Nemeton [Codren & Nico]

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    • Dem Anblick des kämpfenden Pärchens haftete etwas unnatürliches an. Irgendetwas stimmte nicht an der Art und Weise, wie sich die Waffen kreuzten, wobei Dany nicht unbedingt darauf kam, was genau. Es schien viel zu... zahm. Viel zu abgesprochen. Wenn Pollux einen Schritt nach vorne trat, ging Prysk einen Schritt zur Seite und wenn Pollux dafür im Umkehrschluss sein Handgelenk drehte, um die Richtung seines Schwertes anzupassen, hatte Prysk das seine schon längst anders ausgerichtet. Es war kein Kampf, den man auf der Straße oder sonst wo gesehen hätte, denn dafür war alles viel zu leise und viel zu geregelt. Es wurden keine Finten ausgespielt, es wurde nicht geflucht, es wurde nicht auf Stärke abgezielt. Als hätten beide diesen speziellen Kampf, in diesem speziellen Terrain schon ein dutzend Mal durchgespielt und würden ihn jetzt nur von neuem abspielen, ohne sich dabei noch sonderlich Gedanken machen zu müssen.
      Was auch immer das bedeuten mochte, es entzog sich Danys Vorstellungskraft. An einem anderen Tag hätte sie sich vielleicht von der Vorstellung faszinieren lassen und es sich irgendwo gemütlich gemacht, um Wetten darauf abzuschließen, wann genau Pollux Prysks Kopf abhacken würde, aber das musste auf ein anderes Mal verschoben werden. Sie hatte ihren eigenen Gegner, der noch darauf lauerte, sich für ihren Angriff zu revanchieren.
      Odo hatte sich nicht die Zeit genommen, die Kämpfenden zu beobachten, denn er hatte seine verletzte Ehre zu retten - wenn man so etwas als tollwütiger Bär überhaupt haben konnte. Erneut warf er sich auf Dany zu, die ihm mit einem erneuten Schrei begegnete, der mehr als schon zuvor dem Grauen entsprang, das sie beim Anblick dieses Monsters erfasste. Riesige Tatzen verfehlten sie, als sie sich diesmal zu Boden warf, um dem Hieb zu entgehen, die stattdessen einen morschen Baum in ihrem Rücken spalteten. Holzsplitter flogen durch die Gegend, während Dany sich mit Armen und Beinen daran beteiligte, schnell hoch und weiterzukommen.
      "Du wirst...sterben..."
      "Kann ich eine zweite Meinung dazu einholen?!"
      Ihre Antwort bekam sie mit dem Brüllen in ihrem Rücken, das sie vermutlich noch in ihre schlimmsten Albträume verfolgen würde. Verzweifelt musste Dany wieder herumwirbeln, wenn sie sehen wollte, von wo die Pranke diesmal kommen würde; ganz davon abgesehen, dass es wohl kein erfolgreicher Versuch war, vor diesem Biest davonzulaufen. Seine Beine alleine waren dicker als ihr ganzer Umfang und er würde sie wohl mit zwei kleinen Schritten eingeholt haben, während Dany schon fast außer Puste wäre - selbst mit dem Dolch. Also lieber kämpfen? Was bekämpfen? Nur die Tatze oder auch der ganze Fleischberg dahinter?
      Sie kam aus der Luft, wie beim ersten Mal. Die Handfläche - Tatzenfläche? - war nach unten hin geöffnet und würde wohl zuerst einschlagen, bevor die Dolche sie zerfleischen würden. Kurzerhand streckte Dany beide Hände nach der Tatze aus.
      Im Nachhinein betrachtet wäre das eine ganz, ganz, fürchterlich schlechte Idee gewesen. Wäre es ihr misslungen, hätte sie sogar einfach nur daneben gegriffen, hätte ihr Gehirn den Boden düngen können. Dann wäre nicht viel mehr von ihr übrig geblieben als vielleicht ein paar Stofffetzen.
      Aber Dany war high - aber nicht mehr high genug für sinnvolle Entscheidungen und auch nicht nüchtern genug für andere sinnvolle Entscheidungen und außerdem erschöpft von einem Kampf und erschöpft von einem Dolch, sodass ihre jetzigen Entscheidungen fraglich wurden. Sie streckte ihm beide Hände entgegen und die riesige Tatze traf auf ihre eigenen, winzigen, menschlichen Händchen.
      Und sie hielt ihm stand. Der Aufprall war hart genug, dass nicht nur eine ganze Schockwelle durch ihren Körper raste, die sämtliche Muskeln in ihr zum Erzittern brachten und sie so sehr anspannte, dass sie glaubte, jeden Moment zerreißen zu müssen, sondern dass sie auch noch ein Stück nach hinten wegrutschte. Aber sie hielt ihm stand. Mit beiden Händen hielt sie die gewaltige Pranke fest, der Dolch zwischen ihnen.
      Die plötzliche Stille klingelte ihnen beiden in die Ohren. Beide Parteien waren wohl gleichermaßen überrascht über diese Wendung, denn Odo hatte sicherlich noch nie einen ähnlich starken Gegner gefunden und Dany hatte sicherlich noch nie versucht, ob die Grenze ihres Dolches selbst Mutanten noch mit einschloss. Ganz anscheinend tat sie das. Über die Nachwirkungen musste sie sich jetzt erstmal noch keine Gedanken machen.
      Sie ließ ihn los, schnell genug, dass sie zurückspringen konnte, bevor die Dolche sie doch noch getroffen hätten. Und dann baute sie sich in einem Anflug von überschwänglichem Selbstvertrauen vor ihm auf.
      "Willst du nochmal?!"
    • Tanzend glitten die Schneiden umeinander und rissen Wunden in ihr Fleisch. Beide Kämpfer wurden vom Rausch der Geschwindigkeit beinahe übermannt. Bewegungsabläuft glitten ineinander und beinahe mochte es so wirken, als tanzten sie mehr als dass sie kämpften. Hin und wieder spritzte Blut durch die Gegend und die Klingen fuhren wie eine Schere aneinander vorbei, um sich danach im immerwährenden Zyklus um sich selbst zu drehen.
      Ihre Kampfart war gleich, beinahe eins. Hieb um Hieb klirrte ineinander und schien in der Nacht widerzuhallen, während die Kämpfer schwer zu atmen begannen. Eine fiese Schneide hatte sich in Pollux Hals gegraben und gab einen Fluss von Blut frei, den er ärgerlich zur Kenntnis nahm. Sachte hielt er eine Hand in einer kurzen Kampfespause gegen die Wunde und besah sich der Innenseite der Hand. Kopfschüttelnd streckte sich Pollux und seufzte.
      "Gott, wie lange willst du das noch ziehen?! Lass dich doch endlich töten...Ich bitte dich!"
      Prysk atmete ebenso schwer und ließ seine Waffen kurz sinken, ehe er ebenfalls den Rücken durchstreckte. Diese Art zu kämpfen bedurfte eines krummen Standes. Mit der Zeit wurde es unerträglich, die ganze Zeit so zu stehen und zu gehen.
      "Fürchte das geht ni-"
      Ein Brüllen ließ sie beide aufhorchen.
      Odo war dafür bekannt, dass er recht emotional an Kämpfe heran ging. Er war ebenso dafür bekannt, keine Gnade walten zu lassen, auch wenn er gerne mit seiner Beute spielte. Prysk hielt einen Moment inne und sah zu Dany, die gerade die gewaltige Pranke des Bären mit ihren beiden Händen zurückhielt.
      Schwerfällig knisternd sanken ihre Beine ein wenig in den Boden, aber sie hielt stand. Beide Kämfper sahen sie an und zogen die Augenbrauen hoch, als könnten sie nicht glauben, was sie sahen.
      Leider zum Nachteil von Odo. Der Bär blickte einen Moment ungläubig auf seine Tatze, nachdem er sie von Danys Händen zurück gerissen hatte und wieder zu ihr. Das konnte doch nicht...Das durfte doch nicht...Wieso konnte sie das?! Schweigsam schnaubte er schwer atmend in seine Pranke und sah immer wieder zu der Frau hinüber.
      "Willst du nochmal?!"
      Ihre Stimme war blanker Hohn in seinen Ohren. Blankes Gelächter. Und Odo hasste Gelächter. Mit einem Brüllen gen Himmel veränderte sich erneut die Muskelstruktur des Bären zum Schlimmeren. Die ohnehin schon definierten Muskeln des Bären schienen unter der Wut, die er heraufbeschwor zu platzen und verdichteten sich nochmals. Mittlerweile glichen sie gewaltigen Eisenbalken, welche den Pelz auf den Armen abzustoßen schienen. Mehr und mehr Adern wurden durch das Fell sichtbar und verdichteten sich, während die Augen des Bären rötlich zu leuchten schienen.
      Aus den beiden Augenbrauen wurde mit einem Mal ein bleiches Gesicht.
      Mit einem Schrei war Rufus aufgewacht und hatte sich aus seinem Schlafstättchen gehebelt und blickte zwischen den Parteien hin und her.
      Großer Mist!, dachte Pollux. Ein durchdrehender Odo und Rufus. Dazu noch diese Frau, die mit jeder Minute attraktiver wurde in seinen Augen.
      "ODO!", donnerte Pollux und gerade als der Bär erneut ausholen wollte, erschlaffte seine ganze Gestalt vor Dany. Ruhig sah er hinab zu ihr, die Wut noch als vergangenes Feuer.
      "Es reicht!", sagte Pollux und sah zu Prysk. "Wir haben den Auftrag dich zu töten. Ich habe nicht den Auftrag, alle hier zu töten. Also ziehen wir uns zurück. Odo! Los jetzt!"
      Grummelnd und grunzend sah der Bär zu Dany und legte kurz den Kopf schief. Wie gerne würde er einfach zugreifen und sie in der Luft zerreißen. Er wusste, dass ere es konnte. Von der Stärke der jungen Frau angetrieben, schien sein Jagdinstinkt geweckt. Und er würde sie jagen. Bitterlich.
      Dennoch steckte Pollux sein Schwert weg und zog sich samt seiner Verletzungen mit dem Bär in den nahen Wald zurück. Zum Abschied zwinkerte er Dany noch zu und grinste. Sie würden sich wiedersehen. So viel stand fest.

