Nemeton [Codren & Nico]

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    • Rufus' Bemerkung darüber, dass es keinem Forscher bisher gelungen sei, einen intelligenten Tricplop zu finden, ließ Danys Stolz nur noch weiter anschwellen, was sie nie, nie, niemals, nie und nimmer, im Leben nicht auf irgendeine Weise zugegeben hätte.
      Aber ihr Vater war intelligent und selten gewesen, verdammt nochmal! Nun, so intelligent, wie ein Triclop eben sein konnte, aber trotzdem! Er hatte ihren Namen gelernt, welcher Triclop konnte das schon?!
      "Ich habe kaum etwas physisches von ihm geerbt. Vielleicht etwas von seinen Organen. Aber ich werde kaum krank, ich kann ganz anscheinend Arkanfluch widerstehen und ich bin körperlich immer recht fit. Ich bin eben der jüngste Erfolg. Vielleicht gibt es noch mehr, aber das ist alles, was wir mit unseren Mitteln herausgefunden haben."
      Um es auch mit Cayens Worten gesagt zu haben.
      Bei Rufus' letzter Frage wandte sie sich schon ab, weshalb die Antwort vermutlich beiläufiger herüberkam, als sie eigentlich hätte werden sollen.
      "Sie haben ihn getötet, als ich neun war. Oder acht."
      Mehr gab es dazu nicht zu sagen.
      Beim zusammenräumen verschwanden die meisten Sachen im Nichts und hinterließen kleine Aschehäufchen, auf die Dany vermied zu steigen. Sie kümmerte sich nicht darum, wer oder was die Sachen wieder weggeschafft hatte, denn sie war für einige Zeit sehr damit beschäftigt, die Schicht unter ihren Fingernägeln tiefer zu drücken, damit die Dosis so lange halten würde wie möglich. Sie wusste noch nicht, ob Sylvia ihr nicht doch etwas stecken würde und so musste sie so lange wie möglich mit der jetzigen auskommen.
      Dann trennte sich das Federvieh vom Rest ab, wenngleich sie alle dieselbe Richtung einschlugen, und sie passierten die Stadtbegrenzung ein weiteres Mal. Hier übernahm auch wieder Sylvia die Führung, lotste sie ganz entschlossen und direkt von der Hauptstraße ab und in das Gewühl der Ruinen hinein, in denen sie hofften, ungewünschten Blicken aus dem Weg zu gehen. Die Frau hatte Dany bisher kaum enttäuscht und auch dieses Mal blieben sie größtenteils ungestört in Begleitung ihrer kompetenten Stadtführerin. Sie bargen ihre Taschen, die sie mit sich führten, und konnten sogar den versifften, vierbeinigen Schimmelpilz - halt, Walther - aufspüren, der sich vom gestrigen Platz kaum entfernt hatte. Vermutlich bewegte er sich ohne äußerliche Einwirkung einfach gar nicht.
      Aber Rufus schien Einwirkung genug und so verließen sie die Stadt auch wieder in verborgener Manier. Prysk und das Federvieh stießen wieder zu ihnen und ab dem Punkt sahen sie aus wie ein Haufen Gaukler, auf dem Weg zu ihrem nächsten Auftritt, wie Dany fand.

      Es gab keine Straße, der sie hätten folgen können, denn der einzige bepflasterte Weg aus Triuce hinaus endete 500 Meter weiter in einem Krater, dessen Ränder selbst nach Jahrhunderten nicht wieder zugewachsen waren. Der Boden war hier staubig und nachdem Rufus nachfragte - natürlich interessierte ihn sowas - erklärte Sylvia fies grinsend, dass das hier überall Knochenmehl war, die Überreste unzähliger Leichen. Niemand fragte, ob das ein Scherz sein sollte und sie löste es auch nicht als einen auf.
      Also wurde der Bogen um den Krater großzügiger als normal gewählt und danach gerieten sie in ein hügeliges Gebiet, in dem das Unkraut ungezähmt in alle Richtungen wuchs und in den Senken sich Tümpel und Teiche sammelten. Die Truppe klapperte ein paar von ihnen ab, um die Wasserbestände möglichst auszunutzen, aber in einem Teich lagen tote Insekten, der nächste war von unbekannten Pflanzen aller Form und Größe überwuchert und der dritte war so frei von sämtlichen Tieren, Gewächs und Leben, dass dort genauso gut alles hätte tot sein können.
      Es wurde daher einstimmig beschlossen, lieber auf das nächste fließende Gewässer zu warten.
      Danach ging der Marsch recht ununterbrochen weiter, eine Stunde durch die Hügellandschaft und dann weiter in eine Art Waldgebiet, wenn man blattlose Stümpfe, verdorrte Sträucher und Spinnweben als Blätterdach so bezeichnen wollte. Es gab hier Tiere, die aber ganz scheu davonhuschten bei der Menge an Fußpaaren, die hier hindurchschritten.
      Das war vermutlich besser, als welchen zu begegnen, die ein solcher Lärm angelockt hätte.
      Es war ein paar Stunden später in vergleichbarer trister Umgebung, dass Dany als erstes schwächelte. Nicht körperlich, körperlich war sie fit und ausdauernd und hätte sicher auch den ganzen Tag noch weitermarschieren können, aber der erste Drang zu mehr Merch tat sich auf. Der erste Drang von vermutlich vielen. Es machte sie nervös und unruhig und hibbelig, durchgehend hindurch, bis Sylvia irgendwann wirklich die erste war, die eine Pause benötigte. Sie beschwerte sich lautstark darüber, dass ihre Stiefel anfingen wehzutun und dass sie ihre Beine ausruhen müsste und dass sie sich schließlich nicht so beeilen mussten - die Festung lief ihnen immerhin nicht davon. Also schloss Dany sich an, denn vielleicht könnte sie die Frau in der Pause ja zu einem kleinen Handel verleiten.
      "Wie lange dauert es überhaupt, bis wir dort sind?"
    • Die Reise beschwerlich zu nennen, würde diese bereits Lügen strafen, wenn man es nur versuchte.
      Tatsächlich lag die Beschwerlichkeit nicht in der Umgebung, die sie durchquerten. Die Kraterlandschaft, die Hügel und schließlich die Wälder hinter Triuce waren zwar dicht und rankenreich, aber durchaus begehbar. Das Problem war die Entfernung. Nach vielen Hundert Schritten zog sich jeder einzelne von ihnen länger hin als eine Lebensgeschichte und glich einer einzigen beschwerlichen Reise. Und es waren so viele davon...
      Auch wenn Prysk mit Lysander auf der Schulter munter voran pilgerte und dabei Walther am Zügel führte, der zwischenzeitlich meckernd hustete (ein Pferd, das hustet?), nicht unter Erschöpfung zu leiden schien, so waren es doch die Schmerzen die ihn zur Raison riefen. Seine Füße brannten und die unwegsamen Stiefel an seinen Beinen machten es nicht einfacher. Gerne hätte er sie von sich geworfen wie so manche Schicht Kleidung, jedoch war ihm noch gut im Gedächtnis, wie Dany diese Situation schon einmal hatte ausnutzen wollen.
      Schweigsam wanderten sie voreinander her, wobei Rufus die Nachhut machte und die beiden Damen vor sich eingesperrt hatte. Zuvor ging Prysk und hintenan Rufus. Eine Fluchtmöglichkeit besaßen sie nur zur Seite. Aber das sollten sie wagen.
      Als sie durch das Unterholz brachen und Prysk einen weiteren Ast abbrach, um ihnen den Weg zu freien, wurde die unmenschlichste Eigenschaft seines Leibes offenbar: Denn trotz gravierender Anstrengung schwitzte der Jäger nicht.
      Nicht ein Tröpfchen perlte seine Stirn herab, während er inne hielt und sich zu den Frauen umsah. Lysanders scharfe Augen bohrten sich in die von Dany und Sylvia und die Eule nickte merkwürdig, ehe sie von der Schulter des Jägers sprang.
      Ein kurzer Blick zwischen den Beiden und Prysk nickte ebenso.
      "Gut", murmelte er. "Wir rasten hier zuweilen. Rufus, Feuer. Lysander, Wache. Eilt euch, der Wald ist nicht sicher..."
      Ruhig band er Walther an einen nahegelegenen Baum,w ährend er zu Dany sah.
      "Es wird noch gut und gerne vier Tage dauern, bis wir dort sind. Liegt hoch in den Bergen. Was macht der Drogensumpf?", fragte er schließlich und atmete durch, die Hände in die Hüften gestemmt. "Noch genug für die Reise?"
      Nicht, dass er es unterstützte, aber er brauchte zwei funktionierende Kumpanen. Es brachte nichts, wenn einer nicht denken konnte aus dieser Gruppe.
      "Haltet mit die Augen auf"; sagte er schließlich. "Das hier ist Mutantengebiet. Und nicht die nette Sorte, wenn ihr versteht. Normalerweise würden sie uns schon belagern, aber ich glaube, sie haben uns noch nicht bemerkt."

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    • Vier Tage in Richtung der Berge. Das war nahe, sehr nahe sogar. Es lud dazu ein, "mal eben" zu den Bergen zu ziehen und dann womöglich den Gipfel erreichen zu wollen.
      Hatte die Festung einen Verteidigungsmechanismus für solche unfreiwilligen Besucher? War sie versteckt? Gab es Wachen, die Reisende daran hinderten, den richtigen Pfad einzuschlagen?
      Wie viele Jäger gab es überhaupt, bei einer ganzen Festung?
      Wenngleich diese Gedanken durchaus interessant waren und einen guten Gesprächsstoff liefern würden, kamen sie nur kurz in Danys Gehirn auf, bevor sie wieder absanken und sie sich auf die eigentliche Kernaussage konzentrierte: Vier Tage. Vier Tage Fußmarsch.
      Naja, das war besser als der Weg von Cheynia zu Triuce, aber trotzdem nicht wirklich angenehm. Sie zog die Stirn in Falten, maulte leise und ließ sich bei der nächstbesten Gelegenheit auf den Boden fallen.
      Sylvia hatte derweilen andere Gedanken. Auch sie mochte sich wohl dafür interessieren, wie lange sie unterwegs sein würden, aber ihre Aufmerksamkeit lag woanders. Sie hatte ihren Blick nach vorne gerichtet, aber seit geraumer Zeit starrte sie nun Prysk an, als würde sie etwas zu erkennen versuchen. Ihr Blick sprang über sein Gesicht, sein Hemd, seine Arme. Die Intensität darin wäre wohl aufgefallen, wenn sie nicht schon zuvor versucht hätte, seine Aufmerksamkeit mit ihren Blicken zu erhaschen.
      So waren wohl die Gedanken der Frauen letzten Endes gänzlich grundsätzlicher Natur. Dany aß einen Bissen von ihren Vorräten, Sylvia starrte noch eine ganze Weile. Um sie herum herrschte Geschäftigkeit der beiden (drei?) Männer, von denen keiner verlangt hatte, dass sie sich beteiligen sollten - also taten sie es auch nicht.
      Auf Prysks Kommentar hin schnaubte Dany.
      "Mir geht's gut. Kümmer dich um deinen eigenen Mist."
      Das schien er liebend gern zu tun. Mit einem letzten Kommando, den beide Frauen augenscheinlich zu ignorieren schienen, wandte er sich ab.
      Danach rückte Dany näher zu Sylvia heran und begann vorsichtig und taktvoll - wie sie selbst fand - nach mehr Merch zu fragen. Dann danach zu verhandeln. Dann zu verlangen. Dann zu erpressen. Dann zu bitten. Dann zu betteln. Und schließlich musste sie sich geschlagen geben, denn die andere Frau schien sich kaum um Dany und viel eher um Prysk zu kümmern.
      Sie blieben etwa eine halbe Stunde inmitten dieser knorrigen Überreste einst blühender Bäume, zwischen denen man weiter in die Ferne schauen konnte, als womöglich gut für sie wäre. Aber sie schienen die einzigen Lebewesen in der Umgebung zu sein. Keine Fußspuren, keine Geräusche und keine abgebrochenen Äste - so wie der, den Prysk bei ihrer Ankunft abgerissen hatte - ließen darauf schließen, dass hier schon jemand durchgegangen war.
      Dany fand, das war schon mehr, als sie erwarten könnten. Daher hielt sie ihre Aufmerksamkeit eher halbherzig aufrecht.
      Sie zogen weiter, als Prysk es so sagte. Wieder bezogen sie Stellung, wie irgendeine militärische Versetzung - oder wie ein Gefangenentransport. Auch dieses Mal blieb Rufus hinter ihnen, was Dany bei dem ersten Teil des Weges schon für eine reine Laune gehalten hatte, die aber irgendeinen Sinn erfüllen musste. Sie kam aber nicht darauf welcher und daher warf sie auch ihm einen grimmigen Blick zu.
      Der Wald wurde erst ein bisschen lichter und dann wieder dichter, jetzt auch umgeben von hartnäckigem Unkraut, das zwischen dem morschen Holz blühte und zu verweigern schien, sich der allgemeinen Trostlosigkeit der restlichen Umgebung anzupassen. Bald mussten sie auch auf einen Tümpel stoßen, denn irgendwo plätscherte das Wasser und in dieser besonderen Richtung tauchten auch plötzlich Insekten auf: Mücken, Fliegen, Libellen, Heuschrecken, Läuse, Ameisen. Dany war beschäftigt damit, die Hand vor dem Gesicht zu wedeln und die gierigen Bluttrinker wegzuscheuchen, während es ihr davor grauste, es in ihrem Hosenbein kribbeln zu spüren. Sie war kein besonderer Fan von Insekten. Sie sagte aber nichts und vergnügte sich lieber daran, dass die anderen genauso Probleme hatten.
      Das war bis zu dem Zeitpunkt, als der Boden sich plötzlich bewegte.
      Wäre nicht ein deutlich vernehmendes Knirschen erklungen und hätte Prysk nicht einen Warnruf ausgestoßen, hätte Dany den Anblick womöglich als Halluzination vom ersten Merch-Entzug gehalten, denn vor ihnen und um sie herum hob sich der Boden in unregelmäßigen Abständen an. Es knackte und knirschte und trockene Erde rieselte herab, als sich langsam, Stück um Stück, Gliedmaßen um Gliedmaßen, Dinge aus der Erde schälten, die kaum dazu fähig sein sollten zu leben.

