Nemeton [Codren & Nico]

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    • Der nörgelnde Rufus wurde schließlich auch von seinem Leid erlöst, um sich der Bewegungsfreiheit der anderen anzuschließen, wobei Dany nicht entging, dass Prysk auf die offensichtliche Variante verzichtete und die Seile per Hand löste. Er schien das natürliche Gespür eines Überlebenskünstlers zu haben und sämtliche Materialien zu schonen, selbst hier in einer Stadt, wo er beim nächsten Händler vermutlich Seil finden würde. Ein Nebenprodukt seines Berufs? Oder eine Lehre aus früheren Fehlern? Die Frage blieb unbeantwortet, aber wenigstens konnte Dany sich damit denken, dass der Mann kein gewöhnliches Stadtleben führte.
      Jetzt war es an Rufus, vom Stuhl zu hechten und in einem mörderischen Sprint Dany zu attackieren, die sich zwar vom Merch langsam und schwerfällig fühlte, aber noch immer genug Verstandeskraft besaß, um die offensichtliche Mordwaffe in ihren Händen fester zuzupacken und gegen ihn auszurichten. Prysk hatte ihrem Waffenstand zugestimmt, aber sie wusste nicht, wie die Dynamik des Duos aussah und ob er nicht seinem Partner dafür ein unsichtbares Zeichen gegeben hatte, dass der es jetzt versuchen sollte. Zwar glaubte Dany nicht, dass Rufus ernsthaft etwas gegen sie ausrichten könnte - sie waren zwar gleich groß, aber der Mann wirkte dünn und war in seinem Gehabe nicht so selbstsicher wie sein einfältiger Kollege - aber sie hatte schon den Fehler begannen, die beiden zu unterschätzen und das würde sie nicht noch einmal wiederholen.
      Sie hatte die Klinge bereits ausgerichtet, sie spürte das leichte Ziehen in ihrer Faust, der leichte Druck an ihrer Schläfe - und dann warf Rufus sich neben ihr auf den Boden. Was ein waghalsiges, riskantes und hochintelligentes Angriffsmanöver hätte sein können, war stattdessen ein klauenartiger Griff zu dem Buch, dem Dany die wenigste Aufmerksamkeit geschenkt hatte, bevor er wie ein wildes Tier vor ihr flüchtete und sich im Schutz der Ecke seinen errungenen Schatz an die Brust presste. Dany zog eine Augenbraue hoch, während sie den Griff um ihren Dolch wieder lockerte. So high war sie jetzt aber nicht, oder? Das hatte sie sich nicht eben aus reiner Laune der Natur eingebildet?
      Ganz anscheinend nicht, denn selbst Prysk gab ein Kopfschütteln von sich. Also wandten sie sich wieder einander zu und -
      Dany konnte beobachten, wie sich sein Fuß in der gelösten Fessel verfing, als würde alles mit halber Geschwindigkeit ablaufen (die Lehmtür!). Sie sah, wie das Seil sich über seine Schuhkante schob, während das andere Ende noch unter seinem anderen Fuß lag und sie sah auch, wie sich sein Balancepunkt nach vorne schob, als sein Oberkörper weiter zog und die Füße zurückblieben. Sie sah auch seinen Gesichtsausdruck in der winzigen Sekunde vor seinem Fall, als er erkannte, was unweigerlich geschehen würde. Dann kam er mit einem Krachen auf dem Boden auf, was die Dielen unter ihren eigenen Füßen erschütterte und eine Sekunde später stand er schon wieder, unberührt von dem so eleganten Versagens der eigenen Laufkunst, wie es nur irgendwie möglich war. Dany blinzelte ihn an, dann kniff sie langsam die Augen zusammen und murmelte, mehr zu sich selbst als zu jemand anderem:
      "Wie high bin ich?"
      Dann war er vor ihr und sie gab sich alle Mühe diesen Trip, den sie gerade zu erleben schien und dessen Inhalt sie wohl mit niemandem in dieser Gänze teilte, vor ihm zu verbergen.
      "Eins nach dem anderen, Kamerad."
      Sie blinzelte erneut, versuchte das Merch und den kauernden Bücherwurm in den Hintergrund zu schieben und konzentrierte sich ganz auf Prysk, der zwar auch ganz auf den Waffenstillstand aus war, der aber seine Klingen genauso wenig weggesteckt hatte, so wie sie ihre auch noch präsentierte. Ein gewisses Misstrauen war noch da, wenn nicht von ihm dann zumindest von ihrer Seite und sie würde nicht naiv genug sein, dieses Gefühl einfach zu ignorieren.
      "Wir haben es in einer Ruine nahe Eshos gefunden. Es muss auch aus der Vorzeit kommen, aber wir wissen nicht, was sein Zweck damals war."
      Sie musterte Prysk jetzt aufmerksamer, weil sie herausfinden wollte, ob der Mann schlau genug war, aus ihren wenigen Informationen weitere Schlüsse zu ziehen. Spätestens jetzt dürfte wohl auch ihm klar sein, dass Dany genauso wenig ein einfaches Stadtleben führte - wenn er es denn jemals gedacht hatte.
      "Wenn du es berührst, belegt es dich mit Arkanfluch. Ich habe schon sieben davon sterben sehen und ich glaube, dass vorher noch viel mehr gestorben sind. Es wurde schon benutzt, wir haben es bei Leichen liegend gefunden. Sie hatten alle Anzeichen von Arkanfluch."
      Sie studierte Prysks Gesicht eindringlich, während sie darüber nachdachte, wie lange sie es selbst schon aufbewahrte. 9 Monate? Das war eine gute Zeit dafür, dass sie eigentlich eine 8 Monate alte, lebendige Leiche sein müsste.
      Sie drehte die Klinge ein wenig, sodass das fahle Leuchten sich durch den Raum ergoss. Es war nicht hell genug, um eine ernsthafte Lichtquelle zu sein, aber es war offensichtlich, dass das Schimmern nicht von externem Licht stammte.
      "Wir versuchen noch herauszufinden, was der Zweck dahinter ist. Oder wie man damit..."
      Nein, das war jetzt doch genug Information. Die Herren mussten ja nicht alles darüber wissen.
      Apropos - sie sah zwischen beiden hin und her.
      "Deswegen seid ihr nicht hergekommen? Ihr kommt nicht von Eshos? Um welche Information ging es euch, die ihr haben wolltet?"
    • Rufus ließ es sich nicht nehmen, die Frage der Schankdame zu kommentieren. Energisch schüttelte er den Kopf und seufzte.
      "Du bist sehr high und dennoch ist dieser Spinner da leider realer als so manche Krankheit", murmelte er kopfschüttelnd.
      Schweigsam lauschten beide der Erklärung der jungen Frau, ohne den Blick von der Waffe zu nehmen, die sie in Händen hielt. Eine gewisse Ähnlichkeit der beiden Artefakte war durchaus nicht von der Hand zu weisen. Ob sie wirklich derartig ähnlich waren mochten beide noch bezweifeln, zumal das Leuchten des Messers durchaus merkwürdig erschien.
      Seufzend lehnte sich Prysk ein wenig zurück und legte seine Messer neben sich. Eines nach dem anderen schien dunkler zu werden und sich in einer Art Kältestarre zu befinden.
      "Arkanfluch, huh?", murmelte er und betrachtete das Stück weiterhin mit unverhohlener Neugierde. "Ich schließe aus deinen Erzählungen, dass du nicht nur eine Schankdame bist und zumindest einen Partner oder Partnerin hast. Du sprichst von einem Wir. Ich vermute erst einmal, du meinst deine Kumpanen dort draußen. Mit Verlaub sind diese bedauerlich schlecht ausgebildet für die Jagd nach derartigen Artefakten. Was mich zu meiner nächsten Frage bringt..."
      "Wenn dieses Ding den Arkanfluch auslöst, wieso kannst du es berühren? Arkanflüche töten schnell.", fragte Rufus dazwischen und schlug derweil sein Buch auf. Noch immer waren die Seiten leer und doch huschten seine Augen wie beim Lesen hin und her.
      "Das wollte ich gerade fragen!"
      "Dann frag es doch!"
      "Das hast du gerade!", keifte Prysk und wies nur mit dem Finger auf ihn. "Ich rede. Der Kuchen. Der Krümel schweigt!"
      Mit einem herablassenden "Pff" widmete sich Rufus wieder dem Buch und horchte aufmerksam der Dame.
      "Sagt sie die Wahrheit?", fragte Prysk dennochs einen nervigen Schüler.
      Dieser nickte.
      "Sie lügt nicht", bestätigte er. "Aber sie sagt nicht alles."
      Prysk verzog das Gesicht und zuckte die Achseln. Man konnte es als gegeben betrachten. Dies war auch für Dany keine leichte Situation.
      "Nun, verständlich ist es, dass du keine Informationen herausrücken willst", bekannte er. "Nein, wir kommen nicht aus Eshos und ich bin nicht wegen einem Dolch hier, keine Sorge. Wir haben etwas an der Grenze gefunden und ich hörte von Jemandem im Süden, der mir helfen kann, herauszufinden, was es ist. Zeig es ihr."
      "Muss ich wirklich? Sie hat uns entführen lassen!"
      "Das hat Lysander auch. Und er hat dich beinahe getötet."
      "Lysander hat mir ein Buch geschenkt", murmelte Rufus und seufzte, als er aus der Tasche seiner Jacke einen kleinen Stein beförderte.
      Dieser wies eindeutige Bruchkanten auf und war nur grob geschliffen. Im Grunde gar nicht. Aus seinem Inneren ging ein starkes, blaues Leuchten aus udn mit dem Leuchten kam die Wärme. Als würde man in dem Raum ein Feuer zünden.


