Nemeton [Codren & Nico]

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    • "Ich habe ganz oft mit ihm gesprochen, aber es kommt auf seine Stimmung an, ob er darauf eingeht, schätze ich. Es bringt auch nichts mit ihm zu reden, es ist so, als ob man einem Irren erklären wollte, dass er durchgeschnappt ist. Die wenigen Male, in denen wir uns tatsächlich unterhalten haben, waren nicht sehr angenehm. Vielleicht mag er mich nicht besonders."
      Dany rieb sich die Hände gegen die Kälte, die sie mehr am Körper spürte als an ihren Fingern.
      "Wir haben Kontakt, über Cayen. Cayen weiß alles, Cayen sieht alles. Ich bin gegangen, damit sie die Herkunft des Dolches in Ruhe ergründen können, ohne dass sie sich Sorgen machen müssen, dass er wieder in falsche Hände gerät. Oder dass ich eine Gefahr für die anderen darstelle."
      Sie sah wieder zu Prysk hinüber, einen ausdruckslosen Ausdruck im Gesicht.
      "Ich habe Triclopen-Blut in mir. Ich lebe, weil ich menschlich bin. Aber Menschlichkeit hat ihre Grenzen und das kann problematisch sein."
      Prysk war noch niemals so wortreich mit ihr gewesen - aber Dany auch nicht mit ihm. Das war der erste, einzige Moment, in dem sie sich mal nicht gegenseitig beleidigten und selbst durch die Nüchternheit des Laudanums konnte Dany das genießen. Es passte zum Moment. Sie würden wahrscheinlich nie wieder in dieser Weise zusammenkommen, aber für diesen Moment war es sehr stimmig.
      Das Gefühl bestätigte sich, als ein Lächeln über Prysks Gesicht huschte, das ihn irgendwie erstrahlen ließ. Eine Seltenheit. Oder eher eine Premiere. Mittlerweile saßen sie nahe genug aneinander, dass ihre Beine sich dann und wann streiften.
      Er lachte daraufhin sogar und Dany musste selbst, ganz kurz, mitlächeln.
      "Prysk. Wirklich? Prysk."
      Sie probierte den Namen unter einer anderen Sichtweise aus, stellte sich dabei vor, wie ein Holzhammer, der sie in seiner festen Beschaffenheit an Prysk erinnerte, auf weiches Holz schlug. Vorher hatte sie den Namen falsch ausgesprochen, wie ihr auffiel; mehr wie das scharfe Geräusch von reißendem Papier. Aber es war anders, sanfter.
      "Prysk."
      Voller. Fester. Ein Holzhammer auf weichem Holz.
      Sie dachte weiter darüber nach, als Prysk - Prysk - schließlich das Angebot machte, wieder hineinzugehen. Dany fügte sich, indem sie aufstand.
      "Ja, aber ich hau mich lieber hin. Eine Nacht Ruhe genießen, meine letzte."
      Sie streckte Prysk die Hand hin, um ihn hochzuziehen. Es war eine ganz natürliche Geste, als hätten sie nie etwas anderes getan. Auch das war nichts, worüber sie nachgedacht hätte.
      "Gute Nacht, Prysk. Ich entschuldige mich jetzt schon für meine Stimmung morgen. Ich habe das Gefühl, sie wird nicht besser werden."
      Sie lächelte ihm ganz fein zu, dann ging sie hinein und die Treppe zu den Schlafräumen empor.

      Eine Stimme weckte Dany und weil Sylvia in dem hell erleuchteten Zimmer nirgends zu sehen war - sie musste wohl bei Tjark oder diesem anderen Mann übernachtet haben - blieben nicht viele Optionen übrig. Dany stöhnte und vergrub sich so tief in ihr Bettzeug, wie es ihr möglich war.
      Ihr Kopf pochte und brannte entweder von Met oder von Laudanum, sie wusste gar nicht, ob das Zeug irgendwelche Nachwirkungen hatte. Ihr ganzer Körper fühlte sich an, als hätte sie einen gewaltigen Muskelkater und sie konnte weder ihre Arme, noch ihre Beine spüren. Sie fühlte sich räudig, ihr Magen rebellierte, weil er nichts zum Verdauen hatte, aber auch, weil er sich nicht vorstellen konnte, Essen verdauen zu können. Sie fühlte sich genauso räudig, weil sie sich genau an gestern Abend erinnern konnte und an jedes einzelne, beschissene Wort, das sie mit Prysk ausgetauscht hatte und das von irgendeinem verbotenen Part von ihr gekommen sein musste. Jetzt konnte sie sich nicht mehr vorstellen, wie sie mit Prysk ein solches Gespräch führen und dabei nicht kotzen würde. Wie hatte sie es dann gestern geschafft?
      Der Helligkeit des Zimmers nach zu schließen musste es Mittag sein, aber Dany konnte sich nicht vorstellen, das Zimmer zu verlassen, geschweige denn unter Leute zu treten. Sie wollte sich nicht der Mühe hingeben, richtige Stimmen von der des Dolches zu unterscheiden, aber gleichzeitig wollte sie nicht alleine sein. Wo war Sylvia nur abgeblieben? Sollte sie nicht ihren Part als Freundin spielen, oder so ähnlich?
      Aber niemand war da und niemand würde kommen und so suhlte Dany sich weiter in ihrem Leid, vergrub sich in ihrer Decke und wartete darauf, dass sie entweder sterben oder den Verstand verlieren würde, was auch immer zuerst kommen mochte.
    • Eine ganze Weile lang hatte Prysk der jungen Frau noch hinterher gesehen.
      Und dieses Mal nicht nur auf ihren Hintern. Auch wenn das nicht zu verachten war, wenn man es mal objektiv betrachtete. Ein schwaches Grinsen hatte auf seinem Gesicht gestanden, während er sich durch die Haare gefahren war. Alles in allem ein guter Abend, wie er fand. Und eine Dany zu erleben, die er das erste Mal nicht Scheißhaus nennen wollte, war etwas von Grunde auf Neues für ihn. Aber irgendwie fühlte es sich gut an.
      So oder so ähnlich dachte er es zumindest, als Prysk an jenem Morgen im Schankraum erwachte.
      Die Bank hatte seinem Rücken nicht gut getan und dem leeren Humpen zu seiner Linken zu urteilen, war er doch tatsächlich dem Trunke ergeben eingeschlafen. Stöhnend drehte er sich auf der Bank herum, nur um sogleich darauf geräuschvoll zu Boden zu purzeln und sich über den harten Steinboden zu beschweren. Der Schankraum selbst war leer und kalt, bedachte man die fröhlichen Stimmen und das Gelärme des Vorabends. Ächzend hob sich Prysk auf die Beine und sah an sich hinab. Ein lockeres Wams bedeckte seinen Oberkörper und entblößte die Narben, die er eine Sekunde lang mit der Hand berührte.
      Nicht mal Rufus wusste um diese Narben. Geschweige denn einer der anderen. Selbst Vera, die ihn öfter nackt gesehen hatte, als jeder andere, wusste nichts davon, da er sie verbarg und versteckte. Doch Dany hatte er sie gezeigt. Ohne Zögern. Er fragte sich, was das bedeutete.

      Opharnim Rasiel war ein geduldiger Mann (mit Ausnahme des Schinkens).
      Als die Feierleichkeiten sein Ende fanden und die Menschen wieder an die Arbeit gingen, war es ein Segen für die Gemeinschaft. Doch das schnarchende Ungetüm im Schankraum war ein Problem. Also brauchte es eine Beschäftigung für den Jäger der Gemeinschaft und wenn er recht überlegte, war ihm die junge Frau ein Dorn im Auge. Nicht, dass es am Schinken lag. Ganz und gar nicht. Aber jeder tat etwas für die Gemeinschaft und es war Zeit, dieses sicher zu stellen.
      Schwermütig hatte er sich in die Treppen erneut hinauf geschleppt und seufzte, als er vor der Tür der beiden Frauen stand. Das lockige Haar hing ihm ins Gesicht und Nim versuchte einen Moment lang, Atem zu schöpfen. DIe Höflichkeit gebot es ihm, zumindest ein paar Sekunden zu warten und sich den Schweiß von der Stirn zu wischene, ehe er sich räusperte und klopfte.
      "Frau Dany?", fragte er lautstark und seufzte erneut. Natürlich kam keine sofortige Antwort. Und Nim war ein geduldiger Mann.
      Und wie es geduldige Männer so an sich hatten, klopfte er erneut und zog die Tür sodann auf, wobei er auf der Schwelle des Raumes stehen blieb.
      Natürlich aus reiner Höflichkeit.
      "Frau Dany?", fragte er erneut in den Raum und erblickte sie noch in ihrem Bett. Blitzartig wandte er sich ab und räusperte sich. Diesmal lautstark. "Ich entschuldige mich für mein plötzliches Eindringen, aber...Ich fürchte, wir könnten ihre Fähigkeiten brauchen. Vor einigen Wochen haben wir einen Handelszug losgeschickt und dieser ist nicht zurück gekommen. Die Angehörigen in der Gemeinschaft machen sich Sorgen und ich stelle einen Suchtrupp zusammen. Würdest du dich diesem anschließen? Wenn ja, wäre es gut, wenn du Prysk ausfindig machst. Ihr wart doch zusammen unterwegs. Ich trommle noch ein paar andere zusammen."

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    • Dany hatte ihn nicht gehört, was ganz zufälligerweise damit zusammenhängen könnte, dass sie eine laute, ätzende Stimme in ihrem Kopf hatte, die alles mögliche von sich geben mochte, ohne jemals dafür Luft holen zu müssen oder das Interesse zu verlieren. In diesem Stadium hätte sie wohl gar nichts mitbekommen, denn die Stimme war laut genug, um ihr Trommelfell zu platzen.
      Entsprechend erschraken sich beide, als Opharnim Dany noch im Bett antraf und Dany den Mann plötzlich in der Türschwelle des Raumes stehen sah. Sie fluchte und schob dann den Kopf ein wenig aus den Laken heraus.
      "Was gibt's?"
      Sie konnte ihn kaum verstehen, wie er da so stand und etwas brabbelte, kaum lauter als die Stimme, die in ihrem Kopf plärrte. Daran würde sie sich wieder gewöhnen müssen und das war nichts, was so einfach über Nacht geschehen konnte.
      Nachdem sie zweimal nachgefragt hatte und ihren pochenden Kopf dazu anspornte, das richtige erst auszublenden, begriff sie auch endlich, was er von ihr wollte. Sie sollte sich nützlich machen und irgendjemanden suchen gehen. Das war eine Aufgabe, die ihr durchaus vertraut genug war, um sich ihr auch ohne größere Bedenken anzunehmen.
      Trotzdem murrte sie und wünschte sich, er wäre gerade nicht zu ihr hereingekommen. Eigentlich wäre sie viel lieber für den Rest des Tages in ihrem Elend versunken.
      Es war aber schon damit zu rechnen, dass Opharnim nicht so leicht aufgeben würde, und so stöhnte sie irgendwann gereizt und kämpfte sich aus dem Bett hinaus.
      "Schon gut, ich - sei still - geh schon."
      Die Aussicht darauf, Prysk wieder zu begegnen, war alles andere als reizvoll.

