Nemeton [Codren & Nico]

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    • Es hätte gut sein können, endlich einmal Klartext bei Leuten reden zu können, die auch tatsächlich verstanden, wovon Dany gerade redete. In Wirklichkeit war es aber nur lästig, wie sie trotzig dachte.
      Sie brauchte kein Mitleid. Sie brauchte kein "Ohh, wir verstehen was du meinst, es muss so furchtbar sein". Dany war immer gut allein ausgekommen, immer. Niemand verstand auch nur ansatzweise, worum es hier ging. Niemand hatte jemals vollständig begriffen, dass Dany, in jungem Alter, klein und dumm und überfordert, hatte lernen müssen, was das Geräusch war, das von rauschendem Wasser erzeugt wurde oder von einem elementaren Zauberspruch. Keiner hätte jemals verinnerlichen können, dass es genauso viel darum ging, was der Dolch zu ihr zu sagen hatte, als auch, dass er überhaupt etwas zu ihr sprach. Magie war immer so allgegenwärtig, aber leblos gewesen wie die ganze Natur um sie herum, aber plötzlich formte sie Worte, sie sprach zu ihr, sie unterhielt sich mit ihr, sie war weit davon entfernt leblos zu sein und Dany hatte Angst. Sie hatte Angst vor einem Dolch, der ihr nachts ins Ohr flüsterte, der ihr genauestens beschrieb, wie er ihr Leben erleichtern könnte, nur, dass er ausnahmslos mörderische Absichten hegte. Dany hatte Angst, mit ihm allein zu sein.
      Deswegen reagierte sie auf Rufus' leere Worte auch nicht mit viel mehr, als die Arme vor der Brust zu verschränken. Sie wussten es immerhin nicht und Dany, in ihrem permanenten Zustand des Rausches, wusste nicht, wie sie es ihnen hätte beibringen können.
      Aber Fragen beantworten, das wusste sie, wie das ging, das konnte sie tun.
      "Ich stopfe ein ganzes Blatt. Jede... uhm... fünf Stunden."
      Sie hatte gerade das letzte Wort gesprochen, da fuhr Prysk, der sich bisher scheins von dem Gespräch losgelöst zu haben schien, auf und bleckte seine metaphorischen Zähne in Danys Richtung. Und Dany, weil sie gar nichts anderes von ihm erwartet hatte, ließ sich sofort darauf ein.
      "Ach, Herr Ich-weiß-alles-so-viel-besser - und wie soll das gehen? Soll ich ihm vielleicht den Mund knebeln, wenn er mir wieder zu viel spricht?! Dann zeig du mir den Mund auf einem verdammten Dolch! Oder soll ich ihn vielleicht, ich weiß auch nicht, bestrafen, dafür, dass er mit mir redet?! Ihn vielleicht auspeitschen?! Den Dolch?!"
      "Hooo, hmmm", machte da Cayen, vielleicht weil Dany zu laut geworden war, vielleicht, weil sie kurz davor war, aufzuspringen und Prysk die Hölle heiß zu machen. Er hob beide Hände in die Luft, wie um sich zu ergeben, und fuhr dann mit einer Hand in seine Haare.
      "Das ist, hmmm, sehr interessant, hm, Dany. Aber lasst uns hier allesamt nicht Federn picken, das würde, hmm, zu nichts führen, oder?"
      Dany funkelte Prysk noch immer an, aber nachdem sie nichts mehr sagte, fuhr Cayen kurz darauf fort.
      "Ihr seid doch, hmm, Reliktjäger, nicht wahr? Habt ihr es jemals in, hm, Augenschein genommen, das Artefakt? Ich würde sonst davon abraten, aber, hmm, die Situation scheint es vielleicht zu erfordern."
      Er sah zu den Gästen und dann zu Dany.
      "Hmm? Dany?"
      Dany schmollte, starrte jetzt Cayen böse an und griff sich dann auf umständliche Weise ins Hosenbein. Sie zog es hervor, das rote Artefakt, das auch jetzt noch in einen sehr leichten Schimmer getaucht war. Die Waffe war makellos, als sei sie keine Sekunde in ihrem Leben jemals genutzt worden.
      "Sie können es nicht nehmen. Arkanfluch."
      "Geht es auch, hmm, vielleicht ohne es anzufassen, hm, Herr Prysk?"
    • Diese vermaledeite Frau schaffte es immer wieder seine Wut zu schüren. Feuergleich spürte er sie aufwallen, mit jeder Silbe die sie sprach. Da war wieder dieser arrogante Ausdruck in dem Gesicht, der ihn rasend machte und Prysk wusste nicht einmal warum es eigentlich so war.
      "Für dich gibt es wirklich nur schwarz und weiß, oder?", knurrte er. "Natürlich kann man ein Artefakt nicht auspeitschen. Oder bestrafen. Aber man kann sich lösen und dagegen ankämpfen anstatt sich mit Kräutern vollzupumpen. Zieh dir deinen verfluchten Kopf aus dem Hintern, wir haben alle gelitten!"
      Vielleicht war es mehr Angriff als gewollt doch dem Knurren seiner Stimme schwang etwas anderes mit. Da war eine Art Zorn, die nicht Dany oder diesem Konglomerat an Merkwürdigkeiten hier galt. Rufus selbst bemerkte den Ton und warf einen Blick zu Prysk, der sich gleich nach Cayens Einwurf knurrend zurückzog und mit den Haaren klimpernd die Arme vor der Brust verschränkte.
      Rufus und Lysander nickten an seiner Stadt und bestätigten die Annahme des Händlers. Erst als das Artefakt vor ihrer aller Nasen ruhte, wirkten sie das erste Mal peinlich berührt. Tatsächlich hatten sie es bereits gesehen, es war lange her. Nun, so lange auch wieder nicht. Doch war es jemals so nah, so greifbar gewesen?
      Schweigsam beugte sich Prysk vor und stahl damit Rufus und Lysander die Sicht. Beinahe bar lag die Waffe in der Hand der Schankdame und wirkte so unschuldig wie des klaren Bergsees Wässerchen. Ein Schimmer von Rot glitt durch den sanften Schwung des Metalls und gleichsam durch Prysks Augen, die sich näher und näher an das Stück beugten. Erst nach einer gefühlten Ewigkeit und zwei, drei Atemzügen, die klamm durch den Raum hallten, zog er sich zurück und zuckte die Achseln.
      "Nö. ich sehe gar nichts. Einfach Metall!", sagte er und sah zu Rufus. "Du bist dran."
      Der Junge nahm sein Buch zur Hand und erneut begann es, nach dem Aufklappen, von alleine durch die Seiten zu blättern. Erst nach einer ganzen Weile sah Rufus auf und das Buch kam zum Stehen. Just in dem Moment als Prysk seinen Finger auf das Metall senken wollte, riss er den Finger nach oben und sah ihn warnend an.
      "Es stiehlt Seelen", murmelte er.
      "Was?"
      "Seelen. Es kann Seelen aufnehmen. Zumindest Teile davon wenn ich es richtig deute. Es ist also eindeutig magischen Ursprungs..."
      Lysander nickte bedächtig während Prysk auf die Klinge sah und mehr und mehr den Drang verspürte, das Ding zu berühren. Es zog ihn an und machte ihn beinahe wahnsinnig, das Kribbeln in den Fingern zu ignorieren.
      "Ich will es berühren...", flüsterte er.

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    • Wie zwei Kinder auseinander gerissen sanken Dany und Prysk auf ihre Plätze zurück, um sich wieder dem eigentlichen Ziel ihrer Zusammenkunft zu widmen. Das schien auch das Friedenszeichen zwischen den Kindern zu sein, denn Dany hielt den Dolch bereitwillig - wenn auch trotzig - in die Höhe und Prysk begutachtete ihn auch, leider erfolglos. Sie tat dasselbe auch mit dem Bücherwurm und bei ihm war es wohl kaum wunderlich, dass er sein auffälliges Buch dafür zu Rate zog. Dany hatte noch immer nicht ganz verstanden, wie dieses Ding funktionierte; sie wusste, dass es etwas tat und dass der Bursche auch seinen Nutzen daraus zog, aber sie konnte nur leere Seiten sehen, wo auch immer sie hinblätterten. Unweigerlich fragte sie sich, was für ein Geräusch es wohl von sich geben würde, wenn es diese Sache tat. An zweiter Stelle zog sie den Gedanken wieder zurück, weil das bedeuten würde, dass sie sicherlich Prysk einen Gefallen damit täte, wenn sie ihn darin einweihte.
      Der Bücherwurm las für einen Moment von einem unbeschriebenen Blatt und dann nuschelte er etwas, was Dany im ersten Moment gar nicht verstand. In Unison mit Prysk fragte sie nach, was ihm einen funkengeladenen Blick von ihr einheimste, bevor beide den Leser anstarrten, der seine Worte näher erklärte. Cayen gab dabei seine murmelnden, atmenden Geräusche von sich.
      Der Dolch nahm Seelen in sich auf. Was sollte das denn bezwecken? Was wollte man mit einem Dolch anfangen, dessen Seele einen in den Wahnsinn treiben könnte?
      Dany starrte auf das Artefakt und hielt es ein Stück weiter in die Höhe, als wolle sie sich vergewissern, dass unten nicht zufällig gerade eine Seele heraus sah. Dieses Ding, das mit ihr sprach, war dann also vielleicht... eine Seele? Von wem?
      Prysks Gesicht tauchte am Rande ihres Gesichtsfelds auf und der Gedankengang, der sich gerade in ihrem Gehirn gebildet hatte, wurde blitzartig abgelöst von dem tiefsten Bedürfnis, Prysk zurück an seinen Platz zu verweisen. Das Gefühl kam so schnell und so aus dem Nichts heraus, dass es Dany überraschte. Das war nicht ihr Gefühl. Für den Bruchteil einer Sekunde war sie sich ganz sicher, dass der plötzliche Gedanke nicht von ihr gekommen war.
