Nemeton [Codren & Nico]

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    • Fast augenblicklich kam die erwartete Gegenwehr: Danys Warnung wurde mit der rationalen Beobachtung ausgehebelt, dass sie keinerlei Anhaltspunkte aufzeigen konnte, ja noch nicht einmal beweisen konnte, überhaupt etwas gehört zu haben. Sie hätte es sich vollständig einbilden können, oder noch viel schlimmer, sie könnte die anderen absichtlich zu manipulieren versuchen, aber erstaunlicherweise kam der Einspruch nicht von Prysk, sondern von Urret. Prysk dagegen - Prysk zweifelte keine Sekunde an ihr. Er betrachtete sie sogar als unweigerlichen Teil dieser Gruppe, so wie die anderen auch welche waren. Hätte er auf Urret gehört, wenn der eine solche Warnung ausgesprochen hatte? Sicher. Und so tat er es auch bei Dany.
      Woher dieses Vertrauen kam, ließ sich nicht bestimmen. Bei allen Mitteln, Dany hatte ihm kaum jemals einen Grund gegeben, ihr zu vertrauen; sie hatte ihn angenörgelt, ihm Vorwürfe gemacht, ihm die Schuld in die Schuhe geschoben, hatte ihn beleidigt, beschimpft und ihre Probleme zu seinen gemacht. Er hatte keinen Grund, ihr Wort jetzt für bare Münze zu nehmen, aber er tat es trotzdem.
      Und das rechnete sie ihm hoch an. Auch, wenn sie keine Regung von sich gab, als die ganze Truppe sich ihrem Vorschlag anschloss und die Richtung wechselte. Das Bild, das sie von Prysk in ihrem Kopf hatte, wurde von dieser selbstlosen Tat ungemein aufgehellt.

      Sie ritten versetzt weiter und blieben dann, als der Wald sich abrupt auflöste und an einer kleinen Klippe endete, vor der unweigerlichen Sackgasse stehen. Unten ging das Dickicht weiter, genauso wie die Spuren; weiter hinten kündete eine Rauchsäule am hellichten Tag ein festes Lager an. Sie schienen wohl keine Angst davor zu haben, entdeckt zu werden, was wohl niemanden wundern sollte. Wer magische Fallen legte und einen wohl erprobten Kämpfer entführte, ohne Kampfspuren zu hinterlassen, konnte es auch auf sich nehmen, sich mit herumstreichenden Banden auseinanderzuschlagen.
      Nur Prysks Truppe konnte das nicht. Sie waren zu fünft gegen mindestens einen Nordkeiler und eine unbekannte Anzahl Unbekannter. Das Risiko, in der Unterzahl zu sein, mussten sie durch etwas anderes ausgleichen.
      Arwen rutschte auf seinem Sattel zurecht und blickte einige Sekunden lang ernst ins Tal hinab. Urrets Gefühl schien er zu teilen, auch wenn er es nicht in Worte fasste.
      "Wir sollten nichts überstürzen. Orec hat nichts davon, wenn wir gar nicht erst zu ihm durchkommen."
      Arwen verstummte, auch wenn es sich nicht so anhörte, als wäre er bereits fertig gewesen. Kurz darauf drehte er den Kopf, aber nicht zu Prysk, sondern zu Dany.
      "Also?"
      "Was?"
      "Was ist deine Einschätzung?"
      Dany starrte die beiden Männer an. Sie hatte noch niemals ernsthaft ein Kommando gefällt, geschweige denn ihre Meinung dazu kundgetan. Dany war Mitläuferin, die Späherin, wenn auch für andere Dinge, und keine Anführerin.
      Aber sie schien wirklich als Teil des Getriebes angesehen zu werden und als dieser Teil musste auch sie ihren Beitrag liefern.
      "... Den Fallen auf den Grund gehen."
      Arwen nickte, als hätte er das bereits erwartet und wandte sich Prysk zu. Aber was auch immer er zu ihm gesagt hätte, es wurde im Keim erstickt von Urrets Warnruf, der die vier Reiter sogleich von der Klippe fortjagte.
      Unten im Tal hatte sich eine kleine Gruppe berittener Räuber von den Bäumen gelöst und strebte jetzt den Aufgang an, gänzlich in den Spuren ihrer Vorgänger. Sie waren bewaffnet und schienen zielgerichtet, keine routinierte Spähtruppe. Das hier war ein organisierter Angriffstrupp.
      Urret blieb in seinem Versteck in den Bäumen ungesehen, aber die anderen vier mussten sich ein Stück zurückziehen. Allerdings war schnell klar, dass die Reiter nicht ihre Richtung anpeilten, stattdessen ritten sie auf einen Punkt etwa 50 Meter parallel zu ihnen zu. Den Ort, an dem die Falle ausgelöst worden war.
      Die fünf verharrten in Schweigen, bis klar wurde, dass die Reiter weder sie, noch ihre Spuren erblickt hatten und sich langsam wieder von ihrem jetzigen Punkt entfernten. Danach ritt Arwen wieder an die Klippe heran, um hinab zu spähen.
      "Das war es dann mit dem Zeit nehmen. Wie lange sind wir geritten gerade, hat jemand aufgepasst? Irgendwann werden sie auf unsere Spuren stoßen und zurückkommen. Bis dahin ist das unsere Chance, ihnen werden diese paar Kämpfer abgehen. Wir gehen gleich hinein."
      Er wartete auf die Zustimmung aller anderen, bevor er erneut auf Dany sah; diesmal aber mit einem anderen Blick.
      "Dany, du kannst doch vorausreiten. Wenn du wieder eine Falle hören solltest, nehmen wir gleich einen anderen Weg. Wenn du an letzter Position reitest, bringt uns diese Warnung wenig."
      Dany öffnete den Mund, um ihm zu widersprechen, schloss ihn dann aber wieder, denn Arwen hatte schließlich recht: Wenn sie die Fallen schon frühzeitig erkannte, musste sie sie auch frühzeitig warnen. Allerdings bedeutete das auch, dass sie als erstes hineinlaufen würde.
      Aber Prysk vertraute ihr. Prysk sah sie als Teil der Truppe. Sie würde ihren Teil dieser Gemeinschaft erfüllen.
      "Werde ich."

      Dany ritt nicht gerne voran, aus den verschiedensten Gründen: Zum einen konnte sie als erstes in die Fallen laufen und fühlte sich beobachtet. Zum anderen fühlte sie sich dann auch in eine Zeit zurückversetzt, als man noch nicht ganz sicher gewesen war, was mit ihrer Fähigkeit anzufangen war. Sie fühlte sich wie ein Testtier, das man vorneweg schickte, um zu sehen, wie lange es durchhalten würde.
      Aber das hier war etwas anderes, denn jemand - dieser Orec - wartete auf ihre Unterstützung und dabei konnte Dany maßgeblich helfen. Entsprechend versuchte sie ihre Nervosität unter Selbstbewusstsein zu vergraben, als sie durch den Wald trabten.
      Mittlerweile war die größte Vorsicht verschwunden, denn nachdem sie mit ziemlicher Sicherheit bereits aufgeflogen waren, galt es nun nicht nur, das Lager zu stürmen und nach Orec zu suchen, sondern diesen auch wenn möglich lebendig aufzufinden. Noch hatten sie keine Ahnung, was dort vor sich ging, nur dass Magie mit im Spiel war und ein Nordlandkeiler. Mindestens ein Nordlandkeiler. Dany mochte gar nicht daran denken, dass sie drohte, ihm als erstes in die Hauer zu laufen.
      Ein scharfer Pfiff, wie von einem Pfeil, der an ihrem Ohr vorbei surrte und die Luft aufschlug, ließ sie von den Gedanken auffahren und zusammenzuckten. Augenblicklich wirbelte sie zu ihrem Hintermann herum - es war Prysk - und studierte seine Reaktion. Er reagierte, aber nur auf ihre plötzliche Unruhe. Dann war es also doch weitere Magie gewesen.
      Wenn sie doch nur mehr Übung darin hätte. Wenn sie sich doch entsinnen könnte, was die einzelnen Geräusche bedeuteten.
      Hastig riss sie an ihren Zügeln und lenkte ihr Tier herum. Wenn es schon bei der ersten Falle funktioniert hatte, würde es hier sicher auch passen. Die anderen folgten ihr ohne Widerspruch.
      Sie ritten wieder parallel. Sie versuchten, die Falle - oder was auch immer es gewesen war - zu umgehen. Aber was vorhin noch funktioniert zu haben schien, fand hier einen abrupten Abbruch: Danys Pferd setzte einen Huf nach vorne und plötzlich brach die Schneedecke ein und das Gleichgewicht des Tieres gleich mit ihr. Es brachte noch ein angsterfülltes Blöken zustande, während Dany gerade genug Zeit hatte, für einen Schrei genug Luft einzusaugen, bevor sie in eine von Speeren bespickte Tiefe abzurutschen drohte, eine gar primitive Falle, wenn man bedachte, dass hier Magie am Werk sein mochte. Aber in ihrer Konzentration auf das eine, hatte sie das andere völlig übersehen, ein fataler Fehler, wie sich herausstellen sollte. Die Falle war nicht tief, den eigentlichen Schaden sollte das eigene Gewicht machen. Das Pferd fiel bereits auf die Spitzen, die Speere bohrten sich durch die knochigen Beine, beschleunigt von dem zusätzlichen Gewicht auf seinem Rücken, und ein schmerzerfülltes Kreischen entrang sich dem Tier, während Dany sich in aller Schnelle nach hinten warf und über den Rand zu entkommen versuchte. Sie hatte aber kaum genug Momentum, sich noch rechtzeitig dort festzuhalten.
    • Etwas stimmte nicht.
      Und es war keine Feststellung eines einfachen Brigadegenerals oder gar eines unerfahrenen Kampfbocks. Prysk thronte wieder auf seinem Pferd, ehe sie weiter reiten wollten und sah länger als die anderen ins Tal. Weshalb campierten sie derart offen? Weshalb fühlte sich Urret unwohl und weshalb schien der Wind um sie merkwürdig ruhig zu sein. Gleichsam als lauschte selbst die Natur auf ihre Schritte und ihre weiteren Vorhaben, als er sich von der Klippe fort drehte und kurz zu Dany sah.
      UNd er sah den Zweifel, die Überraschung und gleichsam auch...Genugtuung? Zufriedenheit? Prysk konnte es nicht genau sagen, wusste aber, dass sie alle bitterlich bezahlen würden wenn sie nicht aufpassten.
      Just in dem Moment als der Angriffstrupp sich in Bewegung setzte huschte Prysk mit seinem Pferd klug in Deckung, während Louise ihre Armbrust spannte und Urret sich in die Bäume verzog. Als das Schweigen Einzug hielt, stach dem Jäger ein Gedanke in den Kopf, den er am liebsten direkt zur Seite gedrängt hätte. Das war nicht irgendein Vorgehen. Das war militärisch. Den Rücken mit Fallen spicken unds cheinbar willkürliche Truppen entsenden. Da wusste Jemand haargenau, dass sie verfolgt wurden. Und gleichzeitig vermutlich auch, dass sie nicht auf einen offenen Kampf vorbereitet waren.
      Schweigsam verharrten sie alle wo sie waren, ehe sie mit sichtlicher Erleichterung feststellten, dass die Truppen abzogen. Speichel hatte sich in Prysks Mund gesammelt, obschon dieser beinahe knochentrocken wirkte.
      Prysk nickte nur zu Arwens Vorschlag, schien er ihm doch weise genug. Nur Urret konnte sehen, dass sich etwas in Prysks Mimik verändert hatte. Da war ein Erkennen, ein Wissen, dass dem Hasen nicht gefiel, wenn er ehrlich war. Doch ehe er auch nur einen Hauch von Möglichkeit hatte, den Jäger anzusprechen, hatte sich dieser hinter Dany wieder in Bewegung gesetzt und seufzte auf dem Rücken seines Pferdes.
      Es würde eine Zeit geben. Mit Sicherheit.