      Sie hatte Mühe damit, die selbe Treppe herunterzukommen, die sie am gestrigen Tag schon gefallen war. Ihr Magen verursachte bei jeder Bewegung ein Gefühl, als würde er sich einmal um sich selbst drehen und sie musste sich ganz auf ihre Füße konzentrieren, denn wenn sie das nicht getan hätte, hätte sie keine Ahnung, ob sie auf eine Stufe oder ins Leere trat. Ihr Kopf hämmerte laut genug, dass sie das Gefühl hatte, dass jedes Wort des Dolches wie ein Hammerschlag auf sie einwirkte.
      Es wäre besser gewesen, im Bett zu bleiben und nie wieder aufzustehen. Dany scholt sich dafür, keinen größeren Widerstand geleistet zu haben.
      Sie fand ihn im Speisesaal.
      Prysk sah ungefähr so aus, wie sie sich fühlte: Die Haare zerrupft, dunkle Augenringe unter den Augen, die Kleidung saß ihm schief, so als hätte er sich über den Boden gewälzt. Auf seiner Brust prangte das Narbenmal, an das sie sich noch vom gestrigen Tag erinnern konnte.
      Erstaunlicherweise spürte sie bei seinem Anblick nichts als eine seltsame Mischung aus Neutralität und Verbundenheit. Verbundenheit? Verfluchtes, gottverlassenes Laudanum, sie hatte am gestrigen Abend nur ein bisschen mit ihm geplaudert, das war doch nichts, worüber sie gleich eine Freundschaft knüpfen mussten!! Grimmiger als sonst verzog sie die Miene.
      "Prysk."
      Sein Name kam auch viel zu falsch heraus, Hammerschlag auf weichem Holz. Sie wollte, dass er wieder wie reißendes Papier klang, damit er sich daran in den Finger schneiden könnte.
      "Opharnim sagt, wir sollen jemanden suchen gehen. Irgendeine Handels... gruppe."
      Der Dolch war laut. Er schrie sie in Gedanken zu und Dany konnte fast ihre eigene Stimme nicht hören.
      Irritiert und frustriert rieb sie sich über das linke Ohr.
      "Geh dir was anziehen, du siehst scheiße aus. Ich warte draußen oder so."
      Sie flüchtete, bevor er noch auf die Idee kommen könnte, in was-auch-immer-das-hier-sein-sollte eine Freundschaft hinein zu interpretieren.
    • Prysk hatte sich in dem Moment stöhnend erhoben, als Dany den Schankraum betrat.
      Mit dem ersten Blick bereits konnte der Jäger sehen, dass sie wieder auf ihrem alten Selbst, dem verwirrten, dem immer hörenden Selbst angelangt war. Ihre Augen wirkten müde und erschöpft und dem Gesicht nach zu urteilen, das sie in den Raum warf, war die Wirkung des Laudanums verflogen.
      "Dany", konterte er ihre Ansprache genauso barsch wie ihre. Nicht, dass es ihn wundern würde. Es war von vornherein klar, dass die glückseligen Abende nie von Dauer waren.
      "Nicht nötig", murmelte er und ging in großen Schritten durch den Raum. Ein altes Weinfass hatten sie mit Wasser gefüllt, um es vermutlich heute Nachmittag auszuschenken. Mit einem Schwung zog er das locker sitzende Wams über den Kopf und versenkte nur sekündlich danach sein Haupt in dem eiskalten Wasser.
      Wie tausend kleine Dornen riss es ihm beinahe die Haut vom Gesicht, ehe er sich erhob und die Haare waffengleich zum Trocknen ausschüttelte. Gekonnt wand er ein Lederband um den nassen Saum seiner Haare und knotete diesen im Nacken fest, während er sich eilig unter den Armen wusch. Alles andere sollte dem Bad noch zuträglich sein.
      Mit dem Wams über seinem Leib sah er zu Dany, die bereits entschwunden war. Natürlich.
      "Klar...warum auch freundlich sein?", murmelte er.
      Schweigsam griff er nach seinen Schwertern und gürtete sie. Ein Handelszug war fort. Das war nicht gut. Gar nicht gut. Und das nicht Gute war alles was zählte.

      Draußen hatte sich bereits eine kleine Ansammlung von Wesenheiten eingefunden.
      Darunter war Louise, die mit ihrem weißen Haar aus der Masse der Menschen herausstach. Die zierliche Gestalt der jungen Frau wirkte beinahe verloren in den dicken Pelzmänteln, die Opharnim allen der Gruppe gegeben hatte. Auch Dany. Es gehörte sich so. Der rundliche Anführer stützte sich auf seinen Stab und sah wachsam, falkengleich, in die Runde, die sich langsam im Innenhof vor dem Tore zusammenfand. Tjark war herunter gekommen und hielt den Fuchs auf der Schulter. Er selbst sah auch nicht gut aus. Beinahe so als hätte er die Nacht nicht viel Schlaf gefunden und irgendwie beneidete ihn Prysk. Wäre er doch nur bei der Feier geblieben. Er hätte wenigstens eine Nacht in den Armen einer Frau verbringen können. Und nicht auf der Bank der Schänke mit der Illusion von Freundlichkeit.
      "Schön, dass ihr euch zu uns gesellt", grinste Nim und Prysk grunzte.
      "Schön, am Arsch", knurrte der Jäger. "Was ist vorgefallen."
      "Nun, wie ich Frau Dany bereits erklärte, ist ein Handelszug, den wir vor ein paar Tagen nach Süden sandten, nicht zurück gekehrt."
      "Wessen Zug?"
      "Orecs", sagte Nim und mit einem Mal wurde Louise bleicher als der Schnee um sie herum. Die breite Narbe auf ihrem Gesicht wirkte beinahe feuerrot, ehe der Anführer sie zum Schweigen anhielt. "Orec zog mit drei unserer Freunde los, um Felle zu verkaufen. Sie nahmen den südlichen Passweg. Ich vermute einen Schneesturm, befürchte jedoch eher Banditen."
      "Als ob Orec nicht mit ein paar Banditen klar kommt", murmelte Prysk, während er leicht in Danys Rücken stand. "Eher hat er sie zerschlagen und Schutz gesucht."
      Louise wollte nicken und grinste Prysk dankbar an.
      "Wie dem auch sei. Wir sollten auf das Schlimmste gefasst sein", sagte Opharnim. "Daher wirst du Prysk, gemeinsam mit Arwen die Suche anführen. Ihr seid erfahren genug. Louise wird euch als Nachhut begleiten und falls ihr medizinische Hilfe braucht. Frau Dany hat sich bereit erklärt, die Suche zu unterstützen und ich denke, ihre Fähigkeiten dürften sich als nützlich erweisen."
      Louise nickte und hob folgsam die Hand.
      "Wir werden Proviant brauchen", sagte sie.
      "Dafür wird gesorgt", grinste Tjark. "Ich lasse gerade Packesel beladen und euch werden vier Pferde zugeteilt. Vor der Südpassage trefft ihr noch Urret. Er wird euch als Späher begleiten. Als Waldmutant hat er genügend Erfahrung in der Tundra."
      Prysk nickte und seufzte. Opharnim nahm es als Gelegenheit, um ihm auf die Schulter zu klopfen und lächelte.
      "Egal wie es ausgeht", sagte er. "Bringt sie heim. Auf oder neben ihrem Wagen."
      "Wie du es willst."