      Dann war es auch schon wieder vorüber und sie zog den Dolch zurück, bevor die hässliche Perlenfratze tatsächlich noch seine schmutzigen Finger nach der Klinge ausstrecken würde.
      "Vergiss es."
      "Hm, aha, vielleicht ist es wirklich keine gute Idee, hmm, es zu berühren."
      Triumphierend plusterte Dany sich ein Stück auf.
      "... Zumindest nicht ohne Schutz."
      Sie sackte wieder ein und Cayen rutschte von seinem Stuhl und kletterte über ihre gemeinschaftliche Runde hinweg, um die Schubladen an der Wand zu erreichen. Prysk bekam einen Ellbogen in die Rippen, Dany ein Knie in die Hüfte und dann richtete er sich unter vielem Gerumpel und Gestöhne wieder auf. In der Hand hielt er - eine ganze Merch Pflanze.
      Danys Augen leuchteten auf.
      "Wieso hast du -!"
      "Ich denke, hmm, es könnte ein, hm, Versuch wert sein."
      Er kämpfte sich zurück an seinen Platz. Die Pflanze war noch vollständig intakt, wenn auch etwas verwelkt. Sogar die Wurzeln hingen noch dran und die großen, runden Blätter waren vollkommen unbeschädigt. Cayen präsentierte sie und beäugte die Runde, bevor sein Blick auf Dany zum Halten kam.
      "Das ist es, was ich, hmm, dir mitteilen wollte, ahem. Die Pflanze steht im Zusammen-hm-hang. Vielleicht wirkt sie, ahem, sogar abweisend."
      Er überreichte sie in ritueller Form an Prysk, sehr zum Missfallen von Dany, die definitiv andere Verwendungen dafür gesehen hätte, als sie jetzt um den dummen Dolch zu wickeln. Aber damit war sie wohl in der Unterzahl und wenn sie eine Chance darauf haben wollte, die Pflanze später von Cayen zu bekommen, würde sie sich wohl gut mit ihm stellen müssen.
      Also hielt sie die Klinge Prysk entgegen. Er nahm die Pflanze zur Hand, nutzte sie als Art Handschuh, um den Dolch zu berühren, und ergriff die Klinge. Er nahm sie Dany aus der Hand und ihre Finger verloren den letzten Kontakt zum Griff.
      Das rötliche Glimmen der Klinge verschwand fast augenblicklich. Es gab kein Nachhallen, kein Flackern, es war einfach weg. Genauso wenig sprach eine Stimme zu ihnen, weder zu Prysk, noch zu Dany.
      Dafür fingen Danys Fingerspitzen an zu kribbeln. Es war dasselbe, normale Symptom des Arkanfluchs, der erst die Fingerspitzen, dann das erste Fingerglied, das zweite, die Finger und schließlich die Hände heimsuchte. Erst kribbelte es, dann kam das leichte Stechen, dann die Lähmung. Sie zog sich dann den Arm hinauf, während die Fingernägel bluteten, als würde es den Arm aussaugen. Und dann, irgendwann, verreckte man als steife, gelähmte Gestalt, deren sämtliche Muskeln verhärtet, verknorpelt und verkrampft waren.
      Nur dauerte das in der Regel ein paar Wochen und keine Sekunden. Dany begriff es gar nicht, so schnell wie sich das Kribbeln ausbreitete, kaum als sie den Dolch losgelassen hatte. Sie starrte auf ihre Hände hinab, während Prysk sich das Artefakt besah. Sie hob eine Hand leicht an, spürte das Stechen, spürte dann gar nichts mehr. Es zog ihr weiter in den Arm hinauf, das Kribbeln, das Stechen, die Lähmung. Sie blinzelte. Irgendwas stimmte nicht, aber sie konnte ihren Finger einfach nicht darauf legen. Eigentlich konnte sie gar nichts legen, denn ihre Gedanken wurden zähflüssig, entzogen sich ihrem Bewusstsein und das Blut wich ihr aus dem Gesicht und tropfte stattdessen selbst unter den vollgestopften Fingernägeln hervor. Noch immer starrte sie auf ihre Hände, irgendwie wusste sie nicht mehr, wie sie ihre Augen bewegen konnte. Aber zumindest ihr Mund öffnete sich noch.
      "Ähh..."
      Sie kämpfte darum, ein zweites Wort herauszubringen, oder wenigstens ein Geräusch, oder wenigstens einen Atem; stattdessen entglitt sie ihrem Bewusstsein und fiel vornüber.
    • War es verwunderlich, dass Prysk die Augen verdrehte, als Danys Augen bei dem Anblick ihrer Droge leuchteten? Er selbst hatte Merch nur einmal gesehen und die Pflanze dazu nur aus Erzählungen differenzieren können. Aber so unscheinbar wie sie wirkte, erschien es beinahe vermessen, ihr eine derartig große Wirkung zuzuschreiben.
      Schweigsam glitt der Jäger zurück, während Cayen sich anschickte, seine Hand damit zu schützen. Hatte er es recht wahrgenommen, dass sich Danys Blick kurz verändert hatte? Ganz kurz - und Prysk war sich wirklich nicht sicher - hatte sich ihre Präsenz ein wenig verändert. So sehr, dass er beinahe unfreiwillig einen Schritt nach hinten gesprungen wäre. Als würde man einem Raubtier ins Auge sehen. Er selbst kannte das Gefühl leider zu gut, aber so etwas...Es war ihm noch nicht passiert.
      Schweigsam sah er Dany an, die den Dolch nur widerwillig aus der Hand gab und beobachtete die Klinge, während Cayen sie an ihn weiterreichte. Schweigsam nahm er die Waffe mit der Hülle aus Blättern mit ein wenig Umstand entgegen und hielt sich die Klinge vor die Nase. Und die Götter mögen Zeugen sein: Es war eine einfache Klinge. Keine Stimme, keine brennende Lava, keine Dämonen überfielen ihn. Es war ein einfacher Dolch in seinen Händen. Vielleicht etwas besser austariert, aber durchaus einfach.
      Rufus presste sich an seine Seite um auch einen Blick zu werfen und selbst wenn er dies mit äußerster Genaugikeit tat, stellte der Lehrling auch nichts weiter fest. Das einzige was sie nicht probiert hatten...
      "Lysander!"; rief Rufus und sah zu Dany, die gerade vornüber kippte.
      Weshalb hatte da niemand drauf geachtet? Eilig schoss die Eule nach vorne und fühlte mit einem Flügel (einem Flügel?) sorgsam den Puls der jungen Frau, die offenbar an einer Art Entzug litt? War es ein Entzug wenn man sofort nach Abgabe der Waffe vornüber kippte. War sie derart abhängig von der Waffe?
      "Sie naht dem Tode"; verkündete die Eule und sah zu Rufus. "Haben wir etwas dafür? Einen Trank vielleicht? Kräuter?"
      "Nichts was hilft! Ich wüsste nur, dass der Dol-...", begann der Lehrling und sah zu Prysk, ehe er in Schreien verfiel. "PRYSK DU IRRER!"
      Zwischenzeitlich hatte der Jäger keine Zeit verloren und die Pflanzen um den Dolch herum entfernt und sie aus dem Wagen herausgeschmissen. Achtlos, möchte ich hier anmerken, als würfe man einen Müllbeutel beiseite. Stattdessen lag der Dolch nunmehr kalt und leicht in seiner Hand und nichts geschah. Rein gar nichts. Kein Leuchten umgab die Klinge und kein Fressen oder Kribbeln verspürte der Jäger in seinen Fingern, während er die Klinge beinahe sorgsam in der Hand drehte.
      Erst nach Rufus' Zuruf riss er die Augen von dem Metall fort und zu Dany hin.
      Eilig preschte Prysk vor und drückte die Klinge in die verkrampfte Hand der jungen Frau, in der Hoffnung, es möge etwas bewirken.

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    • Der Dolch berührte Danys Hand und dann geschah für eine sehr lange Sekunde gar nichts - bis das Leuchten im Edelstein der Waffe zurückkehrte und seinen dünnen, schwachen Schein verteilte. Die krampfende Hand, die den Dolch berührte, färbte sich schwarz: Zuerst die Fingerspitzen, dann die Finger und schließlich die Hand. Das Schwarz breitete sich auch über Danys Adern aus, schien ihr wie ins Blut zu fließen, schoss ihren Arm hinauf, ihre Schulter hinein und verschwand unter ihren Klamotten. Und dann...
      ... zurück.
      Dany riss die Augen auf.
      Es fühlte sich an, als wäre sie in Eiswasser getaucht worden, nur, dass das Eis bis auf ihre Knochen vorgedrungen war. Sie zitterte nicht, denn die Kälte kam nicht von Mangel an Wärme, es war eher die Abwesenheit von allem. Es war das Nichts, das Vakuum, in dem nichts existieren konnte, was Wärme ausgestrahlt hätte. Es war die Leere.
      Dany starrte hinauf in Prysks Antlitz, das für einen Moment ihren einzigen Beweis dafür darstellte, dass sie hier war, auch wenn sie nicht genau wusste, was dieses Hier bedeutete. Die Erinnerung kam nur nach und nach wieder und war schließlich soweit wieder gegenwärtig um sie zum Stöhnen zu bringen. Irgendwo lachte sie jemand aus.
      "... Scheiße."
