereits ohne anständigen Schlaf auskam. Es war egal, ich musste weiter und im besten Falle Stromfeste erreichen, ehe uns vielleicht doch noch eine Patrouille meiner Tante aufhielt. Immerhin hatte ich keine Kraft mehr für einen Kampf, es war ein Wunder, dass ich noch auf meinem Pferd sitzen konnte. Mein Bewusstsein glitt langsam in einen tranceähnlichen Zustand, während ich stur geradeaus ritt. Erst ein Geräusch als fiele etwas auf den Boden, ließ mich daraus aufschrecken und ich zügelte mein Pferd, um nach hinten zu schauen, wo Khaos nun wohl Bekanntschaft mit dem Boden gemacht hatte. Allerdings konnte ich mich nicht dazu überwinden abzusteigen und ihm zu helfen. Gehen, wie ging das noch mal? Das war wirklich erbärmlich. Wie sollte ich so Vater unter die Augen treten? Das ging doch nicht. Auch wenn ich liebend gern das gesamte tharnsche Vermögen für ein Bett hergeben würde. Wie in Zeitlupe sah ich zu, wie er aufstand und auf mich zukam, nur um nach meinen Händen zu greifen, eine Geste aufgrund derer ich skeptisch eine Augenbraue hob.
      "Natürlich", erwiderte ich nicht halb so bissig wie ich vorgehabt hatte, immerhin hatte ich nicht unter Halluzinationen oder sonstigem gelitten. "An mir ist noch alles dran und an Euch ebenfalls." Bedauerlicherweise hatte ich keine Möglichkeit festzustellen ob er nicht vielleicht immer noch unter den Nachwirkungen des Giftes litt. "Wir sollten in einer Stunde in Stromfeste sein, dort können wir uns ausruhen." Egal wie weit es noch entfernt schien, ich würde zuerst Bericht erstatten und Khaos vorstellen müssen.

      Eine Stunde später erreichten wir dankenswerterweise die Stadttore, weil ich wirklich nicht wusste wie viel länger ich mich noch auf diesem Pferd würde halten können. Trotz der Tatsache, dass Stromfeste die Hochburg der Rebellen war, lebten in der Stadt natürlich auch ganz normale Bürger, Bürger die aus dem Einflussbereich meiner Tante geflohen waren und Unterschlupf gesucht hatten. Man brauchte nicht nur jene die kämpften, sondern auch jene, die das tägliche Leben am laufen hielten.
      "Willkommen in Stromfeste", bemerkte ich leise, während ich mich zu der Villa in der Mitte der Stadt aufmachte, die allerdings längst nicht mehr derart zahlreich bevölkert war wie noch zu ihrer Blütezeit. "Bevor wir uns ausruhen können, müssen wir Euch dem Herzog vorstellen und ich muss Bericht erstatten." Mit wenig Energie schwang ich mich aus dem Sattel, während bei der Landung meine Beine beinahe unter mit nachgegeben hätten. Das würde eine anstrengende Angelegenheit werden.

      "Fear of death is worse than the death itself"
      by Shuichi Akai

      "Lächle. Du kannst sie nicht alle töten."

    • Meinen unbeholfenen Ausbruch bereute ich in jenem Moment, in dem mir die distanzlose Geste bewusst wurde. Einer talentierten Frau, als Mann so auf die Pelle zu rücken - ich, der stinkende Hofnarr, begossen im klebrigen Blut des Sandläufers war unerhört. Wie sagte man so schön? Man sollte denken, bevor man spricht? Nunja, für Taten gilt wohl Ähnliches. Räuspernd setzte ich wacklige Schritte zurück und hiefte meine schweren Knochen abermals auf den Rücken des stolzen Tieres, das mich all die Kilometer durch die Wüste getragen hatte. Es hatte sich eine Erholung an einer Wasserstelle sichtlich verdient und in einer blühenden Stadt wie Stromfeste sollte es kein Problem darstellen, an Wasser zu gelangen. Gott, ein reinigendes Bad war zum greifen nahe. Das Land rund um die Stadt war durch kleinere Flüsse durchzogen, die mich schon jetzt zu einer kurzen Pause einluden. Zum Glück verfügte ich über genügend Disziplin, um dem Vergnügen nicht vor vollendeter Arbeit nachzukommen.
