Flirting with death [ Attari & Chaennie ]

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    • Flirting with death [ Attari & Chaennie ]

      flirting with death
      vorstellung

      “Vorwärts.”
      Eine Hand drückte sich zwischen seine Schulterblätter und drückte seinen schmalen Körper vorwärts. Salem stolperte und hatte Mühe, sich auf den Beinen zu halten. Sie waren seit Stunden unterwegs, seine Füße schmerzten und die Ketten um seine Handgelenke schnitten ihm tief ins Fleisch. Seine eher bleiche Haut war gerötet und mit jeder Bewegung schabte das rostige Metall über die angegriffenen Stellen an seinen Gelenken. Salem keuchte auf und stolperte über eine Wurzel. Ungebremst und ohne die Möglichkeit seine Hände zu nutzen, um den Sturz abzufedern, ging er zu Boden und landete mit dem Gesicht voran auf dem schmalen Weg, der sich durch den dunklen Wald zog. Der Blonde, der auf einem Auge erblindet war und dessen Sicht des Nachts deswegen noch mehr eingeschränkt war, keuchte auf. Mehr Schmerz zog sich wie eine mahnende Erinnerung an dumme Entscheidungen durch seinen Körper.
      “Aufstehen. Los.” Eine barsche Stimme erklang unmittelbar neben seinem Ohr und der Zauberer zuckte zusammen, während er unwirsch wieder auf die Füße gezogen wurde. Er war nicht der Erste gewesen, der gestürzt war. Die Vampire hatten gleich mehrere Sklaven auf dem Markt aufgekauft und offensichtlich war Salem nicht der Einzige, der damit Mühe hatte sich im dunklen Wald zu orientieren. Wie auch? Die Vampire mochten aufgrund ihrer Sehkraft alles wahrnehmen können als wäre es Tage. Ihm war dies leider verwehrt und offenbar auch den anderen. Vorsichtig machte der Blonde einen Schritt nach dem Anderen und stolperte dabei immer wieder über Wurzeln und gröbere Steine, aber er fiel glücklicherweise nicht mehr hin und konnte sich mehr oder weniger auf den Beinen halten.
      Wie lange sie noch gingen, konnte Salem am Ende nicht sagen, aber sie erreichten ein Schloss, noch bevor die Dämmerung den Morgenhimmel in sattes Dunkelblau tauchte. Blinzelnd legte Salem den Kopf in den Nacken und ließ den Blick über das imposante Gebäude wandern, wie man es nur von den reichen Leuten in den höheren Gesellschaftsklassen kannte. Ihm war bewusst gewesen, dass er wahrscheinlich zu einer adligen Familie kommen würde - kaum jemand abgesehen von ihnen konnte sich Sklaven leisten – aber wenn er gekonnt hätte, hätte er sich bestimmt keine Vampire ausgesucht, die fernab seiner Heimat in einem Schloss im Wald wohnten. Es war unheimlich und Salem beschlich so langsam das Gefühl, dass es das Schicksal nicht gut mit ihm meinte.
      Ein Tor wurde geöffnet und die Gruppe Sklaven wurde in das Schloss getrieben, wo sie ratlos aber vor allem verängstigt stehen blieben. Die Fenster waren allesamt mit schweren Vorhängen verdeckt, kein Licht konnte nach innen dringen. Lediglich der orangene Schein von unzähligen, flackernden Kerzen erhellte das Gröbste der Inneneinrichtung. Salem schluckte schwer. Seine Knie und Schultern zitterten und es schien ihm unmöglich einen klaren Gedanken fassen zu können. Sein gesundes Auge hielt Ausschau nach einem Fluchtversuch aber seine innere Stimme machte ihm schnell klar, dass ihm hier nur rationales Denken weiterhelfen würde. Leider war das aber gerade das Letzte, was der Blonde fertigbrachte. Das Rascheln eines schweren Mantels erklang unterdessen und einer der Vampire – er war grösser als die Anderen, war breit gebaut und wirkte wie die Authoritätsperson hier -, kam neben ihm zum Stehen. Er packte Salem an den Ketten und zog ihn unwirsch etwas vorwärts.
      “Wo ist mein Sohn?”, fragte er mit lauter Stimme und ignorierte, dass der Blonde neben ihm mehr in seinen Ketten hing als stand. Die Erschöpfung war ihm deutlich anzusehen. “Wo ist Hyacinthe?”, donnerte es noch einmal und Salem verspannte sich. Vielleicht wäre es doch besser gewesen, einen Fluchtversuch zu starten.
      @Attari

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    • Ruhig und melodisch erklang die Stimme, während sie ein altes Lied in den Raume trug.
      „ Die Himmel teilten sich entzwei, als im Lande ein neues Geschöpf das Licht der Welt erblickte… Gesegnet durch reinste Hand…“
      Am Fenster saß in schmaler Silhouette der Spross des reinen Blutes, von der gerade den Himmel erklimmenden Sonne angestrahlt und einen langen Schatten auf den schmalen Streifen Licht werfend, welcher durch den schmalen Schlitz der Vorhänge drang. Seine Beine von sich gestreckt, den Kopf in den Nacken gelegt. Warmes Blut tropfte aus seiner Hand, die die letzten Reste des Lebenssaft aus dem jungen Herzen quetschten. Gierig streckte sich eine Zunge dem Tropf entgegen, süchtig danach jedes letzte Bisschen aufzufangen, auf dass es seine Kehle hinabzusteigen vermochte… Das ruhige Lied verstummte.
      Das Herz gab nichts mehr her. Enttäuschter Blick senkte sich und betrachtete den Boden vor seinen Füßen. Wenige Stufen führten den Weg zum halbrunden Fenster hoch. Sie säumten zahlreiche Körper, schlafender und toter Natur. Der Spross kniff seine Augen ein wenig zusammen, während das ausgepresste Herz achtlos aus seiner Hand glitt. Jene goldenen Augen glitten über die Masse, suchend in dem Wirrwarr nach etwas… Nichts!
      Erbittert, die Lippen bebend, stoppte er seine Suche bei einer schmalen Gestalt, deren kalkiges Antlitz das Licht mied, welches in das Zimmer drang. Der Spross trat ein paar Schritte in die Richtung des Vampires. Sein Zittern war für die feinen Sinne des Jungen kaum zu übersehen, noch zu überhören. Die Muskeln knirschten und sein totes Herz schien nicht vorhandenes Blut durch seinen Körper jagend zu wollen - bereit für Flucht oder Angriff! Vor ihm stoppte der Schönling. Dessen goldenes Haar bei jedem tänzelnden Schritt über die Leichen gewippt hatte. Ihm hingen die Strähnen wahllos vor den roten Augen.
      „ Bring mehr!“, fuhr eine kühle Stimme aus. Von dem schönen Ton des Gesangs war nichts geblieben. Rohe Wut, wie ungezügeltes Feuee herrschte nun. „ Mach schon!“
      Der Zitternde machte sich kleiner. „ Wir haben nicht mehr, junger Lord! Ihr habt… ihr habt alles aufgebraucht…“ Er hatte fressen sagen wollen, doch mied diesen Begriff. Dem Schönling zu missfallen würde auch für sein Gefolge ein ähnliches Schicksal bedeuten… Er wusste, zu welchen Dingen dieses Kind fähig war! Er wusste es…!
      Der junge Lord sang. Er liebte es, wie ihm die Menschen zu Füßen fielen und niemand bereit war ihm zu widerstehen. Sie kamen her, taten nichts, wenn er seine Zähne in sie rammte… Er hatte es gesehen…!
      Der Zeuge betrachtete den Jungen, dessen Geburt einst die größte Hoffnung für seine Art war und heute kaltes Grauen über einen jeden Rücken jagte, der seinen Namen vernahm. Er glich kaum der starken Erscheinung des Vaters. Sein Antlitz war zart, umspielt von feinen Locken… hübsch wie eine Sirene es eben zu sein hatte. Nun bedeckte dunkles Blut die Region um seinen Mund, färbte die hellen Kleider stellenweise schwarz…
      „ Damm organisiert mehr!“, fuhr er fort. „ Ich will nicht warten müssen!!“ er holte aus, doch kam nicht dazu seine Krallen einmal mehr über das Gesicht des Zeugen zu schlagen und seine alten Narben einmal mehr zu öffnen.
      die schweren Türen flogen auf. Der Kerzenschein des Flures drang herein und hüllte die Gestalt im Rahmen in dunklen Schatten ein. Grimmig blickte der Spross über die Schulter des gebückten Vampires. „ Was?!“, fuhr er heraus.
      Keuchen. „ Euer Vater…. Euer Vater ist hier, junger Lord!“ Er senkte seine Hand und verzog das Gesicht. Was wollte der hier?
      „ Beschaff mehr!“, flüsterte er in das Ohr des Vampires, als er an jenem vorbei schritt, in Richtung der Türe. „ Ich will ein Bad nehmen, bevor ich ihn empfange…“, er wank kalt ab. Das unglückliche Gesicht des Boten war es wert. Er grinste hämisch. Der Vater war kein Unschuldslamm, auch wenn er sich gern als solches porträtieren ließ… leider…

      Es dauerte. Gregoire le Amimain saß auf der roten Couch in einem der Zimmer, die Sklaven an der Wald aufgereiht, wie Statuen, wartete er mit größter Ungeduld auf das sich verspätende Kind. Vor ihm gebreitet fanden sich Tee und andere Dinge, die man einem Gast reichen würde, um die Wartezeit zu verkürzen. Jedoch blieben diese unangerührt. Als die Türe sich öffneten und jemand die Ankunft des Sprosses verkünden wollte, fuhr Gregoire in die Höhe. Ein erbitterter Blick trat auf seinen Sohn. Jener hatte sich alle Zeit genommen, sich herzurichten und in bester Form den Vater zu empfangen. Jener verabscheute es, wenn das Kind sich aufführte wie ein stolzer Pfau, der seine Federn jedem zu zeigen hatte und nicht einmal Respekt vor den Eltern besaß.
      „ Hyacinthe!“, begann er mit harter Stimme. Er wies auf einen Platz auf der Couch. „ Setz dich!“ Des Sohnes Blick glitt über die neue Dekoration hinüber auf den Platz. Er nahm jenen ein, griff eines der kleinen Plätzchen und schob es sich zwischen die Zähne. „ Ihr habt Nachschub gebracht, Herr Vater?“, er nickte zur Wand. „ Danke sehr! Ich hatte nicht mit einem solch großzügigen Geschenk zu meinem Geburtstag gerechnet…“ seine Hände falteten sich in seinem Schoß. Hyacinthe lächelte. Gregoire schlug auf den Tisch. „ Genug!“, sein Blick wurde enger. „ Du undankbares Balg hast genug Schaden angerichtet! Deine Massaker erreichen Ausmaße, die nicht mehr zu tragen sind! Du bist eine Gefährdung für den Frieden…“ Hyacinthes Lächeln verschwand. Sein Blick wurde finster, die Augen schwarz.
      „ Ja?“
      „ Es ist genug!“ Gregoire nahm eine aufrechte Haltung ein. „ Ab heute wirst du nur noch einen Menschen haben, dessen Blut du trinken darfst!“, er deutete auf die Wand. „ Triff deine Wahl… Dann begibst du dich in Hausarrest, bis du lernst!“ Hyacinthe fuhr in die Höhe. Er grub seine Krallen in den Tisch. „ Nein!“, sagte er nur.
      Einmal mehr verengten sich die Augen des Vaters. „ Deine Meinung ist nicht von Belangen!“, er drehte sich selbst zur Wand. Sein Blick glitt über die aufgereihten Sklaven. Männer wie Frauen, große wie dünne. Ihre Herzen schlugen vor Aufregung, wild und schnell. Sein Blick prüfte jeden, bis er die Wahl letztlich traf. Er packte die Ketten eines Jungen Mannes. Physisch kaum älter als der Vampirspross selbst. Jenen zog er nach vorn. Dann glitt ein Nicken in den Schatten hinter Hyacinthe. Zwei Vampire traten hervor und flankierten den Sohn. Sie hielten jedoch inne, als sein finsterer Blick sie traf. Gregoire schubste seine Wahl wortwörtlich vor die Füße des Anderen. „ Deine Verantwortung…“, sagte er. „… dieser Mensch hat in einem Jahr noch zu leben. Du wirst ihn wohl ernähren und sorge für ihn tragen.“
      Ein hasserfüllter Blick glitt aus dem Vampir auf den Menschen. „ Dazu könnt Ihr mich nicht zwingen!“, entgegnete Hyacinthe nur. Seine Augen glommen wütend.
      Der Vater schüttelte nur seinen Kopf, bevor er ein letztes Signal gab. Die beiden Vampire schossen hervor. Ein metallisches Geräusch ertönte… Hyacinthe fasste hoch, sich an den Hals. Ein feiner Ring aus goldenem Metall lag nun darum. Seine Lippe bebte. „ Nein!“, fuhr er aus, seine Hände darum legend und dem ganzen eine Ruck versetzen. „ Versuch es nicht… Diesen Zauber kannst du nicht brechen…“, die Stimme des Vaters war ruhiger geworden. Er sah auf den Menschen herab. Ein letzter… Seine große Hand umfasste den Nacken des Burschen, unter dessen strohigem Haar und brannte das Mahl hinein. Sein Sohn zitterte bei dem Anblick, er schüttelte den Kopf, bevor er absackte. Der Vampir zu seiner Rechten fing Hyacinthe auf. Gregoire Blick wurde enger.
      „ Schafft die anderen hier weg…“, erklärte er. Der Spross saß, seinen Blick auf dem Vater haltend. Den Menschen würdigte er keines Blickes. „ Wie könnt ihr nur?!“, fauchte er. Beide Hände legte der Vater auf die Schultern seines Sohnes. „ Es muss sein, Hyacinthe!“
      Er ließ ab.
      Ruhe kehrte ein, nachdem der erschütterte Spross und der Mensch allein zurück gelassen wurden… Das erste Mal richtete letzterer nun seinen hasserfüllten Blick auf den Menschen. Er schnaubte abfällig. „ Ekelhaft!“