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    • Die Suchtruppe von Opharnim bestand aus Dany, Prysk, einer zierlich anmutenden Frau mit weißen Haaren und einer hässlichen Narbe, die sich freundlich bei Dany als Louise vorgestellt hatte (Dany hatte nicht ernsthaft vor, sich den Namen zu merken) und Arwen. Hinzugesellt hatte sich für den Moment Opharnim selbst, wie um sich von ihnen zu verabschieden, und Tjark, dem sowieso überhaupt nichts entging, was irgendwie in diesem Innenhof vonstatten ging.
      Dany gesellte sich zu ihnen und nahm schweigend die Mäntel entgegen, die in zeremonieller Weise an sie verteilt wurden, in ihrem Kopf eine dröhnende Kakofonie einer Stimme, die an diesem Tag besonders gelangweilt zu sein schien. Dany war höchst beschäftigt damit, Realität von Einbildung zu trennen und damit rein gar nicht in der Laune, irgendein Pläuschchen abzuhalten. Mit einem Ohr hörte sie Opharnim zu, mit dem anderen versuchte sie den Dolch auszublenden.
      Prysk kam auch irgendwann, die Haare feucht, eine ähnlich düstere Miene aufgesetzt wie sie, was sie ihm diesmal wohl nicht verübeln konnte. Jetzt waren sie gerade erst in die Festung eingekehrt, jetzt sollten sie schon wieder nach draußen gehen. Dany hatte keinerlei Lust darauf, die Begegnung mit den Astmutanten zu wiederholen.
      Ganz anscheinend handelte es sich bei diesem Orec aber um einen geliebten Freund, oder wenigstens geschätzten Bekannten, wenn man Louises Blick richtig deuten wollte, und das machte die Suchaktion wohl umso brisanter. Nicht, dass es Dany gekümmert hätte - von ihr aus hatte Orec eben Pech gehabt, wenn es ihn schon nach draußen trieb. Jeder für sich selbst, das hatte sie im vergangenen Jahr gelernt. Genauso wenig reizte es sie, mit dem Mutanten Urret zu reisen.
      Sie standen nicht lange beieinander, bevor auch der letzte zu ihnen traf. Arwen war gut sichtbar in dieselben dichten Pelze gehüllt, die sie alle trugen, die aber den Mann umso größer und voller schienen ließen. Er kam mit einem glücklichen, fast erheblichen Grinsen zu ihnen herüber geschlendert, auf seinem Rücken eine einschneidige Axt, deren Klingenblatt größer als sein Kopf war. Er schien sich zu freuen, dass ein Suchtrupp gestartet wurde, als wäre das das Highlight seines Tages.
      "Da seid ihr! Allemann bereit? Genügend Unterwäsche mitgenommen?"
      Er stellte sich bei ihnen auf, ein robuster, wenn auch faltiger Mann, der keine Spuren mehr vom gestrigen Abend an sich trug - nicht so wie Prysk und Dany. Er schien vor Energie zu glühen und dabei schien er älter zu sein als sie alle zusammengenommen.
      "Warten wir noch auf irgendwas, Nim?"
      Der Burgherr gab ihnen das Ok und verabschiedete sich, genauso wie Tjark. Sie bekamen den Packesel gestellt und außerdem die vier Pferde, ein unglaublicher Luxus, den Dany hier nicht erwartet hätte. Pferde in der Festung, das war schon die Höhe. Alle vier stiegen auf, der Packesel hintendran, und marschierten dann aus dem von Tjark geöffneten Tor hinaus. Es glich schon fast einem sentimentalen Abschied, als würde diese kleine Truppe in den Krieg ziehen.
      Dany war unheimlich erleichtert über die Pferde und ließ sich in ihrem Sattel zusammensacken bei dem Versuch, den Dolch zu unterdrücken, während Arwen sich lässig auf seinem Sattel zurücklehnte und die Spitze anstrebte, gleichzeitig auch seinen Platz neben Prysk einnahm.
      "Da ist man einmal wieder Zuhause und wird gleich wieder rausgescheucht. Was hat du verbrochen, dass Nim dich wieder weggeschickt hat? Ich glaube, ich war ihm ein bisschen zu faul gestern, der Mann hat einen zweiten Riecher dafür."
    • Der Suchtrupp sattelte auf und begann den mühsamen Weg in Richtung der Südpassage.
      Als sie das Tor der Festung Galadhor verließen, schien die Welt wieder in eine apokalyptische Rolle zu schlüpfen. Beinahe gleichzeitig mit dem Knall der Tore setzte ein beißender, eisig kalter Wind ein, der ihnen allen wie Peitschen ins Gesicht schlug.
      Rasch riss Louise eine Art Schal vor ihr Gesicht und schloss die Augen ob des hereinfallenden Schnees, der sie binnen Sekunden zu umhüllen schien. Die Pferde begannen zu wiehern und sich gegen den Wind zu stemmen, während sie die eisigen Anhöhen hinab stiegen. Kaum ein Laut war in dem Getöse vernehmbar, geschweige denn eine Spur lesbar.
      Arwen glitt beinahe losgelöst an Prysks Seite und der Jäger empfing dies mit einem Lächeln.
      Seine feuchten Haare hatten sich in der Luft beinahe sofort ausgetrocknet und drohten bald, an seinem Hals zu kleben. Was er nicht spürte. So wie er nie etwas in Eiseskälte spürte. Lediglich die leichte Blaufärbung seiner Fingerspitzen zeugte von der Kälte, die ihn umfing.
      "Sieh es einfach so: Wir sind die einzigen, die genug Erfahrung mitbringen, um durch einen Schneesturm zu reisen und einen gescheiterten Händler zu bergen", rief Prysk und grinste breit. "Und was ich verbrochen habe, weiß ich nicht. Vielleicht habe ich seinen Schinken zu lange angestarrt oder ihm war das Feiern gestern Abend zu viel. Ich habe keine verfluchte Ahnung...Und mach dir keine Sorgen. Bei mir merkt er auch immer wenn ich eine Pause mache. Nur ihn selbst sieht man meist nie arbeiten."
      Lachend sah sich Prysk nach einer kurzen Reisedauer um.
      Die beiden Anderen ritten nah hinter ihnen und zumindest Louise wirkte im Schneesturm nicht wirklich erfreut. Der sichtbare Teil ihres Gesichts war feuerrot und die Augen wirkten mehr wie ein geschlossener Lidstrich.
      "Dreh deinen Kopf nicht gegen den Wind!", rief Prysk über seine Schulter. "Schau in Richtung des Windes, sonst frieren dir die Lider zu!"
      Nicht, dass ihm das nicht schon passiert wäre. Natürlich nicht.
      Sie waren eine ganze Zeit lang den steilen Abhang hinunter geritten, jedoch ohne wirklich Boden gut zu machen. Auf diese Weise würden sie einige Zeit brauchen. Prysk war nicht wirklich erfreut über den langsamen Fortschritt, aber besser war ein langsames Fortkommen als gar keines.
      "Alles in Ordnung da hinten?", rief er in Danys Richtung.
      Warum machte er sich eigentlich Sorgen?!

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    • Arwen grinste das Grinsen zurück, das Prysk ihm zukommen ließ, breit und lässig und sorglos. Der Jäger musste mit seinen breiten Schultern gegen den meisten Windwiderstand ankommen, aber gleichzeitig saß er so selbstverständlich in seinem Sattel, als würde selbst ein Orkan es nicht schaffen, ihn umzunieten. Sein Körper war gänzlich entspannt, nur sein Mantel war gegen die Kälte geschlossen und immerhin hatte er sich Handschuhe angezogen.
      "Die einzigen! Was würde Galadhor nur ohne uns machen? Ohne dich würde es jedenfalls beim nächsten großen Sturm einstürzen, hah!"
      Beide Männer amüsierten sich, als wäre ein Ausflug wie dieser ein Urlaub, dem sie sich endlich widmen würden und als würde um sie herum kein Sturm toben, der ihre Pferde zum Schlottern brachte. Sie schienen abgehärtet, nicht nur gegen die Ungewissheit einer ungesicherten Wanderschaft im Freien, sondern auch gegen sämtliche Gefahren, die damit einherging. Ein Schneesturm? Nichts, was sie von einem lockeren Plausch abhalten würde. Vermutlich hätte um sie herum die Welt untergehen können und sie hätten sich trotzdem darüber unterhalten, ob bei ihrer Rückkehr auch genug Met auf sie warten würde.
      Louise war dem gegenüber ein deutlicher Kontrast, so wie sie sich auf ihrem Sattel zusammenkauerte und sich vor dem Wind zu verstecken versuchte. Mit den hellen Haaren der jungen Frau hätte sie sich in dieser Gegend wohl gut tarnen können, wenn da nicht das stechende Rot gewesen wäre, das ihr ganzes Gesicht aufwies, wie ein Leuchtfeuer, das versuchte, sie aufzufliegen zu lassen.
      Und im Gegensatz dazu stand wieder Dany, denn obwohl auch sie sich verbissen gegen die Kälte einzugraben versuchte, war sie aufmerksam und gegenwärtig, denn sie hörte. Der Wind war laut und das Tosen stürmte in ihren Ohren und blendete alles andere aus, alle anderen Stimmen, die dort zu hören gewesen wären. Alles, was ihre Ohren wahrnehmen konnten, waren die Geräusche der Natur und des Lebens und der Realität. Das war real, das war nichts, was sie sich einbildete. Das war kein Dolch oder sonst etwas, was nur Dany zuteil wurde.
      Sie genoss es. Sie entspannte sich, auch wenn sie sich wegen der Kälte doch kleinzumachen versuchte. Das hier wäre fast vergleichbar mit Laudanum gewesen, wenn da nicht die Taubheit in ihrem Körper und das ständige Bedürfnis in seinem Inneren gewesen wäre.
      Prysks Stimme hätte sie fast überhört. Da drehte er sich auch zu ihr um und sie überlegte, welche Gemeinheit sie ihm an den Kopf werfen sollte. Aber ehrlicherweise war der Sturm laut genug, dass er es vermutlich sowieso nicht richtig hören würde und wiederholen wollte sie sich auch nicht. Also rief sie nur ein "Alles bestens" zurück und zeigte ihm einen Daumen nach oben. Das war schon Freundlichkeit genug.
      Die nächsten Stunden verbrachten sie mit einem Abstieg, der auf dem Hinweg deutlich besser vonstatten gegangen war, jetzt aber auch deutlich mehr Schnee barg. Die Pferde schlitterten an engen Kurven und konnten in dem Sturm nicht sehr viel schneller voranschreiten als Schrittgeschwindigkeit. Irgendwann waren sie auch so lange draußen, dass selbst Dany, die anfangs noch den Lärm genossen hatte, aufgrund der Kälte auch nicht mehr sonderliche Lust darauf hatte, draußen zu sein. Selbst Arwens Stimmung hatte sich wieder gezügelt, wenngleich man es wenn überhaupt daran erkennen konnte, dass er nicht mehr lächelte. Ansonsten war er immer noch so lässig wie schon zu ihrem Aufbruch.
      "Wir sollten die Nacht irgendwo überdauern! Urret kann auch morgen noch zu uns stoßen, oder etwa nicht?"
      Er sah zu Prysk, aber weniger für eine Bestätigung, sondern mehr, um die Meinung des zweiten Anführers zu dieser Lage einzuholen. Immerhin hatte Opharnim die Reise ihrer beider Führung unterstellt und Arwen schien das äußerst ernst zu nehmen.
      Nachdem aber vor allem die beiden Frauen sowieso schon in ihren Sätteln festgefroren schienen, stand einem übereilten Unterschlupf nichts im Weg. Sie wichen damit vom eigentlichen Weg ab auf der Suche nach einer Einbuchtung im Berg, die sie zum Schutz gegen den Sturm verwenden könnten.
    • I've come this far, having chased only after your back
      It's something only I, who sought you, can do
      Those words you gave me that day, even now,
      Definitely reach my heart


      Für einen Moment lang war es wunderschön.
      Das Reisen in Eis und Schneestürmen war durchaus nichts einfaches oder gar erholsames, so viel sei angemerkt. Und sicherlich, betrachtete man die Umgebung, durch die sie ritten - steile Pfade mit kaum Vegetation um sie herum - erschien einem die Weite des Weiß unendlich. Und inmitten all des stöberischen Chaos', das um sie herum wehte und ihnen wie Peitschenhiebe ins Gesicht schlug, war doch eine Schönheit verborgen, die Prysk für einen Moment bewundern musste, obschon alle anderen zu frieren schienen. Da war der Fall der Sonne, das Glitzern auf dem Schnee und die kleinen Schneewehen, die der Wind aufhob und durch die Luft wirbelte. Das alles wirkte wie gottgemacht und genau recht an diesem Fleck.
      Arwens Stimme war ihm kaum geläufig, nicht mehr als ein Summen über das Schreien des Orkans, der um sie herum tobte. Und nur anhand der Haare, die ihm sturmesgleich ins Gesicht wehten, war er gezwungen seine Aufmerksamkeit dem Jäger zuzuwenden.
      Eine kleine Ewigkeit lang sah er Arwen an und nickte schließlich. Er hätte gerne mehr Boden gut gemacht und sie waren nur ein paar Stunden vom Treffpunkt entfernt, aber der Sturm wurde dichter und gleichsam kälter.
      "Du hast Recht", rief er über das Getöse hinweg und wies auf eine schmale Kuhle, die sich kurz vor dem Wald erhob.
      "Dort können wir rasten!"
      Gemeinsam trieben sie ihre Pferde vorsichtig durch den dichten Schnee und hinein in den kleinen Ausläufer von Grün, das sich unter dem Weiß erahnen ließ. Baumwurzeln sowie Kronen waren nur zu erahnen und wogen sich in den Winden, als Prysk von seinem Pferd absprang und sich in einer Art eisigen Umarmung des Schnees wiederfand. Mit einem Mal schien ihm beinahe selbst zu frösteln, als er sich daran machte, einen der Packesel zu entladen. Dort befanden sich zumindest eine Art behelfsmäßige Bettstatt, die sie gegen den Wind stemmen konnten.
      "Helft mir, eine Barrikade zu errichten!", rief er den anderen zu. "Und wir brauchen Feuerholz, das nicht klatschnass ist!"
      Nur Feuer würde sie am Leben halten. Zumindest anfangs. Und so leid es ihm tat, sie würden sich zumindest räumlich aneinander bringen müssen.
      "Louise!", rief Prysk der jungen Frau zu. "Schnapp die alles Feuerholz was du von den mittelhohen Ästen der Bäume holen kannst. Kräftige, aber schmale Äste und bring sie her. Arwen kann besser Feuer machen als ich. Dany, hilf mir!"
      Schon wieder. Er nannte sie Dany. SIe war Scheißhaus! Immer noch und immer wieder!
      Schwerfällig stapfte er zu dem zweiten Packesel und machte sich an den Gurten zu schaffen, die das Tier einschnürten. Wiehernd stemmten sich die Tiere gegen die Kälte und schienen gegen die Winde gewappnet zu sein.
      "Wir stellen die Bettstätte gegen den Wind", rief er ihr zu und zog eine der schlafsackartigen Gebilde aus dem Sattelbeutel heraus. Sie waren gefüllt mit Stroh und Wolle und gaben so zumindest ein wenig Wärme. Das weiße Leinen würden ihnen noch zum Nachteil gereichen, aber zumindest würde es sich nur schwerfällig vollsaugen. "Als würden wir eine Schale formen. Davor machen wir ein Feuer und drücken uns aneinander, damit wir warm bleiben!"

