Nemeton [Codren & Nico]

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    • Fast augenblicklich kam die erwartete Gegenwehr: Danys Warnung wurde mit der rationalen Beobachtung ausgehebelt, dass sie keinerlei Anhaltspunkte aufzeigen konnte, ja noch nicht einmal beweisen konnte, überhaupt etwas gehört zu haben. Sie hätte es sich vollständig einbilden können, oder noch viel schlimmer, sie könnte die anderen absichtlich zu manipulieren versuchen, aber erstaunlicherweise kam der Einspruch nicht von Prysk, sondern von Urret. Prysk dagegen - Prysk zweifelte keine Sekunde an ihr. Er betrachtete sie sogar als unweigerlichen Teil dieser Gruppe, so wie die anderen auch welche waren. Hätte er auf Urret gehört, wenn der eine solche Warnung ausgesprochen hatte? Sicher. Und so tat er es auch bei Dany.
      Woher dieses Vertrauen kam, ließ sich nicht bestimmen. Bei allen Mitteln, Dany hatte ihm kaum jemals einen Grund gegeben, ihr zu vertrauen; sie hatte ihn angenörgelt, ihm Vorwürfe gemacht, ihm die Schuld in die Schuhe geschoben, hatte ihn beleidigt, beschimpft und ihre Probleme zu seinen gemacht. Er hatte keinen Grund, ihr Wort jetzt für bare Münze zu nehmen, aber er tat es trotzdem.
      Und das rechnete sie ihm hoch an. Auch, wenn sie keine Regung von sich gab, als die ganze Truppe sich ihrem Vorschlag anschloss und die Richtung wechselte. Das Bild, das sie von Prysk in ihrem Kopf hatte, wurde von dieser selbstlosen Tat ungemein aufgehellt.

      Sie ritten versetzt weiter und blieben dann, als der Wald sich abrupt auflöste und an einer kleinen Klippe endete, vor der unweigerlichen Sackgasse stehen. Unten ging das Dickicht weiter, genauso wie die Spuren; weiter hinten kündete eine Rauchsäule am hellichten Tag ein festes Lager an. Sie schienen wohl keine Angst davor zu haben, entdeckt zu werden, was wohl niemanden wundern sollte. Wer magische Fallen legte und einen wohl erprobten Kämpfer entführte, ohne Kampfspuren zu hinterlassen, konnte es auch auf sich nehmen, sich mit herumstreichenden Banden auseinanderzuschlagen.
      Nur Prysks Truppe konnte das nicht. Sie waren zu fünft gegen mindestens einen Nordkeiler und eine unbekannte Anzahl Unbekannter. Das Risiko, in der Unterzahl zu sein, mussten sie durch etwas anderes ausgleichen.
      Arwen rutschte auf seinem Sattel zurecht und blickte einige Sekunden lang ernst ins Tal hinab. Urrets Gefühl schien er zu teilen, auch wenn er es nicht in Worte fasste.
      "Wir sollten nichts überstürzen. Orec hat nichts davon, wenn wir gar nicht erst zu ihm durchkommen."
      Arwen verstummte, auch wenn es sich nicht so anhörte, als wäre er bereits fertig gewesen. Kurz darauf drehte er den Kopf, aber nicht zu Prysk, sondern zu Dany.
      "Also?"
      "Was?"
      "Was ist deine Einschätzung?"
      Dany starrte die beiden Männer an. Sie hatte noch niemals ernsthaft ein Kommando gefällt, geschweige denn ihre Meinung dazu kundgetan. Dany war Mitläuferin, die Späherin, wenn auch für andere Dinge, und keine Anführerin.
      Aber sie schien wirklich als Teil des Getriebes angesehen zu werden und als dieser Teil musste auch sie ihren Beitrag liefern.
      "... Den Fallen auf den Grund gehen."
      Arwen nickte, als hätte er das bereits erwartet und wandte sich Prysk zu. Aber was auch immer er zu ihm gesagt hätte, es wurde im Keim erstickt von Urrets Warnruf, der die vier Reiter sogleich von der Klippe fortjagte.
      Unten im Tal hatte sich eine kleine Gruppe berittener Räuber von den Bäumen gelöst und strebte jetzt den Aufgang an, gänzlich in den Spuren ihrer Vorgänger. Sie waren bewaffnet und schienen zielgerichtet, keine routinierte Spähtruppe. Das hier war ein organisierter Angriffstrupp.
      Urret blieb in seinem Versteck in den Bäumen ungesehen, aber die anderen vier mussten sich ein Stück zurückziehen. Allerdings war schnell klar, dass die Reiter nicht ihre Richtung anpeilten, stattdessen ritten sie auf einen Punkt etwa 50 Meter parallel zu ihnen zu. Den Ort, an dem die Falle ausgelöst worden war.
      Die fünf verharrten in Schweigen, bis klar wurde, dass die Reiter weder sie, noch ihre Spuren erblickt hatten und sich langsam wieder von ihrem jetzigen Punkt entfernten. Danach ritt Arwen wieder an die Klippe heran, um hinab zu spähen.
      "Das war es dann mit dem Zeit nehmen. Wie lange sind wir geritten gerade, hat jemand aufgepasst? Irgendwann werden sie auf unsere Spuren stoßen und zurückkommen. Bis dahin ist das unsere Chance, ihnen werden diese paar Kämpfer abgehen. Wir gehen gleich hinein."
      Er wartete auf die Zustimmung aller anderen, bevor er erneut auf Dany sah; diesmal aber mit einem anderen Blick.
      "Dany, du kannst doch vorausreiten. Wenn du wieder eine Falle hören solltest, nehmen wir gleich einen anderen Weg. Wenn du an letzter Position reitest, bringt uns diese Warnung wenig."
