Nemeton [Codren & Nico]

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    • Der Sammler ließ sich mit keiner Regung zu erkennen geben, was er davon halten mochte, dass der so wundersame Stein wieder den Weg zurück zu seinem Besitzer gefunden hatte. Er beobachtete Prysk unverwandt, aber eher nur, weil er immer jemanden unverwandt anzusehen schien, ob das jetzt beabsichtigt war oder nicht. Das Grinsen war von seinem Mund noch immer nicht gewichen, es spaltete sein Gesicht in eine hügelige untere Faltenlandschaft und eine straffe, glatte obere Fläche, aus der seine zwei Augen herausstachen, so wie ein Adler seine Beute anfixierte. Nicht einmal die Ablehnung weiterer Dienste schien auf einen Nerv zu treffen und so zog er seine leere Hand wortlos wieder zurück und ließ sich höchst erfreut und höchst euphorisch die Hand schütteln. Sein Arm schlackerte dabei mit, als wären die Muskeln nicht straff genug, um einer solchen Bewegung standzuhalten.
      "Es war mir eine außerordentliche Freude, meine Herrschaften. Ich wünsche Euer Leben ebenso schön und äh... fröhlich! Aber die Blumen blühen, meine Herren, die Blumen!"
      Er wedelte ihnen mit der Hand noch nach, während sie gingen, bevor er zurück in seinem Zelt verschwand.

      Als der Bürgermeister von den Neuigkeiten erfuhr, war er nur etwa halb so begeistert wie Eres. Vielleicht auch nur ein Viertel so viel - vielleicht auch gar nicht. Man könnte entsprechende Schlüsse durchaus ziehen, wenn man die Lautstärke bedachte, mit der er redete, oder die Art und Weise, wie er beim Gestikulieren den armen Tisch in Mitleidenschaft zog. Es gab schon einen Grund, weshalb sein Tisch aus einem alten Ganzkörperschild bestand und nicht aus Holz.
      "Du bist so ein ausgesprochener Dummkopf, Eres, das gibt es nicht! Was von 'ich will mehr davon' hast du gestern nicht verstanden?!"
      "Die Frage ist ziemlich obsolet, glaube ich. Weil, ich kenne ja alle Wörter und außerdem kannte ich den Zusammenhang -"
      "Und trotzdem lässt du sie ziehen?!"
      "Na klar. Sie sind doch keine Gefangenen?"
      "Nein aber - Eres!"
      "Ja?"
      "Du Dummkopf!"
      "Soll ich sie jetzt also... äh... gefangen nehmen?"
      "Nein!!"
      "Aber jetzt bin ich doch ein bisschen verwirrt."
      Der Bürgermeister seufzte gequält.
      "Ich will den Stein."
      "Ja. Okay."
      "Du wirst mir den Stein beschaffen."
      "Äh... okay."
      "Wir machen die Tore zu und dann kann keiner mehr raus. Und keiner rein. Wir schieben's auf Quarantäne, auf die Pest oder so."
      "... Okay."
      "Und weil sie dann noch hier sind - soweit kannst du mir folgen, ja? - beschaffst du den Stein."
      "Hm."
      "Verstanden?"
      "Schon, ja."
      "... Aber?"
      "Ich glaube nicht, dass sie ihn mir verkaufen werden."
      Der Bürgermeister blinzelte und für eine Weile herrschte Stille, dann knurrte er:
      "Eres, du Dummkopf."

      Dany war die erste, die davon erfuhr. Eigentlich geschah es ganz zufällig, weil Besuch in die Taverne kamen, der sonst nur abends da war, und sie dabei ein Gespräch überhörte, das ganz sicher nicht für ihre Ohren bestimmt gewesen war. Aber genau deswegen stand sie schließlich hier drinnen, deswegen putzte sie die Theke, schrubbte den Boden, schenkte den lieben langen Tag Met aus und stopfte sich ein bisschen Merch unter die Fingernägel, damit sie von Sachen mitbekam, die anderen verborgen geblieben wären.
      "... jetzt auch nachts. Da hab ich richtig keine Lust drauf."
      "Was hat er gesagt, auf die Pest sollen wir's schieben? Als ob uns das einer glauben wird."
      Die Wachmänner waren älter und stammten von außerhalb. Das allein war schon immer ein Grund für Dany gewesen, misstrauisch zu sein.
      "Das müssen sie. Aber mir soll's ganz recht sein, ich mag den eh nicht."
      "Welchen genau? Der junge mit dem Buch oder der alte mit dem Haarzeug?"
      "Eigentlich beide. Manche darf man einfach nicht reinlassen, ich versteh sowieso nicht, wieso wir hier jeden erlauben. Ich hab gehört, dass die drüben in Triuce nur reinlassen, wer auch etwas zu tun hat und nicht nur herumdümpelt. Das sollten sie hier auch machen."
      "Das machen die aber auch nur, weil's da sonst zu voll wird. Da wär' ich dann doch lieber hier als in Triuce."
      "So voll ist es aber eigentlich nicht. Man kann sich jetzt nicht unbedingt ein Haus kaufen, aber auf dem Marktplatz gibt's doch eigentlich immer genügend Fleisch und sowas..."
      Das Gespräch driftete wieder ab und Dany stellte den Kübel beiseite, den sie jetzt schon drei Mal ausgewischt hatte. Eigentlich war es ihr egal, was die beiden Fremden anstellten, selbst wenn sie einen solch merkwürdigen Stein dabei hatten, der allzu stark an Danys eigene Waffe erinnerte. Was ihr aber nicht egal war, war wenn sie in eine Sache hineingezogen würden, die sie selbst noch betreffen würde. Eine Abriegelung der Stadt wegen Pest würde schließlich Probleme mit sich führen, Unmut und vielleicht sogar ein Aufstand, und das letzte, was Dany in ihrem friedvollen Heimatörtchen gewollt hätte, war eine erneute Schlägerei der Einheimischen und des Bürgermeisters, die unweigerlich auch zu Dany führen würde. Dann hätte sie die Wahl: Einen Putsch unterstützen, ohne ihre Waffe dabei zum Einsatz zu bringen mit der Gefahr, dass sie verlieren würden, einen Putsch mit ihrer Waffe zu unterstützen mit der Gefahr, dass bekannt würde, dass Dany mit einem Relikt herumlief oder trotzdem in die Sache hineingezogen zu werden, auch wenn sie sich eigentlich heraushalten wollte. Alles in allem hatte sie keinerlei Lust darauf, dass die Lage hier derart eskalieren würde und nahm sich dringendst vor, die beiden Reisenden zu fragen, was sie denn angestellt hätten.
    • Rufus hielt das Ganze nicht mehr aus.
      Als sie die zweifelhafte Behausung des Händlers verlassen hatten, waren sie praktisch nur schweigend nebeneinander her gelaufen während Prysk alle Eventualitäten der Unterhaltung zu analysieren suchte. Dieser Eres führte eindeutig etwas im Schilde, dafür brauchte es keinen Kundigen, aber was nur?
      Es erschien geboten, alsbald die Kurve zu kratzen, wie sein Vater sagen würde und doch plagte ihn ein Gedanke: Was, wenn es wirklich ein Erwachen war, dass sie hergeführt hatte? Was, wenn das alles hier Schicksal war?
      Rufus indes seufzte und stubste seinen Gefährten an, während sie Danys Schänke betraten. Taverne, pardon.
      Noch während sie einen Tisch suchten, sprach sein Lehrling Prysk von der Seite her an und der Ton klang deutlich vorwurfsvoll. Dieser Schinderhannes!
      "VIelleicht könntest du mir mal erklären, was hier eigentlich los ist?", fragte Rufus und platzierte sich und sein Buch prominent an einem Tisch in der Mitte der Taverne. "Seitdem wir Dany trafen und du mit dem Händler gesprochen hast, bist du komisch!"
      "Ich bin nicht komisch, halt den Mund!"; grunzte Prysk und sah sich im Raum um. Merkwürdige Gestalten tummelten sich hier zuhauf, da war es auch kein Wunder, dass er sie hier antraf. Aber irgendwie machte es ihm ein komisches Gefühl, neben tuschelnden Menschen zu sitzen. Er sehnte sich nach der Wärme eines Feuers oder wahlweise den warmen Schenkeln einer Frau, aber das stand nun noch nicht zur Debatte.
      "Du bist komisch!", beharrte Rufus und legte seine Hände gefaltet auf sein Buch. "Irgendetwas macht dir zu schaffen."
      "Wenn du mal einen verteufelten Moment lang deine Klappe halten könntest, könnte ich meine Gedanken ordnen und denken!"
      "Man denkt zuerst..."
      Hastig zog Rufus den Kopf ein als sein Meister ausholte und doch wieder abließ. In Prysks Gesicht spiegelte sich Sorge und gleichsam ein gefühlt jahrhundertealtes Zehren, das er nicht einzuordnen wusste. Seine Augen fuhren wild hin und her und seufzend beugte er sich leicht vor.
      "Also...", begann er geheimnisvoll. "Ich habe das Gefühl, es hat ein weiteres Erwachen gegeben."
      Rufus' Gesicht blieb ausdruckslos entspannt, jedoch begannen seine Augen in nie gesehenem Feuer zu blitzen.
      "Ein...Erwachen...", wiederholte er sorgsam und neigte den Kopf fragend vor. "Wer?"
      Prysk wies mit dem Daumen hinüber zu der Schankmaid, die noch immer eifrig mit Reinigungsarbeiten zugange war.
      "Nein!", polterte Rufus udn fing sich beinahe eine zweite Gabe seines Herrn. "Bist du sicher?"
      "Natürlich nicht, du Idiot!"; knurrte er. "Aber es ergibt Sinn. Sie wird nicht so leicht von dem Fluch ergriffen, besitzt eine Waffe, die leuchtet und hat diesen gleichen Geruch an sich wie.."