      Aber dennoch bewegten sie sich, streckten Ast-artige Finger nach ihnen aus und schoben sich aus ihren Erdlöchern hervor, dutzende von ihnen, allesamt so groß wie Prysk. Manche von ihnen trugen merkwürdige Fetzen am Leib, die erst nach und nach zum Vorschein kamen: Abgerissene Kleidungsstücke und Stoffe und bei vielen sogar Ringe. Haare. Vollständige Fingernägel.
      Dany gab einen Schrei von sich, weil sie fand, dass das eine angemessene Reaktion auf einen solchen Anblick war.
      Die Wesen schälten sich aus dem Erdreich hervor und kamen dann mit schlacksigen Bewegungen auf sie zugelaufen, wurzelartige Gliedmaßen, ein Gesicht, das kaum mehr wirklich ein Gesicht war und definitiv keine Absicht, einen angenehmen Plausch abzuhalten.
      Sie waren genau in einen Hinterhalt marschiert.
    • Nannte man diese Reise beschwerlich, hatte man zum Teufel nochmal keine Ahnung.
      Nicht nur, dass die Rast im Grunde viel zu kurz behandelt wurde, es erschien gleichsam unwegsam weiter zu gehen. Während sich die Eule mehr und mehr in die Späherrolle verstand und Prysk seinen Weg erbarmungslos weiter stemmte, erschien die Welt sich nicht wirklich zu ändern. Ein Wald. Ein verdammter, verfluchter, verdreckter, verteufelter Wald, der sich vor ihnen auftürmte und gleichsam auszubreiten schien.
      Es blieb ein Rätsel woher die ganzen Bäume kamen, doch als auch noch die Stechviecher hinzu kamen, war zumindest für Rufus eine Grenze erreicht, der sich gerade dem grimmigen Blick der Bardame entwunden hatte. Wütend hieb er nach den Tieren und ärgerte sich über jede, die er unter seiner Hand zermatschte. Es war ein Graus, wenn man die Tatsache betrachtete, dass sie auch eine Händlerstraße hätten nehmen können, worauf er Prysk bereits mehrfach gebeten hatte. Doch außer kryptischen Antworten hatte der junge Mann nichts erhalten und sich seinem Schicksal gefügt.
      Es war jedoch schwer, seinen Ärger zu halten, als Prysks Warnruf (Woher kam der?!) durch das Areal tönte und Dany beinahe schreiend zurück sprang.
      Doch der Anblick, der sich dem Lehrling und dem Jäger offenbarte, ließen sie beide ihre Köpfe schräg legen und den Mund verziehen. Das konnte nicht der verfluchte Ernst sein! Wieso, bei allen sieben Teufeln, begegneten sie Pilzmenschen?! Waren es eigentlich Pilzmenschen? Rufus erforschte mit Blicken die korrigen Arme und Beine der Gestalten und versuchte, sich nicht aufgrund ihres Anblickes zu erwürgen. Fingernägel...Da waren Fingernägel...
      "Waffen raus!"; schrie Prysk und riss seine Kurzschwerter aus den Scheiden auf seinem Rücken und sah zu Rufus.
      Dieser hielt entschlossenen Blickes dem Blick seines Meisters stand und nickte.
      Und übergab sich auf den matschigen Boden zu ihren Füßen.
      "Bin gleich...so weit...Uräääärgh"
      "Herrgott...", knurrte Prysk und wich langsam zurück, die anderen hinter sich schiebend.
      "Einer eine Ahnung, was das für Viecher sind?!", fragte LYsander panisch und riss seinerseits ein kleines Messer aus seinem Gurt.
      "Nenn sie nicht Viecher! Das sind Mutanten!"
      Prysks Stimme erschien wütend doch gleichsam gefasst, während er seine Schwerter kreuzweise vor sich aufbaute und durchatmete.
      "HEY! KÖNNT IHR REDEN?!", rief er in die Meute von merkwürdigen Pilzästen. Die schwarzen Gestalten wankten kurz und schienen dem Geröusch seiner Stimme zu folgen. Jedoch antwortete keiner.
      Zum Lohn schlug eines der Wesen von rechts nach ihnen, welchem sie gerade so ausweichen konnten. Nicht ohne Hilfe von Rufus, der die Köpfe der Frauen nach unten riss.
      "Na dann nicht!", seufzte Prysk und stürzte sich auf den Ersten der Astmenschen, um ihm mit einem schnellen Hieb einen Arm abzutrennen.
      Mal sehen wie ihm das gefiehl...

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    • "Waffen raus!", schrie Prysk und sein Befehl brach in einer Welle über die Gruppe hinein. Dany riss gleich ihren Dolch hervor, unwillens, ohne einen Kampf hier unterzugehen, dicht gefolgt von Lysander, dessen winziges Messer in manch anderen Händen wohl eher als Zahnstocher hätte gelten können. Sylvia folgte ihrem Beispiel einen Moment später und zum Schluss kam Rufus.
      Der der Erde den Dünger seines Magens bereitstellte.
      Dany rümpfte die Nase, weil jetzt zu dem ganzen Schrecken ihrer plötzlichen Begegnung auch noch Rufus' Gestank nach Erbrochenem hinzukam, der ihr selbst säuerlich aufstieß. Sie richtete sich mit dem Rücken zu Sylvia und Prysk aus, weil von hinten auch welche von denen aus dem Boden gekrochen kamen, irgendwie langsam, aber auch mit einer Zielstrebigkeit, die keinen Zweifel daran ließ, worin ihr Ziel bestehen würde.
      Zu ihrem nicht geringen Erstaunen empfand Prysk selbst in diesem Moment den Drang, die Dinger nicht "Viecher", sondern Mutanten zu nennen. Als ob es keine Viecher wären. Als ob es besser war, sie lieber mit dem einen Wort zu dehumanisieren als mit dem anderen.
      Aber sie grunzte nur missmutig, als der erste dieser Wurzel-Wesen sich vor ihr zu seiner vollen Größe aufgerichtet hatte und sich mit herabrieselnder Erde auf sie zubewegte. Seine Bewegungen waren eher fahrig, wie es schien, aber die Äste - oder Wurzeln oder Stränge oder was auch immer es waren - schienen stabil zu sein. Zusammenzuarbeiten. Sie hielten ihn aufrecht, sie ließen ihn einen Schritt machen und zu keiner Sekunde sah es so aus, als würde er jeden Moment auseinanderfallen.
      Was natürlich für die Gruppe ein Nachteil war, denn so wie es aussah, hatten die Dinger - Mutanten - sich kreisrund im Boden versteckt. Sie waren eingekesselt, noch ehe allesamt vollständig herausgekommen waren.
      Hinter Dany machte Prysk einen Kommunikationsversuch, der ins Leere ging. Die einzige Antwort kam in einem ersten Angriff, der alle 5 in eine Richtung drängen ließ. Rufus sorgte dabei am meisten dafür, dass niemandem von den aberwitzig scharfen Klauen der Kopf abgehackt wurde.
      Dann also doch kämpfen. Dany kribbelte es beim Gedanken, aber sie versuchte nicht daran zu denken, dass der Dolch in ihrer Hand sie vermutlich gerade damit anschrie, dass sie ihn benutzen sollte. Sie konnte ihn nicht hören, das war alles, was zählte. Er lag in ihrer Hand, als wäre er genau für sie geschaffen worden und das war das wichtigste.
      Bei der nächsten schnelleren Bewegung, die die Bodenwesen vor ihr machten, schoss sie selbst nach vorne, achtete darauf, ihren Dolch richtig zu halten und ihre Füße richtig zu setzen und ihren Arm richtig zu bewegen, denn zugegeben, ihre eigenen Reflexe waren nicht gerade auf Hochtouren. Ihr Körper schien schon seit längerer Zeit losgelöst von ihrem Gehirn, ein bisschen schwerfällig vielleicht, nicht mehr selbstständig. Sie musste sich auf ihn konzentrieren und sie musste aufmerksam bleiben und das waren beides Dinge, die ihr einen richtigen Kampf erschwerten.
      Aber zu ihrem Glück waren die Astmenschen keine Mutanten, die sehr schnell waren und Reflexe erforderten. Sie waren eher angemessen, wenn auch unnachgiebig und drängend, so wie sie erst mit ihren Armen ausholten und dann zuschlugen, oder ihre Körper in einem unnatürlichen Winkel zur Seite bogen, damit die Waffe ins Nichts fuhr. Aber die Wurzeln, die sie ausmachten, waren genauso ausgetrocknet und brüchig wie die vielen Bäume, die sie umgaben. Als Dany den ersten Stich noch verfehlte, aber dann den Arm zur Seite schwenkte, um mit der scharfen Kante der Klinge doch noch etwas zu erwischen, hackte sie die Schulter der Kreatur mit einem trockenen Splittern ab. Sie trennte den Arm nicht ganz ab und überraschenderweise fielen auch keine losen Stränge zu Boden. All die Äste oder Wurzeln schienen so miteinander verworben zu sein, dass es schon reichte, wenn nur einer von ihnen mit dem Rest verbunden war, um auch den ganzen Rest einigermaßen an Ort und Stelle zu halten.
      Das war bestimmt eine interessante Information, für die Dany rein gar nichts übrig hatte.
      Der Nachbar des ersten rückte gleich schon auf und dafür beteiligte sich jetzt auch Sylvia, die auch einen Dolch bei sich trug, aber längst nicht so überzeugt aussah wie Dany - oder Prysk. Sie tänzelte ein wenig auf der Stelle herum, bevor sie sich dazu entschloss, einen zögerlichen Vorstoß zu wagen.
      Dany bekam derweil einen Strauch um die Ohren geschlagen, der sich erst später als "Hand" entpuppte und der Kraft genug hatte, um sie fast von ihren Füßen zu holen. Anstatt zu fallen griff sie aber beherzt zu, verstrickte ihre Hand in den zackigen Klauen und hielt fest, während sie mit der anderen ausholte und die Hand ganz sauber vom Rest abtrennte. Das Wesen gab ein Geräusch von sich, was klang, als würde man einen Baum mit seinen Wurzeln ausreißen. Dany verzog die Miene.
      Obwohl der Mutant sich aber ganz eindeutig zurückfallen ließ, um seine Wunden zu lecken, waren seine beiden Nachbaren gleich zur Stelle, um seinen Platz einzunehmen. Überhaupt schien die ganze Menge mit jeder verstreichenden Sekunde näher zu kommen und eliminierte Lücken zwischen sich selbst, die man vor ein paar Momenten noch hätte ausnutzen können. Plötzlich hatte Dany nicht mehr eine Klaue im Gesicht, sondern gleich zwei, von denen ihr eine ein paar Haare ausriss, ausversehen, nachdem sie noch rechtzeitig zur Seite sprang, und die andere ihr schmerzhaft über den Arm zog. Stechender Schmerz kündigte an, dass sie Blut freigelegt hatte.
      "Au! Scheißkerl!"
      Sie hieb mit ihrem Dolch zu, musste sich aber zurückziehen, bevor sie hätte treffen können, weil der Nachbar schon zur Stelle war, um ihre entblößte Seite in Angriff zu nehmen. Sie gab den Vorstoß zum Wohle ihrer Verteidigung auf.
      "Feuer!"
      Sie wusste gar nicht, wie sie darauf kam, aber nach den Geräuschen der anderen zu schließen, sah es nicht unbedingt besser für sie aus.
      "Hat jemand Feuer?! Die sehen brennbar aus! Wie Feuerholz!"
    • Nach dem ersten unzufriedenen Astwesen erschienen die anderen nicht weniger erfreut.
      Natürlich war das Kommando mit den Waffen durchaus praktikabel gewesen, jedoch erschienen die Kampffertigkeiten des ein oder anderen Begleiters nicht wirklich ausgebildet. Prysk tauchte unter einem weiteren Schlag eines der Astmenschen durch und versuchte, so wenig wie möglich Schaden an den brüchigen Strukturen anzurichten. Doch wie so oft erschien der Wille hierbei nicht angebracht, wie man es gedachte. Mit einem Taumeln schlug er gegen einen der Astmenschen, der seine knorrigen Arme um den Leib des Jägers schlang. Mit einem Reißen, das Krallen und rohem Fleisch nach kam, riss dieses Wesen die Klamotten entzwei und fuhr mit scharfen Klauen über die weiche Haut des Jägers.
      Mit einem Brüllen löste sich Prysk von dem Wesen und wies sechs große Kreuzschrammen auf, die beinahe sofort zu bluten begannen. Mit Wut und Rachedurst getränkt atmete er durch und schlug mit einer grazilen Drehung seinem Angreifer geradewegs den Kopf von den knorrigen Schultern.
      Mit einem satten "PLUMPS" fiel der Kopf in den matschigen Boden, während Lysander aus der Ferne heraus krächzte. WIe auf Kommando taumelten zwei Astmenschen gegeneinander, als die Eule eine satte Acht um die Köpfe herum flog und mit dem scharfen kleinen Dolch Muster in die Haut des Wesens ritzte. Ob es ein Brüllen war, das sie von sich gaben, vermochte keiner zu sagen, jedoch erschienen sie einen Moment lang orientierungslos.
      Rufus indes wich einem Schlag eines Wesens aus und tauchte unter einem weiteren durch, ehe er sein eigenes Schwert zog und es in den brüchigen Leib rammte. Als würde man ein Messer in eine Holztür rammen, verkantete es sich beinahe sogleich und wurde ihm aus der Hand gezogen, ehe der Lehrling zurück taumelte und an einem Baum zum Halten kam.
      Eine Sekunde später umwickelte ihn der Griff eines der Astmenschen mit einer zielsicheren Härte.
      Prysk rammte seine Schwerter derweil gnadenlos in den Nächsten der Astmenschen und trennte mit einer entgegengesetzten Bewegung den Kopf in vier Teile.
      Erst dann drang der Ruf von Dany an sein Ohr und er wirbelte herum. Erstaunlicherweise stand Schmerz und Unwille in seinem Gesicht, doch die Lage war verzweifelt. SIe waren eingekesselt, der Ausweg mit mindestens einer Leiche von ihnen gepflastert. Aber musste man deswegen diese Wesen zusätzlich quälen?
      Seufzend sah er zu Rufus und nickte schließlich.
      Der Lehrling erwiderte das Nicken und riss sein Buch hervor, das beinahe gleichzeitig zu blättern begann. Erneut verdichtete sich der Raum wie in Cheynia um den jungen Mann und einen Moment lang begann die Luft um ihn herum zu pulsieren. Sanft und flirrend und noch im Arme des Astmenschen erhitzte sich der Raum um ihn herum und die Augen des jungen Mannes begannen zu leuchten. Rot und warnend.
      Es musste ein kontrolliertes Feuer sein. Ein Ball vielleicht? Vielleicht auch ein Kreis.
      Noch ehe seine Gedanken die Formen des Feuers formen konnten, entrang sich seiner Kehle bereits ein Stöhnen als die Klauen des Wesens sich über seine Arme zurückzogen.
      Bewegten sich die Lippen des Lehrlings gerade noch stumm, so entrang sich ihnen nach und nach eine Art von Formel, die er zu rezitieren schien.
      Erst als er die Wesen ansah, sprach er die letzte Silbe laut aus.
      "Arrûl!", donnerte der Lehrling und das Wort erklang wie ein Donner in der Tiefsee.
      Eine ganze Sekunde geschah nichts, ehe mit einem Sirren die Winde stillzustehen schienen. Mit einer schnellen Armbewegung entflammte sich die Handfläche des Lehrlings mühelos und mit einem meckernden Schrei wich der Astmensch zurück, dessen Gesicht Rufus mit seiner Hand berührt hatte.
      Sorgsam führte er die Hand an den Kiefer und sah in Richtung der ersten Astmenschen, ehe er eine Art Luftkuss über die Handfläche zu hauchen schien.
      Mit dem Unterschied, das anstelle einer Liebesbekundung eine brüllende Stichflamme den dunklen Wald erhellte. Rote Flammenfinger griffen nach den Astmenschen und schienen sie zumindest zurückzudrängen.
      "Und jetzt?", schrie Prysk und streckte einen weiteren nieder. "Die Flammen halten sie nicht lange auf."
      Rufus blies noch eine Stichflamme in Danys Richtung, um die Wesen auch von den Frauen fern zu halten. DIe Lage war besser, aber nicht gelöst-.

