Nemeton [Codren & Nico]

    Diese Seite verwendet Cookies. Durch die Nutzung unserer Seite erklären Sie sich damit einverstanden, dass wir Cookies setzen. Weitere Informationen

    • Wie ein Blutegel haftete Dany sich an Prysks Fersen, ungeachtet seiner ganz offensichtlichen Teilnahmslosigkeit an ihren ganzen Vorwürfen. Scheiße, selbst der Gaul hätte wohl mehr Reaktion von sich gegeben, wenn sie ihm so auf die Pelle gerückt wäre. Prysk hingegen richtete nicht mehr Aufmerksamkeit an sie, als er an seinen Schatten gerichtet hätte.
      Zumindest, bis er sich dann doch endlich umdrehte und Dany einen Ausblick in sein hässliches, schmutziges Gesicht gestattete. Diesmal hielt sie seinem Blick stand, ungeachtet der unsichtbaren Blitze, die darin knisterten.
      Nein, Eres war für nichts verantwortlich, Prysk hatte ihr nicht das Leben gerettet und er alleine trug Schuld daran, dass Cheynia untergegangen war. Das waren die einfachen Fakten, die Dany so klar vorkamen, dass sie sich wunderte, wie man eine so verklärte Sicht auf die Dinge haben konnten, wie Prysk sie hatte. Es lag natürlich nicht an ihrem Merch, was für eine lächerliche Behauptung, sie war vollkommen in Ordnung, sie hatte schon vor Wochen eine Toleranz aufgebaut. Prysk war einfach nur ein dummer Klugscheißer.
      Genau das wollte sie ihm jetzt auch noch vermitteln, hätte da das vogelartige Bierfass nicht plötzlich ein Zwitschern von sich gegeben, das sich wie "Prysk" angehört hatte. Verblüfft starrte sie das Ding für einen Moment an, dann riss sie sich von dem Anblick los und glotzte wieder Prysk an.
      "Versuch es doch! Komm her und tu es, ich wette mit dir, dass ich auch mit drei Met noch schneller sein werde als dein trauriger Knochenarsch - ah!"
      Das Ding hatte jetzt tatsächlich gesprochen. Dany starrte entgeistert den Vogel an, der zu Sprechen gelernt hatte, lange genug, dass Sylvia von hinten angesprungen kam und einen Arm um Danys Schulter legte. Prysk und seinem Begleiter präsentierte sie ein Grinsen, bei dem sie alle gelben Zähne entblößte.
      "Was Dany bestimmt sagen wollte, ist… irgendwas anderes halt. Aber das ist auch gar nicht wichtig, weil wir müssen uns doch nicht mit irgendwelchen hätte und… wäre aufhalten, oder? Wichtig ist, dass ihr wohl kein Zuhause mehr habt und ich mich zufälligerweise ganz gut in dieser Gegend auskenne und weiß, wo man hier schlafen kann, ohne nass zu werden oder mit einem Messer im Rücken aufzuwachen. Und als Gegenleistung…"
      Ihr Lächeln wurde noch breiter, die Lippen wurden schmal.
      "Helft ihr uns ein paar Wachen loszuwerden? Und ein paar Spuren zu verwischen?"
      Dany sagte gar nichts dazu, sie starrte Prysk lieber finster an, den Sündenbock, den sie dazu auserkoren hatte, den Fluch der Lehmtür auszutragen.
    • Na zumindest Lysander verwirrte sie genug, dass sie mal die Klappe hielt.
      Es war schon schwer genug, eine Lösung für diese verfahrene Situation zu finden, ohne dass dieses Weib plärrend wie ein Kleinkind neben einem Manne stand. Und jetzt kam auch noch erschwerend hinzu, dass sie sein Zuhause und damit auch Lysanders Karren, abgefackelt hatte. Und die Götter kannten den Zorn der grimmigen Eule, die in Prysks Ohr grunzte (konnten Eulen das eigentlich?).
      Mit drei Met schneller als sein knochiger Hintern? Dass Prysk nicht lachte. Sie konnte sich ohne ihr Zeug kaum auf den Beinen halten und nun war es also an der Zeit, Wetten abzuschließen? Es war wohl mitnichten angesagt, dies zu vertiefen.
      Einzig die Frau, die er bereits ad acta gelegt hatte, entschärfte die Situation auf offener Platzesansicht, indem sie Dany präzise und beinahe sympathisch zum Schweigen brachte. Sah man davon ab, dass ihr Lächeln mehr einer Ruine denn Freundlichkeit glich, war es auf jeden Fall eine Erlösung, einmal eine unaufgeregte Stimme zu hören. Zwar machte sie nichts besser, aber...
      "Was Scheißhaus sagen will, interessiert mich nicht heute oder morgen oder sonst wann", knurrte Prysk und spuckte vor Dany auf den Boden. Wenigstens das würde die Kopfsteinpflaster schöner machen.
      "Klappe jetzt!", tönte die Eule, der offenbar der Kragen platzte.
      Mit einem grimmigen Fauchen stieß sich die kleine Eule ab und landete zwischen Prysk und den Frauen und sah herausfordernd die beiden Damen an.
      "Ihr werdet für meinen Karren bezahlen.Auch wenn dieser Vollidiot meint, es wäre sein Zuhause, so war es meines. UNd ich pflege Rechnungen zu begleichen, shu-hu", sagte Lysander und blitzte mit einem gelblichen Auge unter dem Umhang hervor.
      "Davon abgesehen ist eine Unterkunft vielleicht nicht übel", gab Prysk zu bedenken.
      "Der Handel steht", piepste die Eule und sah zu Sylvia hinauf. "MIt einer Bedingung: Mein Pferd wird in Ruhe gelassen und ich erfahre, welche Schwierigkeiten Ihr Euch angeleiert habt, die es zu beseitigen gilt."

      The more that I reach out for heaven
      The more you drag me to hell
    • Dany konnte sich gerade noch von dem Anblick des sprechenden Bierfasses losreißen, um zu beobachten, wie Prysk vor ihr seinen widerlichen Sabber auf den Boden rotzte. Das allein wäre vielleicht allerhöchstens eine Beleidigung an den Boden gewesen, der von dem Unrat aus Prysks Körper beschmutzt wurde, wenn er damit nicht so unverblümt offen Dany beleidigt hätte. Und deren Augen wurden groß, während sie in einem Ausbruch aus gleißendem Zorn unterging.
      "Du dummer, hinterhältiger, nutzloser Krebs von einem Mann, wie kannst du es eigentlich wagen mich so zu -"
      Ihre Stimme wurde laut, ihre Arme flogen in die Höhe, aber dann kam das fliegende Bierfass herunter gesprungen und Dany sprang mit einem weiteren Aufschrei davon weg. Sylvia starrte die Eule nur mit großen Augen an und nickte dann heftig, so als wolle sie auch sich selbst davon überzeugen, dass sie jetzt wirklich zu der Forderung zustimmte.
      "Äh, okay. Karren und Schlafplatz für Auftrag? Hört sich doch ganz gut an. Oder, Dany?"
      "Nein?! Auf gar keinen Fall, wir werden uns doch nicht von diesem Milchsack und seinem sprechenden Geier-"
      Sylvia schlug Dany die Hand auf den Mund, noch immer in die Richtung des Mannes und seines Begleiters grinsend.
      "Es hört sich ganz fantastisch an. Gute Sache. Das machen wir so. Hört einfach nicht auf Dany, sie hat heute wieder zu viel - au! Hast du mich etwa gebissen?!"
      "Deine Finger stinken, hast du sie dir etwa in den Arsch geschoben?!"
      "Als ob deine besser riechen! Jetzt sag diesem netten... äh... Ding, was du angestellt hast!"
      "Gar nichts habe ich!"
      "Entweder das oder du kannst dir jemand anderen suchen, der dir dein Merch besorgt!"
      "Verflucht seist du, Weib!"
      "Sprich!!"
      Dany funkelte alle in der Runde einmal an, dann straffte sie sich ein bisschen, in dem Versuch, etwas von der Würde zurück zu erlangen, das sie gerade verloren hatte, und verschränkte die Arme vor der Brust. Ihr nächster Blick galt hauptsächlich Prysk.
      "... Es gibt da eine S a c h e in meinem Besitz, die ich vielleicht - vielleicht! - jemand anderem weggenommen habe. Weil, eigentlich habe ich sie in einer Ruine gefunden, das stimmt schon, aber die Ruine war zur gleichen Zeit von jemand anderem besetzt. Und dieser jemand andere hat dieses gewisse Etwas für eine bestimmte andere Sache benutzt und das habe ich ihm wohl vereitelt, indem ich das bestimmte Etwas mitgenommen habe. Mittlerweile dürfte er nichtmal mehr leben."
      Sie fixierte Prysk eindringlich.
      "Muss an Arkanfluch gestorben sein."
      Dann senkte sie den Blick und scharrte mit dem Schuh auf dem Boden herum.
      "Und jetzt dachte ich, sie haben meine Fährte verloren, aber das haben sie nur übergangsweise, weil ich mich in Cheynia aufgehalten habe. Das ist jetzt wieder vorbei, sie sind hier und ein paar Stadtwachen sind auch noch hinter uns her, weil die anderen uns nichts tun werden, wenn wir hier ein paar Regeln brechen. Aber dafür haben wir ja jetzt auch ein paar Wachen am Hals."
      "Alles nur, weil du dein Merch überall rumliegen lässt."
      "Stimmt gar nicht?!"
      "Du puhlst dir das Zeug aus den Fingern und dann stinkt es bis zum Himmel rauf, hör endlich auf damit! Ich bin sowieso erstaunt, dass es dich noch nicht umgebracht hat!"
      "Ich habe halt dicke Finger!"
      "Nein?!"
      "Du kiffst mindestens genauso viel!"
      "Das hinterlässt aber keine Spuren!"
      Sylvia wandte sich an die Eule direkt.
      "Ich denke, das ist das Problem. Die haben uns letzte Nacht wieder gefunden, davor hatten wir zwei Tage Ruhe. Wenn ihr uns damit also behilflich wärt, kann ich euch eine kostenlose Unterkunft beschaffen. Und ein bisschen Vergnügen."
      Sie grinste, dann zwinkerte sie.
    • Prysk und Lysander waren beide keine Männer von Traurigkeit. Wohingehend die Eule sicherlich andere Präferenzen als der Jäger besaß, jedoch waren auch ihm die Gelüste des anderen Geschlechts und deren Fleischlichkeit wohl bewusst. Es wäre gelogen gewesen, wenn nicht ein entzückender Rücken und dessen Verlängerung die Säfte der beiden Männer nicht in Schwung brachte.
      Doch wenn man sich diese beiden Frauen besah, die sich wie Kesselflicker stritten und über nach Scheiße stinkende Finger referierten konnte es selbst einem hartgesottenen Jäger schon einmal übel werden.
      Kaum zu glauben, dass er diese Dany bei besserem Charakter in sein Bett gelassen hätte.
      "Ist das widerlich..", seufzte Prysk und hielt sich eine Hand vor die Hand, als die Gerüche, deren Herkunft er nicht differenzieren konnte, zu ihm drangen.
      "Angenehm ist was anderes, shuhu", piepste Lysander und schüttelte den befederten Kopf.
      Noch während der Jäger gegen seine Übelkeit ankämpfte, blickte er Dany beinahe starr und emotionslos in die Augen. Nicht, dass ihn sonderlich interessiert hätte was sie verbockt hatte. Der Erfahrung nach waren es zumeist ohnehin die Anderen Schuld und nicht die merchverseuchte Schankfrau einer zweitklassigen Kaschemme. Gott, wie gerne würde er diesen selbstgefälligen Ausdruck aus dem Gesicht prügeln. Irgendwann würde der Tag kommen, an dem er seine Rache bekam.
      "Also hast du mal wieder Jemanden beklaut und zahlst den Preis weil du dich vorher nicht um die Umgebung geschert hast?", fragte Prysk nach und konnte ein süffisantes Grinsen nicht vermeiden. "Klingt ja fast gar nicht vertraut. Hättest dir eigentlich denken können, dass es nicht funktioniert."
      "Halt mal den Sabbel, Prysk", knurrte die Eule und hüpfte in Danys Richtung. "Hey, Merchfrau! Hier unten! Würde mich freuen wenn du mal ein wenig Klartext reden würdest. Was für eine Sache und für was wurde sie genutzt? Ich schütze ungerne Menschen und noch ungerner wenn ich nicht weiß, was mich erwartet..."
      Ehe die Eule ihre Antwort bekam, ergingen sich die Damen wieder in Disskussionen und Prysk musste durchatmen. Auf dem Gesicht des Jägers stand Ungeduld und der Drang, seiner Wut Bahn zu brechen. Schweigsam fuhr er sich durch das lange Haar und ließ die Perlen klimpern.
      "Also jagen euch sowohl die Jäger des verlorenen Dingsbums als auch die Stadtwachen. Und was habt ihr mit den Stadtwachen angestellt?", fragte der Jäger mit einem Seitenblick zu Sylvia.
      Erst danach erhielt er die Information, dass offenbar beide Damen den Drogen der Neuzeit mehr als zugesprochen waren. Was war nur aus dieser Zeit geworden...
      "Gibt es eigentlich irgendjemanden, mit dem du verkehrst, der keine Drogen nimmt?", knurrte der Jäger und schüttelte den Kopf. "Jämmerlich..."
      "Prysk."
      "Nein! Mal im Ernst, Lysander! Diese beiden abgehalfterten Gestalten bauen Mist und wir hauen sie dort heraus? Wirklich? Als Belohnung dafür, dass sie unseren Karren abgefackelt haben? Wir haben eine Aufgabe, du verschissene Eule!"
      In der Sekunde merkte Prysk bereits, dass er die Grenze überschritten hatte. Seufzend machte er sich gerade und schüttelte den Kopf.
      Lysander indes sah seinen Jäger an und piepste leise vor sich hin, als er sich den Frauen zuwandte.
      "Zeigt uns die Unterkunft und wir überlegen, wie wir helfen können."