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    • Als hätte man vom Teufel persönlich gesprochen, ging die Lehmtür auf und er marschierte in Form von zwei Reisenden herein. Damit hatte sich ihr Vorhaben von selbst erledigt.
      Dany blieb noch hinter dem Tresen, bis die beiden sich gesetzt hatten, allein schon um zu beobachten, ob ihre Ankunft auch von anderen Gästen bemerkt oder gar kommentiert werden würde. Aber es war recht viel los und so wurde ihnen nur ein Blick gewidmet, wenn überhaupt.
      In aller Ruhe warf sie sich das Geschirrtuch über die Schulter und marschierte hinter dem Tresen hervor, um sich der Kundschaft zu widmen und damit auch ihrer eigenen, weiteren Sicherheit in Cheynia. Dabei war sie schon fast davon überzeugt, dass es dem Merch allein zu verdanken war, dass sie den beiden nicht schon an die Gurgel gesprungen war und nach Antworten verlangt hatte.
      Prysk der Einfältige hatte sich gerade weit über den Tisch gebeugt und schien irgendwas von höchster Wichtigkeit zu sagen, denn Rufus der Bücherwurm wirkte entsprechend aufgewühlt. Dany hörte gerade noch die Erwähnung einer Waffe, dann war sie schon zu nahe, um noch etwas lauschen zu können.
      "Ihr zwei", sie hob die Hand und deutete auf beide abwechselnd. "werdet noch mein Untergang sein. Das hat mir die Tür gestern prophezeit und heute weiß ich es endlich. Bier? Macht zwei Ringe. Freundschaftspreis."
      Diesmal interessierte sie sich nur für einen Bruchteil für die Bezahlung. Stattdessen lehnte sie sich auf den Tisch und beugte sich vor, als wolle sie an der Verschwörung teilnehmen, die gerade an diesem Tisch in vollen Zügen durchgeführt zu werden schien.
      "Ich weiß ja nicht, was ihr angestellt habt, aber irgendwas wird es wohl gewesen sein, weil man hier von Abriegelung schwatzt und das kann ich gar nicht gebrauchen, wie ihr euch vielleicht vorstellen könnt."
      Sie kniff die Augen zusammen und starrte beide Männer abwechselnd nieder. Das hier war nicht nur Danys Taverne, das war ihre ganze gottverfluchte Stadt, wenn sie es so wollte, und keine Reisenden, die noch nicht einmal etwas mit ihrem Dolch zu tun hatten, würden ihr hier reingrätschen. Das würde sie ihnen hiermit irgendwie klar machen. Immerhin war sie nicht umsonst hierher zurückgekommen, sondern weil sie hier sicher war. Hatte sie zumindest gedacht.
      "Ich lege euch also wärmstens ans Herzen, was auch immer ihr angestellt habt wieder rückgängig zu machen, sonst werde ich euch in die Kunst der Dolchführung ein...führen. Wenn ihr versteht."
      Sie runzelte die Stirn.
      "Habt ihr das verstanden? Ich will nämlich keinen Ärger hier. Eure Kriege könnt ihr woanders führen."
    • Gerade als Prysk den einen verhängnisvollen Namen aussprechen wollte, der sie alle an diesen Ort gebracht hatte, funkte ihm die Schankmaid in alter Liebenswürdigkeit dazwischen. Diese Frau hatte durchaus die Angewohnheit, die lauschigsten Situationen zu stören...
      Genervt verzog Prysk das Gesicht und wollte gerade Luft holen, als sie plötzlich von Abriegelung sprach.
      Das war schlecht. Ganz Schlecht!
      Mit einem Mal wechselte die Farbe des Jägers von gräulich verkatert zu leichenblass und er wandte sich zu Rufus, der sich unauffällig in dem Raum umzusehen begann.
      "Was sagst du da?", zischte Prysk und beugte sich zu Dany. "Wenn du mich belügst, dann..."
      "Sie lügt nicht. Ich sehe es", bemerkte Rufus beiläufig und seufzte.
      Prysk derweil wäre nicht Prysk wenn er nicht versuchen würde, einen kurzen Blick in das Dekolletee der jungen Frau zu werfen, nur um sich anschließend ertappt zurück zu ziehen, als Rufus ihn unter dem Tisch trat. Eine Abriegelung käme ihnen ganz und gar nicht zu Gute. SIe mussten fort von hier. Mit der Erwachten. Sonst war die Hölle binnen drei Tagen in diesem Kaff los.
      "Gut, dann lügt sie nicht"; murmelte der Jäger und rieb sich das Schienbein. Dieser Schmerz für zwei flache Brüste. Also wirklich! Aber in der Not fraß der Teufel Fliegen. "Und du wirst lachen: Es ist nicht nur für dich unvorteilhaft. Ich gebe dir sogar fünf Ringe, wenn du uns hier heraus bringst, sobald es möglich ist. Am besten noch vor heute Nacht! Ich kann es mir nicht leisten, hier festzusitzen."
      "Hast du die Meute geholt?"
      "Ein Bote ist unterwegs. Sie werden in ein paar Tagen hier sein, aber dennoch bleibt es fraglich, ob Lysander friedlich bleibt. Und du!", sagte Prysk und sah zu Dany. "Wenn ich wüsste, was ich getan habe, würde ich es gerne bereinigen, aber außer diesem komsichen Kauz von Händler, der ständig von Blumen faselt, habe ich nichts kontaktiert!"
      Gut, da war die Hure, aber diese würde schweigen.
      "Ich weiß nicht, in welcher Traumwelt du lebst, Dany mit der Lehmtür", begann Prysk und sah ihr eindringlich und ehrlich in die Augen. Kein Schalk oder Einfalt war ersichtlich, als er ihr vermutlich das erste Mal ohne bissigen Kommentar ins Gesicht sah. "Aber von Krieg hast du nicht die Spur einer Ahnung. Was euch alle hier erwartet, wenn wir hier nicht herauskommen, ist weitaus grässlicher als Krieg."
      "Prysk."
      "Was?!"
      "Wir sollten...Also ich meine...", begann Rufus und machte nervöse Augenzuckungen in Richtung von Dany.
      "Was zum Geier...Hast du einen Anfall?"
      "Sie befragen, du Ochse! Ich meine...Du weißt schon!"
      "Befragen? Wer würde sie denn befra- OH!"; rief Prysk und haute auf den Tisch, dass er erzitterte. "Natürlich! Befragen!"
      Grisnend wandte er sich zu Dany.
      "Wir müssten da mal mit dir reden, Schankfrau. Aber nach Dienstschluss. Allein."