      Abgesehen davon, dass Stromfeste für seinen großen Markt bekannt war, wusste ich nicht viel über die Stadt, die nunmehr als Hauptsitz der Rebellion galt. Der belebte Handelsplatz beherbergte alle möglichen Leckereien, von denen man in der trockenen Landschaft Krempens nur träumen konnte. Diese Umgebung zeichnete sich durch ihre exotische Fruchtbarkeit aus. Pappeln und Palmen sprießten aus dem nahrhaften Boden und struppiges Gras gab unter den Hufen des Gauls nach. Jeden Tag strömten neue Besucher, Händler und Bauern aus entfernteren Regionen über die Schwelle der Stadttore, um ihre Waren zu verkaufen. Auch wenn ich nie selbst da war, erzählte mein Vater viel davon und wenn er bei guter Laune war, gab es sogar eine Besonderheit als Mitbringsel. In jungen Jahren verstand ich den Hype um Gewürze und Textilien nicht, mit dem Alter lernt man die Dinge erst richtig zu schätzen. Der internationale Handel ist unumgänglich, um ein vielfältiges Angebot für die Bevölkerung gewährleisten zu können. Noch bevor wir uns näherten, wischte ich mit meinem Arm quer über mein Gesicht, in der Hoffnung, die Blutspuren unseres Gegners verwischen zu können. Der Gedanke Tharns Umhang abzulegen kam mir ebenfalls in den Sinn, da dies jedoch bedeuten würde, meine Narben wie auch die leuchtende Augenfarbe zu präsentieren, nahm ich lieber die schiefen Blicke wegen der blutverschmierten Kleider in kauf.
      Gemeinsam passierten wir die Tore, auf denen mein Augenmerk hängen blieb, bis Laelia eine leise Begrüßung flüsterte. Mit gehobener Braue sah ich zu ihr herüber, leckte mir über die vom Staub der Sandpartikel eingetrockneten Lippen und konnte mir ein Schmunzeln nicht verkneifen. Ihre Worte klingelten in meinen Ohren wie ein leises Ständchen. Natürlich, wir zwei machten sicherlich den Eindruck von gewöhnlichen Reisenden, die nicht gerade von einer Armee durch die Wüste gejagt wurden. Ein Tag wie jeder andere… Seufzend machte ich es meiner Retterin gleich und schwang mich vom Pferd. Laelia kannte sich aus, wies mir den Weg und schlängelte sich elegant wie eine Katze zwischen den Ständen entlang. Die Kapuze ins Sichtfeld gezogen und den Blick auf den Boden gerichtet bemühte ich mich, ihr auf Schritt und Tritt zu folgen. Verflucht war diese Frau schnell. Hatten wir nicht denselben Marathon hinter uns oder streikten meine Beine einfach gegen die neugewonnene Freiheit? In Gedanken verloren hielt ich zu spät inne nachdem wir unser Ziel erreicht hatten und lief meiner Vorderfrau in den Rücken. Ich konnte mich gerade mit der Hand an ihrer Schulter fangen und verhindern, dass ich uns beide zu Boden riss. “Verzeih.” korrigierte ich meinen Fehler flüchtig, ehe mein Augenmerk auf der Villa ruhte und wir sie betraten.
      Herzog Saete Asahrs Wohnsitz war in seiner Fülle zwar etwas bescheidener als der Palast, in dem ich groß wurde, strahlte aber dennoch in seiner eigenen Pracht. Die letzten Jahre schienen der Stadt nicht gut getan zu haben, aber wer außer Euraxia konnte das von sich behaupten? Ich konnte nicht einmal mit Sicherheit sagen, ob der Herzog noch regierte oder sein Name ebenfalls aus der Liste gefallener Krieger stand. Die letzte Abbiegung folgte ich der Zauberin in eine große Halle, an deren Ende ein gigantischer Tisch hervorging. Drei Männer schienen vertieft in ihre Strategien, während unwichtige Figuren im Hintergrund die Türen und Fenster bewachten. Ich war überrascht darüber, dass wir bis zu dem Punkt, an dem wir vortraten, unerkannt blieben. Was mir allerdings den Atem raubte, war das Gesicht eines Mannes, in das ich blickte. Laelia begrüßte die Männer und begann wie versprochen mit ihrer Berichterstattung, wovon ich zugegebenerweise kein Wort mitbekam. Meine Gedanken kreisten noch immer um das Antlitz des Beraters. Ohne Vorwarnung senkte ich die Kapuze, unterbrach damit ungewollt den Vortrag der Tharn und riss die Aufmerksamkeit der Männer - eher des einen Mannes - auf mich.