      Die wenigen Minuten, die sie wieder geritten waren, zogen sich wie Teer entlang eines weißen Horizonts.
      Nach dem Angriffstrupp war die Truppe selbst in Schweigen verfallen und kommunizierte nur so viel wie sie musste. Prysk versetzte sich selbst einen inneren Tritt nachdem er die wachsamen Blicke auf Danys Rücken gelegt hatte, um jede Regung oder dergleichen einzufangen. Es musste präzise und schnell sein, damit sie nicht auffielen und gefangen genommen wurden. Wenn es auf eine Gefangenschaft hinauslief, wenn er Recht hatte...
      Als sie den Abstieg aus der Klippenregion wagten, sah er sich irgendwann gezwungen, einen schnellen und kraftvollen Pfiff zu lassen. Kaum mit einem Vogelschrei zu verwechseln, aber immerhin unauffällig genug, dass die ganze Truppe zusammen zuckte und ihre Blicke wie mechanisch zu allen Seiten gleiten ließ. Arwen lauschte die Linke, Louise die Rechte ab. UNd doch erschien es merkwürdig ruhig. Zu ruhig.
      Reiß dich zusammen!; dachte er bei sich und schüttelte leicht den Kopf um sein Pferd wieder anstandslos hinter Dany zu lenken und ihrem Schritt zu folgen.
      Nur um es hernach bitterlich zu bereuen.
      Ein Krachen und ein Reißen. Meistens beschrieb man einen Fall genau so. Ein Reißen und Krachen, ehe das Geschrei von statten geht. Doch hier wirkte es merkwürdig verlangsamt. Dany riss ihr Pferd hastig herum, um eine mögliche Falle zu umschiffen. Und sie taten es ihr nach. Und dennoch...So ruhig wie Prysk war, wusste er in dem Moment, dass es schief gehen würde. Ein Ruf oder ein Halten wäre zu spät gekommen und so konnte der Jäger nur zusehen, wie Danys Pferd mit einem jämmerlichen Schrei in der bislang unentdeckten Tiefe verschwand. Rustikal, befand der Jäger und sprang in der Sekunde von seinem Pferd, als die Dornen sich durch das Fleisch des Pferdes boten. Ohne zu Zögern, rief er über die Schulter.
      "ARWEN!"
      Mit einem beherzten Sprung und beinahe keiner Angst (gelogen!) hechtete er zum Rand und griff in der Sekunde nach der sich ihm bietenden Hand, als es beinahe zu spät war. Unangenehm riss Danys Gewicht an seinem Arm und kugelte ihm beinahe die Schulter aus, ehe Arwen bereits an seinen Füßen zugange war und diese mit einer Urgewalt an Kraft zurück riss. Urret, der hasenpfötige Späher glitt von einem Baum und griff nach Danys zweiten Arm, um sie hinauf zu ziehen.
      Und trotz aller Beherrschung ließ Prysk ein lautes Stöhnen aus sich heraus, da seine Schulter über alles Maßen gedehnt wurde, ehe Stückchen für Stückchen Dany aus der Tiefe gezogen wurde, ehe sie den Rand greifen konnte.
      "Heilige Mutter...", keuchte Urret und schüttelte den Kopf. "Was für eine Barberei."
      Prysk wand sich kurz auf den Rücken und keuchte schmerzerfüllt in den klaren Himmel, der sich zu verfärben drohte. Sie hatten verloren, nicht wahr? Sein Schrei war zu laut. Und wenn er sich nicht irrte.
      "Wir haben Gesellschaft!", rief Louise und glitt von ihrem Pferd herab.
      Doch ehe sie auch nur eine Hand an ihre Waffen legen konnten, riss eine Stimme aus dem Wald ein Loch in die Stille um sie.
      "SOFORT DIE WAFFEN RUNTER, IHR HAARLOSEN DRECKSBÄLGER!"
      Und Prysk kannte die Stimme. Eigentlich kannte jeder Reliktjäger diese Stimme.
      Ein Mann, nein, eher ein Hund mit einem hünenhaften Leib, schälte sich aus dem Unterholz des Schneegestöbers. Unter den zermalmenden Eisenstiefeln knirschte der Schnee und die Stimmen und Schritte von gut zehn Soldaten wurden hörbar. Weißes, glattes Fell zeigte sich im Gegenlicht der Sonne und helle, gelbliche Augen blitzten über die Meute, die sich um ein sterbendes Pferd sammelte. Gleich neben seiner Falle.
      Stöhnend rollte Prysk auf die Seite und wuchtete seinen schmerzenden Leib auf die Knie, ehe der Mannshund die pelzige Hand um und ein widerliches Grinsen über die schwarzen Lefzen rollte.
      "Na sieh mal einer an...", knurrte er mit deutlichem Akzent in der Stimme. "Wer hätte gedacht, dass es ausgerechnet du und Arwen seid, die uns verfolgen. Ich hatte so etwas in der Nase weißt du?!"
      Sanft beinahe tippte er sich an die Schnauze, ehe er ganz aus dem Halbschatten heraustrat. Sein Leib war in eine schwere Panzerrüstung gehüllt, die mit jedem Schritte leicht klang. An seiner Seite breitete sich ein Schwert aus, dessen Schneide beinahe größer als er selbst erschien.
      Prysk grinste und spuckte aus, ehe er sich auf die Beinahe hob und sich unauffällig vor Louise und Dany postierte. Wenn er erfuhr, was Dany konnte...
      "Was soll ich sagen...", murmelte Prysk frech. "Ich bin eben unvermeidbar. Freunde, das ist Lupari von den Südlichen Jägern. Er ist nicht erfreut, uns kennen zu lernen."
      "Werden wir sehen", sagte der HUnd und sah zu seinen Soldaten. "Schafft sie ins Lager und sperrt sie in den Karren. Wenn einer auch nur einen Mucks macht, schneidet ihm einen Arm ab."
      Grinsend sah der Hund zu Prysk, dessen Gedanken rasten. Zum einen waren sie am Arsch. Zum Anderen auch noch mehr am Arsch. Denn Lupari galt nicht als gnädig oder gar friedlich. In Kreisen der Jäger nannte man ihn "Lupari, den Himmelsreißer". Und nur die Himmel wussten, weshalb.
      Als die ersten Arme gewaltsam Prysks Schulter ergriffen, zuckte er zusammen und ließ sich beinahe widerstandslos abführen. Er bedeutete es, den anderen gleich zu tun, aber was sollte er tun können?!


      The more that I reach out for heaven
      The more you drag me to hell
    • In Angesicht des nahenden Todes, hätte Dany vermutlich etwas anderes empfinden müssen, irgendeine Art von Rekapitulation über ihr Leben, was darin schief gelaufen sein musste, dass sie in eine solche Lage geraten war. Das sagte man sich doch über solche Situationen, in denen man dem Tod direkt in die Augen sah: Man sah das eigene Leben an sich vorbeiziehen. Aber alles, was Dany in diesem Sekundenbruchteil empfand, war eine primitive, instinktive Angst, die sämtliche Gedanken auslöschte und zu einem einzigen globalen ich will nicht sterben, ich will nicht sterben, ich will nicht sterben umwandelte.
      Das Pferd unter ihr gab ein gequältes, schrilles Wiehern von sich und von oben kam sogleich die Antwort, ein Brüllen, das in seiner Eindringlichkeit Dany einen Schauer durch den Körper jagte. Sie griff nach dem Rand und verfehlte ihn. Ihr Herz setzte aus. Ihre Fingernägel kratzten an der steinharten Erde entlang, ohne irgendwo Halt zu finden - und dann schloss sich eine Hand um ihr Handgelenk, unnachgiebig wie Stahl. Ihr Fall nahm ein abruptes Ende, als ihr ganzes Körpergewicht an ihrem Arm hing und sie zu einem wackeligen Stillstand kam. Unter ihr erstarb das Gewieher des sterbenden Tieres; die Speere hatten sich durch den Hals gebohrt und ein langsames Ende verursacht. Der Leichnam des Pferdes sackte unter dem eigenen Gewicht an den Stäben noch weiter herab, bis er ganz am Boden zum Stillstand kam.
      Für kurze Zeit war es unangenehm still, einzig durchbrochen von Prysks geräuschvollem Atem und Danys ersticktem Stöhnen. Dann war Arwen zur Stelle, so schnell, wie er sich nur nach vorne geworfen hatte, und riss den Jäger mit einer Kraft zurück, die an anderer Stelle die riesige Streitaxt auf seinem Rücken zu schwingen vermochte. Urret war das letzte Bindeglied und gemeinsam zogen sie Dany von ihrem möglichen Schicksal fort.
      Kaum hatte sie einigermaßen festen Boden unter sich, strampelte sie mit den Beinen, um sich das letzte Stück noch von dem Loch wegzuschieben. Danach blieb sie keuchend liegen, ihr Herz durch den Schock so schnell rasend, dass sie es im ganzen Körper spüren konnte.
      Wenn es nach ihr ginge, hätten sie die Unternehmung an dieser Stelle abgeblasen. Wer brauchte schon diesen Orec und das auch noch gleich; konnten sie nicht einfach abwarten, bis das Lager abgeblasen würde und die Menschen dort sich auf den weiteren Weg machten? Unterwegs konnte man keine so gut vorbereiteten Fallen aufstellen. Das würde ihnen so einige Umstände ersparen.
      Aber bevor sie diesen Vorschlag noch laut aussprechen konnte, donnerte bereits eine Stimme durch den Wald, die ihr keineswegs bekannt vorkam. Sie musste aber auch gar nicht wissen, wer dahinter steckte; in diesem Moment gab es wohl nur zwei Fraktionen in dieser Gegend und sie fürchtete, dass sie der gegnerischen in diesem Moment begegnet waren.
      Kaum einen Augenblick später traten aus dem Wald, bis zuletzt vollständig verhüllt von dem Dickicht, ein riesiger... moment mal, Hund? Ein grotesk riesiger und auch noch gruselig menschlicher Hund in Begleitung von zehn Fußsoldaten, die allesamt ihre Waffen gezückt hatten. Dabei war wohl weniger die Tatsache der Überzahl furchterregend, als dass sie sie bis zuletzt nicht gesehen hatten. Das ließ unweigerlich die Frage offen, ob es nicht noch viel mehr von ihnen gab, die sich irgendwo in den Büschen versteckten und die kleine Truppe unlängst eingekesselt hatten.
      Nicht, dass es einen Unterschied gemacht hätte. Aber Dany fühlte sich damit, als wäre sie von einer Falle direkt in die nächste getappt.
      Arwen war der erste, der gleich wieder aufgesprungen war und den Soldaten - wenn es denn einer war - mit finsterem Blick bedachte. Allzuweit stand er gar nicht entfernt, vermutlich hätte er seine Axt ziehen und den Hund in der gleichen Bewegung auch erwischen können. Aber Arwen stand wohl nicht der Sinn zum Kampf, er blickte nur angesäuert drein.
      "Lupari... wenn ich gewusst hätte, dass du dahinter steckst, hätte ich gleich ein paar Scheißhaufen verteilt. Für deine tolle Nase."
      Der Hund - Lupari von den Südlichen Jägern - sah nicht unbedingt beeindruckt aus, auch dann nicht, als auch Prysk sich auf die Beine erhoben hatte und ebenfalls nicht zu seiner Waffe griff. Stattdessen trat er einen Schritt seitlich, bis sowohl Louise als auch Dany hinter seinem Rücken standen. Jetzt wurde erst ersichtlich, dass auch Arwen sich nicht nur aufgerichtet hatte, sondern gleichzeitig auch positioniert hatte: An Prysks Flanke, bereit dazu, die Seite des Jägers zu schützen. Nicht, dass es etwas gebracht hätte, es war wohl viel eher eine Routine, eine vertraute Aufstellung unter Waffenbrüdern.
      Lupari gab den Befehl zur Festnahme. Im Gleichschritt setzten sich die zehn Soldaten in Bewegung und Dany griff zu ihrem Dolch.
      "Was suchst du in dieser Gegend, Lupari?", knurrte Arwen ihn an, ohne seine Meinung von ihm besonders zu verbergen. "Was willst du von Orec?"
      Seine Antworten bekam er, indem die Soldaten - für ihn waren es drei - seine wuchtigen Arme packten und sie so weit auf seinen Rücken bogen, bis selbst Arwen schmerzerfüllt zischte und fluchte. Bei Prysk waren sie mindestens genauso unnachsichtig und als Dany bereits ihren Dolch wieder losgelassen hatte und sich gefügig gab, gingen sie mit einer unnötigen Brutalität vor. Vermutlich nur für ihre Machtdemonstration.
      In einem neuen Zug schritten sie weiter, der Hund vorneweg, hinterher seine Gefangenen und ganz zum Schluss die übrig gebliebenen Pferde. Sie alle hielten sich an das Schweigegebot, denn nach der überflüssigen Gewalt zweifelte keiner von ihnen daran, dass sie wirklich einen Arm verlieren könnten.
      Auf dem Weg wurde erst das Ausmaß der Fallen wirklich deutlich: Lupari schlug keineswegs einen direkten Pfad zum Lager zurück ein. Dany versuchte sich auf irgendwelche kleinen Zeichen zu konzentrieren, die hier womöglich die Fallen kennzeichnen würden, aber sie hatte keine Ahnung, was den Hund leitete, als er einen Umweg durchs tiefste Dickicht einschlug und an einer anderen Stelle einen Baum in einem ganz bestimmten Abstand und Winkel umrundete. Sämtliche Soldaten taten es ihm gleich, keiner kam von diesem unsichtbaren Pfad ab, dem sie hier alle folgten. Es wäre wohl, trotz aller Vorsicht, nur eine Frage der Zeit gewesen, bis sie in eine der Fallen gelaufen wären.
      Den Eingang ins Lager beschrieb dann schließlich eine Patrouille, die sie das letzte Stück begleitete. Die Jäger hatten sich nicht auf einer beliebigen Lichtung niedergelassen, sie hatten eine Lichtung für sich freigeräumt. Gefällte Baumstämme waren zu Bänken umfunktioniert worden und die Stümpfe dienten als Ablagen oder auch kleinen Stützen für die Wagen, die hier angeordnet waren. Ganz anscheinend war es eine wandernde Gruppe, oder aber sie waren schon lange genug hier, um es sich derart eingerichtet zu haben.
      Die Gefangenen kamen gar nicht erst in den Genuss, das ganze Lager bestaunen zu dürfen, sie wurden an der Seite zu "dem Karren" geschafft, der ganz eindeutig eine Zelle auf Rädern war. Es gab nur einen Eingang und die Stäbe standen dicht genug, dass man zwar die Beine durchschieben und etwa am Rand sitzen konnte, sich aber nicht durchquetschen konnte. Hier wurden sie ihrer Waffen erleichtert und allesamt hineingezwängt. Mit Arwens breiten Schultern war der kleine Raum sogar noch enger, als wenn hier alle so schlank wären wie etwa Urret. Die Soldaten hatten aber kein Erbarmen, drückten hinter ihnen die Tür zu und sperrten ab.
      Dany versuchte sich irgendwie zu arrangieren, bis sie am Gitter saß und ins Lager hinausstarren konnte. Dort konnten sie sehen, dass die Soldaten mit ihren Waffen - darunter auch ihren Dolch, den zum Glück niemand aus seiner Halterung zog - zwischen den Bäume verschwanden.
      Sie versuchte die Angst davor, dass ihn jemand anfassen könnte, zu verstecken.
      "Ihr kennt euch, ihr und Lupari? Hoffentlich gut genug, dass ihr auch gleich einen Weg nach draußen wisst, nicht wahr?"
    • Lupari nutzte die Gunst der Stunde und sah beinahe lächelnd zu Arwen, der sich noch sträubte, wie es erschien. Es war schön, das Gesicht des alten Jägers endlich in dem Zusammenhang zu sehen, in welchen es gehörte. Gefangen und geknebelt. Eine wunderbare Aussicht, wie der Mutant befand und verschränkte die Arme.
      "Deine Scheißhaufen kannst du dir sparen, alter Narr", knurrte der Hund. "Stinkst selbst wie drei. Von daher brauche ich nicht einmal Hilfe, um euch aufzuspüren. Und jetzt schafft ihn weg, ehe ich seine Eingeweide in den Schnee male."
      Die Antwort auf Arwens letzte Frage blieb er ihm mit einem Lächeln schuldig.
      Mit einem kurzen Kopfnicken bedeutete er dem Rest seiner Leute, ihm mit der gemeinsam eingefangenen Beute zu folgen. Rund um das Lager herum hatten sie weitere Fallen platziert, die ihr Fallenmeister sich ausgedacht hatte. Von einfachen Minen bis hin zu betialischen Fallgruben, deren Aufenthaltsort nur Lupari erschnüffeln konnte. Man hatte ein spezielles Eisen genommen und dieses gleichzeitig mit einer Art Bratensoße eingerieben, die ihm in die Nase stieg, je näher sie kamen.
      So glich der Rückweg einer Art Spießroutenlauf, aber immerhin schafften sie es unbeschadet, das kleine Lager zu erreichen.
      Dieses bestand aus einem recht großen Feuer und einigen Baumstämmen, die man von den Seiten der Straße hierher gezogen hatte. Die Schleifspuren auf dem Schnee zeigten eine eindeutige Sprache. Auf diesen Baumstämmen fanden sich die Abdrücke mehrerer Hintern und lediglich drei Personen konnte Prysk im Lager ausmachen.
      Tatsächlich teilte Prysk Danys unausgesprochenen Gedanken und befand mit einem kurzen, bedeutungsschwangeren Blick zu Arwen, dass das Lager schon eine ganze Weile hier stehen musste. Der Karren, den Lupari meinte, stand am östlichen Ende des Lagers und glich mehr einem eisernen Gitterverschlag. Es blieb unbekannt, was oder wen sie hiermit transportiert hatten, denn die Stäbe waren aus massivem Eisen gegossen. Der Wagen musste ein ungenanntes Gewicht haben und definitiv nicht genug Platz für sie alle. Mit einem Knurren ließ sich Prysk die Waffen abnehmen und zu seinem Erstaunen zuckte einer der Soldaten vor ihm zurück.
      Sollten sie doch Angst haben?
      Ruhig entwaffneten die Schergen des Köters die anderen Mitglieder ihrer Gruppe und schmissen sie regelrecht in den Karren. Und so merkwürdig es war, Prysk brauchte die Nähe zu Dany. Noch während sie durch den Wald geschliffen worden waren, hatte er die Gedanken kreisen lassen und sich jeden Zentimeter des Weges zu merken versucht. Freilich hatte das nicht funktioniert. Aber sie. Sie, die Magie hören konnte und durch ihren Dolch...
      Der Dolch! Beinahe Panisch sah sich Prysk um und versuchte, die Wache mit dem Dolch zu erspähen. Sie mussten ihn ihr auch fortgenommen haben. War sie damit noch in der Lage...
      Während sie stöhnend und protestierend in den Karren gestopft wurden, versuchte sich Prysk durch raupenartige Bewegungen in Danys Nähe zu schieben. Was den anderen freilich nicht gefiel.
      Vor schmerzen keuchend drückte sich Louise an die Gitterstäbe und sah zu Prysk.
      "Sag mal...Was soll das?!"
      "Shhh!", zischte der jäger und schob sich wurmgleich weiter.
      Durch die Bewegung rutschte Urret mit einem kleinen Fiepen auf Arwens Schulter und fühlte sich einmal mehr wie ein hasenöhriges Kleinkind, verglichen zu dem bulligen Jäger, während Prysk sich in Danys Rücken drückte und selbst befand, dass er ihr viel zu nah war.
      Seine Brust drückte sich in ihren Rücken und sein Kopf lag auf ihrer rechten Schulter, während er falkengleich nach draußen spähte und den Banditen eine Weile dabei zusah, wie sie das Feuer schürten und sich Essen bereiteten.
      "Kennen ist vielleicht ein wenig zu viel gesagt", flüsterte er in ihr Ohr. "Luparis Gruppe steht in Konkurrenz zu uns. Wir leben alle davon, magische Relikte zu finden und diese zu verkaufen, aber wir haben uns vielleicht in der Vergangenheit ein wenig zu sehr...äh...geärgert? Arwen hat seine Rechte Hand, ein widerlicher Typ, vielleicht in die ewigen Jagdgründe befördert. Mit Recht, möchte ich meinen. Und ich habe Lupari eventuell eine ziemlich breite Narbe auf seiner Brust verpasst und ihm sein Artefakt damals geklaut. Das aber nur am Rande..."
      Ruhig legte er seine freie rechte Hand auf ihren Arm und wies mit einem Kopfnicken in Richtung des Lagers.
      "Haben sie dir...Also, du weißt schon. Haben sie dir das Ding abgenommen? Und bist du in der Lage, deine Fähigkeiten zu nutzen? Ich fürchte nämlich - und korrigiert mich, wenn ich falsch liege - wir kommen ohne Kampf nicht heraus. Arwen, siehst du Orec?!"