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    • War es ein Fehler, Odo im Nachhinein zu provozieren? Ja. Aber bereute Dany es? Auch ja! Scheiße ja, ja ja ja!
      Vor ihren eigenen Augen wuchs der Bär noch weiter heran, seine Muskeln verdichteten sich, schienen sich bei der schieren Menge und Größe selbst zu überlappen und wegzuschieben, plusterten ihn auf wie ein Fass, das jeden Moment auseinander springen könnte. Wenn er eine sichtbare Haut gehabt hätte, wäre er sicher rot geworden. Seine Augen waren groß und gewaltig und furchteinflößend, so wie sie Dany bereits mit Haut und Haaren verschlangen.
      Ja, sie bereute es. Und wie sie es bereute.
      "... Also eigentlich meinte ich -"
      Ein Schrei unterbrach sie und alle Anwesenden sahen sich zu einem aufgewachten Rufus um, der sie entsetzt anstarrte. Mit ihm regte sich auch endlich der Rest des Lagers.
      Nun hatten sich die Karten wohl zahlenmäßig gewendet, denn plötzlich waren sie deutlich in der Überzahl, aber nicht in Danys Augen; von ihrem Standpunkt aus hatte sie nämlich noch einen fetten, wütenden Bären vor sich, der sie mit einem einzigen Tritt zu einer Ameise zerkleinern könnte. Dass die anderen nun wach waren, hatte herzlich wenig Wichtigkeit für sie.
      Aber für Pollux schien es das zu sein. Er brüllte nach seinem Freund - Begleiter? Partner? Gefährte? Haustier? - und der unterbrach seinen eigenen Schwung, als wäre er mit einem Mal hypnotisiert worden. Die beachtlichen Arme fielen hinab und Dany sprang trotzdem zurück, sie war schließlich nicht lebensmüde. Nicht mehr zumindest.
      Dann traten sie den Rückzug an. Niemand hier hatte je erfahren, weshalb Pollux Prysk nun wirklich hatte umbringen wollen, auch wenn Dany den Verdacht hatte, dass zumindest Rufus es wissen könnte. Vielleicht auch das Federfass.
      Sie versuchte mit dem letzten Bisschen Willenskraft dem eingehenden Blick des Bären standzuhalten, dann drehte sich das Duo um und ging zurück zwischen die Schatten des Unterholzes, nicht ohne dass Pollux Dany noch zuzwinkerte. Sie winkte ihm zum Abschied. Dort ging der Traum von einem Mann, der ihr für immer verwehrt bleiben würde.
      Als das letzte Geraschel verklang, war es wieder so ruhig, dass es fast schon laut war. Dany drehte sich als erstes um und marschierte dann mit zielstrebigen Schritten auf Prysk zu.
      "Ich verlange zu erfahren, worum es hier gegangen ist! Ich weiß, dass er dich umbringen wollte. Ich weiß auch, dass es durchaus sinnvoll gewesen wäre, mich vor so etwas zu warnen, bevor ich meine Wache antrete! Gib mir aber nur... einen Moment."
      Sie gab die Macht des Dolches auf, so leicht, wie sie sie angenommen hatte, wohlwissend, dass es nur noch schlimmer würde, je länger sie sie in sich behielt. Aber es war schon schlimm. Die Wärme glitt aus ihr heraus, Kälte fand Einzug in ihrem gesamten Körper, die Stütze in ihrem Inneren schwand, Stärke wurde durch Schwäche ersetzt. Der Dolch ließ sie alleine in ihrem Körper zurück. Die Anstrengungen der vergangenen Minuten krachten mit einem Schlag auf sie ein, sämtliche Beanspruchung, die sie vom Dolch abverlangt hatte, und ihr Körper versagte ihr den Dienst. Dunkelheit hüllte sie ein und Dany kippte um, ohne ein weiteres Wort zu sagen.
    • Prysk sah für einen Moment lang den scheidenden Kämpfern hinterher, während Rufus aus dem Lager gestürzt kam.
      Panik und ein bleiches Gesicht davor machten die Lage nicht wirklich besser, bedachte man den Umstand, dass sie nur knapp einem Desaster entkommen waren. Denn auch wenn der Jäger es ungerne zugab: Pollux war ein nicht zu unterschätzender Feind, vor allem aufgrund seiner merkwürdigen Körperstruktur. Dazu kam Odo, dieses Monster von einer Kreatur, die mit jedem Hieb, den man gegen ihn ausführte, stärker zu werden drohte.
      Wenn man es genau betrachtete, war es kurz vor zwölf, als Pollux zum Rückzug blies. Wenn dieses Ungetüm dieses drogensüchtige Etwas mit voller Kraft geschlagen hätte...Die Teufel wussten, was dann geschehen wäre. Seufzend sah er kurz zu seinen Händen und den Schnitten an Armen und der Brust, ehe er die Schwerter fort steckte und Rufus ein Zeichen gab.
      "Es ist alles in Ordnung", sagte er und grinste schief. "Bei euch a-"
      Natürlich war es dieses verfluchte Scheißhaus, was den herrlichen Frieden nach der Schlacht unterbrach. Sicherlich, manche Wut war berechtigt und ihre Forderung erinnerte ihn an seinen eigenen Duktus, wenn er in Gefahr war, aber dennoch. Musste das so unhöflich sein? Augenverdrehend wandte er sich zu Dany um und hielt mit einer ausgestreckten Hand auf Abstand, ehe er selbst wütend zu ihr hinab blickte.
      "Wenn ich gewusst hätte, dass sie mir heute und hier auflauern, hätte ich das wohl getan, Scheißhaus", knurrte er. "Und jetzt tu mir einen Gefallen und beruhig di-"
      Da.
      Da war sie zusammen gefallen wie ein Kartoffelsack. Konnte diese Frau eigentlich irgendwas richtig verstehen? Beruhigen hieß nicht Ohnmacht! Auf der anderen Seite...War es eigentlich recht erfrischend, bedachte man die wunderbare Stille. Sanft beinahe holte Prysk Atem und sah zu den anderen.
      "Packt die Sachen. Wir müssen fort von hier!"
      "Warum sind sie hier?!"; fragte Lysander schnatternd und landete unweit des Blutflecks. "Und dann schicken sie auch noch diesen dämlichen Unsterblichen und seinen Halbtroll."
      "Lamentier nicht, packt alles ein. Und weckt Sylvia! Wir müssen weiter. Die Festung ist nicht mehr weit und wir müssen Abstand gewinnen, los!"
      Prysk kam die unweigerliche Aufgabe zu, den laschen Körper des Scheißhauses auf seine Schultern zu laden. Dany war leichter als angenommen und doch schwer genug, um ein lebendes Wesen zu sein. Die Wärme durchflutete seinen kalten Rücken, als er sie huckepack auflud und den Dolch in die Scheide steckte.
      "Du musst immer alles wörtlich nehmen oder?", flüsterte er und setzte sich schwerfällig in Bewegung.

      Die restliche Nacht war kurz und beinahe kaum zu bemerken.
      Die beißende Kälte der Landschaft fraß sich mehr und mehr durch ihre Glieder und nur dem Umstand der Aufregung war es zu verdanken, dass sie nicht bibbernd und zitternd einher gingen. Schwerfällig hatten sie den Wald und seine Abkömmlinge hinter sich gelassen. Vor ihnen erstreckte sich bereits seit geraumer ZEit eine weite Ebene, die steitig kälter zu werden schien, je weiter man in sie vorstieß.
      Das Gras auf dem Boden hatte die Farbe von Grün zu Grau gewechselt und gefrorener Raureif lag auf den Halmen, der sanft unter ihren Stiefeln knirschte. Rufus führte Walther am Zügel und man hatte Sylvia auf das Pferd gesetzt. Lysander hockte thronend auf dem Sattelknauf und blickte wachsam in die weite Ferner, wo bereits die ersten Ausläufer der Berge zu sehen waren. Sie waren nah der magischen Grenze. Sicherlich waren es noch mindestens zwei, drei Tagesritte bis dahin, aber selbst hier glaubte man die Auswirkungen der Grenze spüren zu können.
      Ruhig wanderten sie gerade über den Pfad, als Prysk seine Schulter aufzucken ließ, um den Kopf der jungen Frau in Bewegung zu setzen. Die übliche Bewusstseinsprobe.
      "Scheißhaus? Wieder unter den Lebenden?", knirschte er während sie stoisch weitergingen.
      "Wie weit gehen wir noch?", fragte Rufus.
      Prysk schüttelte den Kopf.
      "Bis wir dort sind. Ein halber Tag. Mehr ist es nicht mehr."

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    • Dany wachte von etwas auf, das sich für viele Sekunden als sehr wankelmütiges, zu kentern bestimmtes Schiff anfühlte, dann aber etwas viel merkwürdigeres war, weil sie sich beim langsamen Aufwachen auf einem bewegenden Etwas befand, das sie über dem Boden transportierte. Sie blinzelte auf ihre Arme hinab, die um einen Nacken herum herunterbaumeln und brauchte einige weitere Momente, bis sie Worte verstehen konnten, die um sie herum gesprochen wurden.
      "Ugh."
      Sie hatte keine Muskeln in ihren Gliedern, die sie hätte bewegen können. Ihr Körper fühlte sich an, als wäre er nur durch eine dicke Watteschicht erreichbar, die sie nicht zu durchdrängen vermochte. Ihr war schlecht und außerdem schwindelig noch dazu, weil was auch immer sie auf ihrem Rücken trug für ihren Geschmack etwas zu schnell marschierte.
      Als Perlen ihr gegen die Wange schlugen und neben ihrem Ohr klimperten, erkannte sie erst, dass es Prysk war.
      "Ich hatte einen merkwürdigen Traum", lallte sie, ihre Zunge ein Hindernis in ihrem Mund. Es war zwar Prysk, der sie trug, aber er war auch ziemlich warm. Für den Moment überschattete letztere Tatsache die erste, denn es fühlte sich eigentlich ziemlich behaglich an, so von seinem Rücken zu baumeln.
      "Du warst auch mit dabei, Fettsack. Und dieser andere Mann. Dieser richtig hübsche... attraktive... charmante Mann... scheiße, war der gutaussehend."
      Sie schloss wieder die Augen weil sie die Erinnerung nicht verlieren wollte - und weil sie es als strategisch unklug befand, Prysk die Schulter vollzukotzen, während er sie noch trug.
      "Und dann hat er auch noch... er hat gesagt, dass er mich umwerben würde, wenn wir uns woanders begegnet wären. Und ich hab's abgelehnt. Hab Nein gesagt, weil er dich sonst umgebracht hätte. Weil du geschlafen hast. Gottverlassene Scheiße."
      Von den Bewegungen rollte ihr Kopf herum und sie lehnte ihn stattdessen an Prysks Nacken, damit er stillhalten würde.
      "Daran erkennt man, dass es ein absoluter Scheißtraum gewesen ist. Ich hab Sex für dein Leben abgelehnt. Völlig absurd."
      Wenn sie es sich recht überlegte, hatten die Bewegungen etwas einlullendes. Sie konnte das beständige Klimpern von Prysks Perlen hören, was irgendwie hypnotisierend war.
      "Einen Bären gab's auch noch. Hätte so stark wie mein Vater sein können. Wahrscheinlich stärker."
    • Das Ruckeln auf seinem Rücken wirkte mit einem Mal störend und nicht mehr so angenehm warm.
      Zumeist verspannten sich seine Muskeln nach geraumer Zeit, doch durch Scheißhaus' Wärme, die sie wie tausend Sonnen zu emittieren schien, blieb sein Rücken recht geschmeidig und biegsam.
      Die Berge waren bereits sichtbar und die Kälte greifbar, als eine erneut recht steifkalte Brise über ihre Köpfe hinweg wehte. Gerade noch sah er Rufus, wie er seine Kapuze aufzog und sich so gegen die beißenden Winde zu schützen suchte. Es war ein gutes Zeichen, wenn die Kälte näher kam. Umso näher kam die Festung, in welcher sie Ruhe finden würden. Naja, Ruhe wusste er nicht genau, wenn er an das Gewicht auf seinem Rücken dachte. Diese Frau stiftete mehr Unruhe als ein Sack Flöhe!
      Und jetzt brabbelte sie auch noch vor sich her.
      Kopfschüttelnd ging ein Kichern durch seinen weiterziehenden Leib. Der Rhythmus seiner Schritte versetzte ihn selbst in eine selige Trance, die Prysk immer weiter schreiten ließ. Komme was da wolle, sie würden die Festung erreichen. Heute noch. Oder er würde sich selbst in die Nüsse beißen!
      "Hehe, gutaussehend also", grinste er und nickte. "Ja, das ist er wohl. Pollux war schon immer hübscher als so manch anderer. Aber wenn dem so ist wie du sagst, bin ich dir zumindest einen halben Dank schuldig. Dass du deinen Sex für eine Rettung aufgegeben hast...Achte auf dich, Scheißhaus, sonst wirst du noch nobel."
      Ein Lachen hallte in der Klamm wieder, die sie zu ersteigen versuchten. Der Pfad wurde steiniger und steiler, führte langsam in die Berge hinauf. Das Gras wechselte erneut von gräulich zu nicht mehr vorhanden und sandiger Untergrund ersetzte die tumben Pflanzenstiele, die weisend in den Himmel zeigten. Langsamer und ruhiger wurden die Schritte, je mehr sie die Klamm hinaufstiegen und selbst Walthers Schnaufen war zu hören.
      "Na mach dir keine Sorgen", grunzte Prysk und trat nach einem kleinen Vieh, was bedenklich einem Waschbären ähnelte. "Verschwinde, kleiner Dreckbär! Und ja...Ich vermute, dass du mit deiner Einschätzung Recht hast. Odo dürfte in seiner Hauptstärke wohl kräftiger sein als so mancher Mutant. Ich kannte deinen Vater nicht, habe aber schon gesehen, wie er mühelos einen Stahlklumpen zerdrückt hat."
      Schulterzuckend wanderten sie den Weg weiter hinauf und zwischenzeitlich rief er nach vorne um sich nach Rufus und Sylvia zu erkundigen. Sie waren Menschen und die Kälte nur schwerlich gewohnt, aber leider war es nicht vermeidbar.
      Erneut ein bis zwei Stunden des tumben Weges erlangen sie endlich das erste Mal den Blick auf die Festung zwischen den Bergen werfen konnten. Welch Gram würde sie wohl dort erwarten?
      "Kannst du laufen, Scheißhaus?", grunzte Prysk. "So gern ich einen Frauenarsch in meinen Händen halte, so ist deiner doch recht schwer. Und ganz unter uns: Ein Bad täte dir gut."