      Sie versuchte sich aufzusetzen, nur, dass sie dabei bemerkte, dass das Gefühl in ihren Händen noch nicht zurückgekommen war. Auch nicht in ihren Füßen, die so taub waren, als wären sie gar nicht da. Manchmal kam das vor, nach einer besonders schwierigen Nacht. Das war aber noch lange kein Grund, sie so sehr auszulachen.
      "So lustig ist das gar nicht, klar?"
      Sie starrte Prysk an, der einzige Anhaltspunkt in ihrem Gesichtsfeld und kniff die Augen zusammen, bereit, ihm eine Gehässigkeit ins Gesicht zu schleudern, auch wenn sie gar nicht wusste, wieso. Da schob sich Cayen von der anderen Seite über sie und hielt ihr eine Wasserflasche vor die Nase.
      "Hmm-mmh. Trink."
      Alles. Und danach holen wir uns ihre Gesichter.
      "... Nein. Wieso sollten wir?"
      Sie richtete sich ein Stück auf und trank trotzdem. Das Wasser war kühl und das war eine andere Kälte als die, die in ihren Knochen steckte. Irgendwie war es eine warme Kälte, was auch immer dieser Gedanke bedeuten mochte.
      Cayen machte seine brummelnden, atmenden Geräusche. Er sah von Dany zu Prysk, zu Lysander und zu Rufus und wieder zurück zu Prysk.
      "Das war wohl, hmmm, interessant. Prysk, dürfte ich wohl, hmmm..."
      Nachdenklich sah er von Prysk zu dem Dolch und zu Dany, die einen letzten Schluck nahm und sich dann zumindest so weit aufrichten konnte, dass sie jetzt zumindest auf dem Boden saß. Ihre Extremitäten konnte sie trotzdem noch nicht spüren und ließ den Kopf hängen.
      Dany.
      Cayen rieb sich nachdenklich das Kinn und blickte auf die Klinge hinab.
      Dany.
      "Dany."
      D-D-Dany.
      Dany hob den Arm und fuhr sich mit einer Hand, die sie nicht spüren konnte und die sich anfühlte wie ein Fremdkörper, über das Gesicht.
      Daaaannyyyyy...
      "... Dany?"
      "Was? Scheiße!"
      Cayen runzelte die Stirn.
      "Hmmm. Nimm den Dolch und hmm -"
      Erstich ihn.
      "gib ihn Prysk noch einmal. Aber lass nicht los."
      "Was? Was soll ich?"
      Cayens Blick huschte zu Prysk und als er seinem Blick begegnete, nickte er zu dem Dolch, der lose in Danys Hand lag. Prysk folgte der Aufforderung und weil er per Zufall sowohl Artefakt, als auch Danys Haut berührte, erklang einen Moment später dieselbe Stimme, die sich in Danys Hintergedanken eingenistet hatte, auch in seiner Wahrnehmung, gestaltlos aber präsent.
    • Bereits nachdem der Dolch die Haut der jungen Frau berührte und das Schwarze durch ihre Adern pumpte, wusste der Jäger, dass hier gewaltig etwas nicht stimmte. Vielleicht war es das Rumpeln, das den Himmel erfü-...Nein, das war Rufus, der mit seinem Stuhl näher rückte. Entwarnung. Jedoch das Augenaufreißen der Jungen Frau war bereits furchteinflößend genug, sodass Prysk einen spitzen Schrei nicht verhindern konnte. Das schwarz war fort! Es war einfach wieder gegangen, so wie es gekommen war. Erstaunlich, wenn man bedachte, dass ein Artefakt so etwas kompliziertes zumeist nicht fertig brachte.
      Als Dany zu sprechen begann, zog er die Augenbrauen hoch und sah Rufus an.
      "Lustig? Es hat keiner gelacht", sagte Prysk und seufzte, als er sich zurücklehnte.
      Auch wenn er ihre weiteren Selbstgespräche betrachtete, war die Sachlage eindeutig. Artefakt oder nicht, die Frau war eindeutig meschugge. Mit einer eindeutigen Geste (Wedeln der Hand vor der Stirn) sah er zu Rufus und verdrehte die Augen. Sein Lehrling hatte es nicht ganz so mit der Genauigkeit und schüttelte den Kopf. Natürlich. Immer für die Frauen. Auch für die Verrückten.
      Eine Weile lang betrachtete Prysk mit den anderen Jägern das Geschehen und Lysander war der Erste, der sich wieder bewegte. Sorgsam kam er näher zu Dany und sah sie bedächtig an, die gelblichen Augen schiefgelegt.
      "Da stimmt etwas nicht", murmelte er und tschilpte dabei.
      "Ach nein!"; grunzte Prysk. "Wenn du mich fragst: Völlig plemplem. Der Dolch sagte gar nichts. Das war einfach ein...Ding."
      "Beträchtlich unpräzise. Über die Tatsache, dass du tödliche Artefakte berühren kannst, sollten wir nochmal reden, junger Freund", ärgerte sich Lysander und sah zu Cayen der seinerseits wieder in Gedanken verfallen war, nachdem er Prysk ansprach. Erst als er sein Vorhaben kundtat, klickte es auch bei Lysander.
      Eine Verbindung also. Dany hörte etwas, Prysk nicht. Also war es vielleicht möglich, eine Verbindung herzustellen wenn der Wirtskörper dabei blieb?! Genial, wenn man die Einfachheit dieser Lösung betrachtete.
      "Was soll sie?!", fragte Prysk unisono mit Dany und seufzte, als er schließlich nochmals an den Dolch griff.
      Im gleichen Moment fühlte er eine Kälte, die er noch nie gefühlt hatte. Es war nicht unangenehm wie ein Schneesturm oder dergleichen. Aber durchaus fröstelte ihn, als er die Präsenz wahrnahm, die seinen Geist überfiel wie ein Räuberheer. Schweigsam sah er zu Dany und mit einem Mal hörte er die Stimme. In seinen Ohren klang sie kalt und manipulativ während sie Dany wieder und wieder befahl, Prysk und die seinen zu erstechen oder zu verletzten. Moment...Wollte sie eigentlich die anderen? Jetzt klang es so als wollten sie nur ihn?! Was hatte er diesem Ding denn getan?
      Sorgsam lauschte er eine Weile und sah dann zu Dany.
      "Ist das Vieh immer so gesprächig?"; grunzte er und schüttelte den Kopf. "Hey, äh...Dolch? Hast du einen Namen? Na egal! Mal Klartext, mächtiges Artefakt: Ist wirklich unerträglich, wenn du die ganze Zeit sabbelst, während ich versuche zu verstehen was du bist, klar soweit? Also wie wäre es wenn du dich mal für zehn Minuten geschlossen hältst oder einfach Dany sagst wer oder was du bist?!"

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    • Dany kam gerade soweit wieder zu sich, um Prysks Hand zu realisieren, die sich nach ihr ausstreckte, aber nicht soweit genug, um sie aufzuhalten. Ihr Gehirn fühlte sich noch immer wie Watte an und auch, wenn sie gerade getrunken hatte, verspürte sie wieder Durst. Außerdem war das Gefühl in ihren Händen und Füßen noch nicht wieder zurückgekehrt.
      ... WIDERLICHER KLEINER, HÄSSLICHER, STINKENDER HAUFEN VON EINEM MANN, WENN ICH DIR ERST DIE HAUT VON DEN LIPPEN GEBRANNT UND DEINE ZUNGE ABGERISSEN HABE, WERDEN WIR JA SEHEN, OB DU IMMERNOCH SO VIEL DUMME, HIRNLOSE WÖRTER VON DIR SPUCKEN KANNST, WIE DU SCHON DIE GANZE ZEIT...
      Es war fast zu laut. Selbst für Dany, die bei weitem schon genug Erfahrung mit Geräuschen und Lauten in ihrem Leben hatte, um sich an einen gewissen Grad von Abnormalität gewöhnt zu haben, war es zu laut. Mittlerweile hatte sie selbst begriffen, dass es wieder der Dolch war, der in ihren Ohren lag, das erste Mal in den letzten Wochen. Seine Anwesenheit war ein reiner Fluch, etwas anderes konnte sie daraus nicht ziehen.
      Sie machte sich nicht noch einmal die Mühe, ihm eine Antwort zu liefern; stattdessen hielt sie den Blick auf Prysk gerichtet, der vor ihr kniete. Sein Gesicht, so hässlich es sein mochte, war ein Beweis der Realität, eine greifbare Sache, die man anfassen und formen konnte, wenn man es denn wollte. Er war real, Prysk war real. Erst, wenn er seinen Mund öffnete, kamen auch Wörter hervor, nicht schon vorher. Erst, wenn sich seine Brust hob, nahm er einen Atemzug, so leise er auch war. Wenn er den Kopf bewegte, klimperten die vielen Perlen in seinem Haar und für einen winzigen, seligen Augenblick, war das ein fast friedliches Geräusch. Nur ein ganz feines Dingen, das sich unter dem ganzen Geschrei, das der Dolch in ihrer beider Köpfe jetzt veranstaltete, immernoch abhob. Dany blinzelte für einen langen Moment, während sie sich allein darauf konzentrierte.
      Seine Frage drang auch zu ihr hindurch und willig schüttelte sie den Kopf als Antwort. Sie wusste nicht, ob ihre Stimme laut genug gewesen wäre, um den Dolch zu übertönen.
      ... WIE KANNST DU ES NUR W A G E N, SO MIT MIR ZU REDEN, DU SCHATTEN VON EINEM MENSCH! ICH SOLLTE DICH DAS FÜRCHTEN LEHREN, DU MICKRIGES WESEN! HAST DU KEINE ANGST VOR MIR?! HAST DU KEINEN RESPEKT VOR MIR?! DU, DER DU NOCH NICHTMAL EIN MENSCH BIST?! DU WIRST DIE MACHT VON ASARLUHI AM EIGENEN LEIB ZU SPÜREN BEKOMMEN, WENN ICH ERSTMAL...