      Spoiler anzeigen
      Orec befindet sich in einem weiteren Karren mit zwei seiner Leute, einfache Bauern. Arwen kann sie gerne kennen. Er wirkt verwundet, aber lebendig, obschon derzeit schlafend.

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    • Einiges Rumgewühle und Geschiebe später hatte sich Prysk zu Dany durchgeschoben, die es gar nicht angenehm fand, den Mann jetzt in ihrem Rücken kleben zu haben, während sie sich schon gegen die Gitterstäbe pressen musste. Urret war hier vermutlich der einzige, der einen halbwegs angenehmen Platz auf Arwens mächtiger Schulter fand - der im übrigen selbst einen beträchtlichen Anteil daran hatte, wie wenig Platz den anderen hier zur Verfügung stand. Musste der Mann auch wirklich so ausladend gebaut sein?
      Dany spürte Prysks Atem ihre Wange streichen, während sie beide nach draußen stierten.
      "Eventuell? Reden wir dann hier auch von einem möglichen Ärgernis?", zischte sie, nachdem sie sich anhören durfte, warum die Parteien sich überhaupt namentlich kannten. Konkurrenten waren es, das war ja ganz fantastisch. Aber wenn es um magische Relikte ging...
      Ihr Blick sprang zu den Wägen, hinter denen die Soldaten mit der Ausrüstung verschwunden waren. Der Dolch war unscheinbar und er würde die Verbindung zu Dany auch nicht brechen, aber wenn ihn jemand berühren sollte, so wie Prysk es bei Cayen getan hatte...
      Dany wollte nicht das Bewusstsein verlieren, oder was auch immer damals geschehen war - nicht hier drinnen, nicht solange sie nicht wusste, was demnächst geschehen würde. Kalter Angstschweiß brach auf ihrer Haut aus, den sie schnell wieder zurückzudrängen versuchte.
      "Ich kann noch... ich kann alles", raunte sie ihm knapp zu. "Aber ich brauche ihn wieder. Ich kann nicht ohne ihn gehen, wir sind verbunden. Das verstehst du doch, oder?"
      Sie wusste gar nicht, weshalb sie ihm das erzählte, gerade ihm, der in keiner besseren Lage war als sie selbst. Aber Prysk hatte bisher schon eine Art Anführer dargestellt und in diesem Augenblick war sie froh über das Gefühl, dass hier jemand war, der die Kontrolle über die Situation behielt. Vielleicht hatte sie sich Tage zuvor noch darüber aufgeregt, dass er sich wie ein Anführer benahm, aber jetzt brauchte sie das. Sie brauchte jemanden, der ihr sagte, wo es lang ging.
      In ihrem gemeinsamen Rücken drehte Arwen sich um, verpasste Prysk dabei einen mit einem Ellbogen, trat Louise dabei auf den Fuß, bei der er sich ausgiebig entschuldigte, und starrte dann auf der anderen Seite des Wagens nach draußen. Unwillig grummelte er, dann stockte er.
      "Ah! Haben wir den Ausreißer. Auf Nordwesten, Prysk. Der Wagen mit dem Schrägdach."
      Dany und Prysk drehten beide gleichermaßen den Kopf, bis sie entdeckten, was Arwen meinte: Ein noch kleinerer Zellenwagen, befüllt mit gerade mal drei Leuten, die ähnlich herumhängen wie sie gerade. Einer lag quer auf dem Boden ausgestreckt, ein anderer saß auf dem Boden, Arme und Beine durch das Gitter heraus hängend, der dritte hatte sich in der Ecke zusammengekauert. Sie schienen alle nicht gerade aufmerksam genug zu sein, um dem Neuzugang Beachtung zu schenken.
      "Er lebt", stellte Arwen einen Moment später fest, auch wenn Dany bis dahin noch dabei war sich zu überlegen, wer der drei wohl Orec sein mochte. Bevor sie aber einen Entschluss hätte fassen können, fuhr Arwen schon fort.
      "Lupari muss etwas von ihm wollen, wenn er noch nicht tot ist. Was hatte Orec in seinem Wagen, weißt du etwas davon, Prysk? Oder vielleicht: Was sollte er in seinem Wagen haben?"
    • Ripped apart in minutes what was built in seven years
      The ink scarred on your back may as well have disappeared
      For as long as I remember, you sold everything you owned
      But now you sold our friendship, you're on your fucking own

