The Legend of Starfall [Winterhauch & Nico]

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    • The Legend of Starfall [Winterhauch & Nico]

      Prolog: Schneefall in der Hölle; Ein Addendum

      Ah, werter Freund.
      Eine Freude, dass Sie hergefunden und dies Machwerk mit mir teilen wollen. Nun, da ich alt geworden und meiner Taten überdrüssig bin, möchte ich Zeugnis ablegen über die Geschichten, die mir zugetragen wurden, ehe man sie dem Vergessen anheim stellt. Ich nahm einst eine Feder, zu Zeiten als die Menschheit noch wackelig auf ihren Beinen war und die Sterne gerade gefallen waren. Ach, wie lang ist dies nun her...Und die Feder wiegt schwer in meiner Hand, während sie auf das Papier kratzt. Wenn ich nach draußen sehe, sehe ich den Krieg toben und höre die Bomben und Explosionen. Ich höre die Schreie, wie ich schon so viele in meinem Leben hörte. Und doch werde ich der Geschichten nicht überdrüssig, mein Freund. Ich werde ihrer nicht überdrüssig. Doch langsam ereilt mich das Alter, nicht wahr. Auch Chronisten werden alt und versterben mit den Gezeiten. Sie sehen so viele Untergänge und Sonnen aufsteigen, dass es beinahe eine Art Ritual wird. Tja...Was bleibt mir zu erzählen? Ich könnte hunderte von Geschichten erzählen, die allesamt ihrer Würdigung gerecht werden und doch...
      Heute möchte ich von einer Gruppe von Menschen berichten, die sich durch Mut, Tapferkeit, Gerechtigkeit und einer Prise von Freundschaft auszeichneten. Oh, Dummheit. Ja, auch Dummheit und der Hang zu katastrophalen Entgleisungen gehört dazu. Es ist eine Geschichte über die Suche nach einem Sinn und den Mut, diesen auch zu erkunden. Eine Geschichte, die in Silesia auch viele Jahre nach dem Tod der Protagonisten noch erzählt wird. Zumeist am Feuer oder in der Stube, wenn die Öfen an und die Hirne leer vom Essen sind.
      Ich erzähle euch die Geschichte der Starfall. Einem kleinen Schiff voller Männer und Frauen, die weiter flogen als jeder Andere. Eine Geschichte von Wahrheiten, Freundschaften, Dramatik und dem Verlust. Eine Geschichte von Liebe und Sehnsucht und dem unendlichen Fernweh, das uns alle einmal packt.
      Oh.
      Und Dummheit.
      Eine Geschichte von unendlicher Dummheit.
      Und mit dieser wollen wir beginnen...


      Buch I: Starfall


      Die Splitterreiche
      Hafenstadt Davos (Fürstentum Davos)
      02:33 Uhr



      Ein Pfeifen drang durch die eisernen Fassaden der Hafenstadt Davos.
      Zu einer Zeit, da die Redlichen schliefen und die Unredlichen die Wege bevölkerten, war es nicht unerklärlich, dass Dinge geschahen, die sich der feinen Logik der Menschen entzogen. Und obschon die Menschen von Davos Obszönitäten und gar rätselhafte Ereignisse gewohnt waren, so erstaunten doch einige recht arg, als sie einen Mann in den Straßen erblickten, der ein Bündel hinter sich herschleifte.
      Nun...
      Bündel trifft es nicht ganz, nicht wahr? Seht genau hin. Da! Dort! Könnt ihr es sehen? Einen hochgewachsenen Mann in einem schweren Ledermantel. Der Mantel war wettergegerbt vom Salz der See und vom Eis der Wolken. Spuren von Kämpfen zeigten sich an zerrissenen Stellen und Löchern, die von Kugeln stammten, die man abgefeuert hatte. Gar verwunderlich war es, dass der Körper darunter von einer ungeahnten Grazie war. Der Kopf des Mannes ragte unter einem grässlichen Fischerhut hervor und zeigte zwei helle Augen, die sich argwöhnisch in der Straße umsahen und einen Sack schleiften. Einen Sack, der sich nicht wehrte obgleich die Fracht in dem Jutetuch durchaus von einigem Gewicht sein musste, betrachtete man die Ausbeulungen. Hin und wieder glitt der Sack auf eine der Ausbuchtungen in der Straße, wo die Schienenkarren der Hafenarbeiter fuhren und sogleich bewegte sich der Stoff, als würden Arme herausschlagen und wieder zusammen fahren.
      Der Mann, werter Freund, war Silas Trigg.
      Gesegnet mit einem obszön guten Aussehen und einem ordentlich und adrett gestutzten, beinahe pechschwarzen Bart glitt er unter dem schaurigen Wind, der durch die Straßen pfiff unter den meisten Blicken hindurch. Denn auch wenn es nicht danach aussah, dass dieser fröhlich pfeifende Taugenichts Fähigkeiten jenseits der Norm besaß: Er tat es. Silas Trigg war nicht irgendwer.
      Während er den Sack enger an sich heranzog und mit einem Ächzen den Hafen betrat, seufzte er und zog sich den Hut vom Kopf.
      Darunter kam ein Schopf lockiger, adretter Haare zum Vorschein, die er kurz im Wind schüttelte und sich umsah. Es sollte doch hier sein, oder nicht? Oder war es bereits der dritte Anleger, den er falsch identifiziert hatte?
      "Ei, verfluchter Mist nochmal...", murmelte er und ließ den Sack dumpf auf den Pflasterstein fallen.
      Seinen Flanken erhob sich aus dem Dunkel der Nacht die Fassade des Hafens. Eine prunklose Straße, gebaut aus groben Steinen und verziert mit schweren Holzbalken. Auch wenn die Industrie vieler Orten einen merklichen Teil der Stadt einnahm, so wirkte dieser Hafen beinahe mittelalterlich. Kurz sah Trigg nochmals zu beiden Seiten und riss einen kleinen Zettel aus der Innentasche seiner Jacke. Unverständliche Zeichen offenbarten sich dem Mann und er sah beinahe blind darauf.
      Ehe er begriff, dass er es falsch herum hielt.
      "Ah. Anleger 4. Anleger 4....", murmelte Trigg und griff erneut nach dem Sack hinter sich. "Hab Geduld, meine Liebe...Bald sind wir da."
      Es dauerte eine Weile, bis auch der Mann begriff, dass die Zahl 4 auf die Zahl 3 folgte. Mit der Zielstrebigkeit eines jungen Gottes marschierte er polternd und mit dumpfen Geräuschen in Richtung der Anlegestelle. Wieder und wieder rummste der Sack mit der kostbaren Fracht gegen Bordsteinkanten und herausragende Steine. Wieder und wieder musste Trigg nachziehen und ihn regelrecht über die Straße schleifen. Gott, warum musste er sich immer für diese verfluchten Landgänge melden? Das nächste Mal konnte Ben selbst gehen.
      Noch eben im Begriff, eine Tirade an Geschimpfe zu murmeln, da hielt der Mann plötzlich inne, als er ein großes Schiff vor sich sah.
      Nie hatte die Starfall schöner ausgesehen, mit ihrer herrlich blauen Beplankung und dem wunderbaren Ballon. Auch wenn das alte Schiff durchaus bessere Tage gesehen hatte und das Holz mehr der Fäulnis entfloh, als Standfestigkeit zu besitzen, so war sie doch ein Zuhause für die Mannschaft. Die Seitenflügel waren eingeklappt worden (dilettantisch, wie Trigg befand) und die Maschinenwerke abgeschaltet. Wo sich normalerweise Rauch aus dem Heck des Schiffes schlängelte, sah man nunmehr nur die schwachen Widerscheine einer kleinen Flamme. Vermutlich war der Kapitän noch wach.
      "Heda!"
      Eine Stimme riss Trigg aus seiner Bewunderung und dem recht dümmlichen Sabbern, als er herumfuhr und den mürrischen Augen eines Hafenwächters entgegen blickte. Diese waren in Davos zu seinem Leidwesen recht verbreitet und dienten - wie der Name es sagte - der Sicherstellung des Friedens auf den Hafenstraßen. Dieser hier trug die übliche, schwarze Uniform, die im Dunklen so herrlich gut zu sehen war und besaß ein Abzeichen. Eine Art Stern, die sich auf der Oberseite der Schulter ausbreitete. Ein einfacher Straßenwächter also. Zumeist waren sie nicht schwer bewaffnet. Vielleicht eine Pistole oder einen Schlagstock. Aber aus irgendeinem Grund fragte sich Trigg, warum man eigentlich immer ihn ansprach.
      "Ja, bitte?", fragte er süßlich und trat mit der Hacke an das Holz des Schiffes, das er zu betreten gedachte.
      "Frachtkontrolle, der Herr. Darf man wohl fragen, was Sie in Ihrem Sack mitführen?"
      "Welch obszöne Obszönität, mein Herr!", ereiferte sich der Mann und trat nochmals unauffällig gegen das Seitenholz, sodass es schallte. "Was, in sieben Teufels Namen, geht Sie mein Sack an?"
      "Ich meine Ihren Hintersack! Also den, den Sie mit herum schleppen."
      "Ich schleppe wohl gar nichts. Ich darf aus den Erfahrungen von Dutzend Frauen berichten, dass weder etwas auf meinem Rücken wächst, noch eine Abartigkeit meiner Genitalien vorliegt..."
      "Wer redet denn von Genitalien?"
      "Na Sie! Sie fragen mich nach meinem Sack und meinem Hintersack. Also ich weiß nicht...Weiß Ihr Vorgesetzter eigentlich, was Sie des Nachts so treiben? Also wirklich...Gut bescholtene Bürger zu belästigen...Ich muss doch sehr bitten."
      "Also langsam wirds mir zu bunt. Leer die Taschen aus, Seemann, sonst helfe ich nach...", knurrte der Wächter und zog tatsächlich einen Schlagstock hervor.
      "Und wenn die Argumente vergehen kommt denn Gewalt. Natürlich. Als gäbe es nicht schon genug Gewalt und To-"
      Noch ehe der Wächter an Trigg herantreten konnte, hallte ein Schuss durch die Nacht. Wie ein nasser Sack fiel der Mann in sich zusammen und blieb regungslos auf dem Pflaster des Hafens liegen. Trigg fuhr herum und sah einen schwammrigen Schatten auf der Reling sitzen.
      "Wirds bald? Der Käpt'n ist echt sauer... Du bist vier Stunden zu spät."
      "Hab mich verlaufen. Ich komme."
      Der Schatten verschwand auf dem Schiffsdeck und Trigg griff nach dem Sack, den er gerade so vor der herannahenden Blutlache fort ziehen konnte. Ehe er die schmale Planke betrat, die zum Schiff hinauf führte, sah er zu der Leiche zurück.
      "Gewalt und Tod!"; schimpfte er und nickte. "So nämlich!"
      Ächzend zog er seinen Sack die Planke hinauf und betrat nach einer gefühlten Ewigkeit des Knirschens, Knarrens und Quietschens das Deck der Starfall, auf dem es wie immer nicht nach Rosen roch. Offenbar war der Mechaniker aus seinem Kabuff entstiegen und hatte mal wieder das Bad des Monats vergessen. Zumindest war ihm danach, dass er wistorischen Schweiß zu riechen glaubte.
      Clara Deathvalley trat aus dem Schatten, mit einem Hauch von Schmauch bekleidet. Der Hut auf ihrem Kopf war viel zu groß und wirkte beinahe wie ein zweites gesicht während ihre Augen nach dem Sack schielten.
      "Ist er das?", fragte Clara und versuchte, an Trigg vorbei zu gelangen.
      "Na, na!"; mahnte dieser. "Das ist meine Sache und ja, das ist der Geologe, den Nightingale haben wollte."
      "Bist du sicher?", fragte eine weitere Stimme. Ben Westminster war aus seinem Labor gekrochen und sah aus wie der lebende Tod. Die wenigen Haare standen ihm beinahe zu Berge während die Augen gierig nach dem Stoff geiferten. Als befände sich dort ein Geschenk.
      "Wieso nicht?"
      "Naja...er wirkt so klein...Hatte der Boss nicht gesagt, dass der Geologe recht groß ist?"
      "Ach was!", winkte Trigg ab. "Hab noch was Besseres gekriegt! Schaut, ihr Amateure!"
      Mit einem kurzen Rucken an der Verschlussschnur, welche um den Sack gelegt war, entließ er seine wertvolle Fracht an die Luft. Sollten sie alle staunen, diese Besserwisser!