    • Es war eine Qual.
      Jede Minute, die er an dieser Wand stand, in einer Reihe von Sklaven, fühlte sich an wie die Ewigkeit. Er wusste nicht, was mit ihm passieren würde und die Angst davor hatte ihn so fest im Griff, dass ihm das Atmen schwerfiel. Und dennoch hob und senkte sich seine Brust viel zu schnell mit jedem flachen Atemzug, den er tat. Schwarze Punkte tanzten vor seinen Augen und er blinzelte einige Male kräftig, mochte allerdings kaum Erfolg damit zu haben. Noch immer zitterte er, vollkommen erschöpft vom Weg hierher und von den ganzen Strapazen. Die Ketten um seine Handgelenke fühlten sich lächerlich ironisch an. Wie wollten sie auch fliehen vor den Vampiren, die um einiges schneller und stärker waren? Sie in Ketten zu legen war doch nur ein Vorwand gewesen, sie noch etwas mehr zu drangsalieren.
      Die Zeit verstrich und die Stimmung im Raum wurde immer nervöser. Und dann sprang die Tür auf und ein weiterer Vampir betrat das Zimmer, um es mit seiner Aura zu füllen. Beide begannen sich zu unterhalten und es wurde schnell klar, dass zwischen ihnen ein familiäres Bündnis herrschte. Salem konnte sich kaum darauf konzentrieren – das Blut rauschte ihm in den Ohren und die Angst klammerte sich mit eisernem Griff um sein Herz und seine Kehle. Ihm stockte der Atem und er verschluckte sich, hielt aber ein Husten mit aller Kraft zurück, um keine unnötige Aufmerksamkeit auf sich zu lenken. Die Augen wurden ihm feucht und brannten aufgrund des Kratzens in seinem Hals, welches mit einem einfachen Räuspern hätte beseitigt werden können.
      Doch Salem wagte es nicht.
      Er starrte stumm zu Boden und wagte nicht den Blick zu heben. Aber als einer der Vampire, er glaubte es war der, der später hinzugestoßen war, von dem roten Sessel aufsprang, zuckte er zusammen und stolperte einen Schritt zurück. Er stieß mit dem Rücken gegen die Wand und war dankbar für den Halt, den sie ihm gab. Aufmerksamkeit schien er aber glücklicherweise keine erregt zu haben. Die anderen Sklaven waren mit sich selbst und ihren eigenen Ängsten beschäftigt, als dass sie auf ihn hätten achten können, und die beiden Vampire waren in ein hitziges Argument verstrickt. Nun glitt Salems Blick erneut durch den Raum, wobei er ziemlich offensichtlich den Kopf hin und herdrehen musste, da sein rechtes, blindes Auge ihm bei seinen Erkundungen keinen Gefallen tat.
      Doch auch von diesem Zimmer aus schien ihm keine Fluchtmöglichkeit aufzufallen.
      Schon gar nicht derartig erschöpft und in Ketten gelegt. Nein, er hatte keine Chance und würde abwarten müssen, was heute mit ihm geschah. Es war nur eine schnelle Bewegung im Augenwinkel, kaum wahrzunehmen, dann stand der Vampir mit den langen, blonden Locken vor ihm und Salem erschrak sich so heftig, dass sein Herz für einige Schläge aussetzte. Absolute Stille in seinem Körper, sogar das Blut schien nicht mehr wie verrückt durch seine Venen zu pumpen. Dann wurde er ruckartig nach vorne gezogen, er wurde geschubst und fiel infolgedessen auf seine Knie hinab. Sein ganzer Körper würde voll sein mit Hämatomen aller Art. Dann begann das Blut wieder zu fließen und sein Herz schlug so schnell, dass es schmerzte. Salems Blick schoss hoch und er hob abwehrend die Hände, doch ehe er sich versehen konnte, wurde er am Nacken gepackt.
      Ein brennender Schmerz breitete sich unter seiner Haut aus und ein erstickter Schrei blieb dem Blonden in der Kehle stecken. Die anderen Sklaven wurden hinausgeführt, er selber wand sich hier auf dem Boden und verstand die Welt nicht mehr. Ihm wurde klar, dass er Teil eines unschönen Spiels geworden war.
      Er hatte in einem Jahr noch zu leben? Was sollte das denn bedeuten und hatte er es überhaupt richtig verstanden? Salem fasste sich in den Nacken, wo sich seine Haut narbenhaft vom Rest seines Körpers abhob. Man hatte ihm ein Mal eingebrannt wie es Zauberer taten, wenn sie etwas binden wollten. Dann bemerkte er, wie unheimlich ruhig es im Raum geworden war. Immer noch erbärmlich und in jämmerlichem Zustand am Boden kauernd, blickte Salem erneut hoch und musste feststellen, dass er mit dem jähzornigen Vampir alleine gelassen wurde. Ekelhaft, kommentierte eben jener und Salem schluckte leer, bevor er hastig Abstand zwischen sie beide brachte, indem er sich auf seinem Hinterteil nach hinten schob, bis er wieder die Wand im Rücken hatte.
      Verwirrung lag in seinem Blick, in dem gesunden, grünen Auge. Das andere blickte milchig weiß und ausdruckslos ins Leere, eine Pupille war darin nicht zu erkennen. Blondes, längliches Haar fiel Salems in die Stirn und umrahmte sein Gesicht, ließ es noch schmaler erscheinen als es eh schon war. Die Ketten rasselten und schnitten sich tiefer in sein Fleisch, als der Sklave seine Beine an den Oberkörper zog und die Arme darum schlang, eine stumme Schutzhaltung annehmend. Er war nicht dumm, er wusste, dass nichts hier ihn schützen würde und dennoch war es eine natürliche Reaktion seines Körpers gewesen. Salem hatte den Blick abgewandt, getraute sich nicht länger den Vampir anzustarren in der Hoffnung, jener würde das Interesse an ihm verlieren und ihn einfach hier zurücklassen. Es war bestimmt vernünftiger.
      Der Blonde war gerade ein nervöses Wrack, er trug unzählige Verletzungen an sich und es war ein Wunder, dass er noch nicht ohnmächtig geworden war. Salem leckte sich nervös über die Unterlippe, entschied sich nun doch dazu, etwas zu sagen. Hoffnung hatte er keine, aber vielleicht war es dennoch einen Versuch wert. Immerhin schienen Vater und Sohn sich nicht sonderlich gut zu verstehen, darauf konnte er eventuell aufbauen. Er würde es nicht wissen, solange er es nicht versucht hatte. “Bi-bitte l-lass mich g-gehen.”, forderte er stotternd, ohne den Blick auf den Vampir namens Hyacinthe zu richten. “Ich n-nütze dir doch nichts.” Hyacinthe hatte selbst gesagt, dass er ihn ekelhaft fand. Was wollte er schon mit einer dreckigen Seele wie ihm? Er musste sich für jemand anderen entscheiden, unbedingt. Salem würde hier in dieser kalten Umgebung eingehen wie eine Sonnenblume, der die warmen Sonnenstrahlen fehlten und die kein Wasser bekam. Obwohl er noch sieben Leben über hatte, bezweifelte Salem, dass er ein Jahr hier überleben würde. Vorsichtig linste Salem nun zu dem Vampir. "Du bist doch vollkommen anders als ich.", stotterte er weiter. "Ich würde dich nur vergiften." Natürlich war dies metaphorisch gemeint. Salem hatte weder Zugang zu Gift, noch wusste er, wo hier welches zu finden war.

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    • Die Hände des Vaters lagen schwer. Der alte Vampir blickte in das spöttische Abbild der jungen Sirene, deren liebliches Lied ihm in einem schwachen Moment die Kontrolle gekostet hatte. Es hatte sich in seinen Kopf gebrannt: Ihr langes Haar klebte auf ihrem leicht verschwitzen Körper. Das schimmernde Gefieder ihrer Flügel raubte ihm die Sicht für den Raum um sich herum. Ihre vollen Lippen ließen nicht ab von den seinen… und stets dies Lied in seinem Ohr.
      Niemals hätte er es sich erträumt, dass ausgerechnet sie die Mutter seines Sprosses sein sollte. Eine verheerende Nacht der stürmischen Liebe in seinem tiefsten Punkt, endete in Glück und Leiden gleichermaßen.
      Die Geburt eines reinen Blutes war eine Seltenheit. Der vampirischen Rasse war es von Natur aus nicht vergönnt biologische Kinder zu haben. Sie vermochten sich ein jeden für die Ewigkeit gefügig zu machen, ihre Kinder in der Anzahl stetig steigend… doch das wahre Glück dieser Welt sollten die meisten von ihnen niemals haben. Auch Gregoire war einst ein Spross gewesen. Das Resultat einer selten Liaison zwischen einem reinen Blut und einer anderen Kreatur. Das Resultat war eine Kreatur so selten, dass die meisten sie nicht einmal erkennen würden, wenn sie als Kind unter ihren Augen läge.
      „ Es musste sein, Hyacinthe…“
      In der Stimme des Alten schwang eine Schwermütigkeit mit. Die pure Verzweiflung und das letzte Ende seiner Macht über den Heranwachsenden. Gregoire hätte sich fragen können, was er falsches getan hatte, dass sein Sohn zu einem blutrünstigen Monster verkommen war. Er hätte… doch er tat es nicht…
      Der Spross und der Mensch blieben allein in dem Raum zurück. Eine Stille herrschte zwischen ihnen und den hohen Wänden. Er fokussierte das pochende Herz, den unruhigen flachen Atem. Sein feines Gehör verschmähte ihm stets die Ruhe. Die Geräusche nahmen seinen Kopf ein, lautes pochen und kratziges Rasseln. Sein wütender Blick fuhr zu dem Menschen. Sein Haar wirkte fahl, hatte seit Tagen keinen Tropfen Wasser mehr gesehen. Seine Gestalt nur noch haut und Knochen. Kein Gefühl für etwas edles… er passte schlichtweg nicht in diese Räumlichkeiten.
      „ Ekelhaft!“, zischte Hyacinthe. Er zog die Nase hoch und schnaubte. Der Gestank dieser Person war kaum zu verkennen. Fast noch prägnanter, als die stetig erklingenden Töne des menschlichen Körpers. Der Vampir verabscheute diese Eindrücke! Sie verließen einen nicht, a.s wäre man in der Gegenwart einer Person stets auf der Jagd! Ed leckte seine Lippen. Das Gefühl des warmes Blutes war nach dem ausgiebigen Bad verschwunden. Dieses Gefühl… seine Augen färbten sich langsam rot. Als würde man Milch in seinen schwarzen Tee gießen, quoll die Farbe langsam in dem schwarz auf. Er stützte nachdenklich die Hände auf die Beine, seinen Blick nicht von dem Skalben nehmend. Erste Worte kamen über die Lippen des Fremden.
      Doch Stille blieb zunächst seine einzige Antwort. Erst als der gesunde Blick des Sklaven den seinen traf, zischte er in die Höhe. Als Vampir vermochte er sich schneller zubewegen, als ein Auge es wahrnehmen könnte. Er stand vor dem Hageren. Seiner Hand waren Krallen gewachsen, mit welchen er den Fetzen Kleidung packte. In Größe unterschieden sich die beiden nicht viel. Dennoch stand Hyacinthe über ihm!
      „ Gehen?!“, fragte er. Seine Lippen bebten und offenbarten einen Blick auf seine Fangzähne. Sie blitzen aus dem Schatten des Mundes. Neben den beiden ausgeprägten eines Vampires besaß er noch zahlreiche andere…
      Ihm käme es nicht in den Sinn den anderen gehen zu lassen… niemals!
      „ Recht hast! Du bist es nicht wert…“, er stieß den Anderen von sich zu Boden. „ … Menschen sind es niemals wert!“ er grinste. „ Aber wenigstens einen Job kannst du erfüllen!“
      Hyacinthe trat über ihn, warf einen mördereischen Blick hinab, bevor er langsam in die Hocke glitt. Er machte keinen Hehl daraus, dass er sich zum Mahl begab. Seine Lippen gierig leckend. Er packte das lange Haar. Erstaunlich griffig trotz der spröden Struktur und zog daran, sodass der Kopf ohne Widerstand in den Nacken glitt. Das Blut pochte unter seiner Haut. Rotes Gold floss durch die Adern. Der Spross verspürte schon das warme Gefühl auf seinen Lippen. Sein erregter Atem traf direkt auf die Haut des Sklaven, während er nach der optimalen Stelle suchte… Gefunden!
      Hyacinthe riss den Mund auf und rammte seine Zähne in den schmalen Hals. Der Genuss quoll hervor, so schnell dass es seine Kapazitäten bald überstieg. Überall tropfte es… Schluck für Schluck nahm er sich. Das Leben ronn an seinen Mundwinkeln herab. Achtlos mit dem wertvollen Gut umgehend, nahm er sich… mehr und mehr…

    • Ekelhaft.
      Ja, das war er. Salem wusste, dass er momentan nicht den besten Eindruck machte. Auch wenn er die meiste Zeit auf der Straße lebte, achtete der Blonde meistens darauf, halbwegs vernünftig auszusehen.
      Niemand wollte eine Hure, die stank oder total verwahrlost war. Er konnte sich also normalerweise gut um sich kümmern. Aber seit er von den Sklavenhändlern gefangen genommen worden war, hatte er keine Möglichkeit gehabt, sich zu säubern oder überhaupt zu essen oder zu trinken. Und dann waren sie nach dem Verkauf hierhergebracht worden und der Weg hatte ihm den letzten Rest Kraft geraubt.
      Salem konnte nicht einmal blinzeln, da stand der Vampir vor ihm. Seine krallenartigen Hände hatten den Stoff seines Oberteils gepackt und der Blonde wimmerte auf, kniff die Augen zusammen, um nicht in das stechende Rot der Iriden seines Gegenübers sehen zu müssen. Ihm wurde bewusst, dass jedes Betteln hier nichts brachte. Dennoch war es eine natürliche Reaktion, es dennoch zu versuchen. “Bitte...”, flüsterte der Langhaarige atemlos, doch er wurde nur unwirsch zu Boden gestoßen. Verzweiflung spiegelte sich auf seinen Zügen wider und Salem schluckte den Kloss in seinem Hals herunter. Tränen begannen in seinem gesunden Auge zu brennen, während das Blinde milchig weiß und ausdrucklos blieb.
      Er hatte verdammt nochmal Angst.
      Der Vampir ging in die Hocke, ein mörderischer Blick lag in seinen Augen. Seine Hand griff in Salems langes Haar und der Blonde spürte, wie ihm der Kopf in den Nacken gezogen wurde. Er wehrte sich nicht einmal dagegen. Tränen rannen seine Wange herab und sein ganzer Körper zitterte vor Furcht.
      Salem starb nicht das erste Mal.
      Und obwohl er wusste, was auf ihn zukam, war es jedes Mal ein wenig anders. Eines hatte aber jeder Tod gemeinsam: es tat weh bis zum bitteren Ende. Es gab keinen Moment, an dem der Schmerz plötzlich aufhörte und man sich entspannte, friedlich in die andere Welt hinübergleiten konnte. Da war nur Schmerz. So, so viel Schmerz. Der Atem des Vampirs strich über seinen Haut, suchte nach der besten Stelle, um ihm die Halsschlagader aufreißen zu können. Salem hob die aneinandergeketteten Handgelenke, seine Finger krallten sich in den teuren Stoff der Kleidung des Anderen. Wie er sich wünschte, wenigstens in Freiheit sterben zu können. Doch Gnade war nichts, was der Vampir zu kennen schien. Salem hörte ein undefinierbares Geräusch als der Andere seinen Mund aufriss, dann bohrten sich Zähne in seine Haut, bissen durch das Fleisch und rissen seine Adern auf.
      Ein erstickter Schrei entfloh dem Blonden und er zuckte vor Schmerz, krallte sich noch fester an den Vampir. “Bitte.”, flehte er erneut mit stockender Stimme. Ihm war kaum möglich zu sprechen. “Bitte.”, kam es ein weiteres Mal von ihm, flehender als je zuvor. Zu sterben war schrecklich, auch wenn er wusste, dass er irgendwann wieder aufwachen würde. Aber das war ja unter anderem genau das, was Salem gerade verängstigte. Er würde diesen Alptraum immer wieder erleben müssen, sobald er wieder erwachte. Der Schmerz wurde schlimmer und Salem konnte spüren, wie das Blut in Bahnen seine nackte Haut hinablief, seine Kleidung schwerer werden ließ. “Bitte.” Seine Stimme wurde immer wie leiser, war kaum mehr ein Hauch seines eigenen, flacher werdenden Atems. Doch all das Flehen zeigte keine Wirkung – der Vampir trank weiterhin in kräftigen Zügen von ihm und Salem spürte, wie ihm die Sicht verschwamm.
      Alles wurde dunkler, sein Herzschlag wurde langsamer und er hatte nicht mehr die Kraft, sich länger an den Vampir zu klammern. Seine Hände sackten herab, die Ketten rasselten und es war zusammen mit dem schmatzenden Trinken des Vampirs das letzte Geräusch, welches er bewusst wahrnahm. Sein ganzer Körper schien in flammenden Schmerzen zu stehen.
      Dann wich das letzte bisschen Leben aus ihm. Seine Augen fielen zu und seine Gestalt sackte etwas mehr in sich zusammen, fiel nur nicht zu Boden, weil der Vampir noch immer an seinem Hals hing. Salem war Tod und das einzige Leben, was ihn noch umgab, waren die getrockneten Tränen auf seiner Wange und das frische Blut auf seiner Haut.

      Mit einem Keuchen wachte der Blonde auf.
      Wie immer war es seine Atmung, die nach dem Wiedereinsetzen des Herzens, welches frisch hergestelltes Blut durch seine Adern pumpte, als erstes einsetzte. Doch sein Körper blieb noch für wenige Momente paralysiert und Salem blieb nichts anderes übrig, als starr auf dem Rücken liegen zu bleiben und an den dunklen Nachthimmel hochzustarren. Wie lange war er wohl dieses Mal weggewesen? Sagen konnte der Blonde es nie so wirklich. Aber es war zumindest schon mal gut, dass er nicht mehr im Schloss war, sondern irgendwo draußen. Und es war auch gut, dass man ihn nicht begraben hatte. Aus dem Erdreich hätte er sich nicht so gut befreien können und wahrscheinlich hätte er seine übrig gebliebenen Leben damit verschwendet, zu versuchen aus dem erdigen Gefängnis zu flüchten, nur um immer wieder zu sterben, bis er nicht mehr aufwachte.
      Salem zog tief die kühle Nachtluft in seine Lungen. Es war bitterkalt, noch war sein Körper aber nicht in der Lage zu frieren. Neben der Frische der Kühle lag aber auch ein anderer Duft in der Luft. Ein sehr unangenehmer, beißender Gestank, den der Blonde kaum aushielt. Einige weitere Minuten vergingen, in denen der Halbblinde immer wieder die Nase rümpfte, bis schließlich ein Zucken durch sein Bein ging. Stöhnend setzte der Blonde sich ruckartig auf und rollte mit den Schultern. Seine Hand glitt sofort an seinen Nacken und zu seinem Entsetzen musste er feststellen, dass das eingebrannte Mal nicht verschwunden war. Es schockte ihn nicht lange, denn etwas in seinem Augenwinkel lenkte ihn ab.
      Die Ketten rasselten als Salem die Hände sinken ließ und langsam den Kopf drehte.
      Leichen.
      Eine ganze Reihe von ihnen und er lag mittendrin. Ein erschrockener Schrei perlte über seine Lippen und Salem stürzte vorwärts, rappelte sich halbwegs auf und legte sich erst einmal gleich hin, bevor er richtig auf die Beine kam und mit vor Anstrengung zitternden Muskeln losrannte. In der Ferne konnte er das Schloss erkennen und er konnte nur vermuten, dass man ihn hierher geschleift hatte. Seine Kleider waren zerrissen und er war dreckig. Außerdem stank er – welch Wunder – nach Leiche. Salem rannte über die offene Fläche, wusste, dass er so schnell wie möglich Deckung finden musste, aber das war gar nicht so einfach in seinem Zustand. Normalerweise brauchte er nach dem Aufwachen einige Zeit um wieder fit zu werden, hier blieb ihm die Möglichkeit dazu aber nicht.
      Also riss er sich krampfhaft zusammen und zwang seinen Körper weiterzurennen, auch wenn es ihm vorkam, als würden ihm jeden Moment die Beine wegbrechen. Das taten sie dann auch, als der Blonde endlich den Schutz des Waldrandes erreichte. Er kauerte sich zusammen und verharrte eine halbe Ewigkeit in dieser Position, bis er sich dazu zwang, sich aufzurichten. Die Ketten rasselten und Salem warf einen Blick hinab. Die Haut unter ihnen hatte gar nicht die Möglichkeit gehabt, zu heilen, da sie ihm nicht einmal nach seinem Tod die Freiheit geschenkt hatten. Salem schloss die Augen und konzentrierte sich auf die wenige Magie, die er noch in sich trug. Er konnte fühlen, wie sie kribbelnd durch seine Glieder wanderte und sich an den Ketten sammelte, doch sie war zu schwach, um sie zum Brechen zu bringen.
      Der Blonde versuchte es mehrere Male, gab dann aber frustriert auf.
      Er musste seine Kräfte sparen und außerdem begann er langsam zu frieren. Wenn er nicht ein weiteres Leben verlieren wollte, dann musste er jetzt unbedingt einen Weg zurück in die Zivilisation fernab der Vampire finden. Und wenn er daran dachte, wie lange sie hierher gewandert waren, dann graute es ihm bereits. Aber es blieb ihm nichts anderes übrig und so hievte Salem sich auf die Beine. Frierend, blutverschmiert, mit zerrissener Kleidung und Durst sowie Hunger, die Hände in Ketten gelegt wanderte er im Schatten des Waldrandes durch die Dunkelheit einer ihm unbekannten Gegend. Wenn das nicht ein weiterer Tiefpunkt in seinem Leben war, dann wusste er auch nicht.