      BMTH - Sleep With One Eye Open


      Prysk brauchte eine Weile, um Arwens Hinweis folgen zu können. Schweigsam blickte er zunächst zu dem anderen Wagen, der mit dem Schrägdach. Tatsächlich. Erahnen ließ sich eine Silhouette, aber es waren eindeutig Orecs breite Schultern, der dort zusammengesunken in dem spärlich gewarteten Wagen lag. Das war gut. Gut und schlecht, wenn man es genau nahm.
      "Ich verstehe was du meinst", murmelte Prysk und seufzte.
      Es machte die Lage ein wenig besser, wenn der Dolch nicht zwingend an der Frau zu tragen war, um auf die Fähigkeiten zurück zu greifen. Fraglich verblieb nur die Tatsache, ob man diese Kräfte hier auch wirklich nutzen sollte. Ruhig versuchte er durchzuatmen, während er über Danys letzte Frage nachdachte. Und tatsächlich...Ein Gedanke begann sich auszubreiten, den er eigentlich nicht haben wollte. Einen Gedanken, von dem er dachte, dass es besprochen und erledigt war...
      "Ich bringe diesen vermaledeiten Schinkennarren um", knurrte Prysk zischend und versuchte sich, ein wenig Platz zu verschaffen.
      "Warum?", fragte Louise und versuchte sich, nicht an den Gitterstäben zu strangulieren. "Redet leiser, sie kommen her!"
      "Ein Stein. Es gibt einen Stein, der angeblich Magie in sich trug. Nim wollte ihn und ich befand es zu gefährlich, ihn zu transportieren. Ich hatte gedacht, er hätte sich daran gehalten, dieser Narr...Aber er muss Orec damit beauftragt haben..."
      "Still jetzt!"
      Die Banditen kamen erneut näher auf einer scheinbar konzentrischen Runde. Sie wirkten ein wenig fernab von allem, als würden sie wie betäubt durch das Lager patrouillieren. Doch anstatt einfach an dem Wagen der Gruppe vorbei zu ziehen, hielten sie an und sahen einen Moment lang prüfend in den Karren. Es wirkte merkwürdig, wie sie die Augen auf Prysk hefteten, sodass dieser bereits in der nächsten Sekunde wusste, was geschehen würde.
      "Holt die Ketten!", rief Lupari aus dem Hintergrund des Feuers heraus.
      Schattengleich glitt er aus dem Halbschatten der Flammen heraus und legte ein Kurzschwert, das sie offenbar erbeutet hatten, in die Flammen. Zischend und keifend erwachte das Metall zum Leben und gab knackende und beinahe schneidende Geräusche von sich, als das Gewicht die Kohlen zerteilte.
      Das würde nicht wirklich angenehm, dachte Prysk und ahnte bereits, dass nicht Dany es sein würde, die sie aus dem Karren zerrten. Es blieb also nur so viel Zeit, wie diese Halbaffen brauchten, um Ketten aus Eisen aus der Nähe des anderen Karrens zu holen. Also vielleicht ein paar Sekunden wertvolle Zeit.
      "Arwen", zischte Prysk und sah zu seinem Kameraden. Vielleicht dem Einzigen, von dem er neben Dany wusste, dass er genug Tumult erschaffen konnte. "Sie werden mich holen. Dieser verfluchte Köter hat vermutlich noch ein paar ungelöste Konflikte, die er gern mit einem glühenden Eisen besprechen möchte. Wartet einen Moment und dann brecht aus. Dany weiß wie. Keine Rücksicht!"
      Louise machte Anstalten, etwas zu sagen, jedoch kehrten die Wachen zurück. In ihren Händen trugen sie schwere Eisenketten, an denen sich noch die Reste vorherigen Blutes offenbarten.
      Einer der Banditen, ein Mann mit einem gräulichen Verband um die Schläfen, trat hervor und sah mit einem schiefen Grinsen in den Karren, ehe er mit dem Kinn auf Prysk wies.
      "Du da. Komm zur Tür!", knurrte er und ließ an der Order keinen Zweifel.
      Mit einem letzten Blick zu Arwen, drückte sich Prysk leicht zwischen den Körpern hindurch und nochmals an Dany vorbei, diesmal auf Höhe ihrer Hüfte.
      "Keine Rücksicht!", zischte er ihr zu und ließ sich von den Wachen an den Füßen heraus zerren.
      "Himmel, ein wenig mehr Rücksicht bitte! Aua!", knurrte Prysk als er hart auf dem sandigen Boden des Waldes landete.
      Mit einem schnappenden Geräusch fielen die Eisen um seine Handgelenke und schmerzten auf der Haut. Offenbar waren selbst die Eisen älter als der ganze Rest der Ausrüstung.
      "Nun mal langsam, Freunde"; knurrte Prysk als man ihn auf die Beine zog und Richtung Feuer schleifte. "Wir können doch reden. Also, ich meine...Ihr vermutlich nicht, weil ich auch nicht sicher bin, ob ihr wirklich reden solltet, aber zumindest in der Theorie könnten wir doch..."
      Der nächste Schlag landete zur Belohnung in seinem Magen. Und auch wenn er den Schmerz nicht spürte, so spürte er die Wirkung auf das Organ, das getroffen wurde. Mit einem Stöhnen ging Prysk in die Knie und vermochte sich kaum abzufangen, da seine Hände in den Eisenketten unangenehm über den Rücken kratzten.
      "Warst...schon mal sanfter...", knurrte er erneut als Lupari auf ihn zukam und aufrichten ließ.
      "War ich. Das war bevor du mir das Artefakt damals geklaut hast."
      "Also streng genommen war das nicht ich...", murmelte Prysk und wurde zur Belohnung erneut geschlagen. DIesmal mit einem Eisenhandschuh ins Gesicht.
      Der Kopf des Jägers schnappte zurück und Blut spritzte zischend ins Feuer, ehe er mit hängenden Schultern in den Klauen seiner Peiniger zur Ruhe kam. Die Banditen zu seiner Seite richteten seinen Leib gerade so auf, dass er auf den eigenen Füßen stand und mit flatternden Lidern erblicken konnte, wie das Schwert aus dem Feuer geholt wurde.
      Für einen Moment lang hörte er Geigen im Himmel spielen, als Lupari die weißglühende Klinge in seiner Pfote drehte und ihn mit geifernden Lefzen ansah.
      "Weißt du, Prysk...", begann er mit beinahe bellender Sprache. "Ich finde, es hat einen Hauch von Schicksal sich haften, das wir beide uns gerade heute, gerade in diesem Wald begegnen..."
      "Warum? Hast du es gern romantisch?", zischte Prysk und zog das Blut die Nase wieder hoch.
      "Vielleicht habe ich das, ja", nickte der Hundemutant und rammte ohne Warnung das Schwert in den Bauch des Jägers.
      Und auch wenn der Jäger bislang dachte, keinen Schmerz zu empfinden sei ein guter Kampfesvorteil, so war es dennochs ein Leib, der auf das Schwert reagierte. Wo normalerweise ein stechender Schmerz sich den Weg mit einem glühenden Draht durch seine Venen gesucht hätte, war es nunmehr die Kraftlosigkeit, die ihn ergriff. Sein Magen zog sich um das Metall zusammen und Blut lief ihm aus dem Mund. Die Banditen hatten Mühe, den Leib des Jägers aufrecht zu halten, ehe das Schwert mit einem schmatzenden Geräusch aus dem Fleisch gezogen wurde.
      "Es ist erstaunlich...", sagte Lupari. "Es stimmt, was man sich erzählt...Du empfindest keinen Schmerz, oder?"

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    • Dany hörte zu, auch wenn sie nur wenig davon verstand. Ein Stein mit Magie, den vermutlich Orec hätte transportieren sollen. Lupari musste davon Wind gekriegt haben - aber war der Stein nun in seine Hände gelangt? Oder hatte er Orec zu früh abgefangen? Und überhaupt - ein Stein mit Magie? Mit Magie, die funktionierte und keinen Arkanfluch heraufbeschwor?
      Dany drehte den Kopf und schloss für einen Augenblick die Augen. Sie nahm die Geräusche des Lagers in ihrer Fülle auf: Das leise Rascheln der Bäume, das ferne Klirren von Schwertern im Übungskampf, Gespräche aus allen Richtungen, das Knistern des Feuers, das feuchte Schmatzen der festgetretenen Erde unter Eisenstiefeln, das Knarren von Holz, das dumpfe Hacken einer Axt, in der Ferne Vogelgezwitscher. Dany war bisher über keine Magie gestolpert, die sich wie alltägliche Gegenstände anhörte, stattdessen war es immer ein Summen, ein Brummen, ein Vibrieren, ein Knallen oder ein Tönen gewesen, das sich nicht mit gewöhnlichen Gegenständen nachstellen ließ. In der Theorie ließ sich damit gut eine magische Quelle vom Rest ihrer Umgebung identifizieren, weil man für gewöhnlich keine Erklärung für dieses eine Geräusch zur Hand hatte. In der Praxis benötigte das, besonders an einem lauten Ort wie hier, einen scharfen Gehörsinn und Übung darin, auch die feinsten Nuancen in der Umgebung herauszupicken. Längst nicht alle Magie war laut und dröhnend, vieles war sehr leise und nur ganz fein hörbar. In der Theorie war Dany eigens dafür ausgebildet - in der Praxis hatte sie ein Jahr lang sämtliches Gehör schleifen gelassen.
      Sie öffnete wieder die Augen, ohne einen magischen Stein gehört zu haben, ja ohne überhaupt den Magier unter diesen Soldaten ausgemacht zu haben. In der Theorie konnte sie das. In der Praxis... nunja.
      Der Moment der Ruhe schien für die Truppe wohl vorbei zu sein, denn jetzt kam eine Gruppe Soldaten direkt auf sie zu, schwere Eisenketten unter sich. Angst prickelte Dany im Nacken und ließ sie von den Gitterstäben wegscheuen, auch wenn es gar keinen Platz gab, um zurückzuweichen. Sie wusste nicht, was diese Leute sich von einer Befragung erhofften. Auf der anderen Seite war Dany hier wohl die einzige, die am wenigsten Informationen über irgendwas besaß - das könnte ihr Vorteil, oder auch Nachteil sein.
      Die Männer hatten aber sowieso Prysk auserkoren, der sich sogleich an Arwen wandte. Der Jäger nickte nur ernst, aber Dany hielt das ganze für gar keine gute Idee.
      "Ich weiß wie?!", zischte sie aufgebracht zurück, da waren die Männer schon beim Wagen und orderten Prysk heraus. Der quetschte sich zur Tür hinaus und hinterließ Dany lediglich mit einer letzten Berührung an ihrer Hüfte, die sie selbst durch die Kleider hindurch brennend spürte. Mit wachsendem Entsetzen sah sie zu, wie man Prysk aus dem Wagen zerrte und zur Begrüßung die Faust in den Magen rammte. Dany konnte den Schlag fast selbst bei sich spüren und wirbelte zu Arwen herum. Jetzt war immerhin etwas mehr Platz hier drinnen.
      "Ich weiß nicht wie!"
      "Still", brummte er nur, den Blick starr auf Prysk gerichtet, den Lupari selbst mit einem Eisenhandschuh ins Gesicht schellte. Die Miene des kräftigen Jägers war angespannt, seine Augen so funkelnd, als wolle er Lupari auf die Entfernung mit seinem Blick alleine erschießen. Die Hände an seinen Seiten ballten sich zu Fäusten und Dany dachte sich zum ersten Mal, dass sie diesen sonst so lässigen und sorgenlosen Jäger nicht wütend erleben wollte. Mehr noch, dass sie definitiv nicht auf der anderen Seite dieser Wut stehen wollte, so wie Lupari es jetzt tat.
      Das würde nicht gut ausgehen. Ganz egal, wie es sich entwickeln würde, es würde nicht gut ausgehen.
      Alle vier sahen hinüber, als der riesige Hund sein Kurzschwert aus den Flammen zog und auf Prysk zukam. Alle vier schauten zu, wie er verheißungsvoll damit ausholte. Nur zwei beobachteten den Moment, in dem die glühende Klinge in seinen Magen eindrang.
      Der Geruch von verbranntem Fleisch waberte in die Luft empor und lockte einige Schaulustige an. Mehrere Männer blieben am äußersten Rand des Lagers stehen, als trauten sie sich nicht näher zu kommen, und beobachteten das Spektakel.
      Dany selbst hatte sich weggedreht und versuchte nicht daran zu denken, dass Prysk tot war. Das war es, so einfach ging es. Ein einziger Fehler und es war vorbei - dabei hätte man doch sicher etwas tun können. Man hätte etwas tun müssen! Verflucht, warum hatte nur niemand etwas unternommen?!
      "Arwen!"
      "Noch einen Moment."
      "Was?! Wie?!"
      Er nickte nur mit dem Kinn in Richtung Feuer und Dany zwang sich dazu, doch wieder hinzusehen.
      Prysk lebte noch.
      Es sollte eigentlich gar nicht möglich sein, aber Prysk lebte noch.
      Sein Kopf hing herunter, sein Körper hing in den Griffen der Soldaten um ihn herum, Blut tropfte ihm aus dem Mund, aber er lebte noch, er atmete noch und er bewegte sich noch. Viele Sekunden lang sah Dany hin, um sich zu vergewissern, dass das nicht einfach nur die letzten Momente vor seinem Tod waren.
      Nein, Prysk lebte noch. Und es war dieselbe merkwürdige Szenerie wie sein Kampf mit Pollux, bei dem der blondhaarige einen ähnlich fatalen Treffer eingesteckt hatte. Nur hatte Dany damals schon keine Magie gehört und sie vernahm sie auch jetzt nicht.
      Wie gebannt starrte sie hinaus auf den lebendigen, sollte-aber-eigentlich-tot-sein Prysk, der unvorstellbare Qualen leiden musste, sich aber mit keinem Wort darüber beschwerte. Das war schon wesentlich mehr, als Dany jemals zustande gebracht hatte.
      "Dany."
      Sie drehte sich wieder zu Arwen um.
      "Jetzt ist ein guter Moment."
      "Kannst du mir erklären, was da gerade vor sich geht?!"
      "Später kann er es dir erklären, jetzt müssen wir erstmal hier raus."
      "Ich weiß nicht wie!"
      "Prysk meinte, du weißt es."
      Dany presste die Lippen aufeinander. Sie wusste es nicht.
      Hilf mir!
      Keine Antwort. Der Dolch schwieg, so wie er die letzten Tage schon geschweigt hatte.
      Hilf mir du dreckiges, nutzloses Stück Eisen!
      Nichts.
      Dany fuhr sich mit beiden Händen über das Gesicht und drehte sich wieder zum Feuer um, wo Lupari die Klinge bereits wieder in die Flammen hielt.
      Der Dolch musste da sein. Er war nicht allzu weit entfernt und wenn ihn ein anderer benutzt hätte, hätte Dany das Bewusstsein verloren. Sie waren noch immer verbunden.
      Wenn du mir nicht sofort antwortest, werde ich dein Eisen einschmelzen und dich zu einer Kugel formen, die sich irgendeine dreckige Hure in den Hintereingang schiebt!
      Ohh, aber Dany, kam endlich die Antwort in ihrem Hinterkopf, eine säuselnde, selbstzufriedene Stimme. So nett hast du mich ja noch nie gefragt.
      "Ich schwöre dir", flüsterte sie leise genug, dass sie hoffentlich niemand hören konnte, "Wenn du mir nicht hilfst, dann ist es aus mit uns, dann kannst du meinetwegen in der Hölle versauern."
      Aber aber, ich bin doch hier. Lass mich dir doch helfen, du musst es nur zulassen. Das ist doch nicht unser erstes Rodeo, oder?
      Nein, war es nicht. Und Dany ließ es zu.
      Das Schwarz kroch ihr die Arme empor. Es war schon wieder langsamer, mittlerweile eher ein stetiges Fließen als ein energisches Rauschen. Viele, ewige Sekunden lang dauerte es, bis die Last von ihrem Körper fiel, sämtliche Schmerzen und Beschwerden verschwanden und ihr Kopf so frei und klar wurde wie schon lange nicht mehr. Sie atmete ein und wieder aus und genoss das berauschende Gefühl, das in ihr Einzug fand.
      Sie drehte sich zu Arwen um und nickte. Der Jäger nickte zurück.
      "Komm hier herüber. Die Gitterstäbe."
      Dany tat wie geheißen und begann, die eisernen Stäbe mit den bloßen Händen an einer Stelle auseinander zu drücken. Arwen bedeutete ihr aufzuhören, als sie gerade mal ein paar Zentimeter Platz gemacht hatte.
      "Urret."
      Der Hasenmann kam herangeschlichen und erwartete seinen Befehl.
      "Geh hinaus und zu Orecs Wagen. Versteck dich darunter, wenn es nötig ist, solange du nicht gesehen wirst. Du musst einen Weg finden ihn aufzuschließen, aber wenn es nicht klappt, musst du aus dem Lager verschwinden. Geh über die Bäume und sieh zu, dass du zurück zur Festung kommst. Wir brauchen hier definitiv Unterstützung."
      Urret nickte, dann begann er, sich durch die engen Gitterstäbe zu zwängen. Allesamt warteten sie einen günstigen Augenblick ab, dann verschwand der Späher und die anderen konnten nur hoffen, dass die vielen Soldaten zu abgelenkt von Prysks Einlage waren, um den Späher zu entdecken.
      Louise war als nächste dran.
      "Du wirst dich unter diesem Wagen verstecken. Dany und ich werden versuchen, genügend Aufmerksamkeit auf uns zu lenken. Wenn du es schaffst, besorge Prysk eine Waffe. Wenn nicht, versteck dich; Urret wird wiederkommen. Er wird mit Unterstützung kommen."
      Louise blieb keine andere Wahl, als sich ebenfalls durch die Stäbe zu zwängen und unter dem Wagen zu verschwinden.
      Dann waren nur noch sie beide übrig.
      "Okay, Dany."
      Der Gigant legte ernst die Hände auf ihre Schultern.
      "Sie wissen nichts von dir und das muss unser Vorteil bleiben. Kannst du ihn hören, den Stein? Weißt du, wo er ist?"
      "Nein."
      Dany brachte es nicht übers Herz ihm zu sagen, dass sie nicht einmal den Magier unter diesen Leuten ausmachen konnte.
      "Okay, das ist nicht schlimm. Wenn du ihn hören solltest, sag es mir. Bis dahin wirst du deine Kraft so gut es geht verdeckt halten, okay? Wir kommen hier nur raus, wenn Lupari es für klug hält, uns unbeschadet ziehen zu lassen. Das wird nicht einfach, aber wenn Orec frei ist, haben wir mehr Kampfkraft und wenn Urret flieht, können wir auf Unterstützung warten. Bist du bereit?"
      "Was, wenn ich nein sage?"
      "Dann ziehen wir es trotzdem durch."
      "Nein."
      "Gut, gehen wir. Mach die Gitterstäbe auf, aber lassen wir es so aussehen, als wäre es mein Verdienst."
      Also machten sie sich an die Arbeit und wahrhaftig, von der Seite wirkte es, als würde Arwen höchstpersönlich die Stäbe auseinanderziehen. Einige Soldaten schlugen bei seinem Anblick den Alarm, woraufhin sich gleich ein paar mehr um den Wagen herum sammelten. Aber Arwen spazierte nur heraus und vertraute seine Verteidigung Dany an, die sämtliche Waffen in ihrem Blick behielt.
      "Lupari!"
      Die Aufmerksamkeit des halben Lagers lag jetzt auf ihnen.
      "Ich habe mich entschlossen, dass ich nicht länger in diesem Karren warten will! Eigentlich habe ich sogar genug von deiner ganzen Aufführung. Ich gebe dir hiermit eine einzige Gelegenheit uns unsere Waffen wiederzugeben, andernfalls werden wir sie uns holen. Möchtest du deine Leute massakriert sehen? Denn ich bezeuge dir, das wird die einzige Alternative sein, die ich dir bieten kann."
    • Man unterschätzte zumeist den Hasenmutanten.
      Nur kurz nachdem die Ohren des Jungen Mannes zuckten, als dieser das Geflüster von Dany bemerkte, richtete er den Kopf zu ihr, während Arwen Anweisungen gab. Mit einem kurzen Nicken, einem Zucken der Nase, wartete er den glimpflichen Moment ab und drückte sich zwischen den Gitterstäben hindurch, die an seinem Körper schnitten.
      Es war nicht unklug, Orec zu aktivieren. Sie brauchten Kampfkraft. Und auch wenn Orec "nur" als Händler unterwegs war, glich seine Körperkraft beinahe der von Prysk. Er musste...Er musste es einfach schaffen. Sanft zuckte die knubbelige Nase des Hasenmannes in der Luft und roch den Schweiß der übrigen Wachen, die sich mittlerweile lachend und johlend um Lupari und Prysk geschart hatten.
      Verflucht, dachte Urret und schüttelte kurz den Kopf. Das sah nicht gut aus. Gar nicht gut.
      Mit schnellen, eiligen Schritten, die beinahe Sprüngen glichen schoss der junge Hasenmann durch das Unterholz und im Gegenlicht der Flammenfinger, die nach dem Himmel griffen, glitt der hagere Leib des jungen Mannes durch die Schatten.
      Als er bei dem Wagen von Orec angekommen war, glitt er in den hinteren, unsichtbaren Bereich. Eilig suchte Urret mit seinen Augen die Stäbe ab und machte sich an dem Schloss zu schaffen, das ihm offenbar wurde. Nur war dieses schwierig zu öffnen. Ein merkwürdig dämlicher Tag!, dachte der Hase und blickte sich um. Eisen. Er brauchte Eisen.