      “Rhysand?! Nein, das kann nicht sein! Havoc?!” Er hielt mich fälschlicherweise für meinen Vater und dann für meinen älteren Bruder. Auch wenn die Ansprache meines väterlichen Namens der korrekte war, so wusste ich, dass Evander, der ehemalige Berater, die rechte Hand des Königs und bester Freund meines Vaters, eben diesen meinte. Nur engste Vertraute sprachen einen mit dem tatsächlichen Vornamen an. Kopfschüttelnd verneinte ich seine Theorien. Das letzte Mal, dass wir einander unter die Augen getreten waren, lag zehn Jahre zurück. Ich war ein Kind, ein kleiner Dreikäsehoch, ich konnte es ihm nicht verübeln, mich für einen älteren Abkömmling meiner Familie zu halten. Die Gefangenschaft in Kombination mit den Narben schmeichelte meinem Alter vermutlich wenig.
      “Havoc starb am Tag des Eisherbst-Putsch, genau wie der König", erklärte ich vor allem dem Herzog. “Auch wenn sich unsere Wege zuvor nicht kreuzten, sprach mein Vater in den höchsten Tönen von Ihnen. Erlaubt mir mich vorzustellen, mein Name lautet Khaos Rhysand Anequina, Sohn von König Rhysand Lucario Anequina und Königin Serephine Anequina.” Stillschweigen folgte auf meine Worte.
      “Das Orakel lebt…” murmelte Evander.
      “Korrekt, ich sehe die Zukunft, die Vergangenheit und die Gegenwart.” Erneut galt meine Erklärung dem Herzog, unsicher ob er über die Gene der Anequinas bescheid wusste. “Dies allein war der Grund, wieso mein Leben verschont blieb.”
      “Woher wissen wir, dass ihr kein Hochstapler seid?” witzig Zweifel aus dem Munde jenes Mannes zu hören, der mich wenige Sekunden zuvor mit meinem Vater verwechselte.
      “Neben mir steht Laelia Tharn. Auf unserer kurzen gemeinsamen Reise teilten wir kaum einen Gedanken. Sie verschwieg ihre wahre Identität aus Sorge, ich würde sie zur Rechenschaft für die Taten ihrer Tante ziehen und ich muss zugeben die ersten 136 Male, die mir ihr Antlitz in Visionen erschien tat ich genau das - ermordete sie, ließ meinen Frust und meinen Schmerz an ihr aus, bis ich zu der Erkenntnis kam, dass mir ihr vergossenes Blut keine Erlösung bringen würde. Ich wusste bereits neun Jahre vor meiner Befreiung, dass sie mich retten würde und ich ihr im Gegensatz zu Euraxia vertrauen konnte. Ich und das Volk Anequinas stehen in ihrer tiefen Schuld.” Meine Aufmerksamkeit blieb auf den Männern vor mir gerichtet, auch als ich schwören konnte, den brennenden Blick der Zauberin auf mir spüren zu können. Jedes meiner Worte entsprach der Wahrheit und doch tat ich mich schwer, ihr dabei auf Augenhöhe zu begegnen. Es gab nichts Nobles daran, in jahrelanger Gefangenschaft wie eine Kanalratte zu versauern, bis eine hübsche, talentierte Frau einem zur Hilfe kam. Eine Person, die im Gegensatz zu mir mit ihren Kräften umzugehen wusste und sich diese zunutze machte. Laelia würde als die Befreierin des Thronerben in die Geschichte eingehen, soviel stand fest. Ich müsste meinen Namen erst alle Ehre machen.
      A heart's a heavy burden.

    • Die Situation war gelinde gesagt als merkwürdig zu bezeichnen. Körperlicher Kontakt zu anderen Menschen war nichts was ich übermäßig zu vorzuziehen pflegte, es war einfach nichts was sonderlich oft eine Rolle spielte. Nicht einmal früher als Kind. Meine Mutter und meine Amme waren wohl die einzigen Personen gewesen, die mich je in den Arm genommen hatten. Nähe zu anderen zu suchen schickte sich einfach nicht für eine Tharn. Je näher man anderen Menschen kam, desto mehr musste man darauf achten, dass man nicht verraten wurde. Selbst innerhalb der eigenen Familie. Vertrauen war also nichts, was ich leichtfertig verschenkte, auch Khaos vertraute ich nicht. Wir bildeten eine Zweckgemeinschaft, wir hatten das gleiche Ziel, aber ich war keine Närrin ihm blind zu vertrauen. Immerhin kannten wir uns ja nicht mal und ich hatte das Gefühl, dass er mir vieles nicht erzählte. Das war natürlich sein gutes Recht, schließlich hatte auch ich meine Geheimnisse. Daher war mein Blick selbstverständlich nicht besorgt, als ich beobachtete, wie er sich schweigend wieder zu seinem Pferd begab um ungelenk aufzusteigen. Immerhin saß er und konnte selbständig reiten – mehr wollte ich gar nicht. Es verlangte mich kaum danach noch mehr Zeit zu verschwenden.