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    • Stehenzubleiben war fast noch schlimmer als weiterzureiten, denn jetzt fehlte die zusätzliche Bewegung, um sich wenigstens ein bisschen warm zu halten oder sich zumindest abzulenken. Kaum waren sie abgestiegen, konnten sie erst spüren, wie eisig der Wind wirklich war.
      Prysk machte sich gleich mit vorbildlichem Eifer daran, ihnen eine Lagerstätte aufzubauen, ein Elan, den so nur Arwen kopierte, der von seinem Tier absprang und sich gleich daran machte, die Tiere dingfest zu machen. Beide Frauen standen daneben und zitterten eher vor Kälte, aber von den beiden setzte sich auch nur eine sofort in Bewegung, als Prysk zu ihnen rief. Die andere blieb stehen und starrte.
      Dany fühlte sich elend. Ihr Körper war erschöpft vom augenscheinlichen Nichtstun, ihr Kopf hämmerte mit einer Intensität, die sie nicht gewohnt war, und die Kälte zog direkt durch ihre Haut in ihre Knochen ein. Sie fühlte sich wie an Ort und Stelle erfroren, konnte sich gar nicht rühren, auch wenn sie es gewollt hätte. Sie starrte einfach nur sehr lange, bis sie begriff, dass Prysk sie ganz direkt angesehen hatte.
      Ganz von alleine setzte sich da erst ihr Körper in Bewegung, ohne überhaupt darüber nachgedacht zu haben. Ihr Körper folgte von selbst, stemmte sich gegen den Widerstand der Natur und ihres Entzugs an und brachte sie zu Prysk, wo sie die behandschuhten Hände aus den Taschen zog, um die Schlafstätten so aufzubauen, wie er es anwies. Der Sinn dahinter konnte sich ihr nicht ganz erschließen, das hätte aber auch ihre momentane geistige Denkkapazität überschritten. Blind vertraute sie seiner Führung, sehr viel mehr blieb ihr sowieso nicht.
      Die dürftige Feuerstelle wurde errichtet, Louise kam mit Ästen wieder und Arwen kniete sich gleich hin, um gegen den widerspenstigen Wind das Feuer zu entfachen, während Prysk dafür sorgte, dass sie etwas Windschutz bekamen. Alles funktionierte im Einklang miteinander, die drei ein vollkommen eingespieltes Team, während Dany unbeholfen daneben stand und sich am Leben zu erhalten versuchte. War das mit jedem auf der Burg so? Waren sie alle auf diese merkwürdige, selbstverständliche Art miteinander verwachsen? Sie hätte davon kotzen können, gab aber keinen bissigen Kommentar von sich, weil der Aufwand ihr nicht gerecht schien.
      Das Feuer war nicht unbedingt groß, aber die Tatsache, dass es überhaupt flackerte und hoch genug wuchs, um sich im Wind zu neigen, sprach stark für Prysks Erwähnung, dass Arwen besser damit war, ein Feuer zu entfachen. Es war ein nicht geringer Lichtblick bei diesem sonst düsteren Wetter.
      Der große Jäger ließ sich gleich neben der spärlichen Wärme auf den Boden fallen und kramte nach ihrem Proviant, während er die anderen zu sich winkte.
      "Kommt her, einer kann zu mir unter den Mantel, wenn ich ihn weit genug aufspanne."
      Dany schaltete zu spät, da hatte Louise sich schon wie selbstverständlich in Bewegung gesetzt - Louise, Teil dieses eingespielten Teams, ein weiteres Rädchen in ihrem Laufwerk - und nutzte dieses Angebot aus. Hemmungslos kuschelte sie sich an Arwens Seite, der ihr gleich etwas von ihrem Proviant gab und einen Arm um sie legte. Im Gegenzug drückte Louise sich gegen seinen Körper, tauschte die Wärme aus, die sie durch seinen zusätzlichen Schutz anstauen konnte.
      Missmutig starrte Dany auf die beiden hinab, als ihr zu spät klar wurde, dass sie das gleiche mit Prysk durchziehen müssen würde. Ihr genauso missmutiger Blick wanderte zu besagtem Mann hinüber, um ihren wortlosen Unmut darüber auszudrücken.
    • "Valdurs Arsch, ist das kalt!", schrie Prysk über die beißenden Winde hinweg und schüttelte den schneebedeckten Kopf, ehe er sich hinter der behelfsmäßigen Barrikade niederließ.
      Einen Reisemantel trug der Jäger grundsätzlich nicht, aber wenn er ehrlich war, glitt die Kälte auch durch seinen verteufelten Leib. Peitschend rissen die Winde an den Pferden, die sich wiehernd in Richtung des Feuers treiben ließen. Prysk sah zu Arwen und nickte Louise zu, die keine Sekunde zu zögern schien. Beinahe väterlich nahm der alte Jäger sie auf und sie kuschelte sich eng an ihn, die kleine Flamme im Blick. Der eisige Wind ließ sie funkeln und zittern, aber löschte sie nicht. Das war ein Gewinn, betrachtete man die Gewalt des Sturmes.
      Prysk riss nochmals an der Barrikade und sah anschließend zu Dany, die ihn wieder mit ihrem alten Gesichtsausdruck ansah. Wie schön erfrischend war diese eine Nacht gewesen, wo sie mal nicht gegen ihn geschossen hatte. Aber wie so vieles, das nett und angenehm war, verging es nur allzu schnell.
      Kopfschüttelnd ließ er sie neben sich setzen und reichte ihr einen warmen Reiseumhang, den er nicht benötigte. Es brauchte keine Worte, um zu merken, dass sie lieber ein eigenes Bein abgekaut hätte, als näher als notwendig an seinen Leib heran zu rutschen. Sicherlich saßen sie noch immer dicht gedrängt, sodass ihre Leiber sich berührten, aber sie mussten nicht derart nahe sein wie die beiden da drüben.
      "Versucht etwas zu ruhen", rief Prysk über das Getöse hinweg. "ich halte die erste Wache!"
      Wortlos griff der Jäger nach einer Feldflasche und einem Beutel voller Trockenfleisch und hartem Brot, das er an Dany weitergab.
      "Iss. Iss genug, du wirst die Energie brauchen!", rief er nickend und sah zu der Flamme, die scih an dem feuchten Holz nährte. Allzu lang würde das nicht aushalten, aber vielleicht genug...


      4 Stunden später.

      4 verteufelte Stunden.
      Prysks Beine fühlten sich an wie der letzte Zauselhintern eines verkommenen Esels, wenn man bedachte, dass seine Muskeln tiefgefroren erschienen. Eine Weile hatten sie beisammen gesessen und nichts gesagt. Wie auch. Wie konnte man über das Getöse, das sie umfangen hatte wie die eisigen Arme der verfluchten Eisgöttin, hinaus sprechen? Also waren sie in Schweigen verfallen und hatten das Ungetüm von Sturm abgewartet.
      Die Nacht brach herein und hinterließ den dunklen Schleier der Gewissheit, dass dieser Sturm nicht der letzte war. Jetzt roch die Luft nach frischem Schnee und salzigem Fleisch, das Prysk noch auf den Lippen kaute, während die anderen noch ruhten. Als der Schneefall aufgehört hatte, zu tosen und nunmehr einem sanftem Prasseln glich, das sich samtig auf die Welt legte, öffnete er die verschneiten Augen und warf noch einen Stock in das klein gewordene Feuer. Es musste weiter brennen, damit sie nicht erfroren auf dem Pass. Ruhig seufzte er und wollte sich erheben, ehe seine Knochen bedrohlich zu krachen begannen. Die Kälte hatte ihn regelrecht eingefroren und obwohl er keine Schmerzen spürte, musste er Höllenqualen leiden.
      "Gottverfluchte Eselspisse!", zischte er und bewegte langsam die Zehen. "Arwen!"
      Keine Reaktion. Natürlich. Schlafen wie ein Stein während die Welt untergeht. Warum nicht?!
      "Valdurs Eier, Arwen!", zischte er und warf einen Stein zu dem Jäger. "Das Feuer, gottverdammt!"