      Dany öffnete den Mund, um ihm zu widersprechen, schloss ihn dann aber wieder, denn Arwen hatte schließlich recht: Wenn sie die Fallen schon frühzeitig erkannte, musste sie sie auch frühzeitig warnen. Allerdings bedeutete das auch, dass sie als erstes hineinlaufen würde.
      Aber Prysk vertraute ihr. Prysk sah sie als Teil der Truppe. Sie würde ihren Teil dieser Gemeinschaft erfüllen.
      "Werde ich."

      Dany ritt nicht gerne voran, aus den verschiedensten Gründen: Zum einen konnte sie als erstes in die Fallen laufen und fühlte sich beobachtet. Zum anderen fühlte sie sich dann auch in eine Zeit zurückversetzt, als man noch nicht ganz sicher gewesen war, was mit ihrer Fähigkeit anzufangen war. Sie fühlte sich wie ein Testtier, das man vorneweg schickte, um zu sehen, wie lange es durchhalten würde.
      Aber das hier war etwas anderes, denn jemand - dieser Orec - wartete auf ihre Unterstützung und dabei konnte Dany maßgeblich helfen. Entsprechend versuchte sie ihre Nervosität unter Selbstbewusstsein zu vergraben, als sie durch den Wald trabten.
      Mittlerweile war die größte Vorsicht verschwunden, denn nachdem sie mit ziemlicher Sicherheit bereits aufgeflogen waren, galt es nun nicht nur, das Lager zu stürmen und nach Orec zu suchen, sondern diesen auch wenn möglich lebendig aufzufinden. Noch hatten sie keine Ahnung, was dort vor sich ging, nur dass Magie mit im Spiel war und ein Nordlandkeiler. Mindestens ein Nordlandkeiler. Dany mochte gar nicht daran denken, dass sie drohte, ihm als erstes in die Hauer zu laufen.
      Ein scharfer Pfiff, wie von einem Pfeil, der an ihrem Ohr vorbei surrte und die Luft aufschlug, ließ sie von den Gedanken auffahren und zusammenzuckten. Augenblicklich wirbelte sie zu ihrem Hintermann herum - es war Prysk - und studierte seine Reaktion. Er reagierte, aber nur auf ihre plötzliche Unruhe. Dann war es also doch weitere Magie gewesen.
      Wenn sie doch nur mehr Übung darin hätte. Wenn sie sich doch entsinnen könnte, was die einzelnen Geräusche bedeuteten.
      Hastig riss sie an ihren Zügeln und lenkte ihr Tier herum. Wenn es schon bei der ersten Falle funktioniert hatte, würde es hier sicher auch passen. Die anderen folgten ihr ohne Widerspruch.
      Sie ritten wieder parallel. Sie versuchten, die Falle - oder was auch immer es gewesen war - zu umgehen. Aber was vorhin noch funktioniert zu haben schien, fand hier einen abrupten Abbruch: Danys Pferd setzte einen Huf nach vorne und plötzlich brach die Schneedecke ein und das Gleichgewicht des Tieres gleich mit ihr. Es brachte noch ein angsterfülltes Blöken zustande, während Dany gerade genug Zeit hatte, für einen Schrei genug Luft einzusaugen, bevor sie in eine von Speeren bespickte Tiefe abzurutschen drohte, eine gar primitive Falle, wenn man bedachte, dass hier Magie am Werk sein mochte. Aber in ihrer Konzentration auf das eine, hatte sie das andere völlig übersehen, ein fataler Fehler, wie sich herausstellen sollte. Die Falle war nicht tief, den eigentlichen Schaden sollte das eigene Gewicht machen. Das Pferd fiel bereits auf die Spitzen, die Speere bohrten sich durch die knochigen Beine, beschleunigt von dem zusätzlichen Gewicht auf seinem Rücken, und ein schmerzerfülltes Kreischen entrang sich dem Tier, während Dany sich in aller Schnelle nach hinten warf und über den Rand zu entkommen versuchte. Sie hatte aber kaum genug Momentum, sich noch rechtzeitig dort festzuhalten.
    • Etwas stimmte nicht.
      Und es war keine Feststellung eines einfachen Brigadegenerals oder gar eines unerfahrenen Kampfbocks. Prysk thronte wieder auf seinem Pferd, ehe sie weiter reiten wollten und sah länger als die anderen ins Tal. Weshalb campierten sie derart offen? Weshalb fühlte sich Urret unwohl und weshalb schien der Wind um sie merkwürdig ruhig zu sein. Gleichsam als lauschte selbst die Natur auf ihre Schritte und ihre weiteren Vorhaben, als er sich von der Klippe fort drehte und kurz zu Dany sah.
      UNd er sah den Zweifel, die Überraschung und gleichsam auch...Genugtuung? Zufriedenheit? Prysk konnte es nicht genau sagen, wusste aber, dass sie alle bitterlich bezahlen würden wenn sie nicht aufpassten.
      Just in dem Moment als der Angriffstrupp sich in Bewegung setzte huschte Prysk mit seinem Pferd klug in Deckung, während Louise ihre Armbrust spannte und Urret sich in die Bäume verzog. Als das Schweigen Einzug hielt, stach dem Jäger ein Gedanke in den Kopf, den er am liebsten direkt zur Seite gedrängt hätte. Das war nicht irgendein Vorgehen. Das war militärisch. Den Rücken mit Fallen spicken unds cheinbar willkürliche Truppen entsenden. Da wusste Jemand haargenau, dass sie verfolgt wurden. Und gleichzeitig vermutlich auch, dass sie nicht auf einen offenen Kampf vorbereitet waren.