      @Winterhauch

      The more that I reach out for heaven
      The more you drag me to hell
    • Die Straßen einer Hafenstadt waren mitnichten ein angenehmes Pflaster.
      Eine Tatsache, die auch dem bedauernswerten Inhalt des ominösen Beutels schmerzlich bewusst wurde. Bordsteine und Schlaglöcher versetzten der achtlos gezogenen Fracht in unregelmäßigen Abständen einen unsanften Schlag. Von Zeit zu Zeit erklang ein gedämpften Stöhnen aus dem inneren des Sackes. Der bemitleidenswerte Tropf in seinem Gefängnis aus muffigen Leinen konnte am Ziel seiner holprigen Reise mit Fug und Recht behaupten jede Unebenheit ins Davos' Straßen zu kennen.
      Durch das fadenscheinige Material flimmerte das Licht der Petroleumlampen, die zu später Stunde die Hafengassen mit spärlicher Beleuchtung versorgten. Neugierige Augenpaare hielt es dennoch nicht davon ab, sich zu dem seltsamen Gespann aus Mann und Beute umzudrehen. Zur Hilfe eilte allerdings keine Menschenseele. Bei Zeiten war es klüger sich aus den zwielichtigen Angelegenheiten herauszuhalten und die spitzfindige Nase lieber in die Tür der nächsten Hafentaverne zu stecken.
      Ein besonders unsanfter Stoß gegen den Kopf brachte ein wenig Leben zurück in die bisher regungslose Fracht, als ein Hinterkopf ruckartig von der hölzernen Planke ein paar Zentimeter in die Tiefe rutschte um mit einem dumpfen Aufprall unfreiwillige Bekanntschaft mit den Holzplanken zu machen. Der offensichtlich lebendige Inhalt des Sackes begann sich träge zu Regen und ließ ein lautes, gequältes Stöhnen erklingen. Dabei war es gar unerhört, dass eindeutig die Stimme einer Frau die entfernte Geräuschkulisse des Hafenviertel und seiner Amüsierbetriebe mit all seinem Stimmengewirr und zweitklassiger Musik übertönte. Da stellte sich die Frage welcher unverschämte Unhold es wagte eine zarte Blume auf diese unangebrachte Weise auf ein Schiff zu entführen?
      Der Wortwechsel ging im hektischen Schlagen des eigenen Herzens und dem lauten Rauschen in den Ohren verloren als betäubte Sinne sich langsam aber stetig klärten. Ein erlösender Hauch kühler Nachtluft gelangte in das stickige Gefängnis und es war erstaunlich, wie schnell sich die Person angesichts einer möglichen Gehirnerschütterung herausschälte.
      Zum Vorschein kam als Erstes ein wilder Haarschopf tiefschwarzer Locken, die bis vor wenigen Stunden noch in einem ordentlichen Haarknoten gesteckt hatten. Von der gepflegten Hochsteckfrisur war lediglich ein wirres Vogelnest übrig geblieben. Es benötigte kein scharfes Auge um zu erkennen, dass die junge Frau, die aus dem Sack hervorkroch, alles andere als amüsiert war.
      Florence Cartwright schnappte hörbar nach Luft während sie aus Leibeskräften versuchte den Sack von sich zutreten, dem ein fragwürdiger Geruch nach Fisch und alten Socken anhaftete. Eine Sekunde länger und sie wäre sicherlich erstickt. Die frische Nachtluft linderte den pochenden Kopfschmerz ein wenig und sorgte für Klarheit in dem beständigen Nebel hinter der Stirn. Zum ersten Mal spürte sie das spröde Holz der Planken unter ihren Fingern, ehe sie den Kopf schwungvoll zurückwarf um die störrischen Haarsträhnen im Gesicht loszuwerden.
      Im schwachen Licht der Nacht blickte ein Paar rehbrauner Augen in eine befremdliche Ansammlung verwirrter Gesichter.
      Die beinahe niedliche Stupsnase und die durchaus hübschen Gesichtszüge täuschten nicht lange über die aufwallende Wut hinweg, die hinter den Augen kochte, als Florence hektisch ihre Kleidung abklopfte. Die weiße Bluse mit den kunstvollen Rüschen war längst nicht mehr sauber und das kleine Monokel am Kragen mit dem zarten Goldrand hatte einen unschönen Sprung. Der feingearbeitete Rock aus schwerem, dunklen Stoff war vollgesogen mit dem Brackwasser von Davos und klebte schwer an ihren Beinen. Unschwer die Kleidungsstücke einer vermögenden, jungen Dame, die nichts in fragwürdigen Spielunken zu suchen hatte.
      Der Blick weitete sich, als sie ihre linkes, zu ihrem Schrecken, leeres Handgelenk umfasste und scharf die Luft einsog.
      Florence Kopf flog herum und taxierte die Fremden.
      Bei einem hochgewachsenem Mann mit gepflegtem Bart und zugegeben recht attraktiven Augen erstarrte die Frau. Ein Ruhe vor dem Sturm die lediglich den Bruchteil eines Augenblickes anhielt.
      "Du!", zischte Florence mit aufgebrachter Stimme und stürzte nach vorn. "Du miese, kleine Kanalratte!"
      Vermutlich war es dem Moment der Überraschung geschuldet, dass ein zierliches Persönchen ihrer Statur einen Mann seiner Größe von den Füßen reißen konnte. Mit aller Körperkraft, die Florence aufbringen konnte, warf sie sich gegen ihren Entführer. Sie erkannte sein Gesicht aus der schwummrigen Hafentaverne. Es lag keine Zurückhaltung darin, als sie förmlich auf ihm Platz nahm und an der löchrigen Kleidung zerrte. Suchend und mit fanatischer Hektik wühlte Florence sich durch Mantel- und Hosentaschen und schenkte den anderen Fremden um sich herum keinerlei Beachtung.
      "Wo ist es?", fauchte sie wie eine wildgewordene Katze. "Gib es mir zurück, du dreckiger Dieb!"
      Unter den Fingerspitzen erfühlte Florence neben ihrem offensichtlich gestohlenen Münzbeutel etwas viel Wichtigeres. Triumphierend zog sie ein schimmernden Schmuckstück aus der Innentasche seines Mantels und drückte es gegen ihre Brust. Ein erleichterter Zug schlich sich über ihr Gesicht. Zwischen ihren Fingern lugte ein schlichtes Armband hervor. Zerbrechliche kleine Muscheln aus zartem Weiß waren auf kindliche Art und Weise auf ein Band gezogen worden. Das Perlmutt hatte an Glanz verloren und wirkte abgegriffen. Einige der Muscheln waren angeschlagen und doch sah die junge Frau das Armband an, als gäbe es nichts Kostbareres auf der ganzen Welt.
      Der eisige Wind pfiff ihr um die Ohren und nach einem kurzen Schaudern sah sie sich das erste Mal wirklich um.
      Verwirrung zeichnete tiefe Falten zwischen ihre Augen ehe sie von dem Entführer unter sich zu den anderen Unbekannten sah.
      Das hier war weder der verlotterte Hinterhof einer Taverne noch irgendeine Straße in Davos. Überall um sie herum knarzte es und als sie den Blick nach oben hob, erkannte sie den gewaltigen Bauch einen Zeppelins.
      Hastig streifte sie das geliebte Schmuckstück über ihre Hand und fasste unwirsch nach dem Kragen des dreisten Diebes.
      Und Entführers. Und Grobians.
      "Wo zum Teufel hast du mich hingeschleppt?", verlangte Florence zu wissen.
      “We all change, when you think about it.
      We’re all different people all through our lives.
      And that’s OK, that’s good, you gotta keep moving,
      so long as you remember all the people that you used to be.”
    • Wenngleich das Geschehen die meisten Mitglieder der Starfall-Crew doch recht sprachlos einher ließ, so huschte doch der Geist des Lebens durch ihre Gesichter, als Florence sich aus dem groben Stoff befreite.
      Die Blicke der Mannschaft senkten sich auf die junge Frau, die sich gerade befreit hatte und wirkte doch ein wenig verwirrt. Clara Deathvalley erlaubte sich ihrerseits sogar ein leichtes Schnauben, als sie begriff, dass es tatsächlich eine Frau war, die dort auf den rauen Planken des Schiffs stand.
      Ben Westminster indes grinste breit als er sie von oben bis unten herab betrachtete und wirkte nicht unangenehm überrascht, dass ihr Gast offensichtlich genug an den Füßen hatte, um sich derart wunderbare Stoffe leisten zu können,. Vielleicht ja doch ein Hauptgewinn, nicht wahr?
      Doch das lebendigste Gesicht erlitt Trigg.
      Der junge Mann blickte eine Sekunde lang stolz zu seinen Kameraden, ehe seine Welt kippte. Nun, man muss dazu folgendes wissen: Silas Trigg wuchs in einem Slum in der wildesten Stadt des Herzlandes auf. Seine Eltern waren Fabrikarbeiter in einer großen Fertigungshalle und sein Vater hielt sich mit kleineren Gaunereien über Wasser. Weshalb ich das berichte? Nun, werter Freund, ich möchte dir verdeutlichen, dass Silas Trigg mitnichten ein unerfahrener Kämpfer war. Seit seinem siebten Lebensjahr kämpfte er sich durchs Leben und war es gewohnt, geschlagen, getreten oder gar gänzlich verhauen zu werden. Mit den Jahren eignete sich der junge Mann einen Grad der Geschicklichkeit an, der ihn sogar bei Admirälen gefürchtet machte, welche die Starfall zur Kontrolle gezwungen hatten. Aufgrund seines Geschicks mit seinem Messer und der Tatsache, dass sein Abzugfinger präziser als so manches Uhrwerk erschien, hatte man ihm den Spitznamen "Doppelfinger" gegeben. Im Eingedenken der Tatsache, dass er zeitgleich töten wie stehlen konnte.
      Doch die junge Florence, deren Wut so berechtigt wie erbarmungslos erschien, verbrachte das Unmögliche.
      Silas Trigg lag am Boden. Geschlagen und wehrlos hob er beinahe erstaunt die Hände vor sein Gesicht während sich neugierige Finger an seinem Körper entlang tasteten.
      "Oh, ah!", stöhnte er gerade zu und versuchte sich den Annäherungsversuchen zu erwehren, ehe die junge Dame gefunden hatte was sie suchte,.
      Das Armband, dass er ihr entnommen hatte, als er sie in den Sack verfrachtete. Es waren doch nur Muscheln!
      "Hey hey!", tönte Ben und preschte vor.
      Just in dem Moment als er eine Hand auf die schmale Schulter der Dame legen wollte, um Trigg von seiner Last zu befreien, schoss Clara an ihm vorbei und wirkte wie ein wiedererwachter Derwisch aus dem Süden. Mit einer geschmeidigen Bewegung glitt sie um den wehrlosen Trigg herum und riss eine Pistole aus ihrem Halftergurt der Hüfte.
      Das Werkzeug erschien klobig und schwer in ihrer Hand. Feinste Bronzearbeiten kaschierten hinter ihren Ornamenten eine komplizierte Maschinerie, die auf Dampfdruck basierte. Die Knarre besaß eine Durchschlagskraft, die selbst kleinere Dielen durchschlagen konnte, wenn man sie recht ausrichtete.
      Doch jetzt war sie nicht für die großflächige Zerstörung gedacht. Mit der Gelassenheit einer Jägerin hielt Clara Florence die Waffe in Höhe ihres Scheitels vor und murmelte:
      "Reicht jetzt auch...Lass ab, sonst fällt dir was ab, Schätzchen."
      Mitnichten eine leere Drohung.
      "Solltest auf sie hören", seufzte Ben. "Gott, wenn der Kapitän das sieht..."
      Trigg schien erst nach einer Sekunde wieder zu erwachen und regte sich nur schwerlich unter dem eisernen Griff der jungen Lady. Herrgott, warum waren die Frauen von Davos so unfreundlich? Erst die Dirne und nun sie...
      "Beruhige dich, Liebes", begann Trigg und versuchte sich an einem gewinnenden Lächeln. "Du bist auf der Starfall. Und das Brokathemd war teuer. Also bitte lass mich los."