      Rufus hielt es in seiner Hand und zeigte es ihr nur aus der Ferne. Man wusste ja nie.
      "Das ist der Grund", murmelte Prysk und wies mit dem Kinn darauf. "Ich fand es in einer Ruine der Alten Zeit. Er ist aus einem Artefakt gebrochen und ich will wissen, was das ist."

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    • Dany war durchaus sehr high und Prysk war durchaus schlau genug, um seine Schlüsse zu ziehen. Das waren gleich zwei Faktoren, die dazu führten, dass die beiden Herren erstmal genug Informationen erhalten hatten. Dany war schon das Risiko eingegangen, ihnen ihr Artefakt zu zeigen, wo sie doch zuerst davon ausgegangen war, dass sie genau deswegen hergekommen waren, dann wollte sie jetzt kein weiteres Risiko eingehen und ihnen noch persönliche Informationen zustecken. Sollten sie doch glauben, dass der alte Siliester und der gelangweilte Klim an dieser Sache beteiligt waren, das war vermutlich erstmal besser, als die Wahrheit zu offenbaren. Zumindest so lange, bis Dany sich sicher sein konnte, wie vertrauenswürdig die Männer waren.
      Als die beiden sich dann aber auch noch ankeiften wie zwei bellende Hunde, musste Dany die Augen verdrehen. Und vor sowas wollte sie sich in Acht nehmen!
      "Jungs!"
      Sie fixierte einen nach dem anderen.
      "Wie wäre es, wenn die Frau redet und das Gebäck schweigt?!"
      Als sie sich sicher war, ihre Aufmerksamkeit wieder bekommen zu haben, schnaubte sie und fuhr fort.
      "Wie ich schon sagte, haben wir das Ding noch nicht zur Gänze verstanden. Ich habe aber Arkanfluch davon bekommen. Schau selbst."
      Sie kratzte sich ein wenig Merch unter dem kleinen Fingernagel hervor, fing es in der Handfläche auf und präsentierte Prysk bald ein winziges Häufchen, das zwar noch längst nicht alles war, aber genug um die ersten, von Blut verkrusteten Blättchen zu zeigen. Ihr Fingernagel war darunter mit einer Mischung aus Merch und Blut tiefschwarz.
      "Es wird mich auch umbringen, es hat sich in den letzten drei Wochen schon verschlechtert, aber nur halt nicht jetzt, nicht wie üblich in einem Monat. Ich denke, weil ich den Dolch noch immer bei mir habe. Das ist schwierig zu erklären."
      Sie stopfte sich das Merch wieder unter den Finger und richtete ihren Blick dann auf Rufus, der noch immer in der Ecke über sein Buch gebeugt saß. Das war so viel Information, wie sie preiszugeben bereit war. Aus irgendeinem Grund konnte der Bücherwurm genau diese Gedanken von ihr lesen, wie auch immer er das geschafft hatte.
      Bestätigt zu bekommen, dass sie allerdings wirklich nicht wegen dem Dolch hier waren, nahm eine gewisse unsichtbare Last von Danys Schultern, der sie sich bis dahin gar nicht bewusst gewesen war. Natürlich könnten sie lügen, aber mittlerweile hätten sie wohl mehr als genug Gelegenheit gehabt in irgendeiner Weise zu offenbaren, dass sie den Dolch an sich nehmen wollten.
      Umso neugieriger stimmte sie damit der tatsächliche Grund, weshalb sie hergekommen waren. Sie rührte sich nicht vom Fleck, beugte sich aber ein wenig in Rufus' Richtung, um den Stein in Augenschein zu nehmen, den er ihr entgegen hielt. Selbst aus der Entfernung war zu erkennen, dass er äußerst grob gehauen war, aber das Leuchten, das er ausstrahlte, hatte noch weitere Effekte bis auf das dünne Glimmen, das Danys eigener Dolch ausstrahlte.
      Apropos...
      Sie hob ihre eigene Waffe und drehte sie, um den kleinen Edelstein zu begutachten, der in die Rückseite des Griffes eingelassen war. Er war fest mit dem Griff verbunden, ein Entfernen war unmöglich. Aber auch der Edelstein leuchtete und Dany war fast dazu gewillt, eine gewisse Verbindung zwischen den beiden Steinen zu sehen, wie zwei Enden eines einzelnen Teils. Dann schien es ihr doch wieder zu weit hergeholt, immerhin hatten die beiden Stücke nichts gemeinsam, als dass sie auch ohne Licht leicht leuchteten.
      Sie drehte den Dolch wieder und ließ ihn dann unter ihrem Hosenbund verschwinden.
      "Das würde ich auch herausfinden wollen. Strahlt er etwa Wärme aus?"
      Das war wirklich interessant. Mehr als interessant.
      Sie sah zurück zu Prysk.
      "Ihr habt von Jemandem im Süden gehört, der euch helfen kann, ja? Und wo habt ihr das gehört? Wer hat euch das erzählt?"
      Dany war sich nämlich ziemlich sicher, dass sie betreffenden Jemand kannte, den die beiden meinte - die Frage war nur, ob man die beiden Männer absichtlich in eine Falle locken wollte.
      Aber bevor sie ihnen das mitteilte, zog sie ihre Schatulle hervor und stopfte sich Merch nach.
      "Es gibt jemanden, der sich diesen Stein sicher anschauen und vielleicht sogar verstehen kann. Ich würde euch sogar sagen wer und wo ihr ihn finden könnt, aber weil ihr doch nicht wegen dem Dolch hier seid, will ich mal nicht so sein und euch in die Scheiße reiten lassen."
      Sie umging, in ihrer Auffassung, ganz elegant der Tatsache, dass sie die beiden hatte entführen lassen.
      "Dieser Jemand ist nämlich ziemlich eng mit dem Bürgermeister und ich habe euch bereits gesagt, dass der ein Arschloch ist. Ihr könnt euren Fund untersuchen lassen, ihr werdet vermutlich auch ein Resultat darauf bekommen, aber ich kann euch nicht garantieren, dass ihr es dann auch noch heil aus der Stadt schafft."
      Sie tippte nachdenklich auf ihrer Schatulle herum.
      "Ich würde euch meine Kontakte bei Eshos empfehlen, aber dann müsst ihr ja fast wieder bis zur Grenze hoch, das wird sich wohl nicht lohnen. ... Ich sage euch, an wen ihr euch hier wenden könnt, dann könnt ihr selbst entscheiden; aber nur unter einer Bedingung."
      Da steckte sie ihre Schatulle weg, drehte sich in Rufus' Richtung und baute sich breitbeinig auf.
      "Du wirst herkommen, dich hier auf den Boden knien und um Vergebung dafür bitten, mein Met schlecht genannt zu haben. Und sorg dafür, dass ich deine Entschuldigung gefälligst glaube, ansonsten kann ich euch alternativ auch an meinem Fluch teilhaben lassen."
      Sie kniff die Augen zusammen.
      "Also?"
    • Prysk ließ sich, entgegen seiner tollpatschigen Art, keine Regung der Schankdame entgehen, während Rufus eifrig in seinem leeren Buch blätterte. Noch immer stellte sich beim Jäger kein Gefühl des Vertrauens ein, obgleich er wertvolle Informationen erhalten hatte. Dennoch stellte sich die Frage, weshalb sie die Steine verglich? Sah sie Dinge, die Rufus nicht gesehen hatte?
      Prysk teilte einen kurzen Seitenblick zu seinem Schüler, der unmerklich den Kopf schüttelte und den Stein nach einer kurzen zeit wieder in seiner Tasche verschwinden ließ. Sicher war sicher. Nicht, dass Dany noch dem Irrglauben erliegen würde, sie erneut zu berauben. Dieses Mal würde Prysk kein Mitleid haben.
      Als er die Auswüchse ihres Arkanfluchs sah, kniff er kurz die Augen zusammen und hätte beinahe nach Rufus gerufen, doch dieser schien sich nicht wirklich zu interessieren. Schweigsam nickte er zu und seufzte. Derartige Symptome konnte man nicht verschleiern. Zumindest war das Prysks Meinung.
      "Dann wird dir dieses Zeug aber nicht helfen"; murmelte er und wies mit dem Kinn auf das Merch. "Es betäubt die Symptome, aber löst das Problem nicht, nicht wahr? Aber in der Tat!"
      Der Jäger lehnte sich auf die Arme zurück, um seinen Oberkörper abzustützen. "Er strahlt diese merkwürdige Wärme aus. War im Norden recht hilfreich, in den kalten Auen. Hat uns gut warm gehalten. Aber verstanden haben wir es nicht."
      Auf ihre Fragen hin musste er grinsen. Auch von seiner Seite waren dies erst mal genug Informationen. Auch wenn sie durchaus hilfreich war, musste man nicht vergessen,d ass sie sie hatte entführen lassen.
      "Meinen Kontakt werde ich dir nicht verraten. Nur so viel gesagt, er war vertrauenswürdig..."
      "Die Wahrheit ist eher, dass Prysk im Suff vergessen hat, nach dem Namen zu fragen", grunzte Rufus und sah zu Prysk, der wilde Handzeichen gab. "Und dann sind wir auf Gut Glück nach Süden geritten um diesen Jemand zu suchen."
      Ächzend ließ Prysk den Kopf hängen. Warum war er nur mit einem derartigen Idioten gesegnet?
      Dennoch war die Aussicht, dass sie sich dem Bürgermeister, einem ausgewachsenen Arschloch, ergeben mussten, nicht das Beste, was sie erreichen konnten. Mit Sicherheit würden sie ein zuverlässiges Urteil erfahren, jedoch aus der Stadt? Er hatte kein Problem, sich freizukämpfen, aber da sie bereits mit Verfolgern gesegnet waren, die sie nicht unbedingt anlocken wollten, wollte der Jäger gerade ihrem Vorschlag nachkommen, als sie ihre Bedingung formulierte.
      Einen kurzen Moment lang sahen sich Rufus und Prysk an und verfielen beide in ein Grinsen. Rufus sah zu Dany und nickte.
      "In Ordnung", sagte er nur und rutschte näher an sie heran.
      Da sie ihn auf den Knien wollte, konnte er auch gleich unten bleiben. Ergeben wie ein Sklave warf er sich vor ihr in den Staub und verbarg das Rascheln und Klirren seiner Kleidung sehr geschickt, als er den Kopf neigte und Luft holte.
      "Frau Dany: Es tut mir von Herzen Leid, dass ich deinen Met als schlecht bezeichnet habe. Er war durchaus schmackhaft, jedoch verlangte es der Zorn der SItuation, dass ich mich vergaß. Ich hoffe, du kannst mir verzeihen und ich bitte ergeben darum!"
      Prysk sah seinem Lehrling zu und behielt das Grinsen.
      Entschuldigungen...Das er nicht lachte. Der Junge hatte bereits mit 18 Jahren seine Würde und seinen Stolz aufgegeben. Was scherte da eine Entschuldigung.
      "Reicht dir das?"; fragte Prysk und erhob sich langsam aus dem Staub des Lagerhauses. "Dürfen wir dann deinen Kontakt erfahren?"