      Schweigsam verharrten sie alle wo sie waren, ehe sie mit sichtlicher Erleichterung feststellten, dass die Truppen abzogen. Speichel hatte sich in Prysks Mund gesammelt, obschon dieser beinahe knochentrocken wirkte.
      Prysk nickte nur zu Arwens Vorschlag, schien er ihm doch weise genug. Nur Urret konnte sehen, dass sich etwas in Prysks Mimik verändert hatte. Da war ein Erkennen, ein Wissen, dass dem Hasen nicht gefiel, wenn er ehrlich war. Doch ehe er auch nur einen Hauch von Möglichkeit hatte, den Jäger anzusprechen, hatte sich dieser hinter Dany wieder in Bewegung gesetzt und seufzte auf dem Rücken seines Pferdes.
      Es würde eine Zeit geben. Mit Sicherheit.


      Die wenigen Minuten, die sie wieder geritten waren, zogen sich wie Teer entlang eines weißen Horizonts.
      Nach dem Angriffstrupp war die Truppe selbst in Schweigen verfallen und kommunizierte nur so viel wie sie musste. Prysk versetzte sich selbst einen inneren Tritt nachdem er die wachsamen Blicke auf Danys Rücken gelegt hatte, um jede Regung oder dergleichen einzufangen. Es musste präzise und schnell sein, damit sie nicht auffielen und gefangen genommen wurden. Wenn es auf eine Gefangenschaft hinauslief, wenn er Recht hatte...
      Als sie den Abstieg aus der Klippenregion wagten, sah er sich irgendwann gezwungen, einen schnellen und kraftvollen Pfiff zu lassen. Kaum mit einem Vogelschrei zu verwechseln, aber immerhin unauffällig genug, dass die ganze Truppe zusammen zuckte und ihre Blicke wie mechanisch zu allen Seiten gleiten ließ. Arwen lauschte die Linke, Louise die Rechte ab. UNd doch erschien es merkwürdig ruhig. Zu ruhig.
      Reiß dich zusammen!; dachte er bei sich und schüttelte leicht den Kopf um sein Pferd wieder anstandslos hinter Dany zu lenken und ihrem Schritt zu folgen.
      Nur um es hernach bitterlich zu bereuen.
      Ein Krachen und ein Reißen. Meistens beschrieb man einen Fall genau so. Ein Reißen und Krachen, ehe das Geschrei von statten geht. Doch hier wirkte es merkwürdig verlangsamt. Dany riss ihr Pferd hastig herum, um eine mögliche Falle zu umschiffen. Und sie taten es ihr nach. Und dennoch...So ruhig wie Prysk war, wusste er in dem Moment, dass es schief gehen würde. Ein Ruf oder ein Halten wäre zu spät gekommen und so konnte der Jäger nur zusehen, wie Danys Pferd mit einem jämmerlichen Schrei in der bislang unentdeckten Tiefe verschwand. Rustikal, befand der Jäger und sprang in der Sekunde von seinem Pferd, als die Dornen sich durch das Fleisch des Pferdes boten. Ohne zu Zögern, rief er über die Schulter.
      "ARWEN!"
      Mit einem beherzten Sprung und beinahe keiner Angst (gelogen!) hechtete er zum Rand und griff in der Sekunde nach der sich ihm bietenden Hand, als es beinahe zu spät war. Unangenehm riss Danys Gewicht an seinem Arm und kugelte ihm beinahe die Schulter aus, ehe Arwen bereits an seinen Füßen zugange war und diese mit einer Urgewalt an Kraft zurück riss. Urret, der hasenpfötige Späher glitt von einem Baum und griff nach Danys zweiten Arm, um sie hinauf zu ziehen.
      Und trotz aller Beherrschung ließ Prysk ein lautes Stöhnen aus sich heraus, da seine Schulter über alles Maßen gedehnt wurde, ehe Stückchen für Stückchen Dany aus der Tiefe gezogen wurde, ehe sie den Rand greifen konnte.
      "Heilige Mutter...", keuchte Urret und schüttelte den Kopf. "Was für eine Barberei."
      Prysk wand sich kurz auf den Rücken und keuchte schmerzerfüllt in den klaren Himmel, der sich zu verfärben drohte. Sie hatten verloren, nicht wahr? Sein Schrei war zu laut. Und wenn er sich nicht irrte.
      "Wir haben Gesellschaft!", rief Louise und glitt von ihrem Pferd herab.
      Doch ehe sie auch nur eine Hand an ihre Waffen legen konnten, riss eine Stimme aus dem Wald ein Loch in die Stille um sie.
      "SOFORT DIE WAFFEN RUNTER, IHR HAARLOSEN DRECKSBÄLGER!"
      Und Prysk kannte die Stimme. Eigentlich kannte jeder Reliktjäger diese Stimme.
      Ein Mann, nein, eher ein Hund mit einem hünenhaften Leib, schälte sich aus dem Unterholz des Schneegestöbers. Unter den zermalmenden Eisenstiefeln knirschte der Schnee und die Stimmen und Schritte von gut zehn Soldaten wurden hörbar. Weißes, glattes Fell zeigte sich im Gegenlicht der Sonne und helle, gelbliche Augen blitzten über die Meute, die sich um ein sterbendes Pferd sammelte. Gleich neben seiner Falle.
      Stöhnend rollte Prysk auf die Seite und wuchtete seinen schmerzenden Leib auf die Knie, ehe der Mannshund die pelzige Hand um und ein widerliches Grinsen über die schwarzen Lefzen rollte.
      "Na sieh mal einer an...", knurrte er mit deutlichem Akzent in der Stimme. "Wer hätte gedacht, dass es ausgerechnet du und Arwen seid, die uns verfolgen. Ich hatte so etwas in der Nase weißt du?!"