      Dany wurde von einer Erinnerung heimgesucht, kaum, als sie den Namen hörte, aber etwas anderes beanspruchte ihre Aufmerksamkeit deutlich mehr. Sie starrte auf Prysk, der noch immer nicht gewichen war, auch wenn die Stimme angefangen hatte, in Danys eigenem Kopf zu schmerzen.
      "Kein Mensch? Was meint er?"
    • Als der Dolch begann, in seinem Kopf ein regelrechtes Crescendo an Flüchen auszulegen, zuckte Prysk ein wenig zusammen. Angeschrien zu werden machte ihm nichts aus, das war er gewohnt. Jedoch war es der Druck, die Präsenz in der Waffe, die seine Instinkte anwarf und aufs Äußerste kitzelte. Beinahe hätte er vergessen wo er war und wäre aufgesprungen, um das Weite zu suchen. Einem Tiere gleich, panisch vor Nervosität. Einzig seiner Beharrlichkeit und der Tatsache, dass es lediglich eine laute Stimme war, die er vernahm, war es geschuldet, dass er noch auf seinem Bein vor Dany kniete und ihr fest in die Augen sah.
      Das Schreien mal zur Seite gelegt, war es lediglich eine Kakophonie an Beleidigungen, die der Jäger herunter schluckte und seufzte.
      "Wirklich nervig", murmelte er und sah zu seinen Gefährten, während er wiederholte, was der Dolch soeben zu ihm gesagt hatte.
      "Was hast du dem Artefakt denn getan?", fragte Rufus und zog eine Augenbraue hinauf.
      "Ich habe keine Ahnung..."
      "Ich meine, ich habe schon von Artefakten gelesen, die nur menschliches Blut und die Vernichtung anstreben, aber das ist ja wirklich bösartig. Und sowas hielt Frau Dany die ganze Zeit in ihrem Leibe?"
      Prysk zuckte erneut die Achseln und seufzte, als Dany den Kopf schüttelte. Also war das Messer nur wegen ihm so gesprächig? Prysk wusste selbst, dass seine Fragen provokant und beinahe beleidigend waren, aber Wut war zumeist der Schlüssel für den Kontrollverlust. VIelleicht gab es ja eine Möglichkeit, diesen Dolch von der Frau zu lösen, zumal er eindeutig ein magisches Artefakt zu sein schien. Und Magie brauchten sie. Sie mussten ihn...
      "Ho ho ho!", grunzte Prysk und verdrehte die Augen. "Nun mach mal halblang, du Abklatsch von einem guten Schwert! Also erst einmal: Wieso sollte ich Angst vor dir haben? Du bist ein Stück Metall, dem ein...Was bist du noch gleich?...inne wohnt! Wir könnten noch einmal von vorn anfangen und du stellst dich vor. Also ich bin Prysk. Ohne Nachnamen, ohne Zukunft. Und du? Und vielleicht sagst du mir einmal, was ich dir eigentlich getan habe?"
      Danys Frage überraschte auch Lysander und Rufus, die beide zu Prysk und schließlich zu Dany starrten. Unwirsch grunzte der Jäger und schüttelte den Kopf.
      "Das ist nicht wichtig. Konzentrier dich hierauf!", murmelte er.

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    • Der Dolch verursachte ein kleines, lästiges, angestrengtes Pochen in Danys Gehirn, ein Muskel, von dem sie noch nicht einmal gewusst hatte, dass er existierte. Jedes Gebrüll war wie ein kleiner, mickriger Messerstich, der ihr durch die Gehirnfasern fuhr.
      ... Gab es Gehirnfasern? Irgendwas trafen diese nervigen Messerchen jedenfalls.
      Prysk ließ sich davon aber scheins wenig beeindrucken. Wenn überhaupt, war er genervt davon. Von dem Dolch oder der Tatsache, dass sie hier auf dem Boden sitzen und über die Natur des Artefakts spekulieren mussten. Prysk schien ihr aber wie der Typ, der von letzterem genervter war als von ersterem.
      ... UND WENN ICH ERST FERTIG BIN, WIRST DU BEREUEN, JEMALS DEINE SCHMUTZIGEN, STINKENDEN FINGER AN MICH GELEGT UND ES NUR GEWAGT ZU HABEN, DEIN WORT AN MICH ZU RICHTEN, DU MISSGEBURTIGES...
      Es war schwierig, die anderen Gespräche darunter herauszuhören, aber nicht unmöglich. Es erforderte zwar einiges an Konzentration, die Dany nicht wirklich zur Verfügung stand, aber es war machbar. Sie starrte auf Prysks Lippen und verband die Wörter, die zu ihr durchdrangen mit dem, was sie sehen konnte.
      Der Dolch musste keine Luft holen, deswegen machte er auch keine Pause. Anscheinend war er aber auch gut darin, sowohl zuzuhören, als auch selbst zu reden.
      ... KEINE AHNUNG, MIT WEM DU ES ZU TUN HAST! ICH BIN A S A R L U H I, SCHÖPFUNG DES HERRSCHERS ÜBER LICHT UND LEBEN, DER ERDE UND DES WASSERS! ICH BIN DER, DER EURE MICKRIGEN ANFLEHUNGEN ERHÖREN MUSS, WENN IHR SIE WAHLLOS IN DEN HIMMEL WERFT! ICH BIN DER, DER DIE ENTSCHEIDUNG DARÜBER TRÄGT, OB ICH DICH, DU WURM VON EINEM WESEN, IN DIE ABGRÜNDE DES HADES VERSCHAFFEN WERDE, WENN DU WEITER DEIN HÄSSLICHES MAUL AUFSPERRST UND...
      Für Dany war es genug. Die Kopfschmerzen nahmen zu und langsam aber sicher war sie überzeugt davon, die Stimme nicht mehr hören zu wollen. Sie wandte den Blick von Prysk ab und starrte stattdessen auf ihren Schoß hinab.
      Ihre Finger waren blutig. Sie hatte auch auf ihre Hose geblutet und ein bisschen tröpfelte immer noch nach. Außerdem lagen im Blut auch noch die alten, vertrockneten Blätter, die unter ihren Fingernägeln mit herausgekommen waren - die eigentlich das Blut etwas abstopfen sollten. Sie wischte auch das frischere an der Hose an und steckte sich dann die Hand in die Hose, was ein unglaublich schwieriger Akt war, weil sie sie immer noch nicht spüren konnte. Ihre Finger wussten aber, was zu tun war, und als sie sie einen Moment später wieder hervorzog, krallten sich ihre blutigen Finger in die kleine Schatulle mit ihrem Merch. In ihrem Kopf hatte der Dolch auch jetzt noch keine Pause gemacht.
      ... NUTZLOS, NUTZLOS UND WERTLOS FÜR DICH UND ALLE UM DICH HERUM! DENKST DU ETWA, DU KÖNNTEST WÜRDIG SEIN, MICH ZU TRAGEN, PRYSK OHNE ZUKUNFT?! DU BIST NICHTS! DU BIST NOCH NICHTMAL EIN MENSCH, WIE SOLLTEST DU DA VON NUTZEN FÜR...
      Da war es wieder. Dany hob kurz den Blick, aber Prysk schien auch jetzt nicht bereit, ihr eine Antwort darauf zu geben. Also starrte sie wieder auf die Schatulle hinab und bemühte sich, ohne sämtliches Gefühl den Deckel aufzubekommen. Ihre Finger zitterten, auch das spürte sie nicht. Wie eigentlich erwartet, fiel ihr das Ding nach zwei Versuchen aus der Hand, sprang am Boden doch auf und verteilte seinen Inhalt um sich herum.
      Der Muskel in ihrem Gehirn, der ständig so lästig gepocht hatte, riss in zwei.
      "... Sei RUHIG! SEI STILL! HALT ENDLICH DIE KLAPPE! SEI RUHIG ODER ICH SCHWÖRE DIR, ICH SCHWÖRE BEI ALLEN GÖTTERN, DASS ICH DICH NIE WIEDER BENUTZEN WERDE, NIE WIEDER, KEIN EINZIGES MAL!!"
      Und der Dolch verstummte.
      Dany atmete auf, als wäre es der erste Luftzug, der ihre Lungen berührte. Es war still, zum ersten Mal, aber es würde nicht so bleiben, das wusste sie. Der Dolch war still, weil er still sein wollte, nicht, weil sie es wollte. Es war nur eine Frage der Zeit.
      Ein neuer Tropfen löste sich unter dem Ringfinger ihrer freien Hand und lief ihr das Fingerglied hinab. Dany fühlte sich mit einem Mal ausgelaugt und erschöpft.
      "... Ich bin müde."
    • Da der Jäger dieses Mal gewappnet war gegen die Urgewalt der tosenden Stimme, die ihm entgegen peitschte, grinste er nur schwach und schüttelte den Kopf. Dieser Dämon, Wesen, Was-auch-immer stieß offenbar wirklich an seine Grenzen, indem er mehr udn mehr beleidigte und auf seinem Status herum ritt. Der Wut und der ausufernden Stimme nach zu urteilen war er also nicht freiwillig dort. Nun, wer wollte auch schon freiwillig in einen Dolch gesperrt werden? Interessant war es dennoch, dachte der Jäger und seufzte.
      Asarluhi.