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    • Zuweilen entwickelten Menschen erstaunliche Fähigkeiten. Dafür benötigte es lediglich eine ausreichende Menge an Verzweiflung, oder in Florence’ speziellem Fall, eine ordentliche Portion an Wut. Das hitzige Gefühl ermöglichte es einen Mann niederzureißen, der größer, stärker und offensichtlich über einiges an Geschick verfügte. Allerdings machte es die Kartografin nicht schnell genug um einer tödlichen Kugel zu entgehen.
      Florence spürte den kühlen Lauf der Pistole wie ein unheilvolles Frösteln in der Luft noch bevor die Drohung die Luft durchschnitt.Das Gefühl einer Waffe, die unmissverständlich auf den eigenen Kopf zielte, verfehlte seine Wirkung nicht. Die aufgebrachte Frau, die zuvor wie eine wutschnaubende Löwin über dem Dieb thronte, hielt augenblicklich still. Die verkrampften Finger am Kragen zuckten unschlüssig darüber, ob sie loslassen oder den Versuch wagen sollten den ungehobelten Entführer zu erwürgen. Und das möglichst schneller, als eine Pistolenkugel den Schädelknochen durchbohrte.
      „Fass mich nicht an.“, zischte Florence in Richtung der ausgestreckten Hand, die sich im Augenwinkel langsam den zitternden Schultern näherte.
      Das schmerzhafte Pochen in ihrem Hinterkopf rückte mit jeder verstreichenden Sekunde ein wenig mehr in den Vordergrund während das Adrenalin in den Adern langsam abklang. Die verschwommenen Konturen des äußeren Blickfeldes gewannen an Schärfe und die kühle Brise der Nacht fühlte sich auf der Haut an, als wäre Florence in ein Fass mit Eiswasser getaucht worden.
      Vorsichtig hob die mittlerweile zitternde Frau das Kinn ein wenig an und blickte tatsächlich in den unheilvollen Pistolenlauf, der nun direkt zwischen ihre Augen zielte. Wie in Zeitlupe löste Florence die unnachgiebigen Finger aus dem Brokat des Kragens und hob die Hände in beschwichtigender Geste nach oben. Sieh her, sagte die Geste, ich hab ihn losgelassen.
      Aus eigener Kraft stemmte sich Florence wieder auf die wackeligen Beine, aber nicht ohne vorher ein letztes Mal in den geöffneten Mantel des Diebes zu greifen um den kleinen Lederbeutel mit Münzen wieder an sich zunehmen. Ächzend stützte sich die Frau mit den wilden Locken mit den Händen auf ihren Knien ab, ehe sie mit einer Hand über den schmerzen Hinterkopf fuhr. Etwas blieb an den Fingerkuppen kleben, warm und zäh.
      „Liebes!?“, wiederholte sie knurrend. „Du hast mich niedergeschlagen! Also nenn mich nicht Liebes.“
      Florence führte die befleckten Fingerkuppen vor ihr Gesicht und entdeckte im spärlichen Licht der Nachstunden tatsächlich einen dunklen, feuchten Schimmer. Der metallische Geruch von Blut stieg ich in die Nase und eilig wischte sie die Hand an ihrem ruinierten Rock ab. Sie konnte es nicht fassen. Der Mistkerl hatte ihr wirklich Eins übergezogen. Mit zusammengepressten Kiefern versuchte sie vergeblich den Dreck von Davos Straßen von ihrer Bluse zu klopfen und betrachtete das zersplitterte Monokel, das wohl nicht mehr zu retten war.
      Zugegeben, langsam wurde Florence schwindelig.
      „Starfall…“, murmelte sie nachdenklich und als es endlich die Erkenntnis durchsickerte, sah sie mit großen Augen auf einen Teil des chaotischen Haufens, der sich Mannschaft nannte.
      „Oh nein! Nein, nein, nein…“, stieß die Kartografin hervor und ging ein paar Schritte rückwärts. „Um eins klarzustellen: Ich bleibe nicht eine Sekunde länger auf diesem Schiff! Nur über meine Leiche!“
      Eine Sekunde verging und Florence fasste den vermutlich törichten Entschluss, von diesem Schiff zu fliehen und wenn nötig auch über die Reling zu springen.
      Die entführte Frau wirbelte auf dem Absatz herum und hechtete mühevoll mit den vollgesogenen, nassen Röcken in Richtung der Planke, die sie zurück auf festen Boden führen würde.
      “We all change, when you think about it.
      We’re all different people all through our lives.
      And that’s OK, that’s good, you gotta keep moving,
      so long as you remember all the people that you used to be.”
    • Es brauchte eine kleine Weile, bis die Mitglieder der Mannschaft begriffen, was diese junge Frau nun wieder ausheckte. Sie glich einem unruhigen Frettchen aus dem Herzland, das sich nach einem heilsbringenden Loch umzuschauen suchte. Ben Westminster riss seine Hand zurück als die junge Frau sich ereiferte und betrachtete sie kurzzeitig wie einen Fremdkörper. Was war denn an dieser, seiner Hand so schlimm, dass man keine Berührung wollte? Wer wollte denn keine Berührung?
      Zufrieden senkte Clara die Waffe und seufzte, während Trigg sich am Boden wand und es nicht lassen konnte, wieder und wieder unter den Rock linsen zu wollen. Was sollte er tun? Er war ein einfacher Mann. Laut dem Kapitän so einfach, dass es an maßlose Dummheit grenzte, aber zumindest einfach. Selbst das Geschimpfe der jungen Frau schien ihn beinahe gänzlich unbeeindruckt zu lassen. Vielmehr echauffierte sich Trigg, als sie ihm Gewalt vorwarf.
      "Also ich muss bitten, werte Lady!", empörte er sich und zog geräuschvoll die Nase hinauf. "Was hätte ich anderes tun sollen? Du hast mir den Finger gezeigt und mich getreten als ich dich bat mit mir zu kommen und dein Versprechen meinem Kapitän gegenüber einzulösen. Der Hilferuf war nicht weit weg also habe ich getan, was getan werden musste!"
      "Gut, wie wäre es, wenn wir jetzt einfach ruhig bleiben und - "
      Claras Worte verhallten wie ein Echo in lauer Frühlingsluft als die junge Frau in keiner Sekunde Abstand zu ihrem erneuten Ausbruch wie ein angestochenes Wildschwein losrannte.
      "Na fantastisch...", seufzte Deathvalles und zog erneut die Waffe hervor.
      Schwer wog das Haupt, das die Verantwortung für diesen Scheißhaufen von Luftpiraten trug. Sachte legte sie mit ihrer Waffe an und schnalzte mit der Zunge. Ehe sie die Kanone ein Stückchen nach links zog.
      Der Knall der Pistole rauschte wie ein Messer durch das Tuch der Nacht und zerschnitt den Frieden, der auf dem schmutzigen Hafen lag. Neben der fliegenden Frau explodierte der obere Teil der Holzreling und splitterte farbenfroh in alle Richtungen.
      "War Absicht!", rief Clara, ehe Trigg wieder dusselige Bemerkungen machte. "Der Nächste sitzt, Schätzchen. Also stehen bleiben und Hände hoch, ehe mir das Fingerchen ausrutscht!"
      "Clara, vielleicht sollten wir diploma-"
      "Halt die Klappe, Westminster!", schnaubte die junge Frau und blickte zu der jungen Geologin, die wie ein Wunder stehen geblieben war. "Ich hab die Schnauze voll von eurem bekloppten Diplomatiescheiß. Der Kapitän wollte einen Geologen, jetzt haben wir einen. Also macht die Leinen los und weckt diesen Spinner von Mechaniker, damit er die Holzdinger hier repariert."
      Westminster duckte sich mit jedem Halbsatz, den die junge Frau von sich gab immer mehr zur Seite weg. Gott, war sie aufbrausend, wenn sie keinen erschießen durfte. Und wie laut sie wurde, wenn sie sich echauffierte. Man konnte beinahe meinen, ihre Stimme durchdrang die Stille der Nacht wie eine Kanone das -
      RUMMS
      Erneut schoss sie in die Luft und sprengte auf die zweite Seite der Reling neben Florence ab.
      "Nur als Warnung", murmelte sie und leckte mit der Zunge über ihre Lippen.
      Erst danach wurden ihr die Schritte bewusst, die über das Deck hallten.
      Westminster duckte sich direkt zur Seite fort und verschwand im Halbschatten der Reling, ein Stück zu Florence hin. Trigg ließ sich auf den Rücken fallen und blickte in den kalten Nachthimmel, der keinen Stern zu zeigen wagte. Nur Deathvalley betrachtete noch immer ihr Werk mit einem Anflug von Stolz, als sie eine schwere, große Hand auf ihrer Schulter merkte.
      Und einen eisigen Schauer, der ihr über den Rücken, in die Lenden und die Fußspitzen kroch. Ein schläfriges, unrasiertes und doch recht markantes Gesicht zeigte sich neben ihr und wirkte beinahe übermäßig zornig.
      Das braune Haar lag in einem adretten Kurzhaarschnitt und das locker sitzende Rüschenhemd passte nicht zur grobschlächtigen Erscheinung. Der Mann war großgewachsen, überragte selbst Trigg um ein paar Zentimeter und kratzte sich über den rauen Dreitagebart, den man schon vor einigen Tagen hätte rasieren sollen. Die dunklen Augen hefteten sich auf seine bemitleidenswerte Crew und eine Frau, die abzuhauen ges-
      Eine Frau?
      Liam Nightingale galt unter den meisten Händlern wie Hehlern als unfreundlich, aufbrausend und gar cholerisch. Legendär waren seine Auftritte auf den Nebelinseln, wo er einem Fürsten angeblich sieben Mal den Kopf abgeschlagen hatte, weil dieser sein Schiff verhöhnte. Und nun war eben jedes Schiff, welches das Herz des Kapitäns ausmachte, mit zwei neuen Löchern gesegnet. Und einer Frau, die aussah wie der lebende, fransige Tod.
      Und natürlich Trigg. Es war immer Trigg.
      "Würde mir einer von euch hirnlosen Regenwürmern einmal erklären, was hier eigentlich los ist? Da liegt man in seiner wunderbaren Kemenate und schläft den Schlaf der Gerechten und beinahe Sekunden später höre ich Geschrei und wie eine Irre zwei Löcher in mein Schiff ballert..."
      "K-Käptn, ich...Ich kanns wohl erklären", murmelte Clara und sah ihn nervös grinsend an. "Also diese Frau, sie...Sie griff Trigg an und dann ist sie geflohen und ich wollte-"
      Mit einer Handbewegung brachte er Clara zum Schweigen und sah zu Ben.
      "Die Planke."
      Westminster nickte und eilte in Florences Nähe, um ihr vor der Nase die Planke einzuholen. Scheppernd und knarrend zog er das blanke Stück Holz über das Deck und verrichtete sieben neue Kratzer auf dem Deck, die der Kapitän mit einem Seufzen und einem Stützen seines Kopfes auf seiner Hand kommentierte.
      "Trigg..."
      Trigg lag noch immer auf dem Rücken und sah seinen Kapitän an.
      "Ich fühle mich benutzt...", wisperte er mit bebender Unterlippe.
      "Ich schwöre dir, irgendwann nagele ich deinen faulen Arsch an den Mast und mache daraus ein Ködernetz. Würde mir jetzt mal irgendwer von euch Idioten erklären, wer zum Geier diese Frau eigentlich ist?"
      Beinahe anklagend wies er zu Florence und sah sie mit unverhohlener Abneigung an.

      The more that I reach out for heaven
      The more you drag me to hell
    • Ein ohrenbetäubender Knall durchbrach die fragwürdige Idylle von Davos‘ Hafenviertel und hinterließ ein unangenehmes Fiepen auf den Ohren.
      Reflexartig riss Florence die Arme vor das Gesicht, um sich vor den herumwirbelnden Holzsplittern zu schützen. Die spitzen Geschosse aller Formen und Größen durchschnitten die Nachtluft in alle Himmelrichtungen und verfingen sich in den unordentlichen Locken. Damit sah der tiefschwarze Haarschopf endgültig wie ein missglücktes Vogelnest aus.Augenblicklich blieb die Kartografin wie angewurzelt stehen und das nur wenige Zentimeter vor dem ersehnten Weg in die Freiheit.
      Flüchtig schielte Florence über den erhobenen Unterarm in Richtung der eindeutig verrückten Frau, die sie mehr als entnervt anstarrte. Allerdings fing etwas gänzlich anderes ihre Aufmerksamkeit ein.
      Der Blick rückte vom rauchenden Pistolenlauf wieder in das Gesicht der gereizten Schützen, deren Geduldsfaden offensichtlich bereits überspannt war.
      „Geologe?“, flüsterte sie ungehört.
      Eine schwindelerregende Erleichterung erfasste Florence, als es ihr bewusst wurde, dass es sich um eine idiotische Verwechslung handelte. Der Tölpel mit dem kostspieligen Brokathemd hatte die falsche Person erwischt. Sie war Kartografin! Das Gefühl hielt allerdings zu ihrem Bedauern nur kurzweilig an. Ein zweiter Schuss entlockte der jungen Frau letztendlich einen erschrockenen Aufschrei, der, wäre er nicht im Lärm des Schusses untergangen, sicherlich dazu in der Lage gewesen wäre, das ganze Hafenviertel alleine zu wecken.
      „Herrgott, ich hab’s verstanden!“, fauchte Florence und senkte langsam die Arme hinab, während sie aufgebracht vor sich hin murmelte: „Verrückte…völlig irre…“
      Beiläufig wischte sich die Frau zahlreiche Holzsplitter von Armen und rieb sich mit angespannter Miene über das linke Ohr, in dem sie einen stetigen und schrillen Pfeifton hörte. Ohne aufzublicken zupfte sich Florence Überbleibsel des Schiffes aus den Haaren und fluchte leise.
      „Offenbar liegt eine Verwechslung vor“, versuchte sie es. „Wenn euer Freund mit dem Spatzenhirn zwischen den Ohren vernünftig aufgepasst hätte, wüsste er, dass ich keine Geolo…“
      Die urplötzliche Stille veranlasste Florence dazu ihren Wortfluss zu unterbrechen. Die Ruhe war dermaßen befremdlich, dass sie sich nicht einmal daran störte, wie der Mann mit der merkwürdig abstehenden Frisur in ihre unmittelbare Nähe rückte. Die gesamte Atmosphäre an Deck veränderte sich innerhalb weniger Sekunden und als sie endlich den Blick hob, erkannte sie auch, warum.
      Der Umstand, dass selbst die Schützin mit dem fragwürdigen Temperament, ein Stückchen vor Respekt schrumpfte, verhieß nichts Gutes.
      Offenbar hatten der Lärm und das Durcheinander den Kapitän des Luftschiffes aus seiner Kajüte gelockt.
      Unter Protest ließ sich Florence ein kleines Stückchen bei Seite schieben, damit der Mann mit dem klangvollen Namen Westminster, die rettende Planke und ihren sichersten Fluchtweg einholen konnte. Atemlos von der Anstrengung und dem Schwindel lehnte sich die Frau gegen den unbeschädigten Teil der Reling.
      Die Abneigung, die ihr entgegenschlug, beruhte innerhalb des Bruchteils eines Augenblickes auf Gegenseitigkeit. Mit geschmälerten Augen betrachtete sie den Kapitän und weigerte sich vor diesem zu kuschen, wie es offenbar der Rest der Anwesenden üblicherweise tat. Florence musste zugegeben, dass der hochgewachsene Mann mit den ansehnlich, breiten Schultern um die sich das Hemd spannte eine gewisse Verwegenheit ausstrahlte.Keine Attraktivität der Welt konnte über den abfälligen Ton hinweg trösten.
      Mit einem gedehnten Seufzen fuhr sich Florence durch das Gesicht.
      „Schön.“, murmelte sie in ihre Handflächen und warf schließlich den Kopf zurück. „Karten auf den Tisch. Wenn ich mich auf der Starfall befinde sind Sie Käpt’n Nightingale, richtig?“
      Mit weniger Grazie als ihr lieb war, stieß sie sich von der Reling ab und hätte sich dabei fast in den schweren Rücken verfangen.
      „Verstehe ich das richtig, dass dieser Mann hier.“, sie deutete mit einem Kopf nicken auf den Mann namens Trigg und verschränkte die Arme mürrisch vor der Brust. „…einen Geologen aufs Schiff bringen sollte? Zu welchem Zweck ist mir herzlichst egal und nicht von Belang, aber es gab ein Missverständnis. Ich bin keine Geologin. Mein Name ist Florence Cartwright und ich bin Kartografin auf dem Forschungsschiff Leviathan. Problem geklärt, nicht wahr? Sie wollen mich nicht hier und ich will nicht auf diesem fauligen Kutter sein. Also wären Sie so gütig die Planke wieder herunter zulassen, dann verschwinde ich und Sie sind mich los.“
      “We all change, when you think about it.
      We’re all different people all through our lives.
      And that’s OK, that’s good, you gotta keep moving,
      so long as you remember all the people that you used to be.”
    • Mit dem letzten Satz der jungen Frau wurde es still auf dem Oberdeck der Starfall.
      Ungeschrieben stand das Gesetz, dass die Starfall, geliebter Ranzschuppen vergangener Ingenieurskunst. Das einzige Segelschiff der letzten 200 Jahre, das man in ein Luftschiff hatte umbauen können, war die Heimat so Vieler geworden. Jede Diele, jede schaumschlagende Falte und unabgedichtete Bohle erzählte die Geschichte so vieler grandioser Kameraden, die gingen, starben oder blieben. Das Flattern des Windes, wenn es sich an diesem grässlichen Ballon brach, den Trigg ausgesucht hatte. Einen Hai, weil das stark wirkte. Liam war noch immer nicht darüber hinweg, dass sein wunderbares Schiff mit einer derartigen Scheußlichkeit verschandelt worden war, da kam eine junge Frau auf sein Schiff - uneingeladen mochte er meinen - und beschimpfte dies wunderbare Machwerk begehrter Ingenieurskunst als "faulig".
      In der gleichen Sekunde nahm Westminster Abstand, nachdem er das schwere Brett mit einem Rumsen auf das Deck fallen ließ. Trigg wurde weiß im Gesicht und legte die Hand an die Lippen, während Clara den Kopf hängen ließ.
      "Sie ist geliefert...", murmelte sie.
      "Eine tote Frau", bestätigte Trigg nickend. "Und so schön..."
      "Darf ich ihre Leiche haben?"
      "Halt die Klappe, Ben!", antworteten beide unisono, während Liam mit langsamen, schweren Schritten in Florences Nähe ging.
      An seiner Stirn war eine Ader hervorgetreten und das linke Augenlid begann nervös zu zucken. Er hasste den Umstand, dass er seine Knarre auf dem Beistelltisch in seiner Kajüte gelassen hatte und war einen Moment lang versucht, herauszuarbeiten, ob man ein heraus gedrücktes Auge und den Sehnerv als Strick verwenden konnte.
      "Du verstehst richtig", bestätigte er mit langsamer schwerer Stimmlage. "Du bist an Deck der wunderbaren Starfall und nicht auf einem - wie nanntest du es? - fauligen Kutter. Dieses Schiff hat 200 Jahre Geschichte hinter sich und bereitsOrtegesehen, diedumitdeinemwahnwitzigangesehenenHochmutnichtmalerträumenkönntest,wenn-"
      "Liam!"
      Triggs mahnende Stimme glitt durch die Nacht und seufzend richtete er sich auf.
      "Du musst verzeihen Liebes. Der Kapitän ist ein wenig verliebt in diesen Kahn."
      "Trigg."
      "Ja, mein Herr und Gebieter?"
      "Halt den Rand, sonst nimmst du die nächsten Tage Flüssignahrung zu dir", murmelte Nightingale ohne Trigg auch nur anzusehen. "Zurück zu dir, Ms Cartwright. Der Zweck des Ganzen soll dein Problem nicht sein. Eine Tatsache ist aber interessant..."
      Nachdem er geendet hatte, wirbelte er zu Trigg herum und packte ihn grob bei der Jacke.
      "Hey, der Brokat!"
      Mit einem Ruck, der einer merkwürdigen Kraft innezuwohnen schien, riss er den jungen Mann auf die Beine und schleifte ihn vor Florences Antlitz.
      "Sieht diese Frau aus wie ein Mr Herbert Gunter?", fragte er Trigg zischend. "Einem promovierten Geologen und Steinexperten?"
      "Nun...Also...In der Taverne hat sie behauptet..."
      "Das ist mir völlig egal, du hirnloser Kretin!", donnerte Nightingale. "Beantworte die Frage! Habe ich hier Herbert Gunter vor mir?!"
      Einen Moment dachte Trigg offenbarg darüber nach, seinen Kapitän entsprechend zu belügen. Diesem standen jedoch die Tatsachen entgegen, dass Florence mitnichten ein Mann war und zeitgleich nicht Herbert hieß.
      "Sie saß mit ihm am Tisch!", ereiferte sich der Dieb. "Sie saßen am Tisch und haben getrunken! Ich dachte, ich nehme den, der als letztes vom Tisch kippt. Dachte sie unterhalten sich über Steine! Liam, du musst es entschuldigen, ich hatte zu tun, ich...Also da war diese Schankdame, weißt du noch? Ashley! Sie war wieder mal wunderschön und sie brachte mit ein Getränk und wir haben geredet und geredet und dann hab ich sie auf dem Abort vernascht und als ich zurück kam, da saß diese Ms Wieauchimmer am Tisch und lachte über den halbtoten Geologen!"
      "Und da hast du sie eingepackt?", fragte Liam und seufzte.
      "Ja!"
      "Ben!"
      "Ja, Käptn?"
      "Hol meine Knarre."
      Eilig und ohne ein Wort verschwand der Doktor mit schnellen Schritten in Richtung der Kajüte auf dem Mitteldeck.
      "Gut...", murmelte Liam und ließ Trigg fallen ("Aua! Grobian!"). "Offenbar haben Sie Recht und es gab eine Verwechslung. Jedoch - und ich muss zu meinem Leidwesen darauf bestehen - kann ich Sie nicht von Bord lassen. Wir ankern illegal hier und ich vertraue nicht mal den eigenen Hosen an meinem Hintern. Von daher verbleiben Sie hier an Bord, bis wir sichere Gewässer erreichen. Sodann werden wir Sie aussetzen! Bis dahin werden Sie hier nichts anfassen, nicht rumzetern, nicht schimpfen oder meine Leute anfassen. Verstoßen Sie gegen eines, mache ich mir aus ihrem Kopf einen Trinkbecher, verstanden, Ms Florence Cartwright von Woauchimmer?"