      Sanft beinahe tippte er sich an die Schnauze, ehe er ganz aus dem Halbschatten heraustrat. Sein Leib war in eine schwere Panzerrüstung gehüllt, die mit jedem Schritte leicht klang. An seiner Seite breitete sich ein Schwert aus, dessen Schneide beinahe größer als er selbst erschien.
      Prysk grinste und spuckte aus, ehe er sich auf die Beinahe hob und sich unauffällig vor Louise und Dany postierte. Wenn er erfuhr, was Dany konnte...
      "Was soll ich sagen...", murmelte Prysk frech. "Ich bin eben unvermeidbar. Freunde, das ist Lupari von den Südlichen Jägern. Er ist nicht erfreut, uns kennen zu lernen."
      "Werden wir sehen", sagte der HUnd und sah zu seinen Soldaten. "Schafft sie ins Lager und sperrt sie in den Karren. Wenn einer auch nur einen Mucks macht, schneidet ihm einen Arm ab."
      Grinsend sah der Hund zu Prysk, dessen Gedanken rasten. Zum einen waren sie am Arsch. Zum Anderen auch noch mehr am Arsch. Denn Lupari galt nicht als gnädig oder gar friedlich. In Kreisen der Jäger nannte man ihn "Lupari, den Himmelsreißer". Und nur die Himmel wussten, weshalb.
      Als die ersten Arme gewaltsam Prysks Schulter ergriffen, zuckte er zusammen und ließ sich beinahe widerstandslos abführen. Er bedeutete es, den anderen gleich zu tun, aber was sollte er tun können?!


      The more that I reach out for heaven
      The more you drag me to hell
    • In Angesicht des nahenden Todes, hätte Dany vermutlich etwas anderes empfinden müssen, irgendeine Art von Rekapitulation über ihr Leben, was darin schief gelaufen sein musste, dass sie in eine solche Lage geraten war. Das sagte man sich doch über solche Situationen, in denen man dem Tod direkt in die Augen sah: Man sah das eigene Leben an sich vorbeiziehen. Aber alles, was Dany in diesem Sekundenbruchteil empfand, war eine primitive, instinktive Angst, die sämtliche Gedanken auslöschte und zu einem einzigen globalen ich will nicht sterben, ich will nicht sterben, ich will nicht sterben umwandelte.
      Das Pferd unter ihr gab ein gequältes, schrilles Wiehern von sich und von oben kam sogleich die Antwort, ein Brüllen, das in seiner Eindringlichkeit Dany einen Schauer durch den Körper jagte. Sie griff nach dem Rand und verfehlte ihn. Ihr Herz setzte aus. Ihre Fingernägel kratzten an der steinharten Erde entlang, ohne irgendwo Halt zu finden - und dann schloss sich eine Hand um ihr Handgelenk, unnachgiebig wie Stahl. Ihr Fall nahm ein abruptes Ende, als ihr ganzes Körpergewicht an ihrem Arm hing und sie zu einem wackeligen Stillstand kam. Unter ihr erstarb das Gewieher des sterbenden Tieres; die Speere hatten sich durch den Hals gebohrt und ein langsames Ende verursacht. Der Leichnam des Pferdes sackte unter dem eigenen Gewicht an den Stäben noch weiter herab, bis er ganz am Boden zum Stillstand kam.
      Für kurze Zeit war es unangenehm still, einzig durchbrochen von Prysks geräuschvollem Atem und Danys ersticktem Stöhnen. Dann war Arwen zur Stelle, so schnell, wie er sich nur nach vorne geworfen hatte, und riss den Jäger mit einer Kraft zurück, die an anderer Stelle die riesige Streitaxt auf seinem Rücken zu schwingen vermochte. Urret war das letzte Bindeglied und gemeinsam zogen sie Dany von ihrem möglichen Schicksal fort.
      Kaum hatte sie einigermaßen festen Boden unter sich, strampelte sie mit den Beinen, um sich das letzte Stück noch von dem Loch wegzuschieben. Danach blieb sie keuchend liegen, ihr Herz durch den Schock so schnell rasend, dass sie es im ganzen Körper spüren konnte.
      Wenn es nach ihr ginge, hätten sie die Unternehmung an dieser Stelle abgeblasen. Wer brauchte schon diesen Orec und das auch noch gleich; konnten sie nicht einfach abwarten, bis das Lager abgeblasen würde und die Menschen dort sich auf den weiteren Weg machten? Unterwegs konnte man keine so gut vorbereiteten Fallen aufstellen. Das würde ihnen so einige Umstände ersparen.
      Aber bevor sie diesen Vorschlag noch laut aussprechen konnte, donnerte bereits eine Stimme durch den Wald, die ihr keineswegs bekannt vorkam. Sie musste aber auch gar nicht wissen, wer dahinter steckte; in diesem Moment gab es wohl nur zwei Fraktionen in dieser Gegend und sie fürchtete, dass sie der gegnerischen in diesem Moment begegnet waren.
      Kaum einen Augenblick später traten aus dem Wald, bis zuletzt vollständig verhüllt von dem Dickicht, ein riesiger... moment mal, Hund? Ein grotesk riesiger und auch noch gruselig menschlicher Hund in Begleitung von zehn Fußsoldaten, die allesamt ihre Waffen gezückt hatten. Dabei war wohl weniger die Tatsache der Überzahl furchterregend, als dass sie sie bis zuletzt nicht gesehen hatten. Das ließ unweigerlich die Frage offen, ob es nicht noch viel mehr von ihnen gab, die sich irgendwo in den Büschen versteckten und die kleine Truppe unlängst eingekesselt hatten.
      Nicht, dass es einen Unterschied gemacht hätte. Aber Dany fühlte sich damit, als wäre sie von einer Falle direkt in die nächste getappt.