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    • Dany hätte wohl mit vielem gerechnet, einschließlich Protesten oder vielleicht Schmeichelversuchen, aber dass Prysk der Einfältige gleich eine Spur bleicher im Gesicht wurde, kam gänzlich überraschend. Der andere sah sich nur ein wenig um, ein paranoides Verhalten, das sie ihm sogar recht zugetraut hatte.
      Das war nun doch etwas interessanter. Bisher war sie leichtfertig davon ausgegangen, dass die beiden Reisenden nichts anderes als das waren - irgendwelche Reisende mit irgendeinem Auftrag, oder vielleicht auch nicht, der sie zufällig - oder vielleicht auch nicht? - nach Cheynia gebracht hatte. Aber da steckte nun deutlich mehr dahinter und Dany hätte lügen müssen, wenn sie behauptet hätte, dass sie nicht interessiert hätte, was genau. Immerhin begegnete man nicht oft Leuten, die ein eigenes Relikt mit sich führten, ohne es auf Danys abgesehen zu haben.
      Also betrachtete sie die beiden Männer und versuchte aus ihren Reaktionen ihre Schlüsse zu ziehen. Vielleicht wurden sie auch verfolgt, das war die nächstbeste Idee, die ihr in den Sinn kam. Vielleicht wurden sie verfolgt und mussten daher in Bewegung bleiben, was ziemlich gegensätzlich zu einer verriegelten Stadt stünde. Aber von wem verfolgt und weshalb?
      Sie lehnte sich vom einen Fuß auf den anderen und richtete ihren Blick schlussendlich auf Prysk, aus dem wohl mehr herauszuholen wäre als aus Rufus. Letzterer hatte sich noch am Vortag fast von ihren weiblichen Kurven reinlegen lassen, aber Prysk erwähnte jetzt bereitwillig Details, die ihr wichtig genug schienen, um sie im Hinterkopf zu behalten. Eine Meute also... interessant. Den Namen Lysander hatte sie auch schon aus dem Mund der beiden gehört.
      "Fünf Ringe pro Kopf", erwiderte sie ohne zu zögern. Nur weil die drei zu einem Einverständnis kommen würden, hieß das noch lange nicht, dass sie nicht auch ihren Gewinn daraus schlagen konnte. "Zehn Ringe und ich bringe euch ungesehen raus. Und ich will auch gar nicht wissen, was ihr hier getan habt - vielleicht habt ihr ja Eres beleidigt? Das passiert schonmal. Ich will hier nur keinen Aufruhr."
      Etwas in Prysks Blick veränderte sich und Dany glaubte für einen Augenblick, so etwas wie einen richtigen Mann zu erkennen, der nicht von zu wenig Schlaf halb auf dem Tisch hing und auf Brüste glotzte, wann auch immer er die Gelegenheit dazu bekam. Letzteres war ihr recht egal, wenn es bei dem einfältigen Gehabe blieb, das der andere zur Schau stellte, nicht aber, wenn er sich noch zu einer ernsten Gefahr entpuppen würde. Und dieser Blick war alles andere als einfältig oder verschlafen.
      Ihre eigene Miene verhärtete sich, dann beugte sie sich noch weiter zu den beiden hinab, bis sie sich mit den Ellbogen auf dem Tisch abstützte. Mit einem Finger bedeutete sie ihnen, sich noch näher zu ihr vorzubeugen.
      "Ich weiß nicht, ob ihr richtig verstanden habt, was ich euch sagen will."
      Sie schenkte jedem von ihnen einen einzigen, stechenden Blick.
      "Ich dulde keinen Ärger hier. Das hier ist meine Stadt und solange ich hier sitze und das Met verteile, wird sich daran auch nichts ändern. Ihr könnt tun und lassen, was ihr wollt, ihr könnt eure", ihr Blick ging zu Prysk, "Kriege führen und euch abschlachten wie die Schweine, aber das werdet ihr nicht hier tun, nicht in Cheynia. Was glaubt ihr, wird wohl passieren, wenn ihr euch mit der einzigen Frau in der Stadt anlegt, die den Schlüssel zum Bierkeller hat? Hm? Was denkt ihr, werden all diese hart arbeitenden, schuftenden Männer hier", sie machte eine vage Geste, mit dem sie den gut gefüllten Schankraum einbezog, "davon halten, wenn sie kein Met mehr bekommen? Ich denke, sollte dieser Fall eintreten, dann wird eine abgeriegelte Stadt euer geringstes Problem sein, das kann ich euch versichern. Also..."
      Sie richtete sich vollständig auf, nahm mit vor der Brust verschränkten Armen eine abweisende Haltung ein und bedachte die beiden Herren mit einem abschätzenden Blick. Als sie weitersprach, war ihre Stimme lauter und gut verständlich im ganzen Raum.
      "Werdet ihr bezahlen, oder muss ich euch zeigen, wo die Tür zu finden ist?"
      Neugierig drehten sich bei dieser Verkündung bereits drei Tische nach ihnen um, wobei an allen dieser Tische mindestens ein Mann saß, der so aussah, als würde er sich freiwillig in die nächstbeste Schlägerei werfen wollen. Auch die beiden Wachmänner, die vorhin noch über die Abriegelung gesprochen hatten, entdeckten jetzt die beiden Reisenden, deuteten zu ihnen hinüber und standen dann halb auf. Von den übrigen Tischen gab es nur vereinzelte Regungen, aber die Atmosphäre im Raum änderte sich trotzdem so schlagartig, dass es schon beinahe spürbar war. Dany müsste nur ein Zeichen geben und sie hätte die Macht über sämtliche Tavernenbesucher, die sich ihrem Willen anstandslos anschließen würden. Und keiner von ihnen würde zwei Mal darüber nachdenken, ob Rufus und Prysk es nun wirklich verdient hätten oder nicht.
    • Prysk begann bei ihrer Preisvorstellung bereits verhalten zu kichern. Als sie plötrzlich den Ton wechselte und sie tatsächlich mit einem Chuzpe bedrohte, musste er beinahe anerkennen, dass diese Frau durchaus mehr Eier besaß als der harte Kern ihrer Belegschaft hier. Prysk brauchte nicht lange, um einzuschätzen, dass er einen Kampf mit dieser versoffenen Meute sicherlich überstehen würde. Jedoch nicht, ohne etwas zu offenbaren, was er nicht offenbaren wollte.
      Und doch...
      Kampfeslustig beugte er sich ebenso vor und sah der Bardame direkt ins Gesicht. Vorbei die Zeiten des einfältigen Idioten. Stattdessen gab er sich regelrecht Mühe sie als Beute anzusehen, die er zu reißen gedachte.
      "Ich weiß nicht, ob DU verstehst, was wir dir sagen wollen, Liebes", begann er zischend. "Mir ist völlig gleich, wessen Herrin du bist und ob diese Stadt dir oder einem dahergelaufenen Landstreicher gehört. Mir ist auch gleich, was ihr hier eigentlich handelt und weshalb diese verteufelte Lehmtür ein so gewaltiges Problem ist. Es gibt jedoch einen Fakt, den du übersiehst, Dany mit der Lehmtür: Wenn du eine Wahl hättest, ob ein Krieg oder was auch immer du vermutest herkommen würde, würdest du mich nicht so schamlos bedrohen. Ich rieche Angst in diesem Raum und sie kommt nicht zwingend von dem Einfältigen, der dort hinten beim Kartenspiel bescheißt..."
      Schweigsam lehnte er sich zurück und fing sich einen mahnenden Blick von Rufus, den er abtat.
      "Droh so viel du willst, Dany", murmelte er. "Und schick deine versoffene Bande, soll mir gleich sein. Ich schere mich nicht um Menschen, die ihr Schicksal nicht akzeptieren und wenn du immer noch nicht verstanden hast, dass du zu etwas anderem berufen bist, als in einer schlechten Taverne warmen Met auszuschenken, dann schau doch einfach Mal auf Du-Weißt-Schon-Was und lass dich inspirieren..."
      Seufzend erhob sich Prysk und sah Dany mit einem Hauch von Enttäuschung an. Rufus tat es ihm gleich und klammerte sein Buch unter den Arm.
      "Alsdann. Es war mir ein außergewöhnliches Unvergnügen, deine Bekanntschaft gemacht zu haben", verkündete der Jäger. "Halt deine Häscher beisammen. Wenn ich 10 Ringe hätte, würde ich nicht um 5 verhandeln. Also tut mir Leid, ich kann deine Preisvorstellungen leider nicht tragen. Rufus: Wir gehen!"
      "J-ja, Meister...", murmelte er und sah Prysk hinterher, der sich bereits zum Gehen wandte. Ein letzter Blick huschte zu Dany, den man als beinahe entschuldigend deuten konnte. "Achtet auf Euch!"

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    • Wenn Dany schon der letzte Blick nicht sehr gefallen hatte, den der einfältige Prysk auf sie warf, dann ging der jetzige ihr fast direkt unter die Haut. Es lag etwas berechnendes in seinen Augen, das ihr ganz und gar nicht zusagte, eine Kalkulation, bei der sie selbst das Ergebnis darstellen würde. Und in dem Augenblick, in dem er weitersprach, war sie sich sicher, dass er keine Probleme damit hatte, die Variablen seiner Berechnung ausfindig zu machen.
      Sie versteifte sich und dann erlaubte er es sich sogar noch, sich einzubilden, etwas über ihr Leben zu wissen. Woher sollte er das Recht nehmen, ihren Lebensunterhalt zu kritisieren? Woher nahm er überhaupt das Recht, so mit ihr zu reden?
      Abfällig schnaubte sie, aber dann standen die beiden Männer sowieso schon von selbst auf. Das war wohl auch besser so, denn obwohl Dany alle Möglichkeiten gehabt hätte, sie aus der Taverne zu schmeißen, war ihr so wenig Konfrontation wie nur möglich immer noch am liebsten. Also spuckte sie ihm ein fahriges "Die Freude war ganz meinerseits" hinterher und beobachtete, wie die beiden den Schankraum verließen. Sofort klärte sich die Atmosphäre etwas und die meisten Tische wandten sich wieder von dem Geschehen ab - bis auf die beiden Wachmänner von vorhin, die zu Dany getreten waren.
      "Hausverbot?"
      "Nein, schon gut. Ich seh sie doch eh nie wieder."
      Sie wollte sich gerade zu ihrem Tresen zurückwenden, als ihr dann doch noch eine bessere Idee kam und sie sich stattdessen zu den beiden Männern drehte. Sie standen in angemessenem Abstand zu ihr, ihre Blicke stets oberhalb ihres Dekolletés. Niemand in ganz Cheynia hätte es gewagt, Dany die Wirtin falsch anzusehen. Und niemand sollte es wagen.
      "Aber an eurer Stelle würde ich zusehen, dass ihr die Tore bald zumacht. Wenn ihr mich fragt, haben die beiden ganz schön gestunken - nach etwas, das wir lieber nicht hier drinnen haben wollen."
      Die Männer schienen zu verstehen und nickten nur, dann gingen sie nach draußen und Dany zurück an den Tresen. Sollten die zwei Reisenden doch mal sehen, wie sie zurechtkamen, wenn sie sich mit Dany anlegten. Der Bürgermeister mochte die offizielle Macht haben, er mochte auch ein Arsch sein, aber Dany war noch immer Dany. Und mit Dany legte man sich nicht an.

      Die Tore wurden bereits eine Stunde später zugeschoben und verriegelt. Ein Erlass wurde ausgehangen, nachdem ein Marktverbot verhängt wurde und außerdem ein Ausgehverbot. Alle Leute hätten sich in ihren Wohnung zu befinden und alle ohne Wohnungen - das umfasste ganz besonders Reisende - mussten im Rathaus eintreffen, man würde ihnen dann wohl eine Unterkunft besorgen. Keine Ausnahmen. Von Pest war die Rede und auch davon, die Stadt rein zu halten. Dany hätte über beides lachen können.
      Sie musste die Taverne schließen, behielt sich aber vor, die Hintertür offen zu lassen für sämtliche Leute, die sie für ihre Geschäfte aufsuchen mussten. Immerhin war das genau der Grund, weshalb das Gebäude eine Tür benötigte und weshalb selbst in schlechten Zeiten eine Tür den Schankraum verdeckte - man konnte hier weiter ungestört seinen Geschäften nachgehen. Und wer wäre schon Dany, das irgendwie zu vereiteln?
      Nachdem sie jetzt aber nichts mehr zu tun hatte, putzte sie den Schankraum, füllte Fässer um und führte Buch über ihre Finanzen, während sie nach und nach wieder daran denken musste, was der einfältige Prysk zu ihr gesagt hatte. Woher sollte er denn wissen, wozu sie "berufen" wäre? Dany war eine Geschäftsfrau und war es schon immer gewesen. Sie handelte zwar nur bedingt mit Ringen und viel eher mit abstrakteren Gütern, aber das hieß ja noch lange nicht, dass sie nicht zwischendurch auch "normale" Geschäfte tätigen konnte. Und immerhin hatte sie nicht gelogen, als sie indirekt behauptet hatte, die wichtigste Persönlichkeit der Stadt zu sein. Natürlich hätte sie als Bürgermeisterin noch mehr Einfluss gehabt, aber offene Posten waren noch nie ihr Ding gewesen. Die eigentlichen Begebenheiten, die wichtigen Geschehnisse, wurden immer aus dem Hintergrund gelenkt.
      Trotzdem musste sie darüber nachdenken und schließlich kam sie zu dem Entschluss, am Abend aus reinem Interesse noch einmal nach den Reisenden zu fragen, bevor sie ins Bett gehen würde. Nur, um herauszufinden, ob sie noch in der Stadt wären und sich nicht vielleicht doch freikaufen lassen wollten.