      Etwas regte sich in Prysks Hirnwindungen und innerlich schien er sich einem Kampf von Bildern ausgesetzt. Da war eine Frau, schön wie ein Morgenhimmel und von großer Statur. Und sie hielt seine Hand, muttergleich, in ihrer. Wieder und wieder flüsterte sie ihm Worte zu, die er nicht hörte. Ein stummes Gebet im Raum. War es das? Ein Gebet? Schweigsam schüttelte er den Kopf und seufzte laut um seine Unsicherheit zu verbergen, die der Name hervorrief.
      "Weißt du, Asa-äh...Louie? Ich nenn dich Louie, sonst hab ich einen Knoten in der Zunge"; kommentierte er das Gezeter. "Also Louie, es ist ja wirklich spannend, was du zu erzählen hast, aber ich finde wirklich, die Beleidigungen nehmen langsam Überhand. Ich meine mit Missgeburt kann ich ja leben, aber der Rest? Mal ganz kurz ges- HEY!"
      Prysks Stimme donnerte kurz durch den Raum und erneut schüttelte er den Kopf, ehe er zu Lysander sah und mit einem Daumen auf das Messer zeigte.
      "Gesprächig ist er ja. Aber so unendlich nervig", murmelte er zur Eule, ehe er sich zu dem Dolch zuwandte und Luft holte. "Louie! Meine Güte! Ich habe Huren kennen gelernt, die waren nicht so geschwätzig wie du. Möchte mal ganz kurz einhaken...Ja, ich weiß, unwürdig und so weiter. Und ich kann dich beruhigen, ich will dein abgegriffenes Metall auch nicht an meinen Fingern haben, aber so ist es nun einmal. Ich hätte gerne eine hübsche Frau und du eine Befreiung aus deinem offensichtlichen Gefängnis, nicht wahr? Auch wenn du Louie, der Unbesiegbare bist, fürchte ich leider, dass du da nicht herauskommst. Also: Wenn du es vielleicht schaffen könntest, diese Frau nicht ganz so zu schröpfen wie du es in diesen 5 Minuten Gespräch tust, wäre ich dir dankbar. Ansonsten: Wenn du doch so mächtig bist, Louie der Unglaubliche, dann befrei dich doch."
      Grinsend hielt er inne, ehe eine weitere laute Stimme, ihn diesmal zusammen zucken ließ. Reflexartig riss er die Hand vom Dolch und die Stimme des Monstrums erstarb, während Prysk erschrocken zu Dany hochsah. Erst ein quatschendes Messer und jetzt eine tobsüchtige Frau. Konnte sein Tag noch beschissener werden?
      "Ja...", murmelte er und nickte. "Vielleicht sollten wir rasten und versuchen, das gehörte zu verarbeiten."
      "Du bist der einzige, der es gehört hat", sagte Rufus.
      Prysk verdrehte die Augen und schlug die klimpernden Haare zurück.
      "Rasten und Ruhen!"

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    • Zumindest das löste keinen Streit und kein Geschrei aus: Die Anmerkung nach einer Rast. Dany wusste nicht, ob sie die Energie dazu übrig gehabt hätte, sich auch noch mit echten Stimmen auseinanderzuschlagen.
      Mit einem Ruck rammte sie den verfluchten - wortwörtlich, scheiß Ding! - in den Holzboden hinein, ungeachtet dessen, dass es weder ihr Boden, noch ihr Wagen war. Wenn Cayen aber etwas dagegen hatte, sagte er nichts als seine kleinen Geräusche, die er ständig machte, wenn er besonders angestrengt nachdachte. Dany ließ den Dolch los und rieb sich mit beiden, tauben Händen über das Gesicht, wobei sie sich Blut auf die Stirn und die Wange schmierte. Eine vorherige Dany, eine Dany aus einem anderen Leben, wie ihr schien, hätte sich darüber sicherlich Gedanken gemacht. Die jetzige Dany konnte gerade soweit denken, dass sie darüber nachdachte, so wie sie jetzt dasaß, einfach einzuschlafen.
      Cayen räusperte sich.
      "Eine hmm Rast, gute Wahl! Gute Wahl..."
      Er hatte seinen Blick auf Dany geheftet und Dany wiederum nahm sich doch die Kraft aufzublicken, als das Geklimper von Prysks Haaren ertönte. Etwas reales. Sie hätte nie gedacht, dass sie Geräusche so sehr wertschätzen könnte.
      Dann verließ Prysks Gestalt sie aber, weil er wohl keine Absicht hegte, mit diesem Boden noch zu verschmelzen. An seiner Statt schob sich Cayens hageres Gesicht in Danys Blickfeld, das sie nur mürrisch anblinzeln konnte.
      "Hmm... Pause, ja..."
      Er hielt einen Finger vor ihre Augen und wedelte damit herum, als wolle er sie sehr energetisch damit tadeln. Dany kniff die Augen zusammen.
      "Was soll das?"
      "Ahh, hmm, deine Pupillen sind nicht ganz, hmm..."
      Er starrte in Danys Augen und die starrte unbewegt zurück.
      "... scharf. Du solltest dich, ahem, hm, ausruhen."
      Unzufrieden brummte Dany, verteidigte sich aber nicht. Cayen richtete sich wieder auf.
      "Hmm, ich werde ein, hmm, Schreiben verfassen. Die anderen informieren. Ihr solltet nach draußen gehen, hmm, hier drinnen ist wohl, ahem, kaum Platz genug für ein Lager."
      Allgemeines Gerumpel und Geschabe ertönte bei dem Versuch, dass die ganze Gruppe auch wieder den winzigen Innenraum verlassen würde. Nur Dany blieb unbewegt am Boden sitzen und starrte auf ihr verstreutes Merch.
      "... Ahem, du auch, Dany."
      "Ichkannnicht."
      "Wie?"
      "... Kann meine Füße nicht spüren", brummte sie missmutig und regte sich trotzdem kein Stück. Hilflos sah er in die Gesichter der restlichen Truppe.
      "... Ahem, wäre wohl einer, hm, so freundlich...?"
    • Lysander wurde mit einem ärgerlichen Tschilpen gegen die Wand des kleinen Innenraums gedrückt, als Prysk sich umdrehte, nachdem Cayen die Gruppe ansprach. Für eine Sekunde lang waren ihm die Kopfschmerzen wieder in Benannten gestiegen und er hatte sich fortdrehen müssen, um seine schmerzverzerrte Miene für ein paar Sekunden ertragen zu können. Nur Rufus wusste, das dem Jäger ein jähes Loch seiner Erinnerungen zu schaffen machte, das er nicht füllen konnte. Und immer wenn Namen oder Umstände hinzukamen, durchfuhren ihn merkwürdige Schmerzen und Bilder. Hier war es das Bild einer Frau gewesen. Einer schönen Frau auf einem Hügel, die ihm zuwinkte und ihn hieß, an seine Seite zu treten. Doch sie nannte ihn nicht beim Namen, konnte nicht sprechen. Wortlos formten die Lippen Laute, die im Strudel der Welt verschlungen wurden. Und doch wusste Prysk, dass sie ihn nicht mit seinem Namen ansprach.
      Als er zu Dany blickte, hegte er für eine Sekunde noch mehr Abneigung gegen die Frau als ohnehin schon. Sie war alles Schuld. Sie, die sie offenbar diesen Louie (Prysk wusste genau, wie er hieß) mit sich trug und nicht wusste, dass es vermutlich ein starkes Artefakt darstellte. Und warum sagte ihm der Name Asarluhi etwas?
      Seufzend sah er zu Rufus, der energisch mit dem Kopf schüttelte, ehe Prysk murrend nach vorne stieg und seinen Arm unter den erstaunlich leichten Leib der Frau legte. Zielsicher lange er unter ihren Armen hindurch und schlang seinen Arm um ihre Schulterblätter, um ihr ein Joch zu stellen wo sie sich festhalten konnte.
      "Halte dich"; knurrte er und sah wütend zu Cayen. "Danke für Eure...Hilfe. Einen schönen Abend!"
      Und ein Gefühl, so unbestimmt wie der Regen der Gezeiten, drang durch seinen Verstand, was ihm sagte, alsbald zu verschwinden. Er wollte nicht mehr hier sein.
      "Rufus, komische Frau: Geht vor und bereitet die Lager, wenn es recht ist. Wir schaffen Scheißhaus dort hin."
      Seufzend sah er den beiden hinterher, die sich merkwürdigerweise ohne nennenswerte Gegenwehr aufmachten, als er sich schnaufend in Bewegung setzte. Das Lager sollte nicht allzu weit von dem Händler gelegen sein und abseits der Straßen gab es genug Rastplätze, wo man ein Feuer und faulige Betten auslegen konnte. Schweigsam zog er Dany mehr in Richtung der Lagerstätte, während Lysander auf seiner Schulter rumorte.
      "Was?!"
      "Nichts", antworte die Eule und zuckte die Flügel. "Ich frage mich nur, ob es nicht klug wäre, uns in die Festung zurückzuziehen..."
      "Ja sicher. Auf in die Berge des Ewigwinters und rein in ein schlecht gemauertes Gebäude."
      "Aber wir hätten die anderen und wir könnten beginnen, zu entschlüsseln, um was es sich bei dem Dolch handelt."
      Prysk grunzte.
      "Nun hilf schon etwas mit, Scheißhaus!"; knurrte er. "Ich bin zwar kräftig, aber im Säcke schleifen bin ich nicht gut. Ich halte es für keine gute Idee, Lysander. Ich glaube nicht, dass wir den Dolch in die Nähe der anderen bringen sollten..."
      "Sie werden bestimmt auch bereits dort sein..."