      The more that I reach out for heaven
      The more you drag me to hell
    • So wie sich ein hämisches Grinsen auf Prysks Gesicht aufspielte, sackte Danys Miene ab und verfinsterte sich. Dieser Hund hatte ja keine Ahnung! Drohend trat sie einen Schritt auf ihn zu.
      "Hab' ich nicht und du hast ja keine Ahnung! Du und dein Federfass, ihr solltet lieber nicht - huah!"
      Wie schon beim ersten Mal traf es sie völlig unvorbereitet, dass das kleine Ding sprechen konnte, und so sprang sie zurück, als es selbst auf sie zukam. Aus der Nähe betrachtet glaubte sie fast, dass es eine Eule war. Eine Eule? Da kam ihr der Gedanke von einem sprechenden Bierfass ja noch realistischer vor.
      Dany setzte zu einer Antwort an, mit der sie sich auch aus dieser Situation herausgeredet hätte, da wurde sie wieder unterbrochen und überließ nur allzu gerne Sylvia den Vortritt, die sich gleich vor Prysk aufplusterte. Zum Schluss wären sonst wohl wieder Fäuste geflogen.
      "Die Stadtwachen waren meine Idee! Die kann man loswerden, die sind in etwa so energetisch wie der Gaul da vorne - nichts für ungut. Aber wenn die anderen uns erwischen, müssen sie sich auch mit den Wachen anlegen und das wollen die ganz sicher nicht. Schlau, oder?"
      Sylvia grinste stolz und Dany fasste sich dafür ins Gesicht. So langsam kam auch ihr in den Sinn, dass es vielleicht nicht ganz so gut war, ständig so high zu sein. Die frühere Dany hätte sich wohl mit wesentlich mehr Eleganz aus der Sache herausgewunden, als Sylvia es vollbrachte. Wenn sie doch nur eine Alternative hätte, sie würde das Merch gleich in den nächsten Fluss werfen.
      Jetzt war es aber für einen Moment an den anderen beiden, sich in die Haare zu kriegen, und nachdem sich alle vier in der aufkommenden, peinlichen Ruhe gegenseitig angestarrt hatten, räusperte Sylvia sich laut und Dany malträtierte Prysk mit giftigen Blicken.
      "Wir zeigen euch eine Unterkunft und du erzählst den sehr netten Herren, was du angestellt hast, Dany."
      Dany gab ein Stöhnen von sich, mit dem Sylvia sich nicht zufrieden gab.
      "Bevor uns irgendjemand eingeholt hat!"
      "Ach, scheiße. Ist ja gut."
      Sie schaute mürrisch drein, während Sylvia sich, einem Wiesel gleich, flink in Bewegung setzte und sie allesamt in die nächste Gasse lotste.
      "... Es hat alles damit angefangen, dass wir uns mit den Sehern in die Haare gekriegt haben; das sind diese dummen, hinterwäldlerischen... dummen Typen von dieser Art Sekte, die glauben, der Schlüssel zu unserem Magieproblem ist noch mehr Magie. Sie haben sich zu allem Überfluss in Triuce eingenistet, wo wir auch ziemlich vertreten sind - und es muss euch nicht interessieren, wen ich mit "wir" genau meine, das sind einfach meine Leute und ich. Wir haben ihr Vorgehen bis zu der Ruine zurückverfolgt und dort haben sie halt... irgendwas gemacht. Sie hatten da diese...", Dany kniff die Augen zusammen und machte eine vage Geste mit den Händen, die etwas großes beschreiben sollte, "... Steinblöcke oder... oder Ovale? Sie hatten Zeichen an den Wänden und diese ganzen Gerätschaften und..."
      Wieder ein Stirnrunzeln. Danys Erinnerungsvermögen hatte so deutlich abgenommen, sie konnte froh sein, wenn sie sich noch daran erinnerte, wo sie ihre ganzen Habseligkeiten versteckt hatte.
      "... ich weiß es nicht mehr. Es war jedenfalls ein verschissenes Ritual, so viel waren wir uns sicher, und Teil davon war der Gegenstand, den ich bei mir trage. Und der im übrigen schon bestimmt 50 Leute mit Arkanfluch auf seinem Gewissen hat, nur mich nicht."
      Jetzt grinste sie breit, tatsächlich stolz darauf, den Rekord von ein paar Wochen Arkanfluch bei weitem gebrochen zu haben. Acht Monate und sie stand noch immer aufrecht.
      "Also bin ich mit dem Ding weg. Und während wir hier schwatzen und uns so gut unterhalten, finden meine Leute in Triuce hoffentlich heraus, was es damit auf sich hat. So sehr es mir nämlich gefällt, weil es gute Dienste leistet, würde ich doch lieber langsam wieder ein normales Leben führen. Ohne Arkanfluch und... so einen Scheiß."
      Sie folgten Sylvia durch ein Labyrinth von Straßen, was sich ein menschliches Gehirn unmöglich merken konnte, so wie Dany fand, bis die Frau irgendwann an einer Stelle stehenblieb, ein paar Kisten beiseite schob und eine Kellertür im Boden offenbarte. Sie deutete darauf und trat einen Schritt zurück.
      "Ihr zuerst, ich schieb' die Sachen wieder zurück. Na los, bevor uns noch jemand sieht."
      Also brachen sie die Tür auf, die sich nicht so einfach von alleine lösen ließ, und stiegen in das finstere Innere herab. Es war ein feuchter, modriger Keller, der sicher in zwanzig Jahren nicht mehr gut belüftet worden war und in dem die Spinnen hausten, als wäre es ihr gottgegebenes Recht dort zu wohnen, aber er war ganz eindeutig abgeschottet. Licht drang durch Ritzen in der Decke hinein und außerdem roch es nicht ganz so stark nach vertrockneter Leiche wie bei der letzten Unterkunft, die Sylvia den beiden Frauen besorgt hatte. Sylvia grinste stolz und Dany musste anerkennend nicken.
      "Gar nicht übel. Also was ist, ihr bleibt hier und dafür helft ihr uns, ein paar Verfolger loszuwerden?"
    • Schweigsam folgten die beiden Jäger dem redseligen Frauenduo und fragten sich doch innerlich, in welches Theater sie sich wieder hereinbugsiert hatten. Sicherlich konnte jeder einmal in eine brenzlige Situation geraten, jedoch hatte Dany eindeutig ein Talent, sich die größte Scheiße an Land zu ziehen, die es für jegliches Holz der Welt zu kaufen gab.
      Das Labyrinth an Kopfsteinpflasterstraßen schien kein Ende zu nehmen und auch wenn Prysk sich Mühe gab, behielt er nicht den Überblick, wie sie schließlich vor einem Haus zu Stehen kamen.
      Prysks Gesichtsausdruck wechselte während der gesamten Wanderschaft lediglich von wütend zu missbilligend, während Lysander zumindest seinen runden Kopf interessiert in Danys Richtung schob. Zwischenzeitlich achtete Niemand mehr auf die kleine Eule, die sich neugierig umsah und unter dem Mantel ein kleines, aber feines Messer gezückt hatte. Als Dany ihre Erzählung abschloss und sie zusahen wie Sylvia die Tür knackte, sahen sich beide Jäger vielsagend an.
      Freilich hatte Prysk Lysander und den anderen davon berichtet, dass es ein Erwachen gab und eine Frau offenbar in der Lage war, dem Arkanfluch zu widerstehen. Sie war nicht die Erste, die sie derart kennen gelernt hatten und vermutlich würde sie nicht die Letzte sein. Aber die Geschichte mit dem Orden oder diesen Mystikern regte dann doch Prysks Neugierde an.
      "Weißt du... Wenn man nicht möchte, dass Jemand wie wir nach deinen Leuten fragen, sollte man sie einfach nicht erwähnen", grunzte der Jäger und bewegte seinen Kopf in den modrigen Keller hinein.
      Es roch muffig und die Luft erschien beinahe so feucht wie der Boden zu sein. Aber er gab der anderen Frau Recht: Es war besser als nichts. Und ein Keller konnte ein nützlicher Ort sein, um Dinge zu verstecken. Wie zum Beispiel eine geknebelte Erwachte.
      "Mich interessiert das Ritual, was du beschrieben hast"; begann Prysk erneut während Lysander seinen Umhang im Keller ablegte und darunter eine perfekt angepasste Lederrüstung zum Vorschein kam. Mit leuchtenden Augen blickte er sich im Tiefenkeller um und nickte zustimmend.
      "Was für ein Ritual war es genau?", fragte Prysk und sah Dany an. "Welche Hilfsmittel wurden benutzt? Wie sahen die Ovale genau aus? Waren es handgeritzte Inschriften oder wurden sie aufgemalt?"
      Lysander stieß ihm gegen die Schulter, ehe er sich auf einem kleinen Steinsims niederließ und die Anwesenden betrachtete.
      Auf Sylvias Frage blickte die kleine Eule zu und beinahe hätte mein ein Lächeln auf dem kleinen Schnabel vermuten können.
      "Wir helfen euch", nickte er. "Für diese Unterkunft und Information. Ich möchte wissen was es mit diesem Ritual auf sich hat. Und da mich besonders interessiert, was diese junge Dame", er wies mit dem Flügel auf Dany, "an sich hat, dass sie dem Arkanfluch widerstehen kann, bleiben wir bei euch. Es ist selten, dass wir Jemanden mit einer Immunität finden. Ich dachte, Prysk wäre der Einzige."

