Der perfekte Mann (Uki & Nordlicht)

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    • Der perfekte Mann (Uki & Nordlicht)

      Heute war ein sonniger Tag. So wie die meisten Tage kämpfte die Sonne sich ihren Weg durch das Dickicht der Baumkronen und berührte den Boden mit Licht und Leben. Der Wald war am Tag nicht so belebt wie in der Nacht, zumindest kam es Flora so vor. Gerne schlich sie sich in der Nacht aus der Hütte, ging zu einer der Lichtungen inmitten des Waldes und lauschte den Geräuschen. Das Rascheln in den Büschen, den Lauten der Eule und den Gesängen der Elfen, die - davon war Flora überzeugt - bis zu ihr drangen und ihr Herz mit Freude erfüllten. Während man im Wald eher die Ruhe und Stille am Tage genießen konnte, so herrschte auf dem kleinen Stück Weide Leben, welches sich Gregor über die letzten Jahre aufgebaut hatte. Sein kleiner Bauernhof, mit seiner Tochter, die er über alles liebte, jede Menge Arbeit und sehr begrenzter sozialer Kontakte. Während Flora fast ihr gesamtes Leben isoliert in den Wäldern und auf dem Hof verbrachte, machte Gregor gelegentliche Ausflüge in die Stadt, um Besorgungen zu erledigen oder alte Gesichter nochmal zu sehen. Er galt in seinem ehemaligen kleinen Fischerdorf als mysteriöser Alter, der nur wenig über sich preisgab. Selbst seinen engsten Vertrauten hatte er nie viel über sein neues Leben erzählt. Lediglich sagte er, dass es die Erinnerungen an seine verstorbene und geliebte Frau waren, die ihn gemeinsam mit seiner Tochter in die Wälder getrieben hatte. Für das damals 4-jährige Mädchen war es nicht einfach. Die Trennung von all den Menschen, die sie mochte und liebte, weg von ihren ersten Freunden, in völliger Isolation mit ihrem Vater und den wenigen Tieren, die sie mitgenommen hatten. Doch die Jahre vergingen und das Mädchen gewöhnte sich an ihr neues Leben. Irgendwann begann sie es sogar zu mögen und entwickelte sich zu einer vor Liebreiz strahlenden jungen Frau, die den wenigen Menschen, die ihr begegneten und allen Tieren mit goldenem Herzen empfing.


      Auch wenn ihr Vater ihr von den schrecklichen Dingen der Welt erzählt hatte und sie auch den Grund kannte, weswegen sie in den Wäldern lebte, entwickelte sie nicht das gewünschte Misstrauen, dass ihr Vater gerne gesehen hätte. Ganz im Gegenteil! Sie tritt alles und jedem mit einer gewissen Naivität entgegen, was sie leichtgläubig und viel zu gutmütig erscheinen lässt. Genauso wie sie in jedem und alles das Gute sieht, so wunderschön stellt sie sich auch die Liebe vor. Nichts sehnlicher wünscht sie sich als einen starken Mann an ihrer Seite, der ihr Halt und Sicherheit gibt. Sie liebte am Tage wie in der Nacht. Doch die wenigen Wandermänner, denen sie ab und an begegnete, waren nicht das, was sie sich von einem stattlichen, jungen und gebildeten Mann von Welt wünschte. Darum sollte es heute Nacht eine ganz besondere Nacht werden. Seit Tagen schlich sie sich hinaus, sobald die Arbeit erledigt und die Sonne untergegangen war. Sie schlich sie jede Nacht auf die gleiche Lichtung und zeichnete. Etwas, dass ihr Vater ihr strickt verboten hatte, denn das war der eigentliche Grund, weswegen sie ein Leben in Isolation führten. Zu viel Angst hatte er davor, dass sein „Juwel“ wie er Flora gerne bezeichnet, auf dem Scheiterhaufen enden könnte. Doch sie ließ sich schon lange nichts mehr von ihrem Vater vorschreiben. Sie zeichnete gerne, vorwiegend nachts, um etwaigen Diskussionen über ihre Sicherheit aus dem Weg zu gehen.