      Arwen war der erste, der gleich wieder aufgesprungen war und den Soldaten - wenn es denn einer war - mit finsterem Blick bedachte. Allzuweit stand er gar nicht entfernt, vermutlich hätte er seine Axt ziehen und den Hund in der gleichen Bewegung auch erwischen können. Aber Arwen stand wohl nicht der Sinn zum Kampf, er blickte nur angesäuert drein.
      "Lupari... wenn ich gewusst hätte, dass du dahinter steckst, hätte ich gleich ein paar Scheißhaufen verteilt. Für deine tolle Nase."
      Der Hund - Lupari von den Südlichen Jägern - sah nicht unbedingt beeindruckt aus, auch dann nicht, als auch Prysk sich auf die Beine erhoben hatte und ebenfalls nicht zu seiner Waffe griff. Stattdessen trat er einen Schritt seitlich, bis sowohl Louise als auch Dany hinter seinem Rücken standen. Jetzt wurde erst ersichtlich, dass auch Arwen sich nicht nur aufgerichtet hatte, sondern gleichzeitig auch positioniert hatte: An Prysks Flanke, bereit dazu, die Seite des Jägers zu schützen. Nicht, dass es etwas gebracht hätte, es war wohl viel eher eine Routine, eine vertraute Aufstellung unter Waffenbrüdern.
      Lupari gab den Befehl zur Festnahme. Im Gleichschritt setzten sich die zehn Soldaten in Bewegung und Dany griff zu ihrem Dolch.
      "Was suchst du in dieser Gegend, Lupari?", knurrte Arwen ihn an, ohne seine Meinung von ihm besonders zu verbergen. "Was willst du von Orec?"
      Seine Antworten bekam er, indem die Soldaten - für ihn waren es drei - seine wuchtigen Arme packten und sie so weit auf seinen Rücken bogen, bis selbst Arwen schmerzerfüllt zischte und fluchte. Bei Prysk waren sie mindestens genauso unnachsichtig und als Dany bereits ihren Dolch wieder losgelassen hatte und sich gefügig gab, gingen sie mit einer unnötigen Brutalität vor. Vermutlich nur für ihre Machtdemonstration.
      In einem neuen Zug schritten sie weiter, der Hund vorneweg, hinterher seine Gefangenen und ganz zum Schluss die übrig gebliebenen Pferde. Sie alle hielten sich an das Schweigegebot, denn nach der überflüssigen Gewalt zweifelte keiner von ihnen daran, dass sie wirklich einen Arm verlieren könnten.
      Auf dem Weg wurde erst das Ausmaß der Fallen wirklich deutlich: Lupari schlug keineswegs einen direkten Pfad zum Lager zurück ein. Dany versuchte sich auf irgendwelche kleinen Zeichen zu konzentrieren, die hier womöglich die Fallen kennzeichnen würden, aber sie hatte keine Ahnung, was den Hund leitete, als er einen Umweg durchs tiefste Dickicht einschlug und an einer anderen Stelle einen Baum in einem ganz bestimmten Abstand und Winkel umrundete. Sämtliche Soldaten taten es ihm gleich, keiner kam von diesem unsichtbaren Pfad ab, dem sie hier alle folgten. Es wäre wohl, trotz aller Vorsicht, nur eine Frage der Zeit gewesen, bis sie in eine der Fallen gelaufen wären.
      Den Eingang ins Lager beschrieb dann schließlich eine Patrouille, die sie das letzte Stück begleitete. Die Jäger hatten sich nicht auf einer beliebigen Lichtung niedergelassen, sie hatten eine Lichtung für sich freigeräumt. Gefällte Baumstämme waren zu Bänken umfunktioniert worden und die Stümpfe dienten als Ablagen oder auch kleinen Stützen für die Wagen, die hier angeordnet waren. Ganz anscheinend war es eine wandernde Gruppe, oder aber sie waren schon lange genug hier, um es sich derart eingerichtet zu haben.
      Die Gefangenen kamen gar nicht erst in den Genuss, das ganze Lager bestaunen zu dürfen, sie wurden an der Seite zu "dem Karren" geschafft, der ganz eindeutig eine Zelle auf Rädern war. Es gab nur einen Eingang und die Stäbe standen dicht genug, dass man zwar die Beine durchschieben und etwa am Rand sitzen konnte, sich aber nicht durchquetschen konnte. Hier wurden sie ihrer Waffen erleichtert und allesamt hineingezwängt. Mit Arwens breiten Schultern war der kleine Raum sogar noch enger, als wenn hier alle so schlank wären wie etwa Urret. Die Soldaten hatten aber kein Erbarmen, drückten hinter ihnen die Tür zu und sperrten ab.
      Dany versuchte sich irgendwie zu arrangieren, bis sie am Gitter saß und ins Lager hinausstarren konnte. Dort konnten sie sehen, dass die Soldaten mit ihren Waffen - darunter auch ihren Dolch, den zum Glück niemand aus seiner Halterung zog - zwischen den Bäume verschwanden.
      Sie versuchte die Angst davor, dass ihn jemand anfassen könnte, zu verstecken.
      "Ihr kennt euch, ihr und Lupari? Hoffentlich gut genug, dass ihr auch gleich einen Weg nach draußen wisst, nicht wahr?"
    • Lupari nutzte die Gunst der Stunde und sah beinahe lächelnd zu Arwen, der sich noch sträubte, wie es erschien. Es war schön, das Gesicht des alten Jägers endlich in dem Zusammenhang zu sehen, in welchen es gehörte. Gefangen und geknebelt. Eine wunderbare Aussicht, wie der Mutant befand und verschränkte die Arme.