      The more that I reach out for heaven
      The more you drag me to hell
    • Der Keller als sichere Unterkunft schien eindeutig die Gemüter beruhigt zu haben, denn als Prysk erneut das Wort erhob, trieften seine Worte ausnahmsweise mal nicht nur so von Arroganz und Überheblichkeit, wie Dany fand. Ja, man hätte doch sogar tatsächlich in der Lage sein können, ein halbwegs vertretbares Gespräch miteinander zu führen. Was für eine Aussicht.
      "Ich kenne mich mit Ritualen nicht aus, das ist nicht mein Fachgebiet. Ganz spontan würde ich wohl sagen… es war eine Beschwörung. Vielleicht auch nicht, aber sie hatten überall diese verfluchten Muster, alles war ein Muster, egal wo man hingeblickt hat, die Ovale waren in einem Muster angelegt und die ganzen… Kritzeleien sahen wie Muster aus, die scheiß Tür war Teil eines Musters. Nenn mich altmodisch, aber ich halte immer noch daran fest, dass Muster Beschwörung bedeuten. Vielleicht fängt man damit ja auch etwas ganz anderes an, aber erzähl du mir mal von einem Zauberer, der erst den Boden vollkritzelt, bevor er Feuer entstehen lässt. Wenn es so funktioniert, hätte die ganze Welt in einem Muster untergehen müssen, dass die scheiß Apokalypse passieren konnte. Und ist sie das? Nein."
      Dany wanderte zur Mitte des Raumes, wedelte dort ein paar Spinnweben weg, dessen Bewohner schnell in die Schatten unter der Decke flohen, stemmte dann die Hände in die Hüften und sah sich kritisch in dem Keller um. Das war wirklich gar nichtmal so schlecht, hatte Sylvia ihr diesen Unterschlupf absichtlich vorenthalten? Schnaubend drehte sie sich wieder nach Prysk um.
      "Sonst weiß ich nichts mehr. Nach den Inschriften habe ich mich nicht genauer umgesehen, wie gesagt, das ist nicht mein Fachgebiet. Könnten eingeritzt gewesen sein, ich denke aber, dass der Stein an manchen Stellen zu marode war, um etwas einzuritzen; war also vielleicht beides. Und die Ovale sahen einfach nur wie geschliffene Steine aus - aber dunkle Steine, ganz schwarze. Wenn es nicht fünf gewesen wären, hätte ich die gar nicht beachtet."
      Sie ließ sich von dem gefiederten Bierfass ablenken, das jetzt auch noch eine Lederrüstung trug und aussah, als wolle es gleich in den Krieg ziehen. Der Anblick war irgendwie… niedlich. Dany grinste. Allerdings war das Grinsen einen Moment später schon wieder wie weggeblasen.
      "Wie?"
      Sie starrte zu Prysk hinüber, dessen schäbige Gestalt in dem dunklen Keller so wirkte, als könne sie gleich genau wie der Boden um sie herum Schimmel ansetzen.
      "Der? Der ist gegen Arkanfluch immun? Das soll wohl ein Scherz sein! Sollen wir es gleich ausprobieren? Willst du mal mein kostbares Stück halten, huh?!"
      Sie stopfte grimmig die Hand unter den Gürtel, nur um es sich im letzten Moment doch anders zu überlegen und sie leer wieder herauszuziehen. Immerhin musste sie kein Risiko eingehen.
      "Nein, vergiss es wieder, ich muss es nicht sehen. Mir reicht die Vorstellung."
      Genauso grimmig verschränkte sie jetzt die Arme vor der Brust, während Sylvia im Hintergrund interessiert das Geschehen beobachtete, ein grünes, stachelig wirkendes Blatt zwischen den Fingern rieb, es an den Mund hob, daran saugte und eine helle Dunstwolke ausstieß. Der wenige Rauch verlor sich, bevor er überhaupt die Decke erreicht hatte.
      "Und woher hat er das rausgefunden? Er hat ja wohl keinen Dolch, der Arkanfluch verbreitet, oder? Und was sucht ihr überhaupt hier? Ja wohl nicht nach Leuten, die ganz zufällig denselben Segen erhalten haben wie dieser Sack von einem Mann, oder?"
    • Schweigsam lauschten die beiden Jäger der jungen Frau und tauschten hier und da ein paar Blicke aus.
      Gerade als sie von dem vermeintlichen Ritual sprach und offensichtlich nichts darüber wusste, wurden die Blicke beinahe intensiv. Beiläufig strich sich Prysk durch den Bart, sodass die Haare zu klimpern begannen und er zuckte die Achseln.
      "Nach allen Beschreibungen nach würde ich beinahe zustimmen, dass es eine BEschwörung war", murmelte er. "Auch wenn es durchaus Magie gibt, die mit einem Muster auf dem Boden beginnt..."
      "Klappe."
      Lysanders Worte waren schneidend und beinahe merkwürdig autoritär. Umso erstaunlicher war es, dass der Jäger mit einem Mal zu schweigen begann und sich nicht weiter um das Thema zu scheren schien. Man legte sich nicht mit der Eule an. Es war nicht gut für das Karma.
      "Waren die fünf Steine beweglich?", fragte Lysander und sah zu Dany hinauf. "Also konnte man sie entfernen oder bewegen? Hast du das gesehen?"
      Auf die erschrockene Reaktion hin, grinste Prysk breit und stemmte die Fäuste in die Hüften. Breitbeinig stellte er sich in der Mitte des Kellers auf und sah beinahe herablassend zu der drogensüchtigen Diebin hin, die sich offenbar noch empörte. Gerade wollte er seine Hand ausstrecken, da sie ihr Angebot wieder zurücknahm.
      "Wie schade", murmelte er. "Ich hätte dir gern bewiesen, dass du offenbar nicht einzigartig bist, Scheißhaus. Aber stattdessen will sie mir nicht mal ihr tolles Artefakt geben, was sie mir bereits gezeigt hat. Ich finde das unhöflich, Lysander."
      Die Frau an ihrer Seite begann ein merkwürdiges Kraut zu rauchen und Prysks Haltung veränderte sich wieder. Wie ein Sack fiel er in sich zusammen und ließ die Schultern hängen, ehe er Abstand von Sylvia nahm und den Kopf schüttelte. Er in einer ecke des feuchten Kellers fand er wieder Ruhe und lehnte sich an. Es war unerhört, Drogen zu konsumieren. Auch wenn der Jäger durchaus Erfahrung mit einigen bewusstseinserweiternden Stoffen hatte, so lehnte er den Gebrauch völlig ab. Und nichts machte eine Frau unattraktiver in seinen Augen als dies Kraut an den Lippen der anderen.
      Lysander indes schüttelte den federnden Kopf und piepste:
      "Wir sind Reliktjäger. Wobei dies eigentlich nur eine andere Version für Suchende sind. Vor einiger Zeit haben wir es uns zur Aufgabe gemacht, die magischen Relikte zu erforschen, die aus der Alten Zeit geblieben sind. Wir suchen nach ihnen und erforschen sie und versuchen dabei nicht zu sterben."
      "Was nicht immer so gut gelingt", bemerkte Prysk und trat wieder näher an Lysander.
      "Und dieser Jäger hier"; sagte Lysander und wies mit dem Flügel auf Prysk. "Wir erfuhren von seiner Begabung weil er durch den Nebel gelaufen ist. Ohne eine Krankheit zu erlangen. Den Nebel im Norden. Eine der Quellen."
      Die Bombe war geplatzt, dachte Prysk und seufzte.
      Was für ein Irrsinn...