      Heute Nacht würde die Zeichnung fertig werden. Jene Zeichnung, die ihr ihren Traumprinzen schenken sollte. Ihrem Vater würde sie sagen, sie habe ihn verletzt irgendwo gefunden - die Worte hatte sie sich schon seit Tagen gedanklich zurechtgelegt. So war es die letzte Haarsträhne, die ihren perfekten Mann vollendete. Sie hatte sich in ihr schönstes grünes Gewand geworfen, die blonden Haare absichtlich aufwändig geflochten und zur Hälfte offen gelassen. Wie bei all ihren Zeichnungen erschien ein helles Licht und formte sich zu einem Ball aus tausenden Glühwürmchen. Nach und nach nahm der Ball eine größere und passendere Gestalt ein und formte letztlich den Mann, auf den sie im echten Leben wohl niemals getroffen wäre. Das Licht erlosch und vor ihr stand er in seiner ganzen Mannespracht. Mit offenem Mund saß die schöne Flora da und starrte den jungen Mann an. Sekundenlang, ohne ein Wort zu sagen. Als sie sich langsam fassen konnte, schluckte sie erst einmal ihre Überraschung herunter. Natürlich wusste sie, dass alles was sie zeichnete, Realität wurde, aber dass er so echt und so gutaussehend war wie in ihren Träumen, das schien unwirklich für sie. Die Blondhaarige stand langsam und mit einer gewissen Vorsicht auf, strich sich über ihr grasgrünes Gewand, streckte die Brust etwas heraus und räusperte sich kaum hörbar. Ein leises „Hallo“ entwich ihrer Kehle und es war eine sichtliche Überwindung für sie zu lächeln. Viel zu aufgeregt war sie, ihm gegenüberzustehen. Was würde er tun? Sich augenblicklich in sie verlieben? Sie in seine Arme nehmen, seine Lippen fest auf die ihren drücken und ihre Zungen zu einem leidenschaftlichen Kuss vereinen? Oder wäre er doch eher der Gentleman? Würde er sich vor sie knien? Ihr einen Handkuss auf den Handrücken geben und sagen, dass er nie zuvor etwas schöneres gesehen hatte? Jegliche Variationen hatte es in ihren Träumen gegen. Doch das hier war real.
    • Das Erste woran sich Arvid erinnern konnte war dieses seltsame Gefühl. Ein Kitzel und Kribbeln auf seiner Haut und dies war sogar noch bevor er der Zeichnung entsprang. Eine richtige Erinnerung war es nicht, eher eine wage Vermutung einer Erinnerung wie etwas, dass man in frühster Kindheit erlebt hatte und sich nun nicht mal mehr sicher sein konnte, ob dem wirklich so war. Doch eben dieses Gefühl spürte er nun auch und es war noch intensiver. Langsam fühlte es sich an als würden Ameisen seinen Körper entlanglaufen und Feuerspuren hinterlassen, denn es brannte auch etwas, auch wenn er diesen Vergleich sicher nicht gewählt hätte, war er doch so ahnungslos wie ein Baby. Sein Körper brannte förmlich und je intensiver dieses Gefühl wurde, desto heller wurde es um ihn herum. Es fühlte sich an wie eine Ewigkeit und doch waren es in Wahrheit nur wenige Momente ehe er der Zeichnung einsprang und in der realen Welt stand, nicht ahnend was grade mit ihm geschehen war.
      Wenn man aus einer Zeichnung geboren wurde so gab es da nichts woran man sich erinnern konnte. Es gab keine Kindheit und keine Jugend, keine Familie und keine Heimat. So ging es auch Arvid. Er landete in einem Raum und all seine Glieder fühlten sich steif an und vor allem fremd. Es war als würde er in einem Körper stecken, der ihm nicht gehörte, weshalb er nun einige Male den Kopf hin und her wog und sein Blick dabei durch den ganzen Raum schweifen ließ. Was war hier los und wo war er? Doch viel mehr interessierte es ihn wer er war, doch gleichzeitig fühlten sich diese Fragen seltsam an.
      Die Bewegung der Blonden und ihr Räuspern ließen ihn nun seinen Blick direkt auf sie richten. Sah er auch so aus? Ihn beschlich das Gefühl, dass dem nicht ganz so war und so hob er, nachdem er ihre Worte gehört hatte, erstmal seine Hand um sich durch die Haare zu fahren. Sie fühlten sich kürzer an als ihre lange blonde Pracht und schon im nächsten Moment sah er kurz zu seinen Beinen. Seine Kleidung war auch anders. "H-Hallo.", plapperte er nun erstmal nach und drehte den Blick schräg um sie noch weiter zu mustern. "Wer bist du? Und wer bin ich?", fragte er nun doch, denn dieses waren die Fragen, die ihm auf der Zunge brannten und ihn vielleicht von seiner Verwirrung erlösen konnten. Er dachte nicht im Geringsten daran sich vor ihr hinzuknien und wusste immerhin nicht einmal was die Gepflogenheiten dieser Welt waren. Dies war auch der Grund wieso er, ohne auf etwas wie Etikette zu achten, einige schnelle Schritte auf sie zutat um sie genauer mustern zu können. Nun war sein Gesicht nur wenige Zentimeter von ihrem entfernt, doch dies diente wirklich nur dazu um sich ein genaueres Bild zu machen von der Blonden und schon pikste sein Zeigefinger der rechten Hand sie in die Wange.