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    • Prysks Arm war blutüberströmt. Dany konnte es sehen, als ihre Blicke sich kurz trafen. Sie wich nach hinten aus, als ihre kurze Ablenkung das Risiko, das damit einherging, einfing, und prallte dabei gegen Sylvia. Sylvia war gerade dabei, ihrem Gegenüber den Arm abhacken zu wollen, aber ihren Bewegungen fehlte es entweder an Schwung oder an Kraft, sodass sie keine ganzen Gliedmaßen abgetrennt bekam, bevor der besagte Arm sich wieder zurückzog. Zumindest schien sie die Willenskraft zu besitzen, diesen Kampf durchzustehen, zu welchen Kosten auch immer.
      Aber ansonsten sah es schlecht aus. Prysk hatte sich verletzt und Dany wusste nicht, wie tief die Verletzung war, schätzte aber, dass er es früher oder später mit Blutverlust zu tun bekommen könnte. Sie selbst hatte mittlerweile eine undurchdringbare Wand aus Astgestrüpp vor sich, das von beiden Seiten ausschlug und sie selbst immer mal wieder traf, aber nur oberflächlich. Sie und Sylvia waren jetzt schon ins Keuchen geraten und sie wollte auch gar nicht wissen, wie es um Rufus stand. Der Junge sah nicht unbedingt so aus, als würde er viel oder oft kämpfen.
      Wenn sie nicht bald eine Lücke schufen, würde es hier schon vorbei sein, kaum ein Tagesmarsch von Triuce entfernt und viel zu weit entfernt von der Festung - und von Danys Leuten. Der Gedanke versetzte ihr einen Stich von Angst.
      Sie wusste nicht, ob der Vorschlag bei den anderen angekommen war und ob sie überhaupt in der Lage waren, ihn in die Tat umsetzen, nachdem Dany selbst noch höchstgradig damit beschäftigt war, sich nicht aufspießen zu lassen. Aber dann spürte sie eine Veränderung in der Luft um sie herum, als würde Luft abgesaugt, oder vielleicht auch hineingepresst werden. Einer der Mutanten hieb nach ihrem Bein und nachdem sie ihm nicht schnell genug auswich, zerfetzte er ihr das Hosenbein. Als Dankeschön wollte sie ihm die Klinge ins Auge jagen, wenn man die kleine Höhle als Auge bezeichnen konnte, zog den Arm dann aber seitwärts, um stattdessen einen anderen Schlag abzufangen. So wurde das nie was. So könnte sie weiterkämpfen, bis sie irgendwann müde und unaufmerksam würde und dann einen Arm übersehen würde.
      Dann spürte sie aber eine deutlichere Veränderung, als der erste Schwall warmer Luft auf sie traf. Sie wusste nicht, was genau geschah, konnte nur einen weiteren Blick über die Schulter werfen um zu sehen, dass Rufus sein Buch aufgeschlagen hatte. So war es auch in Cheynia gewesen, oder nicht? Er hatte sein Buch offen und danach hatte der Feuerball das Rathaus verwüstet.
      Er würde doch keinen zweiten schaffen, oder? Sie standen alle zu dicht beieinander, ein Feuerball dieser Größe würde nicht nur die Mutanten einäschern, sondern auch alle anderen. War das sein Plan? War das so, wie das Buch funktionierte?
      Ihre Frage wurde beantwortet, während sie selbst noch damit beschäftigt war ihren Dolch in schnellen Bewegungen zu führen, Ast-Stränge abzutrennen, nach Gliedern zu hacken und sich dabei selbst außer Reichweite zu halten. Es war schwierig, weil sie alle so eng beieinander standen und die Mutanten nur noch weiter reindrängten.
      Dann donnerte Rufus' Stimme mit einer erstaunlichen Kraft, die man so nicht von ihm hätte erwarten können, über ihre Köpfe hinweg, und einen Moment später schnellte eine Stichflamme von dem Platz hervor, an dem sich Rufus befand, und ließ die Mutanten zumindest zurückzucken. Die Flamme war heiß und hell und selbst Dany schreckte zurück, als sie zielgerichtet an ihr vorbeischoss, fast schon wie von Hand geleitet. Aber Prysk hatte recht, der Effekt war nur temporär: Die Mutanten wichen zurück, machten ihre knackenden, knarrenden Geräusche, und waren sofort wieder an Ort und Stelle, bevor einer von ihnen die entstandenen Lücken hätte füllen können. Wenn Feuer schon nicht half, hatte Dany keine Ahnung, was sie sonst tun sollten.
      Außer natürlich...
      Sie fluchte gedanklich, zielte die Spitze des Dolches auf den Magen des Wesens vor ihr, traf ihn, hätte ihn beinahe in zwei geschnitten, wären die Äste oder Wurzeln dort nicht dicker als an den Armen. Sie riss die Waffe gewaltsam wieder hervor, bevor sie sie noch verlieren würde.
      "Mach das nochmal! Noch eine Flamme!"
      Sie wusste nicht, ob Rufus auf sie hören würde. Sie wollte sich auch nicht umdrehen, um es zu überprüfen, weil sie langsam von den kraftvollen Schlägen ermüdete und ihre Reflexe sowieso momentan nicht gut waren. Aber sie musste darauf vertrauen, dass er es würde.
      Es war ein leichtes, auf den Dolch zuzugreifen, auch ohne, dass sie ihn hören konnte. Es war genauso einfach wie "Ja" zu denken, nicht mehr war dazu nötig. Ihre Hände kribbelten und als sie den Dolch für den nächsten Stoß hob, konnte sie schon sehen, dass das Schwarz anfing, sich auszubreiten. Aber auch dieses Mal war es wieder langsamer als in Cheynia, es schoss ihr nicht mehr den Arm empor, es war eher wie ein langsameres Fließen, das ihre Venen nach und nach schwarz färbte. Es dauerte ewig, wie sie fand. Rufus' Flamme kam bereits, da spürte sie noch keine Veränderung.
      Aber dann, eine Sekunden später, als die Mutanten zurückwichen, war es endlich soweit. Der warme Schauer breitete sich in ihrem Körper aus, verdrängte den brennenden Schmerz ihrer Schürfungen und Kratzer und verbannte auch die Müdigkeit aus ihren Muskeln. Sie wartete gar nicht erst ab, bis das Gefühl wieder verebbt war und sie sich sicher sein konnte, dass die Kräfte des Dolches ihr zur Verfügung standen. Sie stürzte sich gleich in die von Rufus entstandene Lücke herein.
      Der Widerstand, der sich jetzt ihrem Dolch stellte, wenn sie ihn durch die Äste jagte, war kaum mehr als menschliches Fleisch. Sie rammte die Waffe in die Lücke im Magen des Mutanten, den sie eben schon getroffen hatte, und riss sie zur Seite wieder nach draußen. Das Wesen blutete nicht, es gab aber einen höchst interessanten Laut von sich, der an ein Gestrüpp in wildestem Sturm erinnerte, bevor seine Gliedmaße unter ihr erschlafften. Dany fand sich sogleich in den Klauen von anderen Mutanten wieder.
      Sie wirbelte herum, ließ spitze Äste ihre Flanke aufschneiden und spürte nichts davon, als sie dem einen ihrer Angreifer den Arm abtrennte und gleichzeitig mit der anderen Hand den Pilz-artigen Kopf seines Nachbarn zu fassen bekam. Sie riss daran, neigte sich nach hinten und stemmte den Stiefel gegen das Wesen. Der Kopf löste sich einen Moment später mit einem grausigen Ratschen von dem restlichen Rumpf. Sie schleuderte ihn einem dritten Mutanten gegen die Brust.
      Allerdings überkam sie der Gedanke, dass sie nicht lange mit der Macht des Dolches verweilen konnte. Sie fühlte sich nicht so behände und agil wie sonst, sie fühlte sich bei Zeiten sogar schwer und träge. Auch das war etwas neues. Mittlerweile glaubte sie, dass die Zeit vorbei war, in der sie "frei" den Dolch in sich hatte aufnehmen können. Er brauchte etwas von ihr und sie glaubte, was auch immer er sich nahm, verschwand mit der Zeit mehr und mehr.
      Dafür war sie aber auch nicht alleine hier. Den vierten Ast-Menschen nahm sie auseinander, dann sah sie sich nach den anderen um und danach, diesen Hinterhalt, der sich für sie jetzt in nichts mehr als eine Farce verwandelt hatte, so schnell wie möglich zu beenden.
    • Prysk missfiel, was er sah.
      Trotz der Kampfesaktionen war es ihm gut möglich, die Aktionen der jungen Bardame aus dem Augenwinkel zu bemerken. Das Schwarz ihrer Venen, das bedächtig hinauf pumpte und den Arm regelrecht vergiftete. Die Kraft, die von ihr ausging und die Wärme, die das Feuer in den Waldboden schlug, auf welchem sich die Einzelteile der besiegten Astmenschen sammelten.
      Und dem Jäger missfiel es.
      Umsichtig drehte er einem Wesen den Kopf beinahe bedächtig auf die andere Seite, sodass es erschlaffte und ihn aus den beißenden Krallen entließ. Jedoch schmerzte ihn dieser Verlust. Dies waren keine Kreaturen von Geisterhand erschaffen oder schlechter Magie. Sie waren Mutanten. Lebendige, wahnhafte Mutanten, die nur nach dem strebten, was sie benötigten und was ihre Triebe ihnen erlaubten. Es waren bestenfalls Tiere, aber Prysk wollte sie nicht so sehen. Denn man schlachtete auch keine Tiere ab, sondern jagte mit Ehrfurcht und Bedauern über die Notwendigkeit. Die Kostbarkeit des Lebens, das ihnen hier durch die Hände rann, war beinahe greifbar, als der Jäger mit einem Mal aufhörte, zu kämpfen.
      Ruhig senkte er sein Schwert und betrachtete die Leichen um sie herum, während Lysander noch den letzten dieser Baumkreaturen den Garaus machte. Mit einem gezielten Hieb seines feinen Dolches druchtrennte der Vogel eine schneidende Sehne des Halses (wenn man es Hals nennen konnte) und ließ den hölzernen Kopf mit einem Siegesgezwitscher zu Boden fallen.
      Rufus indes beschwor noch zwei weitere starke Stichflammen, die den Rest der Meute zum Rückzug zwangen. Getroffen von den Flammenfingern griffen sie sich panisch an die brennenden Stellen und glitten wie Geister in das Finsterdunkel des Waldes zurück, woher sie gekommen waren.
      Lysander und Rufus atmeten schwer, als Letzterer sein Buch schloss und seine Augen sich normalisierten. Er wirkte erschöpft und beinahe um Jahre gealtert, wohingehend Prysk die tiefe Wunde auf seiner Brust und an seinem Arm nicht wirklich bemerkte. Erschöpft schob er seine Kurzschwerter in die Scheiden zurück und sah zu dem Leichenberg hinab, den Dany hinterlassen hatte. Den sie alle hinterlassen hatten. Und er hatte nicht mal versucht, mit ihnen zu verhandeln. Oder zu reden.
      Sie hatten sie einfach niedergemäht wie Schlachthausvieh am Feiertag.
      "Was für eine Verschwendung", wisperte er mehr für sich und schüttelte den Kopf.
      Langsam sank er auf ein Knie und berührte einen knorrigen Stab, der einst einem Arm als Behältnis diente. Wut überkam ihn und innerlich schämte er sich, dass er SIE so betrogen hatte. Leben sollte geachtet werden. Geschützt. Und nicht willkürlich genommen, weil man Angst hatte. Diese Wesen hatten bestimmt auch Angst. Zumindest wenn er die versengten und verbrannten Reste betrachtete, die sich unter ihm auftürmten.
      "Geht es allen gut?", fragte er laut in die Runde, als er sich wieder erhob und die Hände an der Hose abklopfte.
      Rufus und Lysander nickten beide und sahen nach den Frauen.
      "Deine Brust", mahnte der Vogel und schüttelte den Kopf. "Ich habe dich Besseres gelehrt."
      "Du hast mich kämpfen gelehrt. Eine kluge Frau lehrte mich sprechen", grinste der Jäger schief und sogleich verschwand das Lächeln wieder aus seinem Gesicht.
      Jetzt sah auch er zu Dany und dem Dolch in ihrer Hand.
      "Ist alles in Ordnung?", fragte er erneut und tat einen Schritt auf sie zu.