      Unterdessen strömten bereits die Wachmänner des Bürgermeisters durch die Stadt, ließen den Markt abbauen und scheuchten Menschen entweder nachhause oder zum Rathaus. Sie hatten keine Gnade und sie machten auch keine Ausnahmen in ihrem unbeirrten Weg durch Cheynia. Und ganz anscheinend würden sie Widerstand mit drastischeren Methoden unterbinden.
    • "Affendreck und Pferdescheiße", schimpfte Prysk, während er sich hinter einer Ballustrade fortduckte und Rufus mit sich zog.
      Nicht nur, dass die Wachmänner des Bürgermeisters die Stadt abgeriegelt hatten und Gerüchte nach Pest und anderen Vorsichtsmaßnahmen verlautbaren ließen, sondern auch dass man die Menschen wie Schlachtvieh von den Straßen scheuchte. Das machte seinen Plan vollends zunichte und auch wenn Prysk es ungern zugab: Er war erledigt.
      "Du hättest sie nicht beleidigen sollen", flüsterte er seinem Meister zu, der grantig wie zehn Tage Reisewetter auf die Straße linste, wo zwei Wachleute sorgsam patroullierten.
      Wirklich gefährlich sahen sie nicht aus, aber Prysk wollte sein Glück auch nicht überstrapazieren, wenn man es so wollte. Grunzend kommentierte der Jäger die Kommentare seines Schülers und seufzte, als die Wachleute vorüber waren.
      "Weißt du...Ich schätze jedwede Meinung deinerseits und ich hoffe, dass du mir auch weiterhin deine Weisheit zuteil werden lässt, Rufus. Aber derzeit ist sie ungefähr so nutzbringend wie ein Hühnerkropf."
      Rufus kicherte verhalten.
      "Die Schankfrau ging dir unter die Haut, oder nicht?", murmelte er und erhob sich in gleichem Maße wie sein Meister, der noch abfälliger drein blickte, während sie durch die Straßen schlichen.
      Gott, diese Stadt war durchaus in einem schlechten Zustand. Und er hatte verwüstete Dörfer gesehen, die besser aussahen. Das Klimpern seines Haarschmucks begleitete die beiden, wärhend sie versuchten, ungesehen durch die Stadt zu kommen. Jedoch standen sie auch weiterhin vor dem Problem, dass sie nicht hinaus und niemand hinein kam. Und Lysander würde nicht warten, wenn er wusste, dass es ein Erwachen gab. Prysk mochte sich nicht ausmalen, was dieser ´Verrückte mit der Stadt anstellen würde, wenn er nicht hinein kam. Und doch konnte man die braven (haha!) Bürger dieser Stadt nicht einfach diesem Schicksal überlassen.
      Zumal es mehr Spuren hinterlassen würde als ein Schlammbad mit einem Oliphanten.
      Just als sie um eine Ecke bogen, riss Prysk seinen Lehrling wieder zurück in die Deckung. Der Geruch der Straße hatte sich verändert. Da war Jemand, der sie noch nicht-
      "Heda!", rief eine Stimme aus der Finsternis.
      Gut, vielleicht hatte er sie doch gesehen.
      "Ein Problem", murmelte Rufus und griff nach seinem Buch, nur um sich der Hand seines Meisters gewahr zu werden, die sorgsam auf halber Höhe schwebte und ihm verdeutlichte, das Buch versteckt zu halten.
      "Ganz ruhig", flüsterte Prysk und räusperte sich kurz, ehe er in das Licht der Fackel trat, welche die Wachleute bereits entzündet hatten.
      "Einen guten A-"
      "Halt die Schnauze und beweg dich, du Dreckspatz!", rief ein bulliger Mann mit Fackel in der Kluft der Wachleute. Seinem Gesicht nach zu urteilen, war er nicht für Geduld gebaut und würde sicherlich Probleme machen wenn Prysk...
      "Hast du mich nicht verstanden?", bohrte der Mann nach und kam zwei Schritte auf ihn zu. In der Hand hielt er eine Art Keule oder Knüppel. Also nicht tödlich, aber schmerzhaft, wenn sie auftraf.
      "Ich habe Euch verstanden, Herr", sagte Prysk und näherte sich ihm. "Ich habe mich verirrt und ich weiß nicht-"
      "Zum Rathaus, aber dalli!"
      "Ist ja schon gut, wenn Ihr vielleicht ein klein wenig näher-"
      Er nutzte die Gunst der Überraschung, als der Bulle noch etwas näher kam. Mit einer schnellen Bewegung riss seine Rechte nach vorne und ergriff die Waffenhand des Wachmannes am Handgelenk. In einer schnellen, aber kraftvollen Bewegung drehte er das Gelenk einmal um die eigene Achse und wurde mit einem heulenden Laut belohnt, ehe er den Knüppel mit der Linken auffangen konnte.
      "Du-mieses-...."
      "Ja, ja. Stell dich hinten an", grunzte Prysk und schlug mit der Keule zu. Der Kopf des Mannes schnappte nach hinten und der massige Körper fiel schwer auf die Seite während der Jäger triumphierend die Waffe fallen ließ.
      "Na das war einfa-"
      Immer dieser Schüler...
      Just in dem Moment als Prysk sich herumdrehte , sah er sich dem Antlitz seines Schülers gegenüber, der ein wenig gehetzt dreinblickte. Gut, wie sollte man auch aussehen, wenn zwei Armbrüste auf einen gerichtet waren und drei weitere Wachleute mit schweren Knüppeln daneben standen. Und sie sahen ungeduldig aus..
      "Ei verflucht", murmelte Prysk und hob die Arme seufzend.
      Regel 3 zum Überleben: Lass niemals deine Waffe fallen, wenn du keine zweite hast.
      "Mitkommen. Und keine Faxen, ihr Armleuchter."

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    • Viel Besuch war sowieso nicht. Yaris kam vorbei, um ihren Schrott loszuwerden und Raemis kam vorbei, weil sich seine Dienstzeiten jetzt schließlich geändert hatten und er sein Zeug loswerden musste, bevor er den Dienst antrat. Dany besorgte sich selbst mehr Merch von ihm und dann schloss er auch noch einen anderen Deal, bei dem beide Beteiligte auch Ringe für Met daließen. Später kam auch noch Klim vorbei und Dany nutzte die Gelegenheit, um nach Neuigkeiten über die Reisenden zu fragen.
      "Nö. Die Männer sind aber auch gerade dabei die Straße zu räumen. Interessieren sie dich etwa immernoch?"
      Als ob Dany sich jemals für jemanden interessiert hätte, pft!
      "Ich will sie nur im Auge behalten. Sei so gut und sag es mir, wenn du was hörst. Auch was die Sperre betrifft."
      "Klar. Ganz schöne Scheiße, oder?"
      "Länger als zwei Tage können sie eh nicht geschlossen halten, sonst machen wir die Tore eben selbst wieder auf."
      Klim grinste.
      "Sicher, Dany."

      Die beiden Reisenden wurden ins Rathaus "eskortiert", in dem sich bereits eine kleine Gruppe von anderen Reisenden zusammengefunden hatte. Sie wurden von den Wachmännern strickt voneinander ferngehalten und dann Notunterkünften zugewiesen. Die Tatsache, dass solche Unterkünfte bereits existierten, wäre sicherlich ein Pluspunkt für die Infrastruktur der Stadt gewesen, wenn der Bürgermeister kein Arsch gewesen wäre und die Unterkünfte ausschließlich für solche Zwecke zu verwenden gewesen wären.
      Die beiden Fremden wurden zu einem Tresen gebracht, hinter dem eine Frau saß, die so aussah, als hätte sie diesen Platz in den letzten hundert Jahren nicht verlassen. Sie hatte ein paar Unterlagen ausgebreitet, kostbare, wertvolle Bücher, die in der heutigen Zeit fast ein bisschen rar wurden, und machte sich dort drin Notizen. Bei der Ankunft der kleinen Gruppe richtete sie einen starren und ausdruckslosen Blick auf die beiden.
      Ihre Augen wanderten von Rufus' Gesicht zu seinem Buch, weiter zu Prysks Haarschmuck und zu seinem Gewand. Es hätte eine rein formelle Musterung sein können, aber sie schien ihre Gestalten etwas lange anzustarren dafür, dass es vielleicht nur unabsichtlich gewesen wäre. Schließlich setzte sie an, in ihrem Buch zu schreiben.
      "Name und ungefähre Ankunftszeit in Cheynia?"
      Sie nahm die Antworten auf, ohne ein Mal zu hinterfragen, ob sie auch richtig waren, bevor sie mit ihrem Kohlestift auf die Tür am anderen Ende des kleinen Empfangssaales zeigte.
      "Dort durch, die Treppe hoch und durch die Tür, dort wird Ihnen eine Unterkunft zugewiesen."
      Sie wandte sich wieder dem Buch zu, aber die Wachmänner verschwanden nicht, also waren die beiden Reisenden wohl oder übel dazu gezwungen, der Aufforderung Folge zu leisten. Sie verließen den Saal, gingen die Treppe nach oben und dann mit ihrer Eskorte durch die Tür hindurch. Dahinter lag das Büro des Bürgermeisters.

      Der Stadtvorsteher war ein durchschnittlich großer Mann mit angehendem Haarausfall und großen, fast vertrauensselig wirkenden Augen. Sein Körper war unförmig und sein Hals zu dick für seinen Kopf. Alles in allem sah er so aus, als hätte man sonst ganz charmante Eigenschaften an einem Mann zusammengemixt und daraus jemanden erschaffen, der genauso wenig charmant war, wie er hübsch war.
      Bei ihrem Eintreten, hob er überrascht den Kopf, bevor er sich an das zu erinnern schien, weshalb die beiden hereinkamen. Seine Augen erhellten sich und eine vorher deutlich sichtbare Falte auf seiner Stirn glättete sich.
      "Hereinspaziert, die Herren! Bitte, nehmt Platz, wir haben zur Zeit eine kleine Krise, deswegen müssen wir alles ein bisschen anders strukturieren. Das versteht ihr sicher, nicht wahr?"
      Er zauberte ein Lächeln auf sein Gesicht, das sicher für einen Müllhaufen höchst bezaubernd hätte sein können, für einen Menschen aber visuell beleidigend sein konnte.
      "Es ist von außerordentlicher Wichtigkeit, dass wir erfahren, woher diese plötzliche Gefahr kommt, deswegen müsst ihr euch als Zugezogene leider einer kleinen Befragung unterstellen. Das ist doch aber nicht weiter schlimm, nicht wahr? Wir wollen die Krankheit nur eindämmen, bevor sie allzu weit ausbricht, versteht sich."
      Er verschränkte ganz diplomatisch die Hände vor sich auf dem Tisch.
      "Dürfte ich also erfahren, wo ihr euch vor Cheynia aufgehalten habt? Wo genau? Jede Information könnte uns helfen."