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    • Vor ihr stand er nur. Jener junge Mann, auf den sie so lange gewartet hatte. Genauso wie sie ihn sich vorgestellt und gezeichnet hatte. Auch wenn sie schon seit jüngster Kindheit wusste, dass alles was sie zeichnete Realität wurde, so erstaunt war sie doch darüber wie echt er war. Sein Haar, die Augen, sogar die Kleidung. Es war alles da. Zwar war sein Verhalten nicht ganz so wie in ihren Träumen, in denen er entweder völlig romantisch agierte oder sie nahm, so wie es ihm gerade in den Sinn kam, doch sein Aussehen stimmt haargenau.
      „I-Ich heiße Flora“, antwortete sie ihm etwas zögerlich, aber mit einem Lächeln auf den Lippen. Die Frage, wer er eigentlich war, darauf antwortete sie ihm nicht, denn sie hatte keine Antwort darauf. Sicher würde er ihr nicht glauben, wenn sie sagen würde, dass er nichts weiter war als eine wahr gewordene Zeichnung. Darum schwieg sie, und während er ihr sehr nahe kam und im Gesicht herumfuchtelte, so als habe er noch nie zuvor einen Menschen gesehen - was sogar vollends den Tatsachen entsprach - wich die Schöne nicht zurück. Sie hatte sich sehr lange auf diese Nacht vorbereitet. Und es war eben nicht nur die Liebe, die sie erfahren wollte, das umsorgt werden und die Schmetterlinge, die sich schon wie ein Schwarm in ihrem Inneren ausbreiteten. Nein, es war auch das körperliche Bedürfnis, welches sie so lange verdrängt hatte. Heute fühlte sie sich schön und begehrenswert. Völlig ohne Scheu striff sie sich den Stoff ihres grünen Kleides mit den goldenen Verzierungen von der Schulter, sodass schnell ihr Oberkörper freilag. Warf man einen Blick auf ihre Kehle, konnte man erkennen, dass sie heftig schlucken musste. Ein deutliches Zeichen ihrer Nervosität, welches sie sonst unter einem Schleier der Tarnung verbarg. Während man ungeschützte Blicke auf ihre wohlgeformten Brüste mit den deutlich abstehenden Brustwarzen werfen konnte, lag ihr Blick durchgehend auf seinen perfekten Augen und Lippen. Sie trat den letzten Schritt, der die beiden noch voneinander trennte, auf ihn zu, stellte sich etwas auf die Zehenspitzen und presste förmlich ihre Lippen auf die seinen - genauso wie in ihren wilden Träumen. Ihre Augen waren geschlossen, um sich ihm und ihrem wahr gewordenen Traum hinzugeben.
    • Unweigerlich stieg die Faszination, die von Flora ausging, für Arvid. Kaum hatte er ihre Haut berührt, da merkte er, dass sich diese sehr warm und weich unter seinen Fingern anfühlte. Auch ihr Name klang für ihn neu und interessant, weshalb er keinen Gedanken mehr an den zweiten Teil seiner Frage vergeudete. Seine Augen erkundeten ihr Gesicht genauer. Musterten ihre blaugrünen Augen und ihre Lippen. Dieser Mann, der noch nie eine Frau gesehen hatte und keine Ahnung von der Anziehung der Geschlechter hatte, war dennoch fasziniert von dem Wesen vor sich ohne es genau erklären zu können. Sie schien auch nichts gegen seine Berührungen zu haben und doch ließ Arvid die Hand langsam sinken. Irgendetwas in ihm sagte, dass es seltsam war was er hier tat.
      Genau folgte sein Blick nun den Bewegungen ihrer Hände und wie sie sich den grüne Stoff des Kleides von ihren Schultern und ihrem Oberkörper streifte. Neugierig über diese Art und Geste beobachtete er ihre Handbewegungen und ließ die Augen über ihre helle Haut streifen, die sonst unter ihrem Stoff verborgen lag. Da sie die erste Frau war, die er sah und somit auch die erste nackte Frau hatte er keine Ahnung wie gut sie aussah und auch keine Ahnung, dass es sie Überwindung kostete, ebenso wie der Braunhaarige nicht wusste, dass es nicht normal war. Nun schloss sie die letzte Lücke zwischen ihnen beiden und ihre Lippen pressten sich auf seine. Es war ein seltsames Gefühl mit einer Mischung aus Unbehagen und Behagen, denn die Wärme fühlte sich gut an und doch war es auch irgendwie seltsam wie sich ihre Lippe auf seiner anfühlte. Seine Augen waren weit aufgerissen in diesem Moment und er starrte sie noch mehr an als eben schon, ehe er etwas den Kopf zurück zog. "Ein sehr seltsames Ritual der Begrüßung.", meinte er und fing nun ebenfalls an seinen Oberkörper zu entkleiden indem er sein Hemd aufknöpfte. "Aber wenn es für Flora normal ist, dann sollte Arvid es wohl auch machen oder?" Der junge Mann wirkte sichtlich verwirrt und ganz und gar nicht wie ein normaler Erwachsener, der begriff was hier vor sich ging.
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    • Flora genoss den Kuss, auch wenn sie über Arvids zaghaftes Verhalten doch mehr als verwundert schien. In ihren Träumen war das ersehnte erste Treffen völlig anders abgelaufen. Entweder leidenschaftlich oder liebevoll in tiefer Verbundenheit. Vielleicht war auch der Grund dafür, dass der junge Mann aus ihren Träumen zu keiner Zeit aus einer Zeichnung entsprungen war, sondern er sie stets im Wald angetroffen hatte. Er war aus dem Nichts erschienen und erst wieder gegangen, als sie ihre Augen öffnete, um ihr isoliertes Leben weiterzuführen. Trotz dem vielen Verzicht, den fehlenden Freunden und Familie war sie ihrem Vater auf einer Seite dankbar. Nicht für dieses Leben, aber für seinen bedingungslosen Schutz und seine Liebe.