      "Deine Scheißhaufen kannst du dir sparen, alter Narr", knurrte der Hund. "Stinkst selbst wie drei. Von daher brauche ich nicht einmal Hilfe, um euch aufzuspüren. Und jetzt schafft ihn weg, ehe ich seine Eingeweide in den Schnee male."
      Die Antwort auf Arwens letzte Frage blieb er ihm mit einem Lächeln schuldig.
      Mit einem kurzen Kopfnicken bedeutete er dem Rest seiner Leute, ihm mit der gemeinsam eingefangenen Beute zu folgen. Rund um das Lager herum hatten sie weitere Fallen platziert, die ihr Fallenmeister sich ausgedacht hatte. Von einfachen Minen bis hin zu betialischen Fallgruben, deren Aufenthaltsort nur Lupari erschnüffeln konnte. Man hatte ein spezielles Eisen genommen und dieses gleichzeitig mit einer Art Bratensoße eingerieben, die ihm in die Nase stieg, je näher sie kamen.
      So glich der Rückweg einer Art Spießroutenlauf, aber immerhin schafften sie es unbeschadet, das kleine Lager zu erreichen.
      Dieses bestand aus einem recht großen Feuer und einigen Baumstämmen, die man von den Seiten der Straße hierher gezogen hatte. Die Schleifspuren auf dem Schnee zeigten eine eindeutige Sprache. Auf diesen Baumstämmen fanden sich die Abdrücke mehrerer Hintern und lediglich drei Personen konnte Prysk im Lager ausmachen.
      Tatsächlich teilte Prysk Danys unausgesprochenen Gedanken und befand mit einem kurzen, bedeutungsschwangeren Blick zu Arwen, dass das Lager schon eine ganze Weile hier stehen musste. Der Karren, den Lupari meinte, stand am östlichen Ende des Lagers und glich mehr einem eisernen Gitterverschlag. Es blieb unbekannt, was oder wen sie hiermit transportiert hatten, denn die Stäbe waren aus massivem Eisen gegossen. Der Wagen musste ein ungenanntes Gewicht haben und definitiv nicht genug Platz für sie alle. Mit einem Knurren ließ sich Prysk die Waffen abnehmen und zu seinem Erstaunen zuckte einer der Soldaten vor ihm zurück.
      Sollten sie doch Angst haben?
      Ruhig entwaffneten die Schergen des Köters die anderen Mitglieder ihrer Gruppe und schmissen sie regelrecht in den Karren. Und so merkwürdig es war, Prysk brauchte die Nähe zu Dany. Noch während sie durch den Wald geschliffen worden waren, hatte er die Gedanken kreisen lassen und sich jeden Zentimeter des Weges zu merken versucht. Freilich hatte das nicht funktioniert. Aber sie. Sie, die Magie hören konnte und durch ihren Dolch...
      Der Dolch! Beinahe Panisch sah sich Prysk um und versuchte, die Wache mit dem Dolch zu erspähen. Sie mussten ihn ihr auch fortgenommen haben. War sie damit noch in der Lage...
      Während sie stöhnend und protestierend in den Karren gestopft wurden, versuchte sich Prysk durch raupenartige Bewegungen in Danys Nähe zu schieben. Was den anderen freilich nicht gefiel.
      Vor schmerzen keuchend drückte sich Louise an die Gitterstäbe und sah zu Prysk.
      "Sag mal...Was soll das?!"
      "Shhh!", zischte der jäger und schob sich wurmgleich weiter.
      Durch die Bewegung rutschte Urret mit einem kleinen Fiepen auf Arwens Schulter und fühlte sich einmal mehr wie ein hasenöhriges Kleinkind, verglichen zu dem bulligen Jäger, während Prysk sich in Danys Rücken drückte und selbst befand, dass er ihr viel zu nah war.
      Seine Brust drückte sich in ihren Rücken und sein Kopf lag auf ihrer rechten Schulter, während er falkengleich nach draußen spähte und den Banditen eine Weile dabei zusah, wie sie das Feuer schürten und sich Essen bereiteten.
      "Kennen ist vielleicht ein wenig zu viel gesagt", flüsterte er in ihr Ohr. "Luparis Gruppe steht in Konkurrenz zu uns. Wir leben alle davon, magische Relikte zu finden und diese zu verkaufen, aber wir haben uns vielleicht in der Vergangenheit ein wenig zu sehr...äh...geärgert? Arwen hat seine Rechte Hand, ein widerlicher Typ, vielleicht in die ewigen Jagdgründe befördert. Mit Recht, möchte ich meinen. Und ich habe Lupari eventuell eine ziemlich breite Narbe auf seiner Brust verpasst und ihm sein Artefakt damals geklaut. Das aber nur am Rande..."
      Ruhig legte er seine freie rechte Hand auf ihren Arm und wies mit einem Kopfnicken in Richtung des Lagers.
      "Haben sie dir...Also, du weißt schon. Haben sie dir das Ding abgenommen? Und bist du in der Lage, deine Fähigkeiten zu nutzen? Ich fürchte nämlich - und korrigiert mich, wenn ich falsch liege - wir kommen ohne Kampf nicht heraus. Arwen, siehst du Orec?!"

      Spoiler anzeigen
      Orec befindet sich in einem weiteren Karren mit zwei seiner Leute, einfache Bauern. Arwen kann sie gerne kennen. Er wirkt verwundet, aber lebendig, obschon derzeit schlafend.

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    • Einiges Rumgewühle und Geschiebe später hatte sich Prysk zu Dany durchgeschoben, die es gar nicht angenehm fand, den Mann jetzt in ihrem Rücken kleben zu haben, während sie sich schon gegen die Gitterstäbe pressen musste. Urret war hier vermutlich der einzige, der einen halbwegs angenehmen Platz auf Arwens mächtiger Schulter fand - der im übrigen selbst einen beträchtlichen Anteil daran hatte, wie wenig Platz den anderen hier zur Verfügung stand. Musste der Mann auch wirklich so ausladend gebaut sein?