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    • Prysk konnte die Merkwürdigkeit des Traumes nur mit einem Kichern kommentieren, aber Dany war gar nicht zu Lachen zumute, als sie die Begründung dafür hörte.
      "Das war also kein Traum?"
      Ihr gequältes Stöhnen ging in Prysks Lachen unter, das man schon fast als heiter hätte bezeichnen können, wenn es nicht auf ihre Kosten gegangen wäre.
      Der Wind frischte auf und ließ sie beide erzittern. Dany war froh um die beständige Wärme, die Prysk unter ihr ausstrahlte.
      "Einen Stahlklumpen. Hat er zerdrückt."
      Einen Stahlklumpen. Und Dany… Dany hatte ihm, verdammt nochmal, die Pranke abgewehrt. Dem Vieh, das freizeitlich Stahlklumpen zerquetschte.
      Sie schloss die Augen von der Übelkeit, die sie in Anbetracht ihrer kolossal schlechten Entscheidungen wieder überkam. Zu ihrem seltenen Glück drängte Prysk das Thema nicht weiter, sondern gab sich dem eintönigen, rhythmischen Marsch hin.
      Sie döste wieder ein mit dem Klimpern der Perlen an ihrem Ohr und Prysks Hitze an ihrem Körper. Seine Schulter war ganz angenehm, wobei sie bei dieser Erschöpfung vermutlich auch einen Steinboden bequem gefunden hätte. Dafür war der Rhythmus seiner Perlen beruhigend und während der wenigen Träume, die sie hatte, durfte sie sich vorstellen, dass Pollux sie trug und sie seinen sicherlich leckeren Geruch an seinem Hals wahrnehmen konnte.
      Sie wurde von Prysks Stimme wieder herausgerissen, die ihr am Kopf vibrierte. Vorbei war es mit Pollux - wieder. Mittlerweile war wieder einigermaßen Gefühl in ihren Körper zurückgekehrt, zumindest soviel, dass sie Schmerzen im Rücken und Nacken von der Position hatte.
      Sie brummte trotzdem unwillig.
      "Dir tut ein Bad sicher auch gut, Mistvieh."
      Wenn sie es sich recht überlegte, hatte sie Prysk nicht ein einziges Mal gerochen, auch wenn er sie schon seit Stunden trug und ihre Nase dicht an seinem Kragen lag.
      "... Auch wenn meine Nase kaputt ist. Glück im Unglück."
      Er blieb stehen und Dany rutschte langsam herab, um einen Fall zu vermeiden. Ihre Beine widerstrebten beim Aufkommen und grundsätzlich gab es wohl keinen einzigen Muskel in ihrem Körper, der nicht vor schmerzhafter Belastung aufschrie. Außerdem traf sie jetzt die Kälte am ganzen Körper; sie hätte es nie gedacht, aber sie vermisste die Wärme, die von Prysk ausging.
      "Wie weit ist es denn - oh."
      Sie brach ab, als sie mit vor Staunen geöffnetem Mund die Festung erblickte.
      Das Gebilde war wahrhaftig der Gipfel des Berges, aber anstatt wie ein paar deplatzierte Wände auszusehen, die man auf engstem Raum beieinander zu balancieren versucht hatte, sah die ganze Struktur eher so aus, als wäre sie aus dem Berg selbst gehauen worden. Wände, die so hoch waren, dass Dany keine Ahnung hatte, wie viele Stockwerke dahinter verborgen sein mochten, zogen sich in den grauen Himmel empor. Turmdächer in einer Form, die es unmöglich machten, ihre Bauweise zu ergründen, stachen wie gigantische Nadelspitzen in die Luft. Die ganze Festung war vermutlich fast so groß wie Cheynia.
      "Scheiße…"
      Dany hatte noch nie etwas derartiges in ihrem Leben gesehen. Sie hatte Ruinen gesehen, ja, aber Trümmerteile ließen selten auf das Gesamtbild zurückschließen.
      Sylvia schien nicht minder erstaunt, auch wenn sie schon länger Zeit gehabt hatte, das Werk zu betrachten. Ihre Augen glitzerten von dem Wunder frischer Entdeckungen und sie durfte den Luxus genießen, den Blick nicht abwenden zu müssen.
      "Wie ist sie bewacht? Was, wenn sich Plünderer hierher verirren? Wie werdet ihr sie los?"
      Dany setzte sich erst nach einem Moment wieder in Bewegung, stapfte Prysk hinterher, verschränkte die Arme gegen die eisige Kälte und wünschte sich unter aller Beschämung die Wärme des Mannes zurück.
    • Festung Galadhor.
      Das Wunder in der Einöde. Das steinerne Haupt der Welt. Die Schneekrone. Die Festung hatte eintausend Namen und mehr in den Sprachen der Menschen, Mutanten und allem, was dort kreuchte und fleuchte. Selten traf man noch völlig intakte Festungen aus der Zeit vor dem Kataklysmus an und noch seltener waren sie derartig groß und bewohnt.
      Schnee biss an ihren Füßen, als Prysk die fröstelnde Dany betrachtete und einmal mehr um das Gute in seinem Herzen kämpfte. Grunzend warf er ihr seinen noch warmen Reiseumhang zu und stand nur im dünnen Wams in der Schneewehe. Rufus hielt mit Walther an und sah grinsend zu Sylvia, die genauso fasziniert erschien wie er, als er das erste Mal vor den eisigen Mauern der Festung stand. Winterquartier mochte man es nennen. Die anderen nannten es viel eher das Tor zur Verderbnis. Jäger waren nicht für ihre guten Umgangstöne bekannt. Und beinahe erschreckend mochte es wirken, als Prysk zufrieden grinste und seine Hände in die Hüfte stemmte. Die kalte Luft spürte er nicht mal. Zu seinem Bedauern.
      "Festung Galadhor", murmelte er den Damen zu. "Wir haben es geschafft. Kommt. Auf hinein und lasst uns ein wärmend' Feuer und so manch reichhaltigen Frauenhintern zu Gemüte führen."
      "Prysk!", mahnte Lysander kopfschüttelnd. "Du bist ein Lüstling!"
      "Zehahahahahaha, das stimmt. Kommt. Mich dürstet nach schlechtem Met und zähem Fleisch!"
      Auf dem Weg in Richtung der Festungstore schnaufte Prysk ein bisschen mehr, obschon er kein Gewicht mehr zu tragen hatte. Die Wunden aus dem Kampf waren nicht verheilt, sondern wirkten eher zugefroren. Er musste noch weiter Blut verloren haben, ließ sich die Schwäche in seinen Beinen aber nicht anmerken.
      "Sie wird durch Jäger bewacht. Und allerlei andere Wesenheiten. Die Schneekrone ist ein Zufluchtsort für Viele und Vieles. Plünderer verirren sich selten hierher, muss ich sagen. Und wenn sie es tun, töten wir sie. Wie man es eben mit ihnen macht. Schockschwerenot, der schnelle Tod."
      "Das hast du geklaut!", mahnte Rufus und schüttelte den Kopf. "Schaut dort vorne! Da sind die Torwachen!"
      Mit ruhigen Schritten erreichten sie das massige Tor der Festung, das im Schein des fahlen Abendlichtes in einem finsteren Schwarz erstrahlte. Der Stein des Tores war so glatt gehauen worden, dass es einem wie eine polierte Fläche erschien. Dort, in luftiger Höhe standen zwei dunkle Gestalten und blickten in Winterfellen zu ihnen herab.
      "Heda!", rief eine dunkle Stimme hinab, die den Akzent des Südens trug. "Wer geht dort?!"
      Prysk grinste breit, als er die Stimme erkannte.
      "Mach das Tor auf, du alter Findling! Ich bin es!"
      "Prysk?!", rief der Wächter herunter und lachte. "Dass ich deinen faltigen Arsch noch mal sehe...Warte."
      Es dauerte ein paar Minuten und einige quietschende Apparatschaften, bis das steinerne Tor sich aufschob und einen Blick den verschneiten Innenhof preisgab. Selbst hier bestand alles aus grob behauenem Stein und wurde durch eine Armee von Fackeln an beiden Enden des Hofes beleuchtet. Sanft glitte die Flammenfinger der Fackeln über Steine und Schnee hinweg und tauchten den Innenhof in überirdisches Licht.
      Der Wächter war hinab geeilt und stand nunmehr grinsend vor ihnen. Das Gesicht des Mannes war wettergegerbt und ein flaumiger Bart umspielte sein Kinn. Die hellen Augen stachen wie Pfeile durch die Nacht, während die Haare einem entflohenen Weichtier ähnelten. Er hätte sich wirklich kämmen können.
      "Tjark", grüßte ihn Prysk und wie Brüder fielen Sie sich in die Arme.
      "Du siehst scheiße aus!", lachte der Wächter und nickte den anderen zu. "Ich bin Tjark, angenehm."
      "Das sind Sylvia und Scheißhaus."
      "Dany", sagte Rufus und verdrehte die Augen. "Sie heißt Frau Dany."
      "Rufus kennst du ja."
      Tjark lachte erneut kehlig und irgendwie heiser. Das Winterfell um seine Schultern wippte im Takte mit und der Fuchskopf wirkte beinahe merkwürdig lebendig, wenn man es genau betrachtete.
      "Also Sylvia und Dany. Angenehm. Wenn ihr Prysks Freunde seid, seid ihr meine. Kommt herein. Im Speisesaal wartet ein Feuer und gutes Essen. Dort könnt ihr euch wärmen."
      Er wies mit den Armen in den beleuchtete Innenhof, wo so manch Kreatur inne zu halten schien. Mutanten, Menschen, Zwielichtsgestalten. Sie alle fanden sich hier und gingen noch ihrem Tagewerk nach, das dem Leben der Festung diente. Man sah eine Art Troll einen Schleifstein schleppen, während ein Mensch ihn befestigte. Gleichsam erschien es harmonisch, im prasselnden Schein des Feuers. Frauen wie Männer, Wesen wie Unwesen. Alles arbeitete vereint und mit Blick auf das Essen, das sie alle erwartete.