      The more that I reach out for heaven
      The more you drag me to hell
    • Prysk schaffte es, zwei weitere menschliche Bäume zu fällen und Dany und Lysander rissen beide auch noch einen, bevor Stille um sie herum einkehrte. Mit einem Mal waren sie alleine, denn entweder waren sämtliche Besucher jetzt in dem Gewühl von Ästen und Wurzeln um sie herum, das aus ihren Leichen bestand, oder sie hatten sich zurück in die Erde verkrochen, als sie gemerkt hatten, dass sie hier nicht erfolgreich sein würden. Dany war das letzten Endes auch ganz egal, hauptsache es war vorbei.
      Dany gab die Macht des Dolches wieder auf, was einem Ruck gleichkam, der durch ihren Körper zuckte und sie ein Stück in die Knie zwang. Kälte trat dort ein, wo soeben noch der wärmende Schauer des Dolches ihre Beschwerden gelindert hatte, als würde sie dafür bestraft, es zu wagen, die Verbindung zu trennen. Sie konnte den Dolch sich quasi schon beschweren hören, was noch viel schlimmer war als alle körperlichen Leiden, nachdem sie wusste, dass sie es eines Tages wieder ertragen müssen würde.
      Vor ihr kamen zwei Stiefel in ihr Blickfeld, die ganz eindeutig Prysk gehörten. Nicht etwa, weil sie sich sowas gemerkt hätte, sondern weil sie von Blut besprenkelt waren.
      "Ja. Lass mich nur... Einen Moment."
      Sie blinzelte, wartete einen Augenblick ab - und übergab sich dann vor Prysk auf den Boden.
      Es war nicht viel, was da herauskam, hauptsächlich der Snack, den sie am Lagerfeuer zu sich genommen hatte, größtenteils unverdaut. Der Rest war lediglich Magenflüssigkeit und sie musste mehrere Male nachwürgen, bevor es vorbei zu sein schien und sie den Mund leer spuckte.
      So schlimm war es bisher auch noch nicht gewesen. Es war immer recht unangenehm, die Verbindung wieder zu trennen, was sich so anfühlte, als würde gewaltsam ein Stück aus ihr herausgerissen werden, aber übergeben hatte sie sich noch nie.
      Nun, einmal war immer das erste Mal.
      Als sie sich wieder aufrichtete, tanzten dunkle Sterne vor ihren Augen.
      "Alles ganz wunderbar. Habe mich nie besser gefühlt. Du? Du blutest noch."
      Sie deutete auf seinen Arm und seine zerschlissene Brust, die ganz eindeutig nicht so aussah, als wäre das nur ein gewöhnlicher Kratzer. Auch Dany war nicht wundfrei geblieben, aber Prysks Wunden schienen eindeutig tiefer zu gehen - aber er ließ sich davon nicht stören. Er stand aufrecht und eingebildet, wie er immer war, und sah wesentlich besser aus, als sie sich fühlte.
      "Ich trag dich nicht, wenn du umkippst, das kannst du dir abschminken. Wir sollten aber Lager aufschlagen und uns ausruhen. Erst hier rausgehen und dann Lager aufschlagen."
      Niemand hatte dagegen etwas einzuwenden, besonders nicht gegen das Vorhaben, die Gegend zu verlassen. Wer wusste schon, wo hier weitere Wesen unter dem Boden lauern würden, wo sie sie nicht sehen konnten.
      Aber tatsächlich konnten sie beim Weitermarschieren - in einer dichten Gruppe, die darauf achtete, so wenig Geräusche wie nur möglich zu machen - einen Unterschied im Boden ausmachen. Die Mutanten lebten wohl wirklich in der Erde in diesem Wald und ihre pilzartigen Köpfe waren ein sehr feiner, kaum merklicher Unterschied zu dem sonstig so trockenen Boden, der der Gruppe jetzt auffiel, da sie sie bereits von nahem gesehen hatten. Sie umgingen sie, soweit sie konnten, und suchten nach Anzeichen darauf, dass sie bald aus diesem offensichtlichen Revier wieder heraus waren.
      Der Wald - oder das, was davon übrig war - erstreckte sich so weit, dass sie irgendwann einsehen mussten, nicht unbedingt demnächst wieder auf normalen Boden zu stoßen. Allerdings wurden die Pilzköpfe irgendwann rar und nachdem der letzte ein paar Hundert Meter zurücklag, schlugen sie endlich das ersehnte Lager auf.
      Dany hatte sich beim Marsch erholt, wenn man das so nennen konnte, denn jetzt dröhnte ihr Kopf von Dehydration und zu wenig Merch und ihre Kratzer und oberflächlichen Wunden, die sie sich eingefangen hatte, fingen jetzt erst richtig an zu brennen. Sie musste aufpassen, dass sich nichts entzünden würde. Wer wusste schon, ob sie hier irgendwo Heilmittel auftreiben konnten.
      Sylvia leckte genauso ihre Wunden und musste dabei versuchen, stark zu sein, denn sie verband ihre Arme und Beine und gab dabei gelegentlich leise Geräusche von sich, die sie schnell wieder unterband, bevor sie noch jemand gehört hätte. Dany fiel das nur auf, weil die Frau mal ausnahmsweise Prysk nicht angaffte. Was auch immer sie so interessantes an ihm sehen mochte.
      Sie richteten sich für die Nacht ein. Sie aßen von ihrem Proviant, denn in dieser Gegend zu jagen brachte ein gewisses Risiko damit, sich unangenehme Krankheiten einzufangen. Sie stellten die Wachen auf.
      Getrieben nicht von Mitgefühl, aber zumindest von etwas, das man in die Kategorie menschliche Nähe hätte einordnen können, meldete sich Dany freiwillig zum Wachdienst, als es angesprochen wurde.
      "Ich übernehme Wache. Ich werde eh nicht schlafen können."
      Die erste Nacht seit langem ohne Merch und sie wusste genau, wie es werden würde. Genauso gut konnten sich die anderen erholen, wenn das nur hieß, dass sie beim nächsten Zusammentreffen mit Mutanten wieder so viel Glück haben würden.
    • "Es geht mir gut", brummte Prysk und zuckte die Achseln.
      Die warmen Flüsse von Blut, die bereits wieder auf seiner leicht behaarten Brust zu trocknen begannen, bemerkte er zwar, aber sie machten ihm nichts aus. Vielleicht mochte es an der Aufregung liegen, dass er die Schmerzen nicht spürte. Aber wenn er ehrlich war...Hatte er noch nie wirklich Schmerzen gefühlt. Zumindest nicht in diesem Ausmaße.
      Schweigsam nickte er ihr zu, nachdem sie um Zeit bat und sah kurz nach Sylvia und Rufus. Beiden ging es augenscheinlich gut, sodass er der Idee von Dany nicht weiter feindlich entgegen sah.
      Und doch war es merkwürdig, sie sich übergeben zu sehen. Manch einer mochte denken, dass es dem Eifer des Kampfes zu schulden war, jedoch wusste Prysk es besser. Er sah den Körper ermatten, nachdem das Schwarze aus ihren Armen verschwunden war. Beinahe als würde man Luft aus einem Sack herauslassen, sank sie in sich zusammen. Als verlöre sie mehr Kraft als sie stemmen konnte...
      Kopfschüttelnd machte er sich auf und blickte ein letztes Mal zurück zu den Pilz- oder Astgestalten. Ein Jammer war es trotzdem. Viele gute Wesen waren gestorben, weil er nicht fähig war, ausreichend zu Sprechen. Und jetzt sahen sie hinab auf Leichenteile, die alsbald der Regen und die Natur wieder in sich verschlingen würde.
      Der restliche Marsch gestaltete sich als beinahe ereignislos, nachdem sie die Unterschiede im Boden bemerkt hatten. Sorgsam darauf achtend, nicht noch mehr dieser Pilzgestalten aus dem Boden zu befördern, tappsten sie zwischen den einzelnen hin und her und versuchten, sich auf den Weg zu konzentrieren.
      Und auch wenn Prysk und Rufus die unterdrückten Laute der Frauen hörten, wahrten sie die Contenance und drehten sich nicht herum. Sie wollten es nicht zeigen oder kundtun. Weshalb also nötigen?
      Als der Pilzwald hinter ihnen und die Sonne sich ebenso hinter ihnen senkte, beschlossen sie, ein Erholungslager für die Nacht zu errichten. Das Gruselige war, dass sie zwar ein gutes Stück geschafft hatten, jedoch noch einmal die Häflte vor ihnen lag.
      Während sie das Lager aufschlugen und das Feuer entzündeten (erneut mit Rufus Hilfe), sah Prysk auf als die junge Frau das Wort an sie richtete.
      "In Ordnung", nickte er und fügte sich dem Schicksal.
      Sicherlich, ihm war unlieb dabei und er traute diesem Weib nicht weiter als er es werfen konnte, aber sein Leib zeigte entgegen der Schmerzen doch Zeichen der Erschöpfung, die er nicht ignorieren durfte. Das Blut war zwischenzeitlich vollends getrocknet und sechs rote, über Kreuz laufende, tiefe Striemen zeugten von der Attacke des Baumlings.
      Schweigsam ließ er sich vor den Flammen nieder und lehnte sich stöhnend gegen einen Baumstamm in seinem Rücken. Rufus war derweil erstaunlich still, während er die Schlafstetten bereitete. Lysander war mit der Ausgabe des Proviants beschäftigt, den sie postwendend verspeisten.
      "Was machen die Wunden?", fragte Prysk schließlich und sah zu den beiden Frauen. "Wir haben Verbände und Kräuter dabei, wenn ihr sie benötigt."
      Schweigsam wies er Rufus an, eine der Satteltaschen zu öffnen, die Walther mit sich führte. Darin befanden sich tatsächlich eine Reihe von Kräutern und Pflanzen.
      "Wir haben sogar Königsmutter", sagte der Lehrling monoton und zog eine Art Blume aus der Tasche. Diese war beinahe violett und leuchtete leicht im Dunkeln. "SIe ist nicht ungefährlich, aber betäubt Schmerzen."