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    • Jeder Ort der Welt wäre Dany in diesem Moment lieber gewesen, als Prysks Nachbarplatz. Wortwörtlich jeder andere Ort. Sie wäre freiwillig in den Nebel hineinspaziert, wenn das bedeutete, dass sie hier wegkam.
      Aber die Wahrheit war, dass sie hier nicht wegkam und dass sie auch noch eine ganze Nacht in diesem Sturm vor sich hatte, der nicht weniger zu werden drohte. Ihre Möglichkeiten bestanden also darin, sich entweder zu Prysk zu setzen oder zu erfrieren.
      Naja gut, vielleicht war sie ja doch nicht so bereit, an jedem anderen Ort zu sein, denn schließlich setzte sie sich doch griesgrämig zu ihm. Es musste seiner Güte zugeschrieben werden, dass er ihr trotz Blitzen in den Augen einen Mantel reichte und das Brot zu ihr rüber reichte. Wortlos nahm sie beides entgegen, hüllte sich in den Mantel und aß schweigend. Es war das größte Kompliment, das sie ihm geben konnte, dass sie ihn nicht für die Situation anzickte.
      Auf der anderen Seite des Feuers fand Arwen bald einen geeigneten Platz, um seinen massigen Körper hinzulegen, wobei er die kleinere Louise einfach mit sich zog. Es wirkte nicht, als könnte den wuchtigen Schultern etwas anhaben, erst recht nicht irgendein Wind. Er prallte einfach ab an ihm und musste sich einen anderen Weg um den Mann suchen.
      Dany sah wieder zu Prysk und entschied sich dann dafür, den offensichtlichsten Ausweg dieser Situation zu suchen und sich einfach schlafen zu legen. Dabei war legen wohl kaum eine Option bei dem ganzen Schnee, dann also eher schlafen sitzen. Ja, schlafen sitzen. Dany sah finster drein, schloss den Umhang so fest um sich wie nur möglich und schloss dann die Augen.
      Sie mochte irgendwann, entgegen sämtlicher Annahmen, tatsächlich eingeschlafen sein - oder momentär gestorben, denn wirklich, das war bei der Kälte auch realistisch - aber als sie aufwachte, war ihre rechte Seite zumindest angenehm warm. Ihre Lider waren noch geschlossen, als sie sich mehr daran schmiegte, um die Wärme zu suchen. Sie war wieder eingeschlafen, bevor sie begreifen konnte, dass es Prysk war, an den sie sich hier kuschelte.
      Arwen schlief dafür wie ein Stein, bis der eingefrorene Prysk ihm einen tatsächlichen an die Schulter warf. Da zuckte er hoch und blinzelte gegen den Schnee.
      “Huh? Ah.”
      Im Halbschlaf richtete er sich auf und zog Louise mit sich, die unwillige Geräusche machte. Umständlich wandte er sich der Betreibung des Feuers zu, bevor sein Blick auf die schlafende Dany fiel, die sich an Prysks Leib schmiegte. Ein Grinsen breitete sich auf seinem Gesicht aus.
      “Oh? Ich habe dich gar nicht für den kuscheligen Typ gehalten. Normalerweise sind deine Frauen doch schneller wieder weg, als man Prysk sagen kann.”
    • Der Jäger glich einem schneebedeckten Monument, das sich beinahe schützend um Danys Leib gelegt hatte.
      Kuscheln war eine Sache, wie er fand, aber Prysk empfand sich mehr als Fels, der sitzend einen Sturm aufgehalten hatte, damit diese Pestbeule von Frau wenigstens ein paar Stunden Schlaf finden konnte. Ja, das war es. Das war kein Kuscheln, das war Notwendigkeit!
      Louise grummelte und richtete sich augenreibend auf, ehe sie sich umsah. Es war viel zu hell durch den Neuschnee. Aber zumindest hatte der Sturm aufgehört.
      "Guten Morgen", murmelte sie und schlang den Umhang, der noch Arwens Restwärme in sich trug, enger um die Schultern.
      Auch sie sah nicht minder überrascht zu Prysk herüber und die schlafende Dany. Ein jeder Mensch wurde scheinbar sanft, wenn er dem Schlafe anheim fiel. Selbst ein so mürrischer Mensch wie diese Frau offenbar. Schweigsam grinste sie und sah Arwen dabei zu, wie er das Feuer wieder anschürte.
      "Die Frauen, die ich zu mir zu holen pflege, sind auch nicht so wie diese hier", sagte er knurrend und schob Danys leib von seinem Schoß herab.
      Darauf achtend, dass sie nicht im blanken Schnee lag, schob er eilig eine Pferdedecke unter ihren Leib und Kopf. Sie mochte muffig riechen, aber es würde wohl reichen. Mit krachenden Knochen erhob sich der Jäger und unterdrückte einen erstaunten Aufschrei, als er sich endlich aufrichten konnte. Sanft fiel der Schnee von seinen Haaren und Prysk sah sich um.
      "Manchmal hätte ich gerne deinen Körper", sagte Louise und erhob sich ebenfalls, ehe sie den Rest des Proviants aus einem Umhängebeutel herausfischte.
      Sie mochte Dörrfleisch nicht gerne, aber es half gegen die Kälte. Und Bagnors Selbstgebrannter erst recht, den sie in einer Feldflasche fand.
      "Hättest du nicht, glaub mir", bemerkte der Jäger grinsend.
      Der Blick auf die Umgebung war nicht halb so befriedend wie gehofft. Sicherlich, das Land lag in einen weißen Teppich gehüllt da. Noch immer zog ein frischer, beinahe kalter Wind über den Talabstieg, aber er war wesentlich weniger beißend als vorher. Regelrecht aushaltbar. DIe Pferde hatten sich in den nahegelegenen Wald zurückgezogen und grasten friedlich an einigen wenigen Büscheln der Winterbeere, die hier wuchs. Die Wege und Pfade, die vormals eingetreten waren, waren nunmehr unter einer dichten Decke Neuschnee verschwunden. Sie würden raten müssen, welchen Weg der Abstieg war.
      Seufzend stemmte Prysk die Hände in die Hüften.
      "Und?"; fragte Louise und reichte ihm die Feldflasche.
      Der Schnaps brannte in seiner Kehle, während er noch einen Blick auf die weiße EInöde warf. Trotz der Hoffnungslosigkeit, die einen überkommen mochte, sah der Jäger mit einem Lächeln den Pfad hinauf und hinab. Dies hier war sein Zuhause und das erste Mal seit langem fragte er sich, warum er es stetig verließ. Vielleicht war es wirklich an der Zeit, das alles hier zu vergessen und sich nieder zu lassen. Sie hätte das auch gewollt, nicht wahr?!
      "Es ist noch ein halber Tagesritt", sagte er grinsend und reichte die Flasche Arwen, als er zum Feuer schritt. "Wir müssen vorsichtig sein, aber wir sollten Urret hinter dem ersten Waldstück erreichen. Die Lichtung ist direkt am Waldesrand."
      Sorgsam biss er ein Stück Dörrfleisch ab, während er zu Dany ging und sie sacht an der Schulter rüttelte.
      "Aufstehen, Scheißhaus", grinste er. "Genug geschlafen, wir müssen weiter. Iss und trink was und dann auf die Pferde."

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    • Dany erwachte in der Kälte, aber merkwürdigerweise hatte sie gut geschlafen, erholend sogar. Dabei war der Boden unter ihr ganz kalt und ihr Körper längst nicht mehr aufgewärmt, wobei sie sich sicher gewesen war, sich an etwas warmes gedrückt zu haben. Die Decke unter ihr stank und war ganz sicher nicht warm, auch mit nahem Lagerfeuer.
      Als sie sich aufsetzte und Prysks hässlicher Visage begegnete, erkannte sie dann endlich, was wirklich so merkwürdig war: Die Kopfschmerzen hatten nachgelassen. Das Kribbeln in ihren tauben Gliedmaßen war in den Hintergrund gerückt und sie verspürte so etwas wie richtigen, ehrlichen Hunger, nicht der Drang nach Merch und dazwischen das Bedürfnis, jetzt schnell zu essen, bevor sie noch am Hungerstod starb. Das hier war wirklicher Hunger und es war auch wirkliche Kälte, die sie umschlungen hatte und wirkliche Beschwerden, die sie verspürte.
      Die Nebenerscheinungen des Entzugs zogen sich langsam zurück. Noch immer hätte sie sich nichts besseres vorstellen können, als jetzt noch ein bisschen zu stopfen, aber es war erträglicher. Sie hielt es auch ohne Merch aus, glaubte sie. Ja, ein paar Stunden würde sie noch schaffen, ohne ihre Droge zu wollen.
      Prysk starrte sie damit einige Sekunden länger als normal an, während sie sich daran zu erinnern versuchte, weshalb sie eigentlich immer so sauer auf ihn war. Die Konflikte während ihrer ersten Bekanntschaft schienen in den Hintergrund gerückt. Wen interessierte es auch, dass Cheynia dem Erdboden gleich gemacht worden war? Es war ja nicht so, dass sie freiwillig hingegangen wäre oder gerne geblieben wäre. Eigentlich war es doch auch recht unvermeidbar gewesen, dass das Kaff nicht mehr lange standhalten würde.
      Komisch war es trotzdem. Es fühlte sich an, als würde sie langsam aus einem Traum erwachen.
      Danke.”
      Sie hatte sich vermutlich noch nie bei Prysk bedankt, aber jetzt wollte sie es. Sie nahm den ihr angebotenen Proviant entgegen und verschlang ihn gierig.
      Als sie gemeinsam weiterritten, windete es noch ein bisschen, aber es war kein Weltuntergang mehr wie noch am Vorabend. Arwen hatte Dany manchmal mit einem Grinsen angesehen, das sie nicht so ganz verstehen oder gar zuordnen konnte, aber als sie weiterzogen, achtete er schließlich nur noch auf ihre Umgebung. Dany bildete wieder das Schlusslicht, war aber keineswegs enttäuscht darüber.
      Sie lauschte. Sie hörte wieder dem Wind zu, bemerkte das Knarzen des Schnees, wenn die breiten Pferdehufe ihn nieder drückten und konnte das Rascheln von fernem Schnee hören, wenn er von den beladenen Ästen auf den Boden fiel. Sie hörte und ließ die Naturgeräusche auf sie einrieseln. Es war beruhigend.
      Naaa, gut geschlafen?
      Darauf ging sie gar nicht erst ein.
      Das Weiterkommen war jetzt spürbar einfacher und wie von Prysk prophezeit, kam nach einigen Stunden erst ein Wald in Sicht und dann auch noch die Lichtung, von der gesprochen worden war. Arwen hielt mit einer Sorglosigkeit darauf zu, als wären sie in einem bewachten, abgegrenzten Gebiet und nicht mitten im Nirgendwo, wo sie jederzeit Mutanten oder Räuberbanden erwarten konnte.
      “Urret! Urrrrrret! Schwing deinen Hintern, Arbeit wartet!”
    • Das "Danke" beschäftigte Prysk noch lange.
      Nicht, dass er es unbedingt drauf angelegt hätte, sich damit zu beschäftigen, aber Dany hatte sich noch nie bei ihm bedankt. Er meinte natürlich Scheißhaus. Scheißhaus hatte das nie getan! Und hätte sie auch nicht! Das war in etwa so wie in der vorherigen Nacht, als sie dieses Betäubungsmittel genommen hatte. Und das eröffnete wieder einen Pfad von Erinnerungen, die er ein wenig an die Seite gedrängt hatte. Hatte er ihr wirklich von all diesem erzählt?!
      Als die winterliche Kälte den Wald offenbarte, lächelte Prysk schwach. Es war der Wald, in dem sie einst mit den Kindern der Siedlung Jagd gespielt hatten. Die Kleinen hatten sehr viel Spaß gehabt und irgendwie lag noch immer das Kinderlachen auf dieser Lichtung, die sie nach einigen weiteren Stunden erreichten. Weitere Stunden meditativer Stille nur mit dem Klang der Natur. Hier und da ein Gespräch mit Arwen oder Louise jedoch war es das bereits. Warum auch mehr, wenn man all das hier hatte? All diesen Frieden, der die Entscheidung des Jägers mehr und mehr bestärkte, hier nicht wieder fortzugehen. Warum eine brennende Welt sehen, wenn er hier allen Frieden finden konnte, den er brauchte?