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      The more you drag me to hell
    • Rückblickend erfüllte es Florence mit wenig Stolz, als sie unwillkürlich einen Schritt zurückwich und mit der Hüfte unsanft gegen die Reling stieß als sich ein recht erboster Kapitän in ihre Richtung stapfte. Jedem Schritt wohnte eine unterschwellige Drohung inne. Mit ihrem unbedachten Mundwerk hatte die Kartografin ohne Zweifel einen sehr empfindlichen Nerv getroffen. Die geschockten Gesichter der anwesenden Mannschaftsmitglieder untermauerten den Verdacht zu ihrem Leidwesen. Bevor eine weitere Salve an unüberlegten Worten auf den ohnehin missgelaunten Mann abfeuern konnte, biss sich Florence widerwillig auf die Zunge.
      Zähneknirschend sah die junge Frau zu Nightingale herauf und ärgerte sich darüber, dass sie den Kopf zurücklegen musste, um ihm weiterhin mit deutlichem Missfallen in die Augen sehen konnte. Das Gefühl unbedeutend und winzig zu sein löste eine ungewollte Welle aus Erinnerungen an ein liebloses Haus in Wesyn aus sowie an den stechenden und abschätzigen Blick eines Mannes, in dessen Augen sie nie gut genug gewesen war. Ein träumerischer Freigeist, der weder die nötige Grazie besaß noch die gesellschaftliche Anerkennung der von allen geliebten älteren Schwester. Adelaide war Zeit ihres Lebens perfekt und ein Musterbeispiel für Tugend gewesen.
      Für Florence allerdings gab es dafür nur eine logische Erklärung, obwohl sie ihre Schwester ohne Zweifel liebte:
      Adelaide war mit dem gewaltigsten Stock im Arsch geboren worden, den ganz Silesia je gesehen hatte.
      Ein amüsiertes, wenig damenhaftes Schnauben erklang bei dem Kommentar den Trigg einwarf und sie glaubte sofort, dass Liam Nightingale eine sehr innige Beziehung zu seinem Schiff führte. Florence konnte nicht verhindern, dass ihre Mundwinkel im Anflug eines amüsierten Grinsens zuckten. Dabei sollte es letztendlich auch bleiben.
      Mit einer seltsamen Mischung aus purem Trotz und einer Prise notwendigem Überlebensinstinkt versuchte die Kartografin sich möglichst ruhig zu verhalten als würde sie einem tollwütigen Wolf gegenüberstehen, der lediglich auf eine falsche Bewegung gierte. Florence konnte Liam geradezu ansehen, dass er im Kopf bereits mehrere Szenarien durchspielte, wie er sie ruhig stellen konnte. Den Gefallen wurde sie diesem eingebildeten Gockel nicht tun.
      "Vielleicht sollten Sie das nächste Mal jemanden für eine Entführung abstellen, der nicht jedem erstbesten Rock hinterher gafft.", grummelte Florence und schielte Trigg genervt von der Seite an. "Und es heißt Cartwright. Ist es zu viel verlangt, dass du dir wenigstens meinen Namen merkst, wenn du mich schon bewusstlos durch die Gossen schleift wie ein Höhlenmensch?"
      Ein wenig Mitleid hatte sie dennoch mit dem armen Trigg, der voll und ganz davon überzeugt war, das es eine hervorragende Idee gewesen war die falsche Person an Bord zu bringen. Besonders freundlich schien dieser Nightingale nicht zu seinen Leuten zu sein. Andererseits wurde niemand Kapitän eines Piratenschiffes weil er besonders nett und höflich war.
      Der Blick zuckte zurück zu Liam. Dieses Mal war es ihre Augenbraue die bedrohlich zuckte.
      "Das ist ein schlechter Scherz...", würgte sie fassungslos hervor. Die Erwähnung einer Knarre war längst ins Nirwana geflogen.
      Die schaulustige Crew mochte Florence vielleicht als lebensmüde bezeichnen, für die verärgerte Kartografin war es eine gesunde Portion Mumm. Hastig überquerte sie die spröden und rutschigen Holzplanken bis sie so nah vor Liam stoppte, dass sie aufgrund des feuchten Holzes unter den Füßen und ein wenig Ungeschicktheit beinahe mit der Nase voran mit ihm kollidiert wäre.
      Stattdessen hob sie eine Hand und tippte, nein, bohrte die Spitze ihres Zeigefingers in seine Brust.
      "Nochmal zum mitschreiben, Käpt'n.", fauchte sie. "Unter gar keinen Umständen bleibe ich auf diesem Schiff geschweige denn, dass ich mit Ihnen Davos verlasse. Ich bin kein Mitglied Ihrer Crew, dass sie nach Lust und Laune herumscheuchen können. Und ich werde dieses Kahn verlassen, mit oder ohne ihre Erlaubnis. Beides soll mir recht sein. Wenn mein Vater hiervon erfährt, klebt Ihnen die gesamte Marine am Arsch. Die Drohungen können Sie sich also gerne dorthin stecken, wo die Sonne nicht scheint, Käpt'n Nightingale."
      Mit Nachdruck tippte sie ein-, zweimal gegen seine Brust.
      "Und der Name ist Florence Eliza Cartwright. Für Sie, Miss Cartwright."
      “We all change, when you think about it.
      We’re all different people all through our lives.
      And that’s OK, that’s good, you gotta keep moving,
      so long as you remember all the people that you used to be.”
    • Trigg hob die Arme nach Florences Einwand und zuckte die Achseln. Es verblieb, dass er den Namen niemals wirklich wissen würde. Er tat dies nicht mal aus Übelsinn oder Gleichmut. Silas Trigg konzentrierte sich auf die wichtigen Dinge des Lebens. Die wunderbaren Fesseln, die unter den Röcken der jungen Dame hervorlugten zum Beispiel und die so wunderbar...
      Mit einem kurzen Knacken prallte eine Faust auf seinen Scheitel und ließ ihn kurzerhand Sterne sehen.
      "Idiot", murmelte Clara und rümpfte die Nase.
      Konnte dieses Weib Gedanken lesen?
      In einer anderen Szene sah sich Liam Nightingale plötzlich mit einer störrischen jungen Dame konfrontiert, die ihren Meister offensichtlich noch suchte. Denn auch wenn der Kapitän durchaus einen Hand zu weiblichen Berührungen besaß, erschien ihm jedoch das aggressive Vorgehen der jungen Dame mehr als gewöhnungsbedürftig. Nicht nur, dass sie beinahe mit ihm kollidierte, auch der Finger, der sich schmerzhaft in seine Brust drückte sorgte nicht für ein angenehmes Klima.
      Mit einer regelrecht angewiderten Geste griff er behände mit zwei Fingern nach ihrem Handgelenk und zog es von seiner Brust fort. Als der Finger ein paar Zentimeter fort von seiner Brust war, ließ er Kapitän los und verschränkte die Arme vor der Brust. Man wusste ja nie.
      "Dann noch mal zum mitschreiben für kleine, verzogene Gören:", begann er und ein wütender Unterton breitete sich in seiner Stimme aus. "Du wirst hier bleiben, Ms Cartwright, ob du willst oder nicht. Ich habe drei Regeln aufgestellt, alle konntest du in unter zehn Sekunden brechen. Mir ist völlig egal, wer dein bekloppter Vater ist oder welche Marine mich verfolgt oder nicht. Wenn du wirklich glaubst, dass ich mich darum schere, tut es mir um deine ohnehin zweifelhafte Intelligenz schon beinahe Leid."
      Schnaubend sah er in die Tiefe der Nacht, die sich hinter Florence erhob und schüttelte den Kopf.
      "Ich sehe leider keine andere Möglichkeit"; murmelte er und fuhr sich mit der Hand durchs Haar. "David!"
      Keiner der übrigen Crewmitglieder regte sich auch nur oder machte Anstalten sich zum Kapitän zu bewegen. Beinahe erschien als warte die Welt oder Zeit auf ein Zeichen in der Stimme der eisschwarzen Nacht, die sich ausbreitete. Und erst nach einer kurzen Zeit, mit dem Schlagen der Turmuhr, die den Hafen von Davos erleuchtete, erhob sich ein nervöses Klicken in der Nacht, als klettere etwas die äußere Fassade des Schiffes hinauf.
      Und es sollte sich nicht dabei belassen.
      Noch ehe die junge Frau sich vermutlich umdrehen und fließen konnte, schossen dornengleiche Gliedmaßen, angespitzt wie Speere aus dem Nichts der Außenfassade hervor und krallten sich eisern in die Planken des Decks. Beinahe zärtlich durchstießen die gigantisch langen Finger aus schwerem Stahl das Holz und es zog sich ein Körper hervor, der grotesker nicht sein konnte. David Randsford war das, was sie einen Roboter nannten. Einen Menschen, gefangen in einem bewusstseinsenthaltenden Stahlkörper. DIeser war in einen eleganten Gehrock gehüllt und trug sich auf metallischen Gliedmaßen durch die Welt, die mehr Falkenkrallen denn Füßen glichen. Erbarmungslos gruben sie sich in das Holz und Liam erlitt Schweißausbrüche, als David sich mit enormer >Größe auf das Deck wuchtete. So maß der bullige Steuermann der Starfall über zwei Meter Körperlänge und es dauerte auch nicht einmal eine weitere Sekunde, da schlangen sich die gewaltigen Eisenfinger um Florences ganzen Körper.
      "Aye, Captain", blecherte er.
      "Schaff sie in die Bilch", murmelte Liam. "Und sag dem merkwürdigen Affen, dass er die erste Schicht hat."
      "Aye."
      Mit einem beinahe entschuldigenden Blick zu der jungen Frau riss er sie von den Füßen und hob sie trotz aller GEgenwehr beinahe mühelos an. Die Bilch lag, wie in den meisten Fällen , im Bauch des Schiffes. Auch die Starfall besaß einen solchen Raum.
      Einen Raum, den man mied. Ging man die Treppen zum Mitteldeck hinab und folgte ihnen weiter in den Bauch des Schiffs, so erreichte man die Bilch nach einer sachten Biegung einem kurzen Flur zum Bug. Dort, beinahe unter der Spitze des Schiffes, befanden sich drei feuchte unwegsame Zellen, die durch Eisengitter verhangen waren. Zu jeder Zelle gab es eine schmale Luke, die Luft und Licht herein ließ, während der Boden mit Stroh ausgelegt war. Der Raum roch nach vergangenem Schweiß und Exkrementen, als habe hier ein Toter genächtigt und doch wirkte etwas merkwürdig. Denn es gab kein Bett. Oder keine Pritsche. Als habe man aufgehört, den Raum zu konstruieren als die Gitter versenkt waren.
      Mit einer schwungvollen BEwegung klickte sich David durch den Raum und wurde kleiner, als sie die Türen passierten. Erst kurz vor dem Raum glitt er auf seine Originalgröße zurück, um die Tür zu öffnen. Erst anschließend schubste er die junge Frau hinein und seufzte blechern, als er die Tür schloss.
      "Tut mir Leid, dass Sie derartiges mitmachen müssen, Verehrteste. Man wird Sie freilassen, da bin ich sicher."