      The more that I reach out for heaven
      The more you drag me to hell
    • "Als einer meiner Leute auf einen dieser Steine gefallen ist und sich den Kopf aufgeschlagen hat, waren sie verdammt unbeweglich, wenn du mich fragst. Aber irgendwie müssen sie dorthin gelangt sein, sie sahen nicht so aus, als wären sie aus dem Boden gehauen worden."
      Dass es ein Fehler gewesen war, Prysk auch nur einen Hauch von Achtung entgegenkommen zu lassen, darauf hin, dass er gleichsam immun war wie Dany, erkannte letztere erst in dem Moment, als sein hässliches Gesicht sich zusammenknautschte und ein noch hässlicheres Grinsen zustande brachte. Er plusterte sich auf, als wäre er der König der Welt und wenn Dany nicht gewusst hätte, dass sie in diesem engen Raum keinen Kampf entfachen wollte, weil hier schlecht Platz war und es zudem in den Ecken von Spinnen wimmelte, hätte sie ihm eine ordentliche Spur von ihrem feinsten Sabber ins Gesicht gespuckt. So verzichtete sie darauf und beschränkte sich auf ein äußerst garstiges Starren. Manchmal musste man eben auch selbst Opfer einbringen.
      "Und ich hätte allzu gerne gesehen, wie dir dein Lebenssaft aus den Fingern tropft. Wir können wohl alle nicht immer das haben, was wir wollen, was?"
      Was vielleicht ein kleiner Starrwettbewerb hätte werden können, löste sich dann auf, als Prysk sich von selbst wieder verzog, so als hätte er es gar nicht nötig, hier in diesem dämmrigen, stinkenden, feuchten Keller weiter zu stehen und mit Dany über Krankheiten zu streiten. Es feuerte nur ihren eigenen Zorn gegen ihn an, aber auch Dany verzichtete darauf, die Sache weiter eskalieren zu lassen.
      "Der Nebel?"
      Jetzt wandte Dany ihre Aufmerksamkeit wieder dem gefiederten Bierfass zu und starrte abwechselnd zwischen Mensch und Mutant hin und her, bis ihr Blick schließlich auf Prysk wieder stehenblieb.
      "Was zum Teufel suchst du denn im Nebel? Einen hübschen Ort zum Spazieren oder was?"
      Zugegeben, ein wenig beeindruckt war sie schon. Wenn er wirklich in der Nähe der Quelle gewesen war und sie vielleicht auch gesehen hatte... Ihre Fingerspitzen kribbelten, was sie lange schon nicht mehr getan hatten, aber Dany besann sich. Wenn sie wirklich mehr von ihm erfahren wollte, musste sie das etwas schlauer angehen. Ohne so viel Provokation, auch wenn es schwierig war, Prysk nicht zu provozieren.
      "Hast du sie gesehen? Die Quelle? Sie angefasst?"
      Vielleicht würde sich diese Zusammenkunft ja noch als nützlich erweisen. Bisher hatte Dany keinen Kontakt zu ihren Leuten gehabt, der ihr eine Neuigkeit über ihr eigenes Artefakt beschafft hätte und auch, wenn sie sich weiter fernhielt, damit die anderen ihre Forschung betreiben konnten, ohne dass der Dolch wieder an seinen Ursprungsort zurückkehren und dort wissen Götter was anstellen würde, könnte es doch nicht schaden, etwas mehr darüber rauszufinden. Und ganz anscheinend hatte dieser Dreikäsehoch eine gewisse Erfahrung damit.
    • Prysk musste aufgrund der müden Drohung nicht minder müde lachen.
      Die Kleine konnte noch immer nicht drohen, ohne sich dabei lächerlich zu machen. So wie der Jäger die Situation bewertete, wenn er diesen modrigen Keller betrachtete, waren die beiden Damen nicht wirklich in der Lage, Forderungen zu stellen und alleine auf ihr Gusto angewiesen. Aber lustig war es dennoch.
      "Tja...Manchmal bekommen wir nicht, was wir haben möchten", bestätigte er. Und auch wenn er es nicht wollte, legte sich ein Schatten über sein Gesicht, der ihn kurz innehalten ließ.
      Lysander indes nickte Dany zu, die ihn immer noch merkwürdig interessiert ansah.
      "Ja, der Nebel", bestätigte er piepsend und begann zu kichern. Das Kichern erklang nicht in der Tonlage einer Eule, sondern vielmehr als würde ein Spatz zu lachen beginnen. "Was sollen wir schon im Nebel suchen..."
      "Ich hatte dort nichts zu suchen", flüsterte Prysk und fuhr sich mit der Hand durchs Gesicht. "Ich habe keine Erinnerung, weshalb ich dort war, aber das erste woran ich mich erinnere, ist eine der Quellen und dass ich in ihrer Mitte lag. Und während die Welt um mich herum zu verfaulen schien, habe ich mich bewegt und bin hindurch gegangen."
      Der Jäger zuckte die Achseln.
      "Also mehr weiß ich auch nicht"; sagte er. "Ich habe die Quelle nicht berührt. Ich wusste nicht genau, was es war. Ich habe erst später, als Lysander mich gefunden hat, erfahren, was dieses...Ding...eigentlich war. Aber ja...Ich habe sie gesehen..."
      Und ich sah nie etwas schöneres, dachte er und sah zur Seite, ehe er sich ein wenig entfernte. Schweigsam schlenderte er zu einem der kleinen Bullaugenfenster, die kaum Licht in den Raum ließen. Etwas an dieser Erinnerung bereitete ihm Kopfschmerzen und wie jedes Mal hatte er das Gefühl, Raum und Zeit an die Wirklichkeit zu verlieren. Er wollte Jemanden befragen, welche Stunde es geschlagen hatte und welcher Tag heute war. Sorgsam beruhigte er seinen viel zu schnellen Herzschlag, während Lysander die junge Frau ansah.
      "Ich denke, wir könnten einander ergänzen, was die Informationslage angeht. Du hast offensichtlich nicht wirklich das Interesse, die Sachlage aufzuklären und ich biete dir etwas an: Ich möchte nur wissen, wie es vonstatten ging und was dieses ganze Desaster ausgelöst hat. Ich bin daran interessiert, die Welt wieder herzustellen, wie sie war, versteht ihr? Die Artefakte kümmern mich nur so lange, wie ich die Lösung nicht habe. Also folgender Vorschlag:
      Ich gebe dir alle Artefakte, die ich in meinem Hauptlager besitze, wenn ihr uns helft, dieses Weltenrätsel zu entschlüsseln. Was sagst du?"

      The more that I reach out for heaven
      The more you drag me to hell
    • Prysk begann zu erzählen und Dany ertappte sich dabei, wie sie seine Worte aufsaugte, als wären sie die Luft, die sie zum Atmen brauchte. Scheiße, sie musste diesen Mann mit nachhause zu den anderen nehmen. Wenn es stimmte, was er dort sagte, dann würde Cayen einen Blick auf ihn werfen wollen. Einen ausführlichen, eindringlichen, langen Blick. Wahrscheinlich sogar mehrere davon.
      Aber Cayen und die anderen waren mehr als nur eine ein paar Wochen Reise entfernt und so gaffte Dany nur und versuchte sich, die wenigen Details davon zu merken. Wenn sie das nicht täte, hätte sie vermutlich am nächsten Tag schon wieder vergessen.
      Das gefiederte Bierfass erhob wieder das Wort, sehr zu Danys überraschender Enttäuschung, die sich dabei ertappte, viel lieber Prysk weitere Fragen stellen zu wollen. Vielleicht ja später. Vielleicht könnte sie ihn ja auf ein Met einladen und ein bisschen zum Reden bringen.
      "Ja, wir könnten einander ergänzen", bestätigte sie murmelnd, bevor sie doch ihren Blick wieder auf die Gigantenform eines Vogels warf. Artefakte als Belohnung? Wer wäre sie, um da nicht zuzustimmen?
      "Einverstanden."
      Sie grinste und diesmal war ihr Grinsen fast diebisch.
      "Du willst also nur wissen, was es mit dem Ritual auf sich hatte? Damit kann ich behilflich sein - solange es um nichts anderes geht. Immerhin sind das hier vertrauliche Informationen."
      Allerdings konnte Dany nicht verhindern, sich etwas Selbstzufrieden damit zu fühlen, dass man wieder auf sie angewiesen war. Nach acht Monaten wurde das auch langsam mal Zeit.
      "Es hat alles in Triuce angefangen. Wir haben einen... ich habe einen Kollegen, der auf den Schmarzmarkt spezialisiert ist. Er tut nichts anderes als Verbindungen zu knüpfen und ein Auge darauf zu werfen, was in den Schwarzmarkt hinein und wieder herauskommt. Warum er das macht, ist für das Ritual irrelevant, Fakt ist aber, dass er von einer anderen Stelle ein Stichwort erhalten hat, dessen Fährte er gefolgt ist. Er ist bei einem Großauftrag für Merch rausgekommen - ich meine aber nicht kleingehacktes Merch für die Droge, sondern die ganze verfluchte Pflanze. Hundert Stück oder sowas, das wird nicht für einen Drogenhandel verwendet, das wird verwendet für -" Sie zögerte, dann fuhr sie doch ohne Erklärung fort. "Was anderes eben. Also haben sie mich losgeschickt und ich habe die Höhle gefunden - also die Ruine, aber unter der Erde. Und da haben sie ihre Sachen aufgebaut."
      Und Dany begann zu berichten, woran sie sich noch alles erinnern konnte: Ein großer Raum, fünf ovalförmige Steine, Sigillen, Muster, die Merch-Pflanzen, die irgendwie von der Decke hingen, der Freiraum in der Mitte, der Dolch - ihr Dolch - der geleuchtet hatte, mehr noch als sonst, gestrahlt beinahe schon, die anderen Gegenstände, die zwar nicht minder merkwürdig aussahen, die aber doch wenigstens nicht dazu genutzt wurden, einen Kristall aufzuritzen. Dany konnte nicht sagen, was für ein Kristall es gewesen war oder was die ganze Sache hätte bezwecken können, aber sie konnte betonen, dass sie gewusst hatte, dass der Dolch den Kristall nicht anschneiden durfte. Sie hatte es mit derselben Überzeugung gewusst, wie sie auch gewusst hatte, wo das ganze Ritual stattgefunden hatte, aber dennoch behielt sie sich vor, auch nur Andeutungen darüber zu geben, weshalb sie das gewusst hatte.
      Schließlich sah sie den Vogel nur noch an.
      "Das war alles, alles woran ich mich erinnern kann. Wir haben den Dolch mitgenommen, weil er am wichtigsten war, den Rest haben wir nicht bekommen, auch nicht den Kristall. Es war ein chaotischer Abgang, die Decke ist uns fast auf die Köpfe gefallen. Keine Glanzleistung."
      Sie sah kurz zu Prysk und dann wieder zurück.
      "Und mit solchen Informationen wollt ihr die Welt wiederherstellen? Wie soll das denn funktionieren? Ist das nicht ein bisschen... unmöglich?"
    • Prysk scherte sich beinahe nicht einen Deut um das, was noch gesagt wurde. Zu verschlungen waren die Pfade seiner Gedanken, in die er sich zurückgezogen hatte. Noch immer graulte vor seinem inneren Auge diese Leere und die fantastische Macht, die er dort empfunden hatte. Wie die wärmende Hand einer Mutter hatte sie ihm umfangen und ihm den Weg geheißen, ohne dass er wusste, warum und wieso er eigentlich hier war.
      Dies war die Stelle wo er Dany beinahe beneidete. Sicherlich war sie immer noch eine drogenverseuchte Stümperin (zumindest was Met anging), aber sie hatte ein Ziel im Leben. Etwas, das sich Prysk nur erträumen konnte. Für ihn war es Lysander, der einen Plan zu verfolgen schien, auch wenn es manches Mal so aussah als wüsste der Mutant selbst nicht, was er tat.
      "Nun...Das war einfacher als gedacht"; piepste er und stemmte die Federn in die Hüfte. (Hatte er eine?) "Und nein, ich möchte nicht nur wissen, was es mit diesem Ritual auf sich hatte. Ich versuche, dieses Weltenrätsel zu entschlüsseln und brauche Hilfe. Und auch wenn ihr meinen Gaul essen wollten, erscheint ihr mir zumindest nicht ganz unfähig und ich biete euch eine Partnerschaft an. Ein einfaches Geben und Nehmen."
      Zufrieden nickte die Eule und sah zu Prysk, der sich jetzt wieder zu ihnen gesellte. Merkwürdigerweise lag keine Provokation auf dem Gesicht des Jägers. Vielmehr mischte er sich regelrecht teilnahmslos unter die Sprechenden und legte seine Hand auf den Knauf seiner Waffen. Ob er einen Angriff vermutete, konnte nicht gesagt werden, aber Prysk rechnete mit allem.
      Sorgsam lauschten die beiden der Beschreibung der ehemaligen Bardame, die erneut nicht die volle Wahrheit sprach und kopfschüttelnd seufzte Prysk am Ende. Selbst Lysander wirkte in seinem habichtartigen Aussehen ein wenig enttäuscht.
      "DIe Beschreibung bringt leider gar nichts", murmelte die Eule und sah zu Prysk hinauf, der ebenfalls betreten dreinsah.
      "Nein", bestätigte er. "Sie ist völlig irrelevant. Es könnte eines von einhundert Ritualen sein, die höchstens den Zweck eines Regentanzes erfüllen. Wir müssen die Quelle sehen."
      "Ja, das sehe ich auch so", piepste die Eule. "Miss...Würdet Ihr wohl so freundlich sein und uns diesen Kollegen von Euch vorstellen? Es geht mir nicht um die Dinge, die ihr handelt oder zu Euch nehmt. Das kümmert mich wie ein faules Ei, versteht ihr? Das Problem ist viel eher, dass wir mit dieser Beschreibung mehr denn je im Trüben fischen."
      "Um deine letzte Frage zu beantworten", begann Prysk und unterbrach die Eule, die schnaubend zur Seite hüpfte, während der Jäger zum Ausgang marschierte. "Es ist faktisch unmöglich. Aber bis vor Kurzem war es auch unmöglich, dass ein Junge eine Feuerball aus dem Nichts beschwört, oder?"
      Grinsend spielte er auf Cheynia an und sah zu Lysander.
      "Ich gehe zu unserem Bücherwurm. Er weiß noch nicht, dass unser Zuhause gegrillt wurde. Achtest du auf diese Chaoten?"
      Die Eule nickte und flatterte ein schmales Regal hinauf, das halb zusammen gesunken dastand.
      Prysk indes öffnete die Tür nach draußen und warf einen Blick hinaus. Nichts. Keine Wachen, keine Sonderlinge. Zumindest nicht mehr als sonst. Schweigsam schlich er sich hinaus und atmete tief ein und aus. Was wollte das für eine Reise werden?