      Klim kam kaum eine halbe Stunde später mit der Nachricht zurück, dass er die beiden Reisenden gesichtet hatte, sie seien ins Rathaus gegangen. "Geführt worden" wäre dabei wohl die bessere Wortwahl, denn ihnen hätte sich ein ganzes Kontingent an Wachmännern angeschlossen. Dany fluchte.
      "Was haben die angestellt?"
      "Jeder Reisende soll sich doch im Rathaus melden, um -"
      "Das meine ich nicht."
      "Dann weiß ich es nicht."
      Sie rieb sich über das Gesicht. Das war jetzt doch nicht sehr gut, denn wenn Prysk der Einfältige sich aus irgendeinem Grund dazu entscheiden sollte, Danys Dolch auszuplappern, würde hier die Hölle heiß werden. Das wollte sie dann doch aufhalten, auf die eine oder andere Weise. Letzten Endes war es wohl doch ein Fehler gewesen, sie in das Geheimnis einzuweihen.
      "Hol die anderen, ich will wissen, was da vor sich geht. Und ob heute jemand abdanken muss."
    • Prysk fühlte sich einer schlimmeren Leibesvisitation ausgesetzt als damals nach der Grenze. Nicht nur, dass sie von einer Ecke zur Anderen gescheucht wurden, auch die elende Fragerei war ihm ein Graus im Bauch, während er seine wenige Habe vor einigen gierigen Händen in Sicherheit brachte.
      Rufus klammerte sich regelrecht an seine Seite, während sie durch das Rathaus gescheucht wurden. Innerlich war er beinahe davon überzeugt, dass dieser verteufelte Handelsmann und diese ebenso verteufelte Schankdame ihre syphilitischen Klauen in dieser Machenschaft hatten. Dies war das denkbar schlechteste Auskommen! Und keiner von diesen himmelschreienden Idioten konnte es sehen oder wissen! Sie alle spürten das Erwachen nicht und wenn Prysk richtig lag, würden alsbald verschiedenste Gruppen hinter der Bardame her sein. Und ob sich das lohnte?
      "Meister!", zischte Rufus und Prysk erwachte aus seinem halben Koma.
      Zwischenzeitlich waren sie im Büro des Stadtvorstehers angekommen. Gar nicht mal uncharmant eingerichtet, dachte der Jäger bei sich und betrachtete die Möbel sichtlich interessiert, während Rufus leicht den Kopf neigte, als der Bürgermeister sich des Vorhabens erinnerte, das er durchzuführen gedachte.
      Und natürlich war es erneut eine Befragung.
      Als Prysk seinen ersten Blick auf den unförmigen Bürgermeister warf, hielt er erneut einen Schrei zurück und sah zu Rufus, der ihn wiederum mahnend ansah.
      "Wag es nicht...", zischte er.
      "Er sieht...aus wie eine...Bohne...", flüsterte Prysk beinahe unhörbar und verkniff sich sichtbar ein Lachen. "Eine Bohne, Rufus..."
      "Halt den Schnabel!"
      "Wer ist hier der Meister?", murmelte er und seufzte, während er die Hände in den Taschen seiner ausgeleierten Lederhosen versenkte. Die Perlen in seinem Haar klimperten vor sich hin während sie näher kamen und das Müllhaufengesicht erschien ihnen mit jeder Sekunde weniger freundlich.
      "Natürlich verstehen wir, Euer Gnaden", sagte Prysk und begegnete den Augen des Mannes mit einem offenen Blick. Es war besser, nicht zu provozieren. "Mich wunderte nur, dass wir als Einzige vorgeladen wurden, aber ich denke, Ihr habt gerade begonnen, nicht wahr?"
      Auf seine Frage hin lächelte Prysk und nickte.
      "Aber selbstverständlich. Wir befanden uns vor Cheynia auf der Handelsroute von Ashia nach Cheynia. Wir wollten die Mutantensiedlungen umgehen und haben uns auf den Wegen ein wenig abseits gehalten. Davor waren wir in einem kleinen Dorf östlich Ashias."
      Es musste niemand wissen, wo sie waren. Das war nicht zielführend. Sicher war nur, dass sie hier herauskommen mussten.

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    • "Oh, ja ja, natürlich, wir haben gerade erst begonnen, die Nachricht kam ja doch sehr plötzlich, nicht wahr? Alle werden noch dran kommen, nur keine Sorge."
      Das Grinsen im Gesicht des Bürgermeisters sah für einen Moment so aus, als könne es breit genug werden, um nicht nur die Zähne, sondern auch das faulende Zahnfleisch zu enthüllen. Dann schrumpfte es wieder auf einen angemessenen Wert hinab und war schon fast wieder erträglich. Der Blick des Mannes ging einmal an Prysks Körper hinab, blieb auf seinen Händen liegen, die er in die Hosentaschen gestopft hatte, und hob sich dann wieder.
      "Ashia also, ja? Ahh, hmm, so ist das..."
      Er notierte sich etwas.
      "Und seid ihr in Ashia - nein, in der Umgebung, nicht wahr? - seid ihr da auf etwas sonderbares gestoßen? Vielleicht auf Mutanten, aber vielleicht auch auf etwas anderes? Vielleicht... vielleicht auf eine Ruine? Oder auf... Relikte? Solche Sachen haben gerne mal den Arkanfluch an sich oder vielleicht auch die Pest, das wisst ihr ja sicherlich als....?"

      Klim war derjenige, der sich einschlich. Raemis deckte ihm den Rücken, indem er sich absichtlich falsch positionierte, um seine Gestalt zu verdecken, während sich Yaris bereitwillig ins Rathaus bringen ließ, nachdem sie den Wachen auf der Straße vorjammerte, dass sie zwar ein Zuhause hätte, aber eigentlich dürfte man das gar nicht als Zuhause sehen, weil sie hätte keine Wände und kein Dach und daher könne die Pest ja so weit austreten, wie es nur lustig wäre, und was hätte es dann für einen Zweck, dass sie dort war? Sie solle lieber in eine richtige Unterkunft gehen - und weil Yaris nervig sein konnte, wurde sie schließlich ins Rathaus gebracht. Dort stellte sie sich unnötigerweise der Frau am Tisch vor, die sie gleich weiterscheuchen wollte, der sie dann aber noch die Ohren darüber vollheulte, wie schlecht diese Abriegelung für ihr Geschäft werden würde. Wie vorhergesehen schlossen sich die einzelnen Reisendengruppen ihr sogleich an, versammelten sich trotz dem Aufruhr der Wachen um sie und jammerten alle aus vollen Zügen, dass man doch den Markt nicht absagen konnte, dass die Tore geöffnet werden sollten, dass man sie hier nicht gegen ihren Willen festhalten könnte. Yaris brachte es fertig, in Rekordzeit einen Pöbel zu schaffen, der den Wachmännern eine schlechte Zeit bereitete.
      Klim nutzte die größer werdende Ablenkung und schlich sich derweil ins Rathaus, und nachdem er die Fremden mit dem Haarschmuck nicht ausmachen konnte, schlich er sich weiter bis zum Büro des Bürgermeisters vor. Dort legte er das Ohr an die Tür und lauschte dem Gespräch.
    • Diese Befragung war lächerlich, dachte Prysk und rieb sich genervt die Stirn.
      Es lag wenig Zeit vor ihnen, in denen sie noch tätig werden konnten und was tat er? Sich einem übereifrigen Dorfvorsteher stellen, der den Sinn seiner eigenen Fragen nicht kannte. Dachte er wirklich, dass er ihm auch nur ansatzweise wahre Informationen geben würde? Nicht nach dem Erlebnis mit diesem Eres und dem Wissen, dass die beiden gut miteinander standen.
      Vermutlich hatte dieser verfluchte Blumenprophet ausgeplaudert, dass sie ein magisches Artefakt bei sich hatten, doch der Bürgermeister würde es aus Prysks toten Krallen reißen müssen.
      Auch wenn das bei der Anzahl der Wachleute nicht zum unwahrscheinlichsten Szenario wurde.
      "Ich bin Reliktjäger, Sire", murmelte Prysk. "Also ja, ich war auf der Suche nach Relikten oder Ruinen der vergangenen Zeit. Aber ich darf und muss zu meinem eigenen Unvergnügen berichten, dass wir in Ashias Umgebung nichts von Wert oder Belang fanden."
      "Wir sind mit dem Fluch vertraut, Herr Bürgermeister", berichtet Rufus ergeben und versuchte, seinen wachsamen Blick nach allen Seiten zu verschleiern.
      Mitnichten suchte er nach einem Ausweg. Also eigentlich schon. Eigentlich immer.
      Man wusste nie, was Prysk als nächstes durch den Kopf ging.
      "Mutanten sind uns nicht untergekommen und auch ein fluchbelastetes Artefakt liegt mir nicht vor", berichtete Prysk abschließend uns verschränkte die Arme vor der Brust.
      Der Blick des Jägers glitt direkt in das Gesicht des Bürgermeisters und eingedenk des Wissens, das er beherbergte, war er sich doch unsicher, wohin das hier führen mochte. Es war sicherer, die eigene Unkenntnis weiterhin zu produzieren und doch sah er sich außer Stande dazu.
      Seufzend kratzte er sich am Scheitel, ehe er die Geduld verlor.
      "Ich weiß, Ihre Pflicht ist die Sicherung dieser Stadt, Sire und ich bin der Letzte, der das verurteilt. Aber wollt Ihr mir nicht einfach sagen, was Ihr wissen wollt? Ich bin kein Freund großer Worte und nicht halb so redebegabt wie ich gern tue also..."