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    • Zu aller Überraschung schien Prysk einen so großmütigen Tag zu haben, dass er Dany sogar noch seinen Umhang überließ, nachdem er ihren schlaffen Körper stundenlang schon getragen hatte. Sie kommentierte sein Grunzen mit einem gemurmelten Danke, das hoffentlich leise genug war, dass er es nicht richtig verstand. Trotzdem wickelte sie sich den Umhang so eng um, wie es nur möglich war.
      Je höher sie stiegen, desto beißender wurde der Wind und desto mehr Schnee lag am Boden. Selbst mit Umhang war Dany nicht für ein solches Wetter gerüstet; jeder Schritt war ein Akt und die Kälte ließ ihre Muskeln nur noch mehr brennen, als sie es eh schon taten. Keiner von ihnen schien wirklich von der Temperatur angetan zu sein, aber erstaunlicherweise war es Prysk mit seinen wenigen Lagen Klamotten, der keine Anzeichen von sich gab, irgendwie kalt zu sein.
      Zum ersten Mal fragte Dany sich, ob mit dem Mann alles in Ordnung war.
      Sie erreichten das Tor, das genauso gut für einen Riesen hätte errichtet werden können. Der Rahmen war aus dichtem Stein, genauso wie das Tor selbst. Für einen Bau dieser Größe benötigte es vermutlich hundert Männer, um es überhaupt zu verschieben. Woanders hätte man von der schieren Menge sicher ein ganzes Haus bauen können.
      Wie angekündigt gab es einen zugehörigen Wächter, der gleich erfahren wollte wer sie waren, kaum als sie den Bereich überhaupt erreicht hatten. Als ob sie irgendetwas gegen dieses gigantische Tor anstellen könnten, dachte sich Dany missmutig, die dazu bereit war, dem Mann eine Beleidigung um die Ohren zu werfen, einfach nur, weil sie konnte. Prysk kam ihr aber zuvor und einen Moment später setzte sich das gewaltige Monstrum von einem Tor in Bewegung.
      Es zu durchschreiten glich in eine andere Welt einzutreten. Die Trübnis der vorherigen Landschaft wich einem belebten Fackellicht, das sämtliche Bewohner der Festung zu erhellen schien - und dabei gab es viel mehr Auswahl, als Danys hinterwäldlerischer Verstand im ersten Moment begreifen konnte. Denn längst nicht alle dieser Bewohner waren menschlicher Natur oder überhaupt erst humanoid.
      Der Torwächter kam herab um Prysk in den Arm zu nehmen - warum das irgendwer freiwillig tun mochte war Dany ein Rätsel - und sich dann bei den anderen vorzustellen. Er sah ein bisschen wie jemand aus, der zu viel vom Leben und zu wenig vom Frieden erfahren hatte.
      "Das sind Sylvia und Scheißhaus."
      "Leck mich."
      "Dany. Sie heißt Frau Dany."
      "Dany reicht. Kein Frau."
      Der Mann - Tjark - schien sich göttlich über ihre Ankunft zu amüsieren. Vielleicht war die Truppe ja lange weg gewesen, schoss es Dany durch den Kopf. Vielleicht freuten sie sich auch über menschliche Gesichter unter den ganzen Mutanten.
      "Freunde würde ich das nicht nennen", nuschelte Dany, erhob dann aber erst recht keinen Einspruch, als Tjark von einem Feuer und von Essen sprach. Essen. Sie hatte nicht mitbekommen, wie hungrig sie war, aber zugegeben, mit dem Dolch und ihrem Merch-Entzug blieb für solche Kleinigkeiten nicht mehr genug Aufmerksamkeit. Jetzt meldete sich aber ihr Magen und sie blieb still, um die Prozession nicht noch aufzuhalten.
      Sie marschierten durch den belebten Innenhof, in dem mehrere Paar Augen sich auf Dany richteten - mehrere verschiedene Paare, wohlgemerkt. Da war ein Mutant mit katzenartigen Auswüchsen, ein Mutant mit einem zu großen Kiefer und zu kleinen Augen, ein Mensch, der einem Mutanten mit astähnlichen Gliedmaßen dabei half, Kisten herumzuschleppen. Jemand, der wie ein Troll aussah und einen Schleifstein schleppte. Eine Frau, die einen Vogel auf der Schulter trug, der definitiv nicht ganz ein Vogel war.
      Dany wären die Augen beinahe aus den Höhlen gefallen bei der schieren Vielfalt an Lebewesen, aber sie gaffte nur, während die Truppe den Hof durchquerte und auf der anderen Seite das Gebäude betrat. Sofort wurde es wärmer und kaum, als die Tür hinter ihnen zugefallen war, auch wesentlich ruhiger.
      "Wohnen die etwa alle hier?", fragte Sylvia, die sich wohl genauso wenig von diesem Anblick erholt hatte. "Und können die etwa alle kämpfen?"
      Dany warf der Frau einen Blick zu, konnte aber nicht erahnen, woher sie nun plötzlich den Gedanken hatte, dass diese Festungsbewohner kämpfen würden. Vielleicht eine Angewohnheit.
      Sie kamen durch ein Gewirr von Gängen, in denen Dany sich nie allein zurechtfinden würde, zu besagtem Speisesaal, der in etwa die Größe ihres Schankraums hatte. Auch hier gab es noch ein paar Herumlunger, aber bis auf die paar Gespräche und das Klappern von Besteck war es recht ruhig.
      Dany peilte sofort das Feuer an. Sylvia setzte sich mit den anderen bereits an den Tisch und grub noch mehr Fragen aus, die sie entweder Tjark oder einem anderen zuwerfen konnte. Ganz anscheinend war durch diesen Besuch ihre Fantasie angeregt.
      Sie aßen, auch wenn Dany momentär vergaß, was Essen überhaupt bedeutete. Sie hatte seit Triuce nicht mehr gut gegessen. Nein, seit Cheynia. Nein, überhaupt noch nicht. Sie kaute nicht, sie stopfte sich den Mund voll, verlor die Hälfte dann wieder und schluckte runter.
      "Und ihr seid alle Jäger?", fragte Sylvia, immernoch gänzlich beeindruckt.
    • Die in dem Innenhof brennenden Feuer verschleierten nur notdürftig die neugierigen Blicke auf die Neuankömmlinge.
      Das einzig bemerkenswerte war die Freundlichkeit, mit welcher sie die Neuen anlächelten. Selbst die Auswüchsigen, wir sie die Mutanten hier nannten, grinsten in ihre Richtung und nickten zum Teil. Der Troll schmetterte das schwere Steinelement auf einen Radkasten und winkte fröhlich, ehe sie in den Katakomben der Festung verschwanden.
      Hier drin schien die Luft zwar weiterhin kühl, aber dennoch nicht kalt zu sein. Rufus begann, sorgsam seinen Mantel abzulegen, während Lysander neugierig auf der Schulter des Lehrlings landete.
      Tjark, der voran ging grinste breit und jetzt erst wurde ein Teil seiner Fähigkeiten offenbar. Der Fuchskopf der Stola ums einen Hals begann sich zu schütteln und hob sich leicht an, sodass dieser über die Schulter nach hinten zu Sylvia sah.
      "Ah, sieh an...Neulinge...", wisperte er zischend und bleckte hellgelbe Reißzähne und ein überirdisches Leuchten in den dunklen Augen.
      "Ah, das ist übrigens Evers", murmelte Tjark und wies auf den Fuchs. "Ein alter Begleiter schönerer Tage."
      Zu Sylvia gewandt sagte der Jäger:
      "Wohnen würde ich das nicht nennen. Dies ist Galadhor, die Freie Festung. Sie steht allen Aussätzigen und anderem Gesocks frei. Ein Jeder, der hierher kommt, tut es aus den gleichen Motiven: Weil sie etwas suchen oder etwas gefunden haben. Manche suchen ein Zuhause, manche nur ein Bett für die Nacht. Und wir Reliktjäger schützen diese Festung vor Widrigkeiten."
      Prysk, der ruhig hinter der beiden Frauen ging und mit jedem Schritt sich selbst durch das Klimpern seiner Perlen ankündigte, übernahm den Faden, den Tjark gespannt hatte.
      "Nicht alle hier können kämpfen", sagte er. "Sie sind Zivilisten, Wesen, die ein Heim suchen und bereit sind, ihren Teil hierzu beizutragen. Jeder hat in dieser Festung eine Aufgabe. Manche kämpfen..."
      "...und manche haben andere Aufgaben", zwitscherte Lysander. "Ich zum Beispiel gehöre dem Jagdtrupp an, der in den Wäldern südlich jagen wird, sobald die Schneeschmelze einsetzt. Rufus ist Teil der Verwaltung, wenn man es so nennt."
      "Ja", sagte Rufus grinsend. "Wir achten auf die Lager und Geldbestände und sorgen für Ware und Material."
      Der Essensraum war bereits jetzt gut besucht und eine ganze Schar von Gesprächen empfing die Ruhe mit einer Urgewalt. An den Tischen saßen die unterschiedlichsten Kreaturen und Menschen und unterhielten sich wie Geschwister oder Familien. Man lachte oder ärgerte sich gemeinsam. An einem Tisch wurde ein Armdrücken veranstaltet, um dessen Kontrahenten sich eine Traube von anfeuernden Wilden gebildet hatte. Ein Mensch mit adrigen Oberarmen und buschigem Bart focht dort gegen einen Mutanten, der sechs Finger besaß, die mehr nach einer Steinhaut aussahen als normaler. Das gewaltige Feuer an der Kopfseite des Raumes knisterte und wärmte sie alle. Selbst Prysk wurde ruhiger, als er eintrat.
      Bemerkenswert war hier, dass er sich von der Gruppe beinahe augenblicklich entfernen musste. Ein Jubel ging durch eine Gruppe von Männern und Frauen, als er ihnen entgegen kam und Jeden von ihnen umarmte er wie einen Bruder oder eine Schwester. Eine Frau setzte sogar einen Kuss auf seine Wange und begann, angeregt mit ihm zu reden. Zwei kleine Kinder, die allesamt Mutationen besaßen hefteten sich an jeweils eines seiner Beine, was er mit einem herzlichen Lachen zur Kenntnis nahm und die Beiden von Gesprächspartner zu Gesprächspartner zog.
      "Und Prysk", murmelte Tjark grinsend. "Prysk ist eigentlich Zimmermann. Aber eigentlich repariert er alles. Zumeist wollen alle ihre Unterkünfte geflickt oder das Dach gedeckt bekommen. Und wer seid Ihr? Wo kommt Ihr her? Was treibt Euch in die Kälte?"

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    • Dany kam nicht klar mit der Anzahl an Mutanten, die hier überall herumspazierten. ... Nein, das war es nicht ganz, auch wenn sie für den längsten Weg durch die Festung geglaubt hatte, dass sie dieser Umstand so störte. Es irritierte sie viel eher, dass Mutanten und Menschen hier herumliefen, als würden sie sich an der Anwesenheit des jeweils anderen nicht stören, als wäre Mensch Mutant und Mutant wäre Mensch und allen wäre es egal, ob man Haare hatte oder einen Schweif oder ob man klein genug war, um unter dem Tisch stehen zu können und ob man überhaupt die richtigen Stimmbänder besaß. Alle gingen ihren eigenen Aufgaben und ihren eigenen Interessen nach und es funktionierte. Niemand sprang sich an die Kehle. Niemand warf Steine auf den anderen. Niemand wurde gehänselt, weil er eine Gliedmaße zuviel besaß.
      Dany beobachtete den friedlichen Trubel und hasste es. Sie hasste, dass es nicht überall so zuging, wie sie es in ihrer Vereinigung gelernt hatte. Sie hasste, dass man hier ihre Weltanschauung über die Tatsache, dass Mutanten und Menschen nicht zusammenleben konnte, gründlich auf den Kopf stellte. Sie hasste, dass sie hier etwas hätte finden können, was ihrem Leben verwehrt worden war. Sie vermisste ihre Leute, aber im Moment war das Gefühl so schwach wie nirgends anders.
      Ganz besonders ätzend war es Zeuge dessen zu werden, dass Prysk wohl ein gewisses Ansehen hier genießen musste. Zu ihrer völligen Überraschung schien seine Ankunft gefeiert zu werden, wie ein lange vermisster Held, der jetzt doch wieder nachhause gekommen war. Redeten sie hier alle vom selben Prysk? War der Prysk, dem sich eine Frau hier fast um den Hals warf, derselbe Dreckskerl, mit dem sich Dany geprügelt hatte? Sicher nicht. Wann hatte sich dieser Prysk ausgewechselt?
      Ganz besonders zogen sie die Kinder in Bann, die aus dem Nichts auftauchten und gänzlich verunstaltet waren. Verunstaltet, weil so es die Wissenschaftler in Danys Truppe genannt hätten, die sich um die Fortpflanzung kümmerten. Verunstaltet, weil ganz offensichtlich die Gene des mutantischen Elternteils den Genen des menschlichen Elternteils ebenbürtig waren. Und das konnte schließlich kein vernünftiges Ziel sein, das wäre ja so, als wolle man die Menschheit absichtlich dazu verdammen unterzugehen.
      Aber diese Kinder lachten und kreischten und warfen sich an Prysks Beine, um zu versuchen, ihn zu Fall zu bringen. Ganz besonders waren sie aber schon einige Jahre alt, wesentlich älter als sie hätten werden sollen, weil man sie aussortiert hätte. Aussortieren sollte. Das Überleben der Menschheit sichern, indem die menschlichen Attribute weiter gefördert, gestärkt und durchgebracht wurden, während fehlerhafte Mutationen aussortiert wurden. Es war doch ganz einfach.
      Dany hasste das Kindergeschrei. Sie beugte sich tief über ihren Teller und schaufelte sich ihr Essen hinein.
      "Zimmermann?"
      Die verfluchte Sylvia war dafür ganz interessiert. Natürlich war sie das.
      "Ich dachte Jäger sind Krieger. ... Oder sowas. Ich bin Sylvia, komme aus Triuce. Ich bin nur hier für die Bezahlung."
      Mit der sie Dany und ihre Schuldenliste meinte, die Sylvia eines Tages einfordern würde. Vermutlich, wenn Dany wieder flüssig war.
      "Dany", murrte sie selbst in ihren Teller hinein. "Hab ein Artefakt."
      Sie hatte zu leise gesprochen oder vielleicht hatte Tjark sie über den Lärm nicht richtig gehört. Er fragte auch sehr freundlich nach, aber irgendwie brachte das das Fass dennoch zum Überlaufen. Die Wut platzte aus ihr heraus, bevor sie sie zurückhalten konnte.
      "Ein ArteFAKT!!", schmetterte sie ihm entgegen und kam zumindest in den Genuss, seinen dämlichen Fuchsfreund zucken zu sehen. Sollte der scheiß Mutant sich doch fürchten, Menschen waren immer noch besser. Irgendwie. Sicherlich. Ganz bestimmt.
      Gottverlassene Scheiße, sie hätte jetzt alles für ein bisschen Merch getan. Nur ein bisschen. Genug aber ein bisschen. Sie stützte die Ellbogen auf dem Tisch auf und vergrub das Gesicht in ihren Händen. Wenn sie noch weiter Kindergeschrei von diesen lebenden Ungetümen zu hören bekam, würde sie noch durchdrehen.
      "Prysk hat irgendwas von einem Bad gesagt. Gibt's hier sowas?"
    • Tjark nahm die Teller für sie alle entgegen und bedeutete ihnen mit einem Grinsen, mit dem Essen zu beginnen.
      Rufus, der sich sorgsam neben die beiden Frauen gesetzt hatte und von dem leckeren Eintopf zu essen begann, blickte auf, als die ersten Fragen über den Tisch fuhren. Tjark indes nahm einen großen Löffel des Eintopfs, der aus Fleisch und Gemüse zu bestehen schien und schob ihn sich breit grinsend in den Mund, ehe er nickte.
      Rufus übernahm dankenswerterweise, um weitere Auswüchse eines vollen Mundes und eines Gesprächsversuchs zu verhindern.
      "Ja, Prysk arbeitet hier meist als Zimmermann. Eigentlich repariert er nur Dinge. Die Festung ist ganz schön herunter gekommen über die Jahre. Und wir haben leider keinen Steinmetz, der uns die stabilen Strukturen repariert. Also sind wir hier auf das Flicken angewiesen."
      Lächelnd schaufelte auch er sich gierig das Essen in den Mund, während eine junge Frau mit drei Augen und viel zu großen Ohren ihnen jeweils einen Becher Met auf den Tisch stellte.
      Auch dies wurde seitens so mancher anderen Gruppe mit einem Jubeln aufgenommen und gierig stürzte man Flüssigkeiten und feste Nahrung in den Schlund hinein. Die GFespräche waren zwischenzeitlich ein beständiger Lärm geworden, sodass es mitunter wirklich schwierig war, den Gesprächen zu folgen. Mehr und mehr Menschen tauchten auf und setzten sich wie Brüder zu Mutanten oder anderen. Man befragte sich nach dem Tagewerk, beschwerte sich über Vorarbeiter oder fragte schlicht nach der Familie, die auch auf der Festung lebten.
      "Wir Reliktjäger sind Krieger, wenn man so will", murmelte Tjark mit vollem Mund. "Aber unsere Arbeit hat sich in den letzten Jahren merklich gewandelt. Manche von uns leben beinahe die ganze Zeit auf der Festung. Sie sind die "Wachen", wenn man so will. Und dann gibt es Wanderer. Wanderer gehen in die Welt hinaus und jagen dem nach, was wir alle eigentlich taten. Man sucht Relikte, um sie zu Geld oder anderer Ware zu machen. Und dann gibt es noch den Lehrer. Er steuert das ganze hier. Als eine Art Anführer. Ihr werdet ihn bestimmt kennen lernen."
      Grinsend wurde es nicht gerade wenig offenkundig, dass Tjark die junge Frau in Augenschein nahm und zumindest nicht beschämt wegsah. Weiteressend hörte er ein Murmeln aus der Ecke, dessen er sich gerade annehmen wollte, als es aus Dany derart herausbrach, dass Evers beinahe von seiner Schulter hüpfte.
      Um sie herum erstarben beinahe alle Gespräche und selbst Prysk, der in einiger Weite entfernt stand, fuhr herum und sah mit zornigem Blick herüber. Tjark jedoch winkte grinsend ab.
      "Schon gut. Entschuldigt, wenn ich Euch zu nahe trat", sagte er eilig und wischte sich über den Mund. "Ja, natürlich. Es war eine lange Reise für euch. Rembrandt?!"