      The more that I reach out for heaven
      The more you drag me to hell
    • Eine Partnerschaft. Dany sah das kleine Etwas an und ließ sich den Vorschlag gedanklich über die Zunge rollen: Eine Part-ner-schaft. War sie in der Lage, einen solchen Deal einzugehen, ohne die näheren Umstände zu kennen? Konnte sie auch für alle anderen sprechen? Immerhin gab es die ein oder andere Information, die sie dann nicht mehr verheimlichen könnte, wenn sie diesen Deal einging. Und sie war sich nicht sicher, ob sie bereit war, eine solche Information an Fremde weiterzugeben - besonders an welche, die den Namen Prysk trugen.
      Also schürzte sie die Lippen und weil das Federvieh keine konkrete Antwort verlangt hatte, zumindest noch nicht, schwieg sie auch. Beide Männer hörten sich an, was sie über das Ritual zu erzählen hatte und dann wandten sie sich sowieso einander zu. Dany nutzte den Moment, um einen Blick zu Sylvia zu werfen, die im Hintergrund saß und der Unterhaltung interessiert lauschte, während sie weiter an ihrem Blatt rauchte. Dany hätte auch daran gezogen, aber irgendetwas sagte ihr, dass die beiden anderen es nicht besonders gern hatten, wenn sie so offen vor ihnen Drogen konsumierte. Vielleicht sah Prysk aber auch einfach immer nur so angewidert drein.
      Dann sprach der Dreikäsehoch davon, sie den anderen vorzustellen und dieses Mal gab sie ihrem Unmut Ausdruck, als sie seufzte und sich am Kopf kratzte. Etwas von den alten Merch-Blättern blieb in ihren Haaren hängen.
      "Das ist nicht so einfach. Ich bin nicht weggegangen, weil ich Lust dazu hatte, sondern weil wir massive Probleme mit diesen Leuten haben - naja, ich gerade vielleicht nur ein bisschen, aber die anderen hauptsächlich. Der Dolch ist nicht das einzige, was wir gestohlen haben, und wenn sie die Sachen wieder zusammen bekommen, sieht es echt scheiße aus. Ich würde das also gerne vermeiden. Aber wir könnten..."
      Sie kratzte sich an der Lippe.
      "... ach, scheiße. Wir können versuchen, Kontakt zu Cayen aufzunehmen. Cayen ist unser... Vermittler, würde ich sagen. Unser Nachrichtendienst? Unser Bote? Er soll entscheiden, ob es sicher genug ist, die anderen aufzusuchen. Ich brauche aber ein Papier und Stift, ein Lineal, eine schwarze Feder und eine Brieftaube."
      Sie sah zwischen beiden hin und her, erwartend, dass man ihr diese Dinge zur Verfügung stellen würde.
      "Oder alternativ genügend Ringe dafür."

      Während Prysk sich also aufmachte den Bücherwurm zu finden, den Dany schließlich auch schon hier gesehen hatte, blieben die beiden Frauen unter Beaufsichtigung zurück. Es war nicht so, dass sie eingesperrt gewesen wären - ehrlich, was wollte das kleine Federfass auch groß unternehmen, sollten sie wirklich gehen wollen? - aber der kleine Kerl schien sie ständig im Blick zu haben. Dany sollte es aber recht sein; sie schlenderte zu Sylvia zurück und nach einer eher wortlosen Diskussion, die die beiden Frauen lediglich mit ihren Blicken ausfochten, überreichte Sylvia ihr grummelnd das Blatt. Triumphierend zog Dany daran und drehte sich dann wieder zu dem dritten im Bunde um.
      "Wenn also Prysk derjenige ist, der durch den Nebel watet und all sowas, was macht dann der Bücherjunge in eurer Truppe? Die ganzen Bücher sammeln und irgendwelche Illusionen über Feuer entstehen lassen? Weil, Prysk sagt nämlich ständig, er hätte den Feuerball in Cheynia heraufbeschworen, aber er hat doch gar keine Ahnung, das Ding kam aus dem Nichts. Das war nicht der Junge mit seinem Buch, das war Eres mit seinen ganzen Spielsachen, ganz sicher."
    • Während Prysk den Raum verließ, blickte Lysander merkwürdig nachdenklich dem Jäger hinterher. Irgendwie verhielt er sich komisch, auch wenn die Eule noch nicht ausmachen konnte, woher dieser Stimmungswechsel bei dem Jäger herrührte. Es konnten nicht diese Frauen sein, oder?
      Immerhin wurde Walther öfter als ein syphilitischer Hintern gegrillt.
      Kopfschüttelnd flatterte er hinab als Dany ihre Fragen zu stellen begann und blickte mit wachsamen Augen vor allem auf die Hände und Beine der Frauen. Nichts verriet einen Fluchtreflex so sehr wie die Nutzung der Extremitäten.
      "Der Bücherjunge"; begann Lysander und nickte mit dem Kopf, sodass es aussah als hacke der Schnabel in der Luft. "Der Bücherjunge heißt Rufus Voltest und ich fürchte wirklich, dass ihr weniger dieses Zeugs nehmen solltet."
      Mit einem kurzen Rucken wies er auf das Merch, das wie staubiger Schnee aus ihren Haaren rieselte. Es war unabdingbar, dass sie dieses Zeug sein ließ, damit sie eine wahre Unterhaltung führen konnten. So musste er davon ausgehen, dass die Hälfte ihrer Eindrücke nicht nur falsch sondern gar nicht vorhanden war.
      "Frau Dany, es ist mitnichten so, dass er Illusionen entstehen lässt", begann der Vogel erneut und ein wenig schonender. "Habt Ihr eine Ahnung, wie die Magie seinerzeit funktionierte? Ehe sie verschwand, meine ich? Zuweilen nutzten verschiedene Zauberer ganz verschiedene Arten und Weisen um die Essenz der Magie - manche nannten es Mana, Andere Aura - an sich zu binden und ihnen eine andere Form zu geben. In Rufus Fall ist es das Wort. Das Buch, das er mit sich schleppt, ist eine Art Medium, dass Essenz an sich bindet. Und er nutzt das Wort, um der Essenz eine Form und Farbe zu geben. Was ihr also gesehen habt, war sprichwörtlich real, meine Liebe. Niemand hat mit Spielsachen gespielt oder Illusionen beschworen. Der Feuerball, den Ihr saht, war real und kam sozusagen aus dem Nichts, da Rufus eine Beschwörungsformel gesprochen hat."
      Vielleicht war es falsch, ihnen diese Information zu geben, aber Lysander hatte das Gefühl, dass ein wenig Respekt vor der Lage, in der sie sich befanden, nicht schlecht war. Und immerhin gab es einige Dinge zu bereden.
      "Ich finde, wenn ich das so sagen darf, "begann er er erneut und piepste vor ihr. "Solltet Ihr Prysk vielleicht einen Dank schuldig sein. Nicht, um Euer Selbst willen. Aber ich fürchte, er hat Euch damals wirklich zu retten versucht, wenn das stimmt, was er mir berichtete."
      An die beiden Frauen gewandt, tschilpte der Vogel und lachte.
      "Es wäre vorzüglich wenn Ihr diesen Cayen kontaktieren könntet. Das würde uns weiterbringen, ja ja."