      Louise indes glitt nach Arwens Anweisung ebenfalls mühsam durch die Stäbe.
      Der bulligen Gestalt des Jägers war es zu verdanken, das niemand die junge Frau erblickte, die sich schwerlich trotz dürrem Leib durch den Zwischenraum zwängte.
      Sie vermerkte sich innerlich, dass sie Arwen hierfür mindestens einmal pitschen würde und glitt unter den Wagen, wie ihr angeordnet wurde. Doch eine Waffe für Prysk?
      Der Schnee unter dem Wagen war mehr ein Matsch als alles andere. Sie sank beinahe Zentimeter in die Masse ein, wärhend sie sich mit angeekeltem Gesicht vorschob und beinahe einen Käfer verschluckte, der sich durch die Schneedecke arbeitete. Kurz verdrehte die junge Frau die Augen bis ins Weiße und unterdrückte einen panischen Aufschrei, ehe sie den Kopf schüttelte und weiter kroch.
      Vorsichtig, dachte sie. Ganz vorsichtig, Lou.
      Ruhig suchte sie die Reihen der Männer ab. Sie alle trugen Waffen, soviel war sicher. Aber Prysks Waffen waren wie die der Anderen in einer Kiste verstaut, die auf der anderen Seite des Lagers verweilte. Dort, unweit der Feuerstelle zur Rechten. Ein schmaler Baumstamm, an dem eine alte Kiste lehnte. Wenn sie es nur schaffte, dorthin zu gelangen: Dann hatte sie zumindest ihre Armbrust und die Waffen der anderen. Das war gut, oder? Ja, das war gut.
      Also begann auch sie ihren Weg, während sie oben die Gitterstäbe knirschen hörte.
      Moment!, dachte sie und hielt inne. Wenn Arwen diese Kraft hatte, warum hatten sie dann hier gehockt? Warum hatte er sie warten lassen?
      Das war ein zweiter Pitscher, soviel stand fest. Wütend kroch sie eilig und spinnengleich weiter, während die anderen die Aufmerksamkeit auf sich zogen.

      Lupari stach noch zweimal zu.
      Nach dem Stich in den Magen fuhr das Schwert als nächstes in die linke Lunge des Jägers. Er spürte das kalte Eisen in seinem warmen Fleisch und wie es beinahe zischte, als es durch ihn fuhr. Er hätte schreien sollen. Er hätte einbrechen müssen. Doch eisern hielt sein Leib sich selbst in den Armen der anderen aufrecht. Schmatzend glitt das Schwert erneut heraus und ein Schwall hellroten Blutes ergoss sich dabei in den Schnee.
      Sein Mund schmeckte eisern. Erst später bemerkte er, dass ihm Blutfäden wie kleine Flüsse aus dem Mundwinkel liefen. Der letzte Stich glitt wie Butter in die rechte untere Leiste seines Leibes, bis das Messer auf einen Knochen traf und eilig zurückgezogen wurde. Er hätte schreien sollen...
      "Es ist wirklich...ungewöhnlich...", murmelte Lupari und gab das Messer einem anderen der Banditen. "Ich kenne Fähigkeiten, mit dem man Schmerzen unterdrücken kann. Ich kenne Kampfkünste, die es einem Menschen vermitteln, die Schmerzen zu verstecken. Aber ich kenne nichts, was einen keine empfinden lässt, mein lieber Prysk..."
      Ein Grinsen glitt durch das Gesicht des Jägers, als dessen Kopf an den Perlenhaaren nach oben gerissen wurde. Die Zähne darunter waren rot und ein Schwall Blut glitt mit jedem Wort aus dem Mund.
      "Gibt...für alles...das erste...Mal...", krächzte Prysk und sah aus dem Augenwinkel eine Bewegung. Endlich...
      Endlich kamen seine Retter...Er konnte nicht mehr lange stehen. Gefühlt hatte er jetzt schon kein Blut mehr im Leib.
      Die Alarmrufe der Banditen glitten durch das Lager und eilig fuhr der Hund herum und sah zum Wagen, wo gerade Arwen mit dieser Frau aus dem Karren stieg.
      Während die ersten ihre Waffen zogen und sich bedrohlich vor Arwen aufbauten, riss an Prysks Seite einer der Banditen eine Armbrust aus dem Holster. Nicht gut. Pfeile trafen. Auch wenn die Körper verstärkt waren.
      "Ach, du gibst mir eine Gelegenheit...", höhnte Lupari und begann bellend zu lachen. Scharfe Reißzähne zeigten sich an bläulich-schwarzen Lefzen, als er einen Schritt auf Arwen zumachte.
      Diese Frau im Hintergrund war merkwürdig...Sie war mehr als merkwürdig. Aber Arwen immer noch die größere Gefahr.
      "Runter mit den Waffen, ihr Idioten!", bellte Lupari. "Wenn ihr euch auch nur ansatzweise einmischt, hänge ich eure Eingeweide neben Arwens auf, wenn ich hier fertig bin. Du!"
      Er bellte in Richtung des ersten Soldaten, der Dany nahe stand und jetzt zusammen zuckte.
      "Besorg diesem alten Mann seine Waffe und wir sehen mal, wer hier wen massakriert...", grollte der Hund und legte den Kopf schief. Erst danach glitt seine pfotengleiche Hand an das massige Schwert an seiner Seite.
      Mit einem leichten Klirren wurde es aus der Scheide gehoben und senkte sich in einer Schnellen Bewegung herab, als würde man ungewünschte Flüssigkeit abschütteln. Noch bevor das Schwert den Schnee berührte, wurde dieser bereits zur Seite geschleudert.
      DAs war nicht gut!, dachte Prysk und sah panisch zu Dany. Sie musste es verstehen!
      Mit seinen Augen versuchte er ihr zu bedeuten, zu dem Schwert zu sehen! Sie würde es verstehen! Das war kein Schwert! Arwen konnte Luparis Geheimnis nicht kennen, weil er seinerzeit gegen den Ersten gekämpft hatte. Er wusste nicht, dass das Schwert kein Schwert war, sondern eine Art geschärfter Eisenknüppel. Würde dieses Monstrum direkt auf die Axt treffen, würde selbst der alte Mann zusammenbrechen.
      "Ich biete dir nur an, Arwen", begann LUpari und leckte mit der Zunge über die Klinge. Arwen wurde seine Axt gereicht. "Geh zurück in den Karren und du und deine Freunde werden leben, wenn wir alles haben, was wir haben wollen. Prysk wirst du als Pfand hier lassen, aber der Rest wird leben. Ohne Massaker, ohne Blut. Weigerst du dich, werde ich dir gern zeigen, warum ich den Himmel zerreiße."

      In der Ferne hatte Louise nur auf den Moment gewartet.
      Als der eine Bandit die Waffe holen wollte, war Louise schneller. Mit einer schnellen Bewegung riss sie ihm das Schwert aus der Scheide und bohrte es in den sich darbietenden Leib. Ehe der BAndit auch nur aufschreien konnte, hatte sie ihn aufgefangen und seinen Umhang angelegt. Die Gunst des Unterlegenen. Eine Gabe, die die junge Frau allzu lange beherbergt hatte. Die einzige Frau in der Hauptwache. Und sie war es nicht ohne Grund.
      Denn auch wenn Louise von schwächlicher Natur und zweifelhafter Bewusstseinsstärke war, hatte sie jedoch eine Fähigkeit, die sie von den anderen unterschied: Die Gabe der Abpassung. Die besaß das perfekte Gespür für Timing. So fiel es auch niemandem auf, der sich gerade auf Arwen und Dany fokussierte, dass es nicht der erste Bandit war, der Arwen die Axt reichte, sondern Louise, die die Kapuze über den Kopf gezogen hatte.
      Und ebenso sah niemand, dass sie Danys Dolch an Arwens massigem Arm vorbei mit perfekter Abpassung der Zeit in den Schatten seines Beines warf, ehe sie sich nickend umwandte und in der bunten Masse verschwand, um Prysks Waffen zu holen.