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    • Die Erwähnung eines Reliktsjägers allein brachte schon die Augen des Mannes zum Funkeln. Mit einem Mal schien er noch viel mehr freundlicher und noch zuvorkommender, auch wenn es noch nicht so weit gegangen wäre, dass er für die Männer aufgestanden wäre. Oder ihnen etwas zu trinken angeboten hätte.
      "Reliktjäger also, ja? Interessant, ganz interessant. Dann kennen Sie sich schon mit Relikten aus, ja ganz sicher. Da kann ich ihnen nichts neues berichten, nicht wahr? Ha-ha!"
      Sein Hals bewegte sich, während er lachte, als ob er ein Eigenleben führte.
      "Nein, keine Artefakte, sicher nicht. Um sowas geht es uns auch gar nicht, wir wollen schließlich nur eine Krankheit eindämmen. Damit wir kein zweites Armageddon auf Erden haben, nicht wahr?"
      Er präsentierte seine Zähne beim Grinsen, das nicht weichen wollte, auch dann nicht, als Prysk weitersprach.
      "Ich möchte lediglich herausfinden, wo diese Krankheit herkommt. Wir haben unsere Stadt nämlich gut im Griff, das können Sie mir glauben. Deswegen - ach, ich sag es einfach geraderaus, so wie Sie es ja so schön schon gesagt haben: Ich denke, es kommt von außerhalb und ich denke auch, dass es von jemandem eingeschleppt werden musste. Hätten Sie etwas dagegen, sich einer Leibesuntersuchung zu unterziehen? Wir werden nicht verurteilen, was Sie mit sich führen, ganz sicher nicht, aber es gehört eben dazu, wenn wir sicherstellen wollen, dass sich hier auch wirklich nichts eingeschlichen hat. Sie verstehen das, nicht wahr? Werden Sie kooperieren?"
      Auch jetzt hörte er nicht auf zu lächeln, wenngleich seine Frage in einem Tonfall endete, der deutlich implizierte, dass unausgesprochene Konsequenzen folgen würden, sollte die Frage mit einem Nein beantwortet werden.

      Klim hatte vorerst genug gehört und huschte wieder davon, gerade noch rechtzeitig, als die Eskorte von vorhin wieder auftauchte, und sich jetzt vor der Tür zu positionieren schien. Ganz anscheinend wollten sie sich entweder von dem anbahnenden Aufstand fernhalten, oder sie beabsichtigten, sich demnächst anzuschließen, was auch immer weiter im Büro vor sich gehen mochte.
    • Eindeutig ja, schrie der Verstand des Jägers und innerlich wusste Prysk, dass dies nicht gutes verhieß.
      Der Stein lag sicher in der Innentasche seiner Jacke und dennoch würde man ihm bei einem gezielten Klopfen finden. Und auch wenn diese Maßnahme unverhältnismäßig und beinahe sinnlos war, hatte er das Gefühl, dass der Bürgermeister auf magische Weise den Stein finden würde. Zielgerichtet.
      Rufus indes sah sich wachsam um und trat einen Schritt näher an seinen Meister ran. Innerlich ahnte der Schüler, was gleich geschehen würde und seufzte bereits. Er war nur dankbar, dass es nicht erst in einigen Stunden geschah.
      "Krankheit...", murmelte Prysk und unverhohlene Wut mischte sich in die tiefe, knurrende Stimme des Jägers. "Wie Ihr seht, sind wir frei von Krankheiten und tragen nicht das Mal des Fluchs. Wir sind Händler wie Andere auch und ich sehe kaum welche von ihnen. Ich gastierte neulich in einer Taverne, in der mehr Erreger exotischer KRankheiten zugegen waren, als ich zählen und doch..."
      Rufus Hand legte sich beruhigend auf die Schulter seines Meisters.
      Alleine das Kopfschütteln des jungen Mannes ließ Prysk durchatmen. Er hatte Recht. Es brachte nichts. Sie waren in der Unterzahl und nicht in der LAge, diesen Kampf zu gewinnen. Sollte der Bürgermeister beschließen, ihnen das Leben zur Hölle zu machen, war dies nicht weiter zu bestreiten.
      "Ein Urteil steht Euch auch nicht zu", flüsterte Prysk und sah den Bürgermeister wütend an. "Ich habe durchaus etwas dagegen, fremde Hände an meinem Leib zu spüren wenn sie nicht von zarter Natur sind, aber ich fürchte, wir haben keine Wahl, nicht wahr? Ihr werdet uns wohl kaum gehen lassen, wenn ich lieb bitte, also..."
      Mit einem Ruck begann er die Jacke zu entknoten, die er trug. Ungesehen griffen zwei Finger in die verborgene Tasche am oberen Rand des Verschlusses und förderten den Stein in der Handinnenfläche zutage. Geschickt verbarg er die Innenfläche seiner Hand vor den neugierigen Blicken des Bürgermeisters und legte sie alsdann an seinen Kopf.
      Er bemerkte den Stein, als er die Handflächen andrückte und zumindest genügend Raum für eine Visitation seines Leibes schuf.
      "Alsdann, macht schnell", sagte er und lächelte süßlich. "Aber seid bitte zärtlich. Es ist mein erstes Mal."
      "Gott..."
      "Nein mit dem hab ich noch nicht-"
      "Prysk!"

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    • Die Maske des Bürgermeisters brach nicht, nicht ein einziges Mal, während er Prysk unverändert lauschte. Das Lächeln war ihm ganz offensichtlich tatsächlich ins Gesicht gemeißelt, denn niemand in ganz Halcyon hätte eine derartige Beleidigung einfach über sich ergehen lassen - und erst recht nicht, wenn es sich dabei um die eigene Stadt handelte, das wertvollste Gut, das es in Zeiten wie diesen geben konnte. Der Mann hätte wohl alles Recht dazu gehabt aufzuspringen und zu toben, dem Reliktjäger Rufmord anzuklagen oder etwa, dass es es ganz gezielt auf Cheynia abgesehen hätte, aber das tat er nicht. Er saß und grinste und in seinen Augen funkelte es.
      "Euch bleibt die alleinige Entscheidung, ich werde niemanden zu etwas zwingen. Aber bedenkt doch bitte die vielen, unschuldigen Leben, die hier... leben und auf die Sicherheit dieser Stadt vertrauen. Hättet ihr nicht auch gewollt, dass euer Bürgermeister alles nötige unternimmt, um diese Sicherheit zu gewährleisten? Wer weiß, vielleicht würde ihr irgendwann hier ein Haus kaufen? Hier wohnen?"
      Er beobachtete noch immer unverändert, wie Prysk sich der Forderung dennoch fügte, dann stand er auf, kam hinter dem Schreibtisch hervor - sein Körper war genauso unförmig, wie man es vom Kopf bereits hatte er ahnen können - und ging zur Tür. Als er sie öffnete, standen wie durch Zauberhand die Wachmänner davor, die soeben noch nicht dagewesen waren, aber auch der ferne Lärm der zahlreichen Beschwerden aus dem Foyer kam zu ihnen nach oben. Da stutzte der Mann dann doch - das war wohl letzten Endes zu viel für sein sonst so kontrolliertes Gemüt - und tauschte einige flüsternde Worte mit den Männern aus. Schließlich drehte er sich auf dem Absatz zu den beiden Reisenden um, während die Wachmänner in den Raum trotteten.
      "Meine Herren, ich muss mich für den Augenblick entschuldigen. Bitte, lasst euch von meiner Abwesenheit nicht stören!"
      Und flitzte ohne ein weiteres Wort nach draußen.
      Die Männer kamen derweil und führten eine Leibesuntersuchung mit derselben Euphorie durch, die jemand wohl verspüren mochte, wenn er Latrinen säuberte. Es war unvermeidbar, dass sie die Waffen fanden, aber während der Bürgermeister noch höhe Töne damit gespuckt hatte, dass man sie wegen ihrer Habseligkeiten nicht verurteilen würde, hatten diese Männer wohl eine andere Vorstellung davon. Derjenige, der sich gerade um Prysk kümmerte, hielt ihm die Klinge unter die Nase und zog die Stirn kraus.
      "Was ist das? Häh? Wollt ihr uns etwa überfallen? Ausrauben? Haltet ihr uns für blöd? Häh?"