      The more that I reach out for heaven
      The more you drag me to hell
    • Rufus, stimmt, da war ja was. Nicht, dass Dany sich diesen Namen länger hätte merken können, für sie und ihre Erinnerung blieb es der kindgesichtige Junge mit seinem ständigen Buch als Begleiter, der sich an Prysks Schatten hängte. Bücherwurm eben.
      "Rufus, klar. Wusste ich doch."
      Natürlich fiel der Apfel nicht weit vom Stamm und auch das gefiederte Etwas merkte an, dass Dany das Merch sein lassen konnte, was sie mit einem Wink ihrer freien Hand abtat. Er hatte doch keine Ahnung. Sie hatten doch alle keine Ahnung.
      Das Gegenteil schien wohl der Fall zu sein für die Wissenschaft hinter der Magie und obwohl Dany Schwierigkeiten hatte der piepsenden, schnellen Erklärung zu folgen, gab es doch einen Teil in ihr, einen von Merch angegriffenen, verseuchten Teil, der seine eigenen Fäden damit zog, der eine eigene Erklärung zustande brachte, die sich Danys Gehirn aber vollständig entzog. Es war frustrierend, dieser Moment, in dem sie wusste, das Federvieh verstehen zu können, dass sie sogar ihren Beitrag dazu hätte leisten können, nur dass ihr die Worte und sogar das ganze Wissen dazu fehlten. Es lag irgendwo dort unten, tief in ihren Gedankengängen verborgen, aber sie hatte keine Chance, darauf zurückzugreifen.
      Für einen Moment starrte sie auf ihre Finger hinab und dachte wirklich, dass sie vielleicht versuchen sollte aufzuhören. Nur vorübergehend. Sie könnte später ja immer noch wieder damit anfangen.
      Dann war die Erklärung vorbei, der Moment war vorüber und sie blickte wieder zu dem hüfthohen Federball auf.
      "Du willst mir also sagen, dass er Magie aus Worten formt? Sicher. Und ich forme ein bisschen Essen und Klamotten aus der Luft, wie wäre das?"
      Trotzig verschränkte sie die Arme vor der Brust und Sylvia kicherte im Hintergrund. Die Heiterkeit hielt in etwa so lange an, bis der andere erneut sprach.
      "Er hat auch meine Stadt kaputt gemacht. Ja, es ist nicht meine Stadt, aber inoffiziell ist sie das schon. Es ist mein Zuhause - war mein Zuhause. Wir sind allerhöchstens quitt." Und nach einem weiteren Schnauben fügte sie hinzu: "Außerdem hätte ich mich auch sehr gut selbst gerettet."
      Danach verliefen die Gespräche zwischen den dreien eher stumpf ab. Der Dreikäsehoch war definitiv auf Prysks Seite und das schien wohl die verhexte Seite zu sein, denn genauso wenig konnte Dany mit Prysk ein vernünftiges Gespräch führen. Natürlich war das nicht ihre Schuld. Es war alles andere als ihre Schuld.
      Also sagte sie gar nichts als Prysk wiederkam und auch noch den Bücherwurm im Schlepptau hatte. Ihn begrüßte sie zumindest, nicht etwa wie Freunde, auch nicht wie Bekannte, sondern wie man jemanden begrüßte, dessen Präsenz man bei sich wahrnehmen konnte. Sylvia grinste, als sie ihm fröhlich eine Hand reichte, und entblößte dabei alle ihre Zähne.

      Dany bekam, wonach sie verlangt hatte, und durfte eine nicht unbeträchtliche Zeit damit verbringen, sich daran erinnern zu wollen, wie die Geheimschrift aussah, ein leeres Blatt Papier vor sich, das Lineal in der einen Hand, die Feder in der anderen. Sie hatte lange nicht mehr solche Briefe geschrieben, zuletzt vor Cheynia. Nein, sogar davor hatte sie schon lange nicht mehr geschrieben. Waren es acht Millimeter oder ein Zentimeter? Waren es die Bs oder die Ps? Das H hatte etwas besonderes an sich, aber daran konnte sie sich bei bestem Willen nicht erinnern. Und worüber sollte sie schreiben, über Vögel? Über Tod? In welches Thema musste diese Situation übersetzt werden? Sie kratzte sich am Kopf und machte sich stirnrunzelnd an die Arbeit.
      Den fertigen Brief band sie an eine Brieftaube und hoffte darauf, dass Cayen vielleicht weitsichtig genug sein würde, um zumindest ihre Handschrift wiederzuerkennen.

      Die Antwort kam als Aushang am Marktplatz. Sylvia fand sie, weil Dany sich nicht nach draußen traute und der Frau mehr Vertrauen schenkte als Prysk und seiner Bande. Sie hatte sie darin eingewiesen, nach was sie Ausschau halten sollte und so kam sie zurück mit einem Blatt Papier, von dem sie behauptete, dass es sich deutlich von dem Rest unterschied. Darauf stand ein Gesuch für grüne Pfifferlinge und Dany erkannte sofort an den langen Bs und Ps, dass es das richtige Schreiben war.
      Nur leider stellte sich das Entschlüsseln genauso schwierig heraus wie das Verfassen. Dany maß die Bs mit der einen Hand, zeichnete sich das Resultat mit der anderen Hand auf und schrieb sich die Schlagwörter nieder. Die Bs hatten acht Millimeter und außerdem hatten die Ks 1,2 Zentimeter. Die Ks? Was sollte das denn wieder heißen? Frustration überschwemmte sie und zum ersten Mal, seit sie angefangen hatte, Merch zu stopfen, verfluchte sie das Zeug dafür. Sie übersetzte und schwor sich dabei, eines Tages damit aufzuhören.
      Zum Schluss war sie sich sicher, eine Menge Informationen verpasst zu haben, aber sie hatte herausfiltern können, dass Cayen sie vor der Stadt treffen wollte. Sie hätte unverschämtes Glück gehabt, dass er in der Umgebung gewesen war und er hätte außerdem Neuigkeiten.
      Also machten sie sich allesamt auf den Weg, die Stadt zu verlassen. Wie schon bei ihrer Flucht vor Danys Verfolgern, verließen sie sich auf Sylvia alleine, die sie mit der Expertise einer lebenslangen Einwohnerin durch die verzweigten Straßen lotste. Sie kamen nach draußen und folgten dem Weg, den Cayen ihnen beschrieben und Dany übersetzt hatte.

      Cayen war als Händler verkleidet. Der Mann war die Art von Händler, die Wasser verkauften und Stoffe und manchmal auch Materialien und ganz, ganz selten, wenn er mal fündig wurde, auch Waffen. Er war die Art, die nach außen hin wirkte, als würde sie gerade so am Hungertuch nagen, weil er die Ringe nicht - wie andere Händler - an seinen Fingern trug, sondern sie verstohlen aus einer Kiste holte und dann peinlichst genau abzählte, um auch ja nichts zu verlieren. Er war die Art, die ein Wegelagerer vorbeiziehen lassen würde, denn er hatte ja sowieso nichts Wertvolles bei sich und am Ende des Tages hätte man nur ein bisschen Wasser und ein bisschen Schrott errungen. Er war die Art, die auf einem Marktplatz unterging, weil sein Wagen nicht groß war und seine Ware nicht glänzte und funkelte und weil er mit seiner knochigen Statur nicht aussah, als hätte er genügend Ringe für Essen, ganz zu schweigen dafür, hochwertige Materialien zu verkaufen. Cayen war ganz der Händler, den man eines Blickes würdigte und dann nie wieder ansah.
      Der einzige Unterschied, der ihn wirklich hervorstechen ließ, waren die dutzenden Vögel, groß und klein, die seinen Wagen umschwärmten, als wäre er die Sonne und sie in der Dunkelheit gefangen.
      Dany winkte ihm über die Entfernung hinweg zu und Cayen kam nach draußen.
      Spoiler anzeigen


      (man möge die Eule durch Vogelschwärme ersetzen)
      Um ihn herum hüpften die Amseln und die Elstern, die Spechte und die Krähen, die Habichte und die Falken, allesamt größtenteils versammelt um augenscheinliches Vogelfutter, das auf dem Boden verstreut lag.
      Cayen beäugte die Gruppe, ließ seinen Blick auf die Eule unter ihnen fallen, grinste ein breites, aufblühendes Grinsen und sah schließlich Dany an.
      "Ahem-hem, hmm, ahh. Dany!" Und lächelte.
      Sie begrüßten sich wie zwei Freunde, die niemals beste Freunde würden, und dann hielt Cayen sie ein bisschen länger fest.
      "Dany du siehst... ahem hmm... uhm..."
      Sein Blick wanderte über ihre ganze Gestalt, während um sie herum Vögel aufflatterten oder sich auch niederließen. Sogar ein verstümmelter, kleiner, sehr hässlicher Greif saß auf dem Dach des Wagens und stierte mit einem einzelnen, entzündeten Auge hinab.
      "Was? Was seh' ich?"
      "Du siehst... hmm... mhm... hmm... nun... absolut, hmm, scheiße aus. Deine Haare, hmm... wann hast du denn das letzte Mal, hmm, deine Haare gewaschen? Und dein Gesicht, hmm, du bist so, hmm, krank. Im Gesicht. So bleich. Hmm. Ich habe, ahem, Leichen gesehen, die lebendiger aussahen als, hmm, du. Und was ist nur mit diesem, hmm, hässlichen Oberteil, hast du das etwa, hmm -"
      "Okay, das ist jetzt wirklich -"
      "- aus einer Ruine gestohlen? Darin siehst du aus wie so eine billige, hmm, Schankfrau mit eingewachsenen -"
      "Sei still oder ich kratz dir die Augen aus!"
      Cayen verstummte und lächelte dann. Sein Blick verließ Dany und setzte sich stattdessen auf ihren Begleitern fest. Eine zerrupfte Krähe landete auf seiner Schulter und legte den Kopf schief.
      "Und das sind, ahh, hmm, deine Begleiter?"
      Und Dany machte sich nicht die Mühe, sie vorzustellen.
    • Es hieß doch, wer suchet, der findet.
      So oder so ähnlich war das alte Sprichwort in die Neuzeit überbracht worden und jedes Mal verkniff sich Prysk einen harschen Kommentar, wenn er daran dachte. Rufus zu suchen glich zumeist einer Nadel im Heuhaufen, denn der junge Mann besaß das markante Talent, in der Masse zu verschwinden. Es kostete den Jäger gute zwei Stunden, bis er den Bücherwurm fort fand, wo sich dieser hatte einfinden wollen, sofern sein Geschäft erledigt war. Rufus genoß die Stille eines guten Flusses und brauchte den freien Himmel unter dem Firmament, um vernünftig atmen zu können. Umso schwerer war es, so etwas in Triuce zu finden, wenn die Stadt nur auf Dreck erbaut wurde.
      Trotzdem hatte er einen lauschigen Fleck inmitten der Stadt ausfindig gemacht. Eine schmale Brücke, die über einen kleinen Tümpel zog, erheiterte offenbar sein Gemüt und hielt ihn gefangen.
      Es brauchte eine gute Zeit, um ihm die Sachlage zu erläutern und dass diese verrückte Schankwirtin es mal wieder geschafft hatte, alle Tatsachen zu verdrehen und allem zufolge noch ihr Zuhause abgefackelt hatte. Eine Krux, wie man es auch drehte und wendete. Gemeinsam hatten sie sich auf den Rückweg gemacht und waren just eingetroffen, als Sylvia mit diesem merkwürdigen Aushang zurückgekehrt war.
      Mit großen Augen und gleichsam verdrießlichen Gesichtern (wenn ein Vogel überhaupt verdrießlich schauen kann), betrachteten sie Dany wie sie Maß nahm und versuchte, irgendwelche Buchstaben zu untersuchen. Auf Länge und Breite. Prysk wollte schon einen unerhörten Spruch loswerden, da knuffte ihn Rufus in die Seite und sah ihn zornig an.
      "Wag es dich", zischte er.
      "Ich meine ja nur...Wir hatten nie so komplizierte Geheimhaltungsdingens...Und wir haben überlebt?", murrte Prysk und gesellte sich zum Fenster, wo zumindest ein wenig Licht herein fiel.
      "Muss eine neue Mode sein", tschilpte Lysander und schüttelte den Kopf. "Ei der Daus...Da glaubt man, man kennt alle Verrückten und dann sieht man das hier..."
      Es sollte noch eine ganze Weile dauern, ehe Dany und Sylvia sie aus der Stadt herausbrachten. Gegen Bezahlung hatten sie Walter und die kümmerlichen Reste ihrer Habe bei einem der hiesigen Schankwirte (ein brummiger Mann namens Aryd) untergebracht und folgten den Damen auf verschlungenen Pfaden.