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    • Alle Zeit bereit sich gegen das nächste Crewmitglied zu wehren, das es wagte einen Schritt in ihre Richtung zu machen, sah Florence bei der Erwähnung des Namens 'David' herausfordernd in die fremden Gesichter. Der Umstand, das niemand von den Anwesenden sich bemühte die widerspenstige Frau einzufangen, hätte ihr Misstrauen wecken sollen.
      Die aufkommende Stille breitete sich beudeutungsschwanger an Deck aus als hielte die Welt in dieser Nacht kurzzeitig den Atem an. Im Hintergrund schlug die alte Turmuhr zur nächsten vollen Stunde und es war ein klangvoller Ton, der Florence durch Mark und Bein ging. Die Warterei zerrte an den dünnen Nerven der Kartografin, die sich mit dem Rücken zur Reling befand. Der einzige verbleibene Flruchtweg war ein halsbrecherischer Sprung in die ungewisse Tiefe auf die morschen Holzplanken der Stegkonstruktion. Die Wahrscheinlichkeit sich dabei den ein oder anderen Knochen im Leib zu brechen, war nicht zu verachten. Florence bemühte sich ihre Mimik unter Kontrolle zu behalten, um kein Quäntchen der aufkeimenden Furcht an die Oberfläche zulassen. Die störrische, junge Dame versprüte durchaus die eisige Faust der Angst, die sich schwer in die Magengrube drückte. Dass sie den Worten des Kapitäns nicht traute, machte es keinesfalls besser. Hektischer als zuvor glitt ihr Blick über das Deck des Schiffes, herauf zum Zeppelin über ihren Köpfen und zurück zu der anklagenden Lücken in der Reling, wo sich zuvor noch die rettende Planke in die Freiheit befunden hatte.
      Die springenden Gedanken verstummten, als ein leises Klicken aus der Dunkelheit unter dem Luftschiff erklang. Die Holzbohlen unter ihren Stiefeln erzitterten unter der schieren Last der gewaltigen Gestalt, die sich aus dem Schatten zog als verließe sie die schwärzesten Gewässer des Ozeans. Das Erste, das Florence da, waren riesige aber spinnenartige Beine. Zumindest glaubte die Frau zunächst daran, auf ein Beinpaar zu blicken, ehe sich die metallischen Dornen um ihren Leib drapierten. Augenblicklich schossen ihre Hände an das Metall, das sich als aboslut unnachgiebig erwies. Erstaunlich war die Vorsicht, mit der die Klauen sie hielten. Ein Gedanke, der aber die Panik nicht dämpfte, die eine eisige Kälte durch ihren Körper schickte.
      Mit aufdringlichen und selbstgefälligen Männern wurde sie fertig, aber gegen einen Roboter - wie Florence schließlich erkannte und deren Anblick sie nur aus den Fabriken ihres Vaters gewohnt war - nützte weder scharfe Worte noch ein kräftiger Tritt.
      Tatsächlich entfloh der widerborstigen Florence ein weiterer Aufschrei die Nacht, die das Schiff umhüllte, als der Roboter sie von den Füßen riss. Zappelnd und strampelnd wand sie sich nach Leibenkräften. Ein Versuch, der von keinem Erflog gekrönt war.
      Ein bitterböser Blick bohrte sich regelrecht in Nightingale bevor die Luke an Deck Florence und den flinken Roboter verschluckte, wie ein hungriges, zahnloses Maul aus Holz und Stahl.
      Die Bilch war kein Ort, an dem Florence sich in der Zukunft je gesehen hatte.
      Es war ein schauriger Ort für Meuterer, Diebe und allerlei Unholde, die umgeben von feuchter Kälte und dem fauligen Gestank von Stroh und den widerwertigsten Hinterlassenschaften auf ein Urteil warteten. Kaum hatten die Eisenfinger Florence aus ihrem Griff entlassen, wirbelte die junge Frau herum. Die Gittertür schlug ihr förmlich vor der Nase zu. Übrig blieb ihr nur die Finger um die kalten Eisenstäbe zu legen und anklagend den Roboter anzusehen. Im spärlichen Licht der Bilch erkannte sie keine Details, aber der Anblick des Blechmannes war recht imposant und zu ihrer Verwunderung beinahe elegant in seinem maßgeschneiderten Gehrock und dem hübschen Zylinder. Eine Aussicht, die nichts daran änderte, dass sie sich in einem stinken Drecksloch befand.
      Ein trockenes Lachen erklang von der Gefangenen, deren Schädel unaufhörlich brummte wie ein Bienenstock. Vorsichtig hob sie wiederholt die Fingerspitzen an die pochende Stelle ihres Hinterkopfes. Das Blut war mittlerweile getrocknet und verklebte die rabenschwarzen Strähnen. Sie musste sich nicht darum sorgen mit einer Gehirnerschütterung einzuschlafen, denn Schlaf war das Letzte, das sie an diesem Ort finden würde. Die Zellen, die Florence mehr und mehr an Käfige erinnerten, war kein Ort für schöne Träume.
      "Freiassen?", erwiderte sie. "Er wird mich hier verroten lassen, Ihr toller Käpt'n."
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      so long as you remember all the people that you used to be.”
    • David Randsford war mitnichten ein grausamer Mann. Nun, konnte man dieses Wesen noch menschlich beschreiben? In seinen eleganten Gehrock gehüllt blickte er zu Florence hinab und wirkte für einen Moment regelrecht bedauernd, als es ein schepperndes Zischgeräusch gab. Als würde eine Maschine den Dampfdruck ablassen.
      Langsam und mit merkwürdig verrenkenden Bewegungen zuckten die Glieder des Roboters und schrumpften quietschend und knarrend und unter größter Revolte wieder auf eine normale Mannesgröße zurück. Sicherlich war David von der Größe her einer der gesegneten Mitglieder, jedoch wirkte sein Angesicht beinahe mickrig, wenn man es genau betrachtete. Langsam drehte er sich herum und seufzte hörbar, wobei ein Relais an seiner Schulter zu klicken und ein Druckventil an seinem Rücken zu pfeifen begann.
      "Ich weiß, es mag nicht so erscheinen, aber Kapitän Nightingale ist kein grausamer Mann. Bitte verstehen SIe unsere Situation, Verehrteste. Wir sind nicht gerne gesehen dieser Häfen lang und diese hundserbärmliche Verwechslung Ihrerseits bringt unserer Situation ins Wanken. Ich bin mir sicher, dass der Kapitän Sie nicht länger als notwendig in diesen Käfigen hält."
      Hätte er zu lächeln vermocht, so wäre es geschehen. Stattdessen sah er sich achselzuckend um und blickte beinahe demonstrativ von Links nach Rechts.
      "Entschuldigen Sie mich. Ich muss den Kerkerwächter suchen."
      Mit stöckelnden Klickgeräuschen begann er sich auf den Weg zu machen und stieß am Ende des Pfades lautstark fluchend gegen einen Querbalken.
      Doch wer geglaubt hätte, dass die nachdenkliche Stille nun einsetzen möge, der kannte die Crew der Starfall schlecht. Jetzt, in der Zeit der Ruhe, wo der Wind gegen die Außenseite des Schiffes bließ und das Wasser gegen den Kiel schwappte, ging ein kalter Hauch durch den Rumpf und mit schweren Schritten folgte ein weiteres Mitglied der Ruhe.
      Chimp, wie sie ihn an Bord nannten, war ein Affe.
      Dies wäre weiter nicht erstaunlich gewesen, wenn er nicht nur ein Affe, sondern eine Art Miniaturgorilla gewesen wäre. Seine Schultern waren breit wie haarig und seine Schnauze wirkte beinahe übermäßig groß im Vergleich zu seinem Kopf. Er maß selbst vielleicht vierzig Steine (1,50), aber wusste sich durchaus mittels Körperbreite zu behaupten.
      Heute Trug Chimp neben dem obligatorischen Buch unter seinem Arm noch eine weitere Habseligkeit: Seine Mütze. Er war bekannt dafür, niemals ohne Hut den Saal zu verlassen und so sollte es auch heute nicht sein. Zylinderartig türmte sich ein Hut auf seinem Kopf, der unterschiedlicher nicht hätte sein können. Keinem Schick oder Trend folgend bestand dieser aus allerlei verschiedenen Stoffen, die auf einer ledernen Bundkrempe saßen und sich schief und wackelnd in die Höhe hoben. Auf dem Hut selbst lag eine Schutzbrille und eine Pfauenfeder wippte im Wind, während er sich grunzend auf einem Schemel niederließ.
      "Glaub der Blechbüchse kein Wort", murmelte er mit erstaunlich akzentfreier, tiefer Stimme, während er einen Becher vom Tisch nahm, an den er sich gesetzt hatte.
      Ein prüfender Blick und geräuschvolles Hochziehen der Nase später leerte er diesen mit einem Zug aus.
      "Hundserbärmliche Teufelsratten und deiner Mama ihr Hemd!", donnerte er. "Wie alt ist dieser Wein? Der schmeckt ja wie ein alter Hintern, bei den Göttern!"
      Räuspernd knallte er sein Buch auf den Tisch ("Über die Mysterien Cygoleas") und sah Florence an.
      "Du bist das Mädchen, was da oben so Radau gemacht hat, was?", fragte er und verzog seine faltigen Lippen zu einem Lächeln. "Mach dir keine Hoffnung. Du wirst - wie wir es hier nennen - draufgehen."

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    • Ein ungläubiges Schnauben ertönte jenseits der Gitterstäbe.
      Es war nicht verwunderlich, dass die Starfall in keinem Hafen der Splitterreiche ein beliebter Gast war. Beim letzten waghalsigen Andockmannöver an einem idyllischen Luftschiffhafen hatte das imposante Schiff die gesamte Konstruktion zu Kleinholz verarbeitet. Als Reisende zu See und zu Himmel schnappte Florence einige Neuigkeiten auf. Die Nachricht über einen zerstörten Hafen verbreitete sich wie ein Buschfeuer. Dennoch erweichten die Gesichtszüge der Kartografin zu einem halbherzigen Lächeln angesichts der durchaus höflichen und überraschend tröstlichen Worte der Blechmannes. Das hieß jedoch nicht hieß, dass sie dem Warheitsgehalt mehr Bedeutung zugestand. Allerdings wusste Florence den Versuch zuschätzen. Für den Bruchteil wollte sie den Robotors namens David aufhalten, um einerseits nicht alleine in diesem rattenverseuchten Loch zu hocken und andereseits weil sie nicht erpicht darauf war ihren Kerkermeister kennenzulernen. Eigenartigerweise war der quietschende und zischende Roboter, obwohl er ihr durch sein Mannöver fast einen Herzinfarkt verpasst hatte, die erste Person an Bord dieses Schiffes, die ihr nicht völlig suspekt war. Er hatte den Eindruck geweckt zumindest ein vernünftiges Gespräch führen zu können, wenn Florence sich nicht wie ein verärgerte Raubkatze aufführen würde.
      Florence gab es nicht gerne zu, aber die augenblickliche Situation jagte ihr eine nicht unbeachtliche Angst ein.
      Bis die Manschaft der Leviathan aus den alkoholgeschwängerten Träumen erwachte, würden Stunden vergehen und ein paar weitere Stunden bis überhaupt jemand bemerkte, dass die Kartografin fehlte. Überlicherweise verbrachte Florence die Zeit in der Kajüte und arbeitete daran die gewonnenen Informationen zu Papier zubringen oder veraltetes Kartenmaterial auszubessern.
      Die Frau ergab sich dem Schicksal, das ihr dieser Tage nicht wohlgesonnen war und zog sich in die hinterste Ecke des Käfigs zurück. Dort spürte sie anstatt eiskalter Gitterstäbe zumindest des vertraute Gefühl von Holz im Rücken. Sie verzichtete darauf sich hinzusetzen, obwohl der Gestank der Bilch bereits nach wenigen Minuten für die Ewigkeit in die Kleidung eingezogen war. Die Minuten vergingen und gaben ihr Gelegenheit, den flatternden Herzschlag zu beruhigen und den Kopf zu klären. Die Kopfschmerzen blieben nicht zuletzte durch Alkohol und einem sehr treffsicheren Schlag. Ein Bad wäre jetzt genau das Richtige, aber auch ein Wunschtraum.
      Seufzend verschränkte sie die Arme vor der Brust und blickte aus dem milchigen Glas des kleines Bullauges hinaus in die Nacht.
      Die Stille wurde von einer neuen Stimme unterbrochen und als Florence den Affen erblickte.
      Roboter waren kein fremder Anblick, aber ein Affe, nein, die Miniaturversion eines Gorillas, der offensichtlich sprechen konnte, ließ ihre Augenbrauen in die Höhe wandern.
      "Hat mir dieser Nichtsnutz etwas auch noch etwas in den Rum gemischt?...", murmelte Florence und beäugte den Affen mit dem außergewöhlichen Zylinder. Sie rieb sich über die Wunde am Hinterkopf und fragte sich, ob sie allmählich Halluzinationen bekam.
      Der empörte Ausfruf und das Geschimpfte entlockte ihr tatsächlich ein leises Kichern.
      "Wenn der Wein schmeckt, wie es hier riecht...vermutlich etwas älter.", kommentierte sie und blieb sicherheitshalber in ihrer Ecke. Zumindest konnte sich in dieser Position niemand von hinten anschleichen.
      "Bevor ich draufgehe, veranstalte ich liebend gerne noch ein wenig mehr Radau.", gab Florence zurück und reckte den Hals ein wenig um den Titel des Buches zu erkennen. Anerkennend hob sie eine Augenbraue. Sie kannte den Titel, denn ihr Großvater hatte es ebenfalls besessen, als er noch Tag ein Tag aus in seiner Bibliothek umher gewandert war.
      "Schwere Kost für einen Wachdienst."
      “We all change, when you think about it.
      We’re all different people all through our lives.
      And that’s OK, that’s good, you gotta keep moving,
      so long as you remember all the people that you used to be.”
    • Chimp grinste kantig und blätterte mit einen klumpigen, schwarzen Fingerspitzen durch die bereits vergilbten Seiten. Bücher waren ein Wohlgesang in dieser Arie der Zerstörung, welche die Splitterreiche mit sich brachten. Man hatte sich nach all den Jahrhunderten an den immerwährenden Kriegszustand zwischen den Reichen gewöhnt, aber so mancher sehnte sich doch nach Ruhe und Frieden, wenn man ehrlich hinsah.
      So auch ein haariger Affe, der verträumt auf die Buchstaben sah.
      "Schwer ist sie mitnichten, Mädchen. Wie heißt du eigentlich?", murmelte er halb bei Sinnen. "Nein, schwer ist sie nicht. Sie ist genau recht, nicht wahr. Genau recht um einen langen Abend einer Wache zu versüßen, während du bald in deinem Selbstmitleid oder cholerischem Gehabe ertrinkst."
      Das Lächeln, das er ihr zuwarf hätte süßlicher nicht sein können und entblößte eine Reihe gerade und ockergrüner Zähne, die sich sogleich wieder um denselben Becher schlossen.
      "Ach Herrgott noch eins!", fluchte der Affe und warf den Becher endgültig weg.
      "Hast Glück, Kindchen. Hab eben gesehen, dass die Außenwand an deiner Seite beschädigt ist. Vielleicht hat das Schicksal ja ein Einsehen mit dir und du fällst raus..."
      "Du könntest freundlicher sein, Chimp."
      Eine dunkle, akzentbeladene Stimme erhob sich aus der Düsternis der Bilch. Gerade dort, wo David hin verschwunden war, erhob sich eine schattenhafte Abzeichnung eines menschlichen Körpers hervor. Mit Abstand war dieser hier - mit Ausnahme des künstlich vergrößerten Roboters - das größte Mitglied der Crew.
      Die hünenhafte Gestalt begleiteten breite Schultern und ein gewaltiger Schnurrbart, der sich an den Seiten des kantigen Gesichts aufzwirbelte. Arnaud Permentier stieß sich sachte den Kopf an einem Querbalken und zog dabei an seiner Zigarre, während er sich langsam näherte. Der Raum wirkte mit einem Mal klein und stickig, betrachtete man die Tatsache, dass das Unterhemd, das er trug, wesentlich bessere Tage gesehen hatte. Zumindest war es irgendwann einmal fleckenfrei gewesen. Hoffenlich.
      Grunzend trat der Mechaniker näher und warf einen Blick durch seine wachen, fast schwarzen Augen herein. Die Haut war, den Wistorländern üblich, blass und nicht von der Sonne zu gerben. Der Bart indes sorgte für den Kontrast, den das Gesicht brauchte. Schwere Hände stützten sich an den Gittern ab, während die Rechte Hand einen schweren Schraubenschlüssel trug.
      "Oh la la", grinste er und nahm die Zigarre aus dem Mund. "Mon plaisir, Mademoiselle. Ich bin Arnaud Permentier! Und wer sind Sie?"
      "Hör auf das Frischfleisch anzugraben und sag mir lieber ob das, was ich von Ben hörte, wahr ist?"
      Arnaud grinste breit und hielt einen Zeigefinger in die Höhe, um Florence mitzuteilen, dass er gleich bei ihr war.
      "Du meinst die Außenseite? Ja, das stimmt. Von dem Absturz im Hafen haben wir schwere Beschädigungen davon getragen. Ich habe alles notdürftig geflickt, aber ich brauche eine Werft, um das Schiff zu reparieren."
      "Und die Werft..."
      "Ist in Million Towers, im Siebten Bezirk", ergänzte Arnaud und seufzte. "Der Käptn weiß es schon."
      "War nicht begeistert, was?"
      "Kein bisschen...", brummte der Mechaniker. "Aber was soll ich machen. Er hat bereits das Ablegen veranlasst. die Anderen sind dabei, aufzutakeln."
      "Na das wird ein Schauspiel", murmelte Chimp und spürte gleichsam ein gewaltiges Rucken, das gepaart von einem Ächzen des Holzes durchs Schiff ging.
      Das Ablegen stand kurz bevor.