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      The more you drag me to hell
    • Alles war jetzt anders als beim letzten Lager und damit auch irgendwie vertrauter: Die allgemeine Stille, die nichts von Ruhe an sich hatte, sondern von angespanntem Schweigen; die Langsamkeit, mit der sich alle bewegten. Verdeckte Blicke gingen in die Richtung zurück, aus der sie gekommen waren, aufmerksame Ohren lauschten nach dem Knacken und Brechen von Ästen. Ein verdorrter Strauch in der Nähe brachte Dany tatsächlich zum Aufhorchen, als der Wind ihn bewegte, und sie hasste sich gleich dafür.
      Das war schon viel eher die Art und Weise, die sie zu reisen gewohnt war.
      Zumindest mussten keine Betten aufgebaut werden, weil Rufus das innerhalb eines Wimpernschlags für alle erledigte. Das war aber kein Vorteil, der die anderen Umstände ausbessern konnte.
      Prysk schien am meisten verletzt, ganz allein von den hellroten Striemen, die jetzt seinen Oberkörper zeichneten, aber wo andere Männer sich dem offensichtlichen Schmerz ergeben hätten und sich auf die Pflege von den anderen verließen, zeigte er keine Anzeichen davon, überhaupt etwas zu spüren.
      Dany beneidete ihn einen Augenblick lang um diese Stärke. Sie wünschte, sie wäre auch so stark, wäre schon vorher so stark gewesen. Vielleicht wäre sie dann gar nicht hier gelandet, nichtmal in Cheynia.
      Aber weil sie sie nicht hatte, musste sie eben vortäuschen.
      "Nicht schlimm. Hat schon aufgehört zu bluten."
      Sie lehnte Verpflegung ab, aber Sylvia stimmte zu und ließ sich von Rufus dabei helfen, gepresste Kräuter auf ihren Schrammen auszudrücken. Sie fragte ganz spezifisch Rufus, was Dany merkwürdig fand, da die Frau sonst immer nur Prysk angaffte.
      Sollte sie doch machen. Dany war es egal.

      Allesamt richteten sie sich für die Nacht ein.
      Das Merch wurde schlimmer. Es zog an ihr, ein Teil tief in ihr drinnen, den sie nicht einfach so auskotzen oder aushusten konnte, der sich in ihren Venen festgesetzt hatte und jetzt mehr verlangte, um die Lücken zu füllen, die mittlerweile entstanden waren. Ihre Hände waren kalt, ihre Fingerspitzen kribbelten, ein Jucken saß in ihren Knochen, von dem sie wusste, dass sie gar nicht erst versuchen sollte, es zu erreichen. Ihre Haut fühlte sich trocken und aufgesprungen an, nicht nur dort, wo die Mutanten sie erwischt hatten, sondern überall, sie schien an ihrer Kleidung hängen zu bleiben und sich nur noch selbst aufzukratzen. Es tat nicht weh, sie hatte keine Schmerzen und doch wünschte sie fast, dass sie welche gehabt hätte, um zu wissen, dass ihr Körper noch ihr eigener war. Sie fühlte sich neben sich. In ihrem Kopf war ein Nebel, der sich eines Tages sicher lichten würde, aber was würde geschehen, wenn dieser Tag gekommen war? Was verbarg sich hinter dem Nebel, dessen Schleier ihre Gedanken betrübten und träge werden ließ? Sie wollte es nicht wissen. Sie wollte mehr Merch haben, damit der Nebel auch weiterhin existieren und alles dämpfen würde.
      Stattdessen saß sie unbewegt durch ihre erste Wache, starrte in die Richtung, aus der sie gekommen waren, aber auch in alle anderen Richtungen, die sich neben ihn auftaten, und fühlte sich zum ersten Mal in ihrem Leben allein gelassen.
    • So geschah's dass ich das was ich einst war vergaß
      Nur das eine von dem ich niemals genas
      Lässt sich nicht aus den Träumen entfernen
      Und das Sehnen lebt immer noch unter dem kühlen Gras
      Zu wandern zwischen den Sternen
      [ASP - Ballade der Erweckung]



      Sie kamen bei Nacht.
      Als das schneidende, bleiblaue Mondlicht über die Wipfel fuhr und das schmale Lager in ein fahles Kleid hüllte, schien die Luft leicht zu vibrieren, obgleich niemand atmete. Nachdem Rufus bedacht und mit leicht rotem Kopf die Wunden von Sylvia mit behandelt hatte, waren sie alsbald dem Schlaf anheim gefallen. Die Erschöpfung umfing selbst den Jäger Prysk mit einer Allmacht, derer er sich nicht mehr erwehren konnte. Selbst mit einem besseren Körper als dem seinen.
      Und so zog die Ruhe über das Land.
      Ein Stillstand in der Natur, den noch Barden und Liederschreiber zu verteidigen wussten und wo nur das schwache Zirpen der Grillen verblieb, die sich im struppigen Unterholz des Waldes versteckten. Regelmässig, einem Atmen gleich, musizierten die zarten Getiere mit der Dunkelheit, die sich still und heimlich um Dany auszubreiten wusste. Und noch die größte Wachsamkeit, welche die Dame zweifellos an den Tag legte, lenkte nicht davon ab, dass die Welt sich auch des Nachts zu drehen wusste.
      Mit dem Wind, der seine fahrigen Finger durch das geschliffene Gras und den Schlamm um sie herum fahren ließ, kam gleichzeitig ein Geräusch aus dem Unterholz hervor, was viele Menschen und Mutanten als die Geräusche des Waldes abtaten.
      Ein Klopfen, ein Zerren, ein Knarren und Plustern. Als rebelliere das Holz gegen die eigene Rinde. Und doch mochte man sich stark irren, wenn man diesem Gedanken verfiel, geneigter Leser.
      Denn aus dem Unterholz traten nach einiger Zeit, als die übrigen des Lagers bereits tief und fest schliefen, zwei Gestalten heraus, die sich beinahe nicht von dem unterschieden, aus welchem sie hervorkrochen.
      Der Erste war ein Mann mittleren Alters und würde selbst unter den niedrigen Standards der Gesellschaft als gutaussehend gelten. Ja, geradezu als wunderschön. Ein ebenmässiges Gesicht, ein adrett gestutzter Bard und hellblondes Haar, das im Mondlicht fahl glänzte. Der Mann trug eine leichte Lederkluft und schwere Reiterstiefel. Ein Schwert war auf seinen Rücken gebunden, obschon er die Hände in den Taschen seiner Lederhosen vergraben hatte.
      Das Gruselige jedoch war das, was ihm folgte.
      Aus dem Unterholz brach mit einem Knarren ein Wesen, dessen Größe selbst Prysk um beinahe ein Vielfaches überragte. Breitschultrig, dennoch leise und agil fortschreitend, brach ein aufrecht gehender Bär aus dem Wald heraus, dessen Unterleib in einer eisenbeschlagenen Lederhose steckte. Selbst die Muskelform, die sein Körper zur Genüge aufwies, wirkte beinahe menschlich.
      Und als diese beiden ungleichen Gestalten ins Sichtfeld kamen, grinste der blonde Mann breit und offenbarte das erste Mal seine rasiermesserscharfen spitzen Zähne.
      "Sieh an, sieh an", murmelte er leise und trat näher an das Lager heran.
      Eine einsame Frau, die am Feuer saß und wirklich nicht gut aussah. Sie waren den Pilzwesen begegnet, daran bestand kein Zweifel. Sie wirkte merkwürdig, aber dennoch gewagt, eine einsame Frau die Wache übernehmen zu lassen. Ob sie Fähigkeiten hatte?
      "Schau mal her, Odo", sagte der Blonde und wies mit dem Kinn auf die Dany. "Einen wunderschönen guten Abend wünsche ich, die Dame. Ich hoffe, es geht Euch gut?"
      "Halt dich nicht mit Nettigkeiten auf, raffraff", knurrte der Bär und sah sich wachsam um. Der Hammer in seiner wuchtigen Pranke wirkte fehl am Platze, jedoch zeugte das getrocknete Blut an der Schlagstelle von keinem Unnutzen. "Wir haben was vor. Schnapp dir den Esel und dann nichts wie weg!"
      "Na, na, nun mal keine Hektik. Es sind Damen anwesend", murmelte der Blonde und nickte Dany zu. "Also erneut: Gute Nacht, werte Dame. Mein Name ist Pollux und das ist Odo. Wir haben keinen Streit mich Euch und sind nur auf der Suche nach diesem Esel dort."
      Sorgsam ruhig wies er auf Prysk und hob seine rechte Hand, dem Schwure gleich, in die Luft.
      "Würdet Ihr uns wohl erlauben, ihn umzubringen?"
      "Bitte und Danke, raff!", knurrte der Bär.