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    • Leider war es nur verständlich, dass Prysk seinen Kontakt nicht nennen wollte, auch wenn Dany es vermutlich eh nichts gesagt hätte. Und wenn schon, hätte sie in Frage stellen müssen, ob sie den beiden Männern wirklich helfen wollte, denn sie bezweifelte, dass besagter Kontakt nicht auch aus derselbe Ecke kam wie der Bürgermeister.
      Dass er es wohl aber einfach nicht herausgefunden hatte, kommentierte Dany mit einem zweifelnden "Mmhm", bevor die beiden Herrschaften ihrer Bedingung tatsächlich nachkamen. Mit einer gewissen Befriedigung sah sie zu, wie der junge Mann zu ihr herübergekrochen kam, nur um sich im nächsten Moment in einer theaterreifen Geste vor in den Staub zu werfen und um Vergebung zu bitten. Ihr gefiel zwar nicht das Grinsen, das beiden dabei über das Gesicht lief, aber es war tatsächlich gut genug, um sie zu befriedigen.
      "Sehr richtig. Mein Met ist das beste, was man in dieser Gegend finden kann, habe ich recht?"
      Schließlich schnalzte sie missbilligend.
      "Idiot."
      Für die Allgemeinheit gab sie sich allerdings gütig, denn immerhin schien der Junge es recht ernst damit gemeint zu haben, auch mit seinem dummen Grinsen.
      "Ja, das reicht. Der Mann, den ihr sucht, heißt Eres. Er hat beim dritten Steg seine kleine Müllhalde, eigentlich könnt ihr den nicht verfehlen, wenn ihr zum Ufer geht. Lasst euch aber nicht über den Tisch ziehen - zumindest nicht von ihm, das ist es nicht wert."

      Besagter Eres war ein hagerer Mann mit hageren Träumen.



      Er sah aus, als hätte er die Pest vier Mal erlebt und nur drei Mal überstanden. Seine Haut war grau und rau, seine Haare dünn und strähnig. Er hatte nicht mehr alle Zähne im Mund, aber merkwürdigerweise waren seine Schneidezähne noch wunderbar intakt, als habe die Natur ein Warnzeichen an ihm hinterlassen wollen, bevor sie den Rest entfernt hatte.
      Das, was Dany als Müllhalde bezeichnet hatte, war tatsächlich ein güterreiches Lager unter freiem Himmel, das schlichtweg nicht mehr genug Platz für alle Habseligkeiten des Mannes hatte. Er selbst, die scheinlichst wandelnde Gestalt einer Leiche, hatte auch keinen Platz zwischen den Zeltwänden und saß daher stets entweder auf mehreren Büchern, auf einem zerknitterten Haufen Papier, der vom ständigen Sitzen seine Körperform aufwies, oder auf alten Schatullen, Boxen und Kisten. Es war nicht ersichtlich, wo der Mann schlief. Hätte man die Stadtbewohner diese Frage gestellt, hätten sie ausgesagt, dass noch niemand Eres irgendwo schlafen gesehen hatte.
      Er verbrachte die meiste Zeit über in seinem Zelt, in dem er wohl am besten anzutreffen war, aber manchmal sah man ihn auch in Richtung Rathaus stromern, wobei seine Haltung buckelig war, als wäre er mindestens 40 Jahre älter und seine Augen nie höher gingen als Hüfthöhe. Sehr selten verschlug es ihn auch in die Taverne und dann bereitete er Dany Kopfzerbrechen, indem er Wasser mit Zimt verlangte. Dany hatte niemals Zimt da und speiste ihn dann mit normalem Wasser ab.
      An dem Tag, der der nächtlichen Auseinandersetzung folgte, saß er aber in seinem Zelt über seine Papiere gebeugt. Still sitzen war auch nicht sehr seins, stattdessen wiegte er sich ständig ein wenig vor und zurück und sprach mit der einzig intelligenten Gesellschaft, die er im ganzen Zelt hatte - sich selbst.
    • Hatten sie eine Wahl?
      Wenn man es genau und ehrlich betrachtete, war dem nicht so. Sie mussten eine Information erhalten, was dieser verteufelte Stein eigentlich war und gleichzeitig sehnte sich Prysk wieder nach der Freiheit der Straße und der Grenze. Diesem lauschigen Ort voller alter Magie und deren Reminiszenzen.
      Nachdem Dany ihnen die Kontaktadresse von diesem merkwürdigen Mann gegeben hatte, wurde die Nacht eine recht ruhige. Gemeinsam hatten sie das Lager dieser verrückten Schankmaid verlassen und hatten ihre Habseligkeiten nicht wirklich vermisst. Sowohl Prysk als auch Rufus waren es gewohnt, gänzlich ohne Alles zu reisen und so hatten sie die Nacht auf einem schmalen Ableger eines Stegs verbracht und sich ein Leben in alter Herrlichkeit ausgemalt. Eben was man so tat, wenn man billigen Fusel aus Fässern gestohlen und vergessen hatte, dass man am nächsten Tag in Verhandlungen treten wollte.
      Eres Lager war nicht wirklich schwer zu finden. Man suchte eine Müllhalde inmitten eines Schrotthaufens, wenn man es so wollte. Ein Lager unter freiem Himmel also, dachte Rufus, als er und Prysk den Raum betraten, den dieser Mann wohl sein Lager nannte. Über und über stapelten sich Güter, Boxen und Kisten und sogar alte Frachtfässer in den hintersten Ecken des Stücks Land. Und auch wenn man viel Fantasie besaß, wurde einem doch klar, dass es sich hierbei um sicherlich sehr viel Müll handelte, den Jemand zu sammeln gedachte. Eine grässliche Angewohnheit.
      Und während man Rufus die Abneigung ansah, mit der er den Platz betrat, so erschien Prysk gänzlich unanwesend. Knurrend und bleicher als ein Leichensack im Frühlingsregen schleppte er sich an der Seite seines Schülers den Platz entlang, sodass selbst Rufus sich wunderte, wie er sich eigentlich auf den Beinen halten konnte. Noch immer schwankend sprach er hin und wieder mit sich selbst und bedeckte die Augen vor dem fahlen Sonnenlicht, das die Stege beleuchtete. Und bei den sieben alten Göttern, dieser Steg war einfach eine Müllgrube. Hier sollten sie Erkenntnisse zum Stein sammeln?
      "Du hättest dich wenigstens waschen können", murmelte Rufus und wanderte in Richtung des Zeltes, das sie inmitten dieser Berge aus Unrat und Kisten erblickten.
      Grunzend verzog Prysk das Gesicht und schnüffelte in der Luft. Hier roch es irgendwie nach Fleisch. Vielleicht Speck?
      "Ich meine es ernst. Du siehst aus wie der lebende Tod."
      "Halt den Rand", knurrte Prysk. "Ich bin froh, dass ich eine Hose an und meine Lunge in mir habe. Ich weiß nicht mal mehr, wie dieser Typ hieß, zu dem wir hin sollten."
      "Eres."
      "Eros, sag ich doch.
      "Es. ErES."
      "Wie auch immer", winkte der Jäger ab und richtete die Schwerter an seinem Gürtel. Diese waren über Kreuz über seinem Hintern angeordnet, sodass er sie schnell und effektiv ziehen konnte. Sofern er dazu in der Lage gewesen wäre. Die Haare fielen ihm strähnig und fettig ins behaarte Gesicht, das jetzt fahl wie eine Leiche in Richtung des Zeltes sah.
      "Da ist es doch", nuschelte er und trat mit drei schnellen Schritten an das Zelt heran.
      "Wir müssen nur noch herausfinden, wo dieser Eros-"
      Mit einem Schwung schlug er die Laken des Zeltes zurück und blickte in das Innere, wo ihn ein wippender, mit sich selbst sprechender Geist von einem Mann erwartete. Schlagartig riss der Jäger die unterschatteten Augen auf und begann aus Leibeskräften - und recht unmännlich, möchte ich anmerken -zu schreien.
      "WUAAAAAAAAAAAAAAAAAAAAAAAAAAAH!", donnerte die Stimme über den Zeltplatz. "HEILIGE SCHEIßE RUFUS! HOL EINE ARMBRUST! SILBERBOLZEN! BRINGT GIFT UND FEUER, HIER SITZT EIN TOTER!"
      Noch während er brüllte, umrundete er den Schüler wie eine Säule und lief regelrecht schreiend im Kreis herum, ehe Rufus ihm ein Bein stellte.
      Schwer und mit einem erneuten "UMPF!" landete sein Meister im Staub des Stegs und Rufus seufzte. Mit einem beherzten Schritt sah er ins Innere des Zeltes hinein und blickte tatsächlich in das Gesicht einer Leiche. Und er dachte, PRysks Gesicht wäre schlimm an diesem Morgen.
      "Verzeiht...", murmelte er. "Seid Ihr wohl Eres?"