      Als der eigentlich Fremde dann zurückwich und eine Bemerkung machte, die fern jeder wohl gewöhnlichen Reaktion gewesen war, und er sich dann auch noch selbst zu entkleiden begann, schien Flora noch verwirrter. Er sah es als Begrüßung? Nichts als leidenschaftliches Tun mit dem Verlangen, sich der Sache einfach wortlos hinzugeben? Seinen Bedürfnissen nachzugehen und die Schmetterlinge in einem Schwarm herauszulassen? Vorsichtig, gar so als wollte sie ihm nicht wehtun, legte sie die Hände auf die Seinen. „Nein, du…“

      Als sie dann ein Geräusch vernahm und wenige Sekunden darauf ihr Name ertönte und sich anfühlte wie ein tiefer Messerstich in ihrer Magengegend schreckte sie auf. In Windeseile zog sie den Stoff, der ihre Schultern bedeckte nach oben. Sie wirkte auf einmal hektisch und angespannt.
      „Komm mit - schnell!“, sagte sie und eilte in Richtung der Hütte, die nicht sehr weit von der Lichtung entfernt lag. Mit einem Gewehr bewaffnet und einer Laterne in der Hand, die etwas Licht in der Dunkelheit spendete, stand Gregor vor der Tür. Er war ein bärtiger, alter Mann, dem man sein Alter und seine Schicksalsschläge deutlich ansah. „Floooora!?“, ertönte seine tiefe, raue Stimme und seine hellblauen Augen suchten nach seiner Tochter.
      „Hier bin ich“, antwortete sie dann, was Gregor dazu veranlasste, die Laterne etwas höher zu halten. Das Gesicht Floras war direkt vor ihm und auch für den fast blinden Gregor gut zu erkennen.
      „Wo warst du!? Du sollst dich doch so spät nicht mehr alleine draußen herumtreiben!“
      „Tut mir leid, Vater. Ich…“
      Als Gregor eine Bewegung hinter seiner Tochter bemerkte, riss er eilig die Laterne ein Stück zur Seite und erkannte den jungen Mann hinter seiner Tochter nur schemenhaft. Blitzschnell richtete er das Gewehr auf den Unbekannten.
      „Wer ist das!?“, fragte er voller Zorn, was unterstrichen wurde durch das tiefe Grummeln des Haus-und Hofhundes. Ein großer, stämmiger Hund mit langem Fell. Ein ebenfalls in die Jahre gekommener Zeitgenosse, der aber noch immer den Hof voller Einsatz mit seinem Leben beschützte.
      „Nicht schießen, Vater! Das ist… Arvid.“
      Der Name, den er sich wohl selbst gegeben hatte.
      „Ich wollte nur nach den Himmelslichtern sehen, Vater. Du weißt doch, dass sie in den letzten Nächten schöner sind als je zuvor. Und da begegnete mir Arvid. Er… er hat keine Erinnerung, wer er ist.“
      „Tja, das tut mir herzlich leid für den Burschen… und jetzt verschwinde!“, entgegnete Gregor weiterhin erbost, noch immer die Waffe auf den jungen Mann vor sich gerichtet. Doch Flora legte ihre Hände auf die Waffe, während sie mutig vor Arvid stand. „Bitte, Vater… du kannst nicht so herzlos sein und ihn einfach wegschicken. Lass ihn zumindest in der Scheune übernachten… nur eine Nacht und morgen sehen wir, was wir mit ihm machen.“
      Gregor zögerte. Eigentlich war der alte Mann kein schlechter Mensch und vermutlich hätte er auch niemals abgedrückt. Aber dennoch traute er dem jungen Mann in keinster Weise. Dennoch ließ er langsam die Waffe sinken.
      „Na gut“, meinte er kurz angebunden und fügte hinzu: „Eine Nacht.“
      „Eine Nacht“, bestätigte Flora dankbar und lächelte breit, als sein Vater dann die Laterne sinken ließ. Er wandte sich ab und ging zurück in die Hütte, beobachtete die beiden aber vom Fenster aus.
      „Komm mit“, sagte sie und ging zur Scheune, die nur ein paar Meter entfernt von der Hütte stand. In jener waren neben zwei alten Gäulern auch zwei Kühe und ein paar Schafe untergebracht. Es roch nach frischem Heu und den Tieren, die aufmerksam wurden, als die beiden die Scheune betraten. Neben den Schafen war ein freier Platz, auf dem am morgigen Tag ein Schwein seinen Platz finden sollte.