      Aus der Masse der Wesenheiten, die ihre Gespräche nach kurzer Irritation wieder aufgenommen haben, schälte sich ein hochgewachsener, junger Mann heraus. Sein Gesicht war ohne Bart und beinahe zu weich für ein hartes Leben auf der Straße. Die Augen des Jungen Mannes leuchteten wissbegierig, als er zu Tjark an den Tisch trat, lediglich in einem Wams und einer Lederhose bekleidet. Die schweren Rehlederstiefel kratzten über den Boden.
      "Ja, Maester Tjark?"
      "Würdest du die junge Dame zu den Bädern führen?"
      "Mit Vergnügen. Bitte folgt mir."
      Lächelnd ging er voraus und führte Dany durch den Speisesaal hindurch. Einige Blicke folgten ihr, die meisten jedoch unbeteiligt. Schweigsam schritt der junge Mann erneut in die Kälte des Hofes hinaus und durchquerte den Innenhof in südlicher Richtung, beinahe an das Heck der Festung. Aus einem kleinen Gebäude, das etwas abseits der anderen erbaut worden war, drang durch einen grob gehauenen Schornstein weißlicher Dampf in die kalte Luft. Die zähe, warme Luft des Bades war beinahe riechbar, als sie dem Haus näher traten.
      "Dort ist unser Badehaus", sagte Rembrandt nicht ohne Stolz in der Stimme. "Du findest dort einige Zuber. Es ist nicht unterteilt in Männer und Frauen, also entschuldige ich mich im Voraus für alles, was du vielleicht sehen wirst. Das Wasser ist warm und sollte ausreichend vorhanden sein."
      Er öffnete die Tür und heraus stach eine ganze Woge warmen Dampfes, der sich fächerartig über den Schneematsch am Boden ausweitete. Auch dort drinnen drangen Gespräche an ihre Ohren, jedoch zumeist verhalten und ruhig. Rembrandt ließ Dany ein und schloss die Tür wieder sorgsam, ehe er sich umdrehte und auf die Parzellen zeigte.
      Der Raum war nicht besonders groß, aber unterteilt in mehrere Parzellen, die durch Steinwände abgegrenzt waren. Davor hatte man Holzstangen gespannt und einen Vorhang aus grobem Tuch vorgelegt, damit man nicht einsehen konnte. Einer der Zuber wurde gerade von einem jungen Mädchen gefüllt, die sich eilig verzog, als sie näher kamen.
      "Nimm dir so viel Zeit wie du brauchst", sagte Rembrandt und grinste, ehe er sich zum Gehen wenden wollte. "Wenn du etwas brauchst, ruf einfach danach!"

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    • Zornig sprang Dany auf und stapfte einem Mann nach, der zu jung und zu weich für sie war. Augenblicklich musste sie ihn mit Pollux und dessen sanften Zügen vergleichen, aber Pollux hatte selbst mit seiner Jugend eine gewisse Herrschaftlichkeit ausgestrahlt, die so charmant gewesen war. Pollux hätte alles in den Griff bekommen. Der hier sah aus, als würde er das Handtuch werfen, sobald die Lage zu schwierig für ihn würde.
      Entsprechend sparte Dany sich den Versuch, sich irgendwie bei ihm gut zu stellen und konzentrierte sich lieber darauf, mit ihrer finsteren Miene alle anderen davon abzuhalten, sich den beiden zu nähern. Sie hasste es hier. Sie wollte gehen, so schnell es möglich war.
      Sie gingen zurück in den Innenhof, der jetzt nach dem Feuer viel kälter war als noch zuvor, und strebten ein kleineres Gebäude an, das von dem Dampf aus dem Schornstein bereits Wärme versprach. Es hellte Danys Stimmung zwar nicht auf, aber sie fühlte sich etwas weniger verspannt, als sie hineingingen.
      Es gab abgegrenzte Bereiche mit einzelnen Zubern, aus denen es kräftig dampfte. Einer schien gerade gefüllt zu werden, sehr zu Danys Erleichterung.
      Fast hätte sie gedacht, dass der Typ bleiben würde. Fast hätte sie gehofft, dass er es anbieten würde, einfach nur um zu sehen, ob sie ihn zu mehr bringen konnte, ob sein jugendlicher Körper vielleicht ihre Fantasien über Pollux befriedigen könnte. Nur, weil sie konnte. Nur, weil sie am Rande ihrer Nerven war und ein Ventil brauchte, um sich abzuregen, nachdem sie nicht mehr Prysk da hatte, den sie beleidigen könnte. Aber sie konnte sich nicht dazu bringen, ihn zu fragen, also murrte sie nur etwas unverständliches, ehe sie dabei zusah, wie er nach draußen ging. Dann war sie allein.
      Hinter den anderen Vorhängen drangen Gespräche heraus, gedämpft und dunkel. Irgendwo schwappte Wasser, entweder weil es getragen wurde oder weil jemand darin Sex hatte.
      … Echt jetzt? Hatte sie es so nötig? Griesgrämig ging sie zu dem freien Zuber hinüber und riss den Vorhang hinter sich zu.
      Das Wasser war warm aber nicht heiß. Es hatte gerade die richtige Temperatur, um sie zum Stöhnen zu bringen, als sie sich hineinließ. Ihre Muskeln kämpften sich aus der schmerzhaften Verspannung heraus und ihr Körper erinnerte sie mit einem Stechen daran, dass sie Wunden hatte, die jetzt mit dem Wasser in Berührung kamen.
      Von dem Nachbarbereich kam ein kehliges Lachen.
      "Mach das nochmal, Mädel! Aber ein bisschen lauter, dass ich es hören kann!"
      "Schnauze halten, bevor ich sie dir einschlage!", keifte Dany gereizt zurück, was ihr nur ein weiteres Lachen einbrachte. Es hörte sich rauchig an.
      Von irgendwo weiter hinten kam eine ältere Frauenstimme.
      "Benimm dich Arwen, sonst darfst du dich draußen waschen!"
      "Ich bin zahm wie ein Löwenwelpe!", war die Antwort.
      Dany schloss die Augen und blendete die Stimmen aus.
      Nach einer Weile war ihr warm genug, dass ihre Gedanken in andere Richtungen driften konnten. Sie wollte nicht an die Mutanten denken, die dort draußen hinter der Tür in Frieden lebten und sie wollte auch nicht an ihren Dolch denken, weil sie dann nur darauf aufmerksam würde, wie sehr sie sich nach ein bisschen Merch verzehrte. Sie dachte einen Moment lang an Prysk, weil die Wärme sie an seinen warmen Rücken erinnerte, und dachte dann ganz automatisch weiter an Pollux, an sein hübsches Gesicht, an seinen Blick auf ihr. Sie dachte an den Ansatz seines wunderbaren Körpers unter der Kleidung und wie er sie angelächelt hatte. Sie dachte an seine Bewegungen im Kampf und stellte sie sich auch woanders vor. Sie stellte sich vor, dass er nicht vor ihr sondern über ihr war, dass er sie anlächelte aber in einer Weise, mit der er feststellte, dass er sie fressen wollte. Sie stellte sich vor, dass sein Körper so weich war wie er aussah, aber gleichzeitig von harten Muskeln gestählt. Sie stellte sich vor, dass er sich zu ihr hinabbeugte…
      Ihre Hand glitt ins Wasser und zwischen ihre Beine. Sie dachte immernoch an Pollux, während sie sich selbst befriedigte. Sie kam in dem Moment, als sie sich vorstellte, dass er ihr mit seiner samtig weichen Stimme ins Ohr flüsterte, dass er immer da sein würde, dass er sie nicht verlassen würde. Im Nachhinein war es irgendwie erbärmlich und unbefriedigend.
      Sie hatte gar nicht gemerkt, dass sie eingeschlafen war, aber plötzlich wurde der Vorhang zur Seite gerissen und sie zuckte hoch. Vor ihr stand eine splitternackte Frau, die sicher 300 Jahre alt war.
      "Huch! Ich dachte, du wärst ertrunken, Liebes! Wie lange bist du schon hier?"
      Dany setzte sich auf und gab eine grunzende Antwort von sich, die gar keine Antwort war. Ungefragt kam die Alte hereinspaziert.
      "Götter, wie siehst du nur aus! Warst du etwa außerhalb der Festung? Kennen wir uns überhaupt? Komm her, lass mich deine Haare ansehen. So jung und so verfilzte Haare!"
      Dany wollte protestieren, dass sie gar nicht so jung war, aber da war die Alte schon bei ihr und strich ihr die Haare zurück.
      "Ich hab einen Kamm, komm, lehn dich an. Sei nicht so störrisch, so kannst du doch nicht rausgehen!"
      So wie es sich herausstellte war die Frau in gewissermaßen die Besitzerin des Badehauses und diejenige, die dort alles instand hielt. Sie redete viel und außerdem war sie zwar irgendwie fürsorglich, aber ihre Bewegungen waren scharf und rissen Dany regelmäßig Haare aus. Ihr tränten die Augen, aber sie ließ die Frau machen, weil sie sich einfach nicht abwimmeln ließ.
      "... und dabei sage ich immer allen, dass sie es nicht so weit treiben sollen, aber hören sie auf mich? Götter, nein! Es ist wie ein Theater hier, warst du schonmal in einem Theater, Liebes? Das gibt es ja heutzutage gar nicht mehr aber früher, als ich noch ein Kind war, da kam immer ein Straßenkünstler zu uns in den Ort und hat uns Kinder zusammengerufen, damit wir…"
      Dany stöhnte. Fast war das noch schlimmer als der Dolch.
      Aber die Frau, Vera, wusch ihr die Haare gründlich und kämmte sie. Sie wusch Dany auch den Rücken und all die Stellen, die Dany übersehen hatte. Und mit Übersehen meinte sie gar nicht gewaschen, weil sie sich schließlich nur ins Wasser gelegt hatte. Zum Schluss war sie aber tatsächlich zum ersten Mal seit Monaten richtig sauber und selbst ihre Haare waren besser als in Cheynia. Sie waren weich und glänzten und waren nur noch feucht vom Wasser. Sie fühlte sich gut.
      Vera hatte auch das alte Merch unter ihren Fingernägeln entdeckt, aber keinen Kommentar dazu abgegeben, selbst dann nicht, als sie unter einem Fingernagel etwas geblutet hatte. Jetzt aber, als Dany sich endlich anzog, drückte sie ihr ein Handtuch gegen die Finger.
      "Geh zum Krankenflügel, Liebes. Die werden dort wissen, was zu tun ist."
      Dany nickte nur. Sie verspürte längst nicht mehr den verheerenden Zorn von vorhin.
      Auf dem Weg nach draußen sah sie, dass der Zuber neben ihr schon längst leer war.
      Sie ging zurück zum Haupthaus - zumindest dem, was sie für das Haupthaus hielt - und verirrte sich dann in den Gängen auf dem Weg, einen Krankenflügel zu finden, von dem sie keine Ahnung hatte, wo er nur sein konnte.
    • Prysk stand mit entblößtem Oberkörper in der Kammer der Heiler und sah verdrießlich drein.
      Nicht nur, dass die Kinder und ihre Anverwandten ihn nicht hatten gehen lassen, nachdem er zurück gekehrt war, sondern auch bedingt durch die Tatsache, dass sich Scheißhaus derartig daneben benehmen würde. Einfach Tjark anzuschreien. Sie konnte froh sein, dass der Fuchsgeist ihr nicht die Augen ausgerissen hatte. Die wenigsten wussten um Tjarks Begleiter und seine Fähigkeiten. Der eisige Blick des Fellwesens soll angeblich selbst die größten Kreaturen einfrieren oder zumindest zum Halten bringen. Generell! Was erlaubte sich dieses Weib?! Ständig schimpfte sie auf Prysk oder alles andere. Und wenn er ihre Blicke beim Betreten der Burg richtig deutete, war sie selbst hiervon nicht angetan. Obschon dies hier Prysks kleines Paradies war. Ein Zuhause, wie er es lange nicht hatte. Seufzend knurrte er Unverständliches Zeug, während eine Frau mit einem rauen Gewand ihn ansah und missbilligend die Hände in die Hüften stemmte.
      "Also wirklich! Wenn du vielleicht mal eine Sekunde lang zuhören würdest?!"
      Ihre Stimme drang durch die geöffnete Tür der Kammer hinaus in den Flur des Flügels, den sie den Heilungsflügel nannten. Die Wände waren ungeschmückt und lediglich zwei, drei Fackeln erhellten den schmalen Gang. Zu beiden Seiten gingen Türen in andere Kammern ab, doch nur in dieser einen hier brannte Licht in Form von drei großen Fackeln und mehreren Kerzen.
      Die Heilerin, Madame Miranda, war eine stolze und umsichtige Frau. Einstmals verurteilt aufgrund wahlloser Hexerei war die Kräuterfrau auf eigene Faust in die Berge geflohen und hatte sich mit der mannigfalten Kräuter und Heilungswelt der Schneelande vertraut gemacht. Ärgerlich blies sie sich eine Strähne des dunklen Haares aus dem hageren Gesicht und sah missbilligend zu Prysk.
      "Entschuldige", murmelte er und kratzte sich am Kinn. "Hatte gerade einen Alptraum."
      "Alptraum, soso...", grinste sie und schüttelte den Kopf, ehe sie die Stoffbahnen von seiner Brust nahm. "Du wirst ein Bad hiernach brauchen. Die Pflanzenkleie hilft beim Heilen, aber sie ersetzt nicht eine gute Waschung, mein Junge."
      "Verstehe."
      "Würdest du mir vielleicht sagen, weshalb du dich ständig in irgendwelche Kämpfe wirfst?! Du musst auf dich achten, Junge. Auch wenn dein Leib sicherlich anders als der der anderen ist, aber er ist nicht unverwüstlich..."
      "Ich weiß, Miranda", murmelte Prysk kleinlaut und sah an seinem Leib hinab.
      Noch immer war der Oberkörper des Jägers stärker definiert als er aussehen mochte. Sicherlich wirkte er nicht so aufgepumpt wie andere Jäger, aber seine Muskeln waren drahtig und trainiert. Und ja, sein Leib war stark. Stärker als so mancher aber auch Prysk bemerkte seit dem Kampf mit Pollux mehr und mehr seine Grenzen.
      "Prysk", rief Miranda ihm zu, da er sich schon umdrehte. "Zum einen bist du noch immer halbnackt und zum anderen: Müssen wir uns in Sicherheit bringen? Wenn Zedyrs Auge dich schon so leicht aufspürt..."
      Für einen Moment hielt er inne und seufzte. Sollten sie sich in Sicherheit bringen...Im Grunde müsste er sagen, sie sollten fortlaufen. Auf der anderen Seite hatte er die Mauern der Festung vermisst. Die Gesichter, die Menschen und anderen Wesen. Das Wasser, das Essen und etwas anderes zu tun als zu kämpfen.
      "Ihr habt nichts zu befürchten", sagte er grimmig und wollte sich bereits zum Gehen wenden, um die grünlichen Pflanzenreste von seiner Brust zu waschen. Die Kälte machte ihm nichts aus und auch die merkwürdigen Gedanken, die seinen Kopf heimsuchten und sich um ein stinkendes Weib mit Drogenproblem drehten würden alsbald der wohligen Wärme seines Heims weichen. Er brauchte nur diesen verfluchten Dolch zu untersuchen.
      "Das schwöre ich", murmelte er und trat auf den Gang hinaus, nur um gleich wieder zu seufzen.
      Das durfte doch nicht wahr sein! Selbst in den Annalen der Burg war man nicht vor diesem Weib sicher. Auch wenn Prysk zugeben musste, dass fernab jeden Drecks und mit gekämmten Haaren eine durchaus ansehnliche Frau unter der stinkigen Schale steckte.
      "Hey Scheißhaus!", rief er und legte den Kopf schief und die Hände in die Hüften. "Was soll das Herumschleichen?! Hast du dich verirrt?!
      "Prysk!", donnerte Madame Miranda von drinnen und trat auf den Flur. "Wie kannst du es wagen, eine Dame mit Scheißhaus zu betiteln! Wir sind doch keine Tiere!"
      "Miranda, ich..."
      "Keine Widerrede, Junge. Du wirst dich entschuldigen!"
      "Nein!"
      "Doch!"
      "Nei-en!", knurrte Prysk in ihre Richtung und fing sich einen grausig kalten Blick.
      "Ich werde den anderen sagen, sie sollen keine Huren mehr bestellen wegen einer ansteckenden Geschlechtskrankheit!"
      Für eine Sekunde wurde der Jäger bleich und sah entsetzt zu der Ärztin.
      "Das wagst du nicht!"
      "So wahr ich hier stehe, du Rüpel! Also los!"
      Grimmig dreinblickend und mit den Händen in den Hosentaschen knirschte der Jäger ein "Entschuldigung, Dany" hervor und sah betreten drein, während Miranda zu Dany sah.
      "Also, was kann ich für dich tun, Liebes?"