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    • Die Ankunft der Fremden bei Eres wurde beinahe in der ganzen Stadt bekannt, als ein schallender und höchst weibl- natürlich höchst männlicher und kräftiger Schrei ertönte, gleich dicht gefolgt von dem nächsten gellenden und höchst weibli... männlichen Kreischen.
      "UIIIIIIII-AAAAAAAAAAAAAAAH!"
      Der schmächtige Körper des Sammlers brachte einen erstaunlich kraftvollen Schrei zustande, genauso wie einen ebenfalls kraftvollen Sprung, als er auf die Beine kam und dem Jäger geradewegs nach draußen hinterher spurtete. Kaum traf das Sonnenlicht sein Antlitz, stieß er ein Fauchen wie eine Katze aus und fing dann wieder an zu schreien, während er händeringend in die andere Richtung lief.
      "WO! WO! WO IST DER TOTE! LASS MICH IN RUHE, ICH BIN UNSCHULDIG! LASS MICH IN RUUUUUHÄÄÄÄÄÄÄÄÄÄ!"
      Er lief geradewegs auf den Steg zu, sprang mit einem höchst behänden Satz nach oben, bevor er stolperte, und lief schreiend an sein Ende, wo er sich gezielt ins Wasser stürzte. Es platschte einmal von der schmächtigen Gestalt, dann herrschte für einen Moment
      toten-hah!-stille.
      Einen Moment später tauchte sein Kopf wieder auf, aber nur die obere Gesichtshälfte bis zu seiner Nase, während er das Ufer mit so viel Skepsis, wie seine vom Wasser blinzelnden Augen ausdrücken konnten, beobachtete. Ganz anscheinend schien er nach einer Weile zu entschließen, dass der Tote nicht nahe genug war, um ihm am Land aufzulauern, weshalb er langsam wieder zurück gewatet kam. Er machte sich nicht die Mühe zu schwimmen, stattdessen stemmte er sich in merkwürdiger Art gegen das Wasser, so als würde er normal gehen wollen und den Widerstand einfach nicht merken. Als er an Land kletterte, triefte seine Kleidung und hinterließ kleine Pfützen.
      "Also."
      Seine Stimme war rau, aber von dem vorherigen Panikgeschrei unbetroffen. Auch seine Miene hatte sich geglättet und starrte jetzt stoisch drein, als würde er bereuen, jemals geboren worden zu sein.
      "Ich bin es, den man in weiten Kreisen Eres ruft. Welche Dienste kann ich Euch erbringen, ihr tapferen... äh", er starrte abwechselnd auf Prysk und Rufus, "... ihr tapferen Schafhirten? Welche Leistung kann die Meisterlichkeit des eres'schen Gehirns für Euch erbringen?"
    • Rufus war diese Situation nur allzu absonderlich.
      Da standen zwei gestandene Männer gegenüber, beide bleich wie der Tod selbst und schrien sich an, weil sie jeweils denselben Geist gesehen hatten. Noch ehe der andere Mann zur Antwort ansetzen konnte, zog Prysk sein schmutziges Gesicht aus dem Staub vor dem Zelt und blickte erneut mit großen Augen in den Raum.
      Erst danach hob er die Hand und wies auf den Ort, wo Eres gesessen hatte, um gleich weiter zu schwadronieren:
      "Wawawawawawawawawawawa---G-g-g-g-g-g-g-g-g-geeeeeeeeist!"
      Es reichte.
      Erst musste er beobachten, wie Eres sein Heil im Wasser, fernab jeden Sonnenlichts suchte und sein Meister, gefürchteter Krieger seiner Art, wie ein Kind im Staub lag.
      Es reichte einfach und ehrlich. Rufus Voltest war ein geduldiger Mann und Schüler. Und er hatte viele Außergewöhnlichkeiten seines Meisters ertragen. Wenn er sich an die Sauerei mit den Lilien erinnerte oder aber die Dirnen von Kartoum. Das alles war nicht schön, aber erträglich gewesen. Doch diesem weibischen Geschrei zweier Männchen zu lauschen, die offenbar beide ihren Verstand seit dem letzten Sturz in den Metkrug verloren hatten, zerrte nur allzu sehr an den Nerven.
      "JETZT HALTET ENDLICH EURE VERFLUCHTE SCHNAUZE IHR BEIDEN! BEI DEN VERFAULTEN KLÖTEN VON ENKI DEM WEISEN, DAS IST JA NICHT AUSZUHALTEN!!!"
      Schwer atmend stand Rufus in der Mitte und umklammerte einen kleinen Lederbeutel, den er sorgsam vom Gürtel löste, während Prysk seinen Schüler nur entgeistert anstarrte. Wie konnte dieser kleine, impertinente...
      "Du...", knurrte der Jäger und rappelte sich auf die Beine. "Wie kannst du es auch nur wagen, mich derartig anzuschreien, du kleiner impertinenter Hu-"
      Er unterbrach sich, als Eres zu sprechen begann und richtete seinen Blick auf ihn, anschließend zu Rufus. Keiner der beiden hatte augenscheinlich bemerkt, dass der Mann wieder an Land gewartet war.
      "Schau, die Leiche spricht!"
      "Halt die Klappe Prysk!", seufzte Rufus und sah zu dem merkwürdigen Mann hin. "Wir kommen auf Anraten einer Freundin. Man sagte uns, Ihr könntet uns wohl bei der Identifizierung eines Gegenstands helfen. Sollt sehr bewandert sein. Sind wir hier richtig?"
      Ohne auf eine wirksame Antwort zu warten, griff er nach dem Lederbeutel und öffnete ihn am Tisch des Eres. Der Stein, den sie Dany gezeigt hatten, fiel heraus und stolpernd auf die Tischplatte.
      "Wir müssten wissen, was dies ist", murmelte Rufus, während Prysk näher rückte, die Augen wachsam auf den merkwürdigen Mann gerichtet.
      "Und wir sind keine Schafhirten!", bemerkte Prysk zum Abschluss.