      Zumindest erreichten wir Stromfeste ohne weitere Zwischenfälle – einen erneuten Kampf hätten wohl sowohl ich als auch mein Begleiter nicht sonderlich gut bewältigen können. Natürlich hätten wir vermutlich – je nach Art und Anzahl unserer Gegner – gewonnen, weil eine Tharn schlichtweg nicht verlor, aber es wäre sehr mühselig gewesen. Auch meine Kräfte waren nicht unbegrenzt und selbst mir war klar, das sich noch nicht annähern an die Macht meines Herrn Vaters heranreichte. Anderseits war ich auch noch keine einhundertvierundsechzig Jahre alt, also hatte ich noch Zeit an meinen Fähigkeiten zu arbeiten. Wir ritten unbehelligt durch das Tor ohne dass uns jemand aufhielt, auch wenn mir die verstärkten Wachen auf den Mauern der Stadt einfielen. Ob während meiner Abwesenheit irgendetwas vorgefallen war? Ein feindlicher Angriff? Das war meine erste Vermutung, doch ich konnte kaum Spuren entdecken, die darauf hindeuteten, dass in der letzten Zeit vor oder in Stromfeste ein größerer Kampf stattgefunden hatte. Eventuell machte ich mir einfach nur unnötige Gedanken.
      Nachdem wir von den Pferden abgestiegen und sie der Obhut des Stallmeisters überlassen hatten, machte ich ohne Umschweife auf den Weg zu unserem Ziel – der Villa des Herzogs. Vielleicht würde das gemeine Volk das Anwesen nicht mehr als Villa bezeichnen, aber ich kannte weitaus größere Gebäue, wie den kaiserlichen Palast in Cyrodiil. Es handelte sich nach allgemeinem adligen Sprachgebrauch faktisch um eine Villa. Dem Ziel so nah beschleunigte ich meine Schritte wohl gänzlich unwillkürlich, derart fokussiert, dass ich nicht einmal mehr sonderlich auf meinen Begleiter achtete. Ich wollte Bericht erstatten und dann ein schönes, langes und vor allem heißes Bad nehmen. Darf durfte ich mich ja dann wohl gönnen oder? Selbstverständlich war ich Entbehrungen gewöhnt, aber wenn es auch anders ging, legte ich es sicherlich nicht darauf an. Vor der Villa blieb ich stehen, wartete darauf, dass man uns die Tür öffnete und spürte im nächsten Augenblick das Gewicht eines Körpers in meinem Rücken. Was bei den Göttern? Der Aufprall trieb mich einen Schritt nach vorn, der normalerweise kein Problem gewesen wäre, aber ich spürte wie ich aufgrund meiner Müdigkeit ins Straucheln geriet. Khaos‘ Hand an meiner Schulter riss mich ebenso zurück, wie sie ihm selbst Halt gab. Meine Augenbrauen zogen sich missbilligend zusammen, während seine Entschuldigung an meine Ohren drang. Krampfhaft atmete ich durch.
      „Schon gut“, murmelte ich in dem Moment, als die Tür aufging. Es würde mir kaum helfen, wenn ich meinen Verbündeten jetzt eigenhändig umbrachte, weil er unachtsam gewesen war. Immerhin sah ich mich doch schon als besser als meine Tante an. Daher ließ ich den Vorfall fallen und betrat das Anwesen als erste, ehe ich den mittlerweile vertrauten Korridoren folgte, die zur Halle führten, wo ich nicht nur meinen Herrn Vater, sondern auch den Herzog und den ehemaligen Berater des anequinischen Königshauses vorfand, die alle drei den Kopf der Rebellion bildeten. Ich trat näher, neigte das Haupt demonstrativ lediglich vor meinem Vater, da ich keinem der anderen beiden derartigen Respekt zu zollen verpflichtet war.
      „Du bist zurück.“ Eine einzige Feststellung, wie ich nicht anders erwartet hatte. Ein Abnur Tharn hielt sich nicht mit Gefühlsduseleien auf und vielleicht verehrte ich meinen Vater gerade deswegen. „Berichte.“ Mit einem leichten Nicken trat ich näher, zog die erbeuteten Unterlagen aus der Tasche, um sie auf eine der wenigen freien Stellen auf den großen Tisch zu legen. Dort wo keine Karten, Berichte oder Listen lagen.