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    • Eine Viertelstunde Herumgeirre war vorbei bevor Dany wundersamerweise einem Pärchen über den Weg lief, von dem einer seinen Arm in einer Schlinge trug. Nun gab es genau zwei Möglichkeiten: Entweder dieselbe Richtung oder die Richtung, aus der sie gekommen waren. Oder sie waren heute überhaupt nicht im Heilungsflügel und Dany würde bei irgendwelchen Schlafgemächern herauskommen.
      Sie entschied sich aber für zweiteres und stieß nach ein paar weiteren Ecken und einer Treppe auf nichts anderes als die Übelkeit in Form eines Menschen, der sie wie ein Hund anglotzte. Prysk hatte wohl verlernt, sein Hemd am Körper zu behalten und eine muskelbepackte Brust präsentierte sich ihr, die erstaunlicherweise sehr dem ähnelte, wie sie sich vor einer Weile im Zuber Pollux vorgestellt hatte. Jetzt wäre sie aber weitergegangen und hätte sich seine Bemerkung sonst wo hingeschoben, wenn sie nicht gesehen hätte, dass hinter ihm doch der Heilungsflügel lag.
      "Von all den Menschen, denen ich hätte begegnen können…", begann sie, aber da donnerte bereits eine andere Stimme heraus und ließ sie beide zusammenzucken. Die Besitzerin war eine Frau mit einer hageren Gestalt, aber einem Blick, der töten konnte. Sie war altersmäßig zwar nicht ganz so alt wie Vera, aber auf dem besten Weg dorthin.
      Was aber so erstaunlich an ihr war, war die Tatsache, dass Prysk sich doch tatsächlich von ihr einschüchtern ließ. Im einen Moment großkotzig und überheblich, im nächsten Moment hatte sie ihn so fest an den Eiern, dass er sich doch wahrhaftig bei Dany entschuldigte. Dass es diesen Tag überhaupt geben konnte - ein Wunder! Ein wahrhaftiges Wunder! Dany grinste so breit, dass ihr die Mundwinkel schmerzten und ging dann an Prysk vorbei, nicht ohne ihm ein leises "Leck mich" zuzusäuseln, bevor sie bei Miranda stehenblieb. Das war doch wirklich zu schön gewesen, um wahr zu sein.
      Miranda hielt sie ihre in Handtücher gewickelten Hände vor.
      "Ähh."
      Ja, was konnte die Frau tun? Was hatte Dany, das man behandeln konnte? Ich bin seit einem Jahr nicht mehr richtig nüchtern gewesen. Ich habe einen unsichtbaren Begleiter, der mich auf Lebewesen hetzt und mir im Schlaf zuflüstert. Ich habe Angst davor, seine Stimme wieder zu hören und den Verstand zu verlieren. Ich habe seit drei Tagen meine Dosis Merch von sechs Mal täglich auf null Mal täglich reduziert und es war viel los, aber ich fürchte mich vor dem Moment, an dem mich nichts mehr ablenken wird. Meistens spüre ich meine Hände und Füße nicht. Ich habe den Dolch einmal zu viel verwendet und dachte, ich würde sterben. Ich hasse es, an diesem Ort zu sein und zu wissen, dass ich mein ganzes Leben lang schon hier hätte verbringen können, wenn ich ihn nur gekannt hätte.
      Aber anstatt auch nur eine dieser Sachen auszusprechen, starrte Dany nur dümmlich für eine Weile und entknotete schließlich das Handtuch um ihre drogenverseuchten Finger. Sie hatte ein bisschen geblutet, aber nicht viel. Drei Tage altes Merch, unheimlich trockene Blätter, steckten noch unter ihren Fingernägeln, die sie der Frau resigniert zeigte.
      "Arkanfluch."
    • Die letzte Provokation musste natürlich sein, dachte Prysk beinahe amüsiert über Danys Berechenbarkeit...Halt! Warum nannte er sie nicht mehr Scheißhaus in seinen Gedanken?!
      Kopfschüttelnd ging er an ihr vorbei und wisperte nach ihrer Säuselstimme:
      "Legs drauf an!"
      Was sagte er da?! Über sich selbst erstaunt schüttelte er erneut den Kopf und begab sich schnellstmöglich raus aus diesem dunklen Zimmertrakt. Er musste an die Luft, die kalte Luft und vermutlich ins Badehaus, um Vera einen Besuch abzustatten und sich endlich von dem Dreck reinzuwaschen. Ja, ein Bad. Das wäre gut!
      Nach einem kurzen Weg über den Innenhof und weiteren kurzen Gesprächen mit den dort Tätigen und der Mauerwache, betrat er schließlich das alte Badehaus, dessen Dach er selbst gedeckt hatte. Grob, Dachdecken war nicht seine Stärke, aber immer noch stabil. Der Dampf schlug ihm wie eine alte Faust ins Gesicht und es brauchte einen Moment, ehe er atmen konnte.
      "He, Vera!", rief er in die Stille hinein und machte einen kaum genutzten Zuber aus, der noch warmes Wasser innehatte. "Bist du da?!"
      Sachte knöpfte er bereits die Hose auf und entließ seinen Unterleib in die warme Luft. Nacktheit war dieser Orten niemals ein Problem, zumal ihn eigentlich alle bis auf Sylvia und Dany bereits nackt gesehen hatten. Es gab nur wenige, die es nicht getan hatten, da man die Nacktheit grundsätzlich nicht als kritisch ansah.
      Seufzend trat er an den Zuber und schloss kurz die Augen vor dem warmen Wasser, das ihm jetzt schon gut tat. Diese Ruhe... Dieser Frieden...Der Gedanke, dass Dany (Scheißhaus! Scheißhaus!) vermutlich von Miranda gequält wurde. Ach wie schön...