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    • Eines musste man ihm schon lassen: Arwen zeigte im Angesicht des versammelten Lagers keinerlei Furcht. Der Jäger stand aufrecht in seiner vollen Stärke, ein Gigant von einem Mann, der andere Männer gerne mal klein aussehen ließ. Er begegnete Luparis Blick und den messerscharfen Reißzähnen mit kühler Verachtung. Für ihn schien der Soldat so bedrohlich wie jeder beliebig anderer.
      Dany hatte da eine andere Meinung zu vertreten, eine ganz andere sogar. Ihr gefiel dieses grinsenartige Zähneblecken nicht, das der riesige Hund dort von sich gab und auch nicht der Blick in seinen kleinen Augen, mit denen er Arwen betrachtete. So wie Arwen keine Angst vor diesem Soldaten zeigte, zeigte auch der Soldat keine vor ihm und Dany fand, dass mit jemandem, der Arwen mit einer solchen Leichtigkeit gegenübertrat, nicht zu spaßen war. Selbst in Arwens Schatten jagte der Anblick des anderen ihr einen unangenehmen Schauer über den Rücken.
      Arwen musste genau gewusst haben, was er sagen musste, um an Luparis Stolz zu appellieren und ihn nicht etwa zu provozieren, denn der Hund ließ ihm tatsächlich seine Waffe bringen. Stumm nahm er sie entgegen, wobei weder er noch Dany aufmerksam genug waren, dem angetanzten Soldaten unter die Kapuze zu schauen. Dany sah nur, als der Soldat sich schon zurückzog, dass ein Gegenstand direkt hinter Arwen im Schnee lag: Ihr Dolch. Ihr verdammter, verfluchter Dolch.
      Was wäre ein Kampf schon ohne mich, trällerte es fröhlich in ihrem Kopf und Dany mochte sich gar nicht eingestehen, was für eine Erleichterung sie darüber verspürte, mit ihrer Waffe wieder vereint worden zu sein. Sie klaubte ihn vom Boden auf, indem sie vorgab zu stolpern und ihn dabei schnell einsackte.
      Lupari kam dabei näher. Sein eigenes Schwert war lang und schien aus einem robusten, wenngleich einzigartigen Stahl gefertigt, der schwerer als gewöhnliches Schmiedematerial schien. Die Klinge reflektierte den Schnee nicht so sehr, wie es ein gewöhnliches Schwert tun würde und irgendwie bereitete Dany das Kopfschmerzen.
      Sie kam aber nicht darauf, bis sie Prysks Blick begegnete, der immernoch an Ort und Stelle festgehalten wurde und nicht viel mehr tun konnte, als mit blutunterlaufenen Augen diesem Duell beizuwohnen. Sein Mund stand offen und ein beständiger, fadenscheiniger Blutfluss lief ihm aus dem Mundwinkel und unter der Zunge hervor nach draußen. Das alleine wäre schon beunruhigend genug gewesen, wenn er dabei nicht auch noch in einer ganzen Pfütze seines eigenen Blutes gesessen wäre. Der Schnee hatte einiges aufgesaugt, aber es war so viel, dass es sich sogar darüber schon sammelte.
      Nur sein Blick war noch klar. Und mit diesem Blick starrte er Dany mit einer Intensität an, die seinem körperlichen Zustand niemals zuzuschreiben gewesen wäre.
      Er sah auf Luparis Schwert. Er sah wieder Dany an. Er sah auf das Schwert.
      Nun war Dany keine dumme Frau. Sie hielt sich sogar für intelligent genug, dass sie diesen eigenartigen Blick eines von Blut triefenden Mannes bis in seine Gänze ergründen konnte. Irgendwas war mit dem Schwert und es war wohl auch egal was genau, denn letzten Endes war das nichts, was Dany nicht schaffen würde mit den Fähigkeiten ihres Dolches. Diese Intelligenz war aber nicht hoch genug, dass sie begriffen hätte, wie sie sich in dieses Duell einmischen sollte. Nein, besser noch: Wie sie sich in dieses Duell einmischen und auch noch lebend herauskommen sollte. Denn auch mit ihren übermenschlichen Kräften waren hier noch immer gut zwanzig Soldaten anwesend, die nahe genug waren, um Dany mit zwei Sprüngen zu erreichen. Ein riesiger Hund war anwesend, dessen Schwert irgendetwas konnte, was sie nicht ergründen konnte und bei dem sie nur darauf hoffen konnte, dass es ihre eigene Kraft nicht übersteigen würde. Es war keine Magie, das hätte sie sonst sicher gehört, aber das musste nichts heißen. Vielleicht war sie schwach genug, um überhört zu werden, aber stark genug, um jemand sterblichem wie Dany den Garaus zu machen.
      Ja, Dany war intelligent. Aber intelligent genug, sich in das Duell einzumischen, ohne zu sterben? Das wusste sie nicht. Das bezweifelte sie sogar ernsthaft.
      Aber als Lupari ankam und Arwen seine Axt mit beiden Händen packte, wusste sie, dass ihr gar keine Zeit blieb, darüber nachzudenken. Entweder sie unternahm etwas und beschaffte ihnen allen die Freiheit, oder sie überließ Arwen seinem Schicksal und verendete im Karren mit der Aussicht darauf, dieselbe Behandlung zu erfahren wie Prysk. Wenigstens diese eine Sache wusste sie ganz sicher: Sie würde nicht halb so viele Stiche überleben wie Prysk. Sie würde nicht einmal einen einzigen davon überleben.
      Also stellte auch Dany sich unmerklich auf. Kaum einer schenkte ihr Beachtung, denn Arwen ließ sein gewaltiges Klingenblatt kreisen und ging in Kampfhaltung. Er sah wirklich beängstigend aus, wenn er es ernst meinte.
      "Wir gehen hier nur mit Prysk raus, Lupari. Wir lassen niemanden zurück, das solltest du mittlerweile wissen."
      Der Hund zeigte sich höchst unbeeindruckt davon. Was auch immer zwischen ihm und den Jägern vorgefallen war, es überschattete alles andere.
      Lupari stellte sich selbstgefällig auf. Er hob das Schwert, während Arwen seine Axt nach hinten ausholen ließ. Die Axt war länger als das Schwert, daher würde Lupari den letzten Schritt nach vorne machen müssen. Er tat es mit seinem grinsenartigen Zähneblecken. Er holte zu einem Stoß aus.
      Dany schoss hinter dem wuchtigen Leib des Jägers hervor, als die Waffen aufeinander zurasten. Sie konnte nicht den richtigen Moment abschätzen, denn sie hatte nur ein paar Sekunden Vorbereitungszeit erhalten und plötzlich musste alles sehr schnell gehen. Sie hoffte einfach darauf - nein, sie betete darum, dass die Götter sie führen mögen.
      Das Schwert kam von vorne niedergesaust, die Axt von hinten. Dany war dazwischen, den Dolch in der einen Hand festgeklammert. Sie riss im Ansturm ihre freie Hand nach oben und wollte Luparis Schwerthand abfangen, aber dafür hätte sie sie erstmal erwischen müssen. Sie entglitt ihr. Lupari und Dany reagierten gleichzeitig, er zog das Schwert in die andere Richtung, Dany drehte sich mit. Sie hatte seine Hand nicht erwischt, aber jetzt ergriff sie seinen gepanzerten Unterarm, suchte nach dem richtigen Halt und riss seinen Arm herum.
      Der ganze, gepanzerte Soldat flog über ihre Schulter zu Boden. Das Manöver wäre für jemanden gedacht, der in etwa Danys Höhe und Körpergewicht besaß, aber der Dolch sprang dort ein, wo sie ihn brauchte. Sie beförderte den ganzen Hund mitsamt Rüstung über ihre Schulter und brachte ihn scheppernd und krachend zu Fall.
      Hinter ihr hatte Arwen auf die Überraschung reagiert, aber seine Axt war unglaublich schwer und ließ sich schlecht umlenken. Er versuchte, Luparis Kopf zu treffen, der über Dany hinaus ragte, aber da hatte sie schon ihr Manöver durchgeführt. Die Axt zertrennte Luft und der Jäger stolperte unter dem Schwung nach vorne.
      Dany holte sofort mit ihrem Dolch aus. Im Gegensatz zu allen anderen musste sie sich nicht von der Überraschung über die Wendung dieses Ereignisses erholen, denn sie hatte schließlich darauf gesetzt, dass es funktionieren könnte. Allerdings war Lupari ein kampferprobter Soldat und öfter in derartige Gefechte gelangt als Dany im letzten Jahr. Er war schneller als sie und der Dolch verfehlte seinen ungeschützten Hals. Er riss den freien Arm herum und die gepanzerte Eisenfaust traf Danys Schädeldecke. Sie spürte einen kurzen Schwindel, aber nicht mehr. Sie riss den Dolch herum und stieß ihn nach vorne.
      Ihre Kraft ließ die Klinge die Eisenplatte von Luparis Rüstung durchdringen. Stahl riss unter ihrem Stoß nach innen ein und brach auseinander. Beinahe ungehindert trennte der Dolch Luparis Unterarm von seinem Obarm ab, ein sattes schmatzendes, krachendes Geräusch.
      Hinter ihr hatte Arwen sogleich geschaltet und seine Axt neu herumgeschwenkt, um sie dem ersten Soldaten in den Bauch zu jagen, der bei dieser plötzlichen Wendung nach vorne gesprungen und Dany aufzuhalten versucht hatte. Die Axt hackte in seine Flanke und ließ ihn schreiend zu Boden gehen. Arwen riss sie heraus und stellte sich gleich dem nächsten, um Danys Rücken freizuhalten.
    • Ich verschließe meine Augen
      Ab von dieser Welt
      Mein Herz sei eine Feste, in stillen Bergeshöhen
      Mit Hallen, hoch und kühl, in welche nie ein Schatten fällt


      Luparis Welt brannte.
      Als der Kampf zwischen den beiden alten Veteranen begann, entfachten sich die Kriegsflammen in den Augen der übrigen Soldaten. Geschulterte Waffen, gezogene Klingen und angelegte Armbrüste waren die Folge und eine rasche Folge von Rufen, die durch das Zelt der hereinbrechenden Nacht hallten wie die Schreie der vergessenen Toten. Sie alle waren tot. Das wusste ein jeder Jäger. Gerade als Lupari sicher war, den Kampfweg des alten Arwen zu lesen und die Kraft seines Schwertes auf ihn herniederfahren zu lassen, geriet seine Sicht ins Wanken. Oben war plötzlich unten, als er hart auf den eisigen Boden aufschlug und nur dank des Matsches, den ihre Stiefel hinterließen, nicht verletzt wurde. Jedoch war dem Frieden zu viel Zeit gegeben, denn kurz darauf bereits durchfuhr ein schwerer, scharfer Schmerz seinen Arm und er sah das Gewicht des Schwertes in den Dreck fallen.
      Welcher Soldat ließ so achtlos seine Waffe fallen? Er sollte denjenigen...
      Seine eigene Pfote, blutverschmiert im Schnee ließ ihn dennoch kurz innehalten, während seine Männer begannen, Dany und den alten Arwen zu beschäftigen.
      Der Schmerz kam langsam und unerträglich über ihn. Mit einem Knurren quittierte er Danys schlanke Gestalt über sich. Dieses Mädchen...diese Frau...dieses...dieses...Miststück...
      Noch ehe er die Gelegenheit hatte, Befehle zu rufen, war sein erster Kommandant schneller. Mit einem raschen Blick hielt er seine Männer zum innehalten und nahm zwei Schritte Abstand.
      "HABT ACHT!", schrie er den anderen zu, die jetzt Arwen umkreisten und ihre Klingen eine nach der anderen in den Nachthimmel hoben, sodass sich Licht an ihnen brach.
      Es heißt, das Geheul eines verwunderten Tiers ist das schrecklichste Geräusch, was ein Mensch jemals zu hören bekommt.
      Sie mochten sich nicht täuschen, befanden die Soldaten, als der Hund unter Dany mit einem Mal erst zu knurren, dann zu jaulen und schließlich zu heulen begann und sich den Armstumpf mit der Linken hielt. Der Schmerz war unerträglich und die Wut...Die Wut über diese Frau so grenzenlos...Und wunderbar...
      Scharf bleckten sich die Zähne des Hundes über die schwarzen Lefzen, sodass er einem Wolf ähnelte und sämtliche Nackenhaare stellten sich auf, als das Jaulen mehr und mehr zu einem Urgeheul wurde, das eher einem sehr, sehr wütenden Tier ähnelte. Die Pfote um seinen Stumpf, der blutete schien sich mit einem Mal urplötzlich zusammen zu ziehen und das Metall der Rüstung zu biegen. Was der Dolch wie Butter zerschnitten hatte, drückte nun eine Pfote wie ein Stück Holz zusammen und ließ das Metall die Blutung stauchen und stoppen.
      "DANY!", schrie Louises Stimme aus der Ferne, doch die Warnung kam bereits zu spät.
      Die Linke des Hundes griff nach der schlanken Gestalt der jungen Frau und bekam sie an einem ihrer Arme zu fassen. Welcher es war, wusste Lupari nicht und es war ihm auch gleich. Aber dieses Weib würde leiden. Wie er. Mit einer beinahe abfälligen Bewegung seines Armes presste er den Arm der jungen Frau beinahe bis zu ihrem Knochen herab und schmiss sie wie einen Sack Kartoffeln von sich, nur um zufrieden das Geräusch von splitterndem Holz zu hören, das auf einen Körper traf.
      Schwerfällig und langsam erhob sich Lupari.
      Sein Gesicht ähnelte einer Fratze und die Augen des Hundes schimmerten in einem giften Gelbton auf seine Männer herab. Ein Grollen entrang sich seiner Kehle, das beinahe einem Höhlentroll Konkurrenz machte, ehe er zu Dany sah und sich über die Lefzen leckte.
      "Menschen...kind...", knurrte eine Stimme, die nicht mehr Luparis zu sein schien und die linke Pfote griff wie mechanisch nach dem Schwert.
      Ruhig und gelassen hob er es an und fuhr damit einmal durch die Luft, wobei erneut Schnee aufgewirbelt wurde. Arwen war beschäftigt, das war gut. Seine Männer starben, aber was sollte es? Diese Frau hatte ihm seinen Arm genommen. Und bei einem würde es bleiben.
      Just in dem Moment, als er einen Schritt nach vorne tat, warf sich mit einem meckernden Geschrei Urret auf den Hundemann.
      "Das wirst du nicht!", schrie der Hasenmutant und griff nach dem Stumpf, um Lupari zurück zu halten, näher an Dany heran zu treten, die sich aus den Trümmern kämpfte.
      War das Blut? Ja, das war es, oder?!
      "Was willst du denn, du...?!", knurrte der Soldat und fuhr mit seinem Schwert herum.
      Noch ehe Urret auch nur einen Wink hätte tun können, registrierte er die Gefahr um sich herum. Doch auch für den Hasen kam jede Hilfe zu spät. Mit einem Surren durchschnitt das Schwert die Nacht und kam mit einem dumpfen Knall auf dem zierlichen Körper des Hasen auf.
      Für eine Sekunde lang verharrte Urret beinahe stehend in der Luft, ehe der Luftdruck seinen Leib wie ein Spielzeug durch das Lager feuerte. Krachend und ohne jeden Schmerzensschrei schlug der Hasenleib gegen den Käfig des Mannes namens Orec und prallte davon ab. Reglos blieb Urret im Schnee liegen, was wiederum von Louise mit einem Schrei betont wurde. DIese jedoch war damit beschäftigt, sich gegen zwei Banditen gleichzeitig zu verteidigen und schaffte es nicht durch die Wirren der Schlacht hindurch.
      "Dummer Hase...", murmelte Lupari und bereits wirkten seine Augen fernab von Gut und Böse. Ein kurzer Seitenblick zu Arwen ließen ihn mit der Zunge klicken.
      Die Banditen griffen an. Alle gleichzeitig. Der Alte war gut. Aber so gut, sich gegen fünf Schwerter zu verteidigen? Mit einem bestialischen Lächeln sah Lupari zu Dany und rückte zwei weitere Schritte an sie heran.
      "Der Dolch...", knurrte der Hund und legte den Kopf schief, ehe er das Schwert erhob, um Richtung Dany zu schlagen. "Ich will es..."
      "Und ich will Spießchen."
      Ja...Spießchen...Mit Fleisch und- Was?! Spieße?!
      Mit Erschrecken fuhr der Banditenlord herum und sah gerade noch eine gewaltige Faust heraneilen. Behaart und was vor allem seltsam war: mit sechs Fingern!!!
      Krachend fuhr die Faust auf die Schnauze des Hundes nieder und ließ dessen Kopf nach hinten schnappen. Bereits ein Schwung ließ ihn aus dem Gleichgewicht kommen?! Wie?! Wer...
      Schwer torktelte der Soldat zwei Schritte seitlich, ehe er sich ungelenk auf den Hosenboden setzte und mit dem Hinterkopf an einen Baum schlug.
      "Meine Güte...", murmelte der Mann, der über ihm stand und grinste Dany zu. "Das war echt ein gutes Schläfchen...Heda! Gehts dir gut, Mädchen?!"
      Orec lächelte breit und klopfte sich mit den sechsfingrigen Händen auf den deutlich hervorstehenden Wanst, ehe er sich Lupari zuwandte.
      "Überlasst den kleinen Pinscher hier mir. Geht und helft Prysk und Urret. Die sehen, gelinde gesagt, beschissen aus!", rief er ihr zu und sah zu Lupari. "Na, du kleiner?! Wer ist ein feiner Hund?"
      "Du...mieses...", knurrte Lupari und riss sich selbst beinahe wieder auf die Beine um mit einem Urschrei anzugreifen und das Schwert wie einen Mond zu schwingen. Er würde ihm zeigen, warum er den Himmel zerriss. Er würde den Himmel spalten, die Ozeane teilen und seine Leiche in tausend Teil-
      Ein zweiter Knall in viel zu lauter Nacht. Wie eine Kanonenkugel fuhr die zweite Faust des Händlers auf die Schnauze des Hundes, der einen Moment lang blind von Hass zu sein schien. Der Dritte Hieb traf die Rüstung auf Brusthöhe.
      Alles fühlte sich an, als ramme ihn eine Herde wildgewordener Büffel und mehr als einmal fragte sich Lupari, wo sie dieses Monstrum versteckt hatten!? War dieser Narr wirklich nur ein Händler?! Und wieso hatte er sich nicht verteidigt, als sie ihn geplündert hatten.
      Während der Hund sich auf den Schnee erbrach und zitternd sein Schwert hielt, spürte er die schwieligen Hände des Händlers an seinem NAcken.
      Er musste aufsehen! Er musste hochkommen und sich verteidigen, ihn beißen oder kratzen, oder...
      War das Angst? Fühlte sich so Angst an?! Diese kalte Welle, die ihm durch Mark und Bein ging und ihn zittern ließ. Das Knie, dass sich von vorne gegen seinen Schädel rammte, bevor seine Welt dunkelrot zerbarst, brachte dieses Gefühl mit sich.
      Erstaunlich...
      Das war also Angst, dachte Lupari, ehe dessen Körper wie ein Nasser Sack gegen den Baum schlug und dieser bewusstlos zu Boden sackte.