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      Die Lichtung des Waldes offenbarte sich nach wenigen Minuten. Die Bäume, durch deren Wurzelpfade sie ritten, standen dicht an dicht und bildeten ein wärmendes Dach für eine bitterkalte Reise. Arwen preschte just in dem Moment vor, als sie die Lichtung erreichten und selbst Prysk wirkte erleichtert. Ein kleiner Bach plätscherte trotz Kälte durch die eisige Landschaft und die Öffnung des Waldes ließ das Sonnenlicht ein.
      Es brauchte nicht allzu lange, ehe sich im Unterholz etwas regte, nachdem Arwen mit einer Urgewalt nach Urret gerufen hatte.
      Sanft und behände landete ein Körper hinter Dany im Schnee und richtete sich auf. Der Mann war noch recht jung, jedoch undefnierbaren Alters. Seine braunen Iren waren viel zu groß für die Augen und füllten sie fast ganz aus. Statt einer Nase besaß er die Eigenschaften eines Hasen. Eine schwarze Stupsnase, die merkwürdig zuckte und hochgewachsene Löffel, die statt Ohren aus seinem Kopf wuchsen. Das braune Haar fiel ihm lang über die Schultern und er trug eine Art Lederkluft.
      "Würdest du bitte aufhören, so zu schreien, du alter Narr?!", zischte er und schüttelte den Kopf.
      "Ihr seid spät."
      "Schneesturm", sagte Prysk grinsend. "Wurden aufgehalten."
      "Kann ich mir vorstellen. Seht gut aus für einen Sturm."
      Urret sah zum Waldesrand vor ihnen hin und seufzte.
      "Ich habe das Gebiet schon ein wenig ausgekundschaftet. Orecs Karren liegt etwa drei Meilen von hier am Wegesrand. Es sind derzeit keine Räuberbanden oder irgendwas in der Nähe. Dennoch solltet ihr euch das nochmals ansehen."
      Prysk nickte ihm zu.
      "Dann auf. Schwing dich auf einen Gaul und wir reiten."
      "Ah, mit Verlaub. Ich mag die Viecher nicht. Ich reise über die Bäume. Reitet und ich halte mit."

      Spoiler anzeigen
      Orecs Karren.jpg

      Orecs Karren liegt auf die Seite gekippt am Wegesrand. Es gibt keine Zerstörungen. Nur die Waren erscheinen verschwunden. Das Pferd ist tot, getötet durch eine Art Artefakt.

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    • Jetzt, wo der Sturm endlich abgeflaut war und allerhöchstens noch ein paar dicke Schneeflocken fielen, offenbarte sich ihnen eine regelrechte Traumlandschaft. Bäume, dicht gedrängt aneinander und mit einem weißen Schneebezug bedeckt, säumten die Lichtung, wo sie sich jetzt zu viert versammelten, um auf Urret zu warten. Das Dickicht war unter der Schneemasse fast gänzlich regungslos, der leichte Wind stob allerhöchstens ein bisschen lockeren Pulverschnee durch die Luft. Bis auf das Knarzen der Pferdehufe auf dem verschneiten Waldboden hätte es totenstill sein können.
      Wäre dort nicht der stämmige Arwen gewesen, der diese Ruhe als Einladung sah, aus vollster Kehle zu brüllen. Dany verzog das Gesicht; bisher war sie ihm eher neutral begegnet, jetzt grenzte er dazu, ihr bald auf die Nerven zu gehen. Ganz unabhängig ihres Entzugs.
      Kurz darauf raschelte und knarzte es aber schon und der Gerufene schälte sich wie eine Einheit aus dem Unterholz hervor. Er schien mehr Waldbewohner als Mensch, was durchaus auch erklären würde, wie er sich so sehr in seine Umgebung eingefügt hatte. Im Gegensatz zu dem Rest der Truppe schien er auch keinerlei Probleme mit dem Schnee und dem Wind zu haben.
      Gemeinsam zogen sie weiter, oder eher, die Truppe ritt weiter und Urret verschwand wieder hinter den Blätter, von wo man Äste knacken und rascheln hören konnte, während er sich wohl ganz eindeutig in die Baumkronen empor schwang. Dany sah ihm nach, hätte sich aber nicht weiter für ihn interessieren können. Sie wusste ja bereits von der Festung, wie merkwürdig die Bewohner sein konnten.
      Erst am Unfallort erhob sich ihre Aufmerksamkeit, denn was sich ihnen da bot, war alles andere als ein gewöhnlicher Raubüberfall, das konnte man bereits aus der Entfernung erkennen. Der Wagen lag auf der Seite, zum Fallen gebracht durch einen durchdrehenden Gaul oder womöglich durch eine andere Art von Einwirkung, von dem Inhalt keine Spur mehr. Keine Pfeile schmückten die Holzverkleidung und keine Rußspuren zeugten von irgendeinem Feuerangriff. Es gab keine auffälligen Spuren im Schnee und nicht mehr Blut als das der Tierleiche. Das Pferd lag auf der Seite, angepickt von Krähen und Ratten, die jetzt aber nicht zu sehen waren. Das Fell war schon grau und stumpf, der Magen leicht aufgebläht. Auch ohne den sicher fürchterlichen Geruch konnte man schon darauf schließen, dass es eine Weile schon hier lag.
      Arwen gab ein Brummen von sich, schwang sich dann herab und stapfte auf den Unfall zu. Dany blieb sitzen und beobachtete.
      "Urret?"
      Der Mann erschien, ohne dass Arwen sich noch einmal zu ihm umdrehte. Er hockte sich bereits hin und besah sich die Räder.
      "Erzähl mal, irgendwelche Spuren in der Umgebung? Auffälligkeiten? Sie können sich ja schlecht in Luft aufgelöst haben."
      Er ergriff ein Rad und schwang es mit einem kräftigen Ruck. Das Rad drehte sich einwandfrei.
      Theatralisch ächzend richtete er sich wieder auf.
      "Dann werden wir das Ding mal wieder aufstellen."
      Mit der vereinten Kraft von Prysk, wobei sie trotzdem auf ihre Grenzen stießen, richtete sie den Wagen wieder auf, bis er polternd auf seine Räder zurückfiel. Die andere Seite hatte vom Aufprall einige Schrammer davongetragen, aber sonst war sie recht unbehelligt - auch hier keine Spuren eines Kampfes. Auch nicht, um die vermutlich gestohlenen Waren zu verteidigen.
      "Das ist Orecs, ganz sicher", murrte der große Mann und fing dann an, das Fahrgestell zu betrachten. Jeglicher Hinweis auf den Vorfall konnte ihnen weiterhelfen. "Aber wo sind die anderen?"
      Er kletterte in den Wagen, um auch sein Inneres zu besehen, während Dany von ihrem Pferd abstieg. Sie kam näher, um ein bisschen besser sehen zu können, blieb dann aber stehen. Ihr Blick fiel auf die Pferdeleiche.
      "Die paar Seile haben se dargelassen", tönte Arwen und warf Prysk gleich seinen Fund zu. "Sonst waren se gründlich."
      Dany kam noch näher. Sie hörte nichts, aber sie hatte gedacht...
      "Normale Diebe waren das nicht. Und Orec lässt sich sicher nichts gefallen ohne ein paar Schläge auszuteilen."
      Sie kniete sich in den Schnee hinab. Aus der Nähe drang ihr jetzt auch der Gestank des Todes entgegen, den der Schnee und die Kälte bislang recht gut verdecken konnten. Vermutlich der einzige Grund, weshalb die Leiche überhaupt noch so sehr intakt war.
      "Siehste was, Prysk? Ich werd' hier nicht schlau draus."
      Dany beugte sich hinab und legte das Ohr an die stinkende, verwesende Wunde der Leiche.
      Es knisterte ganz leicht, als würde man ein altes Laubblatt sehr langsam auseinanderreißen. Oder einen morschen Ast.
      Dany konnte wieder hören.
      "Das war keine normale Waffe."
      Als sie das Ohr wegnahm, wich sie angeekelt zurück, als die Maden aus der Öffnung hervorzukriechen begannen.
      "Da war Magie beteiligt."
    • Die schöne Szenerie des Bildnisses verblasste bereits nach wenigen Momenten nach dem Anblick des Karrens.
      Prysk ritt ein Stück näher heran als die anderen und schwang sich anschließend von seinem Schwert, um mit einem dumpfen Geräusch im Schnee aufzukommen. Das Blut des Pferdes hatte den weißen Pulverschnee, der sanft auf den Leib des Tieres gefallen war, rot gefärbt. Der Kopf des Tieres lag ein gutes Stück weiter vom Leib entfernt. Der Geruch nach Tod und Verwesung durchstach die kalte Luft wie ein Messer das Fleisch und bedachte man die Tatsache, dass die Verwesung bereits derart fortgeschritten war trotz der bitteren Kälte, so wurde diese Szenerie mit einem Mal noch merkwürdiger.
      Louise schwang sich nicht vom Pferd sondern ließ es einige Schritt näher traben, um die Gegend im Auge zu haben. Erst jetzt zeigte sich an ihrer Satteltasche eine schwere, bereits geladene Armbrust, auf die sie beruhigend ihre Hand legte, während sie Ausschau hielt.
      Urret selbst kam der Aufforderung des Jägers nach und glitt von den Bäumen in den Schnee neben Arwen, um einen Blick auf die Leiche zu werfen. Sicher, er hatte sie von weiter Entfernung gesehen, aber aus der Nähe war es gleich nochmals fürchterlicher.
      "Ich habe Pferdespuren gesehen vor einiger Weile", sagte der Hasenmann und schnupperte in der Luft, nur um gleich wieder die Nase zu verziehen. "Aber die sind mittlerweile verschüttet. Gingen in südliche Richtung. Ansonsten keine Spuren, keine Auffälligkeiten. Der Wagen lag beinahe friedlich da."
      Prysk trat an Arwens Seite und war dankbar für die Ruhe, die der alte Griesgram zuweilen ausstrahlte. Der Jäger selbst fühlte sich merkwürdig beobachtet, obwohl keine Präsenzen zu erkennen oder zu erspüren waren. Viel eher war es ihm, als würde ihm der ganze Wald zusehen.
      Mit einem Nicken half er unter größter Anstrengung den schweren Holzwagen wieder aufzustellen, wobei sich auch an der bislang verdeckten Seite keine Spuren zeigten. Als würde einfach nur ein Wagen umgefallen sein. Sorgsam legte Prysk seine Hand an das kalte, grobe Holz und seufzte, ehe er die Gerätschaft betrachtete.
      "Stimme dir zu", sagte Prysk und sah sich um. "Die anderen...Ich glaube, Nim hatte gesagt, dass Orec zwei weitere dabei hatte. Wie sieht es mit Spuren aus Urret? Auf die Bäume und such danach! Louise, du schützt ihn dabei."
      Beide Angesprochenen nickten und begaben sich in südliche Richtung, wo sie der Schnee aufs Neue empfing. Als sie außer Hörweite waren, sah Prysk zu Arwen und Dany.
      "Gründlich waren sie wohl. Und schlau werde ich daraus auch nicht. Es gibt eine Lösung, und ich wollte diese nicht vor den anderen beiden preisgeben, aber...", murmelte der Jäger und trat näher an die Leiche heran. "Noch gehen wir davon aus, dass Orec und die anderen den Ort entweder tot oder lebendig verlassen haben. Jedoch würden wir Spuren finden müssen, so viel ist wohl sicher...Was ist aber, wenn sie weder tot noch lebendig verschwunden sind? Also einfach..."
      Er schnippste mit den Fingern in der Luft.
      "Einfach weg. Auf magische Weise."
      Als Dany näher trat, wollte er sie erst warnen, da der beißende Geruch an ihrer aller Konstitution zerrte. Aber weshalb eigentlich? Dany hatte doch bewiesen, dass sie hart im Nehmen war. Also ließ der Jäger sie mit einem kurzen Blick zu Arwen gewähren. Ein Blick, der sich anschließend wiederholen sollte, nachdem Dany ihr Urteil gegeben hatte.
      Seufzend stemmte Prysk die Hände in die Hüften und sah zu ihr.
      "Magische Waffen...Das hat uns gerade noch gefehlt", murmelte er. "Siehst und hörst du noch etwas?!"
      Noch ehe die Zeit der Antwort vergangen war, glitten Urret und Louise aus dem Waldstück hinaus und schienen sich verändert zu haben. Louise hatte ihr Pferd zurückgelassen und trug ihre Armbrust im Anschlag, während Urret einfach nur bleich im ohnehin schon hellen Gesicht war.
      "Leute...", murmelte er und schnüffelte leicht in der Luft. "Wir haben was gefunden. Wird euch nicht gefallen. Spuren eines Lagers, nur wenige hundert Meter von hier. Sie sind weg, aber die Feuerstelle ist noch warm. Sie führen nach Süden, Richtung Eshos und den Siedlungen."
      "Das ist mies...", sagte Prysk und seufzte. "Uns bleibt nichts. Sollte sich Proviant finden, sammelt ihn und auf die Pferde. Sind sie zu Fuß?"
      "Nein, sie reiten ebenso...Und Prysk?"
      Der Jäger sah auf.
      "Ich vermute, einer von ihnen reitet auf einem Nordlandkeiler."