      The more that I reach out for heaven
      The more you drag me to hell
    • Der außergewöhnliche Kerkermeister hatte nicht völlig Unrecht.
      Kindlicher Trotz half Florence nicht aus der stinkenden Zelle noch von Bord der Starfall. Das Piratenschiff, das luftige Höhen bereiste und sich einen recht fragwürdigen Ruf eingefangen hatte. Um die Crew des Luftschiffes rankten sich die abenteuerlichsten Gerüchte und wildesten Geschichten, doch im Grunde wusste niemand wirklich Details mit glaubhaften Wahrheitsgehalt. Aber war es tatsächlich verwunderlich, dass Florence nach einer unsanften Entführung, der rabiaten Behandlung und der ungewissen Aussicht auf die ersehnte Freiheit lediglich wenig Begeisterungsstürme für ihre Gastgeber hatte? Dabei hatte sich das kleine Mädchen, dass Florence einmal gewesen war umgeben von luxuriösen Stadthäusern, der feinsten Gesellschaft und allem, was das Herz begehrte, nichts sehnlicher gewünscht, als in den weiten Hoirzont zu fliegen und Abenteuer zu erleben. Allerdings hatten diesen Wunschträume eines Kindes nie mit einem gratis Aufenthalt hinter massiven Gitterstäben begonnen.
      Und das war der Kern des Ganzen. Es waren Träume.
      Die Realität war viel grauer und eintöniger, als sich der Verstand eines Kindes ausmalen konnte. Ihr Flug in die Freiheit waren die zahlreichen Büchern ihres Großvaters und seiner wundervoll ausgeschmückten Erzählungen. Die Geschichten handelten von Helden- und Edelmut. Sie handelten von furchtlosen Menschen, die auf ihren Schiffen Meere und Himmel ihr Zuhause nannten außerhalb von Gesetz und falscher Moral. Das Erwachsenwerden hatten das kleine Mädchen langsam aber stetig jeder Illusion beraubt. Kartografin zu werden, war die einzige Möglichkeit in einer blassen Version dieser Geschichten zu leben. Ein Fuß befand sich außerhalb des goldenen Käfigs, der andere war in dem behaglichen Gefängsnis fest verwurzelt, das Sicherheit versprach.
      Aber ein Käfig blieb ein Käfig, egal wie luxuriös oder hübsch er war.
      Florence schüttelte den Kopf, als ihre Gedanken abschweiften. Stattdessen fokussierte sich die Frau mit dem verbissenen Zug um ihre Lippen auf den beachtlichen Wälzer in den pelzigen Händen ihres Kerkerwächters. Sie ignorierte willentlich den beißenden Kommentar des Affen bezüglich der Brüchigkeit der Außenwand, um kein weiteres Streitgespräch zu beginnen. Wenn sich ein Affe zivilisiert benehmen konnte, halbwegs, konnte sie das auch bewerkstelligen.
      "Ich kenne das Buch.", murmelte sie, wobei erst nicht ganz offensichtlich war, ob sie wirklich versuchte ein vernünftiges Gespräch zu beginnen ohne wieder in eine Schmipftirade zu verfallen. "Mein Großvater besaß es in seiner Bibliothek. Als Kind gab es für mich nichts Beruhigenderes als den Geruch alter Buchseiten. Ich liebte es hinter jedem Einband eine neue Welt zu entdecken."
      Es war ein ganz eigener Duft, der Erinnerungen weckte. Noch heute als Erwachsene schlug sie ein Buch auf und ließ die Seiten durch ihre Hände gleiten, um den vertrauten und leicht verstaubten Geruch von beschriebenem Papier einzuatmen.
      Welche Reaktion der Affe, Chimp, auch auf ihre Worte zeigte, ging in einer tiefen und dunklen Stimme unter deren Klang durch die Bilch vibrierte. Ein weiteres Crewmitglied schob sich aus dem Schatten und beäugte die Gefangene durch die Gitterstäbe wie ein exotisches Tier in einem Zirkus. Stand die Mannschaft draußen Schlange und wartete darauf, dass jeder Einzelne einen kurzen Blick auf die ungewöhnliche Fracht werfen konnte? Florence trat einen kleinen Schritt vom Gitter zurück, den sie sich ursprünglich nach vorne gewagte hatte um eine bessere Aussicht auf das Buch zu haben.
      Perplex starrte -ja, Florence starrte wieder- den hünenhaften Mechaniker an. Anhand seiner Aufmachung war Arnaud unmissverständlich als Schiffsmechaniker zu erkennen. Käpt'n Nightingale besaß offenbar das zweifelhafte Talente einzigartige wie ungewöhnliche Charaktere zu seiner Crew zu zählen. Die Höfflichkeit von Arnaud im Kontrast zu seiner Gestalt überraschte sie dermaßen, dass ihr aus reinem Reflex einer Erwiderung über die Lippen purzelte.
      "Flo..Florence Cartwirght.", antwortete sie verdattert und blinzelte ein paar Mal, als der Mann mit dem beeindruckenden Schnurbart den Finger zur einer wartenden Geste erhob.
      Ein Ruck ging durch den Bauch des Schiffes und Florence umfasste haltsuchend die kühlen Eisenstäbe, um nicht um dem verdreckten Boden der Bilch zu landen.
      "Million Towers?", flüsterte sie, ehe er Kopf empor ruckte in Richtung Chimp und Arnaud. Die Reise nach Million Towers betrug drei Tage. Das waren ganze drei Tage, in denen das Schiff eine beträchtliche Distanz überwand. "Man wird mich vorher freilassen, oder?"
      Falls überhaupt jemand vorhatte, sie jemals lebend vom Schiff zu lassen.
      “We all change, when you think about it.
      We’re all different people all through our lives.
      And that’s OK, that’s good, you gotta keep moving,
      so long as you remember all the people that you used to be.”
    • Für einen kleinen, ja ganz kleinen Moment sah man etwas in den Augen des Affen blitzen. Kein Erkennen oder gar eine Art von Bewunderung. Jedoch blitzte unverfroren ein gewisses Interesse in dem haarigen Gesicht auf, ehe sich Arnaud wieder dazwischen schob.
      "Florence...", murmelte der Mechaniker ihren Namen. Dabei klangen seine Lippen und die einzelnen Silben so, als wollte er den Namen auf der Zunge vergehen lassen. "Ein gar wunderbare Name, nicht wahr? Oh Florence, was führt dich auf dieses wundersame Schiff? Sage mir nicht, dass Silas erneut jemanden verwechselt hat..."
      "Überraschung: Hat er!", murmelte Chimp und schlug das Buch an seinem Lesezeichen auf.
      Die Legende eines Volksstammes aus Cygolea, dessen Ursprung man in den hinteren Bergen des Landes vermutete. Der Stein von Ardashir war dort gesehen worden und zumindest einer aus der Crew musste sich für die Gegebenheiten wappnen.
      "Das kann doch nicht..Und der Kapitän will sie jetzt.."
      "Haargenau. Gefangen halten, bis er sie vermutlich an der Außenwand aufknüpft", grinste Chimp und sah nicht einmal von seinem Buch auf. "Also um deine Frage zu beantworten: Ich denke nicht, dass du frei kommst, Kindchen. Die Fahrt nach Million Towers dauert ein paar Tage. Vielleicht hast du Glück und der Kapitän lässt dich zumindest nochmal raus bevor du stirbst."
      Arnaud schüttelte den Kopf und seufzte schwer.
      "Hör nicht auf ihn, Florence, wir-"
      Ein Knarren, lauter als die bisherigen ging durch das Schiff und das Gefühl, als würden die Gedärme angehoben glitt durch alle Beteiligten. Ein schweres Rauschen, gefolgt von einem explosionsartigem Schlag von großen Stoffmengen gab ihnen allen das Zeichen, dass der Zeppelin mit ausreichend Luft gefüllt war.
      "Oh, ich muss los. Die Maschinen anfeuern!", sagte Arnaud und nickte Florence zu. "Ich komme später noch mal vorbei."
      Unnötigerweise warf er ihr einen Luftkuss zu, ehe er sich auf den Weg in den Maschinenraum machte.
      Das Ablegen eines derartigen umgebauten Luftschiffes war ein Abenteuer für sich. Sachte und schwerfällig hob sich zuerst der Rumpf aus dem talgigen Wasser des Hafens. Knarren und Knarzend ächzte das Holz und die Takelage schlug wie tausend Peitschen umher. Wer nicht achtete, der wurde getroffen und beinahe tot geprügelt.
      Erst dann nahm mit einem schweren Rumpeln und beinahe knatternden Geräusch die Maschine des Schiffs ihren Betrieb auf. Langsam und gemächlich wurde das Steuerrad gedreht und der Zeppelin richtete sich aus. Von oben hörte man Nightingale mit lauter Stimme Befehle bellen, ehe mit einem Mal ein stetiger Ruck durch das Schiff selbst ging. Es beschleunigte. Endlich.
      Wie Regen tropfte das Wasser auf die unter ihnen liegende Stadt und Chimp stellte sich an eine der Luken, um Davos unter ihnen verschwinden zu sehen. Es war immer wieder ein Schauspiel, wenn sie zu fliegen begannen.

      Gefühlt saßen sie sodann eine gute Stunde beisammen und frönten alle ihrer Dinge, während sich das Schiff langsam an den Zug der Reise gewöhnte. Rauschend peitschte der Wind mit satten Böen gegen die Luken und Planken und Kälte fraß sich durch das Gebälk. Die Luft war ein kalter Ort, aber hier unten war es kurzzeitig wirklich unerträglich. Selbst die Mäuse, sofern noch welche lebten, würden sich verkriechen.
      Es verging nochmals eine unbewusste Zeitspanne, da ein Geräusch durch das Unterdeck ging. Schwere Schritte näherten sich durch das Skelett des Schiffbauchs und wirkten wie Donnerschläge in kalter Nacht. Chimp saß noch immer über das Buch gebeugt und genoß den Frieden, den seine Einschüchterungen ihm gaben. So bemerkte er die herannahenden Schritte erst nach einer ganzen Weile.
      Und doch waren sie unverkennbar.
      "Silas!", rief er genervt aus und grunzte. "Was machst du hier unten? Leichen vergraben?"
      "Sehr witzig, du bärtiger Zausel. Befehl vom Käptn: Das Mädchen soll mit aufs Oberdeck."
      "Noch mal die Sonne sehen vor der Planke?", kicherte Chimp und sprang vom Stuhl herab. "Hast du gehört, Kindchen?`Dein Traum wird wahr!"
      Der große Knochenschlüssel glitt aus der Tasche des Affen und fand seinen Weg allzu leicht ins Schlüsselloch. Als würde er selten benutzt. Mit einem Klicken und Quietschen öffnete der Affe die Gittertür und lugte in die Zelle hinein.
      Silas indes sah ihn verstört an und schüttelte den Kopf.
      "Kommen Sie, Ms Cartwright? Das Oberdeck wartet..."

      Ohne zu fragen und mit weitaus weniger Gewalt als notwendig, hatte Trigg sie mit starker Hand am Oberarm gegriffen und nach oben gebracht. Freilich war eine derartige Nötigung nicht von Nöten, aber er dachte sich, dass der Käptn ein wenig Züchtigung der Gefangenen gerne sehen würde. Kontrolle war besser als Nachsicht...Oder ging das Sprichwort anders?
      Auf dem Weg zum Oberdeck (der sich zog. Es waren mehr als 2 Treppen und mehrere garstige Gerüche zu überwinden) sprach der Dieb nicht ein wirkliches Wort, außer gelegentlichen Warnungen, damit sie nicht stolperte. Auf dem Oberdeck angelangt, empfing sie die laue Luft eines Morgens. Wind peitschte um sie herum und wirbelte die Gedanken aus dem Kopf. Triggs Haarmähne glitt sogleich nach hinten, vom Sturme verweht, und legte ein offenes, unausgeschlafenes Gesicht frei. Zufrieden stemmte er die Hände in die Hüften und grinste, während sie dem Horizont aus weißen Wolken und prächtigem Sonnenlicht entgegen zogen. Unter ihnen verschwamm das Land zu einer bunten Masse, die sich nur bestaunen ließ, während sie einträchtig mit dem Weg umherzogen. Und das tollste hatte sie noch nicht gesehen.
      Sachte führte er Florence anschließend zum Bug des Schiffes. An der schmalsten Kante des Schiffes, saß Nightingale bequem auf dem Paradekopf des Schiffes, den Schultern der Bugfigur und ließ ein Bein lässig herab hängen. Er hatte den schweren Mantel ausgezogen und saß nun gar in seinem Leinenhemd und der Lederhose dort. Ein Bein angezogen und den Arm darauf gebettet, den Blick verträumt Richtung Horizont, wo sich bereits die Kesselberge in weiter Ferne auftürmten.
      "Hast du dich beruhigt, Ms Cartwright?", fragte er brummend.