      The more that I reach out for heaven
      The more you drag me to hell
    • Neu

      Helles, warmes Blut spritzte aus dem Armstumpf heraus und benetzte Danys Hand. Der Anblick war verstörend, selbst für jemanden mit Kampferfahrung, selbst für jemanden wie Dany, die ihren Dolch schon zum Einsatz gebracht hatte. Sie kannte den Anblick von abgehackten Gliedmaßen, aber nicht von solchen, die noch in der Rüstung steckten. Die Eisenplatte schien jetzt ein dunkles Loch zu haben, aus dem nach und nach Schwälle von Blut flossen.
      Es war widerwärtig. Gleichzeitig wurde Dany von einem Triumphgefühl ergriffen, das sich nicht beschreiben ließ. Lupari hatte Prysk mehrmals den Körper durchbohrt und jetzt hatte sie ihm die scheiß verdammte Hand abgehackt. So geschah es ihm recht!
      Richtig so, schnurrte auch der Dolch in ihrem Kopf, der sich womöglich an dem von ihm vergossenen Blut labte. Oder auch an Danys schadensfrohen Gefühlen. Hack ihm noch was ab. Da ist noch genug von ihm übrig.
      Aber Dany hatte andere Pläne. Sie wusste, dass das hier eine Momentaufnahme war und ihnen niemals den Weg nach draußen ebnen würde. Sie hatte Prysk gerächt, jetzt musste sie aber zusehen, dass sie alle auch heil hier heraus kommen würden.
      Erneut hob sie den Dolch an und setzte die Spitze auf Luparis Brust auf.
      "KEINEN SCHRITT WEITER ODER ICH BRINGE IHN UM!", kreischte sie und nachdem die ganze Versammlung gesehen hatte, wie einfach sie ihm die Pfote abgehackt hatte, zweifelte niemand an ihren Worten. Keine Rüstung der Welt würde sie davon abhalten, diesen Hund umzubringen.
      Es wirkte. Irgendeiner der Soldaten antwortete mit einem gebrüllten "HABT ACHT!", bevor die Mannschaft ein Stück auf Abstand ging. Arwen nahm seine Axt wieder in Angriffshaltung und starrte grimmig in die Runde, achtsam auf jede Bewegung, mit der jemand doch wieder nach vorne springen könnte. Er wich nicht von Danys Rücken, auch wenn er alleine dort stand.
      Lupari selbst beantwortete das Chaos derweilen mit einem Heulen, das jedem Anwesenden bis ins Knochenmark drang. Sein Gejaule hatte nichts zivilisiertes an sich, es war etwas reines wildes, das ihm dort durch die Lefzen hindurch drang. Dany schauderte es davon. Ihr Wille, diesen Hund umzubringen, sackte schnell in sich zusammen, ganz unabhängig davon, was er Prysk angetan hatte. Mit etwas mehr Disziplin wäre sie diesem herzzerreißendem Geheule wohl immun gewesen, aber die hatte Dany nicht. Ihre Disziplin war wankelmütig und sie hatte niemanden, der ihr, wie in alten Zeiten, direkt sagen würde, was sie zu tun hatte. Sie handelte hier rein aus eigenem Willen und dort begriff sie schnell, dass der nicht sehr stark war. Er war sogar sehr leicht umzuwerfen.
      Doch dann betrachtete sie mit steigendem, größten Entsetzen, wie Lupari seine eigene Rüstung zusammenpresste, um den Blutfluss zu stoppen. Mit seiner eigenen Pfote. Da war kein Dolch im Spiel, der ihm diese Kraft hätte verleihen können. Sie kam von diesem Mutanten selbst.
      Louises Warnung kam reichlich zu spät und selbst wenn, hätte Dany in ihrem plötzlichen Schock vermutlich auch nichts auf die Reihe gebracht. Sie war gerade geistesgegenwärtig genug ihren Dolch anzuheben, aber da packte Lupari sie bereits am Arm - ein kurzer Schmerz durchfuhr sie, der aber sofort schon wieder verschwunden war - und schleuderte sie wie eine Puppe von sich. Dany war für eine ganz grauenvolle Sekunde schwerelos, in der sie ihren Dolch umklammerte, als würde ihr Leben davon abhängen, und krachte dann in einen von Baumstämmen hergestellten Tische. Das ganze Gerüst brach unter ihr zusammen und an dutzenden Stellen auf ihrem Körper ziepte es kurz, ehe alles vorbei war. Unter dem Einfluss des Dolches stand Dany auf, als wäre sie auf einer weichen Matratze gelandet. Doch sie wusste, dass die Beanspruchung zu ihr aufholen würde, sobald der Dolch sich zurückgezogen hätte. Sie musste das hier schnell beenden, bevor sie sich noch etwas zufügen würde, was sie nicht mehr aushalten konnte. Immernoch war sie sich der wirklichen Grenzen des Dolches nicht ganz klar.
      Lupari hatte sie unlängst wieder ins Auge gefasst und brannte jetzt wohl darauf, sich für seine verlorene Pfote zu rächen. Weit genug kam er aber erst gar nicht, als sich mit aller Überraschung Urret von hinten auf ihn warf. Dem Hasenmann musste mehr Mut zugeschrieben werden als sämtlichen Anwesenden hier gemeinsam, aber er war nicht hinreichend ein geeigneter Gegner für den viel größeren Soldaten. Dany sah es bereits kommen, bevor es tatsächlich eintrat: Das Schwert durchschnitt die Luft und krachte gegen den zierlichen Körper. Urret flog durch die Luft und nur die Götter konnten in diesem Augenblick wissen, ob er nicht schon längst tot war, bevor er gegen den Wagen krachte.
      In der Entfernung kreischte Louise. Arwen war derweil wieder von den Soldaten bedrängt worden, nachdem Lupari Dany losgeworden war. Seine Axt besaß das nötige Gewicht und die nötige Schärfe, um selbst Rüstungen zu durchschneiden, aber sie war eine langsame Waffe und nichts mit viel Beweglichkeit. Schwerter mochten eine geringere Reichweite haben, aber dafür waren sie zahlenmäßig überlegen. Während Arwen noch nach dreien auf seiner rechten Seite ausschlug, nutzten die zwei auf der linken Seite sein langsameres Momentum und stießen mit ihren Waffen nach vorne. Arwen besaß keine Eisenrüstung wie sie. Eine Klinge zog ihm seitlich über den Oberschenkel, die andere über seiner Schulter. Als er herumwirbelte, um die beiden Soldaten zu erwischen, schlitzte ihm ein anderer den Oberarm auf. Arwen musste sich mit einem Knurren rückwärts bewegen, um sich aus der Reichweite ihrer Schwerter zu begeben und gleichzeitig zu verhindern, dass sie ihn umzingelten. Arwen mochte groß und stark sein, aber er war nur ein Mensch. Er blutete wie ein Mensch und er starb auch wie ein Mensch. Und so wie es aussah, spielte die Zeit diesmal gegen ihn.
      Dany konnte ihm nicht helfen. Sie konnte nur versuchen, das alles schnell zu beenden. Aber gleichzeitig musste sie auf die unsichtbaren Grenzen achten, die die Macht des Dolches sicherlich hatte.
      Ihre ganze Aufmerksamkeit lag auf Lupari, der wiederum Interesse an ihrem Dolch gefunden hatte. Kein Wunder, denn schließlich hatte sie mit dessen Hilfe gerade Eisenrüstung durchschnitten wie Butter. Nur würde Lupari diesen Dolch niemals erhalten.
      Bist du dir da sicher? Dieser Hund wäre ein ganz ausgezeichneter Träger. Was wir nur gemeinsam auf die Beine stellen könnten...
      Dany drehte ihre Waffe in der Hand während sie überlegte, wie sie aus der Sache nur herauskommen sollte. Es schien, als würde das Schicksal der ganzen Truppe auf ihren Schultern lasten und das war ihr zu viel Verantwortung dafür, dass sie gar nicht richtig in Form war. Jemand anderes sollte diese Verantwortung übernehmen und ihr genau sagen, wo es lang ging. So war sie es bisher gewohnt gewesen.
      Daher stand sie unbewegt, als sich von hinten einer der anderen Gefangenen näherte. Es war der sehr... breite Mann, der vorhin noch in seinem Wagen geschlafen hatte. Jetzt war er hochmunter und ganz anscheinend hatte Urret es ebenso geschafft, ihn aus seinem Gefängnis zu befreien. Er schlich sich an Lupari heran, der bis zu diesem Zeitpunkt noch von Danys Waffe abgelenkt gewesen war, und knallte ihm die geballte Faust ins Gesicht. Der Soldat fiel davon zu Boden und der dicke richtete sich frohgemuts an Dany.
      "Mir geht's super. Ging mir nie besser."
      Und dann endlich, endlich, sagte ihr mal jemand, was zu tun war. Dany hätte diesen Kerl, der so aussah, als hätte er vor fünf Minuten noch ein ganzes Pferd verputzt, küssen können. Dany war keine Anführerin, wollte auch keine sein. Sie war sehr gut darin, andere Befehle auszuführen.
      Ohne noch einmal über die Schulter zurück zu blicken rannte sie auf Prysk zu, der noch immer beim Lagerfeuer saß. Die beiden Bewacher, die ihn mehr hochhielten, als dass sie ihn wirklich an der Flucht hinderten, waren kein Hindernis für Dany. Dem einen zertrümmerte sie mit einem wohlplatzierten Faustschlag den Schädel und der andere starb an seinem Dolch, der sich durch seine Rüstung hindurch bis in sein Herz bohrte.
      Der Dolch schnurrte und summte vergnügt in Danys Hinterkopf.
      Sie packte ihn zurück in seine Haltung und kniete sich zu Prysk hinab, der in einer Pfütze seines eigenen Blutes kauerte. Es lief ihm noch immer durch die Löcher in seinem Körper, die ihn längst hätten umbringen sollen. Aber er lebte noch, er lebte wirklich noch.
      "Prysk! Heilige, gottverlassene Scheiße, wie kannst du noch leben?!"
      Sie brauchte keine Antwort, auch wenn sie später darauf bestehen würde, noch eine zu erhalten. Aber jetzt galt es erstmal, ihn und Urret in Sicherheit zu bringen.
      Sie packte den Mann bei den Schultern, lenkte ihn zurück, schob einen Arm unter seinen Rücken, den anderen unter seine Beine und hob ihn hoch. In ihren Armen wog er quasi nichts und nur der Gestank nach bleiernem Blut drang so scharf in ihre Nase, dass sie davon blinzeln musste. Sie wusste wirklich nicht, wie dieser Mann noch am Leben sein konnte.
      "Halte durch, verblute mir jetzt bloß nicht. Kannst du überhaupt verbluten? Kannst du überhaupt sterben?!"
      Eilig, aber immernoch vorsichtig, damit sie ihn nicht unnötig durchschüttelte, lief sie zu Urrets zusammengebrochener Gestalt beim Wagen. Sie konnte nicht sehen, ob der Hasenmann noch lebte, geschweige denn ob er sich nicht alle Knochen gebrochen hatte. Aber das machte im Moment auch keinen Unterschied. Sie setzte Prysk behutsam auf dem Boden ab, hob sich den bewusstlosen Mutanten über die Schulter und nahm Prysk dann wieder auf die Arme. Selbst zwei Gewichte machten ihr nicht mehr aus.
      Damit eilte sie in den Wald hinaus. Sie ging nicht weit, weil hier überall sicher noch die Fallen platziert waren, aber sie ging weit genug, um ein kleines Gebüsch zu finden, wo sie beide erstmal absetzen konnte. Prysk war leichenblass und schien am Rande eines Deliriums, was nun wirklich das mindeste wäre bei solchen Verletzungen. Urret regte sich gar nicht, aber er atmete, wie Dany erfuhr, als sie ihm die Hand vor die Hasenschnauze hielt.
      Also erstmal Prysk. Sie legte ihn ganz langsam auf den Rücken, bis er auf festem Boden lag und sie ihm das Oberteil aufreißen konnte.
      Drei Stiche, allesamt so dünn wie die Klinge, aber tief genug, um sämtliche Organe durchbohrt zu haben. Bei jeder Bewegung schwappte mehr Blut heraus und floss in den Schnee hinab.
      "Scheiße. Du siehst echt scheiße aus."
      Sie riss sich das wärmende Fell von den Schultern, riss händisch drei lange Streifen ab und legte drei individuelle Druckverbände auf den Wunden an. Das würde erstmal die Blutung stoppen, hoffentlich lange genug, bis sie wieder in der Festung wären. Aber Prysk würde kaum reiten können und sobald Dany die Macht des Dolches wieder abgeben würde, würde sie einholen, was sie soeben alles erlitten hatte. Vielleicht einer der Wägen? Ja, sie könnten einen der Wägen verwenden, vorausgesetzt, sie brachten es soweit. Aber wie sollten sie die Fallen umgehen?
      Der Magier. Dany musste den Magier finden, solange sie noch die Macht des Dolches in sich hatte. Irgendjemand musste diese Fallen gelegt haben, also würde dieser jemand auch die Fallen wieder entfernen können.
      "Kannst du hier bleiben?", fragte sie an Prysk. "Fünf Minuten. Ich muss den Magier finden, für die Fallen. Hältst du es aus? Fünf Minuten?"
      Sie vergewisserte sich, dass Prysk wahrhaftig hier ausharren konnte und nicht etwa versterben würde - auch wenn das wohl kein Problem darstellte - und kam dann wieder aus dem Unterholz geschossen. Der Magier. Wo war der scheiß Magier?
      Auf der Lichtung hatte Arwen jetzt die Hilfe von zwei anderen Männern, die zusammen mit diesem fetten Kerl im Wagen gesessen waren. Sie stärkten ihm den Rücken und die Seiten, während Arwen selbst bereits blutüberströmt war und sich allein durch das Adrenalin in seinem Körper aufrecht zu erhalten schien. Nein, der würde sicher auch nicht mehr reiten können. Sie brauchten einen Wagen und damit eine freie Bahn.
      Dany prallte in vereinzelte Soldaten hinein, die kaum etwas gegen ihren Dolch auszurichten wussten. Lupari wurde von dem Dicken in Schach gehalten, der mehr so wirkte, als wäre das eine Freizeit-Aktivität als ein richtiger Kampf. Arwen und die beiden anderen zogen das Hauptgemetzel an.
      Sie brach in wahllose Zelte hinein. In den meisten waren Lagerstätten, dann fand sie etwas wie ein Lazarett, wo drei Männer lagen, die kaum aufrecht stehen konnten und trotzdem ihre Waffen auf sie richteten - Dany ließ sie einfach in Ruhe und zog weiter - und etwas wie ein Kommandantenzelt. Und dann, in einem kleinen Zelt am Rand...
      Eine Frau wirbelte drinnen zu ihr herum, in der Hand eine Schatulle, die surrte. Auf ihrem Tisch lag ein Buch, das in leisen Tönen summte. Aus ihrer Kiste drang etwas wie ein rhythmisches Klopfen und ein Ticken. Sie trug eine Halskette, die einen beständigen Ton von sich gab.
      Dany starrte sie an und die Frau starrte zurück. Dann setzte die blutüberströmte Dany sich in Bewegung und die Frau öffnete den Mund.
      "Veres ek ml'hiah van..."
      Danys Dolch schoss nach vorne. Sie war schnell und präzise.
      "... ok a'hvi al seri..."
      Ihre Dolchspitze erreichte das Gewand der Frau.
      "... emblja!"
      Vor Danys Augen verschwand die Frau und der Dolch stieß ins Nichts. Ein Geräusch wie eine ferne Sprengung blieb zurück und dann ein leises Prasseln, aber die Frau war verschwunden.
      Im Lager tauchte die Magierin aus dem Nichts neben Lupari auf. Ihr Blick ging gehetzt über das kämpferische Chaos um sie herum und dann auf ihren bewusstlosen Kommandanten hinab. Ihr Blick traf sich mit dem von Orec. Sie legte die Hand auf die Stirn des Hundes und dann waren beide mit einem Schlag verschwunden.
    • Neu