      i dont care how they look at me, i always say what i want to say
    • Sie flehten immer. Egal wie, begaben sie sich auf den Pfad des Todes, flehte ein Mensch. Man möge ihn von seinem unabwendbaren Schicksal bewahren… ihm helfen und seine kümmerliche Existenz auf dieser Welt mit einem nichtigen Grund rechtfertigen. Der Spross des reinen Blutes hatte sich schon vieles angehört. Vom kalten Schrei des Todes, bis zum hilflosen Gewinsel der verdammten. Sie alle hatten eines gemeinsam! Sie trafen auf Ohren, die es nicht im geringsten kümmerte. Ihr Besitzer verlor sich im zunächst heftigen Atem, wie der kalte Ausstoß ihrer Lungen auf seiner Haut perlte und ihn in die Höhe trieb. Das Geräusch der Reisenden haut, ein feines knistern in den Ohren jagte ihm stets einen geliebten Schauer durch den Körper. Er fühlte sich am Leben, vollkommen und rein. Wann immer das warme Blut seine Kehle hinab quoll und er einem anderen nahm, was ihm zu stand!
      Hyacinthes rote Augen funkelten. Er hatte den Kopf zurückgenommen. Wie ein geschundener Hund hechelte er. Die Jagd war geglückt, die Beute sein. Seine Zunge fuhr über die vollen Lippen, jene getränkt in den Saft des Lebens. Ein Grinsen kroch in das scheußliche Bild. Er lachte. Er euphorisches Lachen, voller Triumph über sein neues Spielzeug… und über seinen Vater. Der Alte würde niemals Einhalt gebieten können, niemals diese Gelüste des Jungen stoppen können!
      Er fühlte das verzweifelte Ziehen an seiner Kleidung. Wie sich die dreckigen Hände in den feinen samt seiner Weste bohrten und unweigerlich Flecken darauf hinterließen. Doch schenkte er diesem keine Beachtung. Kleidungsstücke waren ersetzbar, egal wie gern er etwas hatte, seine Scharr an schneidern wäre darum bemüht es so aussehen zu lassen, als hätte sie nie in seinem Schrank gefehlt.
      „ Bitte…“
      Die Verzweiflung glich einem Bad, dessen Ende sich langsam neigte. Die Griffe wurden sanfter und der Abschied nährte sich. Hyacinths roch das Leben förmlich aus dem anderen schwinden… Es war nun seines. Sein Herz schlug in höchsten Tönen, als er den Kopf zurück nahm und einen Blick auf sein Opfer richtete. Der Körper lag schlaff in seinem Arm. Das lebendige Auge hatte sich dem Blinden angeglichen, war milchig geworden. Matt hing das Lied darüber, fast geschlossen… Hyacinthe legte den Kopf schief, hob die eine Hand aus dem Griff und fuhr über die mit Tränen benetzte Wange des Toten. Menschen sahen stets friedlich aus… egal wie grausam man sie auch in den letzten Minuten vor dem dahinscheiden gequält hatte. Sobald das Leben das seine war, wichen sie an dieser Welt.
      „ Schlaf ruhig…“, flüsterte Hyacinthe mit warmer Stimme in das Gesicht seines Sklaven und hauchte einen matten Kuss auf dessen Wange…
      Ein leises Summen erfüllte die Luft.
      „ Alter König eint das Land, sein Hand eisern und streng…“
      Seine Krallen fuhren unter das Leibchen, welches der Sklave trug. Der helle Stoff war verdreckt und roch stark nach Erde und Matsch. Langsam schob er es hoch und offenbarte den Blick auf den Torso. Er war schmal, doch besaß nichts edles an sich. Die Rippen bohrten sich förmlich unter der fahlen Haut hervor. Der Bauch war eingefallen. Viel zu holen gebe es nichts…
      „ … und wenn er sich erhebt von seinem Thron, herabsteigt die Stufen…“
      Hyacinthes Blick wurde kühler. Er fuhr die Linie zwischen den Schlüsselbeinen zum Bauchnabel herab. Hier drückte er die Krallen langsam in das warme Fleisch. Die Krallen glitten wie durch warme Butter und legten offen, was er sich ersehnt hatte…
      „ … Dann wird der Tod kommen über das Land…“
      Er rümpfte die Nase. Eine feine Note von fischigem Duft und morschen Holz kroch in seine Nase. Es war kein Geruch, der seinen Appetit beförderte. Angewidert rieb er sich Jene und zog das Leibchen wieder herab. Selbst gekocht und bereitet würde er diesen Geruch nicht vergessen…
      „ und Tod wird regieren über Feld und Wald…“
      Sein Blick glitt aus dem Fenster. Seine Kleider ohnehin schon ruiniert wischte er sich mit dem Ärmel über die Lippen. Was ein Fest…
      Vor den Scheiben zeichnete sie Sonne den Himmel über den Wolken mit ihren prächtigsten Farben. Ein durchaus schöner Anblick, dessen man sich jetzt allerdings nicht erfreuen könnte. Die Wolken ließen nur Fetzen dessen zu den Augen der erdgebundenen Bewohner dringen.
      Hyacinthe summte weiter die alte Melodie, während er über den Körper hinweg zur Türe schritt und jene aufriss.
      „ Räumt auf!“, fuhr er die beiden Wachen vor den Toren an. Fröhlich summend schritt er über den Flur und überließ den Raum den geschulten Händen…

      Die Nacht war eingekehrt. Der Mond hing hell und klar in seinem Wolkentor und benetzte das Schloss mit seinem silbernen Schein. Es wäre ein romantischer Anblick gewesen, wusste man nicht, welches Blut dieses Mauerwerk tränkte…
      Schwere Schritte erklangen im Hof des Schlosses. Das Schuhwerk war alt, der eine Schuh abgenutzter als der Andere. Das linke Bein hinkte und zog es nach, sodass sich stetig das Leder auf dem steinernen Pfaden abrieb. Der Mann ging nach vorn gebeugt, auf seiner Schulter das Werkzeug für seinen Job. Er war hochgewachsen, von kräftiger und wohlgenährter Statue. Lennarts Augen waren fahl. Er blickte stets ohne einen auch von Gefühl Starr gerade aus, wann immer er sich auf diesen Weg begab. Der Weg war geebnet, führte durch die abgelegenen Gärten des Schlosses. Hier wanden sich Rosen die zahlreichen Drahtgeflechte hinauf und erblühten in reinem Weiß. Doch niemand war übrig diesen Garten zu pflegen. Seit Jahren schon verwahrloste er fernab vom Blick des jungen Lords. Einzig Lennart schnitt von Zeit zu Zeit seinen gewohnten Weg wieder frei. Als das letzte Steintor passiert war, wandelte der Weg sich in Schotter um und verendete letztlich in einem alten Trampelpfad in den Wald hinein.
      Der Mann ging gemächlich. Ihr hetzte keine Eile seinen Job zu machen, denn alles war wie immer…
      Die Bäume rauschten mit ihren Blättern, der Wind spielte damit zur später Stunde. Der Duft des vergangenen Regens lag in der Luft. Leise knistern drang aus dem Unterholz…
      Er stoppte und hob den Kopf in die Finsternis. Etwas war im Wald! Lennart nahm dem eisernen Spaten von seiner Schulter fest in beide Hände. Seinen gewohnten Weg beendete er, als er leise einen Fuß in das feuchte Gras am Rande des Weges setzte. Dahinter türmten sich die Bäume über die kleinen Büsche… er nahm noch einen Schritt. Langsam bewegte er sich auf die Geräusche zu. Die Dunkelheit nahm auch ihn die Sicht, doch seine anderen Sinne waren geschärft, trainiert!
      Gefunden! Dachte er sich, bevor er kräftig ausholte. Die geschliffene Spitze des Spaten grub sich in den dunklen Stamm einer Kiefer, keine Zentimeter entfernt von dem Gesicht seines Eindringlings. Der fahle Mond grub sich durch das Blätterdach und ließ einen Blick auf ihn zu.
      „ Wer da?!“, fragte Lennart, obwohl die Antwort klar war. Er hätte die raue Stimme nicht erheben müssen, denn dieses Gesicht war ihm bekannt. Den Körper hatte der alte immerhin selbst am Abend zuvor diesen Pfad entlang getragen… den toten Körper!
      Nun stand der Sklave lebendig vor seinen Augen. Sein Blick verengte sich. Er packte das die Ketten des jungen Mannes une zog daran, sodass jener auf ihn zu stolperte. Dann nahm er den Spaten wieder an sich.
      Er sah genauer hin. Keine Frage, er war es!
      „ Du lebst…“, bemerkte er nachdenklich. Sein Blick glitt über den Wald um sie herum. Stille war eingekehrt, so wie es sein sollte. Kein Tier wagte sich in das Territorium eines Jägers wie dem jungen Lord!
      „ Komm mit!“, grummelte er dann. Er schulterte den Spaten wieder und zog den schlaffen Körper hinter sich her. Ihm war schon beim ersten Mal das Mahl im Nacken des Mannes nicht entgangen. Wenn ein Vampir etwas bei sich behalten wollte, markierte er seinen Besitz damit. Jeder von ihnen besaß ein eigenes dieser Mahle… war es das des jungen Lords? Nein… Er hatte noch nie einen der Körper markiert vorgefunden…
      Wer war dieser Kerl?

    • Salem hatte jegliches Zeitgefühl verloren.
      Er war nicht sonderlich weit gekommen auf seiner Flucht. Sein Körper war ein mieser Verräter und half ihm keineswegs. Der Blonde versuchte alle seine Kraft zusammen zu sammeln, vergeblich. Er hatte seine Energiereserven aufgebraucht und er musste unbedingt eine Pause einlegen.
      Dabei wusste er, dass dies eine äußerst kritische Entscheidung war – er kannte sich hier nicht aus, es war Nacht und außerdem war es so verdammt still hier. Zauberer wie er, auch wenn sie kaum mehr Magie in sich trugen, waren stets mit der Umwelt verbunden. Ihre Sinne waren auf die Natur geschärft und sie brauchten Sonne und Wasser zum Überleben wie eine Blume oder ein Kraut. Wenn sie nicht die lebendige Natur um sich herum spüren konnten, gingen sie ein. Kälte, Dunkelheit...das waren Dinge, die einem Zauberer über lange Zeit das Leben kosten konnten. Auch Salem mühte sich gerade damit ab, dass nichts um ihn herum zu leben schien.
      Kein Zirpen von Insekten klang an seine Ohren. Sogar wie der Wind sanft durch die Blätter raschelte, hörte sich falsch und unnatürlich an. Nichts hier war mit dem Leben gefüllt, welches nötig war, um das Universum mit Kraft zu füllen. Es war eine Gegend, in der der Tod Hand in Hand mit der Natur ging, als hätte er eine seltsame Abmachung mit ihr getroffen. Salem schauderte und lehnte sich mit dem Rücken gegen einen Baumstamm.
      Er wollte in die Knie sinken, aber er erlaubte es sich nicht, Sorge tragend er könne einschlafen und gefunden werden. Eine durchaus berechtigte Angst, wie sich im nächsten Moment herausstellte. Salem hatte den Mann nicht kommen sehen. Wie auch, er war von der rechten Seite aufgetaucht und auf der sah der Blonde sowieso nichts. Außerdem war es dunkel und er war so leise gewesen, dass nicht einmal Salems gutes Gehör ihn hatte wahrnehmen können.
      Die Spitze einer Spate bohrte sich in den Baumstamm, an den er sich lehnte, Millimeter von seinem Gesicht entfernt. Ein erstickter Schrei brach aus seiner Kehle und sein Körper reagierte mit einem erschrockenen Zusammenzucken, so heftig, dass er beinahe zu Boden ging. Wer da?, wurde gefragt, aber Salem hatte erst gar nicht vor, zu antworten. Er wollte flüchten, sich aus dem Staub machen, doch sein Versuch war lächerlich und zu langsam, als dass er damit hätte Erfolg haben können. Der Angreifer griff nach seinen Ketten und er wurde nach vorne gerissen. Stolpernd kam Salem, ohne eine Wahl zu haben, dem Zug nach und sah sich zwei starren Augen und einem alten Gesicht entgegen. Aufmerksam wurde er gemustert. Du lebst... Hm? Der Mann musste ihn kennen. Wahrscheinlich aus dem Schloss. Salem war er nicht aufgefallen, er war zu sehr mit seiner Angst beschäftigt gewesen. Aber was machte ein Mensch unter Vampiren?
      Es waren Fragen zur falschen Zeit, das wusste Salem. Dennoch schossen sie ihm unwillkürlich durch den Kopf. Als der Mann sich dann aber in Bewegung setzte und ihn mit sich zog, begann Salem sich endlich zu wehren. “N-nein! Bitte!” Seine Stimme war schwach, rau und kratzig. Wie lange war es her, seit er das letzte Mal etwas getrunken hatte. “Bitte lass mich gehen, ich flehe dich an.” Sich kaum auf den Füssen halten könnend, stolperte der Blonde mit dem langen, dreckigen Haaren dem Mann mit der Spitzhacke auf der Schulter hinterher. “Er wird mich wieder töten.” Die Stimme des Zauberers zitterte vor Angst. Und wenn es nicht der Vampir war, für den er als Sklave verkauft worden war, dann würde es ein anderer tun. Sein Blick fiel auf die Spitzhacke.
      “Kannst du mir wenigstens die Ketten abmachen?”, bettelte er. Tatsächlich hatte die Haut darunter sich nicht heilen können, weil das rostige Metall sich noch immer fest um seine Handgelenke schloss.
      Blut hatte sich darunter gesammelt aufgrund der aufgeschundenen Haut.
      “Bitte...ich kann doch sowieso nicht wegrennen...” Seine Erscheinung war schwach, eine geschundene Seele und ein erschöpfter Geist. Wohin wollte er schon flüchten, jetzt wo man ihn erwischt hatte und wo man dabei war, ihn zurück zum Schloss zu zehren. Eine der Vampire würde wieder von ihm trinken, er würde erneut sterben und sie würden ihn beobachten, weil sie wissen wollten, wie er es angestellt hatte wieder zum Leben zu erwachen. Und sobald sie von seiner Fähigkeit wussten, würden sie es bestimmt ausnutzen. Salem spürte, wie sein Auge feucht wurde. Wie viele Leben hatte er jetzt noch übrig? 5 oder 6? Er würde es nicht so oft aushalten...