      The more that I reach out for heaven
      The more you drag me to hell
    • Die verunsicherte Kartografin zog sich in die hinterste Ecke ihres Gefängnisses zurück.
      Für ein Luftschiff war es ein Leichtes die Meilen bis nach Million Towers in wenigen Tagen zu überbrücken. Die Chance, dass jemand ihr Verschwinden rechtzeitig bemerkte um die Starfall einzuholen bevor sie vom Radar verschwand, war beängstigend gering. Die Stadt, die ihrem Namen alle Ehre machte, befand sich in den Tiefen des Herzlandes. Der Weg zurück nach Wesyn war lang und wie sollte sie überhaupt zurückkommen. Die Herzugtümer untereinander waren mehr zerstrittene Feinde als Verbündete und Million Towers war ein Sumpf, der einen hinabzog, wenn er die Chance dazu bekommen. Florence gab es ungern zu, aber sie würde sich in einer Stadt wie dieser nur schwerlich zurechtfinden. Die junge Frau knirschte mit den Zähnen, als sie aus der Luke sah und sich im Stillen eingestand, dass ein wohlbehütetes und previligiertes Leben nicht zwangläufig bedeutete mit Mühelosigkeit durchs Leben zu kommen. Florence seufte und fuhr mit den Fingerspitzen über das gesplitterte Perlmutt der Muscheln an ihrem Handgelenk...Theo hätte gewusst, was tun gewesen wäre.
      Unter den Füßen verschwand Davos unter einer undurchdringlichen Wolkendecke. Die hoffnungsspendenden Lichter verblasste in der nebligen Höhenluft und wurden bald darauf von der nächtlichen Dunkelheit verschluckt. Beinahe augenblicklich drang die Kälte durch jeden Spalt im Holz je höher das Luftschiff sich erhob. Florence schlang die Arme um den Körper in dem kläglichen Versuch die Wärme etwas länger am Körper zu behalten so gut es die klamme Bekleidung zuließ. Die Augen wanderten zur Decke über ihren Köpfen, als die Stimme Käpt'n Nightingales gedämpft durch den peitschenden Wind erklang. Es hatte etwas Endgültiges was ihr Schicksal betraf, als er bellend den Befehl zum Abblegen gab.
      Das Gefühl keinen festen Boden unter den Füßen zu haben, war der Frau in Fleisch und Blut übergegangen. Wenn sich die temperamentvolle Frau nicht gerade in einem Käfig befand, bewegte sie sich an Deck ebenso leichtfüßig und elegant wie auf unbewegten Terrain. Der Schlaf suchte in dieser ungewissen Nacht nicht nach der Kartografin und während Chimp in den Seiten blätterte, sah Florence einfach nur durch das verschmutzte Glas der Luke, dass gelegentlich durch den eigenen Atem beschlug. Florence war nicht naiv genug um die versichernden Worte Fremder zu glauben, die ihr Sicherheit versprachen. Dennoch hoffte sie, dass Chimp lediglich versuchte durch seine bissigen Worte einen verzogenen Adelsspross in seine Schranken zu verwaisen und es bei leeren Drohungen blieb. Und Hoffnung war gefährlich.
      Was hatte Theo stets gesagt: Lieber die grausame Wahrheit, als freundliche Lügen.

      Ruckartig schreckte Florence auf, als Chimp den Neuankömmling begrüßte.
      Der schweigsame Gefängniswächter hatte seit Stunden kein einziges Wort gesprochen, dass sie beinahe vergessen hatte, das er überhaupt sprechen konnte. Oder waren ihr am Ende doch im Stehen die Augen zugefallen? Was sie mit Sicherheit wusste war, dass der Kopfschmerz zugenommen hatte und das blasse Licht des Morgens, das durch die Luke fiel, ihr unangenehm in den Augen stach.
      Florence schob es auf den pochenden Schmerz unter der Schädeldecke, dass sie nicht mehr als ein protestierenden Zucken von sich gab als Silas nach ihrem Arm griff. Es war der angedeutete Versuch ihm den Arm zu entreißen, der auf halbem Weg aufgegeben wurde. Sie war erschöpft und die Knochen schmerzten vom langen Stehen. Vielleicht hatte Nightingale ein Einsehen und ließ sie tatsächlich über die Planke marschieren. Zumindest würde ein Fall in die Tiefe sie gnädigerweise von den unerträglichen Kopfschmerzen befreien.
      An Deck angekommen, hob die Kartografin die freie Hand vor die Augen und blinzelte in das wärmende Licht der Sonne, dass die Kühle von den Wangen vertrieb. Der Wind zerstörte auch den Rest des ramponierten Haarknotens und entließ die ebenholzfarbenen Locken den Strömungen der Luft. Sehnsüchtig atmete Florence die klare Morgenluft ein und genoss für einen kurzen Moment das Gefühl von Freiheit und einer völligen Losgelöstheit, die ihr nur das Fliegen bescheren konnte.
      Ein Ruck an ihrem Arm ließ die Blase platzen und zerrte Florence auf den Boden der Tatsachen zurück.
      Mit einem flauen Gefühl im Magen, dass nicht vom Schanken des Schiffs herrührte, ließ sich Florence über das Schiffsdeck führen und versuchte die neugierigen und abschätzenden Blick zu ignorieren, die sich in ihren Nacken bohrten. Die Planke erwartete sie am Ende des Weges nicht.
      Ein Blinder hätte erkannt, wie sehr Käpt'n Nightingale das Fliegen und die Freiheit, die nur der Himmel bot, liebte.
      Die Selbstverständlichkeit mit der er am Bug seines Schiffes thronte und sich offbar nicht um die mörderische Tiefe scherte, die unter seinen baumelnden Fäßen wartete, war fast bewunderswert. Florence folgte dem unerwartet verträumten Blick, den sie Nightingale nicht zugetraut hätte, in Richtung Horizont. Von Wolken umschwärmt erhoben sich die Kesselberge aus der Landmasse und boten einen imposanten Anblick. Egal, wie oft man sich in schwindelerregener Höhe befand, es verlangte einem jedes Mal aufs Neue die angemessene Ehrfrucht und Bewunderung ab.
      Als er sprach, löste sich ihr Blick vom weiten Horizont.
      "Bei allem Respekt, Käpt'n...", begann Florence und stoppte wenige Silben später. Ein tiefer Seufzer schüttelte an den zierlichen Schultern. "Ihr Crewmitglied hat mich niedergeschlagen, verschnürt und mich wie einen Sack Kartoffeln auf diesen Schiff geschleift. Ein wenig Entrüstung darüber kann mir sicherlich zugestanden werden. Das Sie mich gegen meinen Willen festhalten, fördert nicht gerade meine Kooperation."
      “We all change, when you think about it.
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      Dieser Beitrag wurde bereits 5 mal editiert, zuletzt von Winterhauch ()

    • Nightingale tat sich schwer, Wut und Aufbrausen gegen den starken Wind zu verteidigen, der ihm ins Gesicht blies. Das kantige, derbe Gesicht wirkte im Glanz der Sonne und dem eisigen Hauch der Winde beinahe jugendlich gelassen, während er den Blick nicht eine Minute lang von dem Horizont nahm, dem sie entgegen segelten.
      Er bezeichnete es immer noch als Segeln, obgleich das Schiff nicht einmal mehr Bodenkontakt hielt. Geschweige denn das Wasser in der Nähe wusste. Und doch war es, als ströme einem die schäumende Gischt entgegen, als sie durch eine Wolke flogen und diese sich kalt und nässend auf der Haut anfühlte.
      Wortlos nickte er nachdem sie gesprochen hatte und sah dem Sonnenaufgang lächelnd entgegen. Mit einer kurzen, behänden Aktion fischte er eine kleine Brille aus der Hosentasche und reichte sie Florence nach hinten. Es wäre ein leichtes gewesen, seinen Arm zu ergreifen und zu verdrehen. Aber was mochte die Frau schon tun, wenn sie den Kapitän einer Horde von Gestörten gefangen nahm? Vermutlich würde Silas sie erschießen, ehe sie zucken konnte. Und da wollte man denken, dass Silas nur Frauen liebte....

      "Für die Augen", murmelte er. "Und es ist verständlich, dass Sie wütend sind. Aber ich bin ehrlich, Cartwright. Ihre Gefühle interessieren mich einen feuchten Dreck. Das ist mein Schiff und meine Regeln gelten hier. Auch für Gefangene. Halten Sie sich an die Regeln, so können Sie sich frei an Deck bewegen. Schlafen werden Sie dennoch in der Bilch, aber wir können uns gerne über ein wenig mehr Stroh oder eine Art Feldbett unterhalten. Halten Sie sich nicht daran, sperre ich Sie weg und lasse Sie erst wieder hinaus, wenn wir Million Towers erreicht haben, haben wir uns verstanden?"
      Trotz des jugendlichen Aussehens sah er sie mit einem kalten, steinernen Blick an. Er würde der jungen Frau nicht mehr als notwendig durchgehen lassen. Und sei es das Letzte was er tat. Innerlich war es bereits genug Aufregung für ihn, dass sie Million Towers sehen würden. Eine Stadt, die er zu vergessen versuchte, bis er vollständig zurückkehren wollte. Und jetzt mussten sie dort ankern, wo man seinen Hintern am liebsten auf einen Pfahl gespießt sehen wollte.
      "Damit Sie sich auf etwas freuen können: In Million Towers werde ich Sie in Freiheit setzen, wenn wir abreisen. Danach sind Sie frei zu gehen, wohin Sie wollen", murmelte er halb in Gedanken. Gerade wollte er nochmals Luft holen, als er zum ersten Mal die schwarze Lockenpracht erblickte, die sich im Wind wand, aber da wurden sie von Arnauds prächtiger, lauter Stimme gestört, die vollmundig und tief über das Dock waberte:
      "WOLKENWALE! DIREKT VOR UNS!"
      Und tatsächlich. Behände wie ein junger Tänzer sprang Nightingale auf die Beine und balancierte sich einen Moment aus, als er von einem Wind erfasst wurde. Mit einer Hand an der feuchten Takelage legte er die andere Hand schützend über die Augen, um Schatten auf ihnen zu haben.
      Wahrhaft erhob sich vor ihnen aus den Wolken ein Ungetüm menschlicher Geschichte. Wolkenwale waren selten in den Splitterreichen, da man vor vielen Jahren Jagd auf sie gemacht hatte. Vorwiegend wegen ihrer Zähne und den luftgefüllten Knochen, aus denen sich optimal Geschosse formen ließen. Das Fleisch dieser Bestien war roh nicht genießbar aber gekocht galten sie als Delikatesse, gerade in Wistorland.

      Jetzt schwebte einer dieser Giganten direkt vor ihnen und ließ die Starfall beinahe klein aussehen. Gigantisch und blau erhob er sich aus den Wolken und schien wie hindurch zu schwimmen. Luftgefüllte Knochen und ein auf den Himmel ausgelegter Körper ermöglichten das Fliegen in einer Einfachheit, dass es Nightingale erneiden ließ. Tiefschwarze, riesige Augen bohrten sich in das kleine Schiff, das sich näherte, aber der Gigant der Lüfte dachte nicht einmal daran, auszuweichen.
      Nightingale lachte kurz und jungenhaft hell auf, ehe er sich zu David am Steuer herumdrehte.
      "KURS HART STEUERBORD, CLARA, SILAS: IN DIE BRASSEN, HALTET DAS TAUWERK FEST!", donnerte er und grinste breit in das Auge des Ungetüms, was schneller näher kam. "Halten Sie sich fest, Cartwright."
      Erst kurz danach ging ein Ruck durch das Schiff, dass ihn beinahe vom Bug hob, als sie eine scharfe Rechtsseite flogen. Es würde nicht ausreichen,.
      "ARNAUD: GEWICHTSERHÖHUNG RECHTS, LINKS AUFZIEHEN!", rief Nightingale und murmelte: "Na komm schon, Junge..."
      Erst im letzten Moment kippte durch die veränderten Gewichte auch das Segel des Schiffes um 45 Grad nach rechts, sodass der Wal in beinahe zehn Metern Entfernung an ihnen vorbei rauschte. Schäumendes Wasser und der Tau von Tausend Wolken prasselten wie schwerer Regen auf die alten Planken und tränkten sie alle in klarem Wasser. Als der Gigant an ihnen vorbei flog, erfüllte ein süßer, tiefer Klang den Himmel. Beinahe wie ein Hornstoß vermochte es zu erscheinen, jedoch mit ungeahnten Höhen versehen. So als grüße der Wal die Neuankömmlinge im Himmel.
      Mit einem zweiten schweren Ruck richtete sich das Schiff wieder auf und setzte seinen Weg vorerst fort.

      The more that I reach out for heaven
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    • Tatsächlich stahl sich ein freudiges Leuchten in die Augen, als Florence die filigrane Apparatur in der Hand Nightingale's entdeckte.
      Die getönten Gläser schützten die empfindlichen Sehnerven vor dem blendenden Sonnenlicht, das durch die Reflektion der Wolken in luftiger Höhe an Intensität gewann. An Bord der Leviathan gab es ähnliche Utensilien, die jedoch von der Machart edler und kostspieliger wirkten. Die Kartografin sah nicht den Wert des Materials, sondern die feingearbeiteten und ausgeklügelten Mechanismen hinter dem Objekt. Mit einer kleinen Drehung des Rädchens, ließ sich das getönte durch ein klares Glaspaar austauschen. Ein wissendes Lächeln, kaum merklich aber dennoch da, zuckte um die Mundwinkel als sie die Brille nach kurzem Zögern aus seinen Fingern nahm. Dabei griff sie nicht mit spitzen Fingern danach, als würde sie in einen Eimer Regenwürmer fassen wie es vielleicht von einer Dame erwartet wurde, die einem zwielichtigen Schiffskapitän gegenüber stand. Florence nickte dankend, obwohl sie das Wort nicht laut aussprach.
      Mit vertrauten Handgriffen schob sie sich die Brille auf die Nase und befestigte das weiche und offenbar häufig getragene Lederband in ihrem HInterkopf bis es sicher saß ohne hinab zu rutschen. Einen Augenblick lang führte Florence einen unermüdlichen Kampf gegen die Haarmähne, die ungebändigt mit dem Wind von einer Seite zur anderen wirbelte und erinnerte sich daran, warum sie gewöhnlich an Deck die Haare ordentlich zurückband. Der Riemen drückte etwas auf die sicherlich vorhandene Beule an ihrem Hinterkopf, aber das ließ sich beim Anblick der Welt zu ihren Füßen verschmerzen.
      Dabei hörte sie die ganze Zeit aufmerksam zu, was der Käpt'n zusagen hatte.
      Die Aussicht in der Bilch zu nächtigen, klang nicht besonders vielversprechend aber dafür blieb ihr die Möglichkeit den Tag an frischer Luft und unter dem offenen Himmel zu verbringen. Nightingale hatte nicht vor ihr weitere Zugeständnisse zu machen. Florence erkannte wenn eine Verhandlung zu nichts führte. Und wohin sollte sie schon gehen auf einem Luftschiff? Mit ihrer Beharrlichtkeit ließ sich kein Land gewinnen. Und mit Trotz allein auch nicht. Florence gab es nur ungern zu, aber sie war nicht in der Position um Forderungen zu stellen.
      Fragend sah sie zu Nightingale auf, der augenscheinlich noch nicht alles gesagt hatte, was es zu sagen gab.
      Bevor sie ihm eine Antwort geben konnte, durchbrach eine bereits bekannte Stimme den pfeifenden Wind und die junge Frau wirbelte ungeachtet ihres Bewachers herum und eilte auf die Reling zu. Mit beiden Händen stützte sich Florence auf dem taufeuchten Holz ab und lehnte sich übermütig ein wenig darüber um eine bessere Sicht zubekommen. Lediglich die Zehenspitzen berührten in den Stiefeln noch das sichere Deck. Angst vor der schwindelerregenden Höhe hatte sie nicht.
      Ein schillerndes Geschöpf in den wunderschönsten Blautönen durchbrach die Wolkendecke und ließ die Starfall mit ihrem Ballon aussehen wie einen kleinen Fisch im Ozean. Florence hatte in ihren ganzen Jahren an Bord verschiedenster Luftschiffe nie ein lebendiges Exemplar erblickt. Todesmutig nahm sie eine stütztende Hand von der Reling und schob sich die Brille von den Augen zurück in die Lockenmähne, damit sie den Wal in all seiner Farbenpracht bewundern konnte.
      Die Kartografin warf den Kopf zurück obgleich der Warnung des Kapitäts und griff mit einer Hand ebenfalls in die Takelage des Schiffes als es in ihren Augen beinahe herausfordernd aufblitzte.
      "Das ist nicht mein erster Tanz an Deck, Käpt'n.", grinste sie beim Klang seines Lachens und vergaß für einen Moment, dass sie eine Gefangene an Bord der Starfall war.
      Falls wirklich jemand an Bord eingebildet hatte eine Jungfrau in Nöten entführt zu haben, hatte sich ganz gewaltig geschnitten.
      Mit einem erstaunlichen behänden Griff schwang Florence mit der ruckartigen Bewegung des Schiffes mit, als wäre sie ein Blatt in einer natürlichen Windströmung. Es war unverkennbar, dass sich die junge Frau ganz in ihrem Element befand. Sie gehörte nicht zu den Angehörigen ihrer Zunft, die sich damit zufrieden gaben am warmen und trockenen Schreibtisch zu sitzen. Ein Hauch von Abenteuerlust umwehte sie, von dem ihr Großvater immer steif und fest behauptet hatte, es läge ihr im Blut.
      Eisiges Wasser ergoss sich wie ein plötzlicher Wolkenbruch über ihre Köpfe und als das heftige Pochen des Herzens sich langsam beruhigte und der eigentümliche aber wunderschöne Klang des Wales ertönte wie längstvergangene Musik, lachte Florence.
      Der zweite Ruck warf eine völlig durchnässte Florence in die Takelage.
      "Er ist atemberaubend!", stieß sie hervor, während sich bei jeder Silbe der Brustkorb mühevoll mit Luft füllte und blickte dem riesigen Himmelsbewohner mit einem kindlichen Funkeln in den Augen hinterher. Außer Atem gab sie Nightingale endlich die ausstehende Antwort.
      "Ihr Schiff. Ihre Regeln, Käpt'n. Verstanden." - Für's Erste.
      “We all change, when you think about it.
      We’re all different people all through our lives.
      And that’s OK, that’s good, you gotta keep moving,
      so long as you remember all the people that you used to be.”