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    • Eres starrte stoisch von einem zum anderen, dann setzte er seine Aufmerksamkeit auf Rufus fest, den er entweder für den Anführer oder als den interessanteren von beiden hielt.
      "Ich kann helfen, o ja. Ich kann alles, ich weiß alles, ich habe alles. Ich bin derjenige, den ihr euren Dienst... äh... leister nennen könnt. Der bin ich, durchaus."
      Er nickte ein paar Mal, so als hätten seine Worte erst Bestand, wenn er sie mit ausreichender Mimik stützte, bevor er seinen Blick auf den herauskugelnden Stein richtete. Seine Augen hatten zur jeder Zeit etwas glasiges, fast trübes an sich, so als würde ihnen ein gewisser Lebenssaft fehlen, und auch jetzt starrten sie eher kränklich auf den hopsenden Gegenstand, aber seine Pupillen weiteten sich merklich. Er beugte sich vor, so weit, dass seine Brust fast auf dem Tisch auflag, und betrachtete den Stein dann aus nächster Nähe. Erst von vorne, dann von den Seiten und zum Schluss von hinten, bevor er Prysk, der noch immer im Hintergrund stand, einen kurzen und fast nebensächlichen Blick zuwarf. Dann kniff er allerdings die Augen zusammen und knurrte:
      "Ich mag keine Ziegenhirten..." Bevor er sich wieder dem Stein zuwandte.
      "Kann man ihn anfassen? Hochnehmen? Bewegen?"
      Er wartete auf die Antwort, dann streckte er zwei dünne Finger nach dem Stein aus, nahm ihn auf und hielt ihn in die Luft. Wieder sah er ihn sich von allen Seiten an, diesmal auch von unten und von oben, dann ging er ein Stück weg nach draußen, richtete sich nach der Sonne aus, wiederholte das Prozedere mit der Sonne hinter dem Stein und dann mit dem Stein in seinem Schatten. Er balancierte ihn auch einmal in seiner Hand, er hielt ihn so weit nach oben, bis es nicht mehr weiterging, legte ihn dann auf den Boden vor sich, ging ein paar Schritte weg, drehte sich zur Seite, wandte sich wieder dem Stein zu, kam zurück, stellte sich über ihn. Er nahm ihn wieder auf, hielt ihn auf seiner Handfläche, hauchte ihn an, kratzte über seine Oberfläche, rieb an ihm, leckte ihn ab, warf ihn hoch und fing ihn auch wieder auf. Er ließ ihn in seiner Tasche verschwinden, holte ihn hervor, legte ihn sich auf den Kopf, balancierte ihn auf dem Ellbogen und steckte ihn sich unter die Achsel. Nachdem er solche und etliche weitere Versuche durchgeführt hatte, kehrte er an den Tisch zurück und platzierte den Stein so vorsichtig auf der Tischplatte, als könne er bei der geringsten Erschütterung kaputt gehen. Dann wandte er sich an Rufus und verschränkte die Hände vor dem Bauch.
      "Ich kann euch sagen, dass es ein Mineral ist. Wenn ihr Pech habt, ist es ein mit Leuchtfarbe angemalter Stein. Wenn ihr Glück habt", er senkte die Stimme und lehnte sich zu Rufus vor, sodass sein fauliger, abgestandener Atem über dessen Gesicht strich, "ist es das Herz des Drachen von Kartosus."
      Er richtete sich wieder auf.
      "In welchem Fall das Untier uns heimsuchen wird, um sein Hab und Gut zurück zu fordern. Das ist dann aber eure Schuld und nicht meine. ... Ich meine natürlich: Das ist dann euer tölpelhaftes Vergehen und nicht meines Gutwillens zuzuschreiben, ihr trostlosen Hirten. Wenn ich euch eine konkretere Auskunft geben soll, brauche ich ein paar Tage und 10 Ringe pro Tag. Pro angefangenem Tag. Also zählt dieser Tag schon dazu. Heute."
      Er präsentierte beim Grinsen eine Reihe fauliger Zähne, dann streckte er die geöffnete Handfläche nach den beiden Männern aus.
    • Ob sie hier wirklich richtig waren?
      Prysk zog dieses gesamte Schauspiel eine ganze Zeit bereits in Frage. Diese lebende Leiche hatte mehr von einem Stadtstreicher denn von einem Experten und irgendwie erschien ihm die ganze Situation nicht geheuer. Der Mann war eigentlich zu freundlich dafür, dass er ein Arschloch sein sollte und zu einem Arschloch gehörte. Unauffällig sah der Jäger sich um und entdeckte doch keine Wachen, die ihm Angst machen sollten.
      Entweder war der Mann, was er behauptete und ausgesprochen dumm dabei oder aber die Welt fürchtete sich genug vor ihm, dass er keine Wachen brauchte. Und letzteres gefiel dem Jäger überhaupt nicht.
      Als er den Stein zu untersuchen begann, musste sich Prysk abdrehen. In der Sekunde beschloss er, diesen Stein niemals wieder anzufassen. Die Zunge einer LEiche hatte ihn immerhin berührt. Da wo er herkam, brachte das Unglück.
      Als die Untersuchung abgeschlossen war, lauschten beide dem Experten aufmerksam und sahen sich an, als er von einem Herz des Drachen von Kartosus sprach. Und beide wollten sie nicht zugeben, dass sie nicht einen Hauch einer Ahnung hatten, was dieser Drache eigentlich war?
      Rufus wollte gerade Luft holen, als die zweite Erklärung folgte und sich beide erneut bleich wie die Totenwand ansahen. Und nicht die dräuende Ankunft eines Drachen war das Problem!
      "10 Ringe?????", donnerten Rufus und Prysk unisono und beide rissen die Augen auf als wäre der Leibhaftige ihnen begeg-
      Oh! Das war er sogar!
      "Ich glaube, werter Freund, deine Preisgestaltung ist - gelinde gesagt - Wahnsinn!"; murmelte Prysk und zuckte die Achseln. "Du hast den Stein betatscht und abgeleckt und ich bin gerne bereit, deine Mühen zu entlohen, aber 10 sind zu viel. Einen Ring vermag ich dir zu geben. Eine weitere Untersuchung ist nicht notwendig, denke ich. Oder Prysk?"
      "Scheiße, nein!"
      "Hast du gerade Scheiße gesagt?"
      "Natürlich habe ich!", sagte Rufus und sah auf die ausgestreckte Hand des Händlers. "Das ist ein überzogener Preis und so viel haben wir nicht! Wir sollten eine andere Möglichkeit finden."
      Prysk hörte den letzten Satz nicht, da er sich die Hand vor die Stirn schlug und seufzte.
      Regel 1 des Hehlens: Gib niemals zu, dass du keine Kohle hast.

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    • Ein Grinsen breitete sich auf Eres' Gesicht aus, dass das alte noch überstrahlte und eine ganz neue Schicht von Falten hervorbrachte. Seine Augen verschwanden zum Teil hinter Lachfalten, die vor Äonen mal ganz attraktiv gewirkt hätten, jetzt aber so aussah, als würde ein Krokodil die Augen schließen.
      "Aber das ist doch kein Problem, gar kein Problem! Wir sind hier doch schließlich keine Gauner, nicht wahr?"
      Er grinste erst Rufus an und dann Prysk, so als würde er jetzt eine ganz besondere Strategie verfolgen.
      "Und ich bin auch kein Halsabschneider. Fünf Ringe geh ich für euch runter, fünf ganze Ringe! Davon könnte ich eine ganze Hand schmücken!"
      Er hob seine Rechte und wackelte mit den Fingern, nur um zu verdeutlichen, wie viel Ringe da noch Platz hatten. Das Grinsen wurde keinen Augenblick schwächer.
      "Fünf Ringe - aber erzählt es keinem, nicht einer Menschenseele! So ein Angebot mach ich nur für euch arme Hirten."
      Er zwinkerte ihnen zu, dann streckte er ihnen wieder die Hand entgegen, um seine Bezahlung entgegenzunehmen. Als sie in seine Handfläche klimperte, ließ er sie so schnell in seiner Tasche verschwinden, dass er nur einen Moment später wieder ohne dastand.
      "Dann gebt mir einen Tag, ich werde euch morgen früh die ersten Erkenntnisse präsentieren."
      Immernoch reichlichst grinsend drehte er auf dem Absatz um und marschierte zurück in sein Zelt.

      Den ganzen restlichen Tag kam er nicht mehr heraus. Was vorher wie ein Müllhaufen gewirkt hatte, wurde wieder genau das: Ein Müllhaufen. Sein Insasse, der einzige Mensch in ganz Cheynia, der hinter dem Müllhaufen wohl einen Zweck saß, ließ sich nicht mehr blicken. Er verschwand und alles, was von ihm übrig war, war eine Pfütze von der Stelle, an der er aus dem Wasser gekommen war, die aber auch im Laufe des Tages irgendwann trocknete.
      Als sich der Abend näherte und schließlich die Nacht sich wieder über Cheynia senkte, wobei das Licht aus spärlichen Ecken kam und die Taverne, das Rathaus, einen Großteil der Hauptstraße, aber nicht den kleinen Hafen erleuchtete, an dem der Müllhaufen vor sich hin vegetierte, schälte Eres sich aus den Umgrenzungen seines Gefängnis. Er war kein kleiner Mann, er war auch nicht wirklich schmächtig, aber seine gekrümmte Gestalt duckte sich in die Schatten, als wären sie dafür geschaffen worden, sich um seine Schultern zu schließen und seine Figur vor neugierigen Augen zu schützen. Es lag auch nichts zufälliges in der Art, wie er sich von Dunkelheit zu Dunkelheit schlängelte, einem Raubtier gleich, das sich auf die Jagd machte. Er verließ seinen Bau und Eres schlich sich niemals ohne ein Ziel nach draußen.
      Die Gestalt verschwand im Rathaus.