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    • Die Bäume wogen sich sanft in des Windeslied und unterlegten die Melodie mit ihrem Gesang. Das Rauschen klang stetig, auch im Moment des Schreckens verklang es nicht. Die Natur interessierte sich immerhin nicht für die Menschen und was sie taten… Sie war einfach, fand ihren Weg. Die Wunde, die der Spaten in den Baum geschlagen hatte, würde eine neue Rinde bilden, wie die menschliche Haut Narben trug. Narben…
      Lennart müsste lügen. Die Frage, ob ihm dieser Anblick etwas machte, würde er positiv beantworten müssen. Vor ihm gebreitet lag das letzte Mahl des jungen Herrn. Ein schmaler Jüngling, dessen eingefallenes Gesicht mit den Resten des Blutes beschmiert war, sodass sein Haar daran klebte. An seinem Hals fehlte ein signifikantes Stück. Der junge Lord musste jenes herausgerissen haben, als er den ersten Bissen nahm. Lennart schluckte. Dieses Opfer war doch fast noch ein Kind…
      Der Alte ging in die Hocke hinab. Erst dabei bemerkte er auch den langen vertikalen Schnitt, der den Torso offen legte unter dem dünnen Hemd. Hyacinthe hatte sich die Mühe gemacht ihn aufzureißen, doch gespeist hatte er nicht. Sonst gäbe es hier ein Massaker zu beseitigen, wie zuvor in dem anderen Zimmer.
      Was für eine Verschwendung… grummelte er in Gedanken, als er den schlaffen Körper über seine Schulter warf. Hätte Hyacinthe gefressen, wäre dieser Tod sicherlich nicht ganz so bedauerlich. Die Menschen erfüllten dann immerhin noch einen Zweck…

      Sein strenger Blick fand im matten Licht des Mondes nun allerdings keine Narben. Er stand aufrecht da, nicht wie jemand, dem ein Biest den Hals aufgerissen hatte und den Torso aufgeschlitzt. Lennart brummelte einmal mehr nachdenklich. Es war ein tiefer, beständiger Ton.
      Er setzte sich langsam in Bewegung, das Bein noch immer hinter sich herziehend. Es war vor langer Zeit verletzt worden. Lennart vermochte sich nicht an den Moment zu entsinnen, in welchem er die Fähigkeit richtig zu laufen verloren hatte. Schon vom ersten Tage an musste er sich bemühen, nicht hinterher zufallen und weiterhin seinem Herrn zu nutzen. Der junge Lord scherte sich nicht um das befinden seines Gefolges. Solange sie ihre Arbeit taten, interessierte ihn fast nichts.
      Das erste Gewinsel beachtete der Alte nicht. Es war kratzig und der Junge man klang, als wäre er am verdursten. Lennart hielt erst inne, als er sprach, er würde wieder getötet werden.
      Er war also doch tot gewesen?! Niemand würde den Hunger des Sprosses überleben, zumindest nicht ohne folgen… Und…
      Er fuhr herum, so schnell, dass die Spitze seines Spaten ein zischen in der Luft erzeugte.
      „ Du warst also tot!“, stellte er nachdrücklich fest. Er bemerkte den Blick auf die Hacke, die zuvor den Armen fast verwundet hätte. „ Ich töte niemanden!“, sagte er dann. Er könnte auch nicht. Würde jemand anderes als der junge Lord Blut auf diesen Böden vergießen, würden sie eins mit ihm werden, bis in alle Ewigkeit. Sie waren ihm bei seiner Geburt geweiht worden. Dieses Land war das seine!
      Sein Blick glitt auf die Ketten herab. „ Lass es mich versuchen…“, grummelte er. Es war schwierig zusagen, um welches Material es sich handelte. Der Rost sollte nichts heißen, auch das härtester Metall rostete, wenn man sich nicht darum kümmerte. Lennart nahm den Spaten von der Schulter, zog den jungen Mann in die Knie. Er breitete die Kette auf einem der viele Steine aus, sodass der Spaten jene durchschlagen könnte. Der Alte holte aus, zielsicher auf die Kette gerichtet. Doch mehr als ein metallisches Klirren und ein mattes Licht sollte nicht geschehen, als der Spaten eintraf.
      „ Sie ist durch einen Zauber geschützt… nur der Schlüssel kann sie lösen!“, stellte er fest. Er hätte es sich denken können. Die Herren des Schlosses mochten magische Gegenstände. Die Sammlung des jungen Lords war unglaublich. Viele reisten lange Wege, um ihm Geschenke zu machen.
      Lennart nahm die Kette wieder auf und musterte die feinen Tränen in den Augen des Jungen. Es ließ ihn kalt, was in dessen Kopf vorging.
      „ Weiter!“, mahnte er nur und zog ihn wieder mit stolpernden Schritten hinter sich her. Der Alte ging noch immer nicht schnell.
      Was soll jetzt geschehen? Der junge Lord weiß es?
      Er blickte zurück auf den Sklaven.
      Oder?
      Er müsste es in jedem Fall melden…
      Der Weg wurde wieder ebener. Sie traten in den alten Rosengarten ein. Das gewuchertem stand zu beiden Seiten hoch. Die silbernen Blumen waren das einzige weit und breit, das in blühte stand… das ganze Jahr über. Dem Alten überkam für einen Moment ein trauriger Ausdruck bei diesem Anblick. Die Rosen befanden sich immerhin nicht ohne Grund hier, während alles andere dahinwelkte.
      Er zog den Langhaarigen den Pfad entlang, durch ein kleines Tor und über den Hof. An der Mauer befand sich die Struktur einer alten Kapelle. Sie schmiegte sich in die Wand des Schlosses und stand nur nur die bunten Fenster heraus.
      Lennart öffnete die Türe und schob sein Mitbringsel herein. Die Bänke waren an die Seiten geschoben, nur eine von ihnen stand vor einer provisorischen Feuerstelle, wo ehemals ein kleiner Altar stand.
      „ Setz dich!“, brummte er und wies darauf. Der Alte kniete sich, nachdem er den Spaten abgestellt hatte, vor das Feuer und schürte jenes behutsam an. Darauf köchelte ein Suppe mit großen Stücken. Von der lau warmen Brühe reichte er dem anderen was in einer hölzernen Schüssel. „ Iss!“, befahl er.
      Lennart erhob sich wieder und setzte sich ebenfalls auf die Bank. Sein Blick glitt nicht mehr zu seinem unerwarteten Gast. Was sollte er nun machen? Dieser junge Mann gehörte immerhin seinem Herrn…




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    • Es war sicher: der Alte musste ihn in der vorherigen Nacht gesehen haben und damit war sein Geheimnis kurz davor, aufgedeckt zu werden. Oder der Alte hatte bereits 1 und 1 zusammengezählt. Salem zuckte zurück als die Spitze der Hacke nur wenige Zentimeter vor seinem Gesicht durch die Luft zischte. “Ich weiß es nicht.”, antwortete er so wahrheitsgemäß wie möglich auf die Frage. Lügen würde zwar nichts bringen -früher oder später würde es herauskommen, wenn er nicht von hier fliehen konnte-, aber gleich mit offenen Karten zu spielen gefiel dem Langhaarigen auch nicht.
      Jede Zaubererfamilie war im Besitz einer anderen Fähigkeit - einige von ihnen besaßen sogar Unsterblichkeit und waren nur sehr schwer zu töten. Eine Schwäche, die sie allerdings alle gemeinsam hatten, war, dass sie kontrollierbar waren, sobald man ihren richtigen Namen herausfand. Salem war also eigentlich kein Salem. Dies war lediglich der Name des Katzengeistes, der ihn unterbewusst begleitete und darauf achtete, dass er wieder ins Leben zurückfand. Zumindest die 9-mal, die ihm zugute standen. Viel war davon ja nicht mehr übrig. Wenn Salem wählen müsste, welches Geheimnis er eher preisgeben müsste, würde er sich, ohne zu zögern für die neun Leben entscheiden.
      Er wollte seine Freiheit nicht verlieren. Was ziemlich ironisch war, nun dass er hinter einem Mann mit Spitzhacke hergezogen worden war, in Ketten gelegt und an der Schwelle eines weiteren Todes entlangwandernd. Salem war noch nie verdurstet oder verhungert, aber er stellte es sich als sehr unangenehm vor. Die Ketten rasselten und Salem hob die Hände, den Blick des gesunden Auges auf den Mann vor sich gerichtet.
      Beinahe währte Salem sich in Sicherheit, als der Alte tatsächlich versuchte, ihm die Ketten abzunehmen. Ohne Widerstand fiel der Blonde auf die Knie und sah zu, wie der Alte die Ketten auf den Steinen ausbreitete. Sobald die Kette durchgetrennt war und er mehr Armfreiheit hatte, würde er rennen als wäre der Teufel hinter ihm her. Salem hatte bereits bemerkt, dass der Alte humpelte und sein Bein nachzog. Wenn er den Resten Funken Energie in sich sammelte, würde er ihm davonrennen und flüchten können. Dieser Plan fand allerdings kurz darauf sein zerschmetterndes Ende. Der Spaten traf auf die Kette, doch nichts geschah. Hm, durch einen Zauber geschützt also. Na, bravo.
      Salem konnte beinahe fühlen, wie die Hoffnung in seinem Herzen auseinanderbrach und von der Dunkelheit dieses Landes gefressen wurde. Das Herz wurde ihm schwer in der Brust und eine Träne rann seine Wange herab, tropfte hinab in den zerschlissenen Stoff seiner Kleidung. Das Blut klebte noch immer unangenehm an seiner Haut, er fühlte sich aber nicht wie ein Krieger. Teilnahmslos folgte er dem Ziehen der Ketten und rappelte sich auf die müden Beine, stolperte so gut es ging hinterher und gab sich nicht einmal mehr die Mühe, anständig zu laufen. Einige Male fiel er deswegen auf die Knie herab und musste sich wieder aufstemmen. Salem wollte nicht aufgeben. Nach allem, was er in den letzten Jahren durchgemacht hatte, kam es ihm lächerlich vor, ausgerechnet jetzt nicht mehr weiterkämpfen zu wollen.
      Doch je länger er darüber nachdachte, desto bewusster wurde ihm, dass sein Leben nie die Kehre machen würde, die er sich erhofft hatte. Er würde seine Magie nie zurückbekommen. Sie war tief und fest versiegelt in ihm. Er würde sein ganzes Leben lang als Prostituierter arbeiten und sich seine Seele von dreckigen, alten Männern zerstören lassen, auf dem Weg jedes kleine bisschen Selbstachtung verlierend, welches er noch irgendwie gehabt hatte. Wollte er dieses Leben wirklich wieder annehmen in dem er versuchte zu flüchten? Oder wollte er sich dem Schicksal hier stellen und dem Ende seines Daseins treten? Die Zwischenwelten, in denen er sich befand, wann immer er verstarb, waren auch schön. Salem konnte sich nicht gut an sie erinnern, meistens waren es verschwommene Bruchstücke. Aber er hatte sich da noch nie unwohl gefühlt.
      Die beiden ungleichen Gestalten betraten einen Rosengarten und Salem hob den Kopf.
      Er hatte nicht damit gerechnet, die dornigen Blumen hier vorzufinden. Aber auch wenn es schön aussah, fehlte auch hier das Leben. Das Summen von Bienen, die Aura der Rosen. Es war alles Tod. Und dann waren sie wieder vor dem Schloss und die Last der Erkenntnis legte sich auf die Schultern des Blonden und drückten sie hinab. Für einen Moment schloss er die Augen, atmete tief durch. Er wurde in eine kleine Kapelle geführt, vor eine Feuerstelle wo man ihm befahl, sich zu setzen. Salem folgte der Aufforderung regungslos und kauerte sich auf dem Stück Holz zusammen.
      Die Wärme mochte in seine Knochen kriechen und die Kälte zu vertreiben, aber sie erreichte nicht sein Herz. Eine Schüssel Suppe wurde ihm in die Hand gedrückt, aber er nahm keinen Schluck davon. Seine Hände umfassten die Holzschüssel lediglich für einen Moment, saugten die Wärme in die kalten Spitzen. Seine Finger kribbelten unangenehm, jetzt wo er plötzlich wieder mit Wärme konfrontiert war. Salem stellte die Schüssel zur Seite, bevor er von der Bank glitt, näher an das Feuer heran. Seine viel zu schmale Gestalt sackte davor zusammen und er rollte sich auf dem Boden in die Embryostellung, schloss die Augen. Nur für einen Moment, wollte er sich in der Wärme suhlen und sich vorstellen, er läge in einem Feld voller Sonnenblumen, während die Sonne höchstpersönlich mit ihren weichen Strahlen sein Gesicht kitzelte und der Wind mit den Strähnen seines langen Haares spielte. Nur für einen Moment...

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    • Der Blick des alten blieb ruhig, während er stumm beobachtete wie der Junge an seiner Seite einschlief. Schon die ganze Zeit musste er mit der Müdigkeit eine schlacht geführt haben, doch zerfressen von Misstrauen und Furcht traute er kein Auge zu schließen. Wer konnte den schon sagen, welche Monster ihn holen kommen würden. Als Lennart sich sicher war, dass er nicht mehr aufwachen würde, nahm er die Suppe zu sich. Die Schüssel war inzwischen kühl und nicht mehr gut Inn seinen Händen aufgehoben. Behutsam legte er eine Decke um die Schultern des Jungen. Den Schlaf sollte er ihm lassen… jetzt würde er ihn immerhin noch bekommen.
      Der Alte wusste nur zu erahnen, welche Spiele der junge Lord mit seinem Essen tat. Doch es war keine Schwierigkeit sich vorzustellen, dass er wie ein kleines Kind damit spielte. Keine mütterliche Sorge ermahnte ihn zurück in die Grenzen des akzeptablen Verhaltens. Warum sollte diese Frau es auch jemals getan haben? Auch sie ergötzte sich an dem Fleisch der Menschen. Ihres gleichen fand Spaß und Freunde darin die Männer anzulocken und sich an ihnen zu leiben. Ein einzigartiger Schmaus, jedes Mal auf ein neues…
      Es war still, als Lennart sich erhob und wieder zu dem Spaten griff. Seinen Job müsste er noch erledigen. Die Stunde, die der Junge ihm geraubt hatte, musste wieder hereingeholt werden. So machte der Fleißige sich auf…

      Die Sonne schwang den Pinsel. Fleißig am frühen Morgen malte sie ein Spektakel an das weite Zelt über ihren Köpfen. Heute musste kein Auge dieses missen, denn keine Wolke verhungern den so an Farbe reichen Himmel. Die Vampire fleuchten in den Schatten des Gemäuers. Das helle Licht tat den meisten ihrer eins kein Gutes. Ein jeder von ihnen reagierte stets ein bisschen anders, doch die meisten verbanden unnötigen Schmerz mit dem Licht, nach welchem andere sich sehnten…
      Der junge Lord saß einmal mehr auf dem breiten Sims vor dem Fenster und blickte hinaus. Den Kopf gegen die Scheibe gelehnt und einen missmutigen Blick auf den Hof werfend. Das zu seiner linken angerichtete Frühstück würdigte er keines Blickes. Der Tisch war gedeckt, mit reichlich menschlicher Nahrung und Dingen, die sich die meisten niederer Geburt nicht einmal erträumen würden. An der wand standen zwei Dienstmägde. Das Haar beider war streng zurückgebunden worden und verdeckt mit einer weißen Haube. Der Kragen ihrer Kleider war hochgeschlossen. Das lange Gewand allgemein sehr schlichter Natur, sie sollten eins werden mit dem Schloss und nicht die Aufmerksamkeit des jungen Lords erregen.
      Hyacinthe blinzelte.
      Zwei Herzen schlugen in seinem Rücken. Das ältere war erfahrener. Es blieb ruhig, während nichts als stille den Raum erfüllte. Sein Klang war langsam, wenn auch gesund. Das Jüngere war aufgeregt. Seine Töne passten zu der Note von Furcht, welche sich in die Nase des Sprosses bohrte. Ein widerlicher Gestank. Er übertünchte alles, welches seine Nase hätte erfreuen können!
      Der junge Lord flog in die Höhe. Blitzschnell wandte er den Kopf zu den beiden Personen, die eigentlich nicht existent zu sein hatten. Tiefes schwarz schwamm in seine Augen. Doch nicht nur die Iris änderte ihre Farbe, auch die weißen Teile wurden eines mit der Finsternis. Er bewegte sich langsam durch den Raum. Als er den Tisch passierte, waren seinen Fingern schon Krallen gewachsen, die er langsam über die marmorierte Platte Schliff. Der Ton ließ die Jüngere zusammenzucken. Ihr Atem ging heftiger. Nichts vermochte dies nun für ihn zu verbergen. Seine Hand griff den Teller, der gedeckt war und schleuderte jenen in ihre Richtung.
      „ Aus meinen Augen!“, fuhr er das Mädchen an. In seine Stimme lag ein feines Fauchen. „ Hat man dir deinen Job überhaupt erklärt?!“ Er blickte die Ältere an und kam näher. „ Beide!“
      Die Ältere neigte respektvoll den Kopf, schon bei dieser Bewegung packte sie den Arm der Jüngeren und zog sie mit sich aus dem Zimmer. So wollte sie es getan haben.
      Was gab es, dass gegen die Sinne und Reflexe eines Vampires ankam? Ein Werwolf vielleicht mit seiner Stärke… Der Gesang einer Sirene? Ein Zauberer?… Nichts!
      Hyacinthes Hand grub sich in den ersten Kopf den er zu packen bekam. Er schwang ihn herum, sodass das Band der Hände zerriss. Der Schädel brach, als er auf die spitze Kante der Kommode traf. Blut spritzte auf das weiße Gewand des Prinzen. In dem berüschten Hemden, die er zu Bett trug, sah er fast aus wie eine Puppe. Es war fraglich, woher sein zierlicher Körper diese Kraft holte. Doch die Reste des Schädels in seiner Hand sprachen Bände. Jene fielen mit einem Geräusch, als sprang man in eine matschige Pfütze auf den Boden. Rot blitzte in der Finsternis seiner Augen auf. „ Wirst du es lernen?!“, fragte er mit kühler Stimme, während er auf das Mädchen zu kam. Sie zitterte am ganzen Leib, während sie sich trotz ihrer Starre auf dem hintern ein paar Meter zurück schob. Ein leises wimmern drang aus ihrer Kehle. Hyacinthe legte den Kopf schief. „ also Nein…“ er ging vor dem Mädchen in die Hocke und blickte sie mit einem breiten Grinsen an. „ Hmm?“
      Sie würde diesen Anblick bizarr nennen. Es stimmte etwas nicht, wie sich die blonden Locken an sein Gesicht schmiegten. Seine feinen Finger voller Blut waren und dieses grausige Lächeln seine Lippen verunstaltete. Sie sah in das schwarz… Kein Mensch!
      „ Ich werde lernen!“, beteuerte sie eifrig. „ Ich…“, sie brach ab. Er war näher gekommen und sog tief die Luft ein. „ Nein!“, antwortete er nur, er zeigte seine Zähne. Auch sie starb durch die scharfen Krallen. Wie nichts glitten sie durch ihren Hals. Hyacinthe beobachtete ein Kopf, welcher sich nach hinten knickte und ihren Körper, der folgte. Sein Blick lag gelangweilt auf dem Blutbild.
      Was für eine Schande, dass er die Sanguine nicht verspeisen konnte.
      Er leckte vorsichtig das Blut von einer Kralle. Unter dem säuerlichen Geschmack verzog er das Gesicht.
      Ekelhaft!