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    • Arwen machte wohl zum ersten Mal seit ihrem Aufbruch ein ernstes Gesicht, während er Prysk zuhörte. Jetzt, zum ersten Mal konnte man an dem Mann wohl die Jägerschaft erkennen oder zumindest das, was ihn auszeichnete. Der sonst so lockere, unbetrübte Riese konnte wohl auch zu einer ernstzunehmenden Gefahr werden.
      “Auf magische Weise verschwunden? Der einzige Magier, den ich kenne, der zu so etwas in der Lage wäre, sitzt Zuhause und verbringt die Nächte mit der Nase in Büchern. Und dann gibt es nicht einmal Kampfspuren. Wir reden hier immerhin von Orec.”
      Er kratzte sich seine strähnigen Haare.
      “Aber das ist wohl erstmal die vernünftigste Erklärung, die man dafür haben könnte.”
      Beide Männer sahen danach Dany zu, die keinerlei Erklärung dazu abgab, was sie nun dazu bewegen könnte, einen Kadaver auszuhorchen. Aber ihr Urteil unterstützte Prysks Annahme: Hier war irgendeine Art von Magie beteiligt.
      Arwen starrte die Frau ein paar Sekunden lang an, dann wandte er sich ab, als hätte er sich mit der Situation abgefunden. Dany präsentierte Prysk derweil ein typisch finsteres Gesicht.
      Magierückstände lassen sich nicht überall aufspüren und erst recht nicht in der Luft.
      Seine Frage machte sie aber nicht so wütend, wie sie es früher getan hätte. Und außerdem hatte sie das Bedürfnis, ihn mehr in ihr Talent einzuführen, was ihr auch noch nie zuvor in den Sinn gekommen war.
      Kaum einen Augenblick später kamen schon Louise und Urret zurück, beide wohl mit einem Fund: Ein Lager, nicht weit von hier, mit Spuren. Sie führten nach Süden, Richtung Eshos - Richtung Stadt oder Richtung Niemandsland? Gab es überhaupt etwas zwischen hier und Eshos außer Berge und Wälder? Und was für ein Ziel konnte man dort haben?
      All diese Fragen ließen sich aber nicht vorzeitig beantworten. Da stiegen alle wieder auf ihre Tiere und setzten den Weg fort.
      Nordlandkeiler. Dany konnte sich diesmal sogar denken, woher die plötzlich schlechte Laune von ihr kam.

      Auch bei dem abgebrochenen Lager ritten sie vorbei für die Möglichkeit, weitere Spuren zu sichern. Arwen wühlte recht eifrig den Schnee auf, Dany machte sich derweil nützlich und setzte sich an die hinterlassene Feuerstelle. Sie musste fast das Ohr bis auf den Boden legen, um sicher zu sein, dass sie auch wirklich nichts überhörte, aber da war einfach nichts, kein Summen, kein Brummen, keine Magie, die für das Feuer gesorgt hätte. Das gab der erfahrenen Magie-Leserin, die sie einst gewesen war, bevor das Merch sie heruntergezogen hatte, gleich mehrere Aufschlüsse: Entweder es gab keinen Feuerzauber, die Gruppe verwendete ihre Magie nicht verschwenderisch oder die Ressourcen dafür reichten nicht. Letzteres schien unwahrscheinlich, nachdem es keinen Aufschluss über einen Kampf gegeben hatte. Dann also eine der anderen beiden Optionen.
      Dany sah auf und zu Prysk, der mit Arwen die Gegend gründlich absuchte. Vielleicht hätte sie ihm diese Schlussfolgerung mitgeteilt, alleine schon dafür, ihn in ihre Gedanken einzuweihen. Vielleicht hätte sie es getan, merkte sie, wenn er sich in diesem Moment zu ihr umgedreht hätte. Vielleicht, wenn er sie wieder nach ihrer Meinung gefragt hätte, so wie schon vorhin, als wären sie ein funktionierendes Team.
      Aber er tat es nicht und deswegen setzte sie sich wortlos zurück auf ihr Pferd. Es war immerhin sowieso keine sehr nützliche Erkenntnis.

      Den weiteren Weg beschritten sie langsamer, um die Augen offen zu halten. Jetzt waren die lockeren Gespräch vorüber und auch, wenn sie nicht mit ihren gezückten Waffen ritten, behielt Louise doch ständig ihre Hand auf ihrer Armbrust und Arwen hatte die Schlaufe seiner großen Axt etwas gelockert. Es herrschte angespanntes Schweigen, während die Pferde sich ihren einheitlichen Weg durch das Unterholz schlugen. Bei jedem Geräusch, das der Wald um sie herum von sich gab, so schien es, spannten sich die Nerven weiter auf.
      Sie campierten die Nacht über unter den Bäumen, da es diesmal keine Höhlen oder sonstigen Unterschlupfe gab. Ein Feuer entfachten sie dieses Mal aber nicht, denn Arwen beschwörte sie alle, bis zum Sonnenuntergang auszuharren. Es dauerte etwa eine halbe Stunde, dann schickte er Urret erst los, der in den Bäumen verschwand und mit der Dunkelheit verschmolz. Eine weitere, unangenehm angespannte und langwierige Zeit verstrich, dann kehrte der Mutant mit seiner Beobachtung zurück: Ferne Rauchschwaden, weit entfernt, aber vielleicht einen guten dreiviertelten Tag entfernt. Arwen nickte zufrieden, dann machte er sich an ein kleines Feuer. Sie hofften, dass die Baumkronen etwas von dem Rauch verdecken würden.
      In der Nacht schlief Dany nicht. Es war nicht mehr stürmig, deswegen bestand auch kein Grund, sich wieder aneinander zu kuscheln, weshalb Prysk sich jetzt in seinen eigenen Schlafsack zusammenrollte und Arwen wie ein Fels in der Nacht Wache hielt. Dany hatte eigene Decken und einen guten Platz am niedrigen Feuer, aber sie schlief trotzdem nicht. Sogar der Dolch schwieg, aber das war ein merkwürdig geringer Trost. Sie versuchte bei wachem Verstand und unruhigen Gedanken in ein Leben zurückzufinden, das sie vor etwa einem Jahr aufgegeben hatte.

      Am nächsten Tag, bei der Weiterreise, knallte es mit einem Mal so scharf durch die Luft, als hätte direkt neben Danys Ohr eine Peitsche die Luft zerrissen. Sie fuhr zusammen, aber als kein anderer vor ihr sich deswegen rührte, begriff sie auch gleich, ohne erst darüber nachdenken zu müssen.
      Stop!
      Der kleine Zug von vier Personen hielt an. Arwen drehte den Kopf zu ihr um und runzelte die Stirn, auch Prysk begegnete ihrem Blick. Während sie sich ganz auf ihren Hörsinn konzentrierte, der nur eine leichte, schon auflösende Schwingung in der Luft wahrnahm, setzte sich ihr Blick auf ihm fest.
      Falle”, raunte sie.
    • Der Tag nach der Entdeckung der Reiterspuren verfloss in Prysks Verstand wie zäher Teer.
      Noch während sich der Jäger eindringlich fragte, weshalb es einen Keilerreiter in den Norden trieb, wo dieses Kriegsgerät mehr als unpraktisch, jedoch nicht weniger tödlich war, wurde er sich der deutlichen Gefährdung gewahr, derer sie entgegen ritten. Auch wenn die malerische Landschaft den trügerischen Schatten von Sicherheit und Eintracht aufrecht erhielt, war die Stimmung nach der Entdeckung nicht mehr so gelöst wie vorher.
      Selbst ein Dümmling hätte sich erdenken können, dass Orec bar jeder Chance gewesen sein musste. Mit jedem Meter, den die Pferde durch den Schnee stapften und ihre dampfenden Atemspuren wie bleibende Mahnmale in der Luft verharrten, glaubte Prysk weniger an ein Überleben des findigen Händlers. Wieder und wieder gingen ihm Arwens Worte durch den Kopf, die auf ein Aufkommen eines Zauberers hinwiesen. Dass die Magie nicht so drastisch verschwunden war, wie sie alle dachten, wussten sie. Rufus war der lebende Beweis dafür. Jedoch auch die Tatsache, dass Nim dort oben in der Festung seine Magie zu wirken schien, nahm ihm diesen Trost nicht. Was auch immer dieses Artefakt war, es musste genommen werden. Oder kontrolliert. Im besten Falle zerstört.
      Die Nacht vor der Weiterreise verbrachte der Jäger im wachen Zustand und versuchte in seiner Verzweiflung und Ratlosigkeit, was sie erwarten würde, die Lösung in den Sternen zu finden. Freilich gaben sie ihm nichts, diese miesen Verräter.