      "Hä?"
      "Magie. Reine Magie."
      Der Stein leuchtete auf dem Tisch des Bürgermeisters. Dieser hatte sich von der Taverne einen Krug Met bringen lassen und starrte jetzt mit aufgeklapptem Mund auf den Gegenstand.
      "Magie?"
      "Ma-gie."
      "Was kann er?"
      Eres' Augen leuchteten fast so hell wie der Stein selbst.
      "Alles."
      "Wie, alles?"
      "Er ist mächtig. Allmächtig. Vielleicht sogar vom Allmächtigen persönlich. Vielleicht ist er der Allmächtige?"
      "Spinn dich aus, Eres. Was meinst du mit alles?"
      "Es ist Magie, was soll ich schon meinen?"
      "Naja - ach keine Ahnung. Wo hast du ihn her? Ich meine, wo haben sie ihn her?"
      "Habe ich nicht gefragt."
      "Warum nicht?"
      "Der Preis war schon schwierig zu verhandeln. Hätte sie sonst abgeschreckt."
      "Und wo sind sie jetzt?"
      "In der Stadt. Ich kann es herausfinden."
      "Finde es heraus. Ich will wissen, woher sie ihn haben. Ich will mehr davon."
    • "Fünf Ringe, verdammte Scheiße!"
      Prysk war kein besonders geduldiger Mann. Ausdrucksstark mochte er sein, jedoch hielt sich das Ausmaß seiner Formulierungspallette nun doch deutlich in Grenzen. Dies änderte auch nichts an dem Umstand, dass der Jäger verdammt wütend war. Mochte es an den in den Taschen vergrabenen Händen liegen, die den Stein kneteten? Möglich. Viel eher lag es jedoch an dem wütenden Blick, den er Jedem entgegen warf, der ihnen begegnete. Einige Kinder hatten bereits zu weinen und Mütter entsprechend zu schreien begonnen. Ihr Götter, konnte Prysk noch schnell laufen, wenn eine Holzlatte über seinem Kopf kreiste!
      "Es waren nur fünf. Er hätte zehn haben können", murmelte Rufus seufzend und blickte sich neugierig in der wiedererwachten Stadt um. Leben kam nach Cheynia und er fühlte sich das erste Mal wieder innerhalb einer Gemeinschaft. Auch wenn sie beide kein nützlicher Teil waren. Hatte nicht Dany von einer Aufgabe gesprochen?
      Selbst Prysk langweilte sich in der Vorstellung, dass er es wieder nicht geschafft hatte, etwas in Erfahrung zu bringen. Aber wie sollte man das auch, wenn man niemals Jemanden fand, der auch nur ansatzweise über etwas Bescheid weiß?
      "Wir hätten nicht herkommen sollen", knurrte Prysk und seufzte ebenfalls. Ihn hüngerte. Und zu essen hatten sie nichts. Schweigsam liefen die beiden Jäger über die Hauptstraße und sahen sich nach entweder Essbarem oder aber Waren um, die sich zu erwerben lohnten. Bei beidem wurden sie nicht fündig.
      "Vielleicht sollten wir zu dieser Dany zurück...", bemerkte Rufus mit einem Achselzucken und erntete dafür einen wütenden Blick des Jägers.
      "Nur über meine verfluchte Leiche."
      "Ich dachte, ihr hättet euch versöhnt?"
      "Versöhnt? Sind wir ein verfluchtes Ehepaar? Es bleibt dabei, dass sie uns beschissen hat und ich habe nicht vor, meinen entzückenden Hintern erneut ihrer Gnade auszusetzen. Wir sollten langsam die anderen rufen und uns wieder auf den Weg zur Grenze machen. Auch wenn wir nicht wissen, was es für ein Stein ist, können wir zumindest weiter suchen."
      Anschließend wieß´er auf das Buch an seiner Seite.
      "Und du könntest in deinem Buch nachsehen ob es dazu etwas gibt."
      "Es gibt nichts über den Stein", murmelte Rufus. "Es schweigt. Wie allen Tagen. Und was machen wir stattdessen? Einfach abziehen?"
      "Wir sorgen für Proviant, das heißt...Du sorgst für Proviant und ich schaue mich nach Kurzaufträgen in der STadt um."
      Rufus seufzte und schüttelte den Kopf. Immer bekam er die Drecksaufgaben.
      "In Ordnung. Ich gehe zum Krämer. Aber du finde nichts Anstößiges wie letztes Mal. Und lass die Huren in Ruhe!", rief er seinem Meister hinterher, der bereits verdächtig schnell in eine Richtung abzog.
      Innerlich wusste Rufus, dass er ihn aus einem Hurenhaus zerren würde müssen.

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    • Es war erstaunlich einfach, die beiden Fremden zu finden, denn sie waren in etwa so vorhersehbar wie ein Stein. Eres brauchte gerademal zwei Anläufe, dann hatte er den einen von ihnen aufgefunden.
      Die leicht gebeugte, dünne Gestalt des Sammlers schob sich durch den miefenden, befleckten Vorhang ins düstere, von Kerzen beschienene Innere des Freudenhauses, das genau sechs Angebote hatte: Valerie, Natalie, Aurelie, Amelie, Isalie und Maralie. Bis auf den Berufsstand hatten alle sechs allerdings, entgegen gängiger Vermutung, nichts miteinander gemein.
      Eres schlich an dem Wachmann vorbei, der groß und bullig war und es niemals gewagt hätte, den Sammler auch nur anzufassen, steuerte dann ganz zielgerichtet die Gestalt des Fremden an, der hier herum lungerte, bevor er sich in seiner Nähe endlich aus den Schatten schälte, in den dämmrigen Schein tat und sich aus purem Zufall in seiner Nähe niederließ. Er gab dem ganzen Augenblick einen Moment Zeit, um auch wirklich den Effekt des Zufalls heraufzubeschwören, dann wandte er sich höchst gelassen - wie er selbst fand - zu dem Hirten um und ließ ein fürchterliches und lückenreiches Grinsen aufblitzen.
      "Ah - so sieht man sich wieder. Was für ein... Zufall."
      Auch seine Augen blitzten auf, dann lehnte er sich zurück und streckte seine knochigen Glieder, ohne Anstalten zu machen, nach einem der Mädchen Ausschau zu halten. Wenn er eine Frau wollte, würde er eine bekommen, dafür musste er nicht hierherkommen. Der Bürgermeister sorgte schon dafür.
      "Hübsches Örtchen, unser Cheynia, nicht wahr? Sicherlich schöner als dort, wo ihr herkommt? Wo auch immer das ist...?"
    • Die Augen von Isalie hatten eine Tiefe, die Prysk noch nie gesehen hatte.
      Mitnichten galt diese Frau als wunderschön oder Göttin. Sie war bestenfalls als durchschnittlich anzusehen, wenn man von den Unreinheiten absah, die ihre Haut mit sich trug. Doch etwas an ihrem Gesicht hatte Prysk derart gefesselt, dass er sie nach Betreten der schmuddeligen Kaschemme direkt ausgewählt hatte. Ein Preis war schnell verhandelt, obschon der Jäger nichts dergleichen im Sinn hatte. Er hatte es Niemandem erzählt. Und zumeist schwiegen die Dirnen, wenn er ihnen genug bot. So auch hier.
      Als sie das Separee betraten und Isalie sich bereits entkleiden wollte, hob er eine Hand beschwichtigend.
      "Lass ab", murmelte er mit rauer Stimme und ließ sich auf einem der wackeligen Schemel nieder. Beinahe achtlos warf er drei Ringe - der vereinbarte Preis - auf den Tisch.
      "Der Preis gilt im vollen Maße, egal ob wir es richtig tun oder ich nur mit dem Mund-"
      Prysk schüttelte energisch den Kopf.
      "Drei Ringe", begann er erneut. "Für dein Schweigen und drei Fragen, die du mir beantwortest. Haben wir einen Handel?"
      "Drei Fragen?"
      Ein Nicken.
      "In Ordnung. Drei Ringe für drei Antworten und Schweigen."
      Ein erneutes Nicken.
      "Gut", murmelte der Jäger. "Frage 1: Wo bin ich?"
      "Was?"
      "Wo ich bin..."
      Isalie legte den Kopf leicht schief und schüttelte den Kopf. Was Alkohol auch aus Menschen machte...Das war wirklich erstaunlich. Nicht einmal das wusste dieser Mann.
      "In Cheynia. An der Küste."
      Prysk nickte. "Frage 2: Welchen Tag haben wir heute?"
      "Tag? Also...Äh...Ich glaube, es ist der 2. Tag der Woche. Gleich nach dem Aufgangsfest."
      "2. Tag, soso...", murmelte der Jäger erneut und wischte sich durch das Gesicht. "Letzte Frage: Welches Jahr haben wir?"
      Und auch wenn Isalie schon viele Menschen gesehen hatte, so waren die Augen dieses Mannes das Gruseligste, was sie kannte. Es erschien beinahe so als wisse er das alles wirklich nicht...