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    • Dany war nicht müde, zumindest auf keine Weise, die Schlaf gerichtet hätte. Sie war ruhelos und sicherlich gereizt, die Stille um sie herum nicht zu vergleichen mit der Stille in ihrer Kammer in der Schenke, wo es kein Geraschel und kein Gezirpe und kein Knistern gegeben hätte, allerhöchstens das Knarzen von altem Holz. Die Dunkelheit leistete auch keinen guten Beitrag dazu, denn irgendwann fing sie an sich einzubilden, dass die Geräusche im Takt ihres schlagenden Herzens ertönten. Aufblühend und lauter, wann immer ihr Herz pochte, leiser und versteckter dazwischen. Es machte sie wahnsinnig. Vielleicht war es das? Vielleicht war die Stille ihre Erlösung in den Wahnsinn?
      Mehrmals drehte sie sich zu den schlafenden Gestalten um, zu jeder einzelnen von ihnen, zählte die Sekunden, bis sie ihre Wache ablösen könnte, auch wenn sie schon nach 30 Sekunden wusste, dass sie nicht den Überblick behalten würde. Sie wusste auch gar nicht, wie viele Sekunden, geschweige denn Minuten oder Stunden es noch sein würden. Sie zählte einfach, weil das etwas war, was Leute sicher taten, die nahe davor standen, in den Wahnsinn überzuwechseln.
      Der Wald um sie herum schlief niemals. Es gab immer ein Geräusch, immer ein Rascheln oder ein Knacken, das sich anhörte wie Schritte und dann ganz eindeutig doch keine waren, denn wirklich, wer würde sich schon in einer so verlassenen Gegend herumtreiben. Und alles, was hier wirklich herumfleuchte, würde nicht das Geräusch von Schritten machen, sondern von brechenden Ästen und auswurzelnden Bäumen.
      Dany erschauerte bei der Erinnerung. Ihre Schrammer und Kratzer taten trotzdem noch weh, egal, was sie Prysk vorher gesagt hatte.
      Sie war gerade bei Sekunde 168 angekommen, was gar nichts bedeutete, da sie allein in der letzten Minute schon drei Mal dort angekommen war, als sie doch eine Bewegung in der Dunkelheit ausmachte und für einen Augenblick überfordert damit war, was das für sie bedeutete. Sie wusste, dass sie den Wachposten innehatte, aber gleichzeitig hatte sie gerade jetzt das Bedürfnis, sich ganz still und reglos zu halten, als würde sie einem Albtraum-Monster entgehen wollen, indem sie die Augen vor ihm verschloss. Sie war auch still und reglos, als sie den Blick auf die Schemen warf.
      Der kleinere von beiden war einfacher zu verstehen, weil er ein Mann und außerdem ein ziemlich gut aussehender war. Seine Haare waren sauber genug, dass sie das Mondlicht reflektierten und das allein stellte wohl schon einen deutlichen Kontrast zu dem Rest der Mannschaft dar, die sich auf Danys Seite versammelte. Seine Kleidung war recht unbeschädigt, was Dany für einen kurzen Moment ärgerte. Hielt er sich für etwas besseres? Hatte er es nicht nötig, sich mit Astmenschen herumzuschlagen und seinen Teil der Schläge einzustecken?
      Der Ärger verpuffte aber augenblicklich bei dem, was hinter ihm zum Vorschein kam. Was Dany vorher für einen nur sehr großen und dichten Busch gehalten hatte, hatte zwei Augen, ein fettes Maul, riesige Tatzen und einen dunklen Pelz, der die ganze Erscheinung einrahmte.
      Es war ein ganzer verdammter Bär, der da hinter dem Mann auch noch hervorkam.
      "Scheiße. Verflucht."
      Sie sprang auf, ihre Glieder steif von dem langen Sitzen - immerhin hatte sie hier mindestens drei mal 168 Sekunden gesessen. Sie hatte auch gleich ihren Dolch gezückt und ihre Würde allein hielt sie davon ab, gleich laut zu schreien und die anderen aufzuwecken. Sie konnte ja wohl schließlich mit ein paar Fremden auch selbst gut umgehen, oder nicht? Auch, wenn einer davon ein Bär war. Ein ganzer, verschissener Bär.
      Der Blonde sprach sie an, als er näherkam. Selbst seine Stimme schien so unbefleckt wie seine Haare und Dany ärgerte sich nur umso mehr, dass er es nur wagen konnte, in diesem Wald so frei zu wandeln. Gleichzeitig fühlte sie sich auch nur weiter zu ihm hingezogen, weil wirklich, er sah tatsächlich gut aus. Jünger als sie. Wann hatte sie das letzte Mal einen jüngeren gehabt?
      Sie drehte ihren Dolch in der Hand. Sie konnte ihn kaum fühlen bei ihren kribbelnden Fingern, aber das musste hier ja niemand wissen.
      "Mir geht's ganz fantastisch, durchaus."
      Zu ihrer Scham zuckte sie doch tatsächlich zusammen, als der Bär auch noch zu sprechen begann - und das sogar höchst verständlich. Es lockte ihr Interesse, auch wenn sie das wieder hinab schob. Selbst Dany war schlau genug, sich nicht auf Fremde einzulassen, egal wie interessant der eine und gutaussehend der andere sein mochte.
      Wirklich gutaussehend.
      Beim zweiten Mal erwiderte sie seinen Gruß dann auch endlich mit einem trockenen "N'Abend", bevor der Mann schon zur Sache kam. Er wollte einen Esel haben. Irgendwie überraschte es Dany gar nicht, dass er damit Prysk meinte.
      Sie schnaubte.
      "Esel trifft's nicht ganz. Eher Hund."
      Ihr Scherz blieb ungehört. Dafür bekam sie die recht unverblümte Bitte, Prysk umbringen zu lassen.
      Es überraschte sie nicht wirklich, dass jemand mitten in der Nacht, mitten im Nirgendwo aus einem Busch kommen und fragen könnte, ob er Prysk umbringen dürfe, denn wirklich, wer wollte das nicht? Es wunderte sie schon, dass Rufus keine solchen Neigungen zeigte oder das Federfass, dabei waren beide schon wesentlich länger mit Prysk unterwegs gewesen.
      Aber musste das unbedingt jetzt geschehen? Könnte das nicht warten, bis sie die Festung erreicht hatten und bis klar wäre, dass Prysk keinen Nutzen mehr für Dany und ihre Leute wäre? Dann hätte sie sicher Ja gesagt. Dann hätte sie Ja gesagt und versucht, das beste aus dem Treffen mit diesem Schönling zu machen.
      So musste sie sich darüber ärgern, dass ihr genau das verwehrt war, als sie die Arme verschränkte und sich mit dem Dolch gegen das Kinn tippte.
      "Warum? Denkst du - ... ihr - denn wirklich, dass es zielführend ist, mitten in der Nacht hier aufzutauchen und danach zu bitten? Wäre es morgens nicht besser? Oder fragt ihn doch selbst, es geht doch schließlich um ihn."
    • Selbst Pullux' Lachen war schön, wenn man es von einem neutralen Standpunkt aus betrachtete.
      Der junge Mann wirkte zeitlos in seinem Bestreben, alle Parteien möglichst ruhig zu halten. Odo hinter ihm wirkte diesem Bestreben nicht ganz entgegen, als er sich endlich von den Sträuchern und Ästen befreit hatte, die ihn umgaben wie Rabengewirr.
      Ärgerlich wischte er sich einen Ast vom Pelz und schnaubte leicht, als Dany sie endlich zurück grüßte. Pollux lächelte weiter und nickte, ehe er einen bedächtigen Schritt voraus setzte und ausatmete.
      "Bitte", begann er und hob erneut die Hände auf Brusthöhe auf, ohne ein Zeichen, nach dem Schwert auf seinem Rücken zu greifen. "Habt keine Angst. Es freut mich, dass es Euch fantastisch geht, auch wenn man es Euch - mit Verlaub - nicht ansah. Ich bin nicht hier, um Euch zu schaden oder Euch Schaden zuzufügen. Es ist lediglich dieser Esel dort, mit dem ich Streit habe."
      Erneut wies er beinahe spielerisch elegant zu Prysk, der schnarchend auf dem Rücken lag und sich unästhetisch den Bauch kratzte. Wenn man ihn so von der Ferne ansah, wirkte er beinahe wie ein normaler Mensch. Ein einsamer Mensch, dachte Pollux und riss sich doch zusammen. Es galt, diese Frau zu beruhigen, die einen merkwürdigen Dolch in der Hand drehte. Ob sie dessen versiert war? Ob sie kämpfen konnte?
      Und wann hatte er eigentlich eine Ältere zuletzt gehabt?!
      Odo unterbrach ihn in seinen Gedanken, indem er ein schlabberndes Geräusch machte und den gigantischen Kopf schüttelte.
      "Raff, sie redet zu viel", knurrte er und sah zu Dany. "Bin dafür, wir räumen sie aus dem Weg und schnappen uns den Bastard."
      "Odo, bitte", zischte Pollux und schüttelte den Kopf. "Ignoriert meinen Begleiter, er ist ein wenig von der Reise strapaziert. Um Eure Frage zu beantworten: Ich denke, es ist sogar sehr zielführend, denn so wehrt sich der liebe Jäger nicht und ich habe leichteres Spiel. Ich bin ehrlich zu Euch, Miss...Äh. Wie heißt Ihr eigentlich? Ein offener Kampf würde nur zu unnötigen Opfern führen und ich habe nur eine Aufgabe zu erfüllen. Würdet Ihr mir also den Weg frei machen? Ich möchte nicht mehr kämpfen, als ich muss..."
      Lächelnd ließ er die Hände sinken und sah zu den Schlafenden.
      Diese merkwürdige Eule war nicht das Problem. Rufus hingegen schon eher. Der Lehrling war immer für eine Überraschung gut und das letzte Mal hatte er sie mit einer Windhose im Norden überrascht, die ihnen beinahe das Leben gekostet hatte. Pollux schwelgte noch in Gedanken, ehe sein Kopf nach hinten schnappte.
      "Odo!"; zischte er und ertappte den Bär gerade noch dabei, wie dieser sich erstaunlich lautlos ins Unterholz stehlen wollte. "Ich bitte um Entschuldigung, Miss. Odo ist nicht diplomatisch und noch weniger taktvoll. Wir planen nichts hinterhältiges und ich würde beinahe sagen, wenn wir uns an anderer Stelle begegnet werden, wüsste ich um Euren Rock zu werben, Miss."

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    • Pollux' Lachen war wie ein Glockenspiel, die Töne hell und klar, seine Stimme so samtig weich wie Wolle. Dany konnte seinen Adamsapfel springen sehen und scheiße, sie starrte schon recht ungehemmt auf diesen makellosen Hals, der in einen starken Nacken überging. Wie schön der aussah. Sie wettete, dass seine Haut unter seinen Klamotten gänzlich frei von Narben und Verunstaltungen war. Sicher auch so weich, wie sie aussah.
      Kaum eine Minute und sie hatte sich schon von dem Mann verführen lassen - aber ehrlich, sie hatte schon seit Wochen keinen Sex mehr gehabt. Und schließlich hatte sie als Frau auch Bedürfnisse; Bedürfnisse, die Pollux hießen und hübsche Hälse hatten.
      Ihr Entzücken wich kurzzeitig Empörung, weil er es sich doch tatsächlich erlaubte, sie unterschwellig zu beleidigen, aber der Ärger wich schnell, wenn man bedachte, mit welcher Höflichkeit er es aussprach. Das konnte man sicher nicht von allen erwarten, erst recht nicht von einem Fremden, der hergekommen war, um Prysk zu töten.
      Apropos.
      Dany folgte dem Handzeig zu Prysk hinab, der mit offenem Mund ausgestreckt auf dem Boden lag und sich den Bauch kratzte. Das Hemd ritt ihm ein Stück hoch und entblößte den Ansatz eines haarigen Bauches.
      Dany verzog die Miene.
      Nur der Bär - eigentlich Odo, aber Dany schaffte es einfach nicht, dieses Monstrum als etwas anderes als genau das zu sehen - ließ sie wieder auffahren und wäre es nur dieser gewesen, hätte sie sich sofort ihres Dolches bedient, um sich gegen ihn zu verteidigen. An Pollux allein lag es, dass hier nicht schon das erste Blut geflossen war.
      Dessen Begründung war sogar recht einleuchtend, wie Dany mit einem brummenden Geräusch zugeben musste. Natürlich wäre es einfacher, wenn er schlief, und außerdem würde sich dann niemand sonst in Gefahr bringen. Durchaus stichhaltige Argumente.
      "Nennt mich Dany."
      Davon alleine hätte sie sich dennoch noch nicht überzeugen lassen - anders war es da bei seiner letzten Bemerkung, die Dany schlussendlich ein Grinsen entlockte. Oh, wie viel sie doch bereit wäre zu tun, um sich mit diesem Mann das Nachtlager zu teilen. Sehr viel, wie sie befand. Auch jemanden dafür umbringen lassen?
      Ihr Blick wanderte zurück zu dem Jäger hinab, der sich bisher nicht von der Unterhaltung hatte stören lassen. Sie hatten bisher insgesamt ein paar Tage miteinander verbracht, zugegeben durch einen recht spektakulösen Untergang von Cheynia, ein paar Streitereien und schlussendlich das gemeinsame Ziel, das sie zu verfolgen versuchten. Es war nicht genug, dass sie auch nur etwas über ihn wusste; sie kannte seinen Namen, dass er Jäger war, dass es eigene Artefakte gab, die er zu untersuchen versuchte, und dass es in seiner Festung noch mehr von ihnen geben würde. Sie wusste auch, dass er frech war und sich kaum ein Blatt vor den Mund nahm und sich selbst für das Größte hielt und stank. Dass er nervig war. Dass seine komischen Perlen in seinen Haaren nervten. Dass er befehlshaberisch war.
      Aber auf der anderen Seite hatte er sie vermeintlich vor Eres' - nein, Rufus' - Feuerball gerettet, auch wenn sie immernoch glaubte, dass er sie umzubringen versucht hatte. Er hatte ohne zu zögern und ohne zu meckern seinen Proviant mit ihr geteilt und ihr sogar - irgendwie - verziehen, dass sie seinen Wagen zerstört hatte. Er hatte keine Forderungen gestellt, nicht ein Mal. Er hatte sie behandelt, als wäre sie schon genauso lange Teil der Gruppe wie Rufus und das Federfass.
      Abgesehen davon war Prysk jetzt offiziell mit der Erforschung ihres Dolches beauftragt und, heilige Scheiße, sie wollte dieses Ding wirklich loswerden. Oder zumindest abschalten. Oder zerstören, was auch immer, es war ihr ganz egal. Wenn Prysk es nicht tat, wer würde es sonst tun? Und würde Pollux wirklich sein Wort halten, wo ihm doch ganz offensichtlich aufgefallen war, dass Dany nicht mehr ganz so frisch war? Sie war sich selbst ihrer tiefen Augenringe, der struppigen Haare und blutbefleckter Kleidung bewusst, sie war sich auch sicher, dass sie selbst nicht unbedingt angenehm roch. Sicherlich sagte er nur, um zu bekommen, was er wollte, so wie Dany sicher alles gesagt hätte, um irgendwie an Merch zu kommen.
      Sie konnte also nicht. Verflucht, sie hätte nie gedacht, dass sie soetwas jemals denken würde, aber sie konnte Prysk nicht wegen Sex umbringen lassen.
      Sie seufzte gedehnt und ließ die Arme fallen, was eher so wirkte, als würde sie sich ergeben. Stattdessen brauchte sie den angemessenen Griff um den Dolch, um ihn möglichst schnell zu aktivieren. Eigentlich könnte sie es auch ohne tun, aber sie wusste, dass die Kraft mittlerweile einen Moment benötigte, bis sie sich vollständig entfaltet hatte, und für diese Zeit brauchte sie die Klinge einsatzbereit.
      Sie hatte sich noch gar keine Gedanken gemacht, wie zur Hölle sie es schaffen sollten, einen Bären abzuwehren. Einen riesigen, gewaltigen, gruseligen Bären.
      "Ich weiß das Kompliment wirklich - wirklich - wirklich zu schätzen, aber ich kann es nicht zulassen. Ich brauche ihn lebend."
      Sie drehte ihren Dolch in der Handfläche.
      "Ich muss ablehnen. Entweder, ihr werdet dorthin verschwinden, woher ihr gekommen seid, oder ich werde so laut schreien, dass nicht nur Prysk und der ganze Rest aufwacht, sondern auch noch der ganze Stamm Mutanten, der hier irgendwo lebt. Und die werden sich sicher nicht freuen, dass ihr so durch ihr Zuhause marschiert."
    • Pollux' Seufzen barg gleich mehrere Facetten.
      Zum einen wollte er nicht unnötig kämpfen, diese Wahrheit war unumstritten. Vielmehr hätte er es zu schätzen gewusst, wenn er seinen Auftrag zu Ende führen könnte und danach vielleicht die Gesellschaft dieser Frau vorziehen könnte. Doch wie immer, wenn es um diesen einen Jäger ging, ging der Plan schief. Stattedessen regte die junge Frau den Dolch in ihrer Hand und ließ ihn beinahe verräterisch zwischen ihnen stehen.
      "Und ich brauche seinen Kopf, Dany", sagte Pollux und schlug die Augen nieder. "Ich wünschte wirklich, wir müssten diese Auseinandersetzung nicht führen..."
      Langsam glitt seine Hand zu dem Schwertgriff auf seinem Rücken. Mit spielerisch findigen Händen glitt er die Schnallen entlang. Schnappend und vielsagend glitten sie auf und entließen das schwere Metall in die Hände des Mannes, der noch immer bedauernd zu Dany sah. Das Schwert, was er hervorzog, war nichts besonderes. Nicht einmal besonders groß. Der Griff des Schwertes und der Parierbogen jedoch schien aus schwerem Gold zu bestehen, so wie es in der Nacht blitzte und entgegen zu den silbernen Worten des Mannes wirkte die Schneide beinahe grobschlächtig und hart. Als passte es nicht zu ihm.
      "Ich möchte Euch nochmals bitten, Dany. Bitte lasst mich meinen Auftrag erledigen. Sonst muss ich Euch leider drohen, dass Ihr sterben werdet, ehe dieser Esel erwacht. Und wenn uns diese Mutanten dort wirklich kümmern würden, wären wir nicht hierher gekommen, ohne Verletzungen zu tragen. Ich bitte Euch um Eurer Schönheit willen!"
      Odo schüttelte den bepelzten Kopf und richtete sich zur vollen Größe auf. Knurrend und geifernd schielte er auf die Lager hinter ihr. Doch noch ehe sich der Bär in Bewegung setzen konnte, hatte Pollux bereits die Initiative ergriffen.
      Es gab einen Grund, weshalb "Zendyrs Auge" diese beiden Männer geschickt hatte. Odo, den sie den Halbstarken nannten, war ein Mutant der sonderbaren Gattung. Jedoch tat er, was ihm befohlen wurde.
      Der Unsterbliche Pollux jedoch war ein anderes Kaliber. Ein kampferfahrener Söldner, der sich an kleineren Aufträgen verdingte, wenn es ihm möglich war. Leicht noch wehte sein Haar im Wind der Nacht als er seufzend einen Schritt vor setzte.
      Und plötzlich nicht mehr an Ort und Stelle stand.
      Stattdessen wehte das Gras leicht im Wind seiner Schritte, die er offenbar gegangen sein musste, denn er stand nun neben Dany und sah sie von der Seite her an.
      Selten hatten Augen mehr Traurigkeit getragen an diesem Tag.
      "Ich bitte Euch", wisperte er, während seine Rechte das Schwert locker an seiner Seite hing. "ich will Euch nicht wehtun..."