      Unten herrschte noch immer Trubel, als der Bürgermeister auftauchte. Dabei schien das ganze Chaos schon ein bisschen außer Kontrolle zu geraten, denn Dany hatte sicherlich nicht darum gebeten, dass im Rathaus ein ganzer Aufstand angezettelt würde. Aber ganz anscheinend schien Yaris das falsch verstanden zu haben, denn die Frau sammelte die Reisenden um sich wie ein Hirte die Schafe und schrie sich in dem allgemeinen Getose die Stimmbänder wund. Da konnte auch kein Bürgermeister etwas daran ändern und auch kein Haufen Wachmänner, die für den Augenblick noch zu überfordert waren.
      Außerhalb des Gebäudes verabschiedete Klim sich gerade in die Dunkelheit, um Dany auf den neuesten Stand zu bringen, als der Lärm aber schon die nächsten Wachposten auf den Plan gerufen hatte, in die er jetzt unversehens hineinlief. Eine Diskussion folgte, eine hitzige noch dazu und als Klim versuchte, sich wieder in die Dunkelheit zu retten, um vor ihnen zu flüchten, wurden Waffen gezogen. Dafür war Raemis zur Stelle, ohne großartig weiter darüber nachzudenken. Angestaute Wut und Hitze über den Bürgermeister und vergangene Wochen, wenn nicht Monate oder gar Jahre, fanden hier ihr Ventil, als er sich in die aufbrausende Keilerei schmiss und die Waffe gegen seine vermeintlichen Gefährten erhob. Der Lärm, der dabei entstand, war laut genug, um bis zum Rathaus durchzudringen, wo die ersten bereits das Klirren von Stahl hörten.
      "Angriff! Aaangriiiiiff!"
      Irgendwo wurde ein Stock wie ein Speer geworfen und dann, mit einem Mal, ging der Lärm in ein wahrhaftiges Chaos auf. Wenige Waffen wurden zunächst gezogen, aber als die Wachmänner zu ihren griffen, war es vorbei mit der zivilisiertheit. Jetzt wurde ums Überleben gekämpft.
    • Es gab zwei Dinge, die man tun sollte, sofern Tumult und Raserei losbricht.
      Als erstes bewahrt man Ruhe. Ruhe war essenziell, um eventuelle Gefahren und Unliebsamkeiten-
      "Angriff! Aaangriiiiiff!"
      Fantastisch, dachte Prysk und seufzte schwer, während er noch auf die Klinge sah, die ihm unter die Nase gehalten wurde. Es war wirklich mühsam die Ruhe zu bewahren, wenn einem ein Messer unter die Nase gehalten wurde und ein Schüler hinter ihm begann, schreiend im Kreis zu laufen.
      "Ohgottohgottohgottohgott", jammerte Rufus, der jetzt mehr und mehr Aufmerksamkeit der Wachleute auf sich zog.
      Drei befanden sich im Raum. Zwei bei ihnen und ein dritter bei der Tür. Taktisch klug platziert, bedachte man die Tatsache, dass der Wachmann vor ihm nur ein Messer als Waffe besaß. Rufus rannte mittlerweile tatsächlich im Kreis und wurde von dem anderen Wachmann sorgsam umkreist, während der Schüler die Arme in die Luft riss und damit einem fahrenden Fähnrich auf Abwegen ähnlich sah. Prysk indes sah genervt zu dem Wachmann, der Prysks Waffe unter die eigene Nase hielt.
      "Weißt du...Es gibt genau zwei Fehler, die man bei einer Untersuchung machen kann. Einer davon ist, eine Waffe des zu Durchsuchenden zu nehmen ohne sicherzugehen, dass er nicht noch eine zweite hat. Rufus!"
      Ehe der Wachmann schauen konnte hatte Prysk bereits sein Handgelenk ergriffen und das Messer mit der selben Bewegung wie bereits vorher der klauenartigen Hand entwunden. Mit einem zufriedenen Krachen, brach das Handgelenk unter seinem Griff und neben dem Geheul seines Schülers gesellte sich auch das Schmerzensgeheul des Wachmannes, der Abstand zwischen sich und Prysk brachte.
      "Plan C!"; rief er seinem Schüler zu, der sich zwischenzeitlich beruhigte.
      "Es gibt einen Plan C?"
      Schüler!
      Der Jäger nutzte die kurze Sekunde und preschte vor, um dem heulenden Wachmann einen Schlag vor die Nase zu versetzen.
      Der Wachmann bei Rufus bewegte sich auf diesen zu, doch der Schüler erblickte ihn rechtzeitig. Mit einem gekonnten Fall ließ er sich auf den Rücken plumpsen und kam hart auf dem Boden auf.
      Schüler! Man machte nicht die Kniebeuge, wenn man sie nicht kann.
      Der Wachmann hatte etwas gezogen, dass einem Messer gleich kam und so nutzte Prysk auch diese Sek-
      Nein! Das tat er wohl nicht. Der Dritte der Wachleute warf sich mit einem Heulen auf den Jäger und riss ihn mit zu Boden, während Wachmann Nummer 2 über Rufus zu Stehen kam. Der Schüler tat das, was er zumeist am Besten konnte.
      Er trat dem Wachmann ins Gemächt.
      Mit einem Ächzen fiel dieser zu Boden und Rufus schaffte es tatsächlich noch, ihm seine Waffe zu entwinden und mit dem stumpfen Ende auf seine Schläfe zu schlagen.
      Derweil kämpfte sich Prysk unter den Griffen des anderen Wachmannes frei und stieß ihm seine Finger in die Augen. Schreiend warf sich der Wachmann zurück, nur um ebenfalls einen Tritt in das Gemächt zu erhalten, nachdem Rufus die zwei Schritte gemacht hatte.
      Ächzend rumpelte dieser zu Boden und fing sich einen Tritt von Prysks Stiefel.
      Schwer atmend lauschten sie eine Weile der Geräuschkulisse, ehe sich Prysk den Schweiß von der Stirn wischte und erhob.
      "Ein Tritt in die Eier, wirklich?", fragte er zweifelnd.
      "Habe die Kniebeuge nicht geschafft..."
      "Du hast dich fallen lassen."
      "Das war kontrolliert!"
      "Sicher", knickte Prysk und verstaute seine Waffen und den Stein wieder. "Alsdann. Lass uns verschwinden. Glaube, die werden nicht nett, wenn sie wieder aufwachen."

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    • Der Tumult breitete sich aus, so schnell, dass bald die gesamte Halle davon okkupiert wurde. Vielleicht lag es an den so plötzlich drastischen Maßnahmen, die so manch eine Kämpfernatur so sehr erregt hatten, dass sie freigelassen worden war, oder vielleicht war es auch angestauter Frust, der jetzt sein Ventil finden sollte. Was auch immer es auch war, es sorgte dafür, dass die angreifende Seite sich nicht kleinschlagen ließ - nicht von den schärfsten Waffen, die Cheynia zu bieten hatte.
      Das Ziel war nicht ersichtlich, hauptsache Chaos. Die wenigen Einwohner Cheynias, die daran beteiligt waren - darunter die verrückte Yaris, die in ihrer Ekstase einem Wachmann versuchte das Ohr abzubeißen - schienen es lediglich darauf abgesehen zu haben, Köpfe einzuschlagen. Egal wo, egal wer - naja, hauptsächlich schon Wachmänner, man wollte ja nicht so sein - hauptsache Tumult. Das waren diejenigen, die vor Euphorie schrien. Andere Teilnehmende, hauptsächlich Reisende, hatten andere Beweggründe: Gekränkter Stolz, die Aussicht auf eine Herausforderung oder vielleicht auf Taschendiebstahl, solange jeder andere abgelenkt war. Allein schon durch diese unterschiedlichsten Ziele war nicht abzusehen, ob der Aufstand sich von alleine lösen würde.

      Dany konnte es dann hören, als die Tür zum Rathaus wohl einmal aufschwang und plötzlich den Lärm in die Straßen hinaustrug. Es drang durch die Lehmtür - die Lehmtür, sie hatte es doch schon immer gewusst! - zu ihr durch und ließ sie aufhorchen. Eigentlich hatte sie auf Klims Bericht gewartet, aber der Mann war nicht wieder aufgetaucht. Jetzt konnte sie sich auch vorstellen, weshalb.
      "Ach, Scheiße. Verfluchte Scheiße!"
      Sie warf den Krug, den sie gerade geputzt hatte, von sich, als wäre er allein der Übeltäter - dabei war es schließlich die Lehmtür, sie sollte mal etwas dagegen unternehmen - und rannte in den Flur und dann in ihre Wohnung hinauf. Sie schnappte sich ihren Dolch, ihr Relikt, ihr ein und alles, und flitzte wieder nach unten. Wenn sie sich schon in die Nähe dieser Situation begeben würde, würde sie ihren Schatz nicht unbeaufsichtigt zurücklassen.

      Als die beiden Reliktjäger in den Gang hinaustraten, schien es dunkler geworden zu sein, so als hätte sich die Nacht verstärkt, oder als habe man Fackeln entfernt, die davor schon nicht existiert hatten. Und in der aufgetretenen Dunkelheit, die das Licht zu verschlingen schien, stand die leicht gebeugte Gestalt von Eres.
      Der Mann hatte ein leichtes, unverbindliches Lächeln aufgelegt und die Hände tief in seinen Hosentaschen vergraben. Seine Kleidung saß an Ort und Stelle, unberührt von etwaigem Tumult im unteren Geschoss und seine Augen blitzten mit einer Intensität, die mit keinen Worten zu beschreiben war. Er schien sich nicht tendenziell absichtlich in ihren Weg zu stellen, er machte aber auch keine Anstalten, beiseite zu gehen.
      "Guten Abend, die Herren."
      Seine Stimme erklang, aber seine Lippen bewegten sich nicht - vielleicht, weil die Dunkelheit zu groß war. Vielleicht auch nicht.
      "Ich muss..."
      Er neigte kurz den Kopf, als würde er etwas lauschen. Vielleicht dem Chaos unten, vielleicht auch nicht.
      "Ich habe es mir anders überlegt. Ich muss es haben."
      Eine Bewegung ging durch seine Arm, ein feines Zucken seiner Muskeln, mit dem seine Hand etwas in seiner Tasche erfasste. Noch immer rührte er sich nicht.
      "Der Stein. Ich muss darauf bestehen. Ich glaube, es könnte notwendig sein."
    • DIe Welt vor der Tür glich einem Kriegsschauplatz. Von unten herauf drangen die Geräusche nach Krieg, Tod und Verderben und wenn man es damit genau nahm, waren viele der angesprochenen Drohungen dort unten nicht wirklich tragbar.
      Aber so gar nicht.
      Schweigsam trat Prysk ans Geländer und sah zu der Meute hinab, die sich dort wilder prügelte als so manche Kneipenschlägerei. Ach, wenn er an die Nächte in der Klunkerklause dachte...Da ging ihm noch immer das Herz auf. Begeistert sah er einer Frau zu, die einem Mann beinahe ein Ohr abbiss und einem Herrn, der einen anderen mit seinem Holzbein versohlte.
      Fast wie daheim.
      Rufus trat zu ihm und seufzte.
      "Wir sollten kein Aufsehen erregen", murmelte er und schlug sich die Hand vor die Stirn.
      "Naja, streng genommen waren wir das nicht. Irgendjemand anderes hat zum Angriff geblasen, wir sind nur Beiwerk", grinste Prysk und riss seine Messer aus den Scheiden. "Alsdann. Lass uns gehen!"
      Noch ehe sie sich ganz herum gedreht hatten, glühten die Schwerter wieder in einem bebenden Rot und der Jäger glich eher einem Raubtier, dass sich auf seine Beute besann.
      Auch wenn diese Beute krumm vor ihnen stand und ihnen entgegen starrte. Lange hatten sie Eres vermisst und seltsamerweise war es dunkel auf dem Flur, aber es reichte aus, um zumindest Prysks Kampfeslust zu wecken.
      "Ah, da ist er nun wieder", bemerkte der Jäger und kicherte leise. "Habe dich schon vermisst, Blumenmann!"
      "Prysk..."
      "Was?!"
      Rufus wies nur mit einem Kieferzucken auf die Schwärze im Raum. Wenn er ehrlich war, wusste er nicht einzuschätzen, was das war und letztlich auch, ob der Mann überhaupt gesprochen hatte. Konnte sich Prysk getäuscht haben und dieser hier war der Erwachte? Gab es noch mehr von ihnen.
      "Es ist keine normale Dunkelheit", murmelte Rufus und riss sein Buch hervor.
      Mit einem Balanceakt legte er es mit dem Rücken auf seine offene Handfläche und wie von Zauberhand blätterte es zu einer leeren Seite.
      "Achte auf dich. Ich weiß nicht, ob-"
      Noch ehe er den Satz beenden konnte, hatte sich einer der Wachmänner rücklings auf ihn geworden. Schreiend und ächzend krachte der Ball aus menschlichen Körperteilen gegen die Wand und hinterließ einen Riss in der wackeligen Fassade, während Prysk herumfuhr.
      So schnell wie der Mann gekommen war, befand sich eine der Klingen in seiner Kehle, die Prysk mit einem geschmeidigen Schnitt wieder befreite.
      Röchelnd und Blut spuckend glitt der Wachmann zu Boden und erneut war sich Rufus einmal mehr bewusst, warum er Jäger werden wollte. In den Augen seines Meisters stand nichts als bloße Abscheu. Eine Art Hass auf die Menschheit wie ihm erschien.
      "Alsdann, Eres", sagte er mit ruhiger Stimme. "Den Stein wirst du mir aus meinen toten Händen holen müssen. Bin gespannt wie du es versuchst!"