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    • Prysk beugte sich wieder zu Dany herunter und die bereute sofort, überhaupt etwas gesagt zu haben. Sie hätte gewollt, dass Cayen sie einfach hier ließ, wo sie sich vielleicht unter seinen Regalen oder irgendwo in den Kisten zusammenrollen könnte und so lange schlafen würde, bis er mit seinem Wagen weiterfahren würde. Aber stattdessen kam Prysk wie so ein schlechter Scherz. Dany teilte ihm mit ihrem Blick mit, was sie davon hielt.
      Trotzdem ließ sie es zu, dass er einen erstaunlich kräftigen und soliden Arm um ihren oberen Rücken schlang und sie im Gegenzug ihren eigenen Arm um seinen Nacken legte. Es war sogar noch viel schlimmer, als sie es sich vorgestellt hätte. Prysk knurrte und Dany fauchte zurück.
      "Wenn du mich fallen lässt, beiß ich dich."
      Sie meinte es auch so, wie auch immer sie das letzten Endes angestellt hätte.
      Aber er ließ sie nicht fallen. Wenn überhaupt, stellte sich Prysk als äußerst standhaft heraus, ein Mann, der ganz offensichtlich nicht zum ersten Mal einen anderen Menschen mit sich zog. Dany nutzte das ein bisschen mehr aus als sie musste - immerhin funktionierten ihre Beine eigentlich noch wunderbar - aber es war einfach zu bequem, sich nicht etwas zu sehr auf Prysk zu lehnen und die Beine nicht etwas zu nachlässig nachzuschleifen. Es hätte sogar fast angenehm werden können, wäre da nicht seine lästige Stimme, die in ihrem Trommelfell kratzte.
      "Ach, sonst so große Wörter spucken, aber jetzt schwächeln? Spar dir deinen Atem auf für diese anstrengende Aufgabe und sag mir lieber, wovon ihr da redet. Von einer Festung? Hier gibt es noch Festungen? Du meinst doch sicher Festungsruinen."
      Tatsächlich nahm sie das Gewicht aber wieder etwas von ihm, beobachtete den Boden vor sich und ihre eigenen Schritte, die sie unternahm, und bemühte sich darum, selbst zu laufen. Nur hatte diese Gegend schon seit längerem keinen beständigen Verkehr mehr gehabt und nachdem sie die Unebenheiten nicht spüren konnte, dauerte es etwa zwei Meter, bevor sie stolperte und eingeknickt wäre, wenn Prysk sie nicht anstandslos weiter festgehalten hätte. Sie fluchte, lehnte sich an ihn und musste sich auf seinen unnachgiebigen Arm verlassen.
      Nicht, dass sie sich dafür bedankt hätte.
      "Und wer sind 'die anderen', etwa noch mehr Reliktjäger? Gibt es davon eine ganze Sippe?"
    • Prysk begann kehlig und mit verrauchter Stimme zu lachen, als Dany ihre Drohung sprach. Beißen wollte sie ihn also? Immerhin Kampfgeist besaß die gute Frau offenbar genug. Nur leider wenig Talent zum Drohen.
      "Beißen? Soso", murmelte er grinsend. "Dann würde ich die Drogen lassen damit du noch Zähne im Maul hast um dahinter noch Druck zu bringen, Scheißhaus. Sonst kaust du auf den Felgen, wenn du verstehst..."
      Lysander und Rufus hatten derweil ein provisorisches Lager errichtet. Sachte, als keiner sah, hatte der lehrling eilig zwei Formeln geflüstert und vier bequeme Behelfsbetten waren erschienen. Nun, eigentlich waren es nur Strohauslagen auf einem Umhang, aber es reichte wohl aus, nicht wahr? Lysander hatte eilig ein paar Hölzer gesammelt, welche er noch immer heran karrte und Rufus mit seinem Büchlein ein kleines Feuer errichtet. Zumindest wurde es warm, als Prysk die keifende Dany auf einem der Strohauslagen niederließ. Erstaunlicherweise sagte er zunächst gar nichts zu der Frau, sondern riss sich in einer schnellen Bewegung sein Wams vom Leib, um es auf einen Stock gespießt an das Feuer zu hängen. Der Körper des Jägers erschien von den Gezeiten gestählt und gleichsam gezeichnet. Er war Welten davon entfernt, wirklich und bis aufs Äußerste muskulös zu sein. Und doch war der Körperbau des Jägers eines Jägers geziemlich, wenn man es so wollte. Der Bauch wirkte reicht weich, jedoch zeichneten sich deutlich Arm- und Brustmuskeln auf dem behaarten Oberkörper des Mannes ab, der sich seufzend ans Feuer setzte. Rufus hatte seinen Mantel abgelegt und trug darunter die Kluft eines Schreiberlings: Eine Art Kaftan, die von einer Kapuze ergänzt wurde. Das Buch fand seinen Platz an seiner Seite. Lysander flatterte entgegen des Feuers neben Dany hernieder und seufzte schwer.
      "Mich hungert", piepste die Eule und ließ die Flügel hängen.
      "Hättest du dir vorher überlegen müssen", murmelte Prysk, warf ihm aber einen Fetzen Dörrfleisch zu, das er aus seinem Beutel an seinem Gürtel zauberte. Sorgsam reichte er es auch an Rufus weiter und hielt den Beutel schließlich Dany vor.
      "Zu deiner Frage. Wir meinen das, was wir sagten. Eine Festung. Geschlagen in den Stein von Gezeiten und unser Versteck im Norden."
      "Keine Ruinen", piepste die Eule gierig, während sie das Fleisch zerkaute. "Ist alles aus Stein. Echtem Stein."
      Rufus nickte.
      "Und die Schreibstube ist wirklich beruhigend."
      "Ja, ja, Schreibstube. Du wirst erstmal dein Training durchlaufen, wenn wir wieder dort sind. Nichts mehr mit Büchern und allem. Du musst lernen, dich ohne das Buch zu verteidigen."
      "ich kann mich verteidigen...", schmollte der Lehrling. "Neulich in dem Dorf hab ich das gemacht!"
      "Du hast drei Gaunern im Eifer des Gefechts einen Kampf geliefert, ja. Wenn du nicht selbst am Türrahmen niedergestreckt hättest..."
      "Das war ein Versehen!"
      Prysk begann zu kichern und selbst die Eule war nicht verlegen, zu zwitschern.
      Schleißlich wandte sich Lysander wieder Dany zu.
      "Es gibt tatsächlich noch andere, ja", nickte die Eule. "Insgesamt sind wir wohl um die Sieben. Sieben Jäger."
      "Und ihre Blödmannsgehilfen."
      "Hey!"
      "Was denn, was denn?", grinste Prysk und beugte sich leicht in das Licht des Feuers. Etwas altes blitzte aus seinen Augen hervor, als er seufzte und die anderen ansah. "Fraglich ist, was wir mit ihr machen."
      Er wies mit dem Daumen auf Dany.
      "Ich halte sie nicht für vertrauenswürdig, ihr die Festung zu zeigen."

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    • Das Lager war erstaunlicherweise schon in vollen Zügen, fast aufgebaut und dazu auch noch angenehmer als die einzelnen Feuerstellen, die Dany und Sylvia zusammen aufgebaut hatten. Es gab sogar Strohunterlagen, ein wahrer Luxus, der Dany beeindruckte, auch wenn sie es überspielte, indem sie sich lauthals darüber empörte, dass Prysk sie gefälligst nicht wie ein Sack Kartoffeln abstellen sollte. Sie erreichte ihr Ziel, nachdem sie sich einen giftigen Blick von ihm einfing und damit recht erfolgreich davon abgelenkt hatte, dass sie froh war, eine gemütliche Stelle zu bekommen. Sie setzte sich gleich etwas zurecht und verschränkte ihre Beine ineinander, damit sie sich zumindest davon ablenken konnte, zwei gefühllose Klötze als Füße zu haben. Sylvia war ganz in der Nähe und betrachtete das Treiben des Lagers mit unverhohlener Neugier.
      Was keiner der beiden Frauen entging, war, wie Prysk sich das Wams vom Leib riss.
      Sein Oberkörper war bei weitem nicht das, was man von den Männern dieser Breitengrade erwarten dürfte. Seine Rippen waren unter einer gesunden Schicht Körperfleisch verborgen, es gab keine Geschwüre, die seine Haut zeichneten, keine Eiterungen, keine offensichtlichen Krankheiten. Keine Mutationen. Man hätte ihn wohl ganz allgemein als gesund bezeichnen können und wohl auch als kräftig, auch wenn sein oberer Teil mehr dazu beitrug als der untere.
      Die Blicke beider Frauen wanderten auch tiefer als nur zu seinem Bauch, aber da setzte er sich hin und Dany machte ein Gesicht, als hätte sie etwas sehr schlechtes zum Abend gegessen und Sylvia schmunzelte in sich hinein. Ihre Blicke trafen sich und Dany hätte kotzen können.
      Essen wurde verteilt, schlichtes Dörrfleisch, dessen Bissen Dany größtenteils herunterschluckte, ohne zu kauen. Sie ließ sich mit der größten Erleichterung von dem Gespräch ablenken, denn das bedeutete, dass sie überall anders hinschauen konnte als auf Prysks Oberkörper.
      "Eine Festung. Eine ganze, verfluchte Festung. Aus Stein."
      Es wäre nicht einmal verwunderlich, dass ein solches Monument über die Jahre erhalten geblieben war, sondern viel eher, dass es noch nicht längst von Plünderern und dergleichen überrannt worden war, die nicht nur die Schatzkammer und alles Innere ausgeräumt hätten, sondern ziemlich wörtlich die Außenwände auch gleich mit dazu. Es bedeutete vermutlich auch, dass es irgendjemanden geben musste, der die Festung über all die Jahre hinweg verteidigt hatte.
      Ganz anscheinend sieben Jäger, wenn man das kindische Gezanke dieser speziellen Jäger ausblenden und auf die Kernaussagen lauschen mochte. Sieben Jäger.