      Miranda hielt sich nicht lange auf und bugsierte die junge Frau in das Behandlungszimmer.
      Die Tür ließ sie offen, denn es war so brauch in Galadhor. Die Türen des Arztes und der dienlichen Berufe stand offen. Man schämte sich keiner Nacktheit und keiner Verletzung. Es waren Zeichen für die Gemeinschaft. Ruhig ließ sie Dany auf einem Schemel Platz nehmen und nahm ihr beinahe mit liebevoller Strenge das Tuch aus den Händen.
      Mit Gefühl und beinahe samtiger Genauigkeit nahm Miranda die Hände der jungen Frau in ihre und besah sich der blutenden Finger und den Nägeln.
      Mit einer hochgezogenen Augenbraue sah sie Dany an und seufzte.
      "Gut, liebes Kind, lass mich Klartext reden: Es gibt hier nur eine wirkliche Regel. Belüge niemals deinen Arzt. Ich sehe von hier aus, dass deine Finger mit Merch vollgestopft sind und dass diese Dinger schon alt sind. Möchte sagen, Tage alt. Du bist auf Entzug möchte ich beinahe meinen und das ist gut so."
      Sie ließ die Finger wieder los und durchmaß den kleinen Raum. An einem verschlossenen Schrank, den sie mit einem Schlüssel entsperrte. Klirrend ging das Schloss zu Boden und sie fluchte leise, ließ es aber dort liegen. Eine schmale Phiole wurde zu Tage gefördert und sie roch prüfend daran.
      "Du magst Prysk nicht."
      Es war keine Frage, es war eine Feststellung. Eine leicht grantige Feststellung, wenn man es genau nahm. Der Blick der Heilerin glitt über Danys weitere Gestalt, war jedoch wesentlich weicher als die Kälte in der Stimme.
      "Ich kann es verstehen", murmelte sie schließlich. "Prysk ist kein einfacher Mann, fürchte ich. Und hat zumeist mehr Flausen im Kopf als ein Zwölfjähriger, der das erste Mal eine Titte sieht, wenn du mich verstehst. Aber nur damit du weißt: Offene Kämpfe sind innerhalb der Burg nicht gestattet. Der Lehrer bestraft diese hart."
      Miranda trat an den Schemel heran und stülpte die Phiole in ein Tuch, das sie geschickt von einer anderen Ecke des Raumes fischte. Bräunliche Flüssigkeit tränkte das graue Tuch und mit einem kleinen Glucksen stellte sie die Phiole auf den Tisch zurück.
      "Das ist Ambrosia. Ja, schau nicht so, es heißt nur so. Es ist ein Sud aus Kräutern und anderen kleinen Heilmitteln. Es wird deine Finger und die Nägel säubern und die Blutung ein wenig stillen. Jedoch kann ich dir nur empfehlen, kein Merch für die nächsten Tage zu nehmen. Das würde den Effekt versauen."
      Ruhig rieb sie die Finger sorgsam mit der Tinktur ein und holte mit einer Art Haken die Reste des Merchs unter ihren Nägeln hervor. Es würde ein wenig schmerzen, aber es musste sein. Die Finger mussten heilen und Miranda sah besorgt auf diese schmalen Hände hinab. So viel Schaden an so viel schöner Haut...So sauber sah die junge Frau tatsächlich sehr hübsch aus. Zumindest in Mirandas Augen. Weshalb tat sich eine Frau derartiges an?!
      "Und was ist mit deinem Arkanfluch? Was für Symptome hast du?"

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    • Die Frau des Hauses schälte sich aus einem Trio heraus, das sich einen einzelnen Zuber zu teilen versuchte und kam blind der Stimme nachgelaufen. Sie musste näher herankommen, bis sie erst Prysk erkannte, der sich ins Wasser niedergelassen hatte.
      "Ach, Prysk! Seit wann bist du denn wieder hier, Schätzchen? Lass dich mal ansehen, Grundgütiger!"
      Sie kam heran, in all der Pracht, in der die Götter eine sicher 80 Jahre alte Frau geschaffen hatten, und zog sich einen Schemel heran, um sich darauf neben den Zuber zu setzen. Dann ergriff sie mit beiden Händen Prysks Gesicht und drückte es.
      "Lass dich ansehen; Wochen bist du weg und kein einziger Kratzer! Das heißt aber nicht, dass sie nicht doch da sind. Man muss nur gründlich genug schrubben, aber das werde ich gleich tun."
      Sie fasste Prysk auch ins Haar und zog seine Strähnen auseinander, ungeachtet möglicher Schmerzen, um sie zu besehen.
      "Das haben wir gleich. Halt still, Kind. Was hast du nun wieder mit nachhause gebracht? Das letzte Mal, als du so lange weg warst, hast du uns hier ganz schön in Bedrängnis gebracht. Es werden schon Wetten auf dich abgeschlossen, ob du das nächste Unheil mitbringst oder nur die nächste Frau. Kopf zurück."

      Dany ließ sich in einen der Räume verschleppen und ihre Finger besehen. Die Ärztin war recht schnell darin, ihr aktuellstes Problem zu entziffern, auch wenn es nicht das eigentliche war. Der Dolch war das Problem, aber das konnte sie schließlich nicht wissen. Trotzdem schämte Dany sich und brummte eine Antwort, die sie nichtmal selbst verstand. Sie war ja nicht immer ein Junkie, nur… seit einem Jahr.
      Dafür warf der rapide Themenwechsel sie so schnell aus dem Konzept, dass sie doch tatsächlich antwortete, bevor sie sich zurückhalten konnte.
      "Wie kann irgendjemand ihn mögen? Er ist herrisch, er weiß immer alles besser, er ist dumm. Er stinkt. Sicherlich."
      Überraschenderweise stellte Miranda sich verständnisvoll, zumindest gegenüber einem Teil dieser Ausführung. Das hatte Dany nicht erwartet. Sie hatte damit gerechnet, dass jeder so unglaublich verknallt in Prysk sein musste wie die vielen Leute, die sich im Schankraum - Speisesaal, sie waren doch hier nicht in Cheynia - an ihn geheftet hatten. Aber anscheinend gab es hier auch ein paar intelligente Leute.
      "Kannst du ihn etwa leiden?"
      Miranda kam zurück mit etwas, das Ambrosia hieß und wohl ein Scherz sein sollte. Aber das war es nicht. Sie behandelte damit Danys Finger und holte den Rest an Merch hervor, was sie zum einen unglaublich enttäuschte und zum anderen bei ihren überstrapazierten Fingernägeln schmerzte. Unbehaglich rutschte sie auf dem Schemel herum, bis es schließlich vorbei war. Sie waren immernoch verfärbt, aber auch das würde irgendwann zurückgehen. Und dann wäre gar nichts mehr übrig.
      "Ich blute nur. Seit fast einem Jahr."
      Mit einer gewissen Befriedigung konnte sie der Ärztin damit einen Gesichtsausdruck entlocken.
      "Ich bin resistent. Ist nicht schlimmer als mein Entzug. Kann meine Hände und Füße manchmal nicht spüren. Und außerdem…"
      Unbehaglich zupfte sie an ihrem Ärmel herum. Sie redete nur so viel, weil Miranda sie angewiesen hatte, nicht zu lügen, aber das hieß nicht, dass es das einfacher machte.
      "... gibt es auch was gegen Stimmen? Im Kopf? Von einem Artefakt, das sich an mich gebunden hat und mich nicht in Ruhe lässt?"
    • Warum nur?
      Warum machte Prysk immer wieder den Fehler, sich auf ein heißes Bad und ein nettes Gespräch zu freuen, wenn er wusste, dass Vera mit ihrer Art ihre Fürsorge beinahe brutal zum Ausdruck brachte? Jedes Mal aufs Neue wunderte sich der Jäger, warum er nicht klüger wurde in Anbetracht der wallenden, faltigen Gefahr, die dort herannahte, als er sich gerade ins Wasser gelassen hatte.
      Das warme Wasser schmeichelte seiner Haut und ließ die steifen Muskeln erweichen, was ihm anfangs ein wohliges Seufzen entlockt hatte. DOch just in dem Moment, wo Vera um die Ecke gekreist war, änderte sich dies Spiel.
      "Vera, ich-"
      Ja, von wegen! Hätte es irgendetwas gegeben, was diese alte Gewitterhexe davon abhielt, in seine Haare zu greifen, er hätte es gewusst. Mit griffigen Krallen und unnötiger Rohheit riss sie ihm regelrecht die Haare auseinander, die nicht mal ganz so schlimm vor Dreck starrten. Klimpernd und perlend fielen die Perlen aus den Haaren und landeten mit glucksenden Geräuschen im Wasser. Gut, so ärgerlich dies war, das Haar würde danach sicherlich seidig weich über seine Schultern fallen, aber jetzt ärgerte er sich dennoch.
      "VERA!"; donnerte Prysk und drückte ihre Hand beiseite, nur um der anderen Hand zu verfallen, die immer noch ersuchte, ihn zu reinigen. "Vera, in Dreiteufelsnamen, was zum Donner und bei meinen Klöten! Himmel! AUA! Das war mein Bart. AU!", schrie er und versuchte sich gegen die ereifernden Finger der alten Dame zu wehren.
      "Herrgott, ja sie sind da, siehst du?!", rief er und wies auf seine Brust. Auf dieser war der Striemen, den Pollux ihm verpasst hatte, beinahe verblichen, aber noch erkennbar. "Und jetzt bitte. Lass mich atmen..."
      Ein Seufzen ging durch seinen Leib als er sich zurücklehnte ins Wasser und die alte Frau ansah.
      "Und was soll das heißen?!", blaffte der Jäger. "Ich habe nie eine Frau mitgebracht. Die waren immer schon hier oder wurden für Geld herbestellt. Und wieso wettet ihr auf Unheil?! Wie geht es dir und den Deinen?! Irgendwas ungewöhnliches?!"


      Miranda verteilte das Ambrosia noch immer gütlich auf den doch recht grazilen Fingern der jungen Frau. Die Verfärbung durch die Drogen würde noch eine Weile anhalten, aber zumindest waren die Blutungen gestoppt. Das musste für den Anfang reichen, auch wenn Miranda sich ernsthaft fragte, wo die junge Frau derartige Drogen her kriegen wollte. Hier gab es nichts davon. Drogen waren auf der Burg untersagt.
      "Ich kann ihn leiden, ja", bemerkte sie spitz und schürzte die Lippen. "Die meiste Zeit. Prysk ist eher so was wie ein Holzhammer. Schmerzhaft, aber ehrlich. Habe selten einen Mann kennen gelernt, der ehrlicher zu den Leuten war. Er ist grob, er ist unbehauen, aber im Grunde seines Herzens eigentlich ein netter Kerl. Seine Fürsorge ist leider etwas...grob, wenn man es so will. Aber wenn ich mir die Stimmen der Leute hier anhöre, ist er zumindest bei den Handwerkern beliebt."
      Was keine Kunst war, dachte Miranda. Aber dennoch. Dachte sie an Elia und ihr Kleines und wie sich die junge Mutantenfrau an Prysk heranschmisse, würde er auch bei der Damenwelt einige Erfolge erzielen können, wenn er denn wollte.
      "Dumm würde ich ihn nicht nennen", lachte Miranda schließlich. "Er mag nicht so intelligent wie Andere sein, aber dumm ist er nicht. Er stellt sich nur gerne so. Ich sehe aber, ihr habt eine gemeinsame Fahrt hinter euch und der Jäger Prysk hat eindeutig Eindruck bei dir hinterlassen. Leider nicht positiv. Was hat er diesmal wieder angestellt? eine Armee auf dich gehetzt? Betrüger betrogen? Nutten geprellt? Wundert mich eigentlich, dass er nicht schon lange bei den Huren in den Dörfern war. Normalerweise ist er nicht zu halten, wenn es darum geht..."
      Miranda wusste zwar, dass Prysk nur selten einer Freudenfrau beilag, aber das musste die Kleine ja nicht wissen. Trotz ihrer Wut in der Stimme und trotz der Tatsache, dass sie Prysk wirklich nicht mochte, erschien sie ein wenig zerstreut. Wovon das nur kam?`
      "Gut, zurück zu dir", sagte sie schließlich und sah auf die Hände, nachdem sie das Ambrosia fortgetan hatte. "Ruhig halten, keine schwere Arbeit. Keine Drogen und keine sonstigen Kräuter. Einfach heilen lassen. Solange es nur Blutungen sind, kann man damit umgehen. Sollte es mehr werden, melde dich bei mir."
      Gerade wollte sie die junge Frau schon hinaus lassen, da stellte sie noch eine Frage, die Miranda zumindest innehalten ließ. Stimmen im Kopf...
      Das war nie gut. Sie hatte nicht viel Erfahrungen mit Krankheiten des Geistes, aber sie wusste, dass Stimmen zu hören, wo keine sein sollten, niemals gut war. Sorgsam trat sie an ihren Schrank und holte eine schwarze Phiole hervor. Einen Moment lang hielt sie diese an die üppige Brust gedrückt und dachte nach. Es war ein Risiko, konnte aber funktionieren...
      Ruhig wanderte sie zurück und drückte ihr das Fläschchen in die Hand.
      "In den Zeiten der Magier, vor vielen Jahren...", begann sie und wies auf die Flasche. "Da nahmen hochwohlgeborene Herrschaften dieses Zeug zur Beruhigung des Geistes. Früher trug es den Namen Laudanum und wurde aus Resten diverser Pflanzen gewonnen, die heute hochstimulante Gifte sind. Ich kann dir also nur empfehlen, drei Tropfen in deinen abendlichen Becher zu schütten. Mehr und du vergisst das Atmen. Gegen ein Artefakt kann ich nichts tun, aber die Stimmen sollten dafür verstummen. Achte auf Nebenwirkungen! Und jetzt ab mit dir.!"