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    • Arvid verstand nicht so recht was sie von ihm wollte als sie ihre Hände auf seine legte und „Nein“ zu ihm sagte. Anscheinend hatte er doch etwas falsch verstanden, doch immerhin war sie nicht böse auf ihn. Er musterte ihr Gesicht und zog dabei die Augenbraue leicht hoch. Er erkannte, dass etwas nicht stimmte, doch genau einer Emotion zuordnen und diese auch noch benennen konnte er nicht. Deshalb sagte er nun das Erste was ihm in den Sinn kam: „Deine Hände sind weich und warm.“ Das Gefühl von Haut auf Haut gefiel ihm so viel besser als es eben noch der Kuss getan hatte, doch so genau wollte er es lieber auch nicht ausführen. Langsam kam auch bei ihm dieses Gefühl der Nähe an, jedoch anders als es sich Flora sicher gewünscht hatte. Er sah es noch alles sehr unschuldig und kindlich.
      Als nun jedoch auch er das Geräusch und dann ihren Namen hörte zuckte er unweigerlich zusammen. Immerhin hatte er nicht mit noch mehr Menschen gerechnet oder eher: Er hatte sich darüber keine Gedanken gemacht. Arvids Augen folgten Floras Bewegungen, die den Stoff wieder über ihre Schultern zogen und tat es ihr gleich indem er sein Hemd wieder schloss. Ein wenig schade fand er es schon, dass sie nun scheinbar gehen musste und die beiden sich nicht noch besser kennenlernen konnten. Für ihn war Flora faszinierend und wunderbar. Die Hüllen nun wieder um ihre Körper geschlungen tat er wie Flora ihm sagte und folgte ihr brav. Wie diese andere Person wohl war? Scheinbar war es ja nicht normal sich auszuziehen und Arvid dachte darüber nach wie das Treffen laufen könnte auf dem kurzen Weg zurück zu Floras Vater, der nun erneut rief.
      Da sich der junge Mann nicht auf dem Grundstück auskannte behinderte die Dunkelheit ihn doch sehr in seiner Bewegung weshalb er erst ein bisschen nach Flora den Punkt erreichte an dem George stand und nach seiner Tochter Ausschau hielt. Arvid zuckte zusammen als nun überraschend das Gewehr auf ihn gerichtet wurde und er dazu noch das Grummeln des Hundes vernahm. Er wusste zwar auch hier nicht genau um was es sich handelte, aber irgendwas tief in seinem Inneren sagte ihm, dass von diesem Ding eine Gefahr ausging und er lieber stehenbleiben sollte und dies tat er auch. Arvid atmete flach um ja keine falsche Bewegung zu machen. Das Wort „schießen“ klang auch nach Gefahr und da es in Verbindung mit seinem Namen fiel hoffte er, dass er gleich sich wieder beruhigen konnte, doch schwieg er lieber und überließ Flora erstmal das Reden, denn immerhin kannte sie den Mann vor ihnen.
      Ruhig und immer noch an der Stelle angewurzelt stehend lauschte er der Konversation bis er endlich merkte, dass mehr Ruhe in den alten Mann einkehrte und dieser die Waffe sinken ließ. Arvids Schultern entspannten sich langsam und als er nun hörte, dass er eine Nacht bleiben durfte, da lächelte er. Hätte man ihn verjagt, dann hätte er auch nicht gewusst wohin er gehen sollte, denn immerhin hatte er weder Familie noch ein Zuhause. „Ich danke Euch von ganzem Herzen.“, sagte er und wusste nicht mal woher einen Satz wie diesen kannte, aber dies waren wohl Floras Wünsche und Ideen, die doch beim Zeichnen in sein Unterbewusstsein geflossen waren und langsam an die Oberfläche traten.
      Nun wieder Flora folgend und gespannt wohin sie ihn bringen würde und welche Überraschungen noch auf ihn warten würden sah er sich um, auch wenn kaum etwas zu erkennen war in dem dämmerigen Licht. „Der Mann mag mich nicht oder?“, fragte er nun ruhig als sie die Scheune erreicht hatten. Er klang dabei sehr uninteressiert und teilnahmslos und doch wollte er es wissen um die Menschen besser verstehen zu können. Sogleich fiel aber auch sein Blick auf die Tiere vor ihm und er lächelte sanft. Was er selbst nicht wusste und Flora sicher auch nicht, aber irgendwie mochte er Tiere, weshalb er sogleich zu einem der alten Pferde ging und diesem über die Nase strich. „Bleibst du auch hier?“, fragte er sogleich hinterher und war so voller Fragen, die er noch stellen wollte. „Und ist es normal bei den Tieren zu schlafen?“