      Durch die Schatten des Schlosses schritt nun auch der Alte Mann mit seinem Buckel. Einmal mehr trug er einen Körper mit sich. Doch in behutsamer Art, nicht wie eine wertlose Leiche, dessen Entsorgung seine Aufgabe wäre. Der Langhaarige Bursche lag in eine Decke gewickelt darin. Das Eigentum des jungen Lords war immerhin wertvoll… auch dieses Stück, obwohl er sich dessen hatte entledigen wollen.
      Lennart hatte Bescheid gegeben. Man sagte ihm, er solle den Sklaven zurück bringen und der Hausverwalter würde darum Sorge tragen. Dorthin war er nun unterwegs im seinem Päckchen. Immer wieder sah er herab. Er kam nicht drumherum sich um dieses Bündel elend in seinem Arm zu sorgen. Wenn auch nur ein bisschen, immerhin stand es ihm eigentlich nicht zu!
      Man erwartete ihn draußen. Drei Vampire, einer von ihnen der Verwalter. Lennart senkte instinktiv den Kopf ein wenig ab, als er den Sklaven Nähe brachte. Die Blicke prüften sie.
      „ Ablegen!“
      Er folgte der kühlen Anweisung. Vorsichtig legte er den noch schlafenden auf dem Hof nieder.

    • Als Salem das nächste Mal die Augen aufschlug, befand er sich nicht mehr in der kleinen Kapelle, in der er sich wie eine Katze im Winter in der Nähe des Feuers zusammengekauert hatte. Eine Decke war um seinen Körper gelegt und es war Tag.
      Ein blauer Himmel erstreckte sich über ihm. Und die Gesichter dreier Vampire, die auf ihn herabstarrten und ihn prüfend musterten. Mit der Schnelligkeit einer Katze hatte Salem sich auf die Füße gerappelt und wollte flüchten, kam allerdings nicht weit. Noch bevor er geistesgegenwärtig das kleine Fleckchen Sonnenlicht erreichen konnte, welches den Innenhof zierte, wurde er unsanft zu Boden gestoßen und die Spitze eines Stiefels bohrte sich in seinen Rücken, als er bäuchlings mit dem Asphalt unter sich Kontakt fand.
      “Wage es ja nicht.”, fauchte es über ihm und Salem spürte, wie der Druck auf seinem Rücken erhöht wurde. Er ächzte. Sein Geist begann langsam zu erwachen und er versuchte sich vom Boden hochzustemmen, die Hände, zu seinem Leidwesen, immer noch aneinandergekettet. Der Stiefel entfernte sich von seinem Rücken und Salem drehte sich um, merkte nun, dass sein Körper noch immer nicht fit war. Wahrscheinlich hätte es ihm gutgetan, die Suppe des Alten anzunehmen, allerdings schien der Blonde mit den langen Haaren sich bereits mit seinem todbringenden Schicksal abgefunden zu haben. Sein Blick fiel auf den Vampir, der ihn eben noch mithilfe seines Beines zu Boden gedrückt hatte. Lange sah er allerdings nicht in die bedrohlich dunklen Augen.
      Sein Körper zitterte vor Furcht und sein Körper befahl ihm zu flüchten. Allerdings hatte die Aktion von zuvor ihn bereits einiges an Kraft gekostet und seine Muskeln brannten protestieren, während er fühlte, wie sich ein dichter Nebel in seinem Kopf breit machte und ihm Kopfschmerzen schenkte.
      “Faszinierend.”, gab der Vampir nun an und begann, ihn zu umrunden. Salem spürte, wie er unverhohlen angestarrt wurde und versuchte sich so klein zu machen. Dann, ehe er sich versehen konnte, griff eine Hand an seinen Hinterkopf. Krallen pressten sich in seine Haut und Salem spürte, wie sich feine Linien roten Blutes durch seine blonden Haare zogen. Sein Kopf wurde schmerzhaft nach unten gedrückt, sein Rücken bog sich durch und das Haar wurde ihm aus dem Nacken gestrichen. “Er ist es tatsächlich.”, erklärte der Verwalter den zwei anderen Vampiren, während er das eingebrannte Mal in der Haut des Jungen betrachtete. Ohne Rücksicht schlang sich seine Hand nun um das lange Haar des Sklaven, riss seinen Kopf in den Nacken.
      Salem unterdrückte einen Schrei und presste seine Augen zusammen, sein Gesicht trug eine schmerzverzehrte Mimik. “Wie hast du das gemacht?”, wurde er nun gefragt, interessiert aber vor allem fordernd.
      “Ich weiß es nicht.” Die Worte fanden kaum den Weg über seine Lippen. Der Druck wurde stärker und der Blonde spüren, wie ihm dabei einige Haare ausgerissen wurde.
      “Was ist dein Geheimnis?”
      “Ich habe keines.”
      Frustriert ließ der Verwalter den Blonden los, schubste ihn dabei aber nach vorne zu Boden. Wenn es nach ihm ginge, hätte er dem jungen Mann hier und jetzt vor allen erneut die Kehle aufgerissen, um seiner Wiederauferstehung auf die Schliche zu kommen. Aber der Blonde mit den Sommersprossen gehörte dem jungen Lord und auch wenn jener ihn getötet hatte, so durfte er als Verwalter sich nicht zu sehr an ihm vergreifen. Gemächlich verschränkte er die Hände hinter dem Rücken und beugte sich über die winselnde Kreatur zu seinen Füssen. Es waren nicht einmal Narben auf der Haut zurückgeblieben, dort wo Hyacinthe ihm ein Stück Fleisch herausgebissen hatte. Schweigend musterte der Verwalter Salem, während sich niemand zu rühren wagte oder gar ein Geräusch von sich gab. Lediglich Salem weinte mit zuckenden Schultern vor sich hin und durchbrach mit seinen wehleidigen Klängen die Stille.
      “Bitte lassen Sie mich gehen.”, flehte er nun und zog damit unwillentlich den Zorn des Verwalters auf sich. Mit einer schnellen Bewegung ging er neben Salem zu Boden und umfasste sein Gesicht mit seinen Klauen. Die Spitzen drückten sich in die eingefallenen Wangen des Sklaven. “Du verlangst Freiheit von mir, während du nicht einmal ehrlich sein kannst.” Der Verwalter musterte die armselige Gestalt. Er war dreckig von Kopf bis Fuß, seine Kleidung war zerrissen und bleiche Haut kam darunter zum Vorschein. Er hätte besser getan, in der Decke zu bleiben, in die Lennart ihn gewickelt hatte. Aber so armselig der Mensch vor ihm auch wirkte, er trug eine Fähigkeit mit sich. Dass er wiederbelebt werden konnte, lag auf der Hand. Aber wie? Und warum? Der Verwalter schnupperte. Der Geruch des Blutes Salems drang ihm in die Nase und er atmete tief ein.
      Bevor er allerdings etwas tun konnte, was er später bereuen würde, stieß er den Sklaven wieder von sich und sah zu, wie jener zurück auf den steinigen Boden herabsank, ihm war unmöglich zu sitzen, so wenig Kraft hatte er. “Ich werde herausfinden, wie du das angestellt hast.”, sagte der Verwalter mit eisiger Stimme. “Und wenn der junge Lord dir jeden Abend das Blut bis auf den letzten Tropfen aussaugen muss. Irgendwann wirst du reden.” Hyacinthe war nicht dafür bekannt, sanft oder gar vorsichtig zu sein. Das hatte der Sklave bereits am eigenen Leib erfahren müssen und der Verwalter erhoffte sich, damit Druck auf ihn ausüben zu können. Aber von dem Blonden kam nichts weiter, abgesehen von seinen unermüdlichen Schluchzern. War er noch nicht einmal zu erschöpft, um nicht mehr zu weinen.

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    • Ein leises Summen drang aus der Kehle. Frohlockend und munter stimmte er feierliche Lieder bei, während klamm heimlich ein paar Personen darum bemüht waren sein Blutbad zu beseitigen. Ihre Bewegungen waren stets langsam und in jeglicher Ausführung vorsichtig, denn des jungen Lords Zorn zu erregen wäre etwas, was niemand von ihnen auf ihre Schultern laden wollen würde. So schlichen sie umher mit ihren Tüchern und wohl gesetzten Griffen, welche die dunkle Kommode von den Resten des Kopfes befreiten. Diese Möbelstück schmiegte sich bestens in die edle Atmosphäre des Zimmers. Sie unterstrich die goldenen Sessel mit den dunklen Bezügen, welche den hellen Tisch flankierten. Von ihnen gab es mehrere in diesem Zimmer, dessen Benutzung wohl eher selten war.
      Hyacinthe le Amimain wippte mit seinem nackten Fuß, während sein Blick über das rege Treiben glitt. Sie bemühten sich um keine Aufmerksamkeit, doch den Sinnen des Sprosses entging nichts. Es amüsierte ihn, wie schnell manch einer lernte und wie wenige dies lange aushielten. Die Dienerschaft dieses Schlosses bestand aus einem festen Stamm, immer die selben Gesichter. Inzwischen nur noch Sanguine oder Vampire übrig. Beides Wesen, die keinen Nährwert für einen Vampir selbst besaßen…
      Sanguine waren ein seltsames Gevölk. Im Grunde waren sie wie Menschen und doch nicht. In ihrer Brust schlug ein Herz, ihr Blut geriet in Wallung und doch waren sie Toten vermutlich ähnlicher. Ihr Blut barg einen grausigen Geschmack, bei welchem sich jeder Konsument lediglich den Magen verderben würde. Es faulte stets und dennoch vollendete es diesen Prozess nicht… Hyacinthe verabscheute diese Rasse…
      Sein Blick glitt über den Tisch zurück aus dem Fenster. Die Sonne hatte inzwischen den Himmel erklommen und ihre warmen Farben verloren sich langsam aber sicher. Er grub seine Zähne in den Keks, an welchem er nun schon eine Weile nagte. Die süßen Gebäcks der Menschen waren eine genehme Abwechslung. Obwohl ihm mehr und mehr angehalten würde häufiger wie ein Mensch zu speisen, verschmähte er zu meist die gedeckten Speisen. Sterben würde er ohne diese nicht. Sein Vater und dessen Aufsicht wünschten sich lediglich, dass er mehr zu den anderen Völker passte. Ein widersinniger Gedanke! Nichts an dem Spross Gregoire le Amimains glich einer anderen Rasse. Er würde sie alle überdauern, wie auch sein Vater es schon seit Jahrhunderten tat!
      Apathisch nahm er einen weiteren Bissen von dem Keks und summte munter weiter.

      Lennart stand am Rande des Hofes. Den Vampire wollte er nicht in den Weg geraten. Was er für den Sklaven hatte tun können, war vorbei und hatte vermutlich schon lange jede Grenze überschritten…
      So betrachtete er stumm die Situation, in welcher der Verwalter des Schlosses seine Faszination bekundete… Ganz als könnte er es ebenfalls nicht begreifen, wie das Opfer des jungen Lords überlebt hatte.
      Lennarts Griff um den alten Ärmel seiner Jacke wurde fester. Er hatte die Hände hinter seinem Rücken versteckt und erduldete nun einen Anblick, den er sonst einfach zu übersehen wusste. Die Grausamkeiten dieser Rasse gegenüber Sklaven waren unverkannt. Doch nur die Leichen zu entfernen und zu entsorgen, machte dem Alten nichts. Es war nun immerhin kein Unterschied zu seinem alten Leben.
      Wieder flehte und winselte der junge Mann unter der Herrschaft eines anderen. Dies tat er wohl schon sein ganzes Leben und jetzt hatte er einfach nur Pech!
      Der Verwalter war kein angenehmer Mann. Der hochgewachsene Vampir mit dem strengen Blick und dem dunklen Haar war den meisten hier stets ein Gräulich im Auge. Er verheilt sich wie der Herr des Schlosses vor jeder Mann, nur vor dem jungen Lord kuschte er und Götze sich in dessen nicht existenter Aufmerksamkeit. Eine widerliche Seele, gänzlich verkommen!
      Er nickte den beiden anderen Vampiren zu. „ Nehmt ihn mit, der junge Lord wird erfreut sein!“, sprach er mit einem schelmischen Grinsen auf den Lippen. Er sah zu dem alten dreckigen Mann. „ Geh!“, fuhr er ihn an. „ Sag niemandem etwas davon, Alter!“ Lennart neigte respektvoll den Kopf. „ Jawohl, Herr!“ Er verblieb, bis das Trio und der Sklave sich entfernt hatten.
      Würde er den Jungen bald wieder sehen? Hoffentlich nicht…! Einmal zu sterben müsste doch genügen…

      Der Verwalter ging sicheren Schrittes. Die Aufregung brachte ihn im Wallung. Welch eine unvorhersehbare Option sich in ein rechtes Licht vor dem Jungen Lord zu stellen. Es würde ihm sicherlich munden wieder menschliches Blut auf den Lippen zu haben. Vielleicht könnte er auch mit einer Beförderung rechnen. Ursprünglich gehörte der Mann einst zum Gefolge des Vaters, doch wie viele in diesen Mauern war auch er dem jungen Herrn überschrieben worden. Nicht, dass Hyacinthe sich jemals darum bemüht hätte diesen Vertrag zu vollenden. Es wäre die größte Ehre für ihn sich in Hyacinthes edlem Blut wieder zu finden und endlich zu den jüngsten Kindern zu gehören!
      Die Geburt des jungen Herrn war etwas besonderes gewesen. Vor über 50 Jahren änderte sich die Ordnung der Welt, als ein neues Wesen mit dem reinsten aller Geblüter das Licht dieser Welt erblickte. Einst wird er über diese Welt herrschen! Das glaubte der Verwalter fest…
      Ihren langen Weg über die reichen Flure passierten ein paar Leute mit schlaffen Körpern, eingewickelt in helle Decken. Jene trieften nun vor dem noch frischen Blut. So früh am Morgen also schon…?
      Am Fenster saß in schmaler Silhouette der Spross, von der gerade den Himmel erklimmenden Sonne angestrahlt und einen langen Schatten in die endlichen Weiten des Raumes werfend. Jener bot den Vampiren den benötigten Schutz. Der Verwalter rieb sich die Hände. In seinem Rücken drückten die Vampire den Sklaven auf den Boden, während er an Hyacinthe herantrat. Jener beachtete die Gäste nicht, blickte stetig aus dem Fenster.
      Behutsam ergriff er des Herrn Gliedmaß. Die faltige Hand des Verwalters hielt sanft die schmale Hand, während sein Blick auf wanderte zu des Sprosses abgewandten Blick. Jene goldenen Augen blickten auf die vor dem Fenster angelegten Gärten… Ein toter Anblick. Er hauchte einen feinen Kuss auf die hand, bevor er jene wieder entließ.
      „ Mein Lord, ich bringe euch ein Geschenk!“, eröffnete er, während er sich aus der Hocke in eine geneigte Haltung erhob und zur Seite trat, dass der Blick des Herrn auf den Sklaven gleiten könnte. So tat jener es auch. Er war prüfend und trug einen Hauch der Überraschung in sich. Seine goldenen Augen fuhren an dem dreckigen Körper auf und ab. Unverkennbar, er war es! Dieser Geruch.
      Hyacinthe erhob sich. Sein mit Blut beflecktes Gewand schwang mit, bei jedem Schritt, den er auf den Sklaven zu nahm. Vor ihm und den Vampiren blieb er stehen. Ihm entfloh ein munteres Lachen bei dem Anblick, bevor er wieder zu dem Verwalter fuhr.
      „ Welch dunklen Zaubers habt ihr euch bedient, Mister?!“, fragte er. Sein Ausdruck voller Empörung und Ekel. Wie konnte dieser alte schwätzer es wagen ihm einen wiederbelebten Korpus unter die Augen zu setzen?!
      „ Welchen Zauber?!“
      Der Alte Verwalter zuckte zusammen. „ Keinen, Mein Herr!“, er rieb nervös die Hände. „ Ich habe keinen angewandt! Es war dieser Sklabw selbst! Doch er wollte nicht reden…!“ er lächelte leicht, als er aufblickte. In die blitzenden schwarzen Augen seines Herrn. Ihre Farbe war so vielfältig und in ursprünglicher Form, dem warmen Gold wunderschön. Trugen sie die Farbe des Blutes, sollte man sich hüten. Und trugen sie die Farbe eines Sturmes ebenfalls. Angeblich färbten sich die Augen einer Sirene den Stürmen, die sie beschworen nach. Hyacinthes Augen wurden schwarz und endlos, dass man sich darin verlieren mochte. Ein schauerlicher Anblick bei seiner zuwarten Hut und dem goldenen Haar.
      Er beugte sich nun zu den Sklaven herab. Seine blutige Hand umgriff dessen Kinn und er suchte den müden Blick des anderen. „ Was für ein Zauber?!“, fragte er erneut voller Wut. Die beiden anderen Vampire hatten sich inzwischen zurück gezogen. Sie wollten nicht im Wege stehen, wenn er dem Jungen die Kehle aufriss.