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    • "Nun halt schon still Kind, das ist doch nur ein Kamm! So schlimm kann es gar nicht sein, du hast ja noch nichtmal Flöhe. Wäschst du dich auch immer gut, ja? Auch die Haare? Auch hinter den Ohren? Kopf nach hinten!"
      Prysk durfte ihrem Befehl gar nicht folgen, Vera hatte schon ihre Finger zwischen seinen Strähnen und zog seinen Kopf höchst effektiv nach hinten. Dann beugte sie sich sehr weit hinab, um die Narben auf seiner Brust erkennen zu können.
      "Ach, ist doch gar nicht so schlimm. Hast du dir was von Miranda geben lassen, ja? Ein bisschen Kräuter für die Schmerzen? Sieh nur zu, dass sie sich nicht entzünden, das wird sonst ganz, ganz hässlich. Dabei bist du noch so jung! Du solltest wirklich ein bisschen besser aufpassen wo du hinläufst."
      Der Kamm machte stets ein Pling, wenn die Zacken sich verfingen und Vera trotzdem weiterriss. Allerdings hatte die Frau durchaus eine Taktik und bald wurden die Bewegungen erträglicher.
      "Das ist vielleicht genau das Problem, Kindchen. Wann hast du das letzte Mal dieselbe Frau zu einem Abendessen ausgeführt? Oder gar zu zweien? Du bist einsam, aber deine Gesellschaft wirst du doch nicht in anderen Schößen finden."
      Pling. Ein paar Haare verabschiedeten sich von Prysks Kopf und Vera warf sie auf den Boden hinab.
      "Beim letzten Mal - oder war es das vorletzte Mal? - hattest du Zedyrs Auge am Hals, als du wiedergekommen bist. Und dann gab es noch den Vorfall, als du den armen Jungen Rufus so weit weggebracht hast. Und das mit dem Nebel. Und das mit den Mutanten. Du gehst nach draußen und das Pech folgt dir auf den Fersen. Vielleicht provozierst du es auch zu sehr, das würde mich gar nicht wundern."
      Sie lehnte sich nach vorne, nur um in Prysks Gesichtsfeld mit dem Kamm herumzufuchteln.
      "Pass nur bloß auf, dass du keinen Ärger hier hereinbringst, verstanden? Sonst werde ich zum Lehrer gehen, ja, das mache ich!"
      Dann machte sie wieder weiter als wäre nichts.
      "Bei uns ist alles in Ordnung. Die Leute kommen und gehen. Das junge Volk, das kann einfach nicht stillhalten, wie mir scheint. Alle wollen sie ständig irgendwas machen. Oh, da fällt mir ein, du könntest dir die Fenster im Ostturm mal anschauen, die hat der Wind vergangene Woche ziemlich in Leidenschaft gezogen. Und unsere Wasserkurbel musste du auch wieder ausbessern, sie klappert schon wieder so fürchterlich! Wenn du nicht da bist, macht das halt keiner, weißt du? Unser kleiner Handwerker. Hast du schonmal darüber nachgedacht, das mit dem Reisen sein zu lassen? Du könntest hier so viel zu tun haben, wenn du das nur wolltest. Es gäbe hier sicher allerhand Kleinigkeiten, für die du dein Geschick einsetzen kannst..."

      Dany hätte sich schon bereit gemacht, ihre Meinung zu verteidigen, aber dass Miranda ihr so schnell zustimmen würde, das überraschte sie. Dann war sie also nicht die einzige, die Prysk ankotzte - hah!
      "Aber ein hässlicher Holzhammer. Der nicht hämmern kann."
      In ihrem Kopf hatte sich das irgendwie geistreicher angehört, aber die Ärztin tat sowieso, als hätte sie das nicht gehört. Es war wohl eine Sache über Prysk zu lästern, es war aber eine andere, das auch niveauvoll zu tun.
      "Er ist, äh... er macht manchmal ganz gute Sachen. Vielleicht."
      Sie musste selbst ein bisschen lächeln, als Miranda gleich schon damit fortfuhr. Erstaunlicherweise entsprach das, was sie hier aufzählte, exakt dem, wie auch Dany sich Prysk vorstellte.
      "Nein, das wäre ja noch lustig gewesen. Irgendwie. Er hat mein Zuhause zerstört und mich fast umgebracht. Und dann war er die ganze Zeit noch so großkotzig und besserwisserisch."
      Mittlerweile hatte sie begriffen, dass Prysk sie nicht hatte umbringen wollen, aber um bei Miranda zu punkten konnte sie ja wohl etwas übertreiben. Außerdem hatte Prysk sie auf der anderen Seite verpflegt, an ihrer Seite gekämpft, sie auf dem Rücken getragen und sich bereiterklärt, sich ihr Artefakt anzunehmen. Aber das war ja langweilig, Miranda wollte sicherlich nicht alles wissen.
      Sie beobachtete aufmerksam die Verzögerung, die zustande kam, als sie der Frau von dem Dolch erzählte und diese sie für einen Moment betrachtete. Dany zog schon die Stirn in Falten, bereit dazu, sich zu rechtfertigen und vom Thema abzulenken, aber da setzte sich die Frau schon wieder in Bewegung und ging zurück an ihren Arzneischrank. Die nächste Tinktur, die sie zu Tage beförderte, sah in etwa so aus, wie Dany sich fühlte.
      Eine Beruhigung des Geistes also. Sicher. Manche Leute mochten es so nennen, Dany bevorzugte die sehr eindeutige Bezeichnung "Droge". Und wenn sie von Merch auf etwas anderes umsteigen musste, klar, wieso nicht. Sylvia wusste, von allen Leuten, dass sie zu allem bereit wäre.
      "Drei Tropfen. Klar."
      Sie schnappte sich die Phiole beinahe schon euphorisch, bedankte sich knapp und kleinlaut bei Miranda und verließ dann den Heilungsflügel, ihr neues Geschenk sicher in ihren Taschen verborgen.
      Das war doch nicht so schlecht gewesen. Eine neue Droge zum Ausprobieren. Fast schon hibbelig machte sie sich auf den Rückweg.
      Sylvia war nirgendswo zu sehen - vermutlich mit Tjark abgezischt - und Prysk glücklicherweise auch nicht. Dany hatte keinerlei Bedürfnis danach, zurück in den Schank... Speiseraum zu gehen und das grässliche Zusammenleben zwischen Mensch und Mutant zu beobachten, nur leider kannte sie keine anderen Alternativen. Sie hätte zurück ins Badehaus gehen können, aber bis zum Abend waren es noch ein paar Stunden und sie wollte nicht schrumpelig werden. Also entschied sie sich dazu, wahllos die Festung zu erkunden.
      Ihr Weg führte sie in erster Linie hinab, weil sie vermutete, im Untergewölbe weniger Lebewesen zu begegnen. Sie fand etwas, das wie ein Weinkeller aussah und so sehr ihrer Schenke ähnelte, dass sie unvermittelt Heimweh bekam. Sie fand auch eine abgeschlossene, recht schwere Eisentür, die nicht so aussah, als wäre sie in jüngster Zeit je geöffnet worden. Außerdem fand sie ein paar Lagerräume und weil ihr nichts besseres einfiel, kramte sie ein wenig durch den Bestand.
    • Mit offenkundigem Schmerz riss er den Mund zu einem lautlosen Schrei auf, als sein Kopf beinahe ruckartig nach hinten gerissen wurde.
      Nach einigen ebenso ruckartigen Kammstrichen glitten die Zinken durch das Haar des Mannes, dass beinahe einem Seidenteppich ähnelte. Sah man von den leichten Tränen in Prysks Augenwinkeln ab, gab es kaum Jemanden, der die Haare des Jägers derart wieder auf Vordermann bringen konnte. Erst nachdem sie den Kamm aus seinem Kopf entfernt hatte, sah er sie beinahe beschmutzt an und seufzte als sie ihre Tirade von Neuem begann.
      "Ich werde aufpassen", sagte er mürrisch und begann sich am Körper zu waschen, um die Pflanzenreste aus den Striemen zu bekommen. "Und was ich in anderen Schößen suche, geht dich nichts an. Was soll ich mit Abendessen und Liebeleien wie sie die Alten hatten? Es ist blanke Arbeit, Jemanden zu lieben oder Jemanden in dich verliebt zu wissen. Das Verhalten ändert sich und letztlich wird am Ende Jemand verletzt. Erinnerst du dich an Noor und Urret? Sie waren auch verliebt, bis Noor herausfand, dass Urret sie mit einer dreibrüstigen Hure betrogen hat. Da finde ich meine Art und Weise wesentlich umgänglicher. Ich liebe Niemanden und wenn ich vögeln will, vögle ich. Mehr braucht es meistens nicht."
      Auf ihre letzte Anmerkungen und den wedelnden Kamm musste er lachen und nickte.
      "Es war das vorletzte Mal. Zedyr's Auge kam uns auch diesmal wieder besuchen. Ich schwöre, ich bringe nicht noch mehr Ärger mit, als ohnehin schon hier ist. Ich sags dir, diese merkwürdige Junkie-Frau hat mich schon die letzten Nerven gekostet...Hast du sie gesehen? DIe kleine mit den dunklen Haaren und ihre Freundin. Grässliche Frauen sage ich dir. Vorlaut, stinkend, süchtig und letztlich unfreundlich...Ich weiß wirklich nicht, was mich geritten hat, sie hierher zu bringen..."
      Seufzend sah er Vera an und erhob sich schamlos aus dem Waschzuber. Als er hinausstieg verteilte er eine gewisse Menge Wasser auf dem kalten Boden und trocknete sich mit einem Tuch, das er auf einem Schemel fand. Eine Weile lang dachte er über Veras Worte nach. Er hatte tatsächlich schon einmal daran gedacht, nicht mehr zu reisen. Einfach hier zu bleiben, in den Bergen. Hier hatte er wenigstens die Möglichkeit, etwas Sinniges zu tun. Seinem Leben einen Sinn zu geben. Fernab von diesen dämlichen Artefakten.
      Sachte nickte er Vera zu, während er ihr in die Augen sah.
      "Ich sehe mir das Fenster an", murmelte er nachdenklich. "und vielleicht hast du Recht. Ich habe nur Ärger wenn ich hinaus gehe. Entweder habe ich Rufus am Bein oder nervige Damen. Oder diese Vereinigung um Pollux. Und..."
      Eigentlich wünsche ich mir nur Ruhe, dachte er und seufzte.
      "Ich danke dir", sagte er grinsend und zog sich rasch seine Hose und Stiefel wieder über. Frieren tat er ohnehin nicht, als er in die Kälte hinaus ging und Vera mit ihren Gedanken zurückließ.
      Er brauchte Abstand von allem. UNd eigentlich auch nicht. Dunkler Stimmung machte er sich auf in Richtung des Schankraumes, damit er sich in wohliger Wärme und Menschen wie Mutanten suhlen konnte, während sein seidig anmutendes Haar hinter ihm herwehte. So ganz ohne Klimpern.


      Eine Flamme wanderte durch die Katakomben der Burg.
      Vielmehr war diese Flamme gebunden an eine Teerfackel in den festen Händen eines Mannes ruhte, dessen wuscheliges, schwarzes Haar in der leichten Brise hier unten wehte. Gehüllt in weißliche Leinengewänder und dicke Fellstiefel stieg er durch die Gänge auf der Suche nach etwas Essbarem, wenn er ehrlich war.
      Denn der Lehrer hatte Hunger.
      Sorgsam versuchte er, nicht an den Steinen anzuecken, die sich grob behauen links und rechts von ihm türmten. Die Last auf seinem Rücken, eine Art gewaltige Schriftrolle, schien unbehaglich unhandlich und immer öfter wanderte er beinahe schräg, damit sie nicht anstieß. Das Gesicht des Mannes war beinahe jugendlich anmutend, mit nur leichtem Bartwuchs behaftet, als er im Lager um die Ecke bog.
      Summend und beinahe blind für alles andere steuerte er geradewegs das Vorratsregal an und warf ein Auge auf einen prächtigen Schinken, der sich vor ihm eröffnete. Gerade als er die Hand darauf legte und sich mit der Zunge über die Lippen fuhr, hörte er ein Rumpeln in der Kammer und wirbelte herum.
      "WER AUCH IMMER HIER IST, FINGER WEG VON MEINEM SCHINKEN!"; donnerte er mit einer Tiefe in der Stimme, die einem bodenlosen Loch glich.
      Erst danach erblickte er Danys Gestalt zwischen den Regalen.
      "Äh...Hallo?", fragte er. "Ich kenne dich nicht. Wer bist du? Und was machst du im Lager?"
      Was machst du bei meinem Fleisch?!, keifte sein Unterbewusstsein.

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