      The more that I reach out for heaven
      The more you drag me to hell
    • Eres regte sich nicht, eine plötzlich erstarrte Gestalt im dunklen Gang, die unbeteiligt dabei zusah, wie einer der Wachmänner sich erst anschlich und dann auf die beiden Männer warf. Er regte sich noch immer nicht, als das Knäuel in einem anbahnenden Todeskampf nach hinten krachte, die Geräusche dem Untergeschoss nicht unähnlich, nur um eine Sekunde später von Prysk mit einem Gnadenstoß wieder getrennt zu werden. Als der Jäger jetzt die Zeit fand, sich schlussendlich dem Sammler zu stellen, hatte es den Anschein, als wäre die Gestalt zu Stein erstarrt, bevor eine Welle durch sie hindurchging und sie scheins wieder zum Leben erweckte. Die Hand in der Tasche bewegte sich jetzt deutlich und für einen sehr kurzen Augenblick schienen die Schatten der Bewegung zu folgen, dann stieß Eres mit einem Mal nach vorne, eine erstaunlich geschmeidige Bewegung, mit der er drei Meter auf einmal zurückzulegen schien. Nur, dass das natürlich nicht möglich sein dürfte und dass der erwartete Aufprall ebenso ausblieb. Eres warf sich auf Prysk, aber in dem Moment, in dem sein dürres Bein die unsichtbare Grenze der Schatten überquerte, verschwand seine Gestalt spurlos, so als hätte sie nie existiert. Sie war einfach binnen eines Herzschlages verschwunden, kein Verpuffen, kein Auflösen, gar nichts. Der Gang war noch immer so schwärzlich wie zuvor.
      Stattdessen kam der erwartete Angriff von hinten, gedeckt von dem Kampflärm im unteren Geschoss. Eres warf sich jetzt mit erstaunlicher Präzision in den Rücken der beiden Männer, eine Waffe in der Hand, die viel weniger wie eine Waffe und viel mehr wie ein handlicher Leuchtstab aussah. Allerdings musste etwas anderes in dem Gegenstand stecken, denn als er damit ausholte und zuzuschlagen versuchte, funktionierte das Ding plötzlich wie eine Peitschte. Damit versuchte er, mit einem weitaus geringeren Kraftaufwand und einer enormen Schärfe Prysk zu treffen, während er gleichzeitig versuchte, Rufus von sich abzuhalten und nach dem Stein zu fischen.

      Beim Näherkommen wurde der Geräuschpegel bereits unerträglich laut und Dany war mit einem Mal froh, ihren Dolch mitgenommen zu haben. Sie kam an Klim und Raemis vorbei in einem Knäuel aus weiteren Soldaten, beide Aufrührer damit beschäftigt, sich gegenseitig den Rücken zu decken. Als sie ins Rathaus kam, lief sie auch beinahe in Yaris rein, die wilde Schlachtrufe von sich gab und mehrere Männer um sich scharrte, nur um ihnen das Leben schwer zu machen. Und in der Ecke konnte sie gerade noch beobachten, wie Siliester sich mit einem halben Tisch unter dem Arm klammheimlich aus dem Staub zu machen versuchte.
      Das ganze war pures Chaos. Dany hatte eigentlich nur ein bisschen Ablenkung gewollt, um zu klären, was der Bürgermeister von den beiden Fremden wollte und um sie dann womöglich dort herauszuholen, um eben nicht das zu veranstalten, was hier gerade vor sich ging. Stattdessen schien sie einen Funken entfacht zu haben und dieser Funken war in einer Explosion ausgeartet.
      "Dany!"
      Yaris hatte sie jetzt entdeckt und grinste ihr wildes Grinsen zu ihr hinüber. Die Frau hatte Blut im Gesicht, ein etwas beunruhigender Anblick, nachdem sich das deutlich mit dem irren Blick verwischte. In einer Hand hatte sie einen Fisch - wo auch immer sie den zu dieser Uhrzeit aufgetrieben hatte - und benutzte ihn als recht effektive Peitsche. Einer der Wachmänner in der Nähe lag schon am Boden, das Gesicht ebenfalls voll Blut, und hielt sich die eine Seite seines Schädels, an dem wohl ein Ohr zu fehlen schien. Ganz anscheinend hatte Yaris schon gute Erfolge gemacht.
      "Schenk uns einen aus, das wär' jetzt 'ne gute Gelegenheit!"
      Ein anderer versperrte Dany die Sicht und bevor sie erklären konnte, dass sie gar nicht beteiligt an dem Geschehen war, dass sie gerade erst gekommen und eigentlich gleich wieder gehen wollte, schwang der schon ein Tischbein nach ihr. Anscheinend hatte er seine Waffe verloren, sein Kampfgeist war dafür noch größer geworden, um den Verlust auszugleichen. Dany sprang ihm gerade noch aus dem Weg, bevor ihr Vorhaben mit diesem einfachen Schlag schon vorbei gewesen wäre - da fiel ihr eine Bewegung im oberen Geschoss auf. Sie umging den Mann, indem sie sich waghalsig zwischen das nächste kämpfende Paar zwängte und von dort aus weiter in Richtung der Mitte. Von dort aus konnte sie dann auch deutlich erkennen, wer das war, der sich dort oben balgte: Der dürre Eres mit dem einfältigen Prysk und seinem Kollegen. Zumindest hatte sie jetzt herausgefunden, wo die beiden Fremden waren.
      "Rattenscheiße!"
      Sie türmte zwischen dem nächsten Kampfpaar hindurch und hielt auf die Treppe zu.
    • Nun, werter Freund.
      Es sei nicht gesagt, dass nicht auch ein guter Jäger durch einen minder guten Angriff überrascht werden konnte. Und auch wenn Prysk, König der Jäger (Nein, kein Narziss. Nein, nein...), durchaus bemerkt hatte, dass in dem Bewegungsmuster des Sammlers etwas nicht stimmte, so schaffte er es jedoch nicht, die geeigneten Worte zu finden. Just als die Figur des Sammlers außerhalb der Schatten verschwand, begriffen sowohl Prysk als auch Rufus, dass sie einer Illusion erlegen waren. Einem Trugbild, einem faden. Und dennoch vermochten sie beide nicht, das Schlimmste zu verhindern.
      Mit einem keuchenden Geräusch wurde Prysk zur Seite gerissen und schaffte es gerade noch, seinen Leib von einem Sturz in die chaotische Tiefe des Hauses abzufangen. Rufus hatte Gott sei Dank schneller reagiert, auch wenn er Mühe hatte, dieses merkwürdige Wesen von Sammler von sich fern zu halten.
      Die Peitsche oder das leuchtende Etwas, das er in den Händen hielt fuhr mit ungeahnter Präzision an die Stelle, wo Prysk sekündlich vorher noch gestanden hatte und mit großen Augen riss der Jäger seine Messer hoch. Sollte er doch kommen, dieser abgehalfterte...
      Ein weiterer Schlag.
      Mit einer schnellen Drehung konnte er diesem zwar ausweichen, jedoch nicht verhindern, dass sein Schüler kreischend einen Schritt zurückwich, als erneut lange Finger nach ihm griffen.
      "Ach Herrgott noch eins!"; fluchte Prysk und schlug mit den Dolchen die Peitschenartige Handhabe zur Seite und starrte seinen Schüler an. "Tu es endlich! Wir haben keine Zeit!"
      "Aber ich kann doch nicht..."
      "RUFUS!", donnerte Prysk und starrte ihn wütend an, während er den ungeahnten Körperkräften dieses Klappergestellts entgegen wirkte.
      Seufzend tat der Schüler noch einen Schritt nach hinten, ehe er die Wand in seinem Rücken spürte. Kalt, fest und sicher thronte sie hinter ihm und seufzend schloss er für einen Moment die Augen. Als würde er nach etwas suchen, griff er nach etwas in sich und atmete aus, als eine Hand erneut zu seiner Habe fuhr.
      Dann - als würde eine Veränderung durch die Luft gehen - erschien der Raum mit einem Mal enger. Als hätten unsichtbare Soldaten den Raum beansprucht, wirkte der Raum, den Prysk zum Bewegen hatte, mit einem mal erdrückend klein und kalt. Als wäre sämtliche Farbe aus ihm gewichen und an anderen Orten zugänglich geworden. Die Augen des Schülers hatten sich zwischenzeitlich geöffnet und das Buch in seiner Hand spielte regelrecht verrückt. Wie wild surrten die Seiten umeinander und schlugen sich beinahe gegenseitig, während die weiß leuchtenden Augen des jungen Mannes sich auf Eres fixierten.
      "akûsh", wisperte der junge Mann und ein Donnern ging durch den Korridor.
      Gleich einem Katapult, was man in diesem schmalen Raum geladen hatte, explodierte die Luft vor Eres Körper und drückte diesen mit einem plötzlichen Ruck nach hinten. DIes war keine Feuerexplosion, wie man es aus den alten Geschichten kannte. Nein, Prysk selbst spürte den Druck in der Luft, als die Stimme verklang und wie sich ein unsichtbarer Ball zwischen ihm und dem Sammler auszubreiten schien. Nur wesentlich schneller als vermutlich gedacht.
      Zumindest hatten sie Platz.

      The more that I reach out for heaven
      The more you drag me to hell