      Als sie die auswärtige Straße passierten, bemerkte Prysk eine Veränderung bei Rufus. Wie immer atmete der Lehrling freier und wirkte fröhlicher, wann immer sie in der freien Wildbahn waren. Kein Wunder, dass ihm Zelten so viel Spaß machte, aber letztlich hatten sie eine Aufgabe zu erfüllen. Grimmig folgten sie den Damen. Prysk voran, Rufus hinterher, immer in seinem Buch blätternd und Lysander hatte sich zu einem Nickerchen auf Prysks Schulter hinreißen lassen. Die Eule wurde erst wieder hellhörig, als sie bei einem Händler ankamen, der merkwürdiger nicht sein konnte. Zumindest wenn man Dany außen vor ließ, dachte Prysk und blickte den knochigen Mann an, der nach einem Winken aus seinem Wagen heraus geklettert kam. Ein ganzer Haufen Vögel begleitete sein Tun, sodass Rufus beachtlichen Abstand nahm und die Federviecher betrachtete als seien der Leibhaftige selbst.
      Prysk indes unterdrückte einen Aufschrei, als das Knochengestell zu sprechen begann und sah entgeistert in die grellen Augen und zu dem merkwürdig geformten Kopf! Er sah aus...Er sah aus...
      "Er sieht aus wie du!"; rief er und wies mit dem Daumen auf den Händler, während er entgeistert zu Lysander sah.
      Dieser öffnete mit einem Piepsen die AUgen und sah in erster Linie Vögel. Feinde. In seinem Gebiet. Mit einem rollenden Tschilpen sprang die Eule flatternd von der Schulter des Jägers und landete neben ihm, um sein winziges Schwert hervorzureissen und die Vogel anzupfeifen.
      "ROOAAAAH Was für ein Aufstand!", donnerte die Eule tschilpend wie ein Spatz. "Kämpft und seid Euch einig, wer zuerst sterben mag! Vernehmt den Schrei des sterbenden Flatterviehs!"
      "Du bist selbst eins!", murrte Prysk und klopfte der Eule auf den Kopf. "Und jetzt beruhig dich, alter Mann. Sie gehören zu ihm dort."
      "Wem?"
      "Na ihm!", sagte Prysk und wies auf Cayen, der sich noch mit Dany unterhielt.
      Prysk musste lachen, als er Dany der Hässlichkeit preisgab und empfand eine jähe Zufriedenheit, ehe er sich dem Händler zuwandte, nachdem Dany es nicht für nötig hielt, eine vernünftige Vorstellung zu machen.
      Die Eule legte derweil auf der Schulter des Jägers auf dieselbe Weise den Kopf schief und drohte der Krähe mit dem Dolch, indem es diesen symbolisch über seine Kehle zog.
      "Einen guten Tag Euch, Herr Cayen. Ich bin Prysk und das sind meine Gefährten Lysander und Rufus. Und wir haben uns der Gnade Eurer Freundin Dany angeschlossen, um zu erfragen, ob es möglich wäre und unter gemäßigten Umständen..."
      "Komm zum Puuuhuunkt!", knurrte Rufus und sah die Vögel weiterhin argwöhnisch an.
      "Wie ich gerade sagen wollte, bevor ich gleich meinen Lehrling ermorde, würde ich gerne die übrigen der Gruppe kennenlernen. Wir sind Reliktjäger und auf der Suche nach einer Rätselslösung bei welcher uns die Gruppe um Frau Dany bestimmt behilflich sein kann."

      The more that I reach out for heaven
      The more you drag me to hell
    • Man hätte wohl meinen können, der Vergleich mit einem Vogel hätte beleidigend auf einen Mann mittelhohen Alters wirken können, der seine offiziellen Ringe mit Wasser und seine inoffiziellen mit Briefen und Kundschaften verdiente, aber nicht Cayen. Cayen wurde als menschliche Eule bezeichnet und strahlte daraufhin wie ein Kind, das zum ersten Mal Süßigkeiten bekommen hatte.
      "Was für eine scharfe, hmm, scharfsinnige Bemerkung. Ich fürchte, hmm, ahem, ich habe zu viel Zeit unter, hmm, den Vögeln verbracht, nicht wahr?"
      Er grinste noch immer und Dany verdrehte die Augen. Der Federball ihrer eigenen Gruppe wurde dabei ähnlich aufgeregt, nur dass er sich wohl um die anderen, kleineren Federbälle scherte, die hier herumhüpften und mit den Flügeln schlugen. Er verpasste der Krähe auf Cayens Schulter eine Todeswarnung und diese antwortete damit, das sie den Kopf auf die andere Seite legte, sich aufplusterte und mit den Flügeln schlug, wobei sie Cayen mit einer Seite in rhythmischem Tempo ohrfeigte. Als er sie von seiner Schulter zu schieben versuchte, flatterte sie nur umso mehr und gab ein faules Krächzen von sich, als könne sie es nicht glauben, dass er sie von sich stieß, wo sie doch gerade versuchte, ihre Ehre zu verteidigen. Ihr höchst teuflischer, wilder Blick fiel dabei wieder auf Lysander, dessen Herausforderung sie wohl angenommen hatte.
      Cayen lächelte dabei noch immer unbeirrt, entledigte sich des Störenfrieds und streckte Prysk dann ganz förmlich die Hand hin.
      "Prysk. Hmm. Freut mich sehr, ahem-hm. Cayen reicht. Wenn Dany euch vertraut, vertraue ich euch auch, hmm mh-hm."
      Er begrüßte auch die anderen zwei, ganz besonders Lysander, der wohl gleich einen speziellen Platz in seinem Herzen gefunden zu haben schien, bevor er sie zu seinem Wagen winkte. Alle fünf setzten sich in Bewegung, aber er schob Dany ein Stück beiseite, um ihr zuzuflüstern.
      "Hmm, habe ich nicht geschrieben, dass du, hmm, alleine kommen sollst, Dany?"
      Ah, das hatte sie also überlesen.
      "- Und dass du niemanden darin einweihen sollst, dass ich, hmm, hier bin?"
      Ah. Oh.
      "- Und dass du niemandem, hmm, meine Informationen weitergeben darfst?"
      ... Oh.
      "Uhm... ja. Natürlich. Aber...", ihr Blick huschte zu den anderen, "Sie sind... ich vertraute ihnen. Ich vertraue Prysk. Er muss... er darf es wissen. Was ich erfahre, dürfen sie auch erfahren."
      Cayen musterte sie für einen Moment schweigend und weil es unüblich lange dauerte, bis er eines seiner brummenden Geräusche von sich gab, kam Dany zum ersten Mal in den Sinn, dass es vielleicht nicht unbedingt gutes war, was sie hier erfahren sollte.
      Unmittelbar musste sie an die Lehmtür denken.
      "Hmm. Also denn."
      Er ging wieder auf Abstand und als sie seinen Wagen erreichten, öffnete er ihnen die Tür. Hinter ihm flog eine Taube auf und eine Krähe - eine andere Krähe - krächzte protestierend, weil er ihr Futter zerstampfte. Cayen winkte sie unbeirrt hinein.
      "Nach euch."
      Sie nahmen zwischen Gerümpel, Schrott und Wasserbehältern Platz, wobei der Wagen gerade groß genug war, damit alle rein passten und es definitiv unbequem wurde, weil es keine richtigen Plätze gab. Aber Cayen schien darauf zu bestehen, dass sie von den maroden Wänden abgeschirmt wurden und auch Dany fühlte sich ein wenig leichter in diesem Raum, in dem nicht alle Seiten so offen waren wie draußen. Sie saß still und wartete darauf, dass Cayen mit der Sprache herausrückte.
      "Nun, also, hmm, Reliktjäger, ja?"
      Er saß selbst auf einem Behälter, der aussah wie eine Urne, und musterte die zwei Männer und das Federkleid zwischen ihnen. Irgendwie wurde Dany nervös.
      "Und auf der Suche nach einer Rätselslösung. Um welches, hmm, ahem, Rätsel handelt es sich denn?"
      Und er hörte aufmerksam und interessiert dem zu, was das gefiederte Bierfass ihm zu erzählen hatte, bevor sich seine Gesichtszüge in einer Art aufweichten, die implizierte, dass ihm gerade ein Licht aufgegangen war.
      "Ahh, hmm, deswegen habt ihr euch Dany angeschlossen, nicht wahr? Hmm, ich bin mir sicher, hmm, sie kann euch da gute Dienste erweisen."
      Und Dany starrte auf ihre Hände, puhlte etwas altes Merch aus den Fingernägeln, zerrieb es zwischen ihren Fingern und murmelte etwas.
      "Ahem - wie war das?"
      "Ichhabesihnennichtgesagt."
      "Wie?"
      "Ich hab' es ihnen nicht gesagt."
      Cayen blinzelte.
      "Du hast es ihnen nicht gesagt?"
      "Ich hab' es ihnen nicht gesagt, weil..."
      Ihr Blick schoss zu Prysk und wieder zurück zu Cayen.
      "Weil ich nichts höre. Merch verdrängt es."
      Und was auch immer hinter dieser vagen Aussage stecken mochte, die nur Cayen und Dany in diesem Raum verstanden, ließ den älteren Mann sprachlos werden. Er starrte Dany an und irgendwie sah sein Gesichtsausdruck nicht so aus, als wäre er jemals in seinem Leben sprachlos.
      Dany blickte zurück zu Prysk und weil sie sich schämte, nicht etwa für diese Tatsache, sondern für etwas ganz anderes, für das, was aus ihr geworden war, erklärte sie in einigen knappen Sätzen:
      "In unseren Reihen hat jeder sein Fachgebiet und meines ist Magie - aber nicht die Praktizierung, sondern das Aufspüren. Ich kann Magie hören. Es ist wie... ein Rauschen manchmal oder ein Surren oder ein Hämmern, es kann laut und leise sein, es kann melodisch sein, irgendwas. Aber der Dolch..."
      Ihr Blick huschte zurück zu Cayen, der immernoch starrte, weil er die Sache mit dem Merch noch verarbeiten musste.
      "... Der Dolch kann sprechen. Er rauscht nicht und summt nicht, er spricht, er kann Worte formen. Verständliche Worte. Und er hört nicht auf. Er hört niemals auf, Cayen. Nur, wenn ich genug Merch nehme, hört er auf. Dann höre ich gar nichts mehr, überhaupt nichts."
    • Cayens Behausung war ein Sammelsurium an Müll, Gerümpel und zumindest ein paar Kuriositäten. Dieser Händler war durchaus Jemand, den sie zumindest nicht unterschätzen durften. Wenn Prysk ehrlich war, fand er es merkwürdig, dass er ihnen derartig schnell vertraute und es zumindest zuließ, dass sie sein Allerheiligstes betraten.
      Mit klimpernden Haaren hatten sie gerade Lysanders Erzählung gelauscht, ehe sie wieder zu dem Händler sahen.
      "Ihr seht: Wir sind Reliktjäger auf der Suche nach magischen Spuren und deren Entfaltung. Ich würde lügen, wenn ich sagte, wir sind erfolgreich...", bemerkte der Jäger und grinste verstohlen.
      Auch wenn all dies mehr ein Euphemismus als alles andere war. Sie hatten Rufus gefunden und herausgefunden, dass Prysk eine Art Immunität besaß. Maß man dies an den Feststellungen, die sich durch Artefakte gewonnen hatten, ergab sich ein treffendes BIld ihrer Situation. Wenn nur diese Kopfschmerzen nicht wären, dachte der Jäger und fuhr sich durch die Haare. Sie wurden schlimmer, mit jedem Herzschlag.
      "Gute Dienste?", fragte Lysander und legte den Kopf schief, ehe sie alle der Unterhaltung zwischen dem Händler und Dany lauschten.
      Nach einer guten Weile des Schweigens wurden die Gesichter der Jäger länger und die Augen (ja, auch die der Eule) erschrocken größer. Konnte es wahr sein, dass Dany dies bisher versteckt hatte, ohne dass einer dieser Drei es bemerkt hätte?
      Schweigsam sahen sie zu Dany, die sich offenkundig unangenehm zu schämen begann und das erste Mal bemerkte man keine Gehässigkeit in dem Antlitz des Jägers. Viel eher...Mitleid? Wusste er wovon sie sprach?
      "Das ist...", begann Lysander und ließ sich plump auf den Schoß des Jägers fallen. "Es erklärt das viele Merch..."
      Rufus nickte und sah betroffen zu Dany herüber.
      "Macht Euch keine Sorgen, Frau Dany. Ihr seid in guter Gesellschaft", versuchte er sich an einer zarten Ermutigung, während Prysk sie noch eine Weile hemmungslos anstarrte.
      Schließlich, nach gefühlten Ewigkeiten, sah er zu Boden und seufzte, die Haare ein ewiges Crescendo an Geräuschen.
      "Der Dolch...Spricht also", bemerkte er mit rauer, dunkler Stimme. "Das bedeutet also, er ist nicht einfach nur ein schönes Mitbringsel aus einem guten Coup, er ist ein magisches Artefakt, das etwas mit dir macht. Vielleicht könnten wir uns ja darauf einigen, einander die Wahrheit zu sagen und damit anfangen: Was sagt der Dolch?"
      "Droht er dir?", fragte Lysander und sah interessiert zu Dany. "Und was sagt das Buch von Rufus zum Beispiel? Oder Prysk? Hörst du dort etwas?"
      Prysk schüttelte den Kopf und seufzte.
      "Meine Frage ist...Warum? Warum willst du es nicht hören?"