      Dany spürte Prysks Atem ihre Wange streichen, während sie beide nach draußen stierten.
      "Eventuell? Reden wir dann hier auch von einem möglichen Ärgernis?", zischte sie, nachdem sie sich anhören durfte, warum die Parteien sich überhaupt namentlich kannten. Konkurrenten waren es, das war ja ganz fantastisch. Aber wenn es um magische Relikte ging...
      Ihr Blick sprang zu den Wägen, hinter denen die Soldaten mit der Ausrüstung verschwunden waren. Der Dolch war unscheinbar und er würde die Verbindung zu Dany auch nicht brechen, aber wenn ihn jemand berühren sollte, so wie Prysk es bei Cayen getan hatte...
      Dany wollte nicht das Bewusstsein verlieren, oder was auch immer damals geschehen war - nicht hier drinnen, nicht solange sie nicht wusste, was demnächst geschehen würde. Kalter Angstschweiß brach auf ihrer Haut aus, den sie schnell wieder zurückzudrängen versuchte.
      "Ich kann noch... ich kann alles", raunte sie ihm knapp zu. "Aber ich brauche ihn wieder. Ich kann nicht ohne ihn gehen, wir sind verbunden. Das verstehst du doch, oder?"
      Sie wusste gar nicht, weshalb sie ihm das erzählte, gerade ihm, der in keiner besseren Lage war als sie selbst. Aber Prysk hatte bisher schon eine Art Anführer dargestellt und in diesem Augenblick war sie froh über das Gefühl, dass hier jemand war, der die Kontrolle über die Situation behielt. Vielleicht hatte sie sich Tage zuvor noch darüber aufgeregt, dass er sich wie ein Anführer benahm, aber jetzt brauchte sie das. Sie brauchte jemanden, der ihr sagte, wo es lang ging.
      In ihrem gemeinsamen Rücken drehte Arwen sich um, verpasste Prysk dabei einen mit einem Ellbogen, trat Louise dabei auf den Fuß, bei der er sich ausgiebig entschuldigte, und starrte dann auf der anderen Seite des Wagens nach draußen. Unwillig grummelte er, dann stockte er.
      "Ah! Haben wir den Ausreißer. Auf Nordwesten, Prysk. Der Wagen mit dem Schrägdach."
      Dany und Prysk drehten beide gleichermaßen den Kopf, bis sie entdeckten, was Arwen meinte: Ein noch kleinerer Zellenwagen, befüllt mit gerade mal drei Leuten, die ähnlich herumhängen wie sie gerade. Einer lag quer auf dem Boden ausgestreckt, ein anderer saß auf dem Boden, Arme und Beine durch das Gitter heraus hängend, der dritte hatte sich in der Ecke zusammengekauert. Sie schienen alle nicht gerade aufmerksam genug zu sein, um dem Neuzugang Beachtung zu schenken.
      "Er lebt", stellte Arwen einen Moment später fest, auch wenn Dany bis dahin noch dabei war sich zu überlegen, wer der drei wohl Orec sein mochte. Bevor sie aber einen Entschluss hätte fassen können, fuhr Arwen schon fort.
      "Lupari muss etwas von ihm wollen, wenn er noch nicht tot ist. Was hatte Orec in seinem Wagen, weißt du etwas davon, Prysk? Oder vielleicht: Was sollte er in seinem Wagen haben?"
    • Neu

      Ripped apart in minutes what was built in seven years
      The ink scarred on your back may as well have disappeared
      For as long as I remember, you sold everything you owned
      But now you sold our friendship, you're on your fucking own

      BMTH - Sleep With One Eye Open


      Prysk brauchte eine Weile, um Arwens Hinweis folgen zu können. Schweigsam blickte er zunächst zu dem anderen Wagen, der mit dem Schrägdach. Tatsächlich. Erahnen ließ sich eine Silhouette, aber es waren eindeutig Orecs breite Schultern, der dort zusammengesunken in dem spärlich gewarteten Wagen lag. Das war gut. Gut und schlecht, wenn man es genau nahm.
      "Ich verstehe was du meinst", murmelte Prysk und seufzte.
      Es machte die Lage ein wenig besser, wenn der Dolch nicht zwingend an der Frau zu tragen war, um auf die Fähigkeiten zurück zu greifen. Fraglich verblieb nur die Tatsache, ob man diese Kräfte hier auch wirklich nutzen sollte. Ruhig versuchte er durchzuatmen, während er über Danys letzte Frage nachdachte. Und tatsächlich...Ein Gedanke begann sich auszubreiten, den er eigentlich nicht haben wollte. Einen Gedanken, von dem er dachte, dass es besprochen und erledigt war...
      "Ich bringe diesen vermaledeiten Schinkennarren um", knurrte Prysk zischend und versuchte sich, ein wenig Platz zu verschaffen.
      "Warum?", fragte Louise und versuchte sich, nicht an den Gitterstäben zu strangulieren. "Redet leiser, sie kommen her!"
      "Ein Stein. Es gibt einen Stein, der angeblich Magie in sich trug. Nim wollte ihn und ich befand es zu gefährlich, ihn zu transportieren. Ich hatte gedacht, er hätte sich daran gehalten, dieser Narr...Aber er muss Orec damit beauftragt haben..."
      "Still jetzt!"