    • Seine Lider flackerten immer wieder über das gesunde und das blinde Auge. Salem versuchte angestrengt, sie offen zu behalten. Obwohl er sich nun bereits damit abgefunden hatte, jedes seiner Leben innerhalb dieses Schlosses zu verlieren, versuchte er sich doch immer noch den Weg zu merken oder nach möglichen Verstecken Ausschau zu halten. Aber es war ihm kaum möglich. Die Sicht war ihm verschwommen und seine Beine schleiften unbrauchbar über den Boden, während er links und rechts von den zwei Vampiren mitgezogen wurden, die zuvor nur als Zuschauer gedient hatten.
      Vor ihnen stolzierte der Verwalter durch das Schloss, erhobenen Hauptes. Er wirkte blass im Angesicht der teuren Dekorationen, dem Gold und den roten, samtweichen Teppichen. Die Portraits an den Wänden schienen ihn bei jedem Schritt zu verspotten. Die sorgfältig ausgearbeiteten Pinselstriche in den warmen Farben waren schöner geführt als sein Profil kreiert worden war. Salem schluckte. Er musste es leid sein, nicht in derselben Schönheit baden zu dürfen. Gerne hätte der Blonde es ihm gesagt, ein letztes Aufbäumen vor dem sicheren Tod. Aber er hatte sich an seiner Zunge verschluckt, nachdem auch seine letzte Bettelei auf taube Ohren gestoßen war.
      Niemand hier würde ihm helfen, niemand würde sein Flehen hören oder ihm die Hand reichen.
      Leute, Salem wusste nicht, ob es Menschen waren, kamen ihnen entgegen und trugen Decken auf ihren Schultern, die unförmige Gestalt aufwiesen. Blut tropfte von dem Stoff und benetzte den Boden, eine rote Spur, der sie folgten und dem Blonden wurde schlecht. Er wusste, dass sie nicht mehr weit von dem Vampir entfernt sein konnten, der ihm ein Leben gestohlen hatte, ohne anständig und mit Respekt dafür bezahlen. Sie bogen ab, schritten einen weiteren, reich verzierten Korridor entlang. Hin und wieder schlüpften Sonnenstrahlen durch die dunklen Vorhänge, erhellten immer wieder für kurze Zeit Salems dunkles Gemüt. Dann betraten sie einen Raum.
      Es stank förmlich nach Blut. Ein eisiger Geruch erfüllte die Luft und Salem verzog angewidert das Gesicht. Ein länglicher Tisch zog sich durch den Raum, gedeckt mit den verschiedensten Lebensmitteln, die man sich nur vorstellen konnte. Salem hatte keinen Blick dafür übrig. Noch während er auf die Knie hinabgedrückt wurde, als ob er in der Lage wäre zu fliehen, wenn sie es nicht taten, hatte Salems Blick ihn gefunden und Angst kroch zurück in sein Herz, hielt ihn eisern gefangen. Salem senkte den Blick und starrte zu Boden, hinab auf seine, in Ketten gelegte Handgelenke. Er lauschte, wie der Verwalter ihn bei dem Vampir mit den langen Haaren als Geschenk anpries und dabei war seine Stimme schmierig weich. Sie hatte nichts mehr von der kalten Grausamkeit in sich, mit der er noch zuvor mit Salem gesprochen hatte.
      Der Vampir stand auf und wenige Sekunden später hatte er sich vor Salem aufgebaut, starrte erst auf ihn herab und legte dann den Kopf in den Nacken, um zu lachen. Bei dem Geräusch zog sich eine Gänsehaut über seinen ganzen Körper und Salem unterdrückte vergeblich ein Zittern. Sie sprachen von Zaubern und welcher wohl angewandt worden war. Salem schnaubte.
      Als ob ein Typ wie der Verwalter das Handwerk der Magie erlernen konnte. Dazu war er viel zu oberflächlich und...Tod. Nichts an ihm schrie nach dem Leben, welches das Feuer der Zauberei anheizte. Das abfällige Geräusch blieb dem Blonden allerdings zugleich in der Kehle stecken als der Vampir sich auf seine Höhe hinabbegab und sein Gesicht mit seinen Klauen umfing. Wut zuckte durch die Stimme des Langhaarigen und seine Augen wiesen kein Weiß mehr auf, waren von furchtbarer Dunkelheit gefangen.
      Salem musste unweigerlich zu ihm hochstarren.
      Oh, ja, er fürchtete sich sehr vor dem Biss. Vor dem erneuten Sterben, denn es war schmerzhaft und unangenehm gewesen. Und er hatte nicht in Freiheit sterben können, sondern mit diesen verdammten Ketten um die Handgelenke, unter denen sich das Blut und Hämatome sammelten. Nicht einmal nach seinem Tod hatte man seinem Körper die Freiheit schenken wollen. Man hatte ihn nicht gewaschen, ihm keine frische Kleidung angezogen, um wenigstens seinem Sterben Respekt zu zollen. Und man hatte sein Flehen ignoriert, immer und immer wieder. Warum sollte er dem Vampir nun also entgegenkommen und seine Frage beantworten? Er würde ihn weder freilassen noch Gnade mit ihm haben, dessen war Salem sich sicher. Der Vampir würde ihn so oder so töten, ob Salem ihm nun eine Antwort gab oder nicht. Und zu Hyacinthes Pech, hatte der Blonde mit seinem Leben abgeschlossen, wohl wissend, dass alle seine Leben unter seiner Hand ein Ende finden würden.
      Trotz trag in das gesunde Auge und vermochte ein wenig die Müdigkeit zu verdrängen, während das blinde mit der milchig weißen Farbe ausdruckslos wie immer blieb. Salem räusperte sich. Seine Kehle schmerzte und er fürchtete, seine Stimme würde ihm nicht gehorchen. Sie war nicht mehr als ein Hauch, als er Hyacinthe endlich Antwort. “Kein Zauber.”, sagte er. “Du hast einfach nicht gut genug zugebissen.” Und dann hob sich einer seiner Mundwinkel, zog sich spöttisch nach oben. “Hat dein Vater wohl doch die Überhand.”, brachte er noch mit einem Krächzen hervor, bevor seine Stimme versagte.

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    • Die Stunde war spät. Die frische Mutter hielt ihr Neugeborenes behütet in den Armen. Warm in ein Nest gebettet mit einem unglaublichen Schatz. Ihre weißen Schwingen schützen um das hilflose Geschöpf gelegt, betrachteten liebende Augen ihn. Der Schwarm freute sich über den Zuwachs. Die Mutter und ihre zahlreichen Schwestern kümmerte die Identität des Vaters in diesem intimen Moment noch kein bisschen. Immerhin ließ sich optisch noch kein Zweifel an seiner Wesensart festhalten. Eine Sirene, flauschige Flügel hielt er gefaltet auf dem Rücken, schwarze Augen blinzelten durch die dichten Wimpern. Schon jetzt ein wundervolles Geschöpf!
      Himeropa fuhr über die Stirn ihres Kindes, dessen Name noch nicht entschieden war. Eine ihrer Schwestern legte ihren Kopf auf die Schulter der mutter, sodass ihr blondes Haar darüber fiel.
      „ Endlich Zuwachs…“, sagte sie voller Euphorie. Das Bündel schlief. Himeropa wandte ihren Kopf zur Schwester und lächelte. „ Ja…“, erklang ihre liebliche Stimme.

      Nur wenige Portraits aus Älteren Jahren schmückten dieses Schloss. Hyacinthe mochte ein arrogantes Wesen sein, aber sein Narzissmus reichte nicht aus, um jede Wand mit seinem Gesicht zu schmücken. So hingen zu meist Bilder alter Vampire an den Wänden. Ihre Namen waren dem Jungen lange entfallen, obwohl er einst im Unterricht über Jene gelernt hatte, ihre Taten. So auch über seinen Vater. Gregoire le Amimain, so alt, dass heute nur noch zwei andere lebten, die den Tag der Geburt dieses Mannes bezeugen konnten. Die Bücher verloren kein Wort über seine Kindheit, seinen Vorgänger oder seine Mutter. Er trat erst in seine eigene Geschichte als junger Mann ein. Schon wohlgeformt und unterwiesen in Etikette und Verhaltensweisen. Er reformierte die Gesellschaft der Vampire und führte sie auf einen lichteren Pfade.
      Die Fragen eines neugierigen Sprosses blieben stets unbeantwortet. Hyacinthe wusste, dass sein Blut nicht von ungefähr kam. Die Reinsten seiner Rasse mussten geboren werden, wie jedes andere Wesen abseits der Vampire. Von irgendwem musste also auch sein Vater dieses Blut geschenkt bekommen haben. Irgendeine Frau hatte auch ihn einst als Sohn ausgetragen. Die Jugend hatte ihn mit fragen zu diesen Dingen geplagt. Stets unbeantwortet waren sie geblieben. Man wies ihn an, niemals mehr zu fragen! So kam es, dass Hyacinthe diesen Teil seiner Herkunft schon bald in den Schatten stellte. Denn im Gegensatz zu dem schweigsamen Vater, sprachen seine Mutter und ihre Schwestern gern über alles. Sie lehrten den Spross auch seine andere Seite zu kennen und ihre wertvollen Fähigkeiten zu nutzen…
      Ihre Stimme fing die Herzen ein und die stürmischen Augen jeden Fokus. Hyacinthe wusste, dass niemand den Blick von dem tiefen Schwarz abwenden könnte. So wie jenes unbehaglich erschien, weckte es auch Neugierde und kindliche Aufregung in den Herzen der Menschen.
      Er grinste, präsentierte die ganze Pracht seiner Fangzähne. Durchaus ausgeprägter, als bei seinen Artgenossen. Nicht einmal sein Vater konnte einen solchen prachtvollen Kiefer vorweisen. Dieses Grinsen wurde breiter, nahm gar spöttische Züge an, als er die Antwort auf seine Frage vernahm. Der Spross lachte. Es war ein hässliches, abfälliges Lachen, welches selbst dem Verwalter einen Schauder über den Rücken jagte. Man sah es dem Schönling nicht an, welch mörderischen Geist er beherbergte. Man sah ihm auch seine rohe Kraft nicht an. Der Verwalter war sich sicher, dass er in dieser Hinsicht auch seinen Vater übertreffen könnte, obwohl es ihm an jeglicher Form der Kontrolle mangelte. Irgendwann hatte Hyacinthe aufgehört seine vampirischen Fähigkeiten zu trainieren. Bis heute hatte er nur eine Handvoll Leute zu seines gleichen verwandelt und noch weniger als seinen Eigentum markiert. Auch dieser Sklave gehörte technisch gesehen zum Gefolge seines Vaters…
      „ Kein Zauber…“, zischte er. Das rot blitzte in das schwarz, der Griff um den Kiefer wurde fester und wenig behutsam bohrte er die langen Krallen in die kreidige Haut. Er sog die Luft ein. Trotz der Angst, verspürte er keinen Lebenswillen mehr in diesem Körper. Hyacinthe begann zu lachen.
      „ Hoffst du nicht? Nicht so verzweifelt wie all die anderen?!“ er lachte glücklich auf. „ Das gefällt mir!“, bemerkte er. Sein Grinsen wich einer Entschlossenheit. Der Blonde schloss in die Höhe. Er holte mit dem blutigen Fuß aus und trat den Anderen gekonnt zu Boden, sodass die Ketten rasselten. Die Wange war gut getroffen.
      „ Wascht ihn. Kleidet ihn ein. Bringt ihn danach zu mir!“
      Er fuhr sich über das Kinn, wieder zu dem anderen herabblickend. „ Diesen ekelhaften Gestank ertrage ich nicht länger! Dieser jämmerliche Anblick aber…“
      Er wirbelte herum, sodass das weiße Gewand flog. „ Wie oft müssen Menschen essen? Einmal in der Woche?!“, sein Kopf ging in leichte schieflage. „ Antworte!“, fuhr er den noch immer dezent nervösen Verwalter an.
      „ Häufiger, mein Lord! Häufiger… Doch alle zwei Tage genügt!“
      Hyacinthe nickte. „ Dann…“, er trat zurück an den Tisch, an welchem er gesessen hatte. Was von den Keksen übrig war, griff er und trat wieder an den Menschen heran. Er nahm einen Bissen und blickte herab. „ Sag mir, hast du Hunger? Wie fühlt ish das an?!“
      War es ein drückendes Gefühl, wie das seine?! Man verlor jeglichen Fokus, suchte nur nach diesem einen Gefühl?!

    • Hoffnung?
      Salems Blick flackerte zu dem Vampir hoch. “Wenn ich hoffen würde, würde ich selbst in meinem letzten Atemzug dir gehören.” Seine Stimme rau, unschön. “Diesen Gefallen schenke ich dir nicht.”
      Er konnte die Worte gerade noch sprechen bevor der Fuß ihn im Gesicht traf und ihn mit solcher Wucht niederriss, dass er unsanft auf dem blutverschmierten Boden aufschlug. Ein Schnitt zog sich über seine Wange, eine Platzwunde, da wo er getroffen worden war. Frisches Blut rann aus der Wunde und vermischte sich mit jenem, welches bereits auf seiner Wange klebte, alt und verbittert.
      Salem fühlte es nicht mehr. Die Strapazen der letzten Tage nagten an ihm und die Ohnmacht zerrte an seinem Bewusstsein, wollte ihn in die ruhige Dunkelheit locken, wo er sich etwas erholen konnte. Er wollte sich nicht länger dagegen wehren. Sein Herzschlag wurde langsamer, beruhigte sich und dichter Nebel begann ihn einzuhüllen. Nur am Rande bekam er die Gespräche rund um ihn mit, konnte zwar Worte hinausfiltern aber keine folgerichtigen Sätze daraus bilden. Sein Körper konnte diese Spiele nicht länger mitmachen und der Blonde war sich nicht sicher, ob er gerade dabei war ein weiteres Leben zu verlieren oder wirklich nur in Ohnmacht zu fallen. Am Ende des Tages würde es aber keinen Unterschied machen. Er nahm das Schicksal an, wie es ihn mit offenen Armen empfing.
      Die Füße des Vampirs tauchten in seinem Sichtfeld auf. Salems Kopf lag auf dem Teppich gebetet und er blinzelte durch die Unschärfe zu dem Langhaarigen hoch, der dabei war, irgendetwas zu essen. Der Blonde lauschte in sich, aber gerade jetzt verspürte er weder Hunger noch Durst. Seine Haut zog sich straff über seine Rippen, über jeden einzelnen Knochen und sein Schlüsselbein trat so stark hervor, dass er wirkte wie ein lebendig gewordenes Skelett. “Ich fühle nichts mehr.”, murmelte Salem noch, dann holte ihn die Dunkelheit. Der letzte Tritt war zu viel gewesen.