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    • Nachdem die beiden die Scheune betreten hatten und ihnen ein Geruch von frischem Heu, Pferd und Schwein in die Nase stieg, machte Arvid wohl seine erste Feststellung: Ihr Vater mochte ihn nicht. Kurz musste die hübsche Flora schmunzeln. In der Tat war der alte Gregor ein sehr schwieriger Mensch. Er trat jedem misstrauisch gegenüber, denn sein größtes Hab und Gut - seine Tochter - zu beschützen, war ihm das Wichtigste. Und Arvid, nun. Er war ein fremder, junger Mann, der einfach so, mitten in der Nacht, auftauchte. Für den fast blinden grau-bärtigen Mann ein Grund, in ihm die Inkanation des Bösen zu sehen, der nur darauf aus war, über seine Tochter herzufallen. Doch bei dem Gedanken daran, konnte die blondhaarige Schönheit ihr Schmunzeln nicht ablegen. So unschuldig wie Arvid dastand und über den Kopf des schwarzen Rappen strich, konnte man ihn eher mit einem kleinen jungen, als einem potentiell gefährlichen Mann vergleichen.
      Auf seine Frage hin, antwortete sie ihm mit einem Lächeln: „Für gewöhnlich schlafen Menschen nicht in einer Scheune.“
      Dann pausierte sie und fuhr kurz darauf mit ihrer Erklärung fort: „Aber du hast wohl keine andere Wahl. Vater würde dich niemals ins Haus lassen. Er ist sehr misstrauisch, was Fremde betrifft. Nimm es bitte nicht persönlich.“
      Sie wandte sich ab und ging zum Scheunentor, legte eine Hand an das Holz und wandte sich nochmal mit halbem Körper Arvid zu.
      „Ich wünsche dir eine gute Nacht, Arvid. Und es tut mir leid für vorhin. Der Kuss… vergiss das einfach, ok? Es ist keine Art der Begrüßung“, erläuterte sie und verließ kurz darauf die Scheune. Sie schien bedrückt, als sie die wenigen Meter zur Hütte zurücklegte. Natürlich brannte eine Laterne. Ihr Vater war noch wach, saß am runden Tisch und trug noch immer das Gewehr in der Hand, allzeit bereit, abzudrücken, sollte sich der Bursche auch nur seiner Hütte nähern. Als das eindringliche Quietschen der Tür verriet, dass jemand eintrat, hielt Gregor hastig die Laterne hoch und konnte das Gesicht seiner Tochter verschwommen erkennen. Seine Glieder entspannten sich etwas, aber er dachte nicht einmal ansatzweise daran, das Gewehr aus der Hand zu legen.
      „Wer ist dieser junge Bursche wirklich?“, fragte er mürrisch und schaute mit seinen hellen Augen, über die ein grauer Schleier gelegt war, in die Augen seiner einzigen Tochter. Diese lächelte sanft, trat näher an ihren Vater heran und legte ihm sanft eine Hand auf die Schulter.
      „Vater, das habe ich dir doch gesagt. Ein verwirrter, junger Mann. Vermutlich hatte er sich den Kopf angeschlagen und kann sich vielleicht morgen wieder an alles erinnern. Ich werde jetzt schlafen gehen.“
      Flora beugte sich zu ihrem Vater herab und drückte ihm einen sanften Kuss auf die Stirn. Ohne ein weiteres Wort ging sie zu der Holztreppe, die zu einer höheren Ebene führte, auf der ein Bett aus Stroh stand, welches die junge Frau ihr Eigen nannte. Aus dem Fenster konnte sie über die Felder blicken. Über die Existenz, die sich ihr Vater über die vielen Jahren, die er nun alleine mit seiner Tochter lebte, aufgebaut hatte. Vermutlich würde Gregor die ganze Nacht, mit dem Gewehr in der Hand auf dem Stuhl sitzend, Wache halten. Während sogar der Haus- und Hofhund Ruhe fand, würde Gregor kein Auge zumachen, in dem Wissen, dass dieser Unbekannte seine Scheune bewohnte.
      Flora lag lange wach. Sie überlegte, drehte und wendete die Dinge, doch letztendlich kam sie zu dem Entschluss, dass es nichts bringen würde. Ihr Vater würde Arvid fortschicken. Sie wäre alleine auf dem Hof und an ihrem Leben würde sich nichts ändern. Sie liebte ihren Vater über alle Maße hinweg, aber sie wollte ihr Leben verändern. Und auch wenn Arvid nicht so war, wie sie ihn in ihren Träumen gesehen hatte, so war er vielleicht ihr Weg in die Freiheit und in ein normales Leben.
      Nach einiger Zeit schien Gregor doch eingeschlafen zu sein. Versunken in seinem Holzstuhl und mit erloschener Laterne saß er da und schnarchte leise. Ein kurzer Blick hinaus verriet, dass das Morgengrau bald anbrechen würde. Somit packte Flora nur das Notwendigste ein, schrieb ein paar Zeilen an ihren Vater. Das Pergament legte sie auf den Tisch, ehe sie einen letzten Blick zu ihm warf. Sicher würde sie ihm das Herz brechen und die Sorge wäre sein Begleiter. Doch Flora konnte und wollte nicht mehr in Isolation leben. Er musste es verstehen. Leise trat sie nochmal an ihn heran. Der Hofhund hatte seinen mächtigen Kopf erhoben, während sie einen letzten Blick an ihm vorbei, auf das groß geschriebene Pergament blickte.
      Lieber Vater,