      Die Banditen kamen erneut näher auf einer scheinbar konzentrischen Runde. Sie wirkten ein wenig fernab von allem, als würden sie wie betäubt durch das Lager patrouillieren. Doch anstatt einfach an dem Wagen der Gruppe vorbei zu ziehen, hielten sie an und sahen einen Moment lang prüfend in den Karren. Es wirkte merkwürdig, wie sie die Augen auf Prysk hefteten, sodass dieser bereits in der nächsten Sekunde wusste, was geschehen würde.
      "Holt die Ketten!", rief Lupari aus dem Hintergrund des Feuers heraus.
      Schattengleich glitt er aus dem Halbschatten der Flammen heraus und legte ein Kurzschwert, das sie offenbar erbeutet hatten, in die Flammen. Zischend und keifend erwachte das Metall zum Leben und gab knackende und beinahe schneidende Geräusche von sich, als das Gewicht die Kohlen zerteilte.
      Das würde nicht wirklich angenehm, dachte Prysk und ahnte bereits, dass nicht Dany es sein würde, die sie aus dem Karren zerrten. Es blieb also nur so viel Zeit, wie diese Halbaffen brauchten, um Ketten aus Eisen aus der Nähe des anderen Karrens zu holen. Also vielleicht ein paar Sekunden wertvolle Zeit.
      "Arwen", zischte Prysk und sah zu seinem Kameraden. Vielleicht dem Einzigen, von dem er neben Dany wusste, dass er genug Tumult erschaffen konnte. "Sie werden mich holen. Dieser verfluchte Köter hat vermutlich noch ein paar ungelöste Konflikte, die er gern mit einem glühenden Eisen besprechen möchte. Wartet einen Moment und dann brecht aus. Dany weiß wie. Keine Rücksicht!"
      Louise machte Anstalten, etwas zu sagen, jedoch kehrten die Wachen zurück. In ihren Händen trugen sie schwere Eisenketten, an denen sich noch die Reste vorherigen Blutes offenbarten.
      Einer der Banditen, ein Mann mit einem gräulichen Verband um die Schläfen, trat hervor und sah mit einem schiefen Grinsen in den Karren, ehe er mit dem Kinn auf Prysk wies.
      "Du da. Komm zur Tür!", knurrte er und ließ an der Order keinen Zweifel.
      Mit einem letzten Blick zu Arwen, drückte sich Prysk leicht zwischen den Körpern hindurch und nochmals an Dany vorbei, diesmal auf Höhe ihrer Hüfte.
      "Keine Rücksicht!", zischte er ihr zu und ließ sich von den Wachen an den Füßen heraus zerren.
      "Himmel, ein wenig mehr Rücksicht bitte! Aua!", knurrte Prysk als er hart auf dem sandigen Boden des Waldes landete.
      Mit einem schnappenden Geräusch fielen die Eisen um seine Handgelenke und schmerzten auf der Haut. Offenbar waren selbst die Eisen älter als der ganze Rest der Ausrüstung.
      "Nun mal langsam, Freunde"; knurrte Prysk als man ihn auf die Beine zog und Richtung Feuer schleifte. "Wir können doch reden. Also, ich meine...Ihr vermutlich nicht, weil ich auch nicht sicher bin, ob ihr wirklich reden solltet, aber zumindest in der Theorie könnten wir doch..."
      Der nächste Schlag landete zur Belohnung in seinem Magen. Und auch wenn er den Schmerz nicht spürte, so spürte er die Wirkung auf das Organ, das getroffen wurde. Mit einem Stöhnen ging Prysk in die Knie und vermochte sich kaum abzufangen, da seine Hände in den Eisenketten unangenehm über den Rücken kratzten.
      "Warst...schon mal sanfter...", knurrte er erneut als Lupari auf ihn zukam und aufrichten ließ.
      "War ich. Das war bevor du mir das Artefakt damals geklaut hast."
      "Also streng genommen war das nicht ich...", murmelte Prysk und wurde zur Belohnung erneut geschlagen. DIesmal mit einem Eisenhandschuh ins Gesicht.
      Der Kopf des Jägers schnappte zurück und Blut spritzte zischend ins Feuer, ehe er mit hängenden Schultern in den Klauen seiner Peiniger zur Ruhe kam. Die Banditen zu seiner Seite richteten seinen Leib gerade so auf, dass er auf den eigenen Füßen stand und mit flatternden Lidern erblicken konnte, wie das Schwert aus dem Feuer geholt wurde.
      Für einen Moment lang hörte er Geigen im Himmel spielen, als Lupari die weißglühende Klinge in seiner Pfote drehte und ihn mit geifernden Lefzen ansah.
      "Weißt du, Prysk...", begann er mit beinahe bellender Sprache. "Ich finde, es hat einen Hauch von Schicksal sich haften, das wir beide uns gerade heute, gerade in diesem Wald begegnen..."
      "Warum? Hast du es gern romantisch?", zischte Prysk und zog das Blut die Nase wieder hoch.
      "Vielleicht habe ich das, ja", nickte der Hundemutant und rammte ohne Warnung das Schwert in den Bauch des Jägers.
      Und auch wenn der Jäger bislang dachte, keinen Schmerz zu empfinden sei ein guter Kampfesvorteil, so war es dennochs ein Leib, der auf das Schwert reagierte. Wo normalerweise ein stechender Schmerz sich den Weg mit einem glühenden Draht durch seine Venen gesucht hätte, war es nunmehr die Kraftlosigkeit, die ihn ergriff. Sein Magen zog sich um das Metall zusammen und Blut lief ihm aus dem Mund. Die Banditen hatten Mühe, den Leib des Jägers aufrecht zu halten, ehe das Schwert mit einem schmatzenden Geräusch aus dem Fleisch gezogen wurde.
      "Es ist erstaunlich...", sagte Lupari. "Es stimmt, was man sich erzählt...Du empfindest keinen Schmerz, oder?"

      The more that I reach out for heaven
      The more you drag me to hell