      Ganz schön wenig für eine Festung.
      Danys Miene verdüsterte sich trotz ihrer Nachdenklichkeit.
      "Wer sagt, dass ich überhaupt mit in eure blöde Festung will? Behaltet sie doch für euch, ich muss sowas nicht sehen. Was soll ich mit einem Haufen Steine anfangen."
      Einem Haufen Steine, der für andere unüberwindbar wäre.
      Dany schmollte und verschlang ihr Fleisch.
      "... Außerdem! Außerdem werden sieben Jäger ja wohl auch nicht viel mehr vollbringen können, wenn sie es schon nicht anfassen können. Keiner kann das, wie soll da etwas bei rauskommen?"
      Dany wusste nicht, dass Prysk es getan hatte. Sie war bewusstlos gewesen.
      "Ich will also gar nicht dahin. Die Festung kann mir gestohlen bleiben."
    • Prysk sah zu den beiden Frauen und seufzte theatralisch in Sylvias Richtung. Beinahe so als wollte er sagen: "Seht Ihr?". Stattdessen fing sein Blick auf ruhige Weise Danys ein und lauschte ihren Worten. Auch wenn diese zänkisch und derartig ablehnend waren, dass er normalerweise merkwürdiger reagiert hätte, schaffte er es doch, einen ruhigen Ton anzuschlagen.
      "Ihr versteht das falsch", murmelte er. "Mir ist gleich, ob einer von euch in diese Festung kommt. Ich habe den Blick gesehen, den Scheißhaus am Leib hat und ich bin ehrlich: Es gibt dort nichts mehr zu holen. Ja es ist eine Steinfestung, aber sie wurde vor Jahren geplündert. Weiß der Teufel von wem."
      Rufus nickte.
      "Meinen Aufzeichnungen nach waren es Mutanten."
      "Vollkommen egal", sagte Prysk und mahnte seinen Lehrling mit einem Blick, während er genüsslich ein Stück Fleisch abriss.
      Man musste schon ein vollkommener Idiot sein, wenn man die Blicke der Frauen nicht bemerkt hätte. Auch manch verstohlener Seitenblick war nicht zu übersehen. Und auch wenn er es hätte gegen sie beide nutzen wollen, hielt Prysk sich erneut ruhig und sah zu Dany.
      "Mir ist egal, ob du dahin willst", sagte er und schüttelte den Kopf, ehe er die Haare zurück schob und mit einem Ledergummi verband. Erst jetzt sah man das erste Mal sein volles Gesicht, was ebenfalls narbenfrei und frisch erschien. Ein Alter war an diesem Gesicht nicht wirklich zu erkennen. Nur die Augen wirkten seltsam. Als fehlte etwas. "Es geht uns um den Dolch. Wir würden ihn gerne untersuchen. Und ich bin ebenso ehrlich: Ich habe keine Lust, ihn von dir zu stehlen. Mal abgesehen von der Tatsache ob ich es könnte..."
      "Er kann es nicht", zwitscherte Lysander.
      "Klappe, Flattermann!", donnerte Prysk und sah wieder zu Dany. "Ich würde einfach einen Handel vorschlagen: Ihr kommt mit uns zur Festung. Dort untersuchen wir den Dolch und ihr habt die Chance, ein paar Tage ohne Sorge auf das nächste Mal oder ein Bett zu leben. Es gibt sogar Türen...Aus Holz..."
      Die letzten Worte betonte er absichtlich grinsend, während Rufus die Augen verdrehte. Als jedoch Danys Anmerkung hinsichtlich des Dolches laut wurde, sah er sie erstaunt an.
      "Aber...Prysk hat ihn doch berührt?", fragte er.
      Lysander nickte. Prysk ebenso.
      "Wie hätte ich sonst die Stimme hören können?", murmelte der Jäger und grinste schelmisch, während er sein Fleisch verschlang. "Und siehe da: Ich bin noch nicht vom Blitz erschlagen worden."
      Seufzend erhob er sich von der Sitzstatt und sah in die Ferne. Die Sterne funkelten bereits am Himmel und Wolken zogen merkwürdige Muster über den blauschwarzen Nachtvorhang. Sachte stemmte er die Hände in die Hüfte und begann die schmale Kordel, die an Gürtelsstatt hing, zu lösen.
      "Alsdann, überlegt es euch bis morgen. Ich übernehme die erste Wache. Dann Rufus.", sagte Prysk und atmete die kalte Nachtluft ein. "Wenn die Damen mich entschuldigen: Ich muss mal pissen. Der Fluss war dahinten oder?"
      "Prysk!", seufzte Rufus, während Lysander einfach zum Gewässer zeigte.

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    • "Den Blick?!"
      Dany fuhr auf, als wäre sie geschlagen worden. An ihren sehr eigenen, von Prysk persönlich verabreichten Spitznamen hatte sie sich schon längst gewöhnt, es lohnte sich gar nicht mehr, sich darüber aufregen zu wollen. Aber ein Blick?
      "Welchen Blick soll ich gehabt haben, damit du deine kümmerlichen Schlussfolgerungen ziehen kannst?! Häh?! Wie wäre es, wenn du dein eigenes Gehirn belästigst, als uns da mit reinzuziehen!"
      Trotzig und schmollend und kindisch - ja, sie war kindisch, das fiel einem Teil von ihr auf - verschränkte sie die Arme vor der Brust.
      "Und wenn es dir sowieso egal ist, solltest du nicht deinen Atem verschwenden."
      Dany war noch immer griesgrämig drauf, ganz definitiv, das hielt sie aber nicht davon ab, auch jetzt zu gaffen, während Prysk sein Haar zurückband. Bisher war sein Gesicht hauptsächlich von seinen langen Haaren mit diesen lächerlichen Perlen verdeckt gewesen, jetzt kam darunter genauso makellose Haut zum Vorschein, wie schon auf seiner Brust. Er hatte scharfe Gesichtszüge und hohe Wangenknochen, die fast zu den geierartigen Augen passten. Aber eben nur fast.
      Irgendetwas lag in seinen Augen, bei dem Dany auf den Entschluss kam, dass keine Gesichtsstruktur dazu gepasst hätte.
      Neben ihr gaffte Sylvia genauso unverhohlen, aber sie tat es mit einem feinen Lächeln im Gesicht. Sie wirkte, als war sie sich äußerst darum bewusst, was sie gerade tat. Dany wirkte, als würde sie lieber Dreck fressen, als Gefallen daran zu finden, wie unberührt Prysks Haut von der allgemeinen Umgebung war.
      Als er seinen Blick wieder zu ihr hob, sah sie so schnell weg, dass ihr für einen kurzen Moment schwindelig wurde.
      "Du würdest eh nicht schaffen, ihn zu stehlen. Dafür fehlt dir der Grips."
      Noch wütender wurde sie dabei, als er auch noch von einer Holztür sprach, denn er wusste doch ganz genau, was sie von Holztüren hielt. Und ja, die Erwähnung einer richtigen, soliden Holztür ließ die ganze Sache gleich in einem anderen Licht erscheinen.
      Sie wehrte sich trotzdem noch dagegen. Einfach aus Prinzip.
      Nur, als es plötzlich hieß, Prysk habe den Dolch auch berührt, fehlte ihr für einen Moment so sehr die Sprache, dass sie sogar vergaß, grimmig dreinzuschauen. Als es ihr dann doch wieder einfiel, waren ihre Wut-Falten sogar noch tiefer als zuvor.
      "Na und? Das… das heißt gar nichts. Anfängerglück, nicht mehr."
      Damit war das Thema beendet, denn Dany schmachtete lieber in ihrer Griesgrämigkeit und Prysk bewies, dass er trotz allem noch immer ein widerlicher Mann war.
      Trotzdem gefiel ihr der Gedanke nicht, dass es so viele ihrer Leute schon das Leben gekostet hatte und Prysk unbeschadet davonging.

      Sie legten sich auf ihre Schlafstätten, als es dunkel wurde, und stellten die Wachen nach Plan auf. Dany rollte sich zu einer defensiven Kugel zusammen und drehte sich vom Feuer weg. Sie hatte nach ihrem letzten Thema kein einziges Wort mehr gesagt und stattdessen stumm dagesessen und geschmollt. Jetzt war sie fast augenblicklich eingeschlafen; nicht, dass sie ihre Fötus-Haltung aufgegeben hätte, aber sie gab beständig leise Geräusche von sich. Ihre Zunge klackte, ihre Lippen pressten den Atem zwischen sich hindurch und manchmal, ganz selten, schienen sich sogar Worte zu bilden, die niemals deutlich genug waren, um sie zu verstehen.
      Neben ihr lag Sylvia, aber nicht für lange. Etwa eine Stunde, nachdem auch der letzte sicher eingeschlafen war, stand sie auf, zupfte an ihrem Oberteil herum und schlenderte auf die Gestalt zu, die Prysk darstellte.
      "Hey."
      Mit einer fließenden Bewegung setzte sie sich zu ihm, ihr Hemd so weit offen, dass man deutlich erkennen konnte, dass sie eine Frau war. Aus dem richtigen Winkel hätte man auch mehr erhaschen können.
      Sie streckte ihre Beine aus und lehnte sich auf die Hände zurück. Das Lächeln in ihrem Gesicht hätte man selbst in der Dunkelheit erkennen können.
      "Lust auf ein bisschen Gesellschaft?"
      Sie hob eine Hand und strich mit den Fingerspitzen seinen Unterarm entlang.
    • Nächte waren Prysk ein Graus.