      Er erwachte, weil man ihn in eiskaltes Wasser tauchte.
      Sein Körper war paralysiert von dem Schock und für einen Moment war Salem nicht in der Lage, sich zu bewegen. Ein Eimer wurde über seinem Kopf ausgeleert und Dreck vermischte sich mit dem klaren Wasser, in dem er saß. Salem zuckte zusammen. Ein Fauchen kroch seine Kehle hoch und perlte über seine vollen Lippen. Er hasste es zu Baden, erst recht im kalten Wasser. Da störte ihn gerade weniger die Tatsache, dass er nackt war und um ihn herum einige Frauen hin und her wuselten, offenbar damit beschäftigt immer wieder neues Wasser heranzutragen, um ihn zu waschen. Schließlich war er schon so oft vor anderen nackt gewesen, dass es kaum mehr etwas Intimes für ihn hatte.
      Salem befand sich in einem Badezimmer, großzügig wie es schien. Er saß in einem Holzzuber, gerade groß genug für einen normal gewachsenen Menschen. Ein weiterer Eimer Wasser wurde ihm über den Kopf geleert, dann begann eine der Frauen mit einer Bürste seinen Körper zu schrubben und dem Blonden entwich ein weiteres Fauchen, während er sich gegen die Berührungen wehrte. Erst jetzt bemerkte er, dass das Gewicht der Ketten nicht mehr an seinen Handgelenken hing. Sofort bewegte der Zauberer mit dem Katzengeist seine Arme, streckte sie über seinem Kopf aus und dehnte sie, wie es ihm schon länger nicht mehr möglich gewesen war.
      Seine erschöpften Muskeln zitterten unter der Anstrengung und er wollte die Arme gerade von selbst wieder hinabdrücken, als er an den Handgelenken gepackt wurde. Salem keuchte schmerzerfüllt auf, hatte er doch mit seiner Annahme Recht gehabt. Die Ketten hatten ihn verletzt und sein kurzzeitiger Tod war nicht in der Lage gewesen, ihn zu heilen, da es aktiv verhindert worden war. Der Verwalter beugte sich über den Holzzuber und warf ihm einen Blick zu, der hätte töten können. “Keine falsche Bewegung.”, drohte der Mann mit eisig kalter Stimme, frostiger als das Wasser, in dem Salem badete. Wütend funkelte Salem zu dem Vampir hoch, wagte es allerdings nicht, sich weiterhin zu bewegen. “Töte mich doch.”, forderte er den Verwalter auf. Eine Bürste schrubbte hart über seinen Rücken, kratzte an seiner strapazierten Haut. Der Duft von Rosenblättern erfüllte die Luft und begann Salem einzuhüllen.
      Der Verwalter schenkte ihm einen hasserfüllten Blick. Wahrscheinlich hatte er sich mehr davon erhofft, Salem zu dem jungen Lord zu bringen als die offensichtliche Ablehnung, auf die er gestoßen war. Er würde das Geheimnis dieses Burschen schon noch herausfinden. Außerdem – hatte der Blonde eben noch gefaucht, als man ihn mit Wasser konfrontiert hatte. Der Verwalter nickte eine der Sanguinen zu, die daraufhin einen weiteren Eimer Wasser über Salem entleerte, doch dieses Mal blieb der Sklave stumm und starrte nur mit leerem Blick zurück. Der Verwalter stieß ein wütendes Zischen aus, bevor er den Langhaarigen aus dem Badezuber riss und zu Boden warf. “Zieht ihn an.”, befahl er den Frauen und stellte sich in den Hintergrund, um das Ganze zu beobachten.
      Der junge Mann wehrte sich nicht weiter. Im Gegenteil: er machte sich so schlaff, dass es den Frauen beinahe unmöglich war, ihn anständig abzutrocknen. Wann immer sie sein Haar berührten, wurde der Blonde dabei besonders unangenehm und versuchte unterschwellig, ihren Berührungen zu entkommen. Der Blick des Verwalters verdüsterte sich. Er war dabei gewesen, als Hyacinthes Vater seinem Sohn das neuste Spielzeug gekauft hatte. Er soll lernen, sich um diesen Menschen zu kümmern., hatte er gesagt, während er Geld für Salem geboten hatte. Dabei hatte er sich extra einen der Sklaven ausgesucht, die in einem katastrophalen Zustand waren. Er wollte es Hyacinthe nicht zu leicht machen. Allerdings hatte der ältere Vampir wohl kaum damit gerechnet, dass Hyacinthe nichts auf seine Worte gab und den Sklaven nur Minuten nach dem ersten Aufeinandertreffen bereits töten würde.
      Und nun saß der Blonde unweit von ihm entfernt am Boden, wurde in Kleidung gezwängt und sah ohne das ganze Blut und den Dreck an sich nicht einmal so unausstehlich aus. Sommersprossen tanzten über sein Gesicht, die der Verwalter zuvor nicht bemerkt hatte. Er war zwar viel zu dünn und zerbrechlich, aber seine Haut hatte eine Blässe, die sonst nur den royalen geschenkt war. Hie und da zierte eine Narbe seinen Körper, und noch immer schimmerte der Schnitt auf seiner Wange, die Platzwunde, die der junge Lord ihm zurecht zugefügt hatte. Das blonde Haar floss ihm in Wellen die Schultern herab bis in die Mitte seines Rückens, Zöpfe auf beiden Seiten umrahmten dabei das eingefallene Gesicht mit den vollen Lippen und den Augen, von denen eines nicht mehr sehen konnte. “Wie bist du erblindet, Junge?”
      Der Verwalter war an ihn herangetreten, nachdem die Sanguinen ihn endlich getrocknet und angezogen bekommen hatten. Seine Klauen umgriffen das Gesicht des Jungen und sein Daumen drückte in die frische, fleischige Wunde auf seiner Wange. Schmerz zuckte durch den Blick des Sklaven. Der Verwalter lächelte befriedigt. “Schön. Dann wirst du eben nicht antworten. Du wirst dir noch wünschen, du hättest gesprochen. Niemand hier kommt damit davon, zu schweigen.” Er bewegte sich schnell, viel zu schnell für den Blonden, der erst reagieren konnten als die rasselnden Ketten sich wieder um seine blau verfärbten und blutigen Handgelenke geschlossen hatten. Der Verwalter zog sie enger als nötig und lächelte zufrieden, als der Sklave schmerzerfüllt aufstöhnte und sich seine Augen nach oben drehte.
      “Das ist nur der Beginn deines Schmerzes.”, erklärte er gönnerhaft, bevor er ihn an den Ketten auf die Beine riss und hinter sich her aus dem Bad zog.

      Salem folgte dem Verwalter mit stolpernden Schritten. Noch immer fehlte ihm jede Energie, um auch nur ansatzweise auf irgendetwas anständig reagieren zu können. Aber er wollte es auch nicht. Er wollte seine letzten Leben hinter sich bringen und dann für immer in der Dunkelheit verschwinden. Oder in einer Parallelwelt landen, wo auch immer es ihn hinzog. Das Bad hatte zwar sein Blut in Schwingung gebracht, die Erschöpfung und der Schmerz waren aber dennoch noch da.
      Benommen taumelte Salem hinterher, wurde schließlich in einen Raum geführt, wo die Vorhänge vor den Fenstern nur halb zugezogen waren. Der Verwalter zog ihn in die Mitte des Raumes. “Denke erst gar nicht daran, zu versuchen zu fliehen.”, erklärte er dem Sklaven, bevor er ihn grober als nötig zu Boden drückte. Er würde dem jungen Lord Bescheid geben, dass sie die jämmerliche Kreatur gewaschen und frisch angezogen hatten. “Du wirst es nicht schaffen, von hier zu entkommen, egal wie sehr du es versuchst.”, warnte er den Blonden, bevor er den Raum verließ und die Tür hinter sich schloss.
      Salem hatte kaum einen Blick für den Raum übrig. Er hievte erschöpfte den Oberkörper aus der Position hoch, in den man ihn gedrückt hatte. Die Sonne war gewandert am Himmel, stand höher und vereinzelte Sonnenstrahlen tauchten die ein und andere Stelle im Raum in warmes, goldenes Licht. Der Blonde schluckte, bevor er vorrobbte, mühsam und langsam. Aber dann erreichte er einen der Sonnenflecken im Raum. Der Boden da war wärmer und sofort kribbelte etwas Energie durch den Körper des Sklaven, der sich mit letzter Kraft auf dem kreisrunden Fleck zusammenrollte und auf seinen Tod wartete.

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    • Hyacinthe le Amimains Augen glitten über sein Spiegelbild.
      „ Ihr wirkt glücklich, Mein Lord…“, bemerkte eine ruhige Stimme hinter seiner Schulter. Er wandte den Blick von seinem eigenen Spiegelbild ab, herab auf den schwarzen Schopf, der vor ihm kniete. Ihre Blicke trafen einander nicht und er sah auch bald wieder auf.
      „ Ach tatsächlich?“, fragte er dann. Seine Hand fuhr durch das Haar, welches seid der Wäsche ein eigenes Leben angenommen hatte. Die Locken Hyacinthes waren widerspenstig und lagen nur an wenigen Tagen so, wie er es gern gehabt hätte.
      „ Vater hat mir ein Geschenk gemacht…“, er lächelte leicht. Immer wieder strich er durch das blonde Haar. Sie wollten einfach nicht… „ Ich hätte nicht erwartet, dass es eine solche Überraschung wird…!“ Seine Finger verfingen sich.
      „ Argh!“
      Mit einem Ruck versuchte er jene zu befreien. Nervig!
      Wortlos und blitzschnell hatte sich der Andere aufgerichtet, die Hand ergriffen und löste sich vorsichtig aus dem Haar. Hyacinthe sah zurück in den Spiegel, während er sich die Hand an der Hose abrieb. „ Vater ist ein Narr! Er glaub tatsächlich mich in die Schranken weißen zu können…“ er lachte.
      Das weiße Rüschenhemd für die Nacht wurde gegen vorzeigbare Kleider getauscht. Penibel ausgewählte Stoffe schmiegten sich an sein Leib. Seine ausgewählten Schneider waren immerhin die besten ihres Handwerks. Jeder von ihnen ein Künstler, die sich mit jedem Stück auf ein neues übertrafen. Wie so viele, buhlten auch sie um die Aufmerksamkeit des jungen Lords. Jeder von ihnen schritt über seine Grenze, neue Schnitte, neue Stoffe… neue Aufmerksamkeit. Es war ein amüsanter Anblick, wie sich jeder von ihnen so eifrig bemühte…
      Schon von seiner Kindheit an, hatte er es nicht anders erlebt. Sie bemühten sich ihn ruhig und wohl gesonnen zu stimmen, überhäuften ihn mit allem, was er verlangte und noch vielem mehr! Ihre Blicke sollten Wärme und Freundlichkeit versprühen, doch ihr beißender Geruch sprach gegen ihre aufgesetzte Art. Sie rochen fischig und verdorben… ganz passend zu ihren Absichten und nutzlosen Gesten. Hyacinthe verabscheute dieses Verhalten auf der einen Seite. Auf der Anderen aber, gab es ihm die meiste Bestätigung und Amüsement zurück. Die Sterblichen waren dabei das lustigste Gevölk…
      Er grinste bei dem Gedanken. Gerade zogen zwei sichere Hände das blonde Haar des Jungen über dessen Schultern zurück, sodass die feinen Muster auf der Jacke zum Vorschein kamen. Ein abstraktes Muster aus Ranken und sternförmigen Gebilde. Das goldene barn setzte sich schön von dem dunkelgrauen Untergrund ab. Die langen Finger des Blonden fuhren darüber. Eine schöne Arbeit!
      In seinem Nacken banden Jene geschulten Hände so eben dass Haar des Lords zusammen. Über seine Schulter blickten wachsame Augen auf das Spiegelbild des Vampires. Das matte Grau blieb ruhig, als das Gold jenen erwiderte und die Mundwinkel des Jungen ein wenig höher kamen. Als er fertig war, entfernte er sich und neigte dabei respektvoll den Kopf. Der magerer Zustand seines Körpers passte nicht zu der stattlichen Höhe, die er erreichte hatte. Dabei war sein Gesicht eingefallen und dunkle Ringe zeichneten den klaren Blick. Er sah älter aus, als es eigentlich der Fall war…
      Fowler war jünger als sein Meister. Wie viel genau, war Hyacinthe entfallen. Er trat von dem kleinen Podest an den Mann heran, beugte sich leicht vor und suchte dessen Blick. „ Warum so still heute?“, fragte er ein wenig enttäuscht.
      Der Schwarzhaarige hob den Blick. „ Verzeiht…“, sagte er nur. Der junge Lord legte den Kopf schief...
      Fowler hob seinen Blick leicht an. Hyacinthe blinzelte dabei nur. „ … Meine Gedanken sind an einem anderen Ort…“, gestand er ehrlich. Seine Stimme bebte dabei keineswegs und auch in seiner Haltung veränderte sich nichts. Obwohl sich ein Ausdruck der Unzufriedenheit auf dem Gesicht des Sprosses finden ließ. Jener kniff die Augen ein wenig zusammen, richtete sich wieder auf und schnaubte.
      „ Wo?!“
      Fowler blieb still. Er beobachtete, wie Hyacinthes Ungeduld seines Schönes Gesicht in eine Grimasse verwandelte. Letztlich stampfte jener auf, schnaubte voller Empörung. „ Wo?!“, wiederholte er.
      Der Andere senkte den Blick ein wenig. „ Meiner Mutter…“

      Hyacinthes Wange quoll über seine in das Gesicht gepresste Hand. Ein missmutiger Ausdruck zeichnete sein Gesicht, während er ungeduldig mit dem Fuß wippte. Seine Augen tanzten über die Stille des Zimmers, immer wieder zum Fenster zurück. Der schwarzhaarige Mann bewegte sich zu den Vorhängen. Jene zog er zu. Die Augen des jungen Lords blieben an ihm hängen.
      Nun war der Sonneneinfall in den Raum blockiert und ein Schatten lag auf dem Gesicht des Vampires. Die Sonne schadete ihm weniger als Artgenossen, aber auch er würde bald von den Folgen heimgesucht werden…
      Er seufzte leise, gerade als es an die Türe klopfte. Cassius, der Alte Verwalter kam herein. Höflich wie immer verkündete er, dass den Befehlen des Lords Folge geleistet wurde.
      Jener sprang wie mit neuem Leben erfüllt auf, zur Überraschung der beiden anderen. Fowler schob sich die ein wenig verrückte Brille zurecht. Hyacinthe hatte ein Geschenk seines Vaters erwähnt… ein Sklave?

      Das neue Trio begab sich in das benachbarte Zimmer, angeführt von dem Herrn des Hauses. Darin befand sich der Sklave. Dessen aussehen ein simples Bad und neue Kleider gänzlich verändert hatten. Er sah zwar nicht viel gesünder oder lebensfroher aus, aber zumindest eher seinem Stand als Sklave des Lords angemessen.
      Jener grinste erneut leicht, wie ein kleines Mädchen, dass eine neue Puppe bekam.
      „ Antwortest du mir jetzt?!“, fragte der Lord, während er leicht gebeugt auf den anderen zu kam. „ Hast du Hunger?“ er kniete sich vor dem anderen nieder, griff in die Sonne und zog an der Kette, sodass er des Anderen Gesicht sah. Es war noch immer blass. Doch der zahlreiche dreck legte nun die Sommersprossen des anderen frei und die kränkliche Röte um dessen Wangen.

    • Leise schlich der blonde Junge durch die schmalen, langen Gänge des kleinen Schlosses oberhalb des Waldrandes. Er war von kleiner Statur, hatte volle runde Wangen und trug ein Feixen im Gesicht. Der Meister des Zirkels war heute Morgen zu einer Reise aufgebrochen und das Schloss war bis auf wenige Ausnahmen leer. Sie alle hatten ihn heute Morgen bis zur Grenze begleitet, nur Salem war zurückgeblieben. Niemandem war aufgefallen, dass er fehlte.
      Der 14-jährige eilte nun die Treppen hoch, die zu einem der obersten Türme führte. Dort hatte der hohe Meister sein berühmt berüchtigtes Turmzimmer. Manche behaupteten, er hätte es magisch vergrößert und er habe die Decke in einen Himmel verwandelt. Salem glaubte das nicht. Zumindest, solange er es nicht mit eigenen Augen sah. Einige Zeit später war er oben angekommen und rüttelte am Türknauf - verschlossen. Aber das war kein Problem für ihn – er gehörte zu einer der ältesten, reinblütigen Magierfamilien und dementsprechend war seine Kraft für sein junges Alter bereits sehr hoch.
      Dass der alte Meister sein Turmzimmer nur halbherzig schützte, war dann auch nicht sein Problem. Salem legte die Handfläche auf den Knauf und schloss die Augen. Er atmete tief ein und konzentrierte sich. Es dauerte keine zwei Sekunden, da klickte das Schloss und die Tür schwang nach innen auf. Sofort huschte der Blonde in den Raum und ließ die Tür hinter sich zufallen. Der Raum war alles, was er sich erhofft hatte und noch viel mehr. An den Wänden zogen sich Regale hoch, die sich in die kreisrunde Form des Raumes schmiegten. Unzählige Bücher stapelten sich in ihnen. Salem konnte kaum den Blick abwenden. Lesen zu können war eines der Privilegien, welches ihm zustand.
      Magier gehörten nicht zu den reichen Völkern, auch wenn sie oft in den Kreisen von Königen und Adligen vorzufinden waren. Als Berater und wenn nötig auch als nützliche Hand im Krieg. Deswegen war es wichtig, lesen zu können, obwohl sie vielleicht aus eher ärmlichen Verhältnissen kamen. Salem gehörte glücklicherweise einer Familie an, die sich einen dementsprechenden Stand erarbeitet hatte.
      Seine Füße trugen ihn weiter in das Zimmer. Überall lagen Sprüche notiert auf Pergament herum und der Raum war vollgestellt mit Pflanzen. Wo auch immer ein Topf einen Platz finden konnte, stand auch einer. Fasziniert sah sich Salem weiter um. Er hatte nicht per se eine Schandtat vorgehabt, doch nun wo er hier war und sogar die Gerüchte über den Himmel als Decke stimmten, dann wollte er sich ein wenig durch die Sachen wühlen. Er wollte sich gerade zum Schreibtisch aufmachen, der mittig platziert war, da lenkte etwas im Augenwinkel seine Aufmerksamkeit auf sich.
      Es war ein Buch, schwarz gekleidet und auf dem Deckblatt fanden sich Runen. Salem fuhr mit den Fingern darüber. Er konnte sie lesen, war gebildet. Doch alsbald er das Buch berührte, zuckte ein Kribbeln durch seinen Körper, welches er nicht einordnen konnte. Es war, als würde etwas nach ihm greifen. Verlangend und berauschend. Neugierig schlug der Blonde das Buch auf und blätterte hindurch. Es waren Zauber, die er nicht kannte, von denen er noch nie gelesen hatte und die eine altertümliche Magie in sich trugen. Sie versprachen Siege über Schlachten, Ruhm und noch mehr Stärke.
      Noch mehr Stärke...
      Salem hielt bei einem der Zauber inne. Mehr Stärke...Sein Bruder würde sich nicht mehr über ihn lustig machen können, wenn er stärker war als er. Ein dunkles Verlangen begann im Herzen des Blonden zu brodeln und zu köcheln, mischte sich zu einer giftigen Suppe. Sein Bruder hatte sich schon immer lustig über ihn gemacht. Weil er zu sanft war, zu naiv, manchmal ein wenig dümmlich. Und weil er nie das Familienoberhaupt würde werden können. Diese Position stand Neo zu, dem älteren Bruder und damit dem Erstgeborenen. Aber was wäre, wenn er stärker wäre als Neo? Salem hatte diesen Dingen nie viel beigemessen. Er war glücklich, wenn er in einem Feld voller Sonnenblumen liegen konnte, die Blumen, die er so sehr liebte. Wenn die Sonne ihn sanft mit ihren Strahlen streichelte, dann war die Welt in Ordnung für den Blonden.
      Aber er kannte die Blicke seiner Familie, wie sie ihn abschätzig musterten, ihm unterschwellig mitteilten, er solle sich mehr anstrengend. Es wäre so viel leichter, wenn er stärker wäre. Salem setzte sich im Schneidersitz hin. Er hatte sich die Worte gemerkt, er musste lediglich ein Gefühl für sie entwickeln. Voller Vorfreude schloss er die Augen.