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    • Man kam nicht umhin, zumindest ein wenig Bewunderung in die Blicke zu legen, während man die Schritte der jungen Frau verfolgte. Zumindest Trigg tat es, während er sich die Takelage um seine doch nicht ganz nutzlosen Arme schlang und diese gegen den Aufwind des Wals festhielt. Und auch während diese an ihm zerrten, hörte er die Stimme der jungen Frau und begann zu lachen. Nicht der erste Tanz...Ob sie damit wusste, was sie anrichtete?
      Nightingale indes sah dem Himmelsgiganten noch eine Weile hinterher, ehe er sich das kristallklare Wasser aus dem Gesicht wusch. Grunzend nahm er Florences Tanz mit der Takelage hin und auch er kam nicht umhin, zumindest anzuerkennen, dass sie sich an Bord bewegen konnte. Aus dem fröhlichen Lächeln und dem regelrecht verträumten Sehnen seiner Blicke, wenn er Horizont und Wal betrachtete, wurde jedoch alsbald wieder der schnöde Ernst der Lage.
      "DAVID: KURS WIEDER HERSTELLEN UND HALTEN! SILAS: MACH NICHT SO EIN AFFENTHEATER MIT DER TAKELAGE!"
      "Wer hat Affe gesagt? Ich bin kein Affe!", rief Chimp, der sich aus dem Kerker heraus bugsiert hatte und mit seinem Buch bewaffnet ans Deck kletterte.
      "Chimp, was zum Geier machst du hier?", fragte Nightingale und schlug sich die Hand vor die Stirn.
      "Lesen", grunzte der Affe und setzte sich demonstrativ an den Mast und schlug das Buch wieder auf.
      Gott, wie er dieses Vieh hasste.
      Seufzend sah Nightingale zu Florence und nickte.
      "Mein Schiff, meine Regeln", bestätigte er. "Und der Wal ist eine "Sie"."
      Nightingale wandte sich ab und zog eine Packung Zigaretten hervor, die in leichtem Papier selbstgedreht erschienen. Unförmig und entschieden zu viel Tabak in ihnen wirkten sie mehr wie eine lebende Rauchgranate, als er ein altes Steinschlossfeuerzeug hervor holte und versuchte, dieses in Brand zu setzen.
      Gerade wollte er sich gegen den Wind drehen, um der Flamme zumindest die Chance zum Wachsen zu geben als ein gewaltiges "PLOPP" im Raum ertönte. Dem "Plopp" folgte neben den üblichen Geräuschen an Deck noch ein recht unmännlicher Schrei des Kapitäns und ein Silas Trigg, der einem Zirkusartisten gleich von der Takelage fiel. Da er die Taue um seine Arme geschlungen hatte, wirbelte er herum wie eine sich abwickelnde Spule und krachte in ein Fass, dessen Inhalt sich als undefinierbare Flüssigkeit entpuppte. Gefolgt von einer Schiffskanonierin, die schreiend auf Trigg losging.
      "Du vermaledeiter Hundesohn!", keifte sie. "Das war mein letztes Fass Rum!"
      "Das Lager ist voll, Herrgott. Mein Hintern tut weh..."
      "Dir wird gleich noch ganz anderes wehtun, du Hurenbock, steh auf.aus.meinen.Fässern."
      Während sich die Beiden in den Trümmern des Fasses balgten, war vor Kapitän Nightingale das wohl erstaunlichste Mitglied der Crew aufgetaucht. Orcas war ein Mann mittlerer Größe und einem Adretten Gehrock, dessen Fasern sich einem tiefen Schwarz näherten. Seinen linken Arm erschien er dauerhaft in einer Metallschiene fixiert zu halten, steckte dieser doch in der Seitentasche seines Gehrocks und war mit einer metallischen Apparatur verbunden, die ihn offenbar in Form hielt.
      Das dunkle Haar trug er adrett gescheitelt, während seine Rechte einen formschönen Gehstock mit goldenem Knauf hielt. Das Gesicht jedoch erschien das Ungewöhnlichste zu sein. Der Erschienene trug eine Maske, die sein Gesicht beinahe zur Gänze verhüllte und seine Stimme dämpfte, sodass man erst nichts hören konnte. Jedoch als Nightingale sein Schreien aufhörte und sich an die Brust fasste, begann der Mann zu sprechen.
      "Kapitän, ich kam nicht umhin, die Gespräche der Mannschaft seit der Abfahrt konsequent zu belauschen und ich muss feststellen-"
      "Wieso kamst du nicht umhin?"
      "Nun...Weil ich es nicht wollte. Wie auch immer", Orcas räusperte sich. "Ich kam nicht umhin, zu bemerken, dass-"
      "Komm zum Punkt Orcas!", rief Trigg von weiter hinten, während Clara versuchte, ihn mit seinem Brokat zu erwürgen.
      "Wenn man mich denn nun einmal ließe...Nun, Sie wollen nach Million Towers. Darf ich vorschlagen, dass ich im 9. Bezirk aussteige und mich gemeinsam mit Mr Randsford zu den Kerkerinseln begebe? Wir haben noch einen Kanonier, den es sich zu befreien lohnt..."
      Eine allzu wahre Tatsache, dachte Nightingale und rieb sich das Kinn. Schweigend warf er die zerknüllte Zigarette über Bord und sah Orcas an. Das Duo Orcas und Randsford würde vermutlich mehr Chaos anrichten als jeder andere. Auf der anderen Seite, war es vielleicht nicht übel...
      "Gute Idee", nickte er. "Trigg, du wirst mit ihnen gehen. Ihr drei holt Hurley aus dem Knast und bringt ihn zum 7. Bezirk. Damit das klar ist: keine Huren und keine Toten!"
      "Aye Sir", nickte Orcas und klopfte mit dem Stock auf den Boden.
      Ein weiteres "PLOPP" ertönte und er stand mit einem Mal vor Florence. Im Hintergrund schrie Nightingale erneut auf.
      "Gott, Orcas!", donnerte er. "Keine Apparisation an Deck!"
      "Vergebung, junge Frau", murmelte der Zauberer und neigte das Haupt. "Ich heiße Orcas. Und Sie sind offenbar ein neues Mitglied (Einstimmiges Gebrülle: "ABSOLUT NICHT!!!", Arnaud: "Ah oui!"). Ich möchte sie gern begrüßen. Ich bin der Haus- und Hofzauberer!"

      The more that I reach out for heaven
      The more you drag me to hell
    • Ein flüchtiger Moment genügte um die stoische Maske zu erkennen, die sich Fragment für Fragment über die Gesichtszüge des Kapitäns legten. Der sehnsüchtige Blick in die Ferne hatte Nightingale für einen winzigen Augenblick etwas unsagbar Menschliches verliehen. Der Augenblick verflog und verschwand mit dem Wolkenwal unter einer undurchsichtigen, nebligen Wolkenschicht.
      „Sie…“ Ein Lächeln zupfte an ihren Lippen und die Frage brannte auf der Zunge, woran er erkannte, dass es sich bei dem Wolkenwal um ein weibliches Exemplar handelte. Der Wissendurst der Kartografin war trotz des Erwachsenwerdens nie weniger geworden und eine der grundlegenden Eigenschaften, die Florence vorantrieben. Sie war gelehrig und aufmerksam, wenn man sie nicht gerade in einen stinkenden Käfig im Bauch eines Schiffes sperrte. Gegen ihren Willen.
      Etwas unwirsch schob sich Florence die triefnassen Locken aus der Stirn und zupfte kurz an den Brillengläsern, um das Wasser freizugeben, das sich hinter dem getönten Glas gesammelt hatte. Die Brise zerrte an den völlig durchnässten Kleidungsstücken, allerdings lernte ein Neuankömmling an Bord eines Luftschiffes ausgesprochen schnell mit der ständigen Feuchtigkeit, die sich wie Tau auf alles legte, umzugehen. Ihr Großvater beliebte zu scherzen, dass die Crew eines Luftschiffes öfters mit nassen Stiefeln und feuchtem Schießpulver zu kämpfen hatten, als die Besatzung eines traditionellen Seeschiffes. Zwischen dichten, weißen Wolken vollgesogen mit zukünftigen Regenschauern war es allerdings auch wenig verwunderlich.
      Das zänkische Geplänkel der übrigen Mannschaft weckte kein übermäßiges Interesse. Obwohl Silas unfreiwillige, akrobatische Einlagen durchaus Unterhaltungspotential hatten. Florence erwischte sich bei einem Grinsen ehe sie den Blick zurück über die Reling warf. Unter ihr zogen die Splitterreiche in einem bunten Strom aus unzähligen Farben vorbei, zu klein um Einzelheit zuerkennen. Kurz kniff sie die Augen etwas zusammen und zog sich die getönte Brille über die Augen, um besser sehen zu können. Ein merkwürdiges Aufblitzen unterhalb der Starfall weckte ihre Aufmerksamkeit.
      Florence zuckte heftig in sich zusammen, als ein verdächtig spitzer Schrei an Deck erklang. Tatsächlich brauchte die junge Frau ein paar Sekunden um Nightingale als Quelle auszumachen. Mit zitternden Schultern, die von einem unterdrückten Prusten herrührten, hob sie eine Hand vor das Gesicht und verbarg das gedämpfte Kichern in der hohlen Hand. Der stoische, unbeugsame Nightingale quietschte tatsächlich wie ein kleines Mädchen. VielZeit um sich über diese Tatsache zu amüsieren, blieb Florence allerdings nicht. Mit einem plötzlichen 'Plopp' war es nun an der Kartografin einen erstickten Schrei verlauten zulassen, der sich Stolpernd wich Florence zurück gegen die Reling und verhinderte lediglich durch einen schnellen Griff nach Link und Rechts, dass sie auf den feuchten Holzplanken ausrutschte. Sie hatte nicht damit gerechnet, dass der verhüllte Orcas, wie der Maskierte sich vorstellte, überhaupt Notiz von ihrer Anwesenheit nahm.
      "Danke, Orcas. Sehr...sehr freundlich.", stammelte Florence. "Florence Cartwright. Und, nein. Ich bin nicht das neue Crewmitglied sondern eher ein unfreiwilliger Passagier mit einem One-Way Ticket nach Million Towers."
      Florence hatte sich kaum von dem Schock erholt, da erfasste sie ein leichter Schwindel. Die Finger schlossen sich fester um das spröde Holz der Reling. Ein Wolkenwal und überraschend höflicher Zaubrer täuschten nicht lange über die pochenden Kopfschmerzen hinweg.
      "Es gibt an Bord dieses Schiffes nicht zufällig etwas gegen Kopfschm...?", murrte Florence, ehe der Satz von einem blechernen Kreischen unterbochen wurde. Was beim besten Willen, konnte denn noch an einem einzigen Morgen passieren?
      Über das Schiffsdeck glitt ein flinker, geflügelter Schatten.
      "Miss Cartwright! Dem Himmel sei Dank hab ich Sie gefunden!", ertönte eine erstaunlich menschliche Stimme aus der Höhe über der Starfall. Mit einiges an Geschwindigkeit stürzte ein großer Vogel mit beachtlicher Spannweite auf das Deck. Und stürzten war in diesem Fall die richtige Beschreibung. Der Vogel hatte die Flugbahn schlecht kalkulierte und streifte mit einer Schwinge die Takelage und geriet ins Trudeln. Zielsicher zischte das Tier an Orcas vorbei und prallte direkt gegen Florence, die es zurück und schmerzhaft mit der Hüfte gegen die Reling warf.
      "Verzeihen Sie, meine teure Miss Cartwirght. Wie überaus ungeschickt von mir!", schepperte es klangvoll. Durch die unfreiwillige Kollission verrteilten sich kleine silbrige und goldene Zahnräder über das Deck. In ihren Armen hielt die überraschte Florence ein schimpfenes und schnarrendes Bündel aus glänzendem, perlmuttähnlichem Metall, dass sich als Eule entpuppte. Die meiste Ähnlichkeit besaß das metallische Federvieh mit einer Schleiereule, zumindest in Gräße und Kopfform. Das gesamte nachempfundene Gefieder bestand aus hachdünnen Metallplätchen die sich durch ein ausgeklügeltes System aus Dampf und Zahnrädern klickend und zwischend bewegten.
      Der Kopf der Eile ruckte um 180 Grad herum und gläserne aber lebendige Augen funkelten die Mannschaft an. Aufgebraucht begann die Eule mit den Flügeln zu schlagen und traf dabei auch die arme Florence. Nach etwas Gezappel landete die Eule auf ihren Füßen am Boden.
      Es ging soweit, dass der glänzende Metallvogel eine scheuchende Bewegung mit den Flügeln vollführte.
      "Unholde! Hinfort!", klapperte die Eule mit eindeutig männlicher Stimme. "Seid unbesorgt, Miss."
      “We all change, when you think about it.
      We’re all different people all through our lives.
      And that’s OK, that’s good, you gotta keep moving,
      so long as you remember all the people that you used to be.”