      Die beiernde Stille, die das Leben fraß, wenn der Vorhang der Nacht sich über die Welt senkte. sachte, in weiter Ferne, ertönte noch der Klang einer Grille, die sich alle Mühe gab, gegen die gefräßige Stille anzukämpfen. Das Feuer in seinem Rücken knisterte leise und warf Flammenfinger in die Schwärze. Hier und da zischte ein Funke an ihm vorbei und verglomm im Wind, ehe er als Asche zu Boden fiel. Wollten wir nicht alle wie Asche sein?, fragte sich Prysk und fuhr sich durch die noch nassen Haare. Er hatte sich nach seiner Erleichterung noch die Haare im Fluss gewaschen und sie vom gröbsten Dreck befreit. Der Hunger nagte an ihm wie ein beständiger Begleiter und seufzend versuchte er dem Drang, zu schlafen, zu widerstehen.
      Die anderen schliefen. Selbst diese Nervbacke von Schankfrau schlief den Schlaf der Gerechten während er mal wieder ruhelos am Feuer saß und die Sterne beobachtete, die sich heute mehr hinter Wolken versteckten. Feigen Schweine. Ja, verbergt nur euer Licht vor mir. Gebt Acht! Denn strahlt ihr nicht für mich, komme ich euch irgendwann holen.
      Pathetische Gedanken, schmunzelte Prysk und lehnte sich sacht zurück, ehe er Schritte hörte.
      Bedrohung ging nicht von ihnen aus, das hätte er gehört. Es waren leichte Schritte. Also eine der Frauen. Und da Scheißhaus sich eher selbst den Arm abgekaut hätte als sich zu ihm zu setzen, konnte es nur diese Sylvia sein. Seine Vermutung wurde berechtigt, als er ihre schlanke Gestalt neben sich erblickte und zu ihr herüber sah.
      Prysk hatte noch nie einen Hehl aus Begierden gemacht. Er war kein guter oder schicklicher Mann, der auf Etikette wert legte. So scheute er sich auch nicht, der jungen Frau schamlos auf die Brust zu schauen, die das offene Hemd zumindest ansatzweise zu betonen wusste. Sicherlich, er hätte mehr sehen können, aber das ging dann doch zu weit. Das Lächeln jedoch ließ ihn eine Augenbraue heben und den Blick auf die Finger senken, die seinen Unterarm entlang fuhren. Es war ein schönes, betäubendes Gefühl in einer rauen, hoffnungslosen Welt.
      er malte sich nicht aus, dass Sylvia wegen etwas Trost suchte. Weshalb auch?
      "Sicher", nickte er und sah wieder in die Nacht. "Gegen nette Gesellschaft habe ich nie was."
      Vor allem, wenn sie sich derart offenherzig produziert, du alter Spanner.
      Schweigsam sah er zurück zu ihr und begann, in leiser, tiefer Stimme zu sprechen.
      "Du bist anders als deine Freundin da", sagte er und wies mit dem Kinn zu Dany. "Was treibt euch zusammen?"

      The more that I reach out for heaven
      The more you drag me to hell
    • Man konnte quasi hören, wie Sylvias Grinsen sich ausbreitete, kaum als sie Prysks Erlaubnis erhalten hatte. Ihr Körper reckte sich ihm ein Stück weit entgegen, ein nonverbaler Hinweis darauf, dass sie auch, in der Tat, nichts gegen nette Gesellschaft hatte. Ihre Finger glitten bis zu seinem Ellbogen empor, fuhren dort einen Kreis und kamen wieder herab, wanderten seinen Handrücken entlang. Ein Funkeln glitt über ihre Augen hinweg.
      "Zweckmäßigkeit trieb uns zusammen, schätze ich. Ich beschaffe ihr Merch, sie bezahlt mich dafür. Manchmal in Ringen, manchmal in Gefälligkeiten. Manchmal in…"
      Sie lehnte sich zu ihm, weit genug, dass sie ihren Oberkörper an seinen Oberarm pressen konnte, um ihm ins Ohr zu flüstern. Ein Geheimnis, nur für ihn. Ihr Atem hauchte gegen sein Ohr.
      "... anderem."
      Sie ließ aus, was auch immer das heißen mochte, verweilte aber noch einen weiteren Moment an ihm, bevor sie sich zurückzog. Ihre Finger zogen wieder ihre unschuldigen Bahnen.
      "Junkies sind alle gleich: Schwer zu befriedigen, leicht zu beeinflussen. Sie brauchen Drogen und dafür würden sie alles tun."
      Sie legte ihren Kopf schief. Ihre Finger schoben sich gerade zwischen seine, verschränkten sich mit seinem Handrücken.
      "Aber dabei sind sie nicht die einzigen. Ich würde auch alles tun, um meine Wünsche zu erfüllen. Alles…", ihre Stimme senkte sich wieder, "... was du dir nur vorstellen kannst."
      Sie ließ die Worte einen Augenblick zwischen ihnen in der Luft hängen, dann schwang sie sich mit der Übung einer Frau, der diese Bewegung ins Blut übergegangen war, in seinen Schoß. Sie ließ sich dort nieder, beugte sich nach vorne. Ihre Hände legten sich auf seine Schulter, ihr Gesicht war von seinem nur wenige Zentimeter entfernt. Sie grinste, rollte ihre Hüfte nach vorne und dann wieder zurück. Strich seine Arme nach unten, wollte sich seine Hände nehmen, wollte sie sich auf die Beine lehnen. Sie lehnte sich nach vorne, an seinem Gesicht vorbei, zu seinem Ohr hin. Ihr Atem strich ihm warm und zart über die Haut.
      "Wir brauchen sie aber nicht, um weiterzuziehen. Ich habe gesehen, dass du den Dolch gehalten hast. Du kannst ihn tragen, er macht dir nichts. Wir müssen sie nicht mit uns nehmen."
      Sie drückte die Lippen kurzweilig an seine Haut, rollte wieder mit der Hüfte.
      "Ich weiß, wo sie ihn versteckt, ich kann es dir zeigen… nimm ihn und wir gehen ohne sie weiter… ich verspreche dir, dass ich ganz allein dir gehören werde, für die Nacht und für alle, die noch kommen werden…"
    • Für einen Moment in der Zeit ihres Gesprächs fühlte sich an eine andere Szene errinnert, die ihm ungewollt zu Augen stach. Dass Sylvia eindeutige Ziele hegte, war ihrer Annäherung nicht unangemessen. Und auch wenn Prysk es nur ungerne zugab: Das Leben auf den Straßen des Kontinents hatte durchaus Entbehrungen zur Folge, die er nur ungerne auf ewig kultivieren wollte. Und irgendwann nahm man, was sich einem bot, nicht wahr? So genoß er die schwachen Bewegungen und das Gefühl einer wohlgeformten Brust an seinem Oberarm. Selbst eine leise Gänsehaut wollte sich einstellen als sie ihm ins Ohr flüsterte.
      Der Jäger zog die Augenbrauen hoch und nickte anerkennend.
      "Anderem also...", murmelte er brummend vor sich hin. Soso...Unartiges, kleines Wesen.
      Die Meinung zu Junkies dieser Art teilte der Jäger bedauerlicherweise. Er wusste selbst von dem ein oder anderen Jäger, der dieserlei Drogen zum Opfer gefallen war. Prysk verabscheute diesen Kontrollverlust mehr als alles. Mit zwielichtigem Verhalten und plumpen Anmachen wie die dieser Frau konnte er noch arbeiten und diese ertragen. Aber Sucht?
      Schweigsam ließ er alles, was Sylvia tat willig mit sich geschehen und genoß es sogar ein Stück weit, die Aufmerksamkeit einer Frau auf sich zu wissen. Als Sylvia rittlings auf seinem Schoß verweilte, schluckte er den ersten Kloß hinab, der ihn sämtliche Selbstbeherrschung kostete. Im Kern bildeten sexuelle Handlungen eine körperliche Sprache aus, die sich selbst ein willensstarker Mann nicht entziehen konnte. So ließ es sich nicht absprechen, dass Sylvias Handlungen eine gewisse Wirkung erzielten. Das Rollen ihrer Hüften nahm er aufmerksam zur Kenntnis und wehrte sich nicht dagegen. Doch die Hände, die sie auf seine Beine legten, fanden wir selbstverständlich den Weg an ihr Hinterteil und drückten das weiche Fleisch gerade so zusammen, dass sie die Wirkung spüren konnte, die sie an ihm hinterließ, während er ihren Leib enger an sich heran zog.
      "Ich stimme dir zu, dass man mit Bedürfnissen nicht hinter dem Berg halten sollte", wisperte er nun seinerseits in ihr Ohr, während sie an seiner Haut zugange war. "Und ja, Dany und ihr Junkietum brauchen wir nicht..."
      Das erste Mal nannte er sie beim Vornamen und nicht mit Spitznamen. Vielleicht war die wütende Ader an seiner Schläfe der Grund, als er sich grinsend zu Sylvia drehte und sie anfunkelte.
      "Doch was ich noch mehr hasse als Kontrollverlust sind Menschen, die meinen, mich zu ihrem Werkzeug machen zu können", flüsterte er und nahm die Hände ruckartig von ihrem Hinterteil. Nur um sie gleich darauf mit einer kurzen und doch kräftigen Bewegung von sich herunter zu heben und neben sich zu setzen.
      Wütend funkelte er in ihre Richtung und begann leise zu sprechen.
      "Schade...Habe wirklich gedacht, da will mich mal eine Frau wegen meines Körpers und dann so was...", grunzte er und schüttelte den Kopf. "Warum konntest du nicht einfach über mich herfallen? Leg dich hin und schlaf. Und lass mich das hier vergessen, wie es sich gehört."

      The more that I reach out for heaven
      The more you drag me to hell