      Zwanzig Minuten später genoß Prysk ein kühles Getränk an der Bar und sah nachdenklich auf die Brüste einer anderen Hure. Als wäre dieser Obszönität nicht genug ließ er sich ebenfalls zu einem schmierigen Grinsen herleiten, als die Dame sich brüskiert zur Seite drehte. Huren dieser Tage...Nichts als Selbstbewusstsein. Wo waren die guten alten Zeiten hin, in denen sie alle Probleme mit ihren Vätern oder Brüdern hatten?
      Beinahe enttäuscht goss er das Getränk in den Schlund und erbrach sich beinahe, als ihn eine Stimme von der Seite ansprach. Unmännlich schreiend hüpfte er geradezu einen Meter zur Seite und ergab sich in den weltgrößten Hustenkrampf den er aufbieten konnte. So heftig zuckte seine Lunge, dass der Schmuck seiner Haare im Rhythmus klimperte, während er in dieses zahnlose GEsicht des Geistes sah.
      "Was zum...", keuchte er und sah zu Eres. "Herrgott, Ihr habt echt Nerven, Geistermann! Ich hätte beinahe meine Zunge verschluckt!"
      Ärgerlich wischte er sich einen großen Teil des Getränks aus dem Bart und sah den Händler mit einem misstrauischen Blick an.
      Eine Augenbraue wanderte nach oben, ehe er das Glas abstellte und seufzte.
      "Ja, schön...Ich weiß nicht. Ich sah Schöneres, ich sah Schlechteres", sagte Prysk und zuckte mit den Schultern. "Und wo ich herkomme geht Niemanden etwas an. Was tut Ihr hier? Interesse an ein wenig Zerstreuung?"

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    • Dieses Mal ließ sich Eres nicht zur gleichen Reaktion verleiten wie der Hirte. Er verblieb auf seinem Stuhl sitzend, das Lächeln in seinem Gesicht, das vermutlich mehr von den Konturen seines Skeletts preisgab, als verträglich wäre. Eine gewisse Befriedigung trat in seine Augen, weil er dem anderen eine solche Reaktion entlockt hatte.
      "Nicht allzu sehr gesprächig, wie? Das ist schon fast zu schade. Ich interessiere mich für alle Fremden, die hier vorbeikommen. Irgendwann kennt man schließlich alle, die hier wohnen. Mehr oder weniger."
      Er lehnte sich nach vorne auf dem Tresen und versuchte, von dem Wirt Wasser mit Zimt zu bestellen, was der ihm verweigerte. Normales Wasser könne er bekommen, sogar ungesalzen. Aber darauf verzichtete Eres dann wiederum.
      "Ich habe früher in einer Siedlung im Osten gewohnt, dort gab es aber wesentlich weniger Einwohner wie hier. Aber ihr seid sicher sowieso gut genug herumgekommen, dass das hier kaum aufregend sein dürfte, oder? Nur eine kleine Stadt am Hafen, nichts weiter. Wenigstens das Met ist nicht ganz schlecht und bezahlbar."
      Er richtete seine halb toten und gleichzeitig halb brennend wirkenden Augen auf Prysk.
      "Hier ist nachts weniger los als in der Taverne, daher komme ich her. Aber wo ich dich gerade hier habe: Wo habt ihr den Stein her? Es könnte mir bei meinen Recherchen helfen zu wissen, aus welcher Gegend er stammt.
    • Eine Weile lang beobachtete Prysk den Geistermann nur.
      Es war nicht die Tatsache, dass er unfreundlich erschien, sondern vielmehr diese inhärente Neugierde, die er nicht mochte. Prysk hasste Neugierde, vor allem in Zeiten der Sommersonne, wo es ohnehin viel zu heiß war zum Nachdenken. Nicht, dass sich dieses Klima in Cheynia niedergeschlagen hätte, aber die salzige Luft und die Sterne verhießen nichts Gutes.
      Und eigentlich hatte der Jäger einfach keine Lust, sich großartig zu unterhalten. Warum sollte er auch? Dieser Kerl war der Inbegriff von Zwielicht und irgendwie regte sich ein merkwürdiges Gefühl in seiner Magengegend. Vielleicht sollte er das Signal schon früher geben?
      "Wasser mit Zimt?", fragte er mit einer hochgezogenen Braue. "Eine erstaunliche Wahl möchte ich meinen."
      Schweigsam bestellte er beim Wirt noch ein weiteres Glas, nachdem er den größten Teil seines Getränks inhaliert hatte und sah zu Eres, während dieser sprach.
      Herrgott, wie wurde er diesen Kerl los?
      Und wie schaffte er es, dass er ihn nicht mit diesen Augen ansah? Er fühlte sich nackt, obschon bekleidet.
      "Im Osten, soso", nickte Prysk. "Im Osten waren wir auch bereits vor einiger Zeit. Ziemlich karg dort. Wo habt Ihr gelebt?"
      Auf seine letzte Frage hin wurde der Jäger alarmiert. Da war es also, das Motiv! Der Grund für all dieses "nette" Gehabe. Für einen Moment lang genoß er das kühlende Nass an seiner Kehle und seufzte tonlos, als er das Glas abstellte. Die Frage war nur, was er ihm erzählte und was besser nicht?
      Mit suchenden Augen richtete er seinen Blick in das Gesicht des Händlers. Auf der Suche nach einem Verrat, einem Motiv oder der leisen Bewegung mit Griff zur Waffe. Seine lagen bereit, auf seinem Steiß. Über Kreuz und bereit, gezogen zu werden. Nur würde das Chaos diesem Laden nicht zuträglich sein.
      "Ich dachte, der Stein könnte gar nichts sein? Wenn er gar nichts ist, warum interessiert es Euch?"; fragte Prysk um Zeit zu schinden. Der Laden war ruhig, beinahe zu ruhig. Aber immerhin sah er keine Gehilfen. "Ich habe den Stein gefunden. In Ruinen."

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    • "Das sagst du nur, bis du es mal getrunken hast", kam die noch immer recht heitere Antwort. Das Grinsen von Eres war noch nicht verschwunden, eigentlich nahm es sogar eher noch ein bisschen zu.
      "Meine Siedlung gibt es nicht mehr, deswegen bin ich ja weg. Zu viele Mutanten. Vielleicht zu wenig Menschen, je nachdem, wie man es sehen mag."
      Seine Augen hatten sich mittlerweile so starr auf Prysk abgesetzt, dass er ihn regelrecht niederzustarren schien. Er vergaß sogar das Blinzeln dabei, obwohl seine Augäpfel nicht so wirkten, als bräuchten sie die Feuchtigkeit. Seine Pupillen waren riesig, selbst in der Dunkelheit der Kaschemme.
      "Vielleicht ist er gar nichts, vielleicht ist er alles. Vielleicht ist er nur ein Stein, vielleicht ist er die Lösung unser aller Probleme. Vielleicht - v i e l l e i c h t - birgt er die Seele eines Urtitanen, eines Schöpfers unserer Zeit. Eines Gottes."
      Er starrte Prysk noch viel verschwörerischer an, als er schon zuvor getan hatte, und dann leuchtete etwas in seinem Gesicht auf, als der andere ihm lediglich offenbarte, den Stein von einer Ruine zu haben. Als wäre das die ultimative Antwort gewesen, nach der er sein Leben lang gesucht hatte, strahlte er für einen Moment - danach hatte er seine Mimik wieder im Griff und zurück blieb nur das Leuchten seiner Augen, das allerdings nicht stark genug war, um die Trübheit darin zu vertreiben.
      "Eine Ruine also, ja? Eine Ruine... eine... Ru-i-ne..."
      Sein Blick entglitt ihm und starrte für einen Augenblick durch Prysk hindurch, dann hatte er sich wieder gefangen. Das Grinsen hatte sich noch immer nicht geschmälert.
      "Also ist es eine Entdeckung. Ein Fund. Eine Beute. Ein Preis..."
      Er sprach mehr zu sich selbst, auch wenn er den anderen dabei ansah. Kaum eine Sekunde später sprang er auf.
      "Das hilft mir weiter. Das ist sehr hilfreich. Das ist sogar wichtig, sehr wichtig, äußerst wichtig. Wichtig für die Forschung, wichtig für die Menschheit. Genießt Euren Abend, werter Herr! Aufdass die Blüten immer weiter... äh... blumen! Blühen!"
      Er ging in einem hastigen Rückwärtsschritt in Richtung Ausgang.
      "Kommt morgen zurück zu meinem Königreich! Ich will Euch zeigen, was ich bis dahin herausgefunden habe!"
      Dann verschwand er.
    • "Mutanten, huh", murmelte Prysk und trank einen Schluck.
      Sie alle hatten bereits Kontakt zu den ein oder anderen Mutanten geknüpft, jedoch mit wechselseitigen Wirkungen. Prysk selbst hatte eigentlich recht positive Erfahrungen gemacht, sofern man den rechten Preis bot. Aber offenbar hatte dieser hier nichts dergleichen erlebt. Nickend nahm er den Erfahrungsbericht zur Kenntnis und sah dann wieder zur Seite.
      Um sich des gruseligsten Blickes gewahr zu werden, den er je erlebt hatte. Beinahe erneut verschluckte er sich an seinem Getränk, was ihm heiß und scharf durch die Nase rann, als er ein wenig Abstand zwischen sich und den Händler brachte. Und dieses Grinsen. Herrgott, was stimmte denn nicht mit diesem Kerl?
      "Ja, eine verdammte Ru-I-ne", bestätigte Prysk in denselben langsamen Ton des Händlers und war beinahe erfreut, dass er mehr mit sich selbst als mit anderen sprach.
      Indes neigte der Jäger sich zu dem Wirt hinüber und fuhr mit der Hand vor der Stirn entlang, als wische er etwas von den Augen. Völlig Plemplem, der Gute, dachte der Jäger und lehnte sich zurück, um ihn langsam verschwinden zu sehen.
      "Ja, äh...Blumen blühen!", rief er ihm hinterher, ehe er das Glas wieder ansetzte. "Was für ein Spinner."