      „Selbstverständlich, Herr Vater. Es gelang mir mich in die privaten Gemächer der Usurpatorin zu schleichen und einige wichtige Unterlagen aus ihrem Aktenschrank zu entwenden. Darunter Pläne der Patrouillen, Geheimberichte und einige Dokumente, die soweit ich überflogen habe, die Ereignisse in den Kolosshallen“ Ich unterbrach mich ungewollt, da Evander plötzlich zwei Namen aussprach und völlig entgeistert schien. Ein Blick zur Seite verriet mir, dass Khaos seine Kapuze abgenommen hatte. Was war hier los? Ein kurzer Blickwechsel mit meinem Vater, der sich selbstverständlich nichts anmerken ließ, verriet mir, dass er genauswenig wusste, was da gerade passierte und schlicht abwartete, Informationen sammelte, die uns nur allzu bald zu Ohren kamen. Bitte was? Er war der Sohn des anequinischen Königs? Und damit vermutlich der amtierende König, wenn man davon ausging, dass er der einzige Überlebende seiner Familie war – es sei denn meine Tante würde ein weiteres Mitglied der Königsfamilie gefangen halten, auch wenn ich das als unwahrscheinlich ansah. Zumindest bestätigte sich meine Vermutung, was seine Fähigkeiten anging. Es war ein befriedigendes Gefühl recht zu haben. Wenig befriedigend war die Aussage, die darauf folgte.
      „Was bringt Eure Visionen dazu zu glauben, dass ich mich ganze 136 Mal von Euch habe umbringen lassen, ohne mich zur Wehr zu setzen?“, entfleuchte es sarkastisch meinen Lippen, während mich unumwunden ein Blick seitens meines Vaters traf, der mir klar machte, dass ich gefälligst meine Manieren nicht zu vergessen hatte. (Und das von ihm, der pausenlos mit spitzen Bemerkungen um sich warf.) Herzog Ashar war der erste, der sich wirklich aus der Starre löste, nachdem Khaos seine wahre Identität offenbart hatte. Er trat einen Schritt vor und verneigte sich.
      „Seid in Stromfeste willkommen, Euer Majestät. Ich werde Euch umgehend Gemächer zur Verfügung stellen lassen, damit Ihr Euch von den Strapazen erholen könnt.“ Letzteres klang in meinen Ohren auch wunderbar. Außerdem konnte ich so ein Hühnchen mit Khaos rupfen, warum er mich dermaßen ins offene Messer hatte rennen lassen, damit ich unter den Augen meines Vaters aussah wie die größte Vollidiotin. Nicht zu bemerken, dass ich mit dem rechtmäßigen König reiste. Dennoch hielt ich meine Wut konsequent in meinem Innern verschlossen. „Habt Dank, dass Ihr den König befreit und zu uns gebracht habt, Gräfin Tharn.“ Ich nickte nur knapp, zumindest hatte der Herzog Anstand, aber es war mir egal, darauf kam es mir nicht an, darauf kam es mir nie an.
      „Scheinbar solltest du noch einmal dein Wissen um die entsprechenden Königshäuser auffrischen, wenn du nicht erkennst, mit wem du reist.“ Autsch. Natürlich hatte ich mit einer entsprechenden Bemerkung gerechnet, es war auch gar nichts anderes erwartet gewesen, weswegen ich Vaters Aussage mit Fassung trug, wie immer. Aber das bedeutete nicht, dass es nicht wehtat – eine vollkommen überflüssige Emotion für eine Tharn, dessen war ich mir bewusst. „Weiß meine verabscheuungswürdige Halbschwester, dass du an der Befreiung federführend warst?“ Fakten. Sachlichkeit. Es war nichts daran sachlich meinem Vater an die Gurgel zu springen, außerdem würde mich das nur noch mehr in seinem Ansehen sinken lassen. Sachlich bleiben, Laelia.
      „Tatsächlich bin ich meiner Tante begegnet, als ich ihre Gemächer verließ und musste mich in ihrer Anwesenheit wegteleportieren. Da die Schutzzauber des Schlosses allerdings derartige Magie offenbar blockierten, bin ich nicht draußen sondern in den Kerkern gelandet. Unsere Flucht war wenig unauffällig. Daher würde ich sagen, dass wir damit rechnen sollten, dass die Usurpatorin davon weiß“, erklärte ich, wobei es mir gelang meine Stimme einigermaßen ruhig zu halten. Meine Aufmerksamkeit gänzlich auf meinen Vater gerichtet, weil ich nicht wusste, wie ich mich Khaos in diesem Moment gegenüber verhalten sollte.

      "Fear of death is worse than the death itself"
      by Shuichi Akai

      "Lächle. Du kannst sie nicht alle töten."