      ich weiß, dass ich dich damit sehr verletze, aber all mein Leben, bin ich hier bei dir auf dem Hof, fern von allem.

      Ich hatte keine Freunde, keine anderen Menschen.

      Nur dich und unsere Tiere.

      Und bei Gott - ich liebe dich und auch dieses Leben.

      Und ich bin dir in tiefer Dankbarkeit verbunden.

      Aber der Wunsch, mehr zu sein als das, ist so tief in meinem Herzen verankert, dass ich meine Chance nun ergreife und mit Arvid auf Reisen gehe.

      Arvid ist kein böser Mensch.

      Er ist aus meiner Zeichnung entsprungen.

      Es tut mir leid, Vater.

      Ich hatte es dir versprochen und doch, brauchte ich, neben dir, noch einen starken Mann an meiner Seite.

      Von ihm geht keine unreine Seele aus.

      Ich werde ihm das Leben zeigen, soweit ich es kenne, und er wird mein Weg in ein neues Leben sein.

      Mir wird es gut gehen, Vater.

      Und ich werde bald zurückkehren.

      Sicher kann dir Abigail auf dem Hof helfen, solange ich fort bin.

      Trage meine Liebe im Herzen und habe Verständnis für mein Vorhaben.

      Deine Tochter
      Dann wanderte ihr Blick wieder zu ihrem schlafenden Vater. Mit Tränen in den Augen vermied sie es, ihn zu berühren, denn zu groß war die Gefahr, dass er erwachen würde. Ihr Weg führte zu ihrem treuen Hund, zu dem sie sich kniete und ihm sanft über das dicke Fell strich.
      „Pass gut auf ihn und den Hof auf, ja?“
      Dann verließ sie kurz darauf die Hütte. Langsam färbte sich der Himmel in den schönsten Farben. Sie musste sich beeilen. Mit ihrem Beutel und einigen Kleidungsstücken sowie Nahrungsmitteln ausgerüstet, ging sie in die Scheune, in der Arvid friedlich auf dem Heu eingeschlafen war. Sie ging zu ihm, setzte sich und weckte ihn, indem sie ihn sachte am Arm schüttelte.
      „Arvid… wach auf! Wir müssen aufbrechen!“