      Die Tür zum Raum öffnete sich und Salem wachte unweigerlich auf. Es war ein kurzer Schlaf gewesen, aber gerade schien er jede Minute brauchen zu können.
      Schritte kamen näher, es mussten mehrere Personen das Zimmer betreten haben. Salem blinzelte sich den Schlaf aus den Augen, war kaum wach, da wurde schon wieder an der Kette gezogen. Er stöhnte auf, betete ihm würden bald die Hände abfallen und folgte dem Zug unweigerlich, setzte sich schwankend auf. Der Vampir war vor ihm in die Hocke gegangen und musterte ihn. Etwas an ihm hatte sich verändert, Salem konnte aber nicht genau sagen, was. Es spielte auch keine Rolle. Alles war egal.
      Der Blonde war sich nicht sicher, welche Antwort der Vampir von ihm erwartete. Sollte er Ja sagen, damit er über ihn spotten konnte oder sollte er die Frage von zuvor ernsthaft beantworten, damit Hyacinthe etwas zu lachen hatte? Oder war Ehrlichkeit gefragt? Denn, wenn er wirklich ehrlich war, dann war sein Körper schon längst über das Stadium hinaus, in dem er noch Hunger hätte verspüren können. Selbst der Durst schien ihn nicht länger zu quälen, auch wenn sein Mund trocken und die vollen Lippen spröde waren.
      Salem umfasste seinen Bauch mit einem Arm und lauschte in sich. Nichts. Nur ein allgegenwärtiger Schmerz, der aber auch auf die Strapazen zurückzuführen war. Auf die Wunde an seiner Wange und die Ketten an seinen Handgelenken. Der Schmerz kam nicht vom Hunger. Oder vielleicht doch? “Ich kann nicht klar denken.”, murmelte Salem, seine Zunge fühlte sich schwer an. “Und mir ist schwindlig. Ich will nur schlafen.” Salem schwankte etwas auf der Stelle. Er konnte sich kaum konzentrieren.
      “Hunger tut weh.”, nuschelte er dann. “Ich denke, ich habe Hunger, ja...” Sicher war er sich aber nicht. Sein gesunder Menschenverstand hätte ihm sagen müssen, wenn es Zeit war zu essen und wahrscheinlich wäre er klug gewesen, die Suppe des Alten anzunehmen. Er konnte sich nicht einmal mehr daran erinnern, wann er das letzte Mal etwas getrunken hatte. Salems Blick flackerte blinzelnd zu dem Vampir, blieb auf dessen wunderschönem Gesicht liegen. Zu jedem anderen Zeitpunkt hätte er möglicherweise auch Bewunderung für die Stoffe aussprechen können, aber es war ihm gerade nicht möglich. Er wurde wahnsinnig. Das musste es sein.
      “Bist du nicht hier, um mich zu töten?”, fragte der Blonde dann, ohne Scheu, ohne Reue. Sein Kopf sackte ihn den Nacken und er präsentierte Hyacinthe seinen Hals, die helle Haut. Wenn der Vampir es nicht tun wollte, würde er sich eben selbst darum kümmern müssen. Bestimmt konnte er sich mit den Ketten erschlagen oder eben verhungern. Eine Möglichkeit gab es immer.

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    • Fowlers Blick lag auf dem Menschen. Die Ketten außer Acht gelassen, sah er wunderschön hergerichtet aus. Gewaschen und eingekleidet, in Stoffe die vermutlich jedes Budget überstiegen, dass diese erbärmliche Seele jemals besessen hatte. Nur das Eisen rasselte, als Hyacinthe den Sklaven an den Kette auf die Knie zwang. Der Sklave verhielt sich wie ein Sack Hafer, träge und mit ganzem Gewicht gegen den Zug des fleißigen Arbeiters gehend. Sein Stöhnen war ein unschicklicher Laut, auf den jedoch Reaktionen ausblieben.
      Hyacinthe blieb ruhig, während der Mensch unter ihm seinen Bauch fasste, als würde der Hunger jenen Plagen. Er selbst verkannte das Gefühl nicht, ewig zu hungern und zu dursten, sodass der Magen schmerzte. Ein erstickendes Gefühl, welches sich langsam in jede faser des Körpers schob.
      Hunger raubte einem den klaren Verstand. Es machte jemanden zu einem Mörder, oder zu einem Sack Hafer… In Fowlers Augen Ware ersteres die überlegene Art. Sein Lord gehörte zu dieser. Hunger plagte den Spross reinen Blutes nur selten, eher rollten Köpfe und die Böden tränkten sich einmal mehr in rot. Hyacinthe kümmerten die Schäden, die er dabei tätigte nicht. Gnade gegenüber seinem Eigentum schien der Vampir nicht zu kennen… Zählte dies noch, wenn er in den Menschen nicht mehr als einen Zeitvertreib sah?

      Verfluchtes Blut tropfte auf den Boden. Es tränkte die Felder, sodass Pflanzen sich scheuten zu wachsen. Angst erfüllt bebten die Lippen und wahnsinniger Blick glitt in die Runde.
      „ Nein…“, flehte eine Stimme zitternd. Der junge Lord blickte in das Feld seiner Taten. Die Leichen lagen da, reglos und stumm. Menschen längst übergeschritten ins Reich des Todes. Sein Blick bleib hängen auf dem Vampir, dessen unveränderlicher Durst ein Leid in seinen Augen war.
      „ Du tötest auf meinem Boden…?“ Seine Stimme war nicht mehr als ein empörtes Fauchen. Die Absolutheit seiner Herrschaft stand in Frage. Jedes Leben, das kam und ging, bemerkte er umgehend.


      Klares Denken? Hyacinthe legte den Kopf ein wenig schief, dabei rutschte der Blonde Kopf in seinem Nacken auf die Schulter. Wie ein Wasserfall kamen die Locken über das feine Muster der Jacke.
      Die leise Stimme des anderen verstand er gut. Es machte ihm nichts, dass er nuschelte, wenn auch Fowler seine Schwierigkeiten damit hatte. Er musste sich also denken, welches Gespräch die beiden gerade führten. Denn Hyacinthes Reaktion gab kein Indiz dafür, was soeben seine Ohren erreicht hatte.
      „ Du hast also Hunger?“, fragte er dann und fing ein leichtes Nicken an. „Ja?!“
      Er riss die Ketten ein Stück höher. „ Ich auch…!“, flüsterte in das Ohr des Menschen. Aber niemand hatte die Vorräte aufgefüllt. Er hatte nur diesen Menschen als keinen Imbiss verfügbar.
      „ Töten?“
      Der junge Lord ließ von den Ketten ab und der Mensch sank wieder nach unten.

      Sein Blick wurde glasig. Hyacinthe hatte sich erhoben und trat sicheren Schrittes auf den Vampir zu. Er machte sich nicht die Mühe zur Eile oder seine überlegenden Fähigkeiten zur Schau zur stellen.
      Es tat sich nichts, als er vor dem anderen stoppte.
      „ Du hast auf meinem Boden getötet…“, sprach er. „ … dafür sei es dir verwehrt die Ruhe zu finden…“


      Die Kirche der Nacht war eine seltsame Sippe, ein Orden, die sich der Existenz der absoluten Reinheit verschrieben hatten. Ihre Mitglieder weihten einst diese Länder in Namen des reinen Blutes. Töten war hier für jeden unmöglich, der nicht diesen Geblütes war… Der Preis dafür… » Ruhe finden sollen jene nicht, die sich entlassen des Lebens Tropfen. Ihr Unreinheit soll ihr Verdammnis sein… «
      Fowler hatte nichts für die Schwätzer übrig!
      „ Nein…“, sprach Hyacinthe dann. „ … heute töte ich dich nicht!“ er grinste den Menschen an und stellte einmal mehr seine Zähne zur Pracht. Die Mischung der langen Fangzähne seiner Genossen und der der Sirenen war ein wahrlich schauerlicher Anblick, den er dort verbarg.
      „ Wollen wir essen?“, fragte er dann. Die kindliche Euphorie, die der Spross von Zeit zur Zeit zur Schau stellte, jagte einem, tötete er im folgenden Moment oder wusste um seine Taten, einen weiteren Schauer über den Rücken.

    • Ein weiteres Mal wurde der schmale Körper des Magiers an den Ketten herumgerissen und Salem fiel nach vorne. Seine Hände hoben sich, Finger gruben sich in den Stoff von Hyacinthes Kleidung und klammerten sich fest, während ein brüchiges Schluchzen über seine Lippen rollte und seine Schultern unter der nächsten Welle Schmerzes erzitterten. Salems Stirn sackte nach vorne und gegen die Brust des Vampirs, sein Körper vollkommen kraftlos und schlapp, sackte in sich zusammen. “Bitte.” Ein leises Flehen, ein Flüstern.
      Nein, Salem wollte nicht um sein Leben bitten oder darum, dass man ihn doch gehen lassen sollte. Diesen Zustand hatte er hinter sich gelassen, war doch die Hoffnung gestorben als man ihn nicht einmal in Freiheit hatte sterben lassen. Die Vampire und Menschen, die in diesem Schloss hausten, hatten keinerlei Moral und waren egoistischer als alles andere, was er je erlebt hatte. Als Kind hatte man ihn immer vor den Geschöpfen der Nacht gewarnt. Obwohl Frieden herrschte, war ihm immer wieder eingetrichtert worden, wie arrogant und bestimmend Vampire waren. Eine Rasse, die sich selbst dem Adel der Königsfamilien überlegen fühlte und deren unersättlicher Durst nur von den wenigsten ihrer eigenen Art kontrolliert werden konnte.
      Salems Stimme war kaum mehr als ein sterbender Hauch des Sommers im Angesicht des zerstörerischen Herbstes. “Bitte hör auf an den Ketten zu ziehen. Bitte.” Wenn er sie schon tragen musste, dann sollten sie ihn doch wenigstens nicht die gesamte Zeit damit quälen. Warum trug er sie überhaupt? Er war weder stärker noch schneller als die schönen Wesen mit den Fangzähnen. In seinem momentanen Zustand hatte er wahrscheinlich nicht einmal gegen den hinkenden Alten eine Chance, der ihn vor einiger Zeit aufgelesen hatte und Schuld an diesem ganzen Desaster war. Hätte der Alte ihn gehen lassen, stünde Salem sich jetzt nicht damit konfrontiert, bald aus dieser Welt zu scheiden, ohne irgendetwas erreicht zu haben.
      Salem war sich nicht sicher, inwiefern es eine gute Idee gewesen war, den Vampir darum zu bitten, nicht mehr an den Ketten zu ziehen. Seine Stimme an seinem Ohr hatte grausam geklungen und das Lächeln auf seinen Lippen hatte den Blonden wohl kaum zu beruhigen gewusst. Dieser Langhaarige war gefährlich und er konnte ihm jede Sekunde den Kopf abreißen. Was Salem ja auch begrüßen würde. Aber er war eben auch in der Lage, ihm noch mehr Schmerzen zuzufügen, ohne ihm die Gunst der Erlösung zu schenken. Salems Finger lösten sich nun krampfhaft aus dem edlen Stoff Kleidung und seine Hände sackten mit rasselnden Ketten zu Boden. Der Vampir wollte ihn heute nicht töten. Wie schade. Stattdessen fragte er mit einer unerklärlichen Fröhlichkeit in der Stimme, ob sie essen, gehen wollten.
      Salems Blick flackerte zu ihm hoch und er blinzelte ihn aus einem gesunden Auge verwirrt an. Wenn er es nicht besser wusste, wurde er gerade vorgeführt. Aber ein kleiner Teil in ihm konnte der Aussicht auf eine Mahlzeit wirklich nicht mehr widerstehen. Und je länger sie davon sprachen, desto mehr schien auch wieder der Hunger zurückzukommen, den Salem die letzten Stunden erfolgreich ausgeblendet hatte. Früher hatte er schon immer viel Hunger gelitten – auf der Straße gab es nicht oft Mahlzeiten und der Blonde hatte sich oft damit begnügen müssen, altes Brot vom Mist zu stehlen und es zu waschen. Gut hatte es nie geschmeckt, aber es war eine der wenigen Möglichkeiten gewesen, zu überleben. Sein Magen war dadurch auf ein Minimum zusammengeschrumpft, weswegen sein Hungergefühl wohl auch ein anderes war als dass, der meisten. Salem schluckte den Kloss in seinem Hals herunter, bevor er nickte. “J-ja.”, sagte er mit leiser Stimme.
      Das Hyacinthe dabei “wir” gesagt hatte, ignorierte der Blonde gekonnt. Vielleicht wurde er heute ja doch noch gegessen.

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    • Die Jahre zogen in die Länder. Ein Winter reihte sich an den stürmischen Herbst und ein Frühling, in welchem neues Leben erwachte, folgte. So war es immer gewesen, stetig und beständig. Gregoire le Amimain wandelte mit dieser Welt. Die Jahre, die daher gekommen waren, kannte er schon lange nicht mehr bei ihrem Namen. Die Sterblichen kamen und gingen, er verblieb. Das alte Reinblut hatte mit nichts gerechnet, das diese Beständigkeit aus ihrer Bahn warf. Doch der Tag, an welchem er das Bündel leben in seinen Händen hielt, brannte sich in den Kopf des Alten ein…
      Dennoch war er ein unbestritten schlechter Vater. Gregoire war bei jedem Umgang mit seinem Sohn wie ein Unbeholfener, dessen Geist es weit überstieg, sich mit frischem Leben zu beschäftigen. Er hatte jede Möglichkeit Hyacinthe zu erziehen, verpasst.
      [i]„ Wollen wir essen?“
      [/i]
      Fowler betrachtete mit engen Augen, wie der junge Lord förmlich mit seinem Essen spielte. Man sollte seine Kinder anweisen, dies nicht zu tun, ihnen Achtung und Mäßigung nahe bringen. Essen war immerhin etwas wertvolles. Für den Spross des reinen Blutes fehlte eine solche Erziehung an jeder Ecke. Niemand hatte darüber nachgedacht, als man einem Kind, dass die Welt nicht zu verstehen mochte, alles vor die Füße trug. Hyacinthe hatte nicht einmal etwas sagen müssen, er hatte sich einfach nur bedienen müssen…
      Es waren feine Änderungen in seinem Ausdruck, die dem Butler verrieten, was er empfand, als der Sklave sich an ihn lehnte. Die Zuckens Augenbraue, eine Festigung seines Schrittes und ein mörderischer Blick bland auf den Blondschopf, der sich gegen seine Brust lehnte. Seine Hände bargen die gezackten Krallen.
      Seine Ohren zuckten, als er den Hauch einer Stimme vernahm. Ein leiser Wind im großen Sturm, kaum wert, dass man ihr pusten hörte. Er grinste, riss ein weiteres Mal spielerisch an den Ketten, sodass de Blonde noch einmal sein beißen beachten musste, bevor er ihm zu Boden sacken ließ. Er ließ ab von dem Eisen…
      Ihre Augen trafen einander. Die Farbe in der Iris des Vampires spielte mit ihrer Vielfältigkeit. Ein warmes Gold als Grundierung, vermischt mit einem Hauch des bedrohlichen rotes darin. Das schwarze war dem Spiel gewichen…
      Der Kniende nickte schließlich, brav und Gehorsam wie ein Hund, auf die Frage des jungen Lords hin. Seine Antwort war positiv, obwohl sie letztlich keinen Unterschied gemacht hätte. Die Meinung einer solchen Kreatur erfragte der junge Lord nur für sein Amüsement ab. An seinem Plan änderte sie gar nichts!
      Sein Gesicht hellte trotzdem sichtlich auf. Er wirbelte zu Fowler und dem Verwalter herum und lächelte. „ Ein Festmahl!“, befahl er nur. „ Richtet es an!“
      Der Butler neigte respektvoll den Kopf. „ Sehr wohl, mein Lord!“ mit diesen Worten verließ er den Raum. Der Verwalter blieb zurück, fast so als würde er sich noch etwas von Hyacinthe erhoffen. Ein wenig beugte er sich vor, dem Jungen entgegen. Seine Augen voll von Erwartung. Hyacinthe schnalzte mit der Zunge. „ Habt Ihr nicht gehört?!“, fragte er genervt. Der Alte stoppte. Man sah wie der Ausdruck seines Gesichtes sich veränderte, während der des Anderen Züge der Ungeduld zeigte.
      „ Aus meinen Augen!“, knurrte er nur noch.

      Sie waren allein. Hyacinthe drehte sich zu seinem Sklaven zurück. Einmal mehr griff er die Ketten, sodass der andere ein Stück vor stolperte und seinen Nacken offenbarte. Er verzog das Gesicht, als er das Brandmal seines Vaters entdeckte. Alles war weg, es er ihm angetan hatte, aber dessen hatte er sich nicht entledigen können?
      Hyacinthe schubste ihn ein wenig unachtsam in Richtung des Sofas, welches die eine Seite des Zimmers ausmachte.
      „ Setzen!“
      Er trat nach und wartete erwartungsvoll, bis der andere Platz genommen hatte.