      Prysk

      Seine Knochen waren schwer, so schwer.
      Sie fühlten sich an wie ein bleibeschwerter Sack Kartoffeln, als er aus seiner Trance und den dumpfen Geräuschen gerissen wurde. Aus den Stimmen nach dem dritten Stich waren vereinzelte Klingen geworden. Das Klirren von Eisen auf Eisen, das Schmatzen von Fleisch, das durchbohrt wurde. Der Geruch von Blut in seiner Nase. Längst hatte Prysk das Licht seiner Augen verloren und sich nur noch auf sein Gehör verlassen. Seinen Geschmackssinn, der ihm Eisen suggerierte. Die lahme Zunge, die keine Worte mehr formten. Lediglich sein Leib, der mühsam emporgestemmt wurde und beinahe leblos sich der Bewegung fügte, die ein schlanker Körper ihm anberaumte. Er kannte diesen Körper, diese merkwürdige Wärme.
      War das...Yngrid...?
      Es musste so sein. Das hier waren die Herbstauen von Rhûn, oder nicht? Auch wenn der Boden sich merkwürdig unter seinen Füßen anfühlte, aber es musste doch...Beinahe war ihm als roch er die Wolkenrosen von Erynn. Oder waren es doch die Hyazinthen aus ihrem Garten? Wie wunderbar sie immer rochen, wenn er lachend durch das Gras rannte. Sie hatten versucht, die Blüten zu entreißen oder nicht?
      Wer waren sie eigentlich?
      "...erlassene Scheiße, wie kannst du noch leben..."
      Ah, eine Stimme. Ja, er kannte sie. Dany, oder? Scheißhaus...SIe war dort. Hier in Rhun? Wie konnte das sein? Und die Frage nach dem Leben. Weshalb sollte er nicht mehr leben? Ah ja...Die Stiche. Lupari. Natürlich...Eine Regung durchfuhr seinen Leib, als ein weiterer Moment verging, er wieder geschleppt wurde. Ihre Schritte waren diesmal schwerer, beinahe merkwürdig schwer. Als würde sie Jemanden tragen. Aber wen? Hatte man Arwen doch geschlagen?
      "Keine Sorge Prysk, mein Schatz...So eine Wunde vergeht, weißt du? Sie heilt mit der Zeit..."
      Wer spricht da?; dachte Prysk und wollte rufen. Doch kein Laut glitt über seine Lippen.
      "Oh siehst du? Die Wunde ist bereits fort. Als wäre sie nie dort gewesen..."
      Ja...Heilung...Sie hatte geheilt. Sie war kundig. Sie war klug und wunderschön, seine Mutter...Yngrid.
      Waren das Verbände? War Dany noch immer da? Er spürte Bewegung auf seiner Haut und auch wenn er blind war, sah er die Schemen ihrer überhasteten Gestalt. Sie sprach etwas. Es klang dumpf in seinen Ohren.
      "...muss den Magier finden, für die Fallen. Hältst du es aus..."
      Halte ich es aus?; dachte Prysk und versuchte sich an einem Grinsen, was sein Gesicht niemals erreichen sollte. Ich halte es doch die ganze Zeit aus, nicht wahr? Die Wunden, die Trauer, die Wut, den Hass, das blinde Licht einer längst vergorenen Leiche, die noch immer ihre Schatten auf meinen Weg wirft. Und er starb einfach nicht. Noch immer pumpte dieses dämliche Herz sein Blut durch seinen Leib, der immer kälter wurde.
      Erst als Dany weg war, schien die Welt wieder an Intensität zu gewinnen.
      Was Dany nicht mehr sehen konnte, war die Tatsache, dass sich schwarze Ranken bildeten. Gleichsam schwarzen Wurzeln glitten sie aus dem Körperinneren des Jägers heraus und schlangen sich wie Fesseln um die offenen Stellen, die stark bluteten. Sternförmig gingen diese schwarzen Finger über seinen Leib hinaus und verfärbten beinahe die gesamte Haut seines Oberkörpers schwarz wie die Nacht. Mit einem Stöhnen des Jägers begannen die Wunden zu dampfen.
      Es begann.

      Le Reste:

      Zwei, drei harte Schläge trafen Luparis angeschlagenen Leib.
      Mit einem Winseln und Geifern, riss es den Hund erneut von den Füßen und erneut schlug er gegen den Baum, den er beinahe fällte. Doch dieses Mal verlor er nicht das Bewusstsein, sodass Orec keine Atempause blieb. Der massige Mann hatte sich vor dem HUnd aufgebaut und nebenbei erfolgreich drei Banditen ins Reich der Träume befördert, ehe er sich wieder dem Hund zuwandte. Ärgerlich hatte sich dieser aufgerappelt und knurrend Blut ausgekotzt. Wenig rühmlich, zugegeben. Aber verwundete Tiere waren bekanntlich am gefährlichsten.
      "Verdammte....Scheißeeeee....", jaulte der Hund und schlug wild mit dem Knüppelschwert nach Orec, der elegant aus dem Weg tänzelte.
      Erst jetzt konnte man sehen, dass der Umfang seiner Arme weniger geworden war. Die breite Brust wirkte ein wenig eingefallener und auch der massige Bauch ein wenig flacher. Er verlor an Spannkraft, wie der Händler es nannte. Doch reichte es gerade so.
      "Na, na", mahnte er grinsend. "Hast einfach Glück im Unglück, Hasso. Hättest du mit diesem Irren von Prysk gekämpft, hättest du nicht nur eine Hand verloren. Und ich töte bekanntlich nicht. Also gib dich dam-"
      "RAAAAAH!"
      Mit einem lauten Gebrüll schoss Lupari vor und holte zu einem wilden Schwinger aus.
      "Ich sagte, ich töte nicht!"; donnerte Orec und schlug dem HUnd ein letztes Mal mit voller Kraft auf den Schädel.
      Ein Krachen unter seiner Faust verdeutlichte den Aufschlag und zufrieden grinsend zog sich Orec zurück. Gerade wollte er einen höhnischen Spruch in den Wind husten, als er das Singen bemerkte. Das ferne Singen, dieses wunderbare, merkwürdige Singen. Wie von...Magie?
      Eilig wirbelte Orec herum und sah gerade noch, wie Dany mit ihrem Dolch in das Nichts stach. Erst danach erschien ihm die Präsenz im Rücken.
      Er hatte nicht mal die KRaft, sich herum zu drehen, so bedrohlich erschien die Tatsache, dass Magie in Orecs Rücken wohnte. Erst als es still wurde und die Banditen den Kampfesmut verloren, drehte er sich um und sah den Leib des Hundes verschwunden.
      "Na das war eine Überraschung...", murmelte Orec und sah zu den anderen, die ihre Kämpfe ebenfalls gewannen. "Ich habe Hunger. Ob es wohl Schwein gibt?!"
      Wie ein Ballon verlor der Händler an Umfang seines Leibes, während er ausatmete und grinste den anderen zu. "Gehts allen gut?! Gibts Tote? Habt lange auf euch warten lassen!"

      The more that I reach out for heaven
      The more you drag me to hell