      Der nächste Tag glich dem vorherigen in Länge und Zähigkeit. Erneut reisten sie mit im Anschlag liegenden Waffen. Louise lehnte sich leicht an Arwen, hielt ihre Armbrust jedoch geladen und einsatzbereit. Prysk indes hatte seine Schwerter gelockert und die Griffe mit beiden Händen locker umfasst, während sie weiter durch den Schnee trabten. Erst Danys Ruf holte den Jäger aus den kreiselnden Gedanken und hielt ihn an, an den Zügeln seines Pferdes zu reißen, was dieses mit einem brillierenden Schnauben quittierte. Beinahe wütend dreinblickend sah er zu Dany und verstand erst jetzt was ihr Ausruf eigentlich bedeutete.
      Selbst Urret hielt auf seinem schmalen Ast inne und stellte die Ohren auf. Doch nichts in dieser Eiseskälte schien auf eine Gefahr für seine Ohren hinzudeuten. Und doch...Wie ein funktionierendes Rad im Getriebe waren sie alle angehalten und hatten sich nicht einmal bewegt.
      Prysk nickte nur auf Danys Hinweis und legte seinen Finger an die Lippen, als er zu Louise sah. Mit einem weiteren Kopfnicken schien das bleiche Auge der jungen Frau vor Arwen kurz zu glühen, ehe sie sich neugierig umsah.
      Sorgsam achtend, nicht nach vorn oder zur Seite zu reiten, glitt Prysk samt Pferd an Danys Seite und beugte sich leicht zu ihr herüber.
      "Kannst du erkennen, wo und welcher Art die Falle ist?", fragte er. "Ich sehe rein gar nichts."
      Selbst Louise, die mit einem kurzen Klicken um Aufmerksamkeit bat, schüttelte den Kopf. Auch dort also nichts.

      The more that I reach out for heaven
      The more you drag me to hell
    • Eine andere Dany, etwa jene, die noch vor einer Woche existiert hatte, hätte sich wohl köstlichst darüber amüsieren können, dass die Gruppe so schnell auf ihren Ruf achtete, ungeachtet der Tatsache, dass sie alles andere als ein funktionierendes Rad im Getriebe war. Überhaupt, bis auf ihre Aussage hin, dass sie ihre Fähigkeit beherrschte, hatten die anderen noch keinerlei Ahnung davon, wie es funktionierte und ob sie das alles nicht erlogen hatte, um sich wichtig zu machen. Diese Dany hätte vermutlich einen manipulativen Nutzen daraus ziehen können.
      Aber die heutige Dany, müde von einer schlaflosen Nacht und ausgelaugt von dem sprichwörtlich kalten Entzug, den sie hatte durchmachen müssen, fand darin kein Vergnügen. Wenn überhaupt war sie erleichtert darum, sich nicht erklären zu müssen.
      Es wurde vollkommen still, als auch Prysk sich ohne zu murren darauf einließ und das Zeichen dafür gab. Arwen wurde auf seinem Tier unbeweglich, Louise sah dafür den Mann einen Moment länger an und ließ dann den Blick über die Umgebung schweifen. Prysk kam kurz darauf, äußerst vorsichtig und bedächtig, zu Dany zurück. Bis auf das leise Knarzen des Schnees unter den Pferdehufen waren sämtliche Geräusche schon wieder verklungen.
      "Es war ein Peitschenschlag", murmelte sie zurück, eine Aussage, die seine Frage eigentlich beantworten sollte. Aber Prysk wirkte, als warte er auf mehr und da fiel ihr erst wieder ein, dass sie hier schließlich nicht bei ihrer eigenen Gruppe war. Dort hatte man die gängigsten Geräusche der jeweiligen Magie zugewiesen und hätte jetzt, alleine durch diese Information, schon herausfiltern können, um welche Art von Zauber es sich handeln musste.
      Aber hier blieb es an Dany hängen, ihn zu entziffern. Nur hatte sie nach einem Jahr der Abwesenheit und ohne Übung keinerlei Erinnerung daran, was laute Peitschenhiebe waren.
      Angestrengt kniff sie die Augen zusammen. In einem seltsamen Aufwallen an Gefühlen wollte sie jetzt, nachdem die ganze Truppe ohne zu zögern auf sie gehört hatte und Prysk auch ohne Beleidigungen zu ihr sprach, sie nicht enttäuschen. Sie bildete sich sogar ein, dass man ihre Fähigkeit hoch einzuschätzen würde, wenn sie sich nur beweisen könnte.
      Aber sie konnte es nicht. In ihrem Gedächtnis waren Lücken, vom Merch eingefressen, die die notwendigen Informationen verschwinden gelassen hatten.
      "Das ist... äh..."
      Erstaunlicherweise war Prysk recht geduldig damit, sie dabei anzusehen, während Dany sich zu erinnern versuchte. Es kam nur nicht.
      "... Es könnte ein Bannkreis gewesen sein. Oder ähnliches. Das man nicht auf den ersten Blick... sieht."
      Oder auch etwas ganz anderes und Dany kam nur nicht drauf. Sie war aber nicht gewillt, diesen Möglichkeit verstreichen zu lassen und so gab sie sich zuversichtlicher, als sie war, während sie einfach weiter riet.
      "Wir sollten etwa 50 Meter parallel versetzt zu unserem Pfad reiten, dann sollten wir aus dem Wirkungsbereich sein. Da bin ich mir ziemlich sicher."
      War sie gar nicht, aber welche Möglichkeiten hatte Prysk schon als ihr zu glauben? Und so schlugen sie, vorsichtig, um nicht doch ungewollte Aufmerksamkeit zu erregen, eine Richtungsänderung ein, ritten ein ganzes Stück im rechten Winkel zu ihrem Pfad und kehrten dann erst zu ihrer ursprünglichen Richtung zurück. Eine Nachfrage, ob Dany noch etwas hörte, verneinte sie. Sie erklärte nicht, dass es nichts zu hören gab, nachdem die Falle immerhin schon längst ausgelöst worden war.
    • Eine ganze Weile lang herrschte eine betäubende Stille vor, die Prysk kaum zu deuten mochte. Sicherlich, sie waren alle erschöpft und von der Reise ausgelaugt. Selbst die Pferde wirkten merkwürdig träge im Angesichts dessen, was vor ihnen lag. Wären andere Mitglieder Teil dieser Expedition, hätte der Jäger sie lieber allein fortgesetzt, doch Danys Warnung kam zu zielgerichtet.
      Zu zielgerichtet, um eine Lüge oder Einbildung zu sein.
      Hoffte er. Inständig.
      Prysk hatte viele Monde damit verbracht, Menschen zu misstrauen und gleichsam viel zu leicht Einzelnen zu vertrauen. Schweigsam lauschte er dem Schweigen seiner Gefährten während Dany zu überlegen schien. Erst auf ihre Antwort hin, nickte er bedächtig und gab Urret und den anderen ein Zeichen, dem gehörten Folge zu leisten.
      "Wirklich?", murrte Urret, als er in Hörweite sprang. "Das ist nichts, Prysk! Keine Information, keine Richtung, kein gar nichts. Wir fischen im Trüben und unsere Freunde sind-"
      "Ruhe!"
      Prysks Stimme war nicht von Lautstärke oder Gewalt gezeichnet und dennoch reichte ein einziges, kurzes Wort in der Stille des Raumes aus, um den Mutanten zu einem raschen Schweigen zu verdonnern.
      "Es ist gleich, ob es viel oder wenig zu sagen gibt. Wir haben eine Mission und wir sind Gefährten in dieser Mission. Und egal, wie die Situation sich darstellt, ich vertraue jedem von euch. Also selbst wenn du Dany nicht glauben solltest, glaube daran, dass ich ihr glaube und vertraue auf mich."
      Einen Moment lang zwinkerte Urret mit den Augen und seufzte schließlich. Noch ehe sie den besagten Umweg um die Falle gingen, die sie alle nicht sehen konnten, wirkte es so, als habe sich der Mutant schließlich doch beruhigen können.
      Zielsicher lenkte Prysk sein Pferd und hernach dadurch auch die der anderen durch den seichten Neuschnee zu ihren Hufen. Knirschend grob sich das Horn der Pferde in den Boden und der frische Wind ließ langsam nach, obschon die Lücken im Wald größer zu werden schienen. Die Spuren waren wieder aufgetaucht und zeigten erneut den gesamten Tross der Räuber auf. Jetzt, in der Ruhe vor dem Sturm, waren die Spuren des Nordlandkeilers prominent hervorstechend und wirkten wie dräuende Mahnmale.
      Nach einer weiteren Zeit, sie wussten nicht wie lange, hob Prysk seine Hand leicht an und bedeutete ihnen zu halten.
      Sie waren an eine kleine Klippe angelangt, von dieser man in das herabfallende Tal sehen konnte. In weiter Ferne schlängelte sich dampfend ein kleiner Bach durch das Gestrüpp, während der Schnee die Spuren der Räuber erneut hervorhob. Dort, in einer Entfernung, käruselte sich sacht eine kleine Rauchsäule in einer kleinen Lichtung in die Höhe.
      Prysk winkte Arwen und die anderen heran und bedeutete ihnen, abzusteigen.
      "Meiner Meinung nach ist es vielleicht eine oder zwei Meilen Rittschritts, wenn wir durchreiten. Ich sorge mich jedoch um weitere Fallen und wer sie aufgestellt haben könnte. Eigentlich sollten diese dort keine Gelegenheit dazu haben. Wie seht ihr es?!"
      Louise blickte über den Abgrund hinab und nickte bestätigend.
      "Ich bestätige die zwei Meilen. Etwas stimmt nicht mit dieser Meute. Es ist, als schlängelte sich neben dem Rauch noch etwas anderes in die Höhe...Magie vielleicht?!"
      Urret blickte nach hinten, einem Grund offenbar bleibend und seufzte erneut.
      "Ich fühle mich irgendwie unwohl...", murmelte er.
      "Arwen? Dany? Was sagt ihr? Durchreiten und angreifen oder den Fallen auf den Grund gehen?"

      The more that I reach out for heaven
      The more you drag me to hell