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    • "Wir brauchen alle irgendwas", brummte Dany, die sich bereits darauf einstellte, ihren Dolch jeden Augenblick zu aktivieren. Zwei Mal mit nur wenigen Stunden Abstand dazwischen konnte sie nicht unbedingt gutheißen, besonders nachdem das letzte Mal sie so sehr mitgenommen hatte, aber sie wollte kein Risiko eingehen. Das war etwas, was sie selbst unter dem Dröhnen ihres von Merch entzogenen Körpers noch umzusetzen wusste.
      Jetzt war die Bewegung, die Pollux vollführte, doch seinem Schwert gerichtet und keine Antäuschung dessen. Als hätte die Welt für den einen Augenblick den Atem angehalten, erklang für einen Moment deutlich und vielsagend das Schnappen von Schnallen, dann bewegte sich der Schwertgriff und die Waffe ließ sich von seinem Rücken ziehen.
      Dany beobachtete nur, in den Bann gezogen von dem Instrument, das dort genauso langsam in Sicht kam. Es war schön, eine Glanzleistung, ein Meisterwerk, entweder aus einer Zeit vor der Apokalypse oder von Schmieden geschaffen, die mehr als nur fahles Eisen verwendeten. Schmieden, die ihren eigenen Dolch hergestellt hatten, womöglich. Der Gedanke war tatsächlich gruselig genug, dass er ihr eine Gänsehaut über den Rücken jagte.
      Die Klinge war fein geschmiedet und sauber poliert, keine Flecken, die von jüngsten Kämpfen hätten zeugen können und keine Risse im Griff oder Verfärbungen im Stahl, die in der Sprache der Zeit gesprochen hätten. Das Schwert passte mit seinem Glanz, seinem Prunk und seiner offensichtlichen Unbescholtenheit genauso wenig in diese Gegend wie sein Besitzer mit seinem glänzenden Haaren, den edlen Gesichtszügen und der makellosen Haut.
      Dany hätte kotzen können.
      Und dann hätte sie ihn vermutlich dennoch geküsst.
      Aber auf dieses Ergebnis würde es wohl nicht mehr zulaufen, denn sie hatte sich mit dem letzten bisschen Rest Verstand, an den sie sich hängte, für ihre Seite entschieden und die war - entgegen sämtlicher Vermutungen - Prysks. Sie würde nicht für ihn sterben und sie würde sich auch nicht freiwillig in Gefahr begeben, aber so wie Prysk sie als Teil seiner Gruppe aufgenommen hatte, nahm auch sie ihn jetzt als Teil ihrer Gruppe auf und das hatte, zumindest für Dany, einen wesentlich anderen Stellenwert.
      Also schüttelte sie den Kopf, auch wenn sie das Kompliment weiter in die andere Richtung lockte. Scheiße, wie gern sie mit diesem Mann das Bett geteilt hätte. Sie hätte sich auch als Bett zur Verfügung gestellt, das wäre auch vollkommen in Ordnung gewesen.
      Sie hätte jetzt wirklich, wirklich gerne etwas Merch gehabt.
      "Ich brauche ihn lebend. Das beinhaltet seinen Kopf und sämtliche andere Gliedmaße und Organe, die er zur Verfügung hat."
      Das wäre nun das Stichwort gewesen, aber er kam nicht auf sie zu, nichtmal ansatzweise. Stattdessen blinzelte Dany und in dem winzigen Zeitraum, in dem sie nichts sah, stand er schon an einem anderen Fleck - fünf Meter weiter vorne, direkt neben ihr. Der Luftzug traf sie und ließ sie mindestens genauso verschreckt, wie sein plötzliches Auftauchen, nach hinten springen.
      "Scheiße!"
      Auch jetzt rührte er sich nicht, aber das musste er mittlerweile gar nicht. Sie hatte zwar keine Ahnung, wie zum Teufel er das nun geschafft hatte, aber er hatte sich jetzt unlängst in ihre Reichweite gegeben und gegen ein Schwert kam sie nicht an. Sie hatte nicht dieselbe Reichweite, sie konnte nicht parieren und selbst wenn sie es schaffen sollte, seine Klinge zu umgehen, musste sie doch stets damit rechnen, dass sie sie jederzeit in zwei spalten könnte.
      So wie er sich bewegt hatte, blieb auch kaum Zweifel daran, dass er genauso schnell kämpfen könnte. Dagegen kam sie mit ihrem Dolch nicht an.
      Allerdings hatte sie auch keinen gewöhnlichen Dolch.
      Sie starrte Pollux weiter an, der wohl einen allerletzten Versuch startete, sie mit lieben Worten zu überreden, und wechselte dabei langsam die Hand, sodass sie den Dolch aus seinem Blickfeld nehmen konnte. Sie bemühte sich wirklich, es wie eine friedvolle Geste wirken zu lassen, während sie ihn aktivierte, kaum als sie sich sicher sein konnte, dass ihr eigener Körper die Waffe vor Pollux verdeckte.
      Ihre Finger färbten sich schwarz. Ihre Hand bekam schwarze Flecken und dann wanderte das Schwarz, wie sonst auch, ihren Arm hinauf, den sie ebenfalls hinter sich hielt. Sie wusste, dass es einige Sekunden dauern würde, auch ohne hinzusehen. Also musste sie Zeit schinden.
      "Das will ich auch nicht."
      Sie sprach jetzt genauso leise, fast als wollten sie die Schlafenden nicht stören. Dabei wäre es an Dany, jede Sekunde Luft zu holen und irgendwas zu schreien.
      "Wenn wir uns an anderer Stelle begegnet wären, hätte ich mich von Euch umwerben lassen. Oder Euch zumindest ein gratis Met geschenkt."
      Sie lächelte knapp.
      Verflucht, dauerte dieser verschissene Dolch immer so lang?
      "Allerdings möchte ich Euch auf eine Sache hinweisen, die Ihr vielleicht nicht ganz bedacht habt."
      Das Schwarz erreichte ihre Schulter, kroch unter ihre Kleidung.
      Dany lehnte sich ein bisschen vor, hauptsächlich für den theatralischen Effekt, aber auch, damit sie ihre eigene Reichweite bereits verkürzen könnte.
      "Wer sagt, dass Ihr an mir vorbeikommt? Denkt Ihr etwa, Ihr seid der einzige, der solche kleinen Tricks drauf hat? Das wäre wirklich, wirklich töricht."
      Der Schauer kam. Die Wärme traf ein, die Beschwerden verschwanden und Dany zögerte keine weitere Sekunde, um scharf Luft zu holen. Sie würde schreien und sie würde Pollux mit ihrem besonderen Dolch bekannt machen, wenn er es wirklich darauf anlegte.
    • Der Schrei kam nicht.
      Pollux's Blick war eine Sekunde lang abgelenkt, als er an dem Körper der jungen Frau herab sah und sich für einen Moment lang die Zweisamkeit vorstellte, die sie zu teilen vermocht hätten. Einen Moment lang den Hunger stillen, der sich in jede einsame Seele virusartig fraß. Götter, wie lange war es her, dass er einer Frau beigelegen hatte? Monate?
      Doch statt der Aufmerksamkeit, die er sich erhoffte, wurde er erst wieder wach, als Dany ihm seinen Gedanken mit ihrer Drohung madig machte. Freilich hatte er das Schwarze nicht bemerkt, dass sich ihre Hand hinauffraß. Auch nicht als es die Schulter erreichte. Doch merkwürdigerweise warnten ihn seine Sinne vor diesem Ungetüm in ihrer Hand. Etwas stimmte mit dem Ding nicht und beinahe wäre er einen Meter zur Seite gesprungen. Doch das war dumm! Sehr dumm!
      Reflexartig glitt seine Hand vor und drückte sich in der Sekunde auf Danys Mund als sie die Luft einsog. Kein Schrei sollte erfolgen. Sie durften nicht erwachen, sie durften-
      Odos Ruf kam zu spät.
      Pollux fühlte das Gewicht auf seinem Arm zu spät und auch der Seitenblick erfolgte nicht mehr. Mit einem Mal glitt ein scharfer Schmerz durch sein Rückgrat und ließ ihn erstarren. Mit deutlicher Überraschung sah er Dany in die Augen und die Hand sank von ihrem Mund, den er so gerne sein genannte hätte. An sich herabblickend stach eine silberweiße Klinge aus seinen Eingeweiden heraus, die einen Schwall Blut mit sich brachte. Es brannte.
      Wie Feuer.
      In seinem Rücken war Prysk aufgetaucht und sah über die Schulter zu Dany.
      "Dir gehört der Bär!", murmelte er und sah zu Pollux. "Na, Pollux? Auf Jagd?"
      "Wie du mir so ich dir, würde ich sagen", grinste der Mann mit dem blonden Haar und trat einen Schritt nach vorne.
      Schmatzend glitt die Klinge aus seinem Bauch und er spuckte Blut auf den feuchten Boden.
      "Das war wirklich eine fiese Attacke", sagte er und wandte sich zu Prysk um. "Ist mir ein Vergnügen, Prysk. Lange nicht gesehen."
      "Hätte länger sein können. Wie gehts Cassiopeia?"
      "Schöner denn je. Liegt im Sterben."
      Ohne weitere Worte gingen die beiden aufeinander los und beharkten sich mit ihren Klingen. Schwere Schläge wurden unter klirrenden Klängen der Eisenschwerter ausgetauscht, während sie sich umgarnten wie zwei Liebende.