      Es dauerte noch eine gute halbe Stunde, ehe Prysk sich von dem Treffen erholt hatte.
      Mürrisch warf er drei Ringe für drei Getränke auf den Tisch und wunderte sich, dass seine Taschen langsam leichter wurden. Kein Wunder. Eine Hure kostete Geld und Vorräte auch. SIe würden wieder lange auf die Suche gehen müssen, ehe sie wieder essbares fanden. Und vielleicht versuchte er sein Glück weiter im Norden. Die Grenze war weit und es ließ sich viel dort finden, wenn man zu suchen wusste. Noch ehe er den Laden verlassen konnte, kam Isalie wieder heran an ihn und zupfte an seiner Jacke.
      "Hast du es?", fragte er geheimnisvoll grinsend.
      "Ja, habe ich. Aber Ihr seid Euch sicher? Also, dass es so gehört?"
      "Ja, das bin ich. Hast du alles geschrieben, wie ich es sagte?"
      Isalie nickte und präsentierte ein Pergament. Nicht, dass Prysk besonders gut lesen konnte, aber zumindest einige Worte vermochte er zu entziffern.
      "Was steht da?", fragte er dennoch.
      "Das, was Ihr sagtet. "Lysander. Komme eilig nach Cheynia. Es hat vermutlich ein zweites Erwachen gegeben. Bring sie alle. Prysk."
      Der Jäger nickte ob der Worte und beugte sich wieder zu Isalie.
      "Und nun das Weitere: Suche einen Händler. Einem, dem du vertraust. Nicht diesen Eres oder Eros."
      "Eres."
      "Wie auch immer! Suche einen und lass ihn diesen Brief überbringen. Er soll einen Tross im Norden, etwa einen Tagesritt von hier entfernt suchen. Er soll Ausschau nach einer großen Eule halten und sich nicht fürchten."
      "Fürchten?"
      "Er wird es merken. Nur Jemandem, den du vertraust, hörst du?"
      Er bläute es ihr mit einem Fingerzeig ein und richtete sich wieder auf. Anschließend neigte er leicht den Kopf und machte sich auf den Weg in Richtung des Marktplatzes. Rufus war bestimmt schon fertig und immerhin hatten sie morgen noch eine Verabredung. Schweigsam zog er beim Rausgehen eines seiner Messer und sah auf dieses hinab. Wie befürchtet. Es leuchtete nicht mehr.

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    • Die Nacht verging ohne Zwischenfälle und der Morgen kam, ohne dass die Stadt in der Zwischenzeit untergegangen wäre. In Cheynia wurde man früh wach weil die Möwen kreischten, struppige, verfilzte Tiere mit halben Beinen und zu langen Schnäbeln, die über das Hafengebiet kreisten und schroff ihren Hunger herausschrien. Hier herrschte ein stricktes Tier-Füttern-Verbot, damit man sich keine Krankheiten von ihnen einfing - nicht, dass sowieso viel essbares übrig geblieben wäre, um die störenden Viecher zufrieden zu stellen. So musste man sich eben dem Geschrei ergeben und damit dem natürlichen morgendlichen Wecker.
      Eres saß in seinem Zelt, machte sich Luftnotizen mit dem Finger und sprach mit sich selbst, als seine neuesten Auftraggeber hereinkamen. Dieses Mal musste keiner bei irgendwelchem Anblick schreien - bis auf die Möwen draußen - und so sprang er von selbst auf und grinste die beiden Hirten strahlend an.
      "Meine Herren, ich habe ganz fabelhafte Neuigkeiten! Ihr Stein ist durchaus nicht nur ein Stein - er ist sogar noch weitaus mehr als das. Ein Schmuckstück ist er auch nicht. Ich denke, es handelt sich um das Bruchstück eines Relikts."
      Er hielt ihnen ihren Fund hin, den leuchtenden Stein, der zwar unbefleckt war, aber zweifellos weitere Untersuchungen wie die vom letzten Tag über sich hatte ergehen lassen müssen.
      "Ein Puzzleteil fürs Große Ganze, wie man meinen möchte. Dort wo er herkommt, muss es noch mehr geben - vermutlich keine Steine, vermutlich nicht einmal etwas vergleichbares, aber etwas, das seinen Zweck erfüllt. Denn mit diesem Kunstwerk, meine lieben Herrschaften, lässt sich Magie verrichten. Ganz reine Magie."
      Jetzt hielt er den Stein wie etwas heiliges hoch, das er sicherlich auch darstellte, und präsentierte ihn den beiden.
      "Allerdings, so möchte ich vermerken, ist mir seine Herkunft noch immer nicht bekannt. Ich kann Ihnen auch nicht offenbaren, woher er seine Energie nimmt oder wo die Grenzen seine Macht liegen. Da es sich bei reiner Magie stets um eine limitierte Ressource handelt, muss auch dieses Prachtexemplar eines Tages an sein Limit kommen, aber ich kann Ihnen nicht sagen wann. Ich kann Ihnen auch nicht sagen, was dann passieren mag."
      Er nahm den Stein wieder runter, betrachtete die Männer erneut und streckte dann seine geöffnete Hand aus.
      "Ich kann es aber herausfinden. Für nur weitere fünf Ringe am Tag."
    • Die Nacht glitt wie der vergangene Tag regelrecht dahin, wenn man die wenigen nächtlichen Störungen durch herumtorkelnde Betrunkene nicht mitzählte.
      Prysk hatte sich einem Geiste gleich aus dem nächtlichen Koma erhoben, nachdem er noch einige weitere klare Getränke zu sich genommen hatte. Er hatte Rufus nicht finden können, der scheinbar seine Zeit beim örtlichen Krämer verplempert hatte und so die nächste Schänke anvisiert.
      Zum Dank war er einige Ringe ärmer und einige Krüge Alkohol im Bauch reicher.
      Dementsprechend gaben die beiden Ziegenhirten ein recht erbärmliches Bild ab, als sie vor dem Händler Eres standen und ihm bei seinen Luftnotizen zuschauten.
      Konnte dieser Kerl eigentlich noch merkwürdiger werden?
      Rufus drückte sich ein wenig im Hintergrund herum, während Prysk sich schwer am Tisch abstützte und einer lebenden Leiche eher ähnlich sah als Eres, der sie freudenstrahlend begrüßte.
      Grunzend nahm er die ersten Sätze des Händlers zur Kenntnis und versuchte, nicht dabei zu sterben, während er sich ausmalte, was der Händler da von sich gab.
      ein Relikt? Ein Bruchstück? Nun, das war an sich nicht viel Neues. Sicherlich war es ein Bruchstück, das ließ sich gut herausarbeiten, jedoch horchte der Jäger bei dem Relikt auf. Er hatte es gespürt und beinahe behauptet, er hätte es gewusst, doch find sich im rechten Augenblick wieder.
      Schweigsam lauschte er dem Händler und wunderte sich insgeheim, wie viel und wie schnell Leben in seinen müden Geist rutschte, während Rufus die Ohren spitzte und seine Hand enger um das Buch schlang, das er unter dem Arm trug.
      "Mehr...", murmelte Prysk und fuhr sich mit der schmutzigen Hand durch den Bart. "Das, was Ihr sagt, hat durchaus Sinn, Händler..."
      Sei es aus der Vorsicht heraus oder nicht, aber irgendetwas sagte ihm, dass er nicht länger zögern oder den Stein auf dieser ausgebreiteten Hand anstarren sollte. Vielleicht ein wenig zu eilig huschte die Hand des Jägers vor und griff nach dem Stein, der noch immer diese merkwürdige Wärme aus. Seufzend schloss er die Faust um den Stein und schüttelte den Kopf.
      "Ich denke, Ihr habt wahrlich Euer bisheriges Geld mehr als zurecht verdient, Eres", murmelte Prysk und blickte erst dann von seiner Faust ab, nachdem sich der Stein bedenklich in seine Faust brannte. "Ich denke, wir brauchen keine weiteren Erkenntnisse. Ich danke Euch für Eure Hilfe!"
      Grinsend schüttelte Pryk mit der anderen hand die Hand des Händlers und grinste breit und beinahe unecht freundlich, während Rufus seufzte.
      Es wäre nützlich, mehr zu wissen, aber etwas sagte auch ihm, dass sie alsbald fort sollten.
      "Alsdann! Ich wünsche Euch ein schönes Leben und fröhliches...äh...Blühen!", sagte Prysk und wandte sich mit einer knappen Geste an Rufus zum Gehen.
      Ob sie noch bei Dany vorbei schauen wollten?

      The more that I reach out for heaven
      The more you drag me to hell