      The more that I reach out for heaven
      The more you drag me to hell
    • Die Situation, in der sie alle sechs in diesem Wagen gestopft saßen und Dany diese Fast-Fremden in eine Sache einweihten, die bisher noch niemand Außenstehender hatte erfahren dürfen, hätte nicht bizarrer sein können, wenn nicht zu allem Überfluss auch noch ein Ausdruck auf Prysks Gesicht auftauchte, der sie das Grauen lehrte. Mittlerweile hatte sie sich an den Funken sprühenden Blick seiner Augen gewöhnt und daran, wie sein Kiefer malmte, wenn Dany ihn zur Rechenschaft zog; etwas ganz neues war es allerdings, dass diese Augen auch eine Spur weicher dreinblicken konnten. Sie wünschte, sie hätte es nicht gesehen, und versuchte es zu verdrängen, während sie weiter an ihren Fingernägeln herumpuhlte. Sie schnaubte Rufus an, erwiderte aber nichts auf seine unschuldige Aussage. Gute Gesellschaft, von wegen. Dieser kranke, lahmende Gaul wäre vermutlich eine bessere Gesellschaft als sie.
      Nur in Lysander weckte es ganz anscheinend den Reliktjäger, und in Prysk, wenn man davon absehen wollte, dass er vermutlich ähnlich überfordert mit der Situation war wie Dany selbst. Sie starrte beide an, aber weil sie wusste, dass Cayen es auch hören sollte - dass er es sogar hören musste - antwortete sie auch.
      "Er sagt viel, wenn der Tag jung ist, aber hauptsächlich will er, dass ich ihn benutze. Er besitzt eine gewisse Macht, er wurde niemals geschaffen, um nur ein Dolch zu sein, und das versucht er mir einzubläuen. Er sagt dann sowas, dass alles mit seiner Hilfe viel schneller ginge, dass er mir das Leben erleichtern könne, dass ich ihn nur kurz benutzen könnte, und so weiter. Und wenn ich ihn dann hernehme..."
      Sie stutzte und starrte ins Nichts bei dem Versuch, sich an einen solchen Moment zu erinnern. Sie hatte ihn zuletzt in Cheynia benutzt, aber selbst die Erinnerung daran war schon wieder schwammig. Sie hatte keinerlei Zeugnis mehr davon, wie es gewesen war, als sie ihn vor dem ganzen Merch genutzt hatte.
      "... In Cheynia war es das letzte Mal und ich glaube, da war er still. Aber er soll ja auch still sein, deswegen nehme ich das Zeug überhaupt. Ich weiß nicht mehr, wie es davor war."
      Ihr Blick richtete sich wieder auf den Federball und sie schüttelte den Kopf, bevor sich schlagartig ihre Miene verfinsterte. Prysk? Was hatte denn Prysk mit der Sache zu tun?
      "Er droht mir nicht, er ist eher wie ein sehr lästiges Kind. Und ich bin definitiv zu high, um irgendwas zu hören - ich nehme seit etwa zwei Monaten genug, dass es nicht nur den Dolch, sondern meinen ganzen so tollen Gehörsinn betäubt. Wie auch immer das zusammenhängen mag."
      Ein kurzer Blick zu Cayen, dann zu Prysk, während sie die Augen zusammenkniff.
      "Wieso sollte ich bei dir etwas hören? Wegen dem Stein, den ihr dabei hattet? Der sah aus, als könnte er ein bisschen Brummen, aber mehr wird es vermutlich auch nicht sein."
      Sie verschränkte die Arme vor der Brust.
      "Ziemlich sicher wird er jedenfalls nicht sprechen. Kannst du dir etwa nicht vorstellen, wieso ich ihm das Maul stopfen will? Er spricht zu mir, zu jeder Tageszeit, egal in welcher Lebenslage, er labert mich voll und ich kann ihn nicht unterscheiden. Seine Stimme ist in meinem Kopf, aber für mich macht das keinen Unterschied - woher sollte ich wissen, dass du gerade redest, wenn du nicht deine Lippen bewegen würdest? Ich habe in der Schenke schon verdammte Selbstgespräche geführt, weil ich zu abgelenkt war, um ihn unterscheiden zu können. Er raubt mir den Verstand, Prysk."
    • Prysk, Lysander und Rufus lauschten eng aneinander gepfercht den Worten der jungen Frau und das erste Mal würden sie keinen dummen Kommentar abgeben. Nun, vielleicht auch nur einen. Dany berichtete etwas, das sie bereits wussten und erlebt hatten. zumindest Prysk und Rufus. Noch während die Schankdame berichtete, tauschten beide einen vielsagenden Blick und nickten. Sie sprach auf die Szene in Cheynia an, wo sie die Leute aus dem Rathaus hatte bringen können. Dieser merkwürdige Dolch hatte ihr Stärke gegeben und Macht. Eine bedrohliche Kombination, wie Prysk befand, während er sie ansah.
      Die langen Haare fielen ihm dabei ins Gesicht, sodass man nicht alles seines Gesichts erblickte, aber das eine Auge, was aus den Halbschatten herauslugte, brannte regelrecht vor Interesse.
      "Wir wissen, was du meinst", murmelte er rau und seufzte. "Also war es wie gedacht. Der Dolch gibt dir diese Stärke, nicht wahr?"
      Noch ehe er eine Antwort hören wollte, legte er den Kopf beinahe zwischen die Knie und auf seine gefalteten Hände. Es war ein Dilemma. Ein riesengroßes, mistiges Dilemma. Der Dolch war offenbar ein Artefakt, dass sie zumindest erforschen mussten, um es zu verstehen. Denn diese Frau war nicht mehr Hilfe als ein buckliger Fisch. Doch um das Artefakt nutzen zu können, brauchte es Jemanden mit einer Verbindung und sie schien die Einzige zu sein, wenn man von Prysk absah, der sich zumindest in Relikte einzufühlen mochte. Aber wie sollten sie daran kommen?
      Das Merch betäubte ihren Sinn, ihr Gehör, ihre Fähigkeit und den Jäger kotzte es an, dass Jemand seine Fähigkeiten so wegwarf.
      Eine ganze Weile, nachdem sie zu sprechen begonnen hatte, hatte Prysk fortgesehen und diese Wut nieder gekämpft, die sich Bahn brach. Gott, er hasste Menschen, die ihre Talente fortwarfen. Was war der Verstand gegen eine ganze Welt?
      "Wir verstehen deine missliche Lage, Frau Dany", sagte Rufus und sah sie mitleidig an. "Es muss furchtbar sein, derart gequält zu werden."
      "Und wir fragen nach Prysk, weil Rufus beispielsweise meinte, die Luft um Prysk wäre eine Andere. Meistens ist sie kälter. Da dachte ich...", begann Lysander und zuckte die federbewährten Achseln. "Aber vielleicht irre ich mich auch. Sei's drum. Es ist und bleibt eine missliche Lage, da stimme ich Rufus zu. Und es erklärt einiges. Wie viel Merch konsumierst du?"
      Das war doch alles egal!
      Prysks Kopf wurde röter und eine Ader trat an seine Stirn als er den Kopf hob und schaubte.
      "Das alles bringt uns nicht weiter"; knurrte er. "Kann es vielleicht sein, dass es zwei Schrauben gibt, an denen man drehen kann? Du sagst, es labert dich voll. In Ordnung, es redet viel. Aber anstatt dich zu betäuben könnte man versuchen, die Kontrolle zu erlernen und selektiv zuzulassen, dass es spricht. Dafür braucht es keine Drogen, nur Disziplin! Und deinen Verstand würde es dir auch nicht mehr rauben wenn du diejenige wirst, die ihn kontrolliert!"

      The more that I reach out for heaven
      The more you drag me to hell