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    • Die Antworten auf seine Fragen waren logisch und dennoch verwirrten sie ihn etwas. Arvid verstand natürlich nicht was er getan hatte um die Ablehnung von Gregor zu verdienen, denn in seinen Augen hatte er auch nichts falsch gemacht. Er verstand nicht die Intention des Vaters dahinter seine Tochter zu schützen und auch nicht, dass es schon reichte ein Mann zu sein um das Unbehagen auf sich zu ziehen. "Ich verstehe. Ich bleibe hier.", meinte er nun und klang dabei etwas geknickt. Er war noch nicht lange in dieser Welt und doch hatte er schon so viel erlebt, dass nun alles in ihm arbeitete. Arvid wusste noch nicht wie viele Dinge ihn noch erwarten würden. Noch immer streichelte er dem schwarzen Pferd über die Nase als Flora nun langsam ging und ihm noch eine gute Nacht wünschte. Erst nun ließ er von dem Pferd ab und wand sich zu ihr um. "Ich wünsche dir auch eine gute Nacht.", flüsterte er schon fast und hatte nun zwar ein Wort für die Sache, die sie vorhin miteinander geteilt hatten und doch noch immer keine Ahnung was es zu bedeuten hatte. Eine Begrüßung war es immerhin nicht, wie ihm Flora nun versichert hatte, bevor sie gegangen war, und doch war es ihr so wichtig gewesen dies mit ihm zu teilen. Irgendwie fühlte sich Arvid nun doch etwas besonders und doch zugleich auch schlecht, weil er das Gefühl nicht los wurde Flora irgendwie enttäuscht zu haben.
      Der Dunkelhaarige war nun vollkommen alleine mit den Tieren und sah sich um, ehe er die Nische genauer unter die Lupe nahm, die ihm heute Nacht als Bett dienen sollte. Es war natürlich spärlich und nur Heu lag hier rum, doch fing er sogleich an dieses etwas besser zu legen und sich einen bequemen Platz herzurichten, immer genau beobachtet von den Tieren, die immerhin keinen Besuch in ihrem Reich gewohnt waren und sonst auch nur die zwei üblichen Gesichter jeden Tag sahen. Doch selbst nachdem er sich den Schlafplatz eingerichtet hatte war Arvid immer noch nicht müde und so fing er nun an im Stall zu machen was ihm an Arbeit auffiel. Er gestriegelte die Tiere und sah nach, ob es ihnen auch ja an nichts fehlte. Dies tat er auch um sich von all den Gedanken, die ihm in seinem Kopf umher tanzten, abzulenken. Noch immer verstand er nicht was Flora von ihm gewollt hatte und überhaupt was er hier tat. Was sollte er nur machen? Immerhin hatte Gregor ihm ja auch gesagt, dass er nur heute Nacht hier bleiben durfte und dies bedeutete, dass er Morgen einen neuen Ort suchen müsste, wo er bleiben würde. Arvid schüttelte schnell den Kopf und vergrub sich wieder in Dingen, denn wenn er so daran dachte, dann wurde sein Herz irgendwie schwer bei dem Gedanken, dass er Flora wohl nie wieder sehen würde.
      Erst kurz bevor die Sonne sicher schon wieder aufgehen würde merkte er langsam, dass die Müdigkeit in ihm hochstieg und er musste herzhaft gähnen als er sich nun rücklings in sein Heu fallen ließ. Kaum starrte er die Decke an kam ihm wieder Flora in den Sinn. Sie kümmerte sich wirklich gut um ihn und er würde sie sicher vermissen, auch wenn er es noch nicht so genau einordnen und benennen konnte. Unter den Gedanken an sie schlief er schließlich ein bis wenig später ihre Stimme sie weckte und er sie blinzelnd ansah nachdem sie ihn sachte am Arm geschüttelte hatte. Während er sich nun etwas mit dem einen Arm aufstützte rieb er sich mit der Hand des Anderen über die Augen. "Guten Morgen, Flora. Ich bin aber noch so müde.", murrte er leise und war scheinbar kein Morgenmensch, zumindest nicht nach so einer kurzen Nacht. Dennoch stand er nun langsam auf, auch wenn er nicht wollte, denn immerhin hatte sie gesagt, dass sie aufbrechen müssten. "Wo wollen mir denn hin? Kommt dein Vater auch mit?", fragte er und hatte sich doch scheinbar schnell gefangen von seiner Müdigkeit, jetzt wo er die Aussicht hatte noch etwas mehr von der Welt zu sehen und ein Abenteuer zu erleben zusammen mit Flora. Da sie wir gesagt hatte hieß es immerhin, dass sich ihre Wege heute noch nicht trennen würden und er noch ein bisschen länger in ihrer Nähe sein könnte. Schnell fing er nun an sich das Heu von seinem Körper zu klopfen, ebenso wie den Staub, der sich an seiner Kleidung gesammelt hatte vom drauf liegen und außerdem machte es ihn auch wacher sich zu bewegen, während er auf ihrer Antwort wartetet wohin sie gehen würden.
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      "Nein, Vater kommt nicht mit", antwortete sie auf Arvids Frage und wirkte etwas hektisch und aufgeregt, als sie den Sattel nahm, der an einer der Holzwände hing und etwas Mühe dabei hatte, diesen auf dem hohen Kaltblut zu platzieren. Sie befestigte den Sattel und legte dem großen Tier auch das passende Zaumzeug an.
      Phalaras würde ihr Begleiter sein. Das schwarze Pferd hatte schon einige Jahre auf dem Buckel, war aber Floras wichtigster Vertrauter seit Kindertagen an. Die Frage nach dem Wohin, diese konnte die schöne Frau noch nicht beantworten. Das letzte Mal, dass sie sie in einer Stadt war, unter Menschen... da war sie vier Jahre alt. Demnach konnte sie sich nur bruchteilartig daran erinnern. Welche Stadt oder welches Dorf am nächstgelegenen war? Flora hatte keine Ahnung. Aber sie hatte genug Vorrat für ein paar Tage mitgenommen.
      "Komm, wir müssen uns beeilen!", sagte sie und schwang sich mit einer adretten Bewegung auf das große Pferd, nachdem sie sich von jedem einzelnen Tier verabschiedet und die Türen der Scheune zur Freiheit geöffnet hatte. Es wäre kein Abschied für immer. Sie würde zurückkehren, denn es war ihr Zuhause. Aber wenn sie jetzt die Chance nicht nutzte, wann dann? Als Arvid aufgestiegen war, nahm sie die Zügel in die Hand und trieb Phalaras an, der sich in Bewegung setzte und los lief wie ihm geheißen. Das Gallopieren war dem wachsamen Hund nicht entgangen. Sein lautes Gebell weckte Gregor, der noch immer mit dem Gewehr in den Händen auf dem Stuhl schlief. Der alte Mann schreckte auf, stürzte sich noch im Halbschlaf hinaus und sah seine Tochter nur noch fortgallopieren. Sein Blick eilte sogleich intuitiv zur Scheune, deren Türen offen standen. Sein lauter Ruf hallte doch weit durch den Wald und es war ein tiefer Messerstich ins Herz, den die junge Frau dabei empfand. Sie drückte die Zügel fest, während Phalaras durch das Dickicht des Waldes lief. Ihre Augen füllten sich mit Tränen, auch wenn sie wusste, dass dieser Tag irgendwann kommen musste. Verzweifelt ging Gregor wieder zurück in die Hütte, als er den Brief auf dem Tisch fand, den seine Tochter ihm hinterlassen hatte. Zum Glück war es so groß geschrieben, dass er es durch eine Lupe lesen konnte. Er sank zusammen und Tränen liefen seine blassen und hageren Wangen hinab, während das Blatt Papier in seiner Hand nur noch ein zusammengeknüllter Ball war.