      Odo Halbstark an anderer Stelle knurrte auf.
      Der Bär hatte sich vor Dany aufgebaut und erst jetzt kamen die ganzen Muskeln in das Sichtfeld der Frau, die er an sich trug. Waffen trug der Bär keine. Warum auch? Zwei große Pranken wiesen zehn Dolche auf, die sich als Krallen tarnten. Schwer atmete das Wesen auf und stach übelriechenden Atem in die Nacht, der sich als Nebel ausgab.
      Geifernd grinste das Ungetüm und warf sich im nächsten auf Dany, beide Pranken zum Hieb ausgeholt.

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    • Danys Schrei wurde noch in seinen Grundzügen erstickt, aber bevor sie sich dazu hätte verleiten lassen können, den betreffenden Arm, der sich soeben ganz praktischerweise in ihre Reichweite begeben hatte, einfach abzuhacken, wurde ihr diese Aufgabe in gewissen Teilen bereits abgenommen. Pollux' Augen wurden groß, als seine Hand von ihr glitt, aber Dany starrte auf den Mann hinter ihm, der das Schwert in der Hand trug, dessen Klinge jetzt deutlich aus Pollux' Eingeweiden hervorstach. Sie wusste weder, wie der Jäger es geschafft hatte, sich von allen ungehört so weit heranzuschleichen, noch wie er ihrem Blick hatte entgehen können. Sie war sich sicher, dass sie eine Bewegung bemerkt hätte. Sie war sich genauso sicher, dass er einfach aus dem Nichts aufgetaucht war - fast so wie Pollux zuvor.
      Ihre Blicke trafen sich. Dafür, dass Prysk gerade einen ausgewachsenen (und hübschen und attraktiven, scheiße, musste er wirklich sterben?) und definitiv gefährlichen Mann einfach so aufgespießt hatte, war seine Miene erstaunlich gefasst. Fast so, als würde er das jeden Sonntag veranstalten, wenn ihn die Lust dazu packte.
      Mehrere Sachen passten Dany in den folgenden Sekunden ganz und gar nicht: Zum einen überließ Prysk ihr den Bär, was sie für einen Moment gar nicht verstand, denn in den letzten Sekunden hatte sie hauptsächlich an Pollux gedacht. Bär? Achso, stimmt ja. Warte mal, Bär?! Zum anderen redete Prysk mit Pollux, als wäre es ein gewöhnlicher Plausch zwischen zwei Freunden und Pollux antwortete auch noch. Er hatte zwar eine Klinge im Bauch, die ihm ganz sicher den Magen durchschnitten hatte, auch ziemlich sicher den Darm und noch viel sicherer eine Schleuse für eine Menge Blut geschlagen hatte, aber er hatte nichtmal ein Geräusch von sich gegeben. Und die einzigen Geräusche, die er jetzt von sich gab, war eine Antwort auf Prysks Plauschgespräch.
      Klar, es passierte Dany auch ständig, dass sie eine Klinge im Bauch hatte. Gar nicht der Rede wert.
      Wort- und fassungslos beobachtete sie, wie der blonde nur einen Schritt nach vorne tat, damit die Waffe mit einem schlürfenden, absolut widerlichen Geräusch zurück durch seine Eingeweide und hinten wieder herauskam. Mehr Blut platschte auf den Boden von dem Loch, das jetzt zweifellos in seinem Körper war und ihn immer noch nicht gestört hatte. Es waren auch Stücke von Eingeweiden dabei, die einen dunkelroten, glibberigen Kontrast zu dem vielen Blut boten.
      Irgendwie hatte Dany die Lust an einem sexuellen Vergnügen mit diesem Mann verloren. Sie wusste auch nicht wieso; irgendwie hatte sie seinen Körper soeben auf eine zu intime Weise kennengelernt.
      Lediglich das Knurren eines gigantischen Monstrums lenkte sie davon ab, dass beide Männer jetzt in einen Schwertkampf übergingen, der gar nicht möglich sein dürfte, nicht nur wegen des offensichtlichen Lochs im einen, sondern auch, weil sie wusste, wie schnell derjenige war. Daher bekam sie auch nur den flüchtigen Anfang mit, bevor sie sich zu dem Bären umwandte.
      Der Mutant war stinkig - oh, und ob er das war. Dany konnte das sogar nachvollziehen; unter anderen Umständen hätte sie sogar ihre Empathie mit ihm austauschen können über die Art und Weise, wie die Lage sich soeben verändert hatte, aber sie fürchtete beim Anblick der zehn Dolche in den gewaltigen Pranken, dass der andere nicht wirklich empfänglich dafür sein würde. Die Vermutung wurde bestätigt, als er sich auch noch zu seiner vollen Größe aufrichtete.
      "Ach du verlorene Scheiße."
      Ein Grinsen begegnete ihr, das gruseliger als ihre schlimmsten Albträume war, und dann stürzte sich der Berg von Muskeln auf sie. Man hätte meinen können, dass das Vieh mit seiner enormen Größe unter höherem Luftwiderstand zu leiden hatte und damit nicht allzu schnell in seinen Bewegungen war, aber ganz anscheinend konnte er diesen Nachteil durch Gravitation recht gut wieder ausgleichen. Gefühlt eine Tonne aus Muskeln schossen auf Dany zu und keine 100 sprechenden Dolche dieser Welt hätten ihr sagen können, was sie in diesem Moment tun sollte. Nichtmal der eine, den sie ja aber sowieso nicht hören konnte.
      Ihrem reinen Instinkt gehorchend warf sie sich nach hinten weg und als die eine Pranke sie verfehlte, sie sich dafür aber an dreien der Dolchen fast aufgeschlitzt hätte, begriff sie, dass das absolut keine gute Idee gewesen war. Es gab nämlich zwei dieser Dinger und die zweite Tatze kam direkt auf sie zu.
      Dany schrie. Auch das kam instinktiv, aber sie fand, dass das ein ganz guter Ausdruck für eine derartige Situation darstellte. Sie griff sich ihren Dolch so fest, dass sie glaubte, ihre Muskeln würden gleich platzen und stieß sich vom Boden ab, um unter der Tatze hindurch zu deren Besitzer zu gelangen. Zwei der Dolche trafen sie dennoch, schlitzten ihr über die Schulter und dann den Rücken, aber den Angriff spürte sie kaum. Sie flog für den Bruchteil einer Sekunde durch die Luft und kollidierte mit dem Ungetüm.
      Der Kraft des Dolches alleine war es zu verdanken, dass sie Odo zu Fall brachte. Der Bär war ganz anscheinend nicht daran gewöhnt, dass ihn Personen oder sonstige Wesen umschmeißen könnten. Entsprechend groß war die Überraschung und Hilflosigkeit in dem winzigen Zeitraum, in dem beide zu Boden gingen.
      Dany versuchte das gleich auszunutzen. Sie griff beherzt in den Pelz des Bären um sich zu stabilisieren und rammte ihren Dolch in ihn hinein, darum betend, dass die Klinge lang genug war, um sowohl Fell als auch die darunterliegende Haut zu penetrieren. Sie konnte allerdings nicht herausfinden, ob ihr Gebet angekommen war, denn kurz darauf wischte sie eine Pranke wie eine lästige Fliege von sich und Dany segelte ungewollt durch die Luft. Sie kam ein paar Meter entfernt auf dem Boden auf, rollte ein Stück weiter, spürte einen aufflammenden Schmerz irgendwo in der Hüfte, der aber kurz darauf schon wieder verebbte, und sprang gleich wieder auf die Füße. Mehr als ein bisschen Schwindel spürte sie nicht, alles war noch vollkommen beschwerdenlos. Nur dem Dolch verschuldet.
      Die ganz kleine Verschnaufspause gönnte sie sich dafür, um zu sehen, ob Prysk schon gestorben war.
    • DIe beiden Gestalten glitten wie Katzen umeinander.
      Erst jetzt, bei näherer Betrachtung, wurde offenbar, dass sich ihre Bewegungen grundsätzlich ähnelten. Das tänzelnde Umgarnen, die Führung der Schwerter. All das wirkte beinahe zwillingshaft, als sie aufeinander losgingen.
      Die Schwerter wurden hierbei nicht als Hackwerkzeuge missbraucht, wie es bei vielen Räuberbanden der Fall war. Viel eher glitten die Schneiden umeinander und schienen nicht zu prallen, sondern eher an der jeweils anderen Schneiden entlang zu schneiden. In immer rascher Folge knallten die Eisenschwerter aneinander, wohin gehend sich die Kämpfer außer leichten Bewegungen umeinander kaum bewegten.
      Pollux wirkte nicht mal im Grunde beeindruckt von seiner Wunde, die zwischenzeitlich seinen Bauch rot gefärbt hatte. Dennoch büßten seine Schläge nicht an Kraft ein, sodass Prysk sich mehr als einmal gezwungen sah, mit einem Ausfallschritt auszuweichen oder unter der Klinge hindurch zu tauchen, während das Gebrüll des Bären offensichtlich in ihren Ohren klang.
      Mit einem Zischen nahm er die Schnittwunde auf seiner BRust zur Kenntnis, die sich von einer zur anderen Seite zog.
      "Also wirklich", murmelte er und atmete durch. "Hättest du Odo mitbringen müssen?"
      Pollux kicherte und wischte sich einen Blutfaden aus dem Mundwinkel.
      "Was soll ich sagen. Wir haben Personalmangel wie du weißt", sagte er schulterzuckend. "Aber du hast reizende Begleitung. Sag...Wenn du stirbst, hast du was dagegen wenn ich mich dieser Dame dort annähere?!"
      Mit einem kurzen Wink wies er zu Dany und grinste anzüglich.
      "Nach all der Zeit glaubst du immer noch, dass du mich besiegen kannst?", lachte Prysk und sah mit einem huschenden Blick zu Dany herüber, die gerade den Dolch in den Bären hieb.
      Das war keine gute Idee! Gar keine gute!
      Noch ehe der Andere antworten konnte, gingen sie wieder aufeinander los und brachten ihre Waffen aneinander. Mit einer schnellen Bewegung, riss Prysk mit einer Klinge das Schwert des Anderen herunter und riss das zweite Kurzschwert quer über seine BRust, um ihm die gleiche Wunde zuzufügen.
      "Wirklich?!", motzte Pollux. "Das hast du damals auch immer gemacht."
      "Weil du nicht aufpasst..."
      "Komm, zweite Runde. Sollte die letzte sein, ich verliere zu viel Blut."
      Mit einem Lachen gingen sie erneut aufeinander los und trieben sich den Hang in Richtung Wald hinab.

      Odo indes schmerzte der Dolch in seiner Brust. Tief genug ging der Stich und das war das, was ihn rasend machte. Brüllend rappelte er sich auf die Beine und hielt sich die Brust, die rotquellend Blut hervorbrachte und sein Fell zerzauste.
      Über Odo Halbstark wusste man nicht viel. Nicht wo er herkam oder wohin er eigentlich wollte. Eine Sache war jedoch im Rahmen von Zedyr's Auge bekannt: Odo machte man besser nicht wütend. Sein Temperament war legendär, seine Kraft noch viel mehr. Mit einem Brüllen, dass mehr und mehr an Menschlichkeit und auch an Animalität verlor. Die Wunde schmerzte. Und Schmerzen taten weh! Niemand fügte ihm Schmerzen zu! Niemand ausser Zedyr! Niemand!
      Geifer troff die Lefzen herab, als er sich erneut auf Dany stürzte und sie mit einem gewaltigen Schwinger erneut verfehlte. Diesmal bohrten sich die Krallen sich in einen der Bäume in Danys Rücken. Tief und beinahe butterweich glitten sie in das massive Holz. Diesem jedoch nicht genug blieben sie nicht etwa stecken.
      Viel eher riss der Bär ein ganzes Stück des Holzes mit seiner Pranke aus dem Baum heraus und sah sich brüllend zu Dany um. Geifernd grinste er und entblößte eine Reihe von spitzen Zähnen.
      "Du wirst...sterben..."
      Schien er größer geworden zu sein? Eindeutig ja! Die Muskeln des Bäres erschienen nicht mehr fleischig, sondern viel eher definiert. DIe Arme wirkten zwischenzeitlich wie übergroße Muskelstränge, die sich mehr und mehr zusammenzogen. Als krampften die Muskeln alle gleichzeitig um mehr Dichte zu erzeugen. Der Dolch würde nicht nochmal so tief eindringen. Nicht nochmal derartige Schmerzen.
      Diese Schmerzen...
      Mit einem Brüllen stürzte er sich erneut auf Dany